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Beobachtungen über das Nervensystem und die sensiblen Erscheinungen der Seesterne

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{"created":"2022-01-31T14:26:11.227938+00:00","id":"lit13948","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Tiedemann, Friedrich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 1: 161-175","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Deutfches Archiv\nf\u00fcr die\nPHYSIOLOGIE.\nErster Band. Zweites Heft.\nI.\nBeobachtungen\n\u00fcber\ndas Nerven f y f C e m\nund\ndie fen/iblen Erscheinungen der Seefterne.\nVon\nFriedrich Tiedemann\nIm Jahre ,1811 hielt ich mich l\u00e4ngere Zeit an cfea K\u00fcften des adriatifchen Meeres auf, um die von dem franz\u00f6fifchen Inftitut aufgeftellte Preisfrage : \u201e ob in den Seefternen, Seeigeln und Holothurien ein Kreislauf des Bluts Statt finde,\u201c durch Unterteilungen und\nI) Daft die von Herrn Spix an der kleinen Afterias rubens in de_ Annales du Muf\u00e9um d\u2019hiftoire naturelle T. i;. p. 4i9 befetnie benen und Tab. is f. 3. b. abgebildeten F\u00e4den, keine Neben fondern fehnenartige F\u00e4den find, werde ich in meiner Schrift ,\u00fcber den Bau der Seefterne, der Seeigel und Holothurien dar. thun.\nM, d. Archiv. 1, 2.\nL","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"163\nBeobachtungen an lebenden Thieren zu beantworten. Da ich ftets viele diefer Thiere lebend in grofsen h\u00f6lzernen Gef\u00e4fsen mit Meerwaffer gef\u00fcllt in meiner Wohnung aufbewahrte, fo hatte ich oft Gelegenheit Beobachtungen \u00fcber ihren hohen Grad von Empfindlichkeit anzuftellen.\nEinige an dem grofsen pomeranzfarbenen Seeftern (Afterias aurantiaca L.) gemachte Beobachtungen will ich hier mittheilen. Ich habe mehrere Thiere der Art lebend gefehen, welche von der Spitze eines Strahls bis zur Spitze des entgegengefetzten 15 bis 18 Zbll ixn Durchmeffer hatten.\nSeefterne, welche fo; eben aus d\u00e9m Meere genommen wurden, bewegten die an der untern Fl\u00e4che der Strahlen in zwei Reihen liegenden turgefcirenden Tentakeln lehr lebhaft, und kr\u00fcmmten fie in mancherlei Richtungen. Wenn ich dieselben ber\u00fchrte, fo contrahirten fie fich, und das Thier zog fie gegen die Rinne des Strahls, an. Diefe Tentakeln, welche man \u00e0uch F\u00fcfschert nennen kann, weil fie zugleich Organe der -Qrtsbewegung find, haben eine cylindri-\u25a0 fche Geftalt und werden gegen ihr'unteres freies Ende \u2018allrn\u00e4hlig. kegelf\u00f6rmig. Das Ende felbft nimmt die Geftalt eines Saugn\u00e4pfchens oder Teilerchens au\u00bb wenn fich das. Thier beim Fortfehreiten mittelft derfelben an Gegenft\u00e4nde anh\u00e4ngt. Jedes Tenta-.cultim fetzt fich durch ein Loch zwifchen den Quer-fortf\u00e4tzen zweier Wirbel eines Strahls in die Hohle des Strahls fort und bildet hier zwei abgerundete","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"j163\novale Bl\u00e4schen, welche an der Seite des Wirbels liegen. Wenn man daher die H\u00f6hle eines Strahls von oben \u00f6ffnet, und die beiden mit dem Magen in Verbindung flehenden Blindd\u00e4rme, welche in neuerer Zeit fehr irrig f\u00fcr Leberlappen gehalten worden find, wegnimmt, fo erfcheinen