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{"created":"2022-01-31T13:59:58.868463+00:00","id":"lit1378","links":{},"metadata":{"alternative":"Arbeiten aus der Physiologischen Anstalt zu Leipzig","contributors":[{"name":"Owsjannikow, Phillip","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Arbeiten aus der Physiologischen Anstalt zu Leipzig: 21-33","fulltext":[{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Die tonischen und reflectorischen Centren der Gef\u00e4ssneryen.\nVon\nPh. Owsjannikow.\nEinleitung und Fragestellung. Nach den gegenw\u00e4rtig herrschenden Anschauungen werden die motorischen Gef\u00e4ssnerven innerhalb der nerv\u00f6sen Centralorgane erregt durch leidenschaftliche Zust\u00e4nde, durch Reflexe und endlich durch einen besonderen automatisch wirksamen Reizungsapparat. Die unbestrittene Geltung, welche den beiden ersten der genannten Erregungsarten zu Theil geworden, hat sich die dritte derselben noch nicht erringen k\u00f6nnen ; in der That ist die Annahme von der Anwesenheit eines besondern automatischen Reizungsapparates nur darum gemacht worden, weil man durch sie am bequemsten den Tonus erkl\u00e4ren kann, in welchem sich die Ringmuskeln der Arterien f\u00fcr gew\u00f6hnlich zu befinden pflegen. Dieser tonische Erregungszustand kann aber auch aus der fortlaufenden Anwesenheit der Reflexe, beziehungsweise aus ihrer Nachwirkung erkl\u00e4rt werden, \u00e4hnlich wie dieses seit Brondgeest mit dem Tonus der Sceletmuskeln zu geschehen pflegt.\nWie es sich hiemit nun auch verhalten m\u00f6ge, jedenfalls sind die Nerven der Gef\u00e4ssmuskeln vor denjenigen vieler anderer Muskeln dadurch ausgezeichnet, dass sie auf ihrem Verlauf durch das R\u00fcckenmark keinen Ort durchsetzen, von welchem sie in eine Erregung gebracht werden k\u00f6nnten ; denn es ist eine allgemein anerkannte Thatsache, dass nach der Durchschneidung des R\u00fcckenmarkes, die hinter dem Schnitt entspringenden Gef\u00e4ssnerven ihren Tonus f\u00fcr immer einb\u00fcssen,","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nPu. Owsjannikow.\n[136\nund ferner, dass sie auch durch Reizung keiner der sensiblen Nerven reflectorisch zu erregen sind, welche ihre Wurzeln aus dem R\u00fcckenmarksstumpf hinter dem Schnitt empfangen. Die Orte, an welchen im Verlaufe des normalen Lebens die Gef\u00e4ss-nerven tonisch und reflectorisch erregt werden, m\u00fcssen demnach jenseits des R\u00fcckenmarkes, also im Gehirn gesucht werden.\nDieser durch die Thatsachen geforderten Anschauung findet sich \u00f6fter die andere hypothetische beigesellt, dass die Gef\u00e4ssnerven innerhalb des Gehirns in ein Erregungscentruin auslaufen. Dem Wortlaute dieses vielgebrauchten aber nirgends genauer definirten Regriffs gem\u00e4ss w\u00fcrde man sich vorzustellen haben, dass die s\u00e4mmtlichen Gef\u00e4ssnerven an einem engbegrenzten Ort zusammenliefen, innerhalb dessen sich auch ihre in kleinstem Raume ausgef\u00fchrten Erregungsapparate vorf\u00e4nden. Mit einem Worte, man w\u00fcrde den motorischen Nerven der Ge-f\u00e4sse etwa ein \u00e4hnliches centrales Ende zuschreiben, wie es den Nerven der Athemmuskeln nach unsern gegenw\u00e4rtigen Erfahrungen zukommt. Dieser durchaus hypothetischen Annahme k\u00f6nnte man die andere ebenso berechtigte entgegenstellen, dass sich die motorischen Nerven der Blutgef\u00e4sse \u00e4hnlich verhielten wie die motorischen Nerven der Gliedmassen. Geschieht dieses, so erscheint es nun unstatthaft vorauszusetzen, dass dem Ge-f\u00e4ssnervensystem die verschiedenen, ihm \u00fcberhaupt ertheilbaren Arten von Erregung s\u00e4mmtlich an