Open Access
{"created":"2022-01-31T12:54:09.919950+00:00","id":"lit1058","links":{},"metadata":{"alternative":"Archiv f\u00fcr Physiologie","contributors":[{"name":"Sachs, Carl","role":"author"},{"name":"Emil du Bois-Reymond","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Archiv f\u00fcr Physiologie: 66-95","fulltext":[{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcd amerikanischen Zitteraale (Gymnotus electricus).\nVon\nDr. med. Carl Sachs\naus Berlin.\n(In Briefen an den Herausgeber.)\n\u2018 (Hierzu Taf. II.)\nVorbemerkung des Herausgebers.\nWer der Entwickelung der Lehre von den elektrischen Fischen w\u00e4hrend der letzten Jahrzehnde folgte, bemerkte mit Bedauern, wie weit unsere Kenntniss von dem gewaltigsten dieser Thiere, dem s\u00fcdamerikanischen Zitteraale (Gymnotus electricus), hinter der von den Torpedineen des Mittelmeeres und von dem afrikanischen Zitterwelse (Malopterurus electricus) zur\u00fcckblieb. Noch nie war das elektrische Organ des Gymnotus frisch mikroskopirt worden, da wir doch jetzt wissen, dass bei wenig Geweben die Untersuchung im ganz frischen Zustande so wichtig ist, wie hier. Von den elektrischen Nerven und ihrem Ursprung im R\u00fcckenmarke war kaum das Gr\u00f6bste sicher bekannt. Zwar hatte Faraday 1838 den lebenden Zitteraal in London zum Gegenstand einer sch\u00f6nen Versuchsreihe gemacht; es lag aber in der Natur der Dinge, dass seine Versuche mehr den Physiker als den Physiologen befriedigten. Dieser Zustand erschien um so beklagenswerther, je mehr neue, auch am Gymnotus zu beantwortende histologische und physiologische Fragen die vorgeschrittene Untersuchung am Zitterrochen und Zitterwelse schon er\u00f6ffnet hatte und noch t\u00e4glich er\u00f6ffnete ; ja fast unw\u00fcrdig erschien er, wenn man erwog, wie gering nachgerade bei der heutigen Entwickelung des Weltverkehrs die Schwierigkeit geworden war, den Gynlnotus in seiner Heimath auf-","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamerik. Zitteraale. 67\nzUsuchen. Denn aus anderswo 1 von mir entwickelten Gr\u00fcnden wird dies stets die einzige Art bleiben, tiefgebende, umfangreiche und sichere Aufschl\u00fcsse \u00fcber die elektrischen Fische zu erlangen. An wenigen in Gefangenschaft lebenden Exemplaren wird man die Physiologie des Organes so wenig auszuarbeiten im Stande sein, wie dies f\u00fcr die des Muskels an zwei bis drei wom\u00f6glich am Leben zu erhaltenden Fr\u00f6schen gegl\u00fcckt w\u00e4re.\nUm den Zitteraal in seiner Heimath zu studiren, konnte kein Ort geeigneter scheinen, als jene Steppengew\u00e4sser von Venezuela, welche nach Alexander von Humboldt von Gymnoten buchst\u00e4blich wimmeln. Hier hatte er selber, kurz nach seiner Landung in Cumana, jene ber\u00fchmten Beobachtungen am Zitteraal angestellt, deren Schilderung au% den \u201eAnsichten der Natur\u201c fast in jedes deutsche Lesebuch \u00fcberging. Wer von uns hat nicht schon als Kind der wunderbaren M\u00e4hr vom Kampfe der Pferde und Fische gelauscht?\nVenezuela, wo damals Humboldt post tot discrimina zuerst den Fuss auf den neuen Continent setzte, als dessen zweiten Entdecker die Wissenschaft ihn preist, ist jetzt von Europa aus durch regelm\u00e4ssige Postdampfer vermuthlich leichter zu erreichen, als, abgesehen von den Kriegsl\u00e4ufen, zu Humboldt\u2019s Zeit Aegypten. Als daher in Hrn. Dr. Sachs eine f\u00fcr solches Unternehmen geeignete Pers\u00f6nlichkeit sich bot und dieser junge Gelehrte sich gern dazu bereit erkl\u00e4rte, trug ich im Fr\u00fchjahr 1876 bei der K\u00f6niglichen Akademie der Wissenschaften darauf an, dass ihm aus den Eink\u00fcnften der Humboldt-Stiftung f\u00fcr Naturforschung und Reisen die n\u00f6thigen Mittel zur Verf\u00fcgung gestellt w\u00fcrden. Die Akademie ging auf das Bereitwilligste darauf ein, diese am meisten Humboldt\u2019sche fast aller denkbaren Unternehmungen der Humboldt-Stiftung zu unterst\u00fctzen. Hr. Dr. Sachs hatte schon ermittelt, dass er, um in Venezuela die richtige Jahreszeit vor sich zu haben, Berlin fr\u00fch im Herbste verlassen m\u00fcsse. Der Sommer 1876 wurde also damit zugebracht, den Plan der Untersuchung bis in alle vorhersehbaren Einzelheiten auszuarbeiten und ein m\u00f6glichst vollst\u00e4ndiges histologisches und elektrophysiologisch.es Laboratorium f\u00fcr den Transport zusammenzustellen. Es war keine Kleinigkeit, sich in den Stand zu setzen, in den Llanos thierisch-elektrische Versuche mit aperiodischem Spiegel und uupolarisirbaren Elektroden oder Messungen\n1 Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1877. Bd. II. S. 612. \u2014 Ich erlaube mir, die Fachgenossen, welche f\u00fcr den Gegenstand sich interessiren, darauf aufmerksam zu machen, dass dem zweiten Bande jener Sammlung eine neue Abhandlung (XXVIII) einverleibt ist, welche meine Beobachtungen und Versuche an den nach Berlin gelangten lebenden Zitterwelsen zum ersten Male zusammenh\u00e4ngend nnd mit allen n\u00f6thigen Einzelheiten darstellt.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nCabl Sachs:\n\u00fcber Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung im Nerven mit derselben Sicherheit anstellen zu k\u00f6nnen, wie im physiologischen Institut einer deutschen Universit\u00e4t. Endlich, am 26. September, schiffte sich Hr. Dr. Sachs in Hamburg ein. Das ausw\u00e4rtige Amt des Deutschen Reiches hatte die Geneigtheit gehabt, durch den Kaiserlichen Gesch\u00e4ftstr\u00e4ger und General-Consul in Caracas, Hrn. Dr. Stamman, ihm in dankenswerthester Weise die Wege ebnen zu lassen. Sogleich bei seiner Ankunft in La Guayra am 21. October erkl\u00e4rten die an Bord des Dampfers erscheinenden Zollbeamten dem Hrn. Dr. Sachs, dass auf Befehl des Pr\u00e4sidenten der Republik, General Guzman Blanco; er sein Gep\u00e4ck unbesichtigt an Land nehmen d\u00fcrfe, f\u00fcr einen mit zahlreichen zerbrechlichen Apparaten reisenden Naturforscher eine unsch\u00e4tzbare Verg\u00fcnstigung. In Caracas, wohin Hr. Dr. Sachs sich noch am Nachmittage desselben Tages begab, fand er bei Hm. Dr. Stamman, sowie bei des Hrn. Pr\u00e4sidenten Excellenz selber, den zuvorkommendsten Empfang.\nWenn ich hinzuf\u00fcge, dass er dort mit Empfehlungsbriefen und Ausr\u00fcstungsgegenst\u00e4nden f\u00fcr das Innere sich versah, und f\u00fcr 270 spanische Thaler ein Maulthier erstaud, um ihn \u00fcber die Cordill\u00e8re nach dem Dorfe Rastro zu tragen, in dessen N\u00e4he Humboldt vor 77 Jahren experimentirte, so ist der Leser mit den Verh\u00e4ltnissen hinreichend vertraut gemacht, unter welchen nachstehende Briefe entstanden.1\nI.\nCalabozo, den 6. December 1876.\n\u2014 Meinen letzten Brief schrieb ich in Caracas am 9. November. Noch an diesem selben Tage verliess ich die Hauptstadt, um die Reise nach dem Inneren anzutreten. Verschiedene kleine Unf\u00e4lle hielten mich ein paar Tage l\u00e4nger auf als ich geglaubt hatte, so dass ich erst Sonntag den 19. Nov. in Rastro (21/i Stunden von Calabozo) eintraf. Die Reise ging durch die K\u00fcstencordillere, am Valenciasee vorbei, \u00fcber Villa de Cura, dann San Juan, Parapara, Ortiz nach den Llanos. Anderthalb Tagereisen durch die Steppe, w\u00e4hrend welcher ich mich zum Theil g\u00e4nzlich allein, auf den Compass angewiesen, befand, brachten mich nach meinem vorl\u00e4ufigen Reiseziel, dem Dorfe Rastro de Arriba, wo ich das Haus eines\n1 Zwei Briefe des Reisenden nicht physiologischen Inhalts sind in Petermann\u2019s \u201eGeographischen Mittheilumgen\u201c abgedruckt. (S. dort, 1877. S. 182.\u2014.) \u2014 Vergl. \u00fcbrigens die Monatsberichte der Berliner Akademie, 1877. S. 16.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamerik. Zitteraale. 69\nim Lande hochangesehenen Mannes, Dor Carlos Palacios, \u201eEl Bey de los Llanos\u201c genannt, bezog, welches dieser mir freundlichst zur Verf\u00fcgung gestellt batte.\nDie mannigfaltigen Natureindr\u00fccke, welche die Eeise bot, konnte ich nicht mit dem n\u00f6thigen Behagen gemessen ; ich befand mich in der peinlichsten Ungewissheit \u00fcber das Schicksal, das mich erwartete. Dass die Gymnoten in der Gegend von Calabozo noch heute Vorkommen, hatte sich, durch viele \u00fcbereinstimmende Aussagen, zur Evidenz erwiesen. Aber Jedermann zuckte die Achseln, als ich auf die M\u00f6glichkeit, eine Anzahl Thiere lebend zu erhalten, zu sprechen kam.\nDie ersten Tage in Eastro waren denn auch wenig geeignet, meinen Muth zu beleben. Ich engagirte eine Anzahl der Eischerei kundiger Leute ; mit Netzen, Hacken, Schaufeln u. s. w., vor Allem mit einer riesigen Flasche Branntwein bewaffnet, machte man sich auf den Weg nach dem Cano de Eastro, einem fliessenden Wasser in der N\u00e4he des Dorfes. Das eifrigste Durchst\u00f6bern des Wassers, woran ich mich, trotz Cayman und Caribenfisch,1 2 lebhaft betheiligte, blieb v\u00f6llig erfolglos. Das \u201eEmbarbascar con cavallos\u201c 2 ist leider nur ein sch\u00f6ner Traum. Pferde und Maulthiere sind hier heutzutage so theuer, dass kein Mensch daran decken kann, auf diese Weise Gymnoten zu fangen. Abgesehen davon ist man im gr\u00f6ssten Irrthum, wenn man sich vorstellt, dass die Sache je Sitte und Gewohnheit gewesen sei, wie es Humboldt darstellt; Niemand, auch von den \u00e4ltesten Leuten hier, weiss sich dessen zu erinnern. Meine Erz\u00e4hlung wurde \u00fcberall mit homerischem Gel\u00e4chter aufgenommen. Dagegen h\u00f6rte ich von Leuten aus der Gegend des Eio Apure einen Umstand, der vielleicht mit der Humboldt\u2019sehen Erz\u00e4hlung in Verbindung zu bringen ist. Beim Passiren der Fl\u00fcsse jagt man, wenn sich zahlreiche Tembladoren in der N\u00e4he befinden, die Heerden-Thiere voraus in\u2019s Wasser, um die Aale zu verscheuchen oder zu schw\u00e4chen. Unter den Indianern in Humboldt s Umgebung befand sich wohl irgend ein feiner Kopf, der, hiervon ausgehend, das so ber\u00fchmt gewordene \u201eEmbarbascar con cavallos\u201c erfand.\nH\u00f6chst missmuthig kehrte ich nach dem Dorfe zur\u00fcck und verlebte daselbst ein paar recht ungem\u00fcthliche Tage. Ich erhielt weder Gymnoten, noch kam mein Gep\u00e4ck, \u00fcber dessen Schicksal ich gleichfalls in Ungewissheit war. Warten war die Losung ; dazu hatte ich die angenehme Aussicht, die projectirten Malariablut-Untersuchungen baldigst an mir selbst anstellen zu k\u00f6nnen, denn zwei Drittel der Bev\u00f6lkerung von Eastro\n1\tPygocentrus spec.? [E. d. B.-R.]\t\u25a0\n2\tEmbarbascar heisst die in S\u00fcdamerika \u00fcbliche Art des Fischfanges durch in s Wasser geworfene giftige Kr\u00e4uter, [fi. d. B.-R.]","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nCarl Sachs:\nwurden im vorigen Jahre w\u00e4hrend desselben Monats (unmittelbar nach der Regenzeit) durch b\u00f6sartige Fieber hingerafft. Endlich Hitze, Mosquitos, Mangel zusagender Nahrung und aller Bequemlichkeit u. dgl. m.