vier Reihen paarweife neben einander liegender, r\u00f6thlich weifser, ovaler Bl\u00e4schen, welche, kleiner werdend, lieh bis zur Spitze des Strahls erflre-cken, und den zwei Reihen der an der untern Fl\u00e4che jedes Strahls liegenden Tentakeln angeh\u00f6ren. Die Tentakeln und Bl\u00e4schen find hohl und enthalten eine helle, durchfichtige Fl\u00fcffigkeit, welche durch die Zweige eines befondern, von mir entdeckten Gef\u00e4fs-fyftems in die H\u00f6hle der Tentakeln zugef\u00fchrt wird. Diefes h\u00f6chft merkw\u00fcrdige Gef\u00e4fsfyftem, welches den Seefternen, Seeigeln und Holothurien eigenth\u00fcmlich ift, und von dem ebenfalls in diefen Thieren vorkommenden Gef\u00e4fsfyftem des Kreislaufs des Bluts durchaus verfchieden ift, werde ich in meinem gr\u00f6fsern Werke \u00fcber den Bau der eben genannten Thiere ausf\u00fchrlich befchreiben. Die W\u00e4nde der Tentakeln und Bl\u00e4schen find mit deutlich\u00e8n blafsrotheh und zirkelf\u00f6rmigen Muskelfafern verfehen. An den Tentakeln nimmt man auch noch eine Lage von L\u00e4n-genfafern wahr. Die im Leben fehr empfindlichen und contractilen Tentakeln und Bl\u00e4schen flehen in einem Antagonismus ; reizt man n\u00e4mlich die Bl\u00e4schen mittelft fcharfer Inftrumente oder durch Befeuchten mit Weingeift, fo contrahiren fie fich und treiben die in ihnen enthaltene Fl\u00fcffigkeit in die hohlen Tenta-\nL a","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nkein, ctiefe verl\u00e4ngern fich nun und erigiren fich durch die in fie eingetrieb\u00e8ne Fl\u00fcffigk\u00ebit. Reizt man dagegen die Tentakeln zur Contraction, fo ftr\u00f6mt die in ihnen enthaltene Fl\u00fcffigk\u00ebit in die Bl\u00e4schen zur\u00fcck, welche nun expandirt und mit Fl\u00fcffigk\u00ebit angef\u00fcllt werden. Durch diefen Antagonismus in der Expan-fion und Contraction, welcher zwifchen den Tentakeln und Bl\u00e4schen Statt findet, bringen die Seefterne die \u00d6rtsbewegung hervor. Beim Gehen und Fort-fchreiten der Seefterne find die Tentakeln expandirt, mit Fl\u00fcffigk\u00ebit angef\u00fcllt, und alfo im Zuftande der Erection; dagegen aber find dann die Bl\u00e4schen con-trahirt und leer. Bewegen fich die Seefterne nicht lind find die Ftifschen in die Rinnen der Strahlen eingezogen, fo find die Bl\u00e4schen expandirt und mit Fl\u00fcf-figkeit angef\u00fcllt. Die Bewegung der Tentakeln nach vorn, nach hinten und \u00fcberhaupt nach allen Seiten, wird durch die Action der Muskelfafern bewirkt. Bei Afterias rubens, und equeftris, fo wie bei Aftro-pecten mefodifons Linkii habe ich denfelben Bau der Tentakeln und Bl\u00e4schen gefunden, auch habe ich beobachtet, dafs fie diefelbe Function wie beim pome-ranzenfarbenen Seeftern haben. Die Zahl der Tentakeln an jedem Strahl ift bei letzterem Seeftern ver-fchicden nach der Gr\u00f6fse derfelben. An einem fehr grofsen pomeranzfarbenen Seeftern z\u00e4hlte ich in einer Reihe\u2019eines Strahls vier und achtzig Tentakeln, alfo an einem Strahl hundert und acht und fechzig, und an allen f\u00fcnf Strahlen achthundert und vierzig Tentakeln. Da jedes Tentaculum fich mit zwei Bl\u00e4schen","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"endigt, fo betrug alfo die Zahl aller Bl\u00e4schen fech-\u25a0zehn hundert und achtzig.