einem beschr\u00e4nkten Orte \u00fcbertragen w\u00fcrden. Wie den motorischen Nerven der Gliedmassen kurz nach ihrem Eintritt in das R\u00fcckenmark die reflec-torische Erregung, nach ihrem Uebergang in das Gehirn aber erst die willk\u00fchrliche zugetheilt wird, so w\u00fcrde dann auch f\u00fcr die Gef\u00e4ssnerven zu statuiren sein, dass ihnen die reflectorischen und die in Folge leidenschaftlicher Aufregung ertheilten Reize an zwei verschiedenen Orten zuk\u00e4men. Mit dieser letztem Anschauung scheinen denn auch die Thatsachen zu stimmen, welche bis dahin durch die Versuche am Gehirn des lebenden Thieres ermittelt wurden.\nNach den Beobachtungen von Dittmar *), welche die Angaben v. Bezold's1 2) berichtigt haben, liegt der reflectorische Ort\n1) Arbeiten des phys. Instituts zu Leipzig, Jahrg. 1870.\nj) Untersuchungen \u00fcber die Innervation desHerzens. II. Abtheil, 276,","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"137] Die tonischen u. reflector. Gentren der Gef\u00e4ssnerven. 23\nder Gef\u00e4ssnerven im verl\u00e4ngerten Marke ; dort finden aber die genannten Nerven keineswegs ihr centrales Ende, denn nach den \u00fcbereinstimmenden Angaben von Schiff, Budge\"1 2) und Afonasiew3) lassen sich durch Reize, die oberhalb der Grosshirnschenkel angebracht werden, Zusammenziehungen der Arterien hervorrufen.\nDie Annahme, dass die Gef\u00e4ssnerven nur an bestimmten Orten des Gehirns der Erregung theilhaftig werden , schliesst die weitere keineswegs in sich, dass dieses f\u00fcr alle Gef\u00e4ssnerven an denselben beschr\u00e4nkten Orlen geschehe. Fragen wir die Erfahrung um Rath, so empfangen wir die Antwort, dass die verschiedenen Abtheilungen unseres Gef\u00e4sssystems sich gleichzeitig in sehr verschiedenen Graden von tonischer Erregung befinden k\u00f6nnen, ferner dass in zahlreichen F\u00e4llen durch die Reizung einzelner sensibler Nerven, obwohl sie s\u00e4mmtlich reflex-ausl\u00f6sende f\u00fcr alle Vasomotoren sein k\u00f6nnen, doch keineswegs das ganze, sondern nur ganz bestimmte St\u00fccke des vasomotorischen Systems in Erregung gerathen, und endlich ist es eine allbekannte Erfahrung, dass eine jede unserer Leidenschaften im Bereiche der Gef\u00e4ssnerven einen eigenth\u00fcmlichen Ausdruck erfahren kann. Hieraus ist abzuleiten, dass zum mindesten gewisse Abtheilungen des vasomotorischen Systems in einer gegenseitigen Unabh\u00e4ngigkeit zu den centralen Reizapparaten stehen k\u00f6nnen, so dass vermittelst der letztem ein Theil der erstem in Th\u00e4tigkeit gerathen und ein anderer in Ruhe bleiben kann. Dieses wird aber nur dann m\u00f6glich sein, wenn die Entwicklung, beziehungsweise die Uebertragung der Erregung auf die s\u00e4mmt-lichen Nerven nicht an dem einen Punkte stattfindet, mit andern Worten, wenn ein jedes der sog. Centren innerhalb des Gehirns einen merklichen Raum einnimmt.\nUnabh\u00e4ngig von der Antwort, welche die Zukunft den soeben erhobenen Fragen ertheilen m\u00f6chte, schien es mir von Wichtigkeit zu versuchen, ob es m\u00f6glich sei, die Orte genauer\n1)\tLehrbuch d. Physiologie 351 und Untersuchungen zur Physiologie d. Nervensystems, 219.\n2)\tCompendium der Physiologie 1870. 264.\n3)\tUeber die physiol. Bedeutung der peduncul. cerebri. Kiew 1869 (russisch). Siehe auch Died\u00fclin Die Petersburger medizinische Nachrichten 1865 u. 1866. u. Versammlung der Naturforscher zu St. Petersburg 1868. 