\nEin Ausflug, den ich nach Calabozo machte, um Empfehlungsbriefe abzugehen, zeigte mir sofort, dass ich unter allen Emst\u00e4nden meinen Wohnsitz wechseln musste. Calabozo ist ein netter, nicht besonders-ungesunder Platz mit intelligenter Bev\u00f6lkerung, Beh\u00f6rden, Aerzten, Apothekern, Kaufl\u00e4den aller Art u. dgl. m. Es w\u00e4re Wahnsinn gewesen, l\u00e4nger in dem elenden, von stinkenden S\u00fcmpfen umgebenen Dorfe zu bleiben. So miethete ich denn ein ger\u00e4umiges Haus (f\u00fcr 16 Mark monatlich) und zog mit fliegenden Fahnen in Calabozo ein. Alles wetteiferte, mich mit den herrlichsten Versprechungen hinzuhalten. Viele Leute vermassen sich hoch und theuer, Gymnoten fangen zu\"wollen; aber hier wie in Rastro hiess es zuerst, geduldig warten. Endlich, Montag den 27. November, ritt ich mit einem entschlossenen Manne, dem General Guancho Rodriguez, dem ber\u00fchmtesten Krieger der Llanos, der einst einen Strauss mit drei Jaguaren gl\u00fccklich ausfocht, zwei Stunden s\u00fcd\u00f6stlich von Calabozo nach dem Rio Uritucu, einem wilden, weit und breit von pr\u00e4chtiger Urwaldvegetation umgebenen Flusse, in dessen Gew\u00e4ssern das Verderben in vielfacher Gestalt lauert. Die wildesten Krokodile des ganzen Llano bewohnen diesen Fluss, sein Wasser wimmelt von den gefr\u00e4ssigen Caribenfischen und Stachelrochen1 und, gl\u00fccklicherweise, auch von Tembladoren. Gleich bei unserer Ankunft sahen wir einen gewaltigen, sechs Fuss langen Gymnotus dicht unter der Wasserfl\u00e4che sich bewegen.\nDie Fangweise, deren sieh Don Guancho und seine Knechte bedienten, war eine h\u00f6chst sinnreiche und interessante. Schon vorher hatte man ein Thier mit der Harpune gefangen, das aber bald starb; ich bestand daher darauf, die Thi\u00eare unverletzt zu erhalten. Wir begaben uns nach der M\u00fcndung eines kleinen Baches, des Cano Merecuritu ; diese M\u00fcndungen (Bocas) sind ein Lieblingsaufenthalt der Gymnoten, welche hier die in dem Bach herabkommenden kleinen Fische abfangen. Sie halten sich jedoch im Wasser des grossen Flusses und hier ist ihnen nicht beizukommen. Die Neugierde des Thieres gereicht ihm zum Verderben. Hinter B\u00e4umen versteckt warfen wir kleine Steine in das Wasser des Cano, und bald glitten Tembladoren den Cano aufw\u00e4rts, um zu sehen, was es g\u00e4be, Ein quer vor die M\u00fcndung des schmalen Cano gespanntes Netz hinderte ihre R\u00fcckkehr; mit einem zweiten Netz begeben sich zwei Leute eine kleine Strecke aufw\u00e4rts, werfen es ebenfalls aus, dass es den Cano quer absperrt und gehen nun damit abw\u00e4rts nach dem ersten Netz\n1 Trygon spec.? [E. d. B.-R.]","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamebik. Zitteraale. 71\nzu. Vergebens schleudert der zornige Gefangene nun seine Donnerkeile; todte Fische und Fr\u00f6sche, die pl\u00f6tzlich auf dem Wasser schwimmen, sowie mancher Ach- und Wehruf der Fischer k\u00fcnden'seine Kraft. Er ist gefangen, wird zwischen den beiden Netzen aus dem Wasser gehoben und zappelt auf dem Sande. Aber der besiegte Feind fl\u00f6sst noch Schrecken ein. Keiner der Leute, selbst nicht der beherzte Don Guancho, will die beidei; gefangenen Gymnoten ber\u00fchren, um sie in das mitgebrachte Fass zu werfen. Ich selbst bin gen\u00f6thigt, diese That auszuf\u00fchren; in weiser Vorsicht ziehe ich mir den Tuchrock aus, breite ihn \u00fcber die Thiere, fasse sip so und werfe sie in das Fass. Dass diese Vorsicht wirklich weise war, beweist der Umstand, dass ich trotz des Rockes hierbei noch empfindliche Schl\u00e4ge erhielt.\nLeider war das mitgebrachte Fass so eng, dass nur eines der Thiere an der Oberfl\u00e4che des Wassers Platz hatte ; dieses blieb am Leben, w\u00e4hrend die beiden anderen, darunter ein harpunirtes, starben, offenbar an Erstickung. (Der Gymnotus kommt alle 30\u201450 Secunden an die Oberfl\u00e4che, um Luft zu schlucken.) Auch das \u00fcberlebende Thier hatte durch das enge Gef\u00e4ss w\u00e4hrend des 2\u20143 st\u00e4ndigen Transportes verderbliche Hautabsch\u00fcrfungen erlitten, so dass es starb, w\u00e4hrend ich noch nicht in der Lage war, experimentiren zu k\u00f6nnen.\nMittwoch den 29. November kamen meine Kisten an, die ich mit fieberhafter Ungeduld auspackte. Zu meiner gr\u00f6ssten Freude war fast Alles unbesch\u00e4digt, und schleunigst wurde das Laboratorium in die n\u00f6thige Verfassung gesetzt.\nDie ersten, rasch sterbenden Thiere hatte ich zum Studium der groben Anatomie benutzt. Ich begab mich Donnerstag den 30. wiederum nach der n\u00e4mlichen Stelle, und es gelang, nach derselben Methode, in einem Netz drei pr\u00e4chtige Gymnoten zu fangen. Diesmal brauchte ich meinen Rock nicht auszuziehen; angethan mit Kautschuck-Handschuhen griff ich stolz nach den Tembladoren und brachte sie in Sicherheit, zum uns\u00e4glichen Erstaunen der zuschauenden Lianeros. Durch die Handschuhe hindurch machte sich keine Spur des Schlages bemerklich.\nAlle drei Thiere hielten sich vortrefflich in der grossen Canoa,1 die ich als Wohnst\u00e4tte f\u00fcr sie in meine Wohnung hatte schaffen lassen; nur waren sie nicht zum Fressen zu bewegen, wiewohl ich es mit vielerlei Dingen versuchte.\nZwei von den Thieren habe ich bereits get\u00f6dtet und theils zu experimentellen, theils zu histologischen Zwecken verwendet. Ich habe in den f\u00fcnf Arbeitstagen, die hinter mir liegen, mich m\u00f6glichst geeilt,\n1 Canoa, durch Aush\u00f6hlen einesStammes gebildeter Nachen: Einbaum. [E.d.B.-R.]","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nCarl Sachs :\nund es macht mir Vergn\u00fcgen, schon heute nicht mit leeren H\u00e4ndea kommen zu m\u00fcssen. Ich schreibe diesen Brief sp\u00e4t in der Nacht, um das Wenige, wor\u00fcber ich schon jetzt berichten kann, sicher zu stellen. Da die Post morgen zu unbestimmter Zeit abgeht und ich morgen fleissig zu arbeiten gedenke, kann ich den Brief vielleicht nachtr\u00e4glich noch vervollst\u00e4ndigen.\n1)\tDer Schlag des Gymnotus. W\u00e4hrend des Schlages bewegt sich das Thier nicht im Geringsten, ebensowenig in Folge des Schlages anderer dicht neben ihm befindlicher Gymnoten. Hinsichtlich der Wirkung des Schlages auf den Menschen muss man zwei F\u00e4lle unterscheiden, Stromschleifen, welche eintreten, wenn man das Thier mit dem Finger oder durch Vermittelung schlecht leitender K\u00f6rper in kurzer Ausdehnung ber\u00fchrt. Die Empfindung eines solchen Schlages hat die gr\u00f6sste Aehn-lichkeit mit kurzdauernder Einwirkung von Inductionsstr\u00f6men. Schon durch die Empfindung verr\u00e4th es sich, dass der Schlag eine gewisse Dauer hat. Der zweite Fall, Stromdurchgang, kann sich mit dem ersten vergesellschaften. Man bekommt ihn rein zur Anschauung, wenn man mit einem Metallk\u00f6rper in der Hand das Thier ber\u00fchrt und nicht vollkommen isolirt steht. Ich hatte Str\u00fcmpfe und Pantoffeln mit Ledersohlen an, ber\u00fchrte einen sehr erm\u00fcdeten Gymnotus mit einem Bohrer und bekam einen Schlag, der sich durch einen viel m\u00e4chtigeren psychischen Eindruck, durch Ersch\u00fctterung des ganzen K\u00f6rpers als Stromdurch-gang charakterisirt. M\u00f6glicherweise ist diese Wirkung unipolar^ denn ich kann mir schwer vorstellen, dass das dicke trockene Holz meiner Versuchs wanne die R\u00fcckleitung vermittelt. Als ich mich auf zwei Guttapercha-Platten stellte, bekam ich bei zehn Ber\u00fchrungen mit Metall keinen Schlag, sogleich aber als ich die Platten entfernte. Der Ziegel-fussboden meiner Zimmer isolirt mithin nicht, ich habe mich auch \u00fcber-\" zeugt, dass man durch ein St\u00fcck Ziegel einen starken Schlag erh\u00e4lt.\n2)\tNach Durchtrennung des R\u00fcckenmarkes kurz nach dem Austritt aus der Sch\u00e4delh\u00f6hle, erh\u00e4lt man, auch auf die st\u00e4rksten sensiblen Hautreize, keinen f\u00fchlbaren Schlag ; ebensowenig zeigte mein aus dem Compass und einer Hydrorolle der Bussole zusammengesetztes Galvanometer einen Strom an, obgleich es z. B. empfindlich genug ist, um den durch Auflegen von zwei Fingern auf die Sterns\u00e4ule erzeugten Thermostrom anzuzeigen. Dies erkl\u00e4rt sich jedoch leicht, wenn man bedenkt, dass durch Reflex immer nur kleinere Abschnitte der Organe gleichzeitig in Th\u00e4tig-keit gesetzt werden. Der strompr\u00fcfende Froschschenkel muss hier zur Wirkung kommen. (Ich besitze prachtvolle grosse Kr\u00f6tenfr\u00f6sche mit sehr brauchbaren Muskeln; die eigentlichen Fr\u00f6sche sind hier viel zu klein.)","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Veesuche am s\u00fcdamekik. Zitteraale. 73\n3)\tZuckung und Schlag sind Gr\u00f6ssen von einerlei Ordnung. Diesen Versuch habe ich, nach Analogie des Ihrigen an Malop-terurus, mit aller Genauigkeit angestellt, nur dass ich statt der Guttaperchas\u00e4ttel, die es mir noch nicht gelungen ist, herzustellen, ein Paar Kupferelektroden in die Versuchswanne gesenkt habe, zur Ableitung des Schlages in den Galvanometerkreis. Ein zweites Paar Elektroden leitete einen Stromzweig ab, der sich gabelig spaltete zum Froschwecker und Froschunterbrecher. Der Schlag des Thieres wurde durch Klopfen hervorgerufen, die Glocke schlug an, die Nebenfeitung des Froschunterbrechers \u00f6ffnete sich und die Nadel des Compasses wurde mit gr\u00f6sster Heftigkeit nach der bekannten \u00dfichtung geschleudert, so dass sie sich gegen zwanzig Mal wirbelnd um ihre Axe drehte, w\u00e4hrend, wenn mein Assistent bei diesen Versuchen (ein Knabe aus guter Familie, mit dem vielversprechenden Namen Francisco Monro) die Nebenleitung gewaltsam geschlossen hielt, die Nadel vollst\u00e4ndig ruhig blieb.\n4)\tDas Organ erm\u00fcdet durchaus nicht so schnell, als man sich vorstellt. Ein Temblador, der, meiner Sch\u00e4tzung nach, im Laufe einer Stunde etwa 150 Mal geschlagen hatte, war noch im Stande, durch eine Kette von acht Personen, deren Endglieder ihn an Kopf und Schwanz ber\u00fchrten, einen kr\u00e4ftigen Schlag zu schicken.\n5)\tJodkalium - Elektrolyse. Ich habe bisher nur einen vorl\u00e4ufigen Versuch mit Kupferelektroden und Kupferspitzen angestellt. Ein Schlag gab starken Fleck am positiven Pol, nach 3\u20144 Schl\u00e4gen schien auch am negativen Pol Spur von Zersetzung einzutreten. Ich bin im Begriff, die Platinvorrichtung herzustellen.\n6)\tDie Reaction des frischen Organes ist schwach, aber deutlich, alkalisch. Beim Liegenlassen an der Luft, st\u00e4rker bei Einwirkung von Inductionsstr\u00f6men (x/3 Stunde), tritt S\u00e4uerung ein.