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{"created":"2022-01-31T13:05:13.091717+00:00","id":"lit1376","links":{},"metadata":{"alternative":"Arbeiten aus der Physiologischen Anstalt zu Leipzig","contributors":[{"name":"M\u00fcller, Johann J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Arbeiten aus der Physiologischen Anstalt zu Leipzig: 1-10","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Tonempfindungen.\nVon\nDr. J. J. M\u00fcller.\n1.\nDie harmonischen Obert\u00f6ne, welche von den Hrn. Helmholtz und v. Oettingen so erfolgreich als Grundlage f\u00fcr die Theorie der Melodie und Harmonie benutzt wurden, haben zwei ganz verschiedene physikalische Ursachen.\nSetzt man die aus den Verschiebungen der Theilchen resul-tirenden Kr\u00e4fte proportional den Verschiebungen, so wird die Gleichung der Resonanz f\u00fcr eine einfache Schwingung\nd2\u00e6\tdx i \u25a0 t ,\\\nm yir = \u2014 am \u2014 a jr + A sin (nt). dt2\tdt\t'\nIn dem Integrale dieser Gleichung\nx = r A____________\u25a0sin (nt \u2014 e) +\nl/(o \u2014 mrfi) 2+ o2\u00bb2\n.. _ \u201ct .it' 1 /\t\u00ab2 , !\nBe *\u00bb sin -I \u2014 1/ am \u2014 y + \u00ab\nkann die bald verschwindende zweite Schwingung mit der Expo-nentialfunetion der Zeit vernachl\u00e4ssigt werden. Jede einfache Schwingung ruft daher in dem resonirenden K\u00f6rper nur die gleiche einfache Schwingung hervor. Unter der Voraussetzung, dass diese Annahme auch f\u00fcr das Ohr g\u00fcltig sei, liegt somit die Ursache harmonischer Obert\u00f6ne in entsprechenden Schwingungen des gegebenen K\u00f6rpers.\nSind aber die aus den Verschiebungen resultirenden Kr\u00e4fte nicht mehr einfach proportional den Verschiebungen, so wird die","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nDr. .1. J. M\u00fcller,\n[116\nDifferentialgleichung der Resonanz f\u00fcr eine einfache Schwingung unter Ber\u00fccksichtigung des quadratischen Gliedes\n\u2014 m = ax + bx2 + a + A sin (nt).\nDie periodischen Functionen des Integrales dieser Gleichung sind unter Vernachl\u00e4ssigung derjenigen, welche die Exponential-function der Zeit enthalten\nxx \u2014 At sin (nt \u2014 \u00a3() x2 \u2014 \u2014 yf2 cos (2 nt \u2014 e2) etc.\nworin\np (l \u2014 mn-)2 + <t- re2 A*b\n2 [(a - m\u00bb2)2 + t(-i \u201e2j\t4+ 4 \u00ab2 \u00bb2\netc.\nUnter den neuen Annahmen erregt also die einfache Schwingung in dem resonirenden K\u00f6rper nicht nur die ihr entsprechende Sinusschwingung sondern auch die harmonische Oberreihe.\nBeim Ohre erfordern nun in der That die Asymmetrie des Trommelfells und die lose Beschaffenheit des Hammer-Ambosgelenkes eine Abh\u00e4ngigkeit der Kraft von der Excursion dieser zweiten Art. Daraus folgt, wie auch Herr Helmholtz bemerkt, dass die einfache Schwingung eines K\u00f6rpers als Empfindung nicht nur den ihr entsprechenden einfachen Ton, sondern auch die harmonischen Obert\u00f6ne erregen muss. ') Die Thatsache der Schwelle fordert allerdings f\u00fcr das Bewusstwerden dieser harmonischen Obert\u00f6ne eine betr\u00e4chtliche St\u00e4rke der objectiven Schwingung. Aber auch Empfindungen, die unter dem Schwel-lenwerthe liegen, k\u00f6nnen bestimmend auf das Urtheil wirken, und die ausserordentliche Empfindlichkeit des Ohres wird schon jene Werthe immer noch relativ klein lassen. In der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle wird daher das Urtheil auch bei Einwirkung einer einfachen objectiven Schwingung doch eine aus Grundton und Obert\u00f6nen zusammengesetzte Empfindung haben; die harmonische Oberreihe wird also subjectiv ganz wesentlich mit dem Grundton verkn\u00fcpft.