\nNach diefer Digreffion \u00fcber den Bau der Tentakeln kehre ich zur Erz\u00e4hlung der Beobachtungen an lebenden Seefternen zur\u00fcck. Die aus dem Meer genommenen Seefterne zogen beim Ber\u00fchren die Tentakeln in die Rinnen der Strahlen zur\u00fcck. Die nach oben die Strahlen deckende und fcliliefsencle Haut contrahirte fich, und die auf diefer Haut anfitzenden Refpirations - R\u00f6hrchen fpritzten das in ihnen enthaltene Waffer aus. Legte ich die Seefterne in ein mit Meerwaffer gef\u00fclltes Gef\u00e4fs, fo fingen fie nach und nach an, die Tentakeln auszuftrecken und zu bewegen; auch die Haut dehnte fich aus und erhob fich etwas. An Seefternen, welche ich in ein flaches Gef\u00e4fs gelegt hatte, und deren Oberfl\u00e4che nur in einer H\u00f6he von einem halben Zolle mit Waffer bedeckt war, habe ich \u00f6fters bemerkt, dafs fich die Haut lang-fam ausdehnte und wieder zufammenzog, und dafs hierbei das Waffer in eine wirbelnde Bewegung ge-rieth, befonders an denjenigen Stellen der Haut, wo fich die zuvor genannten Refpirations - R\u00f6hrchen befinden. Es ift mir fehr wahrfcheinlich, dafs bei die-fen abwechfelnden Expanfionen und Gontractionen der Haut Waffer durch die R\u00f6hrchen aufgenommeH und wieder ausgeftofsen werde, und dafs demnach jene wirbelnde Bewegung d,es Waffers vom Ein- und Aus-ftr\u00f6men des Waffers durch die R\u00f6hrchen herr\u00fchre.\nDie in die mit Meerwaffer gef\u00fcllten Gef\u00e4fse gelegten Seefterne begonnen gew\u00f6hnlich fehr bald auf","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nden Boden der Gef\u00e4fse fortzufchreiten. Hierbei ift die in der Mitte der untern Fl\u00e4che liegende Mund\u00f6ffnung nach unten gerichtet, und alle ausgeftreckten und im Zuftancl der Turgefcenz oder Erection befindlichen Tentakeln find in Bewegung. Ein-Th eil der-felben wird nach vorn bewegt, in der Richtung n\u00e4mlich, in welcher das Thier, fortfehreiten will; die an der Spitze der Tentakeln befindlichen Saugn\u00e4pfchen oder Tellerchen faugen lieh an die Gegenft\u00e4nde feft, und ziehen den K\u00f6rper des Thieres nach; ein anderer Theil der Tentakeln wird angezogen, um nach vorn bewegt zu werden ; und fo erfolgt das Anziehen, das Vorw\u00e4rtsbewegen und das Anfaugen der Tentakeln abwechfelnd, in fchneller oder langfamer Folge, je nachdem das Thier fchnell oder langfam fortfehrei-tet. Auf einer ebnen Fl\u00e4che bewegten fich die See-fterne ziemlich fchnell; ihre Bewegungen aber wurden langfam, wenn ich auf den Boden des Gef\u00e4fses einige Steine gelegt hatte, \u00fcber welche fie fortfehrei-ten mufsten. Beim Gehen lieht unbeftimmt bald die Spitze des einen, bald die Spitze des andern Strahls nach der Richtung, in welcher fie fich fortbewegen.\nMitteilt der beim Fortfehreiten nach vorn bewegten Tentakeln exploriren die Seefterne den Weg, den fie einfchlagen, fo wie die Gegenft\u00e4nde, welche ihnen aufftofsen; gleich Blinden, welche beim Gehen einen Stab ausftrecken und mittelft deffelben berum-taften. Wenn ich mehrere Seefterne in einem grofsen Gef\u00e4fse hatte, worin fie fich frei bewegen konnten, fo habe ich fehr oft ihren zarten Tai'tfinn bewundern","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"167\nmuffen, denn niemals rannten oder ftiefsen fie gegen einander an, fondern mittelft der Tentakeln, durch, deren zartes Ber\u00fchren fie fich einander wahrnehmen, weichen fie behutfam aus. Befonders vorfichtig waren fie in ihren Bewegungen , wenn fich Seeigel in demfel-fcen Gef\u00e4fs befanden.