\n7)\tDie Muskeln des Gymnotus reagiren vortrefflich auf die Str\u00f6me des Schlitteninductoriums, und zwar, mit einem Daniell im Hauptkreise, bei einem Rollenabstand von 120ram. Das R\u00e4thsel der Immunit\u00e4t bleibt also in vollem Maass bestehen.\n8)\tDie Histologie des elektrischen Organes ist ein schwieriger Gegenstand, den ich jedoch schon so weit gef\u00f6rdert habe, dass ich mit Sicherheit auf guten Erfolg hoffen kann. Augenblicklich kann ich Folgendes als gesichert betrachten. (S. Fig. 1.)\nDie bisherigen Beschreibungen der Platte treffen im Grossen und Ganzen auch f\u00fcr den frischen Zustand zu, namentlich diejenige Pacini\u2019s. Die vordere Fl\u00e4che der Platte ist mit Papillen bekleidet, deren Substanz im frischen Zustande v\u00f6llig homogen und glashell erscheint, wie es scheint, ohne Membran. Eingebettet in die Rindenschicht finden sich die","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nGael Sachs:\nals Kerne beschriebenen Gebilde, in Wirklichkeit Zellen mit k\u00f6rnigem Protoplasma, ovalem Kern und grossem Nucleolus. Die Zellen sind mit zahlreichen ver\u00e4stelten Ausl\u00e4ufern versehen, so dass sie eine merkw\u00fcrdige Aehnliehkeit mit protozo\u00efschen Organismen (Am\u00f6ben) bekommen. Auf die papill\u00e4re Schicht folgt eine d\u00fcnne zusammenh\u00e4ngende Lage, in der ich bis jetzt keinerlei Structur wahrgenommen habe, dann eine eigen-th\u00fcmliche helle, scharfe Grenzlinie und auf diese eine wiederum zellenhaltige Schicht, welche mit zweierlei Fortsatzbildungen, den \u201eProlunga-menti spiniformi\u201c Pacini\u2019s und den hinteren Papillen bekleidet ist. Diese letzteren sind der Sitz des Nerveneintrittes, der in Gestalt ziemlich dicker Fasern erfolgt. Die \u201eProlungamenti spiniformi\u201c halte ich f\u00fcr St\u00fctzgebilde. Der Nerveneintritt ist m\u00f6glicherweise der Sitz merkw\u00fcrdiger Bildungen; ich kann dar\u00fcber noch nichts Bestimmtes sagen.\n7. December 1876.\nDie gesammte Substanz der elektrischen Platten, einschliesslich der \u201eProlungamenti spiniformi\u201c, erscheint dunkel bei gekreuzten Nicols, ist also einfachbrechend.\nDie hintere Schicht, in welche die Nerven eintreten, unterscheidet sich durch ihr stark granulirtes Ansehen von dem vorderen Theil der Platte; die Grenze zwischen beiden ist scharf und geradlinig. Die in die granulirte Substanz eintretenden blassen Nervenfasern sind durchschnittlich 1 fi stark. Ihre Endigungsweise ist noch nicht sicher ermittelt. Beifolgende Skizze bitte ich durchaus nicht als definitiv betrachten zu wollen.\nVon neuen Versuchen habe ich heute nicht viel aufzuweisen.\nDie unipolare Wirkung des Gymnotusschlages ist sehr ausgesprochen; es ist mir nicht gelungen, einen strompr\u00fcfenden Schenkel so zu isoliren, dass nicht schwache Zuckungen bei Ber\u00fchrung mit einem Pol auftraten. Bei Ableitung mit dem Finger war die Zuckung bei Weitem st\u00e4rker.\nDie Angabe Humboldt\u2019s, dass man nicht immer an den verschiedenen K\u00f6rperstellen des Thieres gleichzeitig den Schlag sp\u00fcre, scheint in der That richtig zu sein. Ich habe heute dem Gymnotus vier strompr\u00fcfende Schenkel an verschiedenen Punkten der L\u00e4nge angelegt, und bei schwachen Schl\u00e4gen nur die hinteren zucken sehen; dasselbe hatte ich vorher schon bei einem anderen Thiere subjectiv beobachtet.\nH\u00f6chst auffallend erschien mir der Mangel reflectorischer Schl\u00e4ge, den ich heute constatiren musste. Nach Durchschneidung des verl\u00e4ngerten Markes h\u00f6rte nicht nur jede Spur f\u00fchlbaren Schlages auf, sondern es gelang auch nicht, selbst mit den st\u00e4rksten Hautreizen, angelegte str\u00f6m-","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamerik. Zitteraale. 75\npr\u00fcfende Schenkel auch nur ein einziges Mal zur Zuckung zu bringen. Allerdings hatte ich es mit einem sehr erm\u00fcdeten Thiere zu thun.\nReizungspr\u00e4parate (aus einem St\u00fcck Organ mit zugeh\u00f6rigen elektrischen Nerven bestehend) sind leicht und schnell herzustellen. Aber zu meinem grossen Schrecken konnte ich heute einem solchen Pr\u00e4parate nicht die geringste Wirkung auf ein Nerv-Muskelpr\u00e4parat des Frosches entlocken. Auch hieran mochte wohl die schlechte Beschaffenheit des Thieres schuld sein. \u2014 \u2014\nII.\nCalabozo, den 10. Januar 1877.\n\u2014 Dass ich Sie vier Wochen lang ohne Nachricht gelassen habe, r\u00fchrt wesentlich davon her, dass ich w\u00e4hrend des ersten Theiles dieser Zeit in Folge eingetretener Tembladoren-Ebbe relativ geringe Fortschritte gemacht habe. Zur Weinachtszeit und schon lange vorher, ist Calabozo ein lustiges \u201eGef\u00e4ngniss\u201c;1 Alles r\u00fcstet sich auf die Stiergefechte, Hahnenk\u00e4mpfe, gemeinsamen Trinkgelage, B\u00e4lle u. d. m.; Niemand hat Lust dem sehr zweifelhaften Vergn\u00fcgen des Gymnotenfanges obzuliegen. Auch ich konnte es nicht vermeiden, mich an verschiedenen Festlichkeiten zu betheiligen.\nIch war w\u00e4hrend dieser Zeit vorzugsweise histologisch besch\u00e4ftigt. Unmittelbar nach Neujahr traf ich jedoch ernstliche Anstalten, mir eine gr\u00f6ssere Anzahl Thiere zu verschaffen. Gewitzigt durch schlimme Erfahrungen liess ich die kleinen F\u00e4sser, Wannen u. d. m. zu Haus und nahm daf\u00fcr eine grosse Badewanne mit, die im gef\u00fcllten Zustande vier kr\u00e4ftige M\u00e4nner zum Transport erforderte. General Guancho Rodriguez war wiederum Genera]Stabschef der Expedition. Tief in das wilde Dickicht des Uritucu ging\u2019s hinein und zwei Tage kostete die Arbeit. Selbstgefangene Fische waren die Nahrung, die am Baum befestigte H\u00e4ngematte das Bett, die feinen Sopranstimmen der Mosquitos die musikalische Unterhaltung ; aber eine edle Havannah hilft \u00fcber Vieles hinweg. Auch an \u201egeistigen\u201c Gen\u00fcssen fehlte es nicht; die gewaltige Aguardiente-Flasche ging vom braunen, schlichthaarigen Indianer zum wollk\u00f6pfigen Schwarzen und von da zum weissen Berliner Physiologen.\nDas Einzige, was fehlte, waren die Tembladoren. Anderthalb Tage suchten wir mit strassenviertelgrossen Netzen das ganze Gebiet des Cano\n1 Calabozo heisst auf Spanisch der Kerker, das Verliess. [E. d. B.-R.]","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nCarl Sachs:\nBaruta ab, ohne Tembladoren zu treffen. Ich begreife noch beute nicht, weshalb die Thiere sich alle an einem Punkt versammelt hatten; denn als man das noch \u00fcbrigbleibende Terrain mit den Netzen umzingelte und die Bewohner auf einen Punkt zusammendr\u00e4ngte, sah ich mit Entz\u00fccken \u00fcberall die wohlbekannten gr\u00fcnrotheu K\u00f6pfe aus dem Wasser tauchen. Ich befand mich mit den Kautschuk-Handschuhen gerade auf dem falschen Ufer; einer von den Indianern nahm mich auf seine Schultern, um mich hin\u00fcberzutragen; aber der Mann st\u00fcrzte im Wasser hin, so dass ich g\u00e4nzlich durchn\u00e4sst an\u2019s Ufer kam. Nun folgte eine aufgeregte Scene. Don Guancho warf in das von den grossen Netzen umschlossene Terrain ein kleines Netz (Taraya) hinein und fing sofort einen Gymnotus. Ich l\u00f6ste das zappelnde Thier aus dem Netz und hob es, gesch\u00fctzt durch die Handschuhe, auf, um es in das Bano zu werfen. Aber das m\u00e4chtige, \u00fcber f\u00fcnf Fuss lange Thier entglitt meinen H\u00e4nden und fiel mir vor die F\u00fcsse, so dass es gerade mit Kopf und Schwanz meine beiden Beine ber\u00fchrte, an denen die durchn\u00e4ssten Kleider anklebten. Einige Secunden verharrte das Thier in dieser Lage, und ich war vor Schreck unf\u00e4hig mich zu r\u00fchren, denn das schwergereizte Ungeheuer schleuderte einen wahren Hagel entsetzlicher Schl\u00e4ge durch meinen K\u00f6rper; ich schrie laut auf vor Schmerz, bis endlich das Thier von meinen F\u00fcssen herabglitt und in\u2019s Wasser entkam.\nEs war das erste Mal, dass ich die volle Kraft eines frisch gefangenen grossen Thieres empfand; mir absichtlich diese Empfindung zu verschaffen, habe ich nie den Muth gehabt. Ich kann versichern, dass es keine Kleinigkeit ist; ich sp\u00fcrte jedoch nachtr\u00e4glich durchaus keine unangenehmen Folgen der Art, wie es Humboldt berichtet.\nEs gelang schliesslich, 16 Thiere zu fangen, von denen jedoch nur 10 lebend in Calabozo ankamen. Es war ein pr\u00e4chtiger Anblick diese 10 Thiere, zum Theil von der gr\u00f6ssten Art, in meiner Canoa sich tummeln zu sehen; w\u00e4re nicht die kategorische Losung des Arbeitens gewesen, ich h\u00e4tte wohl Stundenlang davor gestanden, wie ein Geizhals, der funkelnden Auges seine Sch\u00e4tze betrachtet.\nVon den beiden Gebieten meiner Th\u00e4tigkeit, dem anatomischen und und dem physiologischen,*will ich heute nur das letztere zum Gegenstand meiner Mittheilungen machen. Die Abbildung der Platte, die ich ihnen \u00fcbersandte, ist im Grossen und Ganzen richtig, das Specielle \u00fcber die Endigung der Nerven in der k\u00f6rnigen Schicht befindet sich noch immer in der Schwebe. Dagegen habe ich in experimenteller Hinsicht eine Reihe, zum Theil \u00fcberraschender Ergebnisse zu melden. Das Wichtigste sei im Nachfolgenden chronologisch, d. h. in der Reihenfolge wie es erhalten wurde, dargestellt;","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Veesuche am s\u00fcdamebik. Zittebaale. 77\n1)\tDie zeitlichen Verh\u00e4ltnisse der Muskel- und Nerventh\u00e4tigkeit bei meinem H\u00fclfsversuchsthier, dem Bufo Agua, sind von der n\u00e4mlichen Ordnung wie beim Frosch. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Ner-venprincips fand ich zu =27m in der Secunde, das Latenzstadium der Reizung beim einfach belasteten Gastroknemins zu etwa 1/300 Secunde.\n2)\tDie elektromotorische Kraft der Kr\u00f6ten - Muskeln und -Nerven liefert etwas geringere Werthe, als beim Frosch, aber von v\u00f6llig denselben Relationen untereinander. Die Wirkung hat \u00fcberall die gesetzliche Richtung; die Farelektronomie des Achillesspiegels wurde constatirt.\n3)\tMan kann durch den Froschunterbrecher den Schlag des Gym-notus in zwei Theile theilen und den Theil der Curve vor und nach der zuckungerregenden Stelle durch das Galvanometer gehen lassen (indem n\u00e4mlich der Muskel einmal die Hauptleitung, das andere Mal eine Nebenleitung \u00f6ffnet). Es zeigt sich, dass der Theil der Curve vor der zuckungerregenden Stelle eine weit geringere Wirkung hat. Die Hauptmasse des Schlages liegt im zweiten Theil.\n4)\tDie Far a day\u2019sehen Angaben \u00fcber die Vertheilung der Spannungen am Gymnotus sind leicht zu best\u00e4tigen mittelst der Sattelelektroden von Guttapercha und Stanniol. Der hintere Theil wirkte bei dieser Gelegenheit auffallend schw\u00e4cher als der vordere.