\n1) Helmholtz, Tonempfindungen. (3) 248. 249.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"117]\nUeber die Tonempfindungen.\n3\nDie Analogie, welche diese Auffassung zwischen den Tonempfindungen und den Farben herstellt, ist evident : erregt doch jede Aelherschwingung alle drei Grundfarben zugleich. Diese Analogie f\u00fchrt nun sofort zu einer den Nachbildversuchen entsprechenden Versuchsreihe \u00fcber die Erm\u00fcdung der H\u00f6rnerven. Da solche Beobachtungen umgekehrt die obigen Schl\u00fcsse wieder beleuchten und darum f\u00fcr die Theorie der Musik Wichtigkeit gewinnen, so mag der wichtigste hier in Frage kommende Versuch im Folgenden mitgetheilt werden.\nDurch vorangehende Erm\u00fcdung derjenigen Sehnervenfasern, welche ausser der Grundfaser noch in geringem Maasse von einer Aelherschwingung erregt werden, kann die durch die letztere hervorgerufene Farbe noch eine gr\u00f6ssere S\u00e4ttigung gewinnen, als selbst die Farben im Spectrum besitzen. Dem entsprechend muss durch vorangehende Erm\u00fcdung derjenigen Fasern des H\u00f6rnerven, welche die harmonischen Obert\u00f6ne liefern, die durch die einfache Schwingung hervorgerufene Tonempfindung noch eine leerere Klangfarbe annehmen, als diese T\u00f6ne sonst haben.\nDer Versuch kann bei den beiden H\u00f6rnerven ganz ebenso angestellt werden wie auf zwei Stellen der Netzhaut, vorausgesetzt, dass die beiden Geh\u00f6rorgane gleiche Empfindungen liefern. Es werden durch l\u00e4ngere Einwirkung objectiver Schwingungen die Fasern der harmonischen Obert\u00f6ne in dem einen Ohre erm\u00fcdet und hierauf der Grundton jener Schwingungen abwechselnd auf dem erm\u00fcdeten und nicht erm\u00fcdeten Ohre verglichen. W\u00e4hrend die zuerst verwendeten Obert\u00f6ne ganz vortheilhaft harmonisch zusammengesetzte Kl\u00e4nge sein k\u00f6nnen, darf der Grundton harmonische Oberschwingungen nicht enthalten.\nDie Stimmgabeln besitzen bekanntlich hohe undunharmonische Obert\u00f6ne. Hat man daher eine Reihe von Gabeln mit den Schwingungszahlen n, 2 n, 3 n, welche zugleich die Gabeln selber bezeichnen sollen, so braucht man nur die Gabel 2w oder 3 n zuerst anhaltend vor das eine Ohr und hierauf die Gabel n successive vor dieses und das nicht erm\u00fcdete Ohr zu halten. Diese einfache Versuchsweise eignet sich namentlich f\u00fcr tiefgestimmte Gabeln. Es stand mir ein System zeitmessender Stimmgabeln mit den Schwingungszahlen 60, 120, 180 zu Gebote; mit diesen stellte ich die ersten Beobachtungen in der angedeuteten Weise an. Der Grundton war in dem erm\u00fcdeten Ohr deutlich","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\tDr. -T. -T. M\u00fcller,\t[118\nweicher, leerer und etwas schw\u00e4cher als in dem nicht erm\u00fcdeten.\nF\u00fcr die Gabeln mit hohen T\u00f6nen, welche, obwohl nahe vor das eine Ohr gehalten, doch auch im andern eine merkliche Erregung hervorrufen, habe ich dem Versuche folgende Anordnung gegeben. Ein gabelig sich theilendes Kautschukrohr war an den einen Enden mit Glasr\u00f6hrchen versehen, die in die Ohren eingef\u00fchrt wurden ; an dem andern Ende stand es mit dem Rohre eines Sthetoskopes in Verbindung t vor dessen freier M\u00fcndung ein auf die Gabel 2m abgestimmter Resonator angebracht war. Die Gabel 2 n