\nDie.jSeefterne k\u00f6nnen die Strahlen willk\u00fchrlich einander n\u00e4her bringen \u00f6der ^on einander entfernen, fo dafs folglich die Winkel zwifchen den Strahlen bald fpitzer bald ftumpfer werden. Die Bewegung der Strahlen, welche durch die ftellenweifen Zufammen-ziehungen der contractilen Haut bewirkt wird, richtet fich nach den Umgebungen, zwifchen welchen cfie Seefterne gehen. So habe ich mehrmals gefehen, dafs Seefterne in einem Gef\u00e4fs, in das ich einige grofse Steine gelegt hatte, welche die ganze Ausbreitung des K\u00f6rpers beim Fortfehreiten hinderten, zwei Strahlen nach vorn bewegten und gegen einander anzogen, w\u00e4hrend fie die \u00fcbrigen Strahlen nach hinten bewegten und einander n\u00e4her brachten. Auf diefe Weife fchmaler geworden ,t konnten die Thiere nach mehreren Verfuchen den engen Baum paffiren. Die Seefterne k\u00f6nnen auch willk\u00fchrlich die Strahlen nach oben bewegen und aufrichten, ja felbft nach oben und innen umbeugen. Dies gefchah ebenfalls h\u00e4ufig, wenn fie fich zwifchen grofsen Steinen fortbewegten. Uebrigens kriechen und gehen diefe Thiere nicht- allein auf horizontalen und fchiefen Fl\u00e4chen, fondern felbft auf fenkrechten Fl\u00e4chen, denn die Seefterne, welche ich aufbewahrt habe, krochen oft an den W\u00e4nden des","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nGef\u00e4fses herauf, wobei die an den Spitzen der Tentakeln befindlichen Saugn\u00e4pfchen oder Saugw\u00e4rzchen den K\u00f6rper an der Wand des Gef\u00e4fses befeftigten.\nLegt man Seefterne auf die obere Fl\u00e4che oder auf den R\u00fccken, fo, dafs alfo die Mund\u00f6ffnuns und\n\u00d6\ndie Tentakeln nach oben gerichtet find, fo bleiben fie nicht lange in diefer Lage, fondern fie ft\u00fclpen den ganzen K\u00f6rper wieder auf folgende Art : fie kr\u00fcmmen die Spitze eines oder zweier neben einander liegender Strahlen nach unten gegen den Boden des Gef\u00e4fses um, faugen fich mit den Tentakeln an den Boden des Gef\u00e4fses an, richten den K\u00f6rper nach und nach auf, und legen ihn dann allm\u00e4hlig um, fo, dafs die Mund\u00f6ffnung und die Tentakeln wieder nach unten gerichtet werden. Ich habe diefen ,Verfuch mehrmals mit gleichem Erfolge wiederholt. Der pome-ranzfarbene Seeftern, der rothe und der ftachelige Seeftern k\u00f6nnen nicht fchwimmen, wenigftens habe, ich diefe Bewegung niemals beobachtet.\nDie Tentakeln zeigten eine grofse Empfindlichkeit f\u00fcr den galvanifchen Reiz. Wenn ich den einen Pol einer nur aus vierzehn Platten-Paaren (n\u00e4mlich Zinn und Kupferplatten) gebildeten galvanifchen S\u00e4ule an die Tentakeln, den andern Pol aber an die contractile Haut Brachte, fo erfolgten fogleich lebhafte Contractionen der Tentakeln. Daffelbe erfolgte ebenfalls , wenn ich beide Pole mit den Tentakeln in Verbindung brachte.