\n5)\tEin durch die Bussole geleiteter Zweig des Schlages wirkt auf den Faden in derselben Weise wie kurzdauernde Schliessung eines starken best\u00e4ndigen Stromes; der Faden kehrt zur\u00fcck mit der Geschwindigkeit des fallen gelassenen Spiegels. Schnell sich folgende Doppelschl\u00e4ge erkennt man an der absatzweisen Bewegung des Fadens.\n6)\tDie Jodkalium-Elektrolyse mit Platin Vorrichtung ergibt h\u00e4ufig nur einen Fleck am positiven Pol. In einigen F\u00e4llen, gerade bei schw\u00e4cheren Schl\u00e4gen, zeigt sich auch am negativen Pol ein gelber Fleck, der sich nach dem Abheben der Spitze nachtr\u00e4glich br\u00e4unt.\n7)\tDurch eine Geissler\u2019sche R\u00f6hre ist bis jetzt kein Schlag hindurchgegangen, obgleich die benutzte R\u00f6hre so leicht permeabel ist, dass das Schlitteninductorium (durch eine Sterns\u00e4ule getrieben) schon bei 60mm Rollenabstand das Licht hervorruft. In einem Falle hatte ich das Thier frei an der Luft und leitete mit den S\u00e4tteln ab, ohne Erfolg.\n8)\tDer Savary\u2019sche Magnetisirungsversuch liefert stets normale Pole (in mehr als 12 F\u00e4llen). Die Magnetisirung von N\u00e4hnadeln, die in einer Spirale liegen, ist schon bei Einem Schlag eine sehr kr\u00e4ftige, sicher maximale.\n9)\tEin Centigramm Strychnin, nitr. reichte hin, um ein grosses Thier von 8 Pfd. zu t\u00f6dten. Die Erscheinung des Reflextetanus war sehr ausgesprochen, der Froschwecker gerieth ein paar Mal in f\u00f6rmliches Klingeln.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nCarl Sachs:\nDer motorische Tetanus besteht, trotz der gewaltigen R\u00fcckenmusculatur, nicht in einem Opisthotonus, sondern in einer Kr\u00fcmmung nach der Bauchseite hin, wobei sich der R\u00fccken zuckend aus dem Wasser hebt.\n10)\tEin gewaltiger Gymnotus, weniger durch L\u00e4nge (123om) als durch Dicke ausgezeichnet, wurde aus der Canoa gehoben. Die ausserordentliche Kraft des Thieres zeigte sich darin, dass man trotz der Kautschuk-Handschuhe empfindliche Schl\u00e4ge erhielt. Das Thier wurde get\u00f6dtet, indem durch einen Schnitt hinter dem Kopf das R\u00fcckenmark vom Gehirn getrennt wurde. Indem ich nunmehr, nach Ablegung der Handschuhe, arglos das Thier erfasste, um ein St\u00fcck Organ f\u00fcr die B\u00e4usche zu pr\u00e4pariren (nie hatte ich vorher f\u00fchlbare Schl\u00e4ge durch Reflex erhalten) bekam ich an der Stelle, wo ich den Einschnitt machte, einen ganz gewaltigen Schlag. Sofort fiel mir die Wichtigkeit dieser Thatsache f\u00fcr die Immunit\u00e4tstheorie bei: hier war ja die ganze K\u00f6rpermusculatur und das elektrische Organ vom Gehirn getrennt, dem Willen entzogen. Angenommen, die vor einiger Zeit von Boll verfochtene Theorie sei richtig, so h\u00e4tte hier ein allgemeiner Krampf eintreten m\u00fcssen. Ich kann aber versichern, dass nicht die geringste Bewegung stattfand.\n11)\tFolgendes beweist den hohen Grad von Immunit\u00e4t, den die Tliiere gegen ihren Schlag und den anderer Thiere besitzen. Zehn Gym-noten befanden sich v\u00f6llig ruhig in der Mitte der Canoa ausgestreckt, fast alle dicht neben einander. Ich hatte meinen Finger in der Entfernung von drei Fuss in\u2019s Wasser getaucht und ber\u00fchrte den R\u00fccken des gr\u00f6ssten Thieres unsanft mit einem Stabe. Mehrere urtheilsf\u00e4hige Personen waren beauftragt, die Thiere zu beobachten, jeder ein bestimmtes. Ich erhielt trotz der grossen Entfernung einen empfindlichen Schlag. Keines der Thiere zeigte auch nur die allergeringste Spur von Bewegung. Der Versuch wurde bis zum Ueberdruss mit dem n\u00e4mlichen Erfolg wiederholt.\n12)\tJedes St\u00fcck des elektrischen Organes, selbst mehrere Stunden nach dem Tode, zeigt, auf die B\u00e4usche der Zuleitungsgef\u00e4sse gebracht, einen best\u00e4ndigen Strom, der im Sinne des Schlages durch die Bussole von der Kopf- zur Schwanzfl\u00e4che geht. Oefters sinkt dieser Strom, andere Male bleibt er auf seiner H\u00f6he, selten steigt er nachtr\u00e4glich um ein Geringes. Die gew\u00f6hnlichen Werthe sind 20\u201430\u201440 Rheochord-theile (Graduationsconstante bei meiner Anordnung = 0-00077 Daniell). Enth\u00e4utete St\u00fccke geben st\u00e4rkeren Strom (bis 66). Mehrere Stunden nach dem Tode gaben zwei St\u00fccke aus dem hinteren Theil die sehr hohen Werthe von 120 und 193 Rheochordtheilen, w\u00e4hrend St\u00fccke des vorderen Theiles nur 21, 16, 2372> 1? gaben.\n13)\tSolche, auf den B\u00e4uschen ruhende St\u00fccke wurden mittelst Thon-","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamerik. Zitteraale.\nStiefelelektroden an der Seitenfl\u00e4che der Wirkung den Inductionsstr\u00f6men ausgesetzt. Bei einzelnen Schl\u00e4gen, wo nur die Oeffnung wirkte, bedurfte es grosser Intensit\u00e4ten und man erhielt h\u00f6chst geringe Wirkung. Sobald man die Feder des Wagner\u2019schen Hammers spielen l\u00e4sst, erh\u00e4lt man bei relativ grossem Rollenabstand (85) einen \u00e4usserst starken Tetanus des Organes. Nur bei sehr vorsichtiger Ann\u00e4herung der secund\u00e4ren Rolle erzielt man einen Punkt, wo der Tetanus im Bereiche der Scale bleibt. Der Faden verweilt eine ganze Zeit mit zuckenden Excursionen auf einer bestimmten H\u00f6he und sinkt dann erst abw\u00e4rts.\n14)\tDurch leichtes Klopfen des Organes mit der Fl\u00e4che eines Lineals l\u00e4sst sich die mechanische Erregbarkeit des Organes darthun. Der Faden schnellt in die H\u00f6he, stets in richtigem Sinne und kehrt tr\u00e4ge zur\u00fcck.\n15)\tH\u00f6chst interessant ist die Wirkung des Ammoniaks. In verschiedener Weise applicirt, wirkt es als heftiger Reiz, der Faden r\u00fcckt langsam aber stetig in richtigem Sinne in die H\u00f6he, verweilt etwa lj2 Minute auf derselben und sinkt nach und nach zur\u00fcck, aber nicht v\u00f6llig auf Null. Mit keinem anderen chemischen K\u00f6rper (starke und verd\u00fcnnte S\u00e4uren, H\u00f6llenstein) habe ich \u00e4hnliche Erfolge erzielt. Was aber die specifische Natur dieses Reizmittels besonders beweist, ist der Umstand, dass es nur vom L\u00e4ngsschnitt des Organes aus wirkt, nicht vom Querschnitt. (S. Fig. 2.)\n16)\tThermische Erregbarkeit des Organes ist leicht zu constatiren.\n17)\tNerv-Organpr\u00e4parate sind leicht herzustellen. Bei best\u00e4ndiger Durchstr\u00f6mung des Nervenb\u00fcndels zeigt das auf den B\u00e4uschen liegende Organ eine elektrotonische Ver\u00e4nderung seines Stromes.\n18)\tEs gelingt nicht, durch den Strom von vier Groves weder bei Oeffnung noch bei Schliessung vom Nerven aus Schl\u00e4ge zu erzielen.\n19)\tEs gelingt nicht, durch einzelne Inductionsschl\u00e4ge (Sterns\u00e4ule, \u00fcbereinandergeschobene Rollen), die durch ein Nervenb\u00fcndel gehen, dem Organ den geringsten Schlag zu entlocken. L\u00e4sst man jetzt die Feder des Schlittenapparates spielen, so erh\u00e4lt man schon bei 92mm Abstand der secund\u00e4ren Rolle heftigen Tetanus des Organes. L\u00e4sst man diesen Tetanus auf den Nerven eines Froschmuskels wirken, so ger\u00e4th das Pr\u00e4parat in Tetanus. Dieser Versuch wurde dreimal wiederholt. Sein Erfolg erscheint mir als die merkw\u00fcrdigste meiner bisherigen Errungenschaften. Sollte man nicht hier auf dem Wege sein das Immunit\u00e4tsproblem zu ergr\u00fcnden? Es hat den Anschein, als sei die moleculare Construction des Gymnotus-Nerven eine solidere, deren Gleichgewicht ein stabileres, als hei anderen Thieren.\n20)\tEndlich noch die anatomische Notiz, dass das R\u00fcckenmark des","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nCaul Sachs:\nGymnotus eines der herrlichsten histologischen Objecte ist. Der Durchschnitt zeigt 50\u201470 gewaltige Ganglienzellen, in der Mitte um den Centralkanal zusammengedr\u00e4ngt, umsponnen von einem reichen, prachtvollen Gef\u00e4ssnetz. (S. Fig. 3.)--\nIII.\nCalabozo, 6. Februar 1877.\n\u2014 Ihre Arbeit \u00fcber Malopterurus 1 ist mir p\u00fcnktlich eingeliefert worden und hat mir noch wesentlichen Nutzen gebracht.\nIch schreibe diese Antwort in der besten Stimmung von der Welt; fast Alles was ich hier Wissenschaftliches an Gymnotus unternommen habe, ist vortrefflich gegl\u00fcckt, zum Theil gleichsam beim ersten Versuch. Zwar bleibt noch eine grosse L\u00fccke, die ich schmerzlich empfinde, die Entwickelungsgeschichte. Aber einigen Ersatz daf\u00fcr bietet ein Fund, der gar nicht auf dem Programm stand, und der mir fast wie eine freiwillige Gabe der Natur erscheint, die Entdeckung n\u00e4mlich eines dritten Paares elektrischer Organe am Gymnotus, wovon gleich mehr die Rede sein soll. Doch zur Sache.\n1) Polarisationsversuche. Es wurde das Pendelrheotom2 so angeordnet, dass die eine Spitze den durch ein St\u00fcck Gymnotus-Organ mittelst der B\u00e4usche gesandten Strom von 17 Groves schloss (3 von meinen 20 waren zerbrochen), w\u00e4hrend die anderen nach einem kleinen \u201eSicherheitsintervall\u201c den Bussolkreis (Thonstiefelelektroden an die Seitenfl\u00e4che des Organes) schloss. Es wurde constatirt, dass bei offenem Bussolkreis Schliessung des polarisirenden Stromes nur 380 Wirkung auf den Spiegel gab. Die Schliessungszeiten der Grove\u2019sehen S\u00e4ule waren (nach vorg\u00e4ngigen Ermittelungen am Pendel) in eine Scale von 7 Secunden bis zu Vio Secunde angeordnet. An einem sp\u00e4teren Tage wurde die Polarisation nach Oeffnungsschl\u00e4gen des Schlitteninductoriums ermittelt. Der constante Organstrom wurde vor jedem Versuche compensirt.\nDer erste Ausschlag zeigt unter allen Umst\u00e4nden eine negative Polarisation von gewaltiger St\u00e4rke an, die mit der Schliessungszeit des polarisirenden Stromes w\u00e4chst. Der Spiegel wird in den Aequator geworfen,\n1\tBin Binzeiabdruck meiner oben S. 67 Anm. erw\u00e4hnten Abhandlung im zweiten Bande der \u201eGesammelten Abhandlungen\u201c. [B. d. B.-R.]\n2\tDiesen von Hrn. Dr. Sachs f\u00fcr seine Zwecke eigens construirten Apparat wird er nach seiner R\u00fcckkehr beschreiben. [E. d. B.-R.]","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Vebsuche am s\u00fcdamebik. Zittebaale. 81\nkehrt dann zur\u00fcck, macht ein paar grosse Schwingungen um den Nullpunkt und kehrt dann langsam, entweder von der negativen oder positiven Seite her auf Null zur\u00fcck. (S. Fig. 4, a, b). Anders gestaltet sich die Sache, wenn man nunmehr, durch Entfernen der Bolle, der Bussole eine viel geringere Empfindlichkeit gibt. Es erfolgt dann ein messbarer Ausschlag (stets gr\u00f6sser in dem Falle, wo der P'olarisationsstrom mit der Schlagrichtung des Organes \u00fcbereinstimmt) und ein langsames Zur\u00fcckkehren des Fadens ohne \u00fceberschreitung des Nullpunktes, also ohne positive Phasen. Es scheint, dass ein paar Zickzacks, die man an der Curve erkennt (Fig. 4, c), jenen grossen Schwingungen entsprechen. Uebrigens kann man, auch bei sehr empfindlicher Bussole, die Schwingungen dadurch zum Verschwinden bringen, dass man den polarisirenden Strom nur Bruchtheile einer Secunde dauern l\u00e4sst. Dann sieht es einfach so aus, wie Fig. 4, d, e es versinnlicht. \u2014 Nur dies noch : 2 Minuten Aufenthalt im siedenden Wasser vertilgt die Polarisirharkeit bis auf die geringsten Spuren.