1. Bd,","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nPh. Owsjannikow,\n[138\nzu umgrenzen, aus denen die motorischen Gef\u00e4ssnerven ihren Tonus und an denen sie ihre reflectorische Erregung empfangen. Die M\u00f6glichkeit, diese Aufgabe zu l\u00f6sen, scheint mir vorhanden zu sein, weil sich die Orte in dem verl\u00e4ngerten Marke also in der Hirnabtheilung befinden , welche den operativen Eingriffen am leichtesten erreichbar sind , ferner weil mit Hilfe des Manometers der mittlere Zustand des Tonus in der Arterienwand sicher zu finden ist, und endlich weil sich von den sensiblen Nerven aus Reflexe auf das Gef\u00e4ssnervensystem zu jeder Zeit leicht hervorrufen lassen, so dass man die Entscheidung dar\u00fcber herbeif\u00fchren kann, ob die Hirntheile, an welche die Reflexe auftreten, noch unverletzt vorhanden sind.\u2014Die L\u00f6sung erschien mir aber auch der M\u00fche werth, nicht allein, weil hiemit ein Beitrag zur Topographie des Hirns und zur Stellung der Gef\u00e4ssnerven im Gegensatz zu andern motorischen geliefert wurde, sondern auch desshalb, weil sich vielleicht auf diese Weise ermitteln liess, ob die Orte, an welchen die reflectorischen Vorg\u00e4nge stattfinden, mit einer eigenth\u00fcmlichen Structur behaftet sind. Hier\u00fcber Aufschluss zu geben w\u00fcrde dem Mikroskop gewiss gelingen , wenn der physiologische Versuch einen vielleicht nur wenige Cubikmillimeter umfassenden Raum als denjenigen bezeichnete, in welchem die Reflexe von der ausserordentlichen Zahl sensibler auf die grosse Menge von Gef\u00e4ssnerven stattfindet. \u2014 Von dieser Hoffnung erf\u00fcllt benutzte ich die Gelegenheit, welche mir Herr Prof. C. Ludwig freundschaft-lichst er\u00f6ffnete, zur Ausf\u00fchrung der folgenden Versuchsreihe.\nDie Thiere, welche ich der Beobachtung unterwarf, waren Kaninchen. Sie waren s\u00e4mmtlich mit Curare vergiftet und durch k\u00fcnstliche Respiration am Leben erhalten. Der ver\u00e4nderliche Erregungszustand des motorischen Apparates der Arterien wurde auf bekannte Weise durch das registrirende Manometer bestimmt. Die Feder des Manometers zeichnete die ver\u00e4nderlichen Dr\u00fccke auf einen unendlichen Papierstreifen. Hierdurch ward es m\u00f6glich, der Beobachtung ohne irgend welche Unterbrechung eine sehr lange Dauer zu geben. Auf das Papier waren ausser dem Druck noch die Zeit in Secunden und die Perioden einer etwa vorgenommenen electrischen Reizung verzeichnet.\nDie Durchschneidungen am verl\u00e4ngerten Marke habe ich auf verschiedene Weisen versucht. Von vorneberein erschien es mir, als ob es einen grossen Vortheil bieten w\u00fcrde, wenn man","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"139] Die tonischen e. reflector. Centren der Gef\u00e4ssnervf.n. 25\ndie Durchschneidungen an dem blossgelegten Marke ausfiihrte. Hierdurch w\u00fcrde jedenfalls eine genauere Auswahl der zu durchschneidenden Orte m\u00f6glich gewesen sein, als auf jedem andern Wege. Ich legte mir desshalb auf die von Eckhardangegebene Weise das untere Ende der Rautengrube frei ; alsbald zeigte es sich jedoch, dass es unm\u00f6glich sei, ohne die Wegnahme eines St\u00fcckes Hinterhauptsbein und des Wurmes vom kleinen Gehirn so hoch wie n\u00f6thig in der Rautengrube vorzudringen. Um die Rlutungen zu stillen, welche mit diesen Eingriffen verbunden waren, legte ich schleifenf\u00f6rmige Ligaturen um die art. vertebrales und um die zur Druckmessung nicht verwendete art. carotis. Obwohl hiemit der n\u00e4chste Zweck erreicht war, so erwies sich dieses Verfahren doch desshalb als unbrauchbar, weil es die Reizbarkeit der Hirntheile bedeutend beeintr\u00e4chtigte. Dieses geschah selbst dann noch, wenn auch zeitweilig durch L\u00f6sung der Ligaturschleifen der Zutritt des Rlutes gestattet war. \u2014 Ich verliess desshalb diese