\nAus den angegebenen Erfcheinungen des fo fehr entwickelten Taftfinnes, - fo wie befonders aus den","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"regelm\u00e4fsig erfolgenden Bewegungen der Seefterne, vermuthete ich, dafs diefe Thiere ein Nervenfyfteai befitzen m\u00fcfsten, weil ohne deffen Exiftenz die Einheit in der Bewegung der grofsen Anzahl von Tentakeln oder Falschen nicht wohl zu begreifen ift. Die Lebens\u00e4ufserUngen der Tentakeln, ohne ein Ner-venfyftem, welches die Bewegungen derfelben regelte und in Einheit br\u00e4chte, fchienen mir eher ein Chaos von Bewegungen hervorzubringen, als fo regelm\u00e4fsige und geordnete Bewegungen, wie ich fie bei dielen Thieren wahrnahm. Die Bewegungen aller Tentakeln erfolgten fo beftimmt und \u00fcbereinftimmend, dafs fie das Fortfehreiten des Thiers nach diefer oder jener Richtung bewirkten. Aeufsfere Gegenft\u00e4nde, Seeigel, andere Seefterne, die Hand u. f. w. beftimmten die Thiere, ihrem Fortfehreiten eine andere Richtung zu geben, jedoch wieder freywillig eine jede andere beliebige Richtung.\nObgleich ich die Exiftenz eines Nervenfyftems aus den eben angegebenen Gr\u00fcnden vermuthete, fo blieben doch lange Zeit meine Bem\u00fchungen, daffelbe aufzufinden, ohne gl\u00fccklichen Erfolg. Dafs die von Herrn Spix als Nerven befchriebenen und abgebildeten weifsen Faden, welche im Innern zu beiden Seiten der Wirbel jedes Strahls liegen, keine Nerven, fondent fehnenartige F\u00e4den find, die von den K\u00f6rpern der Wirbel entfpringen, und an die W\u00e4nde des Magens gehen, dies lehrte mich fchon der blofse Anblick derfelben, und genauere Unterfuchungen machten es gewifs. Endlich, nach vielen Unterfuchungen,","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nbin ich fo gl\u00fccklich gewefen, das Nervenfyftem an der untern Fl\u00e4che des K\u00f6rpers zu finden. Wenn man dielen Theil unterfucht, fo findet man ein kreisf\u00f6rmiges, mit einer orangegelben Fl\u00fcffigkeit angef\u00fclltes Gef als, welches unter einer zarten Haut liegt und die Mund\u00f6ffnung kreisf\u00f6rmig umgiebt. Aus diefem Ge-f\u00e4fs entfpringen f\u00fcnf Aefte, welche in den Rinnen der f\u00fcnf Strahlen zwifchen den beiden Reihen der Tentakeln | verlaufen. Nachdem ich diefes Gef\u00e4fs mit feinen Aeften behutfam weggenommen hatte, fo erblickte ich einen weifslichen Ring (Fig. i. a. a. ), welcher die Mund\u00f6ffnung umgab. Er fchickte zu jedem Strahl einen zarten Faden (c. c.) ab, welcher in der Rinne des Strahls zwifchen den beiden Reihen der Tentakeln, kleiner werdend, bis zur Spitze des Strahls verlief. Die in den Rinnen der Strahlen liegenden Nervenf\u00e4den geben wahrfcheinlich kleinere F\u00e4dchen an die Tentakeln ab; an einigen Stellen glaube ich die-felben mittelft eines Vergr\u00f6fsrungsglafes wahrgenommen zu haben. Aufser den f\u00fcnf F\u00e4den zu den Strahlen entfpringen noch zehn andere kleine F\u00e4den aus dem die Mund\u00f6ffnung umgebenden Nervenringe ; n\u00e4mlich an dem Anfangsft\u00fccke jedes Strahls zwei (b. b.). Diefe zarten F\u00e4den bildeten mit den in der Rinne verlaufenden gr\u00f6fsern Nervenf\u00e4den Winkel, und drangen in die beiden L\u00f6cher ein, durch welche die beiden er-ften Tentakeln hervortreten. Es ift mir nicht m\u00f6glich gewefen, diefe zarten F\u00e4den weiter zu verfolgen. Sehr wahrfcheinlich begeben lieh diefelben zu dem Magen und den Blindd\u00e4rmen. Der Nervenring mit","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"171\ndem aus clemfelben erbringenden Nervenfaden hatte ein graulich weifses Anfehn, und war ungemein zart und weich. Uebrigens mufs ich noch bemerken, dafs ich nirgends Ganglien oder Anfchwellungen, weder im Nervenkranz, noch in den aus demfelben entfprin-genden Nervenfaden wahrgenommen habe.