\n2)\tWirkung des Curare. Das Curare (in starken Dosen) l\u00e4hmt bei Gymnoten die Motilit\u00e4t, vorher jedoch bewirkt es Tetanus und Erh\u00f6hung der Beflexerregbarkeit in derselben Weise wie Strychnin. Die elektrischen Nerven werden mit der Zeit total gel\u00e4hmt. Das elektrische Organ, auf die B\u00e4usche gebracht und mit Inductionsstr\u00f6men oder Ammoniak direct gereizt, entfaltet dieselben kr\u00e4ftigen Wirkungen, wie am unvergifteten Thier. Der Erfolg ist klar und schlagend. Soviel ich weiss, haben die Experimentatoren an Torpedo letzteren Versuch nicht angestellt.\n3)\tDen Ammoniakversuch habe ich noch mehrmals, stets mit dem n\u00e4mlichen schlagenden Erfolg (vom Querschnitt aus gar nichts, vom L\u00e4ngsschnitt aus kr\u00e4ftiger Schlag, danach langsames Zur\u00fcckkehren des Fadens), angestellt. Er geh\u00f6rt zu den sch\u00f6nsten Versuchen des ganzen Gebietes.\n4)\tDen merkw\u00fcrdigen Umstand der Unwirksamkeit einzelner Induc-tionsstr\u00f6me auf die elektrischen Nerven, von dem ich schon berichtet, habe ich noch weiter untersucht. Ich fand Mittel, mich zu \u00fcberzeugen, dass die Beizschwelle f\u00fcr Einzelschl\u00e4ge bei vierzigmal h\u00f6herer Intensit\u00e4t der Oeffnungsstr\u00f6me liegt, als f\u00fcr Tetanus. Selbst dann betr\u00e4gt die Wirkung nur 5\u20148 se. Oeffnet man bei viel geringerer Intensit\u00e4t unter der Tetanus-Anordnung den Vorreiber-Schl\u00fcssel nur einen einzigen Moment und schliesst ihn sogleich wieder, so schiesst der Faden gleichsam meilenweit aus der Scale und macht, obwohl aperiodisch (e = n), beim Zur\u00fcckkehren eine Schwingung noch jenseits \u00fcber die Scale hinaus.\nArchiv f. A. u. Ph. 1877. Physiol. Abth. \u201e\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nCarl Sachs:\n5)\tDie Magnetisirungsversuche an.N\u00e4hnadeln habe ich nunmehr in einer weit besseren Form wiederholt. Der Grad der Magneti-sirung wurde jedesmal gemessen, indem die Nadel in ein fixirtes R\u00f6hrchen in der N\u00e4he der Bussole eingelegt und dann die Ablenkung des Spiegels abgelesen wurde. Ich \u00fcberzeugte mich, dass ein einziger Schlag des Gymnotus, wenn von Kopf und Schwanz genommen, die Nadeln stets zur S\u00e4ttigung magnetisirt ; 5\u20146 weitere Schl\u00e4ge sind nicht im Stande, die Ablenkung zu vergr\u00f6ssern. Ein zweiter Schlag in umgekehrter Richtung kann die Pole umkehren, aber erzielt keine v\u00f6llige S\u00e4ttigung. Da die zahlreichsten Magnetisirungen stets richtige Pole gaben, kann man es wohl als erwiesen betrachten, dass der Schlag des Gymnotus nicht oscillirender Natur ist. \u2014 Meine Geissler\u2019sche R\u00f6hre ist von meinem st\u00e4rksten Gymnoten nicht durchschlagen worden.\n6)\tEs kamen nunmehr die zeitmessenden Versuche, auf die ich mich besonders gefreut hatte. Gerade sie sind die schw\u00e4chste Seite meiner Arbeit. Die Schuld daran tr\u00e4gt jene Eigenschaft der elektrischen Nerven, verm\u00f6ge deren es unm\u00f6glich ist, vom Nerven aus einen kr\u00e4ftigen Einzelschlag zu erzielen (ich vergass wohl, im vorigen Brief zu sagen, dass bei directer Inductionsreizung des Organes. Einzelschl\u00e4ge und Tetanus bei ungef\u00e4hr demselben Rollenabstande eintreten). In Folge dessen musste bei diesen Versuchen auf neurogene Wirkungen g\u00e4nzlich verzichtet werden, man musste die Oeffnungsschl\u00e4ge dem Organ direct mittelst der Thonstiefel zuleiten. Sie erinnern sich vielleicht noch des Versuchsplanes, wonach das Latenzstadium der Reizung am Organe am Froschunterbrecher bestimmt werden sollte, dessen Muskel einmal direct, das andere Mal durch den Schlag des gereizten Organes erregt w\u00fcrde. Es ist mir in der That gelungen, das Latenzstadium der Reizung am Organ auf diese Weise zu messen, es betr\u00e4gt (nach drei Versuchsreihen) 0-00349 Sec. Der Muskel war selbstverst\u00e4ndlich \u00fcberlastet. Aber die Freude, die ich \u00fcber dies Ergebniss empfand, wurde nachtr\u00e4glich etwas getr\u00fcbt durch einen Controlversuch an einem unwirksamen Organst\u00fcck. Nach 24 Stunden ist n\u00e4mlich das Organ stark sauer und v\u00f6llig wirkungslos, es zeigt weder eine constante Wirkung noch schl\u00e4gt es auf Reizung. Ich fand nun, dass man von solchem unwirksamen Organst\u00fcck auch Zuckung erhalten kann (der Nerv ist ja Nebenschliessung zum Organ), wenn man den Abstand der den Inductionsstrom zuf\u00fchrenden Thonspitzen etwa vervierfacht. Unter diesen Umst\u00e4nden ist der Versuch nicht so schlagend, wie zu w\u00fcnschen w\u00e4re.\nViel weniger noch erreichte ich mit der Messung der Dauer des Schlages. Ich liess zu diesem Behuf die eine Spitze des Pendelrheotoms einen Oeffnungsinductionsstrom erzeugen, w\u00e4hrend die andere Spitze nach","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Vekxuche am s\u00fcdamebik. Zitteeaale. 83\nVerlauf eines beliebigen kleinen Zeitintervalles den Bussolkreis schloss. Durch Vorversuche wurde die Dichtung der durch den Schlag erzeugten Ablenkung ermittelt, welche letztere 10080 betrug. Es zeigte sich leider, dass die Bewegung des Pendels nicht hinreichend beschleunigt werden konnte, um jenes kritische Zeitintervall hinreichend verkleinern zu k\u00f6nnen. Bis zu l/M Secunde herab zeigte der Faden nur die Wirkungen der Polarisation, welche sich von einem etwa abgefangenen St\u00fcck der Schlag-curve (vergl. Fig. 5) sehr leicht dadurch unterscheiden l\u00e4sst, dass ihre Richtung mit der Richtung des Inductionsstromes wechselt. Als ich nun die contactlose Strecke (jenes Intervall) noch mehr verkleinerte, bekam ich allerdings Ablenkungen, die unzweifelhaft auf abgeschnittenen St\u00fccken des Schlages beruhten. Aber ich hatte mich durch Vorversuche \u00fcberzeugt, dass nach der Construction des Apparates unter diesen Umst\u00e4nden selbst die bescheidensten Anspr\u00fcche auf Constanz der Resultate nicht mehr erf\u00fcllt werden, und musste daher von einer Messung abstehen. (Die Fehler des Apparates erlangen nat\u00fcrlich einen um so gr\u00f6sseren relativen Werth, je kleiner die Quecksilberstrecke ist, um die es sich handelt; ich habe deshalb bei den Polarisationsversuchen stets die ganze Rinne verwendet (10\u00b0) und die Zeit nur durch Einstellung der Linse variirt.) Der einzige sichere Schluss, der aus diesen Versuchen gezogen werden kann, ist, dass der durch einen Oeffnungsinductionsstrom erzeugte Schlag eines 10 cm langen prismatischen St\u00fcckes vom elektrischen Organ noch nicht die Dauer von 1jM Secunde erreicht.\n7)\tDas frische Organ reagirt alkalisch, nach dem Strychnintetanus neutral. Ein 20 Minuten lang von Inductionsstr\u00f6men durchflossenes frisches Pr\u00e4parat zeigt auf frisohen Schnitten scharf saure Reaction, \u00e4hnlichen Grades, wie St\u00fccke, welche 24 Stunden gelegen haben.\n8)\tNachtr\u00e4glich zur Immunit\u00e4tsfrage. W\u00e4hrend die Gymnoten auf ihren eigenen Schlag und den anderer Thiere nicht im Geringsten reagiren, ist Nichts leichter, als zu constatiren, dass sie gegen Induc-tionsstr\u00f6me sehr empfindlich sind. Ein Thier, das, in der Versuchswanne befindlich, soeben zu vielen Versuchen mit Aufsetzen der S\u00e4ttel u. d. m. gedient hat, ist gegen Ber\u00fchrungen ziemlich gleichg\u00fcltig. Man kann ein Elektrodenpaar an irgend einer Stelle auf die Haut setzen, ohne dass sich das Thier dessen zu entledigen sucht; \u00f6ffnet man jetzt den Schl\u00fcssel zum Tetanisiren, so f\u00e4hrt das Thier erschrocken zur\u00fcck und entladet seine eigenen Batterien, wie der Froschwecker verr\u00e4th. Der M\u00f6glichkeit der Flucht beraubt, windet es sich qualvoll. Dies l\u00e4sst sich noch constatiren bis zu einem Rollenabstand, wo ich, an empfindlichen Hautstellen, die Str\u00f6me nur gerade als unangenehm, keineswegs als unertr\u00e4glich empfand.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nCarl Sachs:\nSoweit das Experimentelle.\n9)\tDie Platte ist im ganz frischen Zustande nirgends granulirt. Durchmustert man ein elektrisches Fach von vorn nach hinten, so folgt auf das gef\u00e4ss- und nervenreiche Septum zun\u00e4chst eine d\u00fcnne Lage Schleimgewebe mit Sternzellen, welches auch die Zwischenr\u00e4ume zwischen den Papillen ausf\u00fcllt. Dann folgen die Papillen, v\u00f6llig homogen, mit eingesprengten Zellen, die aus k\u00f6rnigem Protoplasma mit Ausl\u00e4ufern bestehen. Die Kerne dieser Zellen sind es, die man an den Spirituspr\u00e4paraten erkennt. Darauf folgt'eine helle, v\u00f6llig structurlose Schicht, in der, etwa eine Minute nach Anfertigung des Schnittes ' eine scharfe Linie erscheint, wodurch sie in zwei etwa gleiche H\u00e4lften geschieden wird. Im Bereich dieser Linie findet man gelegentlich eine Trennung der Platte. Auf die helle, homogene Schicht folgt die Nervenplatte, von der die hinteren Papillen und die \u201eProlungamenti spiniformi\u201c (ich suche noch immer vergebens nach einem h\u00fcbschen bezeichnenden Ausdruck f\u00fcr diese Gebilde) ausgehen und in die sich die zahlreichen, etwa 1 u starken, kurz vor der Endigung die Markscheide verlierenden terminalen Nervenfasern einsenken. Diese Schicht ist im frischen Zustande nicht granulirt, wie ich irrth\u00fcmlich schrieb, sondern homogen grau getont.1 Sie wird granulirt kurze Zeit nach Anfertigung des Schnittes. Die Nervenfasern gehen auf der Oberfl\u00e4che dieser Schicht in eine Bildung \u00fcber, die ich dem Pseudonetz vom Torpedo v\u00f6llig gleichsetze. Leider ist die dicke h\u00f6ckrige Platte des Gymnotus kein so elegantes Object in dieser Beziehung, wie die d\u00fcnne membran\u00f6se Platte der Torpedo.\n10)\tHinsichtlich des R\u00fcckenmarkes vom Gymnotus haben Sie (in Ihrer Arbeit \u00fcber Malopterurus2) eine richtige Yermuthung ausgesprochen: es enth\u00e4lt einen langgestreckten Lobus electricus. Es wird ein t\u00fcchtiges St\u00fcck Arbeit sein, in Berlin Gehirn und R\u00fcckenmark nach der Stilling\u2019schen Methode durchzuarbeiten. Die ganz frische Untersuchung der Ganglienzellen hat nichts Besonderes ergeben; ich stimme mit Boll darin \u00fcberein, dass die Ganglienzelle frisch keinerlei fibrill\u00e4re Structur zeigt.\n11)\tDas neue Organ. Ein Durchschnitt des Gymnotus zeigt im Gebiete der vorderen K\u00f6rperh\u00e4lfte das altbekannte Bild: oben 8 \u201410 Muskelpakete, dann die beiden grossen Organe, dann die muskelumh\u00fcllten kleinen Organe. Schneidet man das Thier weiter nach hinten quer durch, so erscheint \u00fcber dem lateralen oberen Rande des grossen Organes, in enger Verbindung damit, eine Substanz (s. Fig. 6, a, die' schwarze Partie), die sich von der milchglasartigen F\u00e4rbung des nicht ganz frischen Organes\n1\tHiernach, ist also Fig. 1 zu berichtigen. [E. d. B.