Operationsweise vollkommen und ersetzte dieselbe durch die Anlegung einer Reihe von sehr kleinen Trepan\u00f6ffnungen, die ich paarweise neben der Mittellinie vom hintern Ende der Scheitelbeine und durch die L\u00e4nge des Hinterhauptsbeines hindurch unmittelbar hintereinander anlegte. Durch je eine solche Oeffnung f\u00fchrte ich ein sehr feines Messer ein und stach mit ihm in der Richtung von der Mittellinie zur Seite schneidend in das verl\u00e4ngerte Mark ein. Hierdurch war es nun, trotzdem dass die Durchschneidung im Dunklen vor sich ging, erreichbar, den Einstich bis auf 1 mm genau an dem gew\u00fcnschten Orte anzubringen. Es leuchtet ein, dass ich mit diesem Verfahren nur im Stande er, die Ausdehnung zu ermitteln, welche die tonisch oder reflectorisch erregenden Orte in der Richtung von oben nach unten hin einnehmen; aber eben so gewiss ist es auch, dass k\u00fcnftighin durch eine geringe Modification meiner Methode die Ausdehnung der genannten Stellen nach den beiden andern Dimensionen zu ermitteln sein wird. Die genauere Restimmung der Hirnstelle, welche von dem Messerchen getroffen war, fand nach Reendi-gung des Versuchs an dem sorgf\u00e4ltig ausgehobenen und in Weingeist geh\u00e4rteten Gehirne statt. In der vorliegenden Abhandlung musste ich mich damit begn\u00fcgen , zu den Ortsangaben des\n1) Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie IV. Bd. S. 12.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nPh. Owsjannikow,\n[140\nSchnittes denin Millimeter ausgedruckten Abstand von der hintern Gi\u2019enze der Vierh\u00fcgel oder von dem calam. scriptorius zu benutzen. Diese Bestimmung hat selbstverst\u00e4ndlich nur so lange einen Sinn, als man Kaninchen von ann\u00e4hernd gleicher Gr\u00f6sse dem Versuche unterzieht. Wenn erst eine sorgf\u00e4ltige mikroskopisch-topographische Zergliederung des verl\u00e4ngerten Markes vorliegt, wird es m\u00f6glich sein, die Ortsbestimmungen des Schnittes durch Kennzeichen zu geben, die aus der Markstructur selbst hergenommen sind.\nVersuche am Kaninchen und Resultate. Nachdem das Kaninchen, durch Einspritzung von Curare in die v. jugu-laris vergiftet, das k\u00fcnstliche Athmen eingeleitet, die beiden Vagi durchschnitten, und auf eine art. carotis eine Klemmpin-cette angelegt war, wurde in die andere art. carotis, nachdem sie ebenfalls durch eine Klemmpincette verschlossen war, eine Canule eingef\u00fchrt und so befestigt, dass sie jeden Augenblick mit einem Manometer verbunden werden konnte. Endlich wurde das Kaninchen umgekehrt und dem Brete, an dem es befestigt, eine stark geneigte Lage gegeben, so dass der Kop! ziemlich hoch lag und damit die M\u00f6glichkeit vorlag, sowohl am Halse als auch am Sch\u00e4del zu operiren. Nachdem dies geschehen, wurde die Haut auf dem Kopfe in der Mittellinie durchschnitten und zu den Seiten abpr\u00e4parirt. Nun hob ich aus dem Sch\u00e4del neben der Pfeilnaht eine Reihe von je zwei neben einander liegenden Pl\u00e4ttchen heraus. Dadurch erhielt ich mehrere Paare symmetrisch liegender Oeffnungen, in die ich leicht ein schmales Messer oder eine Staarnadel einf\u00fchren konnte. Jetzt wurde die Carotis mit dem Manometer des Kymographion, dessen Verbindungsschenkel mit einer L\u00f6sung von kohlensaurem Natron durch eine der W. Sadler'sehen *) \u00e4hnliche Vorrichtung gef\u00fcllt war, verbunden und die Abscisse genommen. Die Klemme von der Carotis wurde entfernt und der Normaldruck bestimmt. Dann f\u00fchrte ich das Messer in das erste am meisten nach vorn gelegene Paar Oeffnungen hinein und suchte auf dieser Stelle einen Theil des Gehirns ganz abzutrennen.