schwingt vor dem letzteren, w\u00e4hrend der Beobachter den einen Schlauch mit den Fingern zusammenpresst; der Schall wird dann wesentlich nur in das Ohr der andern Seite geleitet. Bei eingetretener Erm\u00fcdung werden Gabel und Resonator 2w rasch durch Gabel und Resonator \u00ab ersetzt und der Ton durch abwechselndes Oeffnen und Schliessen der Kautschuke in das erm\u00fcdete und nicht erm\u00fcdete Ohr gef\u00fchrt. Versuche dieser Art habe ich mit den Vocalstimmgabeln b' und b\" angestelit. Das Resultat derselben war in v\u00f6lliger Uebereinstim-rnung mit den ersten Versuchen: im erm\u00fcdeten Ohr war der Ton stets weniger klangreich und schien etwas schw\u00e4cher.\nMan k\u00f6nnte gegen die Triftigkeit dieser Versuche einwenden, dass die Stimmgabeln oft selber die Octave des Grundtones h\u00f6ren lassen. 1) Es h\u00e4tten dann Schwingungen im einen Ohr auf erm\u00fcdete, im andern auf nicht erm\u00fcdete Fasern eingewirkt, welche auf diese Schwingungen selber abgestimmt waren, was selbstverst\u00e4ndlich zu einem solchen Unterschied in der Klangfarbe f\u00fchren musste. Dieser Einwand hat nur Berechtigung bei starken Schwingungen der Gabeln; der Versuch gibt aber auch bei schwachen Schwingungen unter Anwendung des Resonators dasselbe Resultat. Ausserdem sind die Unterschiede auch bei vorangegangener Erm\u00fcdung der Nervenfasern f\u00fcr den Ton 3 m vorhanden, w\u00e4hrend die Gabel die Duodecime nicht h\u00f6ren l\u00e4sst.\n2.\nDie wichtige Bedeutung, welche die durch die angef\u00fchrten Versuche direct best\u00e4tigte eigenth\u00fcmliche Erregung des H\u00f6rner-\n1) Roeber, Repert. d. Physik III. 55. Helmholtz, Pogg. XCIX. 504. 500.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Tonempfindungen.\n5\n1 19]\nven durch objectiv einfache Schwingungen f\u00fcr die Theorie der Melodie und Harmonie besitzt, ist von Hrn. Helmholtz *) hervorgehoben : sie erkl\u00e4rt die Klangverwandtschaft der objectiv nahezu einfachen Schwingungen. Eine Reihe anderer interessanter Con-sequenzen, die \u00fcbrigens alle auch f\u00fcr die harmonischen Kl\u00e4nge gelten, entspringt aus der logarithmischen Natur der Intensit\u00e4tsfunctionen der Empfindung.\nBezeichnet man mit r die lebendige Kraft der jedesmaligen reizenden Schwingung und mit \u00e7 die lebendige Kraft der entsprechenden Schwingung, welche eben noch die Empfindung Null hervorruft, so sind diese Intensit\u00e4tsfunctionen von der Form\ne = c log \u2014.\nQ\nF\u00fcr die verschiedenen Tonh\u00f6hen haben nun die beiden Parameter c und q verschiedene Werthe. Setzt man bei gleichbleibendem Druck des Blasebalges die Sirene in immer schnellere Rotation, so nimmt die St\u00e4rke des Tones zu in dem Maasse als seine H\u00f6he steigt, obwohl in Folge der Reibung f\u00fcr die Hervorbringung der hohen T\u00f6ne noch weniger Arbeit \u00fcbrig bleibt, als f\u00fcr die tiefen. Die Amplituden der Partialt\u00f6ne der gestrichenen Saiten verhalten sich umgekehrt, wie die Quadrate ihrer Ordnungszahlen; gerade die hohen Obert\u00f6ne aber, etwa vom sechsten bis zum zehnten, erklingen dem Ohre sehr deutlich. Der zweite und dritte Partialton der Pianofortesaiten sind subjectiv ebenfalls recht stark, der erstere bisweilen st\u00e4rker als der Grundton.1 2) Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, dass beim aufsteigenden Fortschreiten in der Tonscala c zu, q aber abnimmt, d. h. bei wachsender Tonh\u00f6he verschiebt sich die In-tensit\u00e4tscurve von der Abscisse weg und ihr Anfang n\u00e4her gegen den Ursprung der Coordinaten hin. In wie weit \u00fcbrigens diese Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr die h\u00f6chsten T\u00f6ne andere werden, ist noch nicht ermittelt.