-R.]\n2\tGesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 611. Anm. 2. [E. d. B.-\u00df.]","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamerik. Zitteraale. 85\ndurch ihre, dunklere, gelhgraur\u00f6thliche F\u00e4rbung und namentlich durch ihre viel gr\u00f6ssere Durchsichtigkeit unterscheidet. Innerhalb derselben verlaufen, wie im grossen Organ, weisse Bindegewebs-Septa von innen nach aussen, aber sehr unregelm\u00e4ssig und mit vielen Anastomosen (vergl. Fig. 7). Macht man einen Querschnitt weiter nach hinten (Fig. 6, b), so erkennt man, dass das neue Organ sich m\u00e4chtig nach der Medianlinie hin entfaltet hat und eben soviel Raum auf dem Durchschnitt einnimmt, als das schon sehr reducirte grosse Organ. Geht man noch weiter nach hinten, so kann es kommen, dass das neue Organ sich zuspitzt und wieder vom Durchschnitt verschwindet; aber in drei von vier F\u00e4llen geschieht das Gegentheil, es nimmt mehr und mehr zu (Fig. 6, c). Urspr\u00fcnglich vom grossen Organ durch eine scharfe weisse Bindegewebslage getrennt, verschmilzt es dann mit diesem, welches sich mehr und mehr verd\u00fcnnt und zuletzt verschwindet. Man macht nunmehr einen L\u00e4ngsschnitt durch die beiden Organe, von denen das eine \u00fcber dem anderen liegt, und erkennt sogleich ohne alle optischen H\u00fclfsmittel, dass, w\u00e4hrend das alte Organ nur f\u00fcr ein scharfes Auge seine Zusammensetzung aus Platten durch eine feine Querstreifung verr\u00e4th, das neue Organ aus K\u00e4stchen besteht, welche im oberen Theil bis zu 2mm Dicke haben, w\u00e4hrend sie nach der Grenze hin bis auf 1mm und noch weniger ahnehmen (Fig. 7).\nDas Mikroskop zeigt, dass der gr\u00f6ssere Theil des Inhaltes dieser K\u00e4stchen (vielleicht passender \u201eKasten\u201c genannt) aus einer starken Lage von Schleimgewebe mit pr\u00e4chtigen Sternzellen besteht, durchzogen von starken Gef\u00e4ssen. Darauf folgt eine elektrische Platte, meist mit gigantischen, bizarr geformten Papillen versehen, an ihrer hinteren Fl\u00e4che reichlich mit Nerven versehen. Wie die \u201cK\u00e4stchen des neuen Organes nach der Grenze hin sich verkleinern, so vergr\u00f6ssern sich die K\u00e4stchen des alten Organes in derselben Gegend, so dass eine Art Uehergang besteht. Gerade in dieser Uebergangsregion ist es, wo zwei wichtige Erscheinungen sich kundgeben, Querstreifung am Axentheil der Papillen und Doppelbrechung, letztere allerdings nur spurweise und der Intensit\u00e4t nach mit der Doppelbrechung des Muskels nicht vergleichbar.\nWelche k\u00fchnen Hoffnungen danach \u2014 sechs Wochen hatte ich schon mit Gymnotus gearbeitet, ohne von diesem Organ das Geringste zu wissen \u2014 in mir rege wurden, werden Sie sich leicht ausmalen k\u00f6nnen. Ich nahm an, es liege hier eine Uebergangshildnng vor, vielleicht auf das Wachsthum des elektrischen Organes abzielend; darauf hauend, beschloss ich die Stelle zu suchen, wo, wie der Nagel und das Haar aus ihrer Matrix, das elektrische Organ aus Muskelsubstanz heraus entsteht. Man wird zugestehen, dass dies kein \u00fcbler Fund gewesen w\u00e4re. Vierzehn Tage lang habe ich auf Hunderten von Schnitten alle die kritischen","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nGael Sachs:\n'Stellen mikroskopisch durchgesehen, um dieses Eldorado meiner W\u00fcnsche aufzufinden. Vergeblich! Manche Bilder schienen jene Vermuthung zu beg\u00fcnstigen; aber ein endg\u00fcltiger Beweis war nicht zu erbringen. Fast grollend mit der Natur wegen eines so unvollst\u00e4ndigen, halben Geschenkes nahm ich Abschied von dem Gegenstand.\n12) Was die Angelegenheit der Embryonen betrifft, so ist es sicher, dass die Laichzeit der Thiere nicht in die Zeit meines Aufenthaltes f\u00e4llt. Der allgemeinen Ansicht zufolge laichen die Gymnoten, wie alle anderen Fische hier, in der ersten H\u00e4lfte der Regenzeit, Mai-Juni. Ein Fischer behauptete positiv, um diese Zeit Eier in dem Leibe eines Tembladors gefunden zu haben. Gegenw\u00e4rtig sind die Geschlechtsorgane, der mikroskopischen Analyse zufolge (unter 10 nach einander untersuchten Thieren befand sich Ein Weibchen) im Zustande v\u00f6lliger Unreife; daher kann an k\u00fcnstliche Befruchtung nicht gedacht werden. Sie werden mit Recht die Frage aufwerfen, weshalb ich nicht meinen Aufenthalt bis zu jener Zeit ausdehne. Aber aus verschiedenen Gr\u00fcnden ist dies nicht m\u00f6glich. Das Land ist zu jener Zeit bereits stark \u00fcberschwemmt, die Wege un-dassirbar. Das w\u00fcrde mich nicht abschrecken, wenn die Aussichten auf Erlangung von Embryonen g\u00fcnstig w\u00e4ren. Aber in den angeschwollenen Gew\u00e4ssern ist der Fischfang ungeheuer erschwert, und die kleinen Embryonen, wo soll man sie suchen? Stagnirende S\u00fcmpfe, wo die Gymnoten sicher zu finden sind, existiren nur gegen das Ende der trockenen Zeit, wenn die Canos zu fliessen aufh\u00f6ren und Reste des Wassers an den tiefgelegenen Stellen verbleiben. Mit dem Eintritt der Regenzeit com-municiren sofort alle diese Lagunen mit den Str\u00f6men (Uritucu, Gu\u00e4rico) und wer wird in diesen Str\u00f6men, die dann meilenweit die Savane bedecken, die kleinen Thierchen suchen wollen? Eine so verschwindend geringe Hoffnung kann mich nicht veranlassen, meinen Aufenthalt drei bis vier Monate l\u00e4nger auszudehnen. Ich hinterlasse jedoch Anordnungen, damit dasjenige, was \u00fcberhaupt geschehen kann (Durchsuchen des Schlammes auf dem Boden der Gew\u00e4sser, Fischen mit Gaze-Netzen), geschieht; ich habe demjenigen, der mir nach meiner Anordnung con-servirte Embryonen zusendet, eine ansehnliche Belohnung zugesagt und werde \u00fcber dieses Versprechen sogar eine notarielle Urkunde aufnehmen lassen. Im Uebrigen werde ich jedoch meinen Aufenthalt in Bolivar (Angostura), der wahrscheinlich noch in den Anfang der Regenzeit hineinf\u00e4llt, benutzen, um wom\u00f6glich einen Versuch k\u00fcnstlicher Befruchtung zu machen.\nAuf den Transport lebender Gymnoten legen Sie, wie aus Ihrem letzten Briefe hervorgeht, kein sehr grosses Gewicht. Ich selbst glaube auch nicht, dass im Augenblicke etwas Namhaftes in experimenteller","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Veesuche am s\u00fcdameeik. Zitteeaale. 87\nBeziehung neu hinzugetragen werden kann; ebensowenig erscheint mir die Demonstration des frischen Objectes in histologischer Beziehung besonders begehrenswerth, da meine Pr\u00e4parate ziemlich Alles zeigen, worauf es ankommt, vielleicht mit alleiniger Ausnahme jener schwachen Doppelbrechung im neuen Organ, die an den Pr\u00e4paraiten schon jetzt verschwunden ist. Dagegen erscheint es mir im Interesse meiner wissenschaftlichen Glaubw\u00fcrdigkeit durchaus geboten, mich im Besitz des Materials zu befinden, um bei meiner R\u00fcckkehr etwaige Zweifel an meinen Versuchen durch Demonstration derselben zu entkr\u00e4ften. Das elektrische Organ mit seinen Nerven besitzt gl\u00fccklicherweise eine so enorme Lebensz\u00e4higkeit, dass ich mir getraue, an zwei bis drei get\u00f6dteten Thieren (um Vivisection handelt es sich fast gar nicht) die s\u00e4mmtlichen Versuche zu zeigen. Gl\u00fccklicher Weise bin ich durch die grosse Liberalit\u00e4t, mit der das Curatorium und die Akademie mir den erbetenen Zuschuss sofort zugesagt haben, in der Lage, an dieses Unternehmen mit der besten Hoffnung auf Erfolg hinangehen zu k\u00f6nnen. Ich werde acht bis zehn Thiere verschiedener Gr\u00f6sse in meinem grossen, mit durchl\u00f6chertem Deckel versehenen Trog nach Angostura schaffen, um sie dort zu verschiffen. Ich habe dort noch die Gelegenheit, etwa gestorbene oder schlechte Thiere durch frische zu ersetzen; wie viele dann die Seereise gl\u00fccklich \u00fcberstehen, d\u00fcrfte wesentlich der Meeresgott zu entscheiden haben. \u2014\nIV.\nSan Fernando de Apure, 28. Marz 1877.\n\u2014 Sie ersehen aus der Aufschrift dieses Briefes, dass ich Calabozo bereits verlassen habe. Ich bin Ihnen daher zun\u00e4chst den Bericht \u00fcber den Abschluss meiner dortigen Th\u00e4tigkeit schuldig.\nDas Letzte, was ich in experimenteller Hinsicht am Gymnotus unternommen habe, war eine Versuchsreihe mit dem Eroschunterbrecher, wobei die Zuckung eine Nebenschliessung zur Bussole (aperiodischer leichtester Spiegel) \u00f6ffnete und somit den letzten Theil des Schlages zur Anschauung brachte. Die verschiedene Gr\u00f6sse der Ueberlastung setzte mich in den Stand, das Abschneiden an beliebigen Stellen der Schlagcurve eintreten zu lassen. Der Schlag wurde mittelst der Stanniols\u00e4ttel abgeleitet. Ich hatte geglaubt, dass der Ausschlag mit zunehmender Ueberlastung in regelm\u00e4ssiger Weise abnehmen werde, \u00fcberzeugte mich aber bald, dass auf eine solche Regelm\u00e4ssigkeit bei dieser Versuchsweise nicht zu rechnen ist. Im Grossen und Ganzen, namentlich beim Ziehen gewisser Summen,","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nCakl Sachs:\ngibt sich jedoch das Abnehmen der Wirkung unzweifelhaft zu erkennen. Indem ich nun zu den 6 Unzen Ueberlastung, die ich schon aufgelegt hatte, noch eine siebente hinzuf\u00fcgte, sah ich zu meiner gr\u00f6ssten Ueber-raschung und zum ersten Mal nach dreimonatlichen Versuchen eine negative Wirkung: der Faden flog nach der falschen Seite. Indem ich nun mehrfach erst den ganzen Schlag durch die Bussole gehen liess, dann eine Nebenleitung anlegte und diese zun\u00e4chst durch den belasteten, dann durch den immer st\u00e4rker \u00fcberlasteten Muskel \u00f6ffnen liess, \u00fcberzeugte ich mich unzweifelhaft, dass der elektrische Vorgang unter diesen Umst\u00e4nden eine negative Phase hat, vielleicht mehr als eine. Die st\u00e4rksten Ueber-lastungen geben stets rein negative Ausschl\u00e4ge, bei geringeren Ueber-lastungen dagegen erh\u00e4lt man nicht selten sowohl richtige Ablenkung mit einem kleinen falschen Vorschl\u00e4ge, als falsche Ablenkung mit richtigem Vorschl\u00e4ge. Das erste dieser beiden \u201eDoppelbilder\u201c erkl\u00e4rt sich vielleicht durch die Annahme, dass der Fisch doppelt geschlagen habe, wobei dann der Magnet noch auf dem Wege, den ihm der negative Stromstoss verschrieb, von dem \u00fcberm\u00e4chtigen positiven Theil eines neuen Schlages ereilt wird. Zwar ist nur in einem einzigen Fall notirt, dass am Froschwecker zwei Glockent\u00f6ne h\u00f6rbar waren, aber selbst unzweifelhafte Doppelschl\u00e4ge markiren sich am Froschwecker mitunter nur in sehr zarter Weise, und meine Aufmerksamkeit war naturgem\u00e4ss auf Faden und Scale gerichtet. Pflichtet man jener Erkl\u00e4rung bei, der zun\u00e4chst nichts entgegensteht, so bleibt nur das zweite Doppelbild und die unzweifelhaft constatirte negative Schlussphase. Beide erkl\u00e4ren sich, wenn man der Stromescurve im Versuchskreis die in Fig. 8 sichtbare Gestalt gibt. Eine weitere Frage ist nun aber, ob der negative Theil der Curve wirklich dem Schlage zugeh\u00f6rt oder ob er auf der Polarisation an den S\u00e4tteln beruht. Der Umstand, dass Sie unter denselben Versuchsumst\u00e4nden am Zitterwels nie negative Wirkungen auf den Magnet beobachtet haben, scheint freilich gegen letztere Annahme zu sprechen. Dann w\u00e4re also wahr, was Sie f\u00fcr \u00fcberaus unwahrscheinlich erkl\u00e4rten und was durch meine zahlreichen Magnetisirungsversuche hinreichend widerlegt schien, \u2014 dass der Schlag des Zitteraales alternirender Natur ist.