\nDer Rlutdruck blieb auf derselben H\u00f6he. Darauf f\u00fchrte ich das Messer in das 2te Paar der Oeffnungen und senkte das-\n1) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Vierter Jahrgang 1867. p. 80.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"141] Die tonischen u. reflector. Centren der Gef\u00e4ssnerven. 27\nselbe ebenfalls bis auf den Grund. Der Druck stieg in die H\u00f6he, fiel aber nach einiger Zeit wieder apf denselben Stand. Als ich nun in das 3te Paar Oeffnungen das Messer auf dieselbe Weise einf\u00fchrte, so stieg der Blutdruck noch h\u00f6her als das letzte Mal und fiel nach einigen Minuten auf seinen fr\u00fcheren normalen Stand. Dieser Schnitt, der einen h\u00f6heren Stand des Quecksilbers im Manometer hervorrief, fiel in die Vierh\u00fcgel und durch-schnitt dieselben mitten durch. Bis an die hintere Grenze der Vierh\u00fcgel (vom Grosshirn an gerechnet) kann also der Schnitt gef\u00fchrt werden, ohne dass eine L\u00e4hmung der Gef\u00e4ssnerven Platz greift. Demnach k\u00f6nnen die Orte, von welchen sie ihre tonische Erregung empfangen, nicht oberhalb der genannten Grenze gelegen sein. Die Verletzung der Vierh\u00fcgel ist jedoch nach den mitgetheilten Versuchen f\u00fcr die Gef\u00e4ssnerven nicht gleichgiltig. Denn jedesmal rief dieser Eingriff eine vor\u00fcbergehende Erregung derselben hervor. Gegenw\u00e4rtig haben wir kein Kennzeichen daf\u00fcr, ob dieselbe reflectorischer Natur ist, oder ob sie bedingt wurde durch unmittelbare Reizung von vasomotorischen Fasern, die \u00fcber das verl\u00e4ngerte Mark hinausgreifen.\nDas 4te Paar Oeffnungen fiel hinter die sut. lambdoidea. Das in diese Oeffnungen eingef\u00fchrte Messer trennte entweder die Vierh\u00fcgel von dem verl\u00e4ngerten Marke geradezu ab, oder es fiel der Schnitt ungef\u00e4hr einen Millimeter tiefer. War der Schnitt unmittelbar hinter die Vierh\u00fcgel oder gar in ihren \u00e4ussersten Rand selbst gefallen, so geschah ein schwaches Steigen mit darauf folgender R\u00fcckkehr auf den Normalstand. Hatte dagegen das Messer einen Millimeter oder etwas mehr unterhalb der Vierh\u00fcgel eingeschnitten, so beobachtete man ein betr\u00e4chtliches und dauerndes Sinken des Manometerstandes. Da diese Erscheinung ganz constant auftrat, so konnte daraus der Schluss gezogen werden, dass in dem Marktheile, der nach unten um I Millimeter von den Vierh\u00fcgeln entfernt liegt, ein Theil jener Apparate enthalten ist, welche die Gef\u00e4ssnerven beherrschen.\nNach dieser Erfahrung schritt ich nun zu der Pr\u00fcfung, ob durch die Verletzung der eben erw\u00e4hnten Stelle auch die reflecto-rischeErregung beeintr\u00e4chtigt sei, welche auf Reizung sensibler Nerven im vasomotorischen System eintritt. Die Reobachtung ergab, dass dieses nicht der Fall sei. Denn in Folge der Reizung des n. depressor trat ein weiteres Sinken des Druckes, w\u00e4hrend","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nPu. 0 WS J AN NI KO W,\n[142\nder Reizung des n. auricularis posterior dagegen ebenso wie nach der des n. ischiadicus ein Steigen desselben ein. Demnach waren die Apparate, welche den Tonus auf reflectischem Wege erniedrigen, wie die, welche ihn erh\u00f6hen, noch in Wirksamkeit. Da die Ausl\u00f6sung der Erregung durch einen Zweig des n. vagus und durch die obersten wie durch die untersten sensiblen Wurzeln des R\u00fcckenmarkes zu erzielen war, so d\u00fcrfte auch der Schluss erlaubt sein, dass noch alle sensibeln Wurzeln die Ge-f\u00e4ssnerven reflectorisch erregen konnten. Liesse es sich auch noch ausserdem , was bisher nicht m\u00f6glich, nachweisen, dass alle sensiblen Nerven in gleichem Grade wie vor Anlegung des Schnittes wirksam waren, so w\u00fcrde mit Restimmtheit zu schliessen sein, dass in den obersten Abschnitten des verl\u00e4ngerten Markes ein Organ gelegen w\u00e4re, das unabh\u00e4ngig von aller reflectorischen Wirkung einen tonisirenden Einfluss auf die Ge-f\u00e4ssnerven \u00fcbte. Damit w\u00e4re, wie es scheint, die Anwesenheit eines automatischen Erregungswerkzeuges erwiesen.