\nTrifft eine intensive einfache Schwingung oder ein harmonischer Klang das Ohr, so ist die Empfindung gegeben durch\n' = Sc' 1\u00b0S \u00cf\nwo die Indices sich auf die Partialschwingungen hinter dem Ham-mer-Ambosgelenk beziehen. Bei gleicher H\u00f6he und gleicher St\u00e4rke\n1)\tHelmholtz, Tonempfindungen. (3) 452.\n2)\tHelmholtz, 1. c. (3) 20. 275 f. 142.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"()\nDr. J. J. M\u00fcller,\n[120\nm\u00fcssen daher die einfachen Schwingungen die n\u00e4mliche Empfindung geben, wie ihre Erregung und Zuleitung zum Ohre auch stattgefunden habe. Aendert man dagegen die Amplitude der Schwingung, so wachsen\u2019 die subjectiven Intensit\u00e4ten der Partialt\u00f6ne in verschiedenem Maasse, es \u00e4ndert sich also das Ver-h\u00e4ltniss derselben. Daraus ergibt sich, dass die Klangfarbe eine Function der Tonst\u00e4rke ist, ein Satz, welcher vollkommen dem optischen Salze analog ist, der die Abh\u00e4ngigkeit der S\u00e4ttigung der Farbe von ihrer Intensit\u00e4t ausdr\u00fcckl. Die unmittelbare (Konsequenz dieses Satzes ist, dass das Gef\u00fchl f\u00fcr die Verwandtschaft der Kl\u00e4nge nicht nur von ihrer Schwingungsform sondern auch von ihrer St\u00e4rke abh\u00e4ngt. Wir halten zwei Kl\u00e4nge f\u00fcr um so h\u00f6her verwandt, je st\u00e4rker ihre gemeinsamen Partialt\u00f6ne und je gr\u00f6sser die Zahl derselben. Beide Momente werden beg\u00fcnstigt durch gr\u00f6ssere St\u00e4rke des gegebenen Tones ; die Klangver-wandtschafl muss also mit der Intensit\u00e4t wachsen.\nAendert man die H\u00f6he des gegebenen Tones, so wird wegen der Aendcrung der Parameter in den Intensit\u00e4tsfunctionen im Allgemeinen wieder das Verh\u00e4ltniss der subjectiven T\u00f6ne ein anderes. Klangfarbe und Klangverwandtschaft stehen deshalb auch in Beziehung zu der Tonh\u00f6he. Das heisst aber nichts anderes, als: der Lage derTonica kommt eine absolute Bedeutung zu. Die oft behandelte Frage, ob einer Tonart unabh\u00e4ngig von ihrem Verh\u00e4ltniss zu einer andern ein absoluter Charakter beizulegen ist, ist identisch mit der andern Frage ob f\u00fcr alle Tonh\u00f6hen die Klangfarbe die n\u00e4mliche ist. Wenn das letztere der Fall ist, so l\u00e4sst sich kein solcher absoluter Charakter denken. Unterschiede in der Klangfarbe sind nun aber in der That schon im Instrumente vorhanden, schon deshalb ist die Frage zu bejahen. Aber auch, wenn objectiv alle Schwingungen ganz gleiche Verh\u00e4ltnisse der Amplituden ihrer Partialt\u00f6ne bes\u00e4ssen, so m\u00fcssen doch aus den Verschiedenheiten der loga-rithmischen Functionen Unterschiede in der subjectiven Klangfarbe hervorgehen. Es muss allerdings zugegeben werden, dass diese Unterschiede geringe sein werden, worauf sich der Ausspruch gr\u00fcnden mag, dass ein verschiedener Charakter der Tonart auf der Orgel zum Beispiel nicht zu bemerken sei. Wenn nun aber in Wirklichkeit auch bei Orgelcompositionen die Tonart immer\n1) Helmholtz, Tonempf. (3) 487.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcEBER DIE TONEMPFINDUNGEN.