\nEs ift nicht zu bezweifeln, dafs alle Strahlen mit ihren ungemein zahlreichen Tentakeln, fo wie alle \u00fcbrigen Gebilde durch das fo eben befchriebene Ner-venfyftem zur Einheit in der Action gebracht werden, welche ohne eine folche Verbindung durch Nerven nicht wohl begreiflich ift. Hierf\u00fcr fcheinen noch folgende von mir angeftellte Verfuche zu fprechen. Ich habe mehrmals an lebenden Seefternen gr\u00f6fsere und kleinere St\u00fccke von Strahlen losgetrennt. Die Tentakeln der abgetrennten St\u00fccke \u00e4ufserten noch lange Zeit nach der Abtrennung Empfindlichkeit uncf Contractilit\u00e4t, aber es fand kein Fortfehreiten der einzelnen St\u00fccke Statt. Dagegen erfolgten die Bewegungen der Thiere, von denen ich St\u00fccke der Strahlen genommen hatte, fehr regelm\u00e4fsig nach die-fer oder jener Seite, wiewohl langfamer, weil fie einen Theil der Bewegungsorgane verloren hatten. Trennte ich einen oder zwei Strahlen fo von den Thieren ab, dafs der die Mund\u00f6ffnung umgebende Nervenkranz zerfchnitten wurde, fo h\u00f6rte das regel-m\u00e4fsige Fortfehreiten der getrennten Thiere fogleich auf, wiewohl die Tentakeln noch viele Stunden nach der Trennung fich zufammenzogen, wenn ich fie mit-telft fcharfer Inftrumente oder durchs Befeuchten mit","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nW\u00e9ingeift reizte. Sollte es nicht erlaubt feyn hieraus, d\u00e9ii Schlufs zu ziehen, dafs der den Mund umgebende Nervenring der eigentliche Brennpunkt oder das Centrum der Senfxbilit\u00e4t oder der Nerventh\u00e4tigkeit der Seefterne ift !\nEs ift eine bekannte Sache , dafs die Seefterne verloren gegangene Strahlen regeneriren. Ich habe unter der fehr grofsen Anzahl von Seefternen, welche ich beobachtet und zergliedert habe, viele gefunden, welche einen oder zwei kleinere neu erzeugte Strahlen hatten. Niemals jedoch war der kleinere regenerate Strahl von der Mund\u00f6ffnung an neu erzeugt, fondern imtner erft. in gr\u00f6fserer oder kleinerer Entfernung von diefer. Diefe Erfcheinung hat gewifs nur darin ihren Grund, dafs Trennung der Strahlen mit Zerreifsung des NervenringS den Brennpunkt des fen-fiblen Lebens aufhebt, und fomit auch die \u00fcbrigen Actionen, die von diefem abhangen, n\u00e4mlich freie Bewegung, Aufnahme von Nahrung u. f. w., ohne welche dann auch das Regenerations-Verm\u00f6gen aufh\u00f6ren mufs.