\nAber um diesen wichtigen Schluss zu sichern, muss die obige an sich so leichte Versuchsreihe wiederholt und wesentlich verbessert werden. An die Stelle der S\u00e4ttel m\u00fcssen unpolarisirbare Elektroden treten, an die Stelle der h\u00f6chst unzuverl\u00e4ssigen, sehr zu spontanen Zuckungen neigenden Kr\u00f6tenpr\u00e4parate unsere vortrefflichen Fr\u00f6sche. Dies allein ist Grund genug f\u00fcr mich, auf die Mitnahme lebender Tembladoren unter keinen Umst\u00e4nden zu verzichten, trotz der schm\u00e4hlichen Niederlage, die ich mit dem ersten Transport bereits erlebt habe.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am: s\u00fcdamerik. Zitteraale. 89\nEtwa 14 Tage vor meiner Abreise von Calabozo machte ich meine letzte Expedition nach dem Uritucu, um eine Anzahl Thiere f\u00fcr den Transport zu fangen. Der Cano Santa Catalina hatte zu fliessen aufgeh\u00f6rt und in dem T\u00fcmpel, den er, nahe vor seiner M\u00fcndung, hinterlassen hatte, waren von meinen Sp\u00e4hern zahlreiche Tembladoren beobachtet worden. Der Fang stiess auf keine Schwierigkeiten, ich bef\u00f6rderte f\u00fcnfzehn Thiere an\u2019s Trockene, eine Zahl, die leicht h\u00e4tte vergr\u00f6ssert werden k\u00f6nnen. Sieben von diesen w\u00e4hlte ich zum Transport aus, die \u00fcbrigen benutzte ich zu anatomischen Studien Unter freiem Himmel. Die bisherigen Beobachtungen \u00fcber die Topographie des neuen Organes wurden best\u00e4tigt. Zu meiner Verwunderung erwiesen sich s\u00e4mmtliche secirte Thiere als Weibchen. Sp\u00e4ter fand ich leider Gelegenheit, an den mitgenommenen sieben Thieren das N\u00e4mliche zu constatiren. Da nun bei einem fr\u00fcheren Fang im Cano Baruta lauter M\u00e4nnchen (sechszehn an der Zahl) erhalten wurden, d\u00fcrfte nicht zu bezweifeln sein, dass die Fische, beim Herannahen der Laichzeit, sich in Banden von bestimmtem Geschlecht sondern. In welcher Weise dann das Laichgesch\u00e4ft von Statten geht, dar\u00fcber habe ich, zu meinem Bedauern, nicht das Geringste ermitteln k\u00f6nnen. Die Reifung der Eier war bei diesen Thieren schon so weit vorgeschritten, dass bei Druck auf den Leib die Eier aus dem Geschlechtsporus hervortraten. Die Ovarien waren so bedeutend vergr\u00f6ssert, dass das Abdomen aufgetrieben erschien. \u2014 Zu Haus besass ich noch drei Tembladoren von dem Fange im Cano Baruta ; als bald darauf einer von diesen starb, benutzte ich die Gelegenheit, um mich vom Zustande der Hoden zu unterrichten. Dieselben erwiesen sich als nicht vergr\u00f6ssert und poch immer von h\u00e4rtlicher Consistenz, sie enthielten zahllose freie Spermazo\u00efden, denen aber das wesentliche Kriterium der Befruchtungsf\u00e4higkeit, die Bewegung, v\u00f6llig mangelte. Die Aussichten auf Gelingen der k\u00fcnstlichen Befruchtung waren daher ziemlich schwach, und in der That hat dieser Versuch, den ich am 10. M\u00e4rz mit den Ovarien von vier Thieren und den Hoden von zweien anstellte, nicht den geringsten Erfolg gehabt. Aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgt die definitive Reife der Geschlechtsproducte und der Act des Laiehens im Beginn der Regenzeit, wo dann aber beim Anschwellen und Str\u00f6men der Gew\u00e4sser die Thiere schwer zu erlangen sind. Doch werde ich nicht vers\u00e4umen, den Versuch zu wiederholen, sobald sich die Gelegenheit bietet, was hoffentlich in Angostura der Fall sein wird.\nF\u00fcr den Transport von Gymnoten, den ich, der Sicherheit halber, schon von Calabozo aus unternehmen wollte, hatte ich einen h\u00f6lzernen Trog (4Y Fuss lang, 2 1/2 Fuss breit, 1 V3 Fuss hoch) mit schweren Kosten hauen lassen. Leider erwies er sich aber zu schwer, um, wie ich","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nGael Sachs:\ngedacht hatte, auf den Schultern von vier M\u00e4nnern bis zum Einschiffungsort, 15 Meilen weit, transportirt zu werden. Es blieb daher nichts \u00fcbrig, als ihn, wie das \u00fcbrige Gep\u00e4ck, auf einen zweir\u00e4drigen Karren zu setzen. Um die St\u00f6sse des Fuhrwerkes einigermaassen unsch\u00e4dlich zu machen, spannte ich an allen vier W\u00e4nden Leinwand aus, welche als elastisches Polster die St\u00f6sse aufnehmen sollte. Am 6. M\u00e4rz kam es zur Abreise.\nDie Reise von Calabozo nach Camaguan am Rio Portuguesa dauerte vier Tage (unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden braucht man dazu nur zwei). Dieser Marsch \u00fcber die verbrannte, klaffende, wasserlose Steppe, stets in langsamem Schritt hinter dem Wagen her, mitgenommene Lebensmittel als Zehrung, das Wasser schlammiger, von allem m\u00f6glichen Gethier verpesteter Lachen die einzige und seltene Erquickung, ist in der That das Beschwerlichste, was ich je erlebte. Die intensive Insolation verursachte mir ein Erythem an Gesicht und H\u00e4nden, woran ich noch mehrere Tage nach der Ankunft litt. Und welche Verdriesslichkeiten ! Schon am ersten Tage bekam die m\u00fchsam gel\u00f6thete Blechkiste, welche die Spiritussammlungen enthielt, ein Leck, und ich hatte das angenehme Schauspiel, den hier keineswegs billigen Alkohol s\u00e4mmtlich auslaufen zu sehen. Als ich endlich in Camaguan anlangte, lebten von den mitgenommenen neun Tembladoren trotz aller Sorgfalt und trotzdem ich das Wasser \u00fcberall, wo sich solches vorfand, erneuert hatte, nur noch zwei, und auch diese starben noch an demselben Tage. Alle Thiere waren \u00fcber und \u00fcber mit Schorfen bedeckt, in Folge der Verwundungen, welche die St\u00f6sse des Wagens verursacht hatten.\nIn Camaguan rastete ich einen Tag und sandte meine Mula nach Calabozo zur\u00fcck, wo ich sie f\u00fcr kaum zwei Drittel des. Kaufpreises verkauft hatte. Am 11. M\u00e4rz schiffte ich mich mit meinem Gep\u00e4ck in einem Bongo ein, der von einem Steuermann und einem indischen Ruderer gelenkt wurde; die Nacht brachten wir auf einer Sandinsel im Flusse (Playa) zu, das Geheul des Jaguars in n\u00e4chster N\u00e4he. Gegen die Mosquito-Schw\u00e4rme sch\u00fctzte gl\u00fccklicher Weise der mitgenommene Gaze-Mosquitero. Am n\u00e4chsten Morgen lief ich aus dem Portuguesa in den sch\u00f6nen Apure-Strom ein, der noch jetzt, im Stadium der h\u00f6chsten Reduction, den Rhein an Breite \u00fcbertrifft, und landete eine Stunde sp\u00e4ter in dem St\u00e4dtchen San Fernando (am 12. M\u00e4rz).\nIch hatte die Absicht, meinen Tembladorenvorrath schon hier zu erneuern ; doch ist mir bis jetzt nur gelungen, einen einzigen zu erlangen, der nur 20 Zoll lang ist, dieser gibt aber durch seine Munterkeit und seinen vortrefflichen Appetit die beste Hoffnung, ihn zu erhalten. In Bolivar (Angostura) wird die Sache hoffentlich leichter sein.----\nIch habe eine ganze Reihe neuer Harze, antifebriler Droguen u. d. m.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamebik. Zitteraale. 9.1\ngesammelt, zum Theil in Quantit\u00e4ten, die eine pharmakologische Untersuchung gestatten werden. Ebenso besitze ich drei pr\u00e4chtige Original-Calabassen mit Curare und manches andere Interessante.\nWas aber an Wichtigkeit alles dies weit hinter sich l\u00e4sst, ist die Entdeckung eines neuen, \u00e4usserst merkw\u00fcrdigen Giftes aus der Classe der Narkotica, des Guachamaca.\nSchon in Caracas machte man mich auf eine Giftpflanze aufmerksam, die, in den Apure-W\u00e4ldern heimisch, eine Zeit lang der Schrecken der dortigen Bev\u00f6lkerung war. Die Verbreitung der Pflanze ist, nach den Aussagen Vieler, neueren Datums, und daraus erkl\u00e4rt es sich wohl, dass selbst die Eingeborenen sie meist nur sehr oberfl\u00e4chlich kennen und leicht mit anderen Pflanzen verwechseln. Furchtbare Vergiftungsf\u00e4lle ereigneten sich ; Fleisch, das an einem Stecken des Guachamac\u00e4-Baumes gebraten war, t\u00f6dtete Jeden, der davon genoss.1 * 3 Andererseits wurde das Gift zum Jagen benutzt, indem man an das Ufer von Lagunen kleine Fische hinlegte, die mit der geraspelten Binde des Giftbaumes bestreut waren. Ein Vogel, der einen solchen Fisch verschluckt, soll, nach Aller Aussagen, sofort todt hinst\u00fcrzen. Indem man rasch Kopf und Hals abschneidet, bleibt das Fleisch des K\u00f6rpers geniessbar und. unsch\u00e4dlich.\nEine derartige blitzschnelle Wirkung w\u00fcrde das Gift in eine Reihe mit der Blaus\u00e4ure gestellt haben; es war vom h\u00f6chsten Interesse, einen solchen K\u00f6rper wissenschaftlich zu studiren. Aber, in San Fernando angelangt, musste ich mich verdriesslicher Weise \u00fcberzeugen, dass die Einwohner der Stadt die Pflanze gar nicht kannten, obwohl ein Jeder dies auf das Bestimmteste behauptete. Nicht weniger denn acht verschiedene Gew\u00e4chse erhielt ich nach .und nach, welche sich durch den Versuch s\u00e4mmtlich als v\u00f6llig harmlos erwiesen. Ein beschwerlicher Ausflug in den Wald verlief gleichfalls resultatlos. Die Pflanze ist auch botanisch noch keineswegs bekannt; Dr. Ernst in Caracas erhielt einen bl\u00fcthen-losen Zweig \u00fcbersandt, wonach er die Pflanze Guachamaca venenosa nannte und sie vermuthungsweise der Familie der Apocyneen anreihte.\nIch war nahe daran, die Geduld zu verlieren, als ein Mann von der Savane erschien, der erkl\u00e4rte, f\u00fcr \u00a3 2 die richtige Pflanze liefern zu wollen. Er \u00fcberbrachte mir eine Quantit\u00e4t bl\u00fcthenloser Zweige, die auf frischen Schnitten eine dickliche Milch hervorquellen liessen und deren Rinde intensiv bitter schmeckte.\n1 Es ist nicht das erste Mal, dass auf diese Art die Giftigkeit einer Pflanze\nsich verrieth. 1809 assen 12 franz\u00f6sische Soldaten vor Madrid Fleisch, welches an Oleanderzweigen (Nerium Oleander, auch eine Apocynee) als Spiess gebraten worden war. Sieben starben, f\u00fcnf erkrankten schwer (Lindley, The vegetable Kingdom.\n3th Ed. London 1853. p. 600. [E. d. B.