\n7\n121\neine bestimmt gew\u00e4hlte ist, so muss doch ein Motiv den K\u00fcnstler geleitet haben und es ist unsere Aufgabe, die objectiven Ursachen f\u00fcr solche Motive zu suchen. Dazu scheinen mir nun die genannten Aenderungen der logarithmischen Functionen wichtige Anhaltspuncte zu bieten. Auf Eigenth\u00fcmlichkeiten, welche \u00fcbrigens f\u00fcr die Tonsysteme auch aus dem Eigentone des Trommelfells entspringen k\u00f6nnen, macht Hr. Helmholtz1) aufmerksam.\nDie Aenderung der Klangfarbe muss an den Grenzen der Tonscala besonders auffallend werden ; die h\u00f6chsten und tiefsten noch wahrnehmbaren T\u00f6ne k\u00f6nnen nur einfache Empfindungen sein, jene von Fasern geliefert, welche auf sie selber, diese von solchen, welche auf einen der Obert\u00f6ne abgestimmt sind. Die tiefsten Schwingungen m\u00fcssten also auch dann zuerst durch die Obert\u00f6ne wahrgenommen werden, wenn in ihnen gar keine harmonische Oberschwingungen vork\u00e4men. Aber auch, wenn die Fasern des Grundtones mit erregt sind, so beruht doch die Wahrnehmung der tiefsten T\u00f6ne ganz wesentlich auf der Erregung der Obert\u00f6ne, da die Empfindlichkeit f\u00fcr diese ausserordentlich viel bedeutender ist als f\u00fcr jene. Dies mag auch der Grund sein, warum die obigen Erm\u00fcdungsversuche f\u00fcr die liefern T\u00f6ne meist leichter gelingen als f\u00fcr die hohem.\n3.\nDas subjective Hinzutreten der Obert\u00f6ne erkl\u00e4rt die Verwandtschaft der objectiv einfachen T\u00f6ne und gibt so die Gonso-nanz ihrer Intervalle. Die n\u00e4mliche Thatsache kann nun auch Veranlassung geben zur Bildung von rein subjecliven Schwebungen beim gleichzeitigen Erklingen zweier einfacher Schwingungen; die damit einlretenden Dissonanzen in den Intervallen der einfachen T\u00f6ne werden ebenso wie jene Consonanzen f\u00fcr die Stimmf\u00fchrung in einfachen T\u00f6nen verwerthbar.\nErklingen zwei einfache T\u00f6ne, wovon der eine nahe an einem harmonischen Obertone des andern liegt, so wird zwar das grosse Intervall zwischen solchen T\u00f6nen objective Schwebungen nicht zu Stande kommen lassen ; so bald aber der tiefere Ton das Ohr trifft, entstehen die harmonischen Obert\u00f6ne desselben ; deren erster jetzt die Bedingung zur Bildung von Schwe-\n1) Helmholtz, 1. c. 488.","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nDr. J. J. M\u00fcller\n[122\nbungen mit dem zweiten gegebenen Tone enth\u00e4lt. Wenn zwei einem andern harmonischen Intervall benachbarte einfache T\u00f6ne zusammenklingen, so werden zwei subjective Obert\u00f6ne von verschiedener Ordnungszahl zur Schwebung kommen. Diese Schwebungen einfacher T\u00f6ne sind l\u00e4ngst bekannt; sie sind aber allgemein nach Scheibler mit H\u00fclfe von Combinationsl\u00f6nen erkl\u00e4rt worden, die ersteren unter Ben\u00fctzung des Combinations-tones erster Ordnung, die letzteren unter Einf\u00fchrung von Com-binationst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung.\nBei den harmonisch zusammengesetzten Kl\u00e4ngen k\u00f6nnen die Combinationst\u00f6ne h\u00f6herer Ordnung bekanntlich ebenso richtig als Combinationst\u00f6ne erster Ordnung der Obert\u00f6ne angesehen werden. Bei harmonisch zusammenklingenden einfachen T\u00f6nen gelingt es, auch wenn sie durch Resonatoren verst\u00e4rkt sind, nicht, Combinationst\u00f6ne h\u00f6herer Ordnung wahrzunehmen. Daraus schliesstHr. Helmholtz, \u00bbdass wenn wir bei T\u00f6nen mittlerer St\u00e4rke Combinationst\u00f6ne zweiter oder h\u00f6herer Ordnung deutlich