\nAus der Befchreibung des Nervenfyftems der Seefterne folgt, dafs diefes, fo weit wir es bis jetzt in den Thieren der niedern Klaffen erkannt haben, ein blofser, die Mund\u00f6ffnung umgebender Ring ift, von dem die Nerven ausftrahlen, ohne Ganglien und Anfchwellungen zu befitzen. Diefer Ring findet fich nun confiant, fo viel mir bekannt ift, in allen \u00dcbrigen Klaffen der wirbellofen Thier\u00e9, in den geringsten W\u00fcrmern, Mollusken, Infekten und Kruftaceen","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"wieder, als ein die Speifer\u00f6hre oder das Anfangsft\u00fcck des Darmkanals umgebendes Nervenband. Das Band aber wird, fo wie die aus denselben ausftrahlenden Nerven durch Anfchwellungen oder Ganglien gefteh gert, in gleichem Grad, wie lieh die organifchen Syfteme, befonders die Sinnes-und Bewegungsorgane\nin den eben genannten Thieren vermehren und mehr ausgebildet hervortreten. Es w\u00fcrde leicht feyn, eine Parallels rung zwifchen der fucceffiven Entwicklung und\u2019Steigerung des Nervenfyftems, und der Vervielf\u00e4ltigung und Ausbildung der organifchen Syfteme in den eben genannten Thieren anzuftellen, wenn dies nicht aufser der Gr\u00e4nze diefer Abhandlung l\u00e4ge. Ich kehre daher zu einigen andern fenfiblen Erfcheinun-gen der Seefterne zur\u00fcck.\nDie Seefterne fcheinen auch Gefchmacks - Empfinr d\u00fcngen' zu haben. Dies vermuthe ich aus folgenden Beobachtungen. Wenn der in der Mitte, des K\u00f6rpers liegende Magen leer ift, welches man leicht von au-fsen erkennen kann, indem dann der obere und mittlere Theil des K\u00f6rpers ganz flach und eingefenkt ift, fo ft\u00fclpen fie die kurze Speifer\u00f6hre und den untern Theil des Magens um, der in Geftalt einer weifsen und gefalteten H\u00f6ut aus der Mund\u00f6ffnung hervortritt. Mit diefem Theil des Magens fuchen Tie im Fort-fchreiten ihre Nahrung auf, welche vorz\u00fcglich in Mollusken mit und ohne Geh\u00e4ufen befteht. ln dem Margen der pomeranzfarbnen Seefterne habe ich Fl\u00fcgel-fchnecken, Bohrmufcheln, Meerz\u00e4hne, Stachelfchne-cken, Herzmufcheln, Teilinen , Dreieckmuf\u00e7hein und","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nVenusmufcheln gefunden, auch einmal einen kleinen Seeigel und ein andermal einen kleinen Seeftern von 'der Art, welche man afterias equeftris nennt; dann endlich einigemal kleine Fifche. . Diefe Gegenft\u00e4nde ergreifen die Seefterne mittelft der Tentakeln und halten fie feft. Alsdann umfahren fie mit der nach aufsen umgeft\u00fclpten Speifer\u00f6hre und mit dem Magen die ergriffenen Gegenft\u00e4nde, und ziehen diefelben durch die Mund\u00f6ffnung ein, wobei fich die Strahlen nach den Seiten hin ausdehnen um die Mund\u00f6ffnung zu erweitern. Dies alles gefchieht mit der gr\u00f6fsten Vorficht. Zu meinem grofsen Erftaunen habe ich einigemal bedeutend grofse Stachelfchnecken (Murices) mit allen ihren fpitzigen Stacheln in dem Magen des pomeranzfarbenen Seefterns gefunden. Eine diefer Stachelfchnecken war zwei Zoll lang und einen halben Zoll breit, demohngeachtet waren die zarten W\u00e4nde des Magens nirgends durchbohrt oder verletzt. Die Umft\u00fclpung des Magens habe ich niemals bei denjenigen Seefternen beobachtet, deren Magen fchon angef\u00fcllt war. Die Anf\u00fcllung des Magens erkennt man leicht aus der Erhebung und Ausdehnung des obern und mittleren Theils der Haut, unter welchem der Magen liegt. Die weichen und aufl\u00f6sbaren Theile der durch den Mund aufgenommenen Mollusken, Seeigel, Seefterne und anderer Thiere werden im Magen aufgel\u00f6ft. Die unaufl\u00f6sbaren Theile aber, die Schalen, Geh\u00e4ufe und Stacheln werden wieder durch die Mund\u00f6ffnung ausgeworfen, weil die Seefterne\n/ b\nkeinen After haben. Da die Seefterne ihre Nahrung","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"auffuchen und erkennen r fo l\u00e4fst fich wohl nicht bezweifeln, clafs fie den Gefchmacksfinn befitzen, welcher in der zarten Speifer\u00f6hre und in dem Magen feinen Sitz haben mag, weil fie mit dielen ihre Nahrung erkennen, umfaffen und einziehen.