-R.]","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nGael Sachs:\nEs wurde eine kleine Quantit\u00e4t der Rinde abgeschabt und mit gehacktem Fleisch gemengt einem Huhn vorgesetzt. Das Thier pickte ein paar Br\u00f6ckchen des Fleisches auf und blieb danach ganz ruhig stehen, wodurch sich zun\u00e4chst die Erz\u00e4hlung von der momentanen Wirkung des Giftes als Uebertreibung erwies. Nach 10 Minuten jedoch sank das Thier in die Knie, liess den Kopf h\u00e4ngen und fiel schliesslich auf die Seite. Sensible Keize hatten zun\u00e4chst noch schwache Reaction im Gefolge ; binnen wenigen Minuten jedoch trat v\u00f6llige Reactionslosigkeit ein, selbst beim Ber\u00fchren der Cornea mit einer Messerspitze. Kr\u00e4mpfe und Erh\u00f6hung der Reflexerregbarkeit fehlten bei dem ganzen Vorg\u00e4nge durchaus. In diesem Zustande vollst\u00e4ndiger Narkose, aber bei v\u00f6llig ungest\u00f6rter Respiration, verharrte das Thier etwa drei Stunden; dann kehrte allm\u00e4lig die Cornea-Reaction zur\u00fcck, kleine Bewegungen des Kopfes und der Extremit\u00e4ten wurden bemerkbar und bald sprang das Thier wieder auf die Beine, anscheinend durchaus nicht afficirt. Da es die giftige Mischung nicht mehr anr\u00fchrte, wurde ihm nunmehr eine etwas gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t derselben zwangsweise verabreicht, und wiederum trat nach 10 Minuten vollst\u00e4ndige Narkose ein, die aber diesmal 20 Stunden anhielt. Nach Verlauf dieser Zeit erwachte das Huhn, stand bald wieder auf den Beinen und frass mit Appetit. Es hat nachtr\u00e4glich nicht die geringste St\u00f6rung in seinem Wohlbefinden gezeigt.\nEin kalter w\u00e4ssriger Aufguss der geschabten Rinde erwies sich, einer Kr\u00f6te subcutan injicirt, wirkungslos, obwohl er bitter schmeckte. Nachdem der Aufguss, mit einigen Tropfen Schwefels\u00e4ure versetzt, 24 Stunden gestanden hatte, starb die Kr\u00f6te, der er injicirt wurde, allerdings, aber erst so sp\u00e4t, dass ich den Aufguss nicht mit Sicherheit als wirksam bezeichnen kann. Dagegen verfiel eine Kr\u00f6te, der man einige Brocken jenes vergifteten Fleisches in den Schlund geschoben hatte, unverkennbar in einen narkotischen Zustand und starb am selben Tage.\nIch werde diese Versuche noch fortsetzen. Immerhin sind die Erfahrungen, die auf diese Weise gewonnen werden k\u00f6nnen, roher Natur. Viel wichtiger, als hier zu experimentiren, d\u00fcrfte es sein, eine hinl\u00e4ngliche Menge der Rinde zu sammeln, um in Berlin den wirksamen K\u00f6rper darstellen und untersuchen zu k\u00f6nnen. Auch werde ich, wenn es irgend m\u00f6glich, die Pflanze lebend transportiren. Die Eigenschaft des Giftes, in kleiner Dosis starke Narkose bei v\u00f6llig ungest\u00f6rter Respiration zu erzeugen, scheint die M\u00f6glichkeit zu beweisen, dass diesem K\u00f6rper eine grosse Zukunft in arzneilicher Hinsicht bevorsteht.\nMeine Abreise von hier wird in den ersten Tagen des April erfolgen ; bereits sitzt mir die Regenzeit auf dem Nacken, die ersten Schauer sind","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Veesuche am s\u00fcdameeik. Zittebaale. 93\nschon gefallen, der Strom ist schon im Steigen begriffen. Die Schifffahrt auf dem Apure und Orinoco bis Ciudad Bolivar d\u00fcrfte nicht viel weniger als drei Wochen in Anspruch nehmen.\nIn Bolivar werde ich mich etwa einen Monat auf halten; hoffentlich wird sich auch dort noch Gelegenheit zu naturwissenschaftlichen Arbeiten bieten. Yon Bolivar aus werde ich meine R\u00fcckreise \u00fcber Trinidad so prompt als m\u00f6glich bewerkstelligen.\n30. M\u00e4rz 1877.\nSeitdem erhielt ich soeben drei weitere kleine Gymnoten, sowie drei verschiedene interessante Verwandte vom Gymnotus (Gymn. albifrons, Ramphichthys ? ) die heute mikroskopirt werden sollen. Die ganze Gesellschaft hatte sich merkw\u00fcrdigerweise in einem umgest\u00fcrzten Boote gefangen. Sollten die Thiere sich als Verwandte f\u00fchlen ?------\nCiudad Bolivar [Angostura; am Orinoco. E.d.B.-R.], den 16. Mai 1877.\n\u2014 Da ich die Hoffnung hege, 14 Tage nach dem Eintreffen dieses Briefes selber Sie in Berlin pers\u00f6nlich begr\u00fcssen zu k\u00f6nnen, will ich mich heute kurz fassen.\nWas den Verlauf meiner Reise anbelangt, so habe ich mich erst am 24. April in San Fernando eingeschifft und nach 12t\u00e4giger Fahrt, also am 7. Mai, Bolivar erreicht. Meinen sbchs kleinen Tembladoren hatte die st\u00fcrmische Bewegung des Fahrzeuges auf dem Orinoco Nichts geschadet; sie fielen sofort mit Gier \u00fcber die dargebotenen'Fischchen und Krebschen her, und frassen sich nach der langen Fastenzeit so voll, dass der Miniaturbauch 1 zu platzen drohte. Ich hege die sichere Hoffnung, sie nach Berlin zu bringen.\nIn San Fernando habe ich mich, ausser mit der Fortsetzung meiner Guachamac\u00e4-Versuche, von denen Sie hoffentlich geh\u00f6rt haben (Brief vom 28. M\u00e4rz aus San Fernando), mit der Untersuchung der Stimm- und Geh\u00f6r-Organe der tropischen Cicaden besch\u00e4ftigt, die mir \u00fcberraschende Aufschl\u00fcsse gab.\nVier verschiedene Arten von Gymnotini habe ich mikroskopisch auf pseudoelektrische Organe untersucht; bei dreien \u00fcberzeugte ich mich, dass\n1 Die Leibesh\u00f6hle des Gymnotus nimmt bekanntlich nur einen ganz kleinen Theil der L\u00e4nge des Thieres ein. [E. d. B.-R.]","page":93},{"file":"p0093s0001table001.txt","language":"de","ocr_de":"Archiv J. Anat.iL-PhxfSiol. i877. Physiol. AMhUf.\nTaf.H.","page":0},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\tCakl Sachs:\nsolche nicht vorhanden ; bei der vierten blieb ich leider zweifelhaft, und es ist abzuwarten, ob die erhaltenen Bilder durch die Untersuchung am geh\u00e4rteten Thierchen best\u00e4tigt werden k\u00f6nnen.\nMit gr\u00f6sstem Bedauern habe ich von dem Hrn. Gesch\u00e4ftstr\u00e4ger geh\u00f6rt, dass mein ausf\u00fchrlicher Brief vom 8. Februar, worin ich die Endsumme meiner Arbeiten am Gymnotus mit Genauigkeit darstellte, verloren gegangen ist.1 Ich will hier nur kurz den wichtigsten Fund mittheilen: Oberhalb des l\u00e4ngst bekannten \u201e oberen elektrischen Organes \u201c findet sich in der hinteren K\u00f6rperh\u00e4lfte des Gymnotus ein neues Paar von Organen, ausgezeichnet durch Transparenz und dunklere F\u00e4rbung. Auf einem L\u00e4ngsschnitt erkennt man, dass die bindegewebigen Septa ungef\u00e4hr \u00e4hnlich sich verhalten, wie im fr\u00fcher bekannten Organ, nur dass die K\u00e4stchen eine zwanzigmal gr\u00f6ssere Dicke haben, 2*0mm statt 0\u2022 1mm. Das Mikroskop zeigt in diesen K\u00e4stchen gewaltige Lagen Schleimgewebes mit Sternzellen und Blutgef\u00e4ssen, dahinter die elektrische Platte, welche ungeheuer lange, bizarr' geformte Papillen entsendet. Letztere sind h\u00e4ufig partiell quer gestreift, namentlich im Gebiet eines Axencylinders ; und in einigen F\u00e4llen habe ich deutliche Doppelbrechung wahrgenommen.\nHier in Bolivar habe ich, namentlich seitens der Deutschen, eine ausgezeichnete, ja enthusiastische Aufnahme gefunden. Ausserdem finde ich f\u00fcr meine zoologischen Sammlungen hier ziemlich gute Ausbeute. Dies w\u00fcrde mich aber nicht bestimmt haben, auf die Benutzung des Dampfers, der morgen nach Trinidad abgeht und Anschluss nach Southampton hat, zu verzichten, wenn nicht etwas hinzuk\u00e4me. Ich hatte die Absicht, den Versuch k\u00fcnstlicher Befruchtung hier zu wiederholen ; als ich nun mit den betreffenden Kreisen mich in\u2019s Einvernehmen setzte, h\u00f6rte ich von mehreren Seiten die ganz bestimmte Angabe, dass der Temblador lebende Junge zur Welt bringe, und zwar an der Stelle des Afters (daselbst liegt auch der Urogenitalporus). Als die Legezeit wurde der Monat Juni bezeichnet, was mit meiner auf gute Gr\u00fcnde gest\u00fctzten Ansicht stimmt. Die Aussicht, die mit dieser Nachricht sich \u00f6ffnete, machte mich f\u00f6rmlich schwindeln, denn ich hatte auf Embryonen schon ganz verzichtet. Zwar kam mir die Sache in hohem Grade unwahrscheinlich vor, denn der Gymnotus ist getrennt - geschlechtig und das M\u00e4nnchen besitzt keine Begattungsorgane. Aber es w\u00e4re h\u00f6chst kurzsichtig, deswegen jene Nachricht f\u00fcr erlogen zu halten.\nIch setzte nunmehr .alle Hebel in Bewegung, um Tembladoren zu erhalten; ich bot 50 Pesos f\u00fcr ein tr\u00e4chtiges Thier; aber zu meinem gr\u00f6ssten Aerger habe ich bisher, in neun Tagen, noch nicht ein Thier\n1 Dieser Brief ist sp\u00e4ter noch richtig angelangt. Es ist sichtlich der oben mit III bezeichnete. [E. d. B.-B.]","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen und Veesuche am s\u00fcdamebik. Zitteeaale. 95\nerhalten. Die Zeit ist leider nicht g\u00fcnstig; zur Zeit des h\u00f6chsten Wasserstandes (im August) soll der Fisch hier in Mause gefangen werden ; aber vorerst ist der Strom nur wenig gestiegen.\nIch halte es aber, einer solchen Aussicht gegen\u00fcber, f\u00fcr meine Pflicht, auszuharren. Bis zum Abgang des n\u00e4chsten Dampfers (\u00fcber 14 Tage) bin ich vielleicht gl\u00fccklicher.\nVon sonstigen, in Calabozo angestellten Versuchen erw\u00e4hne ich noch die Curare-Vergiftung, die ein klares und b\u00fcndiges Resultat gab; L\u00e4hmung der elektrischen Nerven, dabei die directe Erregbarkeit des Organes wohl erhalten. Die Polarisationsversuche haben ebenfalls v\u00f6llig constante, wenn auch schwer zu deutende Resultate gegeben; es tritt stets negative Polarisation (im gew\u00f6hnlichen Sinne) ein, die sich rasch in Oscillationen abgleicht; am w\u00e4rmestarren Organ ist davon keine Spur wahrzunehmen. Die Einzelheiten sind hier sehr complicirt.\nWeniger befriedigt haben mich die zeitmessenden Versuche. Die Magnetisirungsversuche an Nadeln habe ich zu ziemlicher Vollkommenheit gebracht (Magnetismus an der Bussole gemessen). Es ergeben sich stets normale Pole.\nDas merkw\u00fcrdigste unter den experimentellen Ergebnissen bleibt f\u00fcr mich der Umstand, dass rasch sich folgende Inductionsstr\u00f6me schon bei sehr schwacher Intensit\u00e4t den elektrischen Nerven erregen, w\u00e4hrend ein einzelner Oeffnungsstrom erst bei vierzigmal gr\u00f6sserer Intensit\u00e4t eine ganz geringe Wirkung zeigt. Im vollsten Gegensatz hierzu besteht f\u00fcr die directe Organreizung ein solcher Unterschied nicht im Allergeringstelf.\nUebrigens zeigt sich der lebende Zitteraal durch die Str\u00f6me des Schlittenapparates schon bei grossem Rollenabstande sehr unangenehm afficirt (Eine Sterns\u00e4ule im prim\u00e4ren Kreise).------","page":95}],"identifier":"lit1058","issued":"1877","language":"de","pages":"66-95","startpages":"66","title":"Beobachtungen und Versuche am s\u00fcdamerikanischen Zitteraale (Gymnotus electricus): In Briefen an den Herausgeber mit einer Vorbemerkung des Letzteren","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:54:09.919955+00:00"}