h\u00f6ren, diese durch die h\u00f6heren Nebent\u00f6ne der prim\u00e4ren T\u00f6ne erzeugt sind,\u00ab analog der andern Auffassung, dass die zwei-, dreimal schnelleren Schwebungen von zwei dissonirenden Harmonisch zusammengesetzten Kl\u00e4ngen Schwebungen ihrer Obert\u00f6ne sind. Aus derselben Thatsache werden wir ebenso folgerichtig schliessen, dass die nfachen Schwebungen, die beim Zusammenklingen einfacher T\u00f6ne h\u00f6rbar sind, nicht von Combinalionst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung herr\u00fchren, sondern die Schwebungen der subjectiv hinzutretenden Obert\u00f6ne sind. Wenn Schwebungen beim Zusammenklingen zweier der Octave benachbarter einfacher T\u00f6ne auftreten, so kann zur Erkl\u00e4rung derselben der Combinationston erster Ordnung benutzt werden ; er wird aber unterst\u00fctzt durch die h\u00f6here Octave des tiefen Tones, die im Ohre entsteht.\nHr. Helmholtz l\u00f6st den Widerspruch, welcher in der Annahme von Combinationst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung bei dissonirenden Intervallen einfacher T\u00f6ne und dem Nichterscheinen solcher Combinationst\u00f6ne bei consonirenden Intervallen liegt, durch die Bemerkung, dass im ersteren Falle durch die Addition der Amplituden die Empfindung eine st\u00e4rkere werden muss und daher dort noch T\u00f6ne wahrgenommen werden k\u00f6nnen, die bei gleich-\n1) Scheibler, Poggend. Ann. 32, 493 ; \u2014Roeber, Repertorium der Physik III, 38; \u2014 Helmholtz, Pogg. Ann. 99, 514; Tonempf. (3) 313.","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"123]\nUeber die Tonempfindungen.\n9\nmassigem Abfluss gar keine Empfindung mehr hervorbringen. Er legt aber seinem Versuche, die Tonh\u00f6he der Schwebungen zu bestimmen, wenig Beweiskraft bei, da es sehr schwierig ist, bei so ausserordentlich schwachen T\u00f6nen die Octave sicher anzugeben. Ausserdem macht er selber auf die Schwierigkeit aufmerksam, dass bei einer vollst\u00e4ndigen Durchf\u00fchrung der Theorie auch f\u00fcr andere T\u00f6ne Schwebungen hervorgehen, nicht nur f\u00fcr die, zu deren Erkl\u00e4rung die Hypothese aufgestellt wurde. Endlich scheint mir die Annahme von Combinationst\u00f6nen vierter Ordnung, die bei dieser Auffassung noting ist, allzu k\u00fchn. Die oben gegebene Darstellung hat alle diese Schwierigkeiten nicht.\nHiezu kommt, dass die fraglichen Schwebungen vor dem Ohre nicht existiren. Bei der unreinen Quinte mit den Schwingungszahlen 2 n und 3 n -h \u00e2 soll der Combinationston erster Ordnung n -h \u00e2 mit dem Combinationstone zweiter Ordnung 2 (2ra) \u2014 (3n + d) = n \u2014 d die Schwebungen 2d hervorbringen. Bei der unreinen Quarte 3 n und 4 n + d w\u00e4re es der Combinationston zweiter Ordnung 2 (3n) \u2014 [ln + \u00e4) =2n \u2014 \u00f6 und ein solcher dritter Ordnung 2 [ln -h\u00e4) \u2014 2 (3 n) = 2 n-h 2 \u00f6, welche 3 d Schwebungen her vor bringen. Bei der unreinen grossen Terz 4 n und 5n -h d endlich w\u00fcrde ein Combinationston dritter Ordnung 2 (on + d) \u2014 2 (4n) = 2n + 2 d und ein solcher vierter Ordnung 3 (in) \u2014 2 (5n + d) = 2n \u2014 2d mit einander 4d Schwebungen bilden. Im ersten Falle m\u00fcssten die Schwebungen durch den Resonator n, im zweiten und dritten durch den Resonator 2n verst\u00e4rkt werden. Ich habe solche Versuche mit Stimmgabeln angestellt, welche, schwach angestrichen, vor ihren Resonatoren vibrirten. Die deutlich geh\u00f6rten Schwebungen wurden nie durch den f\u00fcr sie geforderten Resonator verst\u00e4rkt. Man muss also jedenfalls eine subjective fimtstehung der ' Schwebungen zugeben. Zur Erkl\u00e4rung dieser reichen nun aber die subjectiven Obert\u00f6ne vollst\u00e4ndig aus, man braucht nicht noch etwas Neues, die Combinationstone h\u00f6herer Ordnung anzunehmen.