\nEndlich fcheinen die Seefterne auch die Einwirkung des Lichts, zu \u00ef\u00fchlen, ohne Augen zu haben. Hierf\u00fcr fpripht folgende Beobachtung: An einem Tifch, der am Fenfter ftand, und worauf, ich zergliederte, befand fich eine flache Sch\u00fcffel mit See-waffer gef\u00fcllt, worin ich kleine Seefterne von der Art afterias equeftris aufbewahrte; die Sch\u00fcffel war zur H\u00e4lfte befchattet, und zur H\u00e4lfte von der Sonne beleuchtet. Zu meinem grofsen Erftaunen bewegten fich die Seefterne gegen den v\u00f6n der Sonne beleuchteten Theil der Sch\u00fcffel hin. Ich drehte die Sch\u00fcffel fo um, dafs die Seefterne in Schatten kamen, allein bald darauf begabeh fich die Thiere. abermals zu dem beleuchteten Theil. L\u00e4fst fich hieraus nicht eine Empfindlichkeit der Haut f\u00fcr den Lichtreiz ver-mutlien ?\nIch fchliefse diefe Bemerkungen mit der Hoffnung, dafs ich bald eine-Gelegenheit finden werde, mein gr\u00f6fseres Werk \u00fcber den Bau der fo merkw\u00fcrdigen und noch fo wenig bekannten Seefterne, Seeigel und Holothurien heraus zu geben.","page":175},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der KupfertafeL\nFig. i. Die untere Fl\u00e4che des pomeranzfarbenen Seeftems. Zu Seite 16t.\na.\ta. a. Der den Mund umgebende Nervenring.\nb.\tb. F\u00e4den, welche durch das erfte Loch der Wirbel in das Innere des K\u00f6rpers gehen.\nc.\tc. Ein zwilchen den hier abgefchnitten dargeftell*\nten Tentakeln verlaufender Faden.\nFig. a. und 3. Hornauswiichfe. Zu S. 298 ff.\nFig. 2. Hornauswuchs an der Eichel eines Mannes. Fig. 3. Hornauswuchs am Kopfe einer Frau.\nFig. 4. Blafe der Bauchfpeicheldr\u00fcfe. Zu S. 297.\nA. Zw\u00f6lffingerdarm.\n\u00ab. Anfang deffelben, wo er vom Pylorus getrennt ift,\nB. Pankreas.\nb. Oberer Lappen, e. Unterer Lappen deffelbenv'-","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"520'\n0. C, C. Leber.\n(Sie ift von. links nach rechts hin\u00fcber gelegt) fo dafs ihre concave Fl\u00e4che fichtbar wird.).\nd.\tVena portarum.,\ne.\tGallenbl\u00e4fe.\nf.\tDuctus cyfticus\u00bb\ng.\tDuctus hepaticus.\ni Ductus clipletlochus. i. Bl\u00e4schen f\u00fcr den panla-eatifclien Saft. li. Gang deffelben.\n1. I. Gedoppelte Wurzeln des Ductus pancreaticus. in. Geinehtfchaftlicher Stamm von beiden. n. Vereinter Gang von k und m oder Ductus ftalo-dochus.\nq. Zufainmentritt deffelben mit dem Ductus choledo-chul und gemeinfohaMdb.es Ende im Duodenum.","page":320}],"identifier":"lit13948","issued":"1815","language":"de","pages":"161-175","startpages":"161","title":"Beobachtungen \u00fcber das Nervensystem und die sensiblen Erscheinungen der Seesterne","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:26:11.227944+00:00"}

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