\nEs galt nun, weitere Schnitte zu f\u00fchren. Der neue Schnitt, der gemacht wurde, fiel um etwa 2 Millimeter niedriger und wurde von einem noch tieferen Sinken des Blutdruckes begleitet. Die Reizungen des Depressors und des Ischiadicus gaben ein \u00e4hnliches Resultat wie die oben angef\u00fchrten, nur mit dem sehr beachtenswerthen Unterschiede, dass die positiven oder negativen Aenderungen des Druckes nicht mehr so hoch waren, wie nach dem fr\u00fcheren Schnitte. Der folgende Schnitt fiel 2 \u2014 3 Millim. tiefer; nach ihm sank der Blutdruck bedeutend herab. Die Reizungen der n. depressores und der n. ischiadici blieben nun ohne Erfolg. Der Blutdruck verharrte w\u00e4hrend derselben auf seinem Stande.\nDa die tieferen Schnitte an der Sache nichts weiter \u00e4nderten, so wird man zu dem Ausspruche gen\u00f6thigt sein, dass mit dem letzten der oben genannten Schnitte die niedrigste Grenze der erregenden Gef\u00e4ssnervencentra erreicht war.\nDas Resultat der vorstehenden Versuche l\u00e4sst sich also kurz dahin aussprechen, dass die Orte, welchen die Gef\u00e4ssnerven des Kaninchens ihre tonische Erregung verdanken, in einem Raume gelegen sind, dessen obere Grenze ein bis zwei Millimeter unterhalb der Vierh\u00fcgel und dessen untere vier bis f\u00fcnf Millimeter oberhalb des calam. scriptorius gelegen ist. In der Richtung","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"1 43] Die tonischen u. reflector. Centren der Gef\u00e4ssnerven. 29\nvon oben nach unten nehmen also die erregenden Orte einen Raum von etwa 4 Millimeter ein.\nMeine Versuche haben mich ausserdem dar\u00fcber belehrt, dass die genannten Orte nicht unmittelbar die Mittellinie des verl\u00e4ngerten Markes ber\u00fchren, sondern seitw\u00e4rts liegen. Man kann n\u00e4mlich, vorausgesetzt dass man sich in der Mittellinie des verl\u00e4ngerten Markes h\u00e4lt, mit den Schnitten weit nach unten herabsteigen, ohne dass hierdurch eine Ver\u00e4nderung des Blutdrucks eintritt, und ohne dass die gew\u00f6hnliche .Folge der Reizung des nerv, ischiadicus beeintr\u00e4chtigt wird.\nNachdem ich dem Leser einen Versuch Schritt f\u00fcr Schritt vorgef\u00fchrt habe, mit dem Hinweis auf eine Methode, welche die Resultate in Zahlen ausdr\u00fccken kann, also keine T\u00e4uschungen zul\u00e4sst, wie jene Untersuchungen, in denen die Erweiterung oder Zusammenziehung der Gef\u00e4sse mit blossem Auge verfolgt wurde, lege ich eine Tabelle vor, in welcher als Beispiel ein Theil meiner Versuche an Kaninchen verzeichnet ist. (Siehe die Tabelle auf folgender Seite.)","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nPH. OWSJANNIKOW.\n[\u25a0I 44\nReihenfolge d. Versuche.\neu S3 \u25ba< 2 p s'e 3 \u201c \u00bb \u00a3Lg\np.\u00ae H\ns \u00bb &s\nCS \u00bb s.\n3\na\na\nCIQ ,\nP\t\u201e\nS*D 2. 5* 8 SfOQ COO 5 g \u00a7\no eras 3 3\n5\u2019 \u2014 \u25a0*\u2022 \u00f6\no \u00fb. M 3\n. \u00ae oa <z>\t^\n05\n5\u2018\ner \u00a3f\n\u25a0\u2014\u2022 CD\nc\u00bb 3 '\n\u25a0t < cO o\nO 3\nC\u00df CD\n\u00bb5* 5! c\n3 3 . Q-CfQ |\n\\ a\n3 2.\ns\u00abr<K\n\u00a7 s\n\u00ab3\t\"\n\u00b0 \u00db.\nP-\u00ab\nPS 2.\nff 2\no 2 -j ~\nET* O- ^ \u2022*\n5* a\nPL CD\n3-.cS:\n03 O 3*\n\u00a7.