\nDen directen Beweis f\u00fcr die Richtigkeit der gegebenen Er-kl\u00e4rungsw'eise liefert eine noch wenig beachtete Classe von Schwebungen einfacher Schwingungen. Wenn zwei nahe beisammen liegende harmonische Kl\u00e4nge eine Reihe verschiedener Schwebungen bilden, so ist dies sofort einleuchtend : die schnelleren Schiebungen sind die Schwebungen der Obert\u00f6ne. A b e r","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10 Dr. J. J. M\u00fcller, Ueber die Tonempfindungen. [124\nauch zwei benachbarte einfache Schwingungen \u00abund\u00bb' k\u00f6nnen die Schwebungsreihe n \u2014 n, 2 [n \u2014 n'), 3 [n \u2014 n)\nh\u00f6ren lassen. Objectiv w\u2019erden sie zwar nur die der Differenz ihrer Schwingungszahlen entsprechenden Schwebungen bilden ; im Ohre aber kommen die harmonischen Obert\u00f6ne hinzu, die zur Bildung von doppelt und dreifach so raschen Schwebungen f\u00fchren.\nIch verstimmte die eine von zwei unisonen auf h\u00f6lzernen Resonanzk\u00e4sten befestigten Gabeln c' so, dass beide in etwa 1,5\" eine Schwebung machten. Richtete sich dann die Aufmerksamkeit auf die Octave c\", so h\u00f6rte ich deutlich zwei Schwebungen in der Zeit, wo der Grundion eine vollendete. Diese Schwebungen wurden aber etwas verst\u00e4rkt durch den Resonator c\", sie waren also jedenfalls zum Theil schon vor dem Ohre vorhanden, entsprechend dem Mitklingen der Octave bei den Stimmgabeln. Schw\u00e4cher, aber ebenfalls noch deutlich, h\u00f6rte ich ausserdem drei Schwebungen auf eine Schwebung des Grundtonesund diese wurden jetzt nicht mehr durch Resonator g\" verst\u00e4rkt. Diese letzteren Schwebungen sind durch die Scheibler'sehe Theorie nicht erkl\u00e4rbar, w\u00e4hrend ich gerade durch die gegebene Darstellung auf sie geleitet wurde. \u2014\nGanz die n\u00e4mlichen Abh\u00e4ngigkeiten wie f\u00fcr die Klangfarbe und Klangverwandtschaft ergeben sich aus der logarilhmischen Natur der Intensit\u00e4tsfunctionen der Empfindung auch f\u00fcr die Schwebungen und f\u00fcr die Dissonanz der Intervalle. Ein Intervall mit gegebener Schwingungszahl wild um so rauher erscheinen, je intensiver diese Schwebungen, d. h. je st\u00e4rker ihre Maxima sind. Da jene logarithmische Function f\u00fcr zwei eine Schwebung bildende T\u00f6ne gleich gesetzt werden darf, mit der absoluten Lage der beiden T\u00f6ne aber variirt, so werden die Maxima der Empfindung bei gegebener H\u00f6he der T\u00f6ne von ihrer Amplitude, bei gegebener Amplitude aber auch von der H\u00f6he des schwebenden Tones abh\u00e4ngen. Dies gilt von jedem der schwebenden T\u00f6ne eines Intervalles. Daraus folgt, dass auch die Dissonanz eines Intervalls von der absoluten Lage desselben abh\u00e4ngt. Diese Abh\u00e4ngigkeit liefert eine neue Reihe von Eigenth\u00fcinlichkeiten in der Empfindung, die zum absoluten Charakter der Tonica beitragen.\nLeipzig, im April 1871.","page":10}],"identifier":"lit1376","issued":"1871","language":"de","pages":"1-10","startpages":"1","title":"\u00dcber die Tonempfindungen","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:05:13.091722+00:00"}