* g.\n\u2022 Q,\noo \u00ae \u00b0\u00ee\nCO \u00ab3\nCD\n\u00d6S\n3* D\nO CIQ\ner cp\n(Z)\nCfQ 3* 05 CD *p\n^ 3 S\n\u201c\t3\nts*H ai\nC: Pi o\nas o> cp \u00ae P p\n&\tp*\n\u00bb ggg1 ts'g.g' \u2022t\t^ 5.\n3 ^\n03\ncd\nCD\n3 3\ncg N\n3 2.\nCD\nCfQ\na o<\n<*> \u00eb?\u00bb\n3* CD\na\nC\u00df CD\ngrg\no.cS ^\n\u2019 \u00a3L 05 *\nc* 3\n\u2014 pd\n8 2.\n3\u201c N\n55\u2019?\u00bb : o. -, c\nEn s\u00ae\nO CD\nh; n\n\u00bb qs .\no. .\n\u2022 Cu\nff 5\u00ae o 2. g; n\n03 CJQ C- \u2018\t00\n\u2022 O-os\nco 3\ng* e\u00bb\n\u00a7 g.\nif g\nCO JL\n^ o' g CPP \u00bb po* ^ \u00a3.\u2018\ner*\u2019\" a 5*\n5\n3c\u00df\nM* C5\n3 5*\noo","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"145] Die tonischen u. reflector. Centren der Gef\u00e4ssnerven. 31\nBest\u00e4tigung der Versuche an Katzen. Weitere Bemerkungen. Die Resultate, die ich zu Leipzig an Kaninchen gewann, best\u00e4tigten sich hier in Petersburg auch an Katzen. Auch bei diesen Thieren nehmen die Gef\u00e4ssnerven-centra einen ebenso kleinen Raum ein und liegen auf der analogen Stelle.\nFolgendes ist zu den mitgetheilten Resultaten hinzuzuf\u00fcgen.\nDas kleine Gehirn steht in gar keiner Beziehung zu den erregenden Centren der Gef\u00e4ssnerven. Es kann theilweise oder ganz entfernt werden, ohne dass irgend eine Erniedrigung oder Erh\u00f6hung des Druckes bemerkt werden kann. Ich lenke auf diesen Versuch die Aufmerksamkeit des Lesers, weil manche Beobachter einen Einfluss des Kleinhirns auf den Blutdruck glauben annehmen zu m\u00fcssen.\nIn Betreff der H\u00f6he des Blutdrucks ist noch zu erw\u00e4hnen, dass ich ein Mal bei einer Katze, das zweite Mal beim Kaninchen (siehe Versuch 8 der Tabelle) den Druck von vorn herein unverh\u00e4ltnissm\u00e4ssig niedrig gefunden habe. Beim Kaninchen hob sich dieser merkw\u00fcrdigerweise gleich nach dem Schnitte vor den Gef\u00e4ssnervencentren, w\u00e4hrend er bei der Katze im Laufe des ganzen Versuches sehr niedrig verharrte.\nFerner verdient der Erw\u00e4hnung noch eine sehr interessante Erscheinung, die ich mehrere Mal zu sehen Gelegenheit hatte und die, wie ich glaube, zur Zeit noch nicht gen\u00fcgend erkl\u00e4rt werden kann. Es zeigt sich n\u00e4mlich nach dem Schnitte unmittelbar vor den Gef\u00e4ssnervencentren eine sehr regelm\u00e4ssige Schwankung des Druckes, die lange anh\u00e4lt. Durch die Reizung des Ischiadicus stieg der Druck sehr hoch, nachdem aber die Reizung beendet und der Druck wieder abgesunken war, fingen die fr\u00fcheren Schwankungen wieder von neuem an. Sie werden zum Verschwinden gebracht durch die Abtrennung der Gef\u00e4ss-nervencentra. Bei diesen Schwankungen war nicht allein die H\u00f6he und Tiefe des Druckes, sondern es war auch eine gewisse Regelm\u00e4ssigkeit des periodischen Wechsels zu bemerken. So fielen einmal auf eine solche Druckschwankung 8 Respirationen, dann 9, dann wieder 8, wieder 9 u. s. w.\nIn den Versuchen, die ich an Katzen anstellte, zeigte sich mir eine Erscheinung, die, obwohl sie auch an Kaninchen vorkam, doch dort nicht so in die Augen fiel. Der Unterschied der Deutlichkeit ist darin begr\u00fcndet, dass bei Katzen der Herzschlag","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nPu. Owsjan.mkow,\n[146\nselbst nach Durchschneidung der Yagi sehr viel langsamer als bei den Kaninchen ist. Jedes Mal, wenn ich den Ischiadicus reizte, oder einen Schnitt im Gehirn vor den Gef\u00e4ssnervencen-tren ausf\u00fchrte und die beiden Operationen einen erh\u00f6hten Druck hervorriefen, sah ich eine bedeutende Beschleunigung der Pulsschl\u00e4ge. Demnach trat auch jedesmal eine Reizung der n. cordis acc\u00e9l\u00e9rantes ein.\nIn den F\u00e4llen, wo die Respirationscurven vor der Reizung oder Durchschneidung sehr schwach ausgepr\u00e4gt oder gar nicht sichtbar waren, erschienen sie nach der Durchschneidung oder Reizung sehr deutlich und waren namentlich stete Begleiter des beschleunigten Herzschlages. Verminderte sich die Zahl der Herzschl\u00e4ge, so wurden auch die Respirationscurven undeutlicher. Dieselben Erscheinungen treten auch dann mit derselben Regelm\u00e4ssigkeit ein, wenn das von den Gef\u00e4ssnervencen-tren getrennte R\u00fcckenmark electrisch gereizt wurde.\nBeil\u00e4ufige Mittheilung \u00fcber die Wirkung des Chloralhydrats auf die Gef\u00e4ssnerven. Ich will ganz in K\u00fcrze anf\u00fchren, dass ich auch einige Versuche mit Chloral-hydrat gemacht habe. Die Wirkung dieses Stoffes war f\u00fcr mich in so fern von Bedeutung, als dasselbe speciell auf Gef\u00e4ssnerven wirkt. Ich habe den Kaninchen mehrmals kleine Dosen 0,125 Grm. (4 bis 5 solcher Dosen werden von den meisten Kaninchen recht gut ertragen) in die Vene eingespritzt. Waren dieThiere fr\u00fcher curarisirt oder nicht, jedesmal erfolgte ein Sinken des Blutdrucks, das bei den ersten Dosen nur einige Secun-den anhielt. Sp\u00e4ter fiel der Blutdruck sehr tief und zwar auf dieselbe Stufe, auf welche er zu sinken pflegt, wenn die Gef\u00e4ss-nervencentra entfernt werden, zuweilen noch niedriger. Ich habe F\u00e4lle gesehen, wo der Blutdruck 4 \u2014 6 Millim. \u00fcber der Abscisse stand, w\u00e4hrend das Herz \u00fcber eine Stunde beim k\u00fcnstlichen Ath-men zu schlagen forlfuhr. Die Th\u00e4tigkeit des Herzens bei einem so niedrigen Stande des Blutdrucks ist jedenfalls beachtenswerth. Wenn dem curarisirten oder normalen Kaninchen zwei bis drei der obengenannten Dosen von Chloralhydrat in die Vene eingespritzt wurden und der Blutdruck schon merklich herabgesunken war, so konnte durch die Reizung des centralen Endes vom n. vagus, saphenus oder ischiadicus der Blutdruck gehoben werden. Jedoch niemals auf dieselbe H\u00f6he wie beim normalen Thiere. Nicht alle Mal, aber in sehr vielen F\u00e4llen sah ich vor","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"1 47] Die tonischen u. reflector. Centren der Gef\u00e4ssnerven. 33\ndem Steigen des Druckes ein schwaches und kurz andauerndes Sinken vorangehen. Bei noch st\u00e4rkeren Vergiftungen habe ich weder ein Steigen, noch Sinken des Druckes beobachtet, aber einen regelm\u00e4ssigen um f\u00fcnf bis acht Mal langsameren Herzschlag. Die Herzschl\u00e4ge wraren voller und st\u00e4rker. Die genannten Erscheinungen traten ein, trotzdem dass die beiden Vagi durchschnitten waren.\nNach starken Dosen, wenn der Blutdruck sehr bedeutend herabgesunken war. rief die Beizung des Ischiadicus und anderer Nerven keine Blutdrucksteigerung mehr hervor. Es war dann ganz dieselbe Erscheinung zu beobachten, die man jedesmal nach dem Ablrennen der Gef\u00e4ssnervencentra sehen kann. Bei den Untersuchungen mit Chloralhydrat habe ich \u00f6fter die Temperatur des Anus gemessen und dabei gefunden, dass sie ganz allm\u00e4hlig absank, wobei es gleichgiltig war, ob der Blutdruck, den das Manometer anzeigte, im Aufsteigen oder Absinken begriffen war; somit scheint also die Abnahme der Temperatur von den Schwankungen desBlutdrucks unabh\u00e4ngigzu sein.\nSt. Petersburg, 17. April 1871.\n3","page":33}],"identifier":"lit1378","issued":"1871","language":"de","pages":"21-33","startpages":"21","title":"Die tonischen und reflektorischen Centren der Gef\u00e4\u00dfnerven","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:59:58.868472+00:00"}