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{"created":"2022-01-31T16:21:01.709114+00:00","id":"lit13952","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Sachs, J. T.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 1: 188-201","fulltext":[{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"III.\nEine\nphy\u00dfiologifch - optijche Beobachtung.\nVon dem\nim Jahr 1814 verftorbenen\nD bet\u00f6r' l e g e n s J. T. S a c h s, ordentl. Mitgliede der phyfikal, med. Societat.\nMitgetheilt\nvom Geh. Hofr, u. Prof. Harles.\nUnter die merkw\u00fcrdigften, zugleich aber unter die am wenigften beachteten Variet\u00e4ten und Abnormit\u00e4ten des Ge\u00fcchtsfinnes geh\u00f6ren wohl diejenigen, welche fich in der Wahrnehmung der Farben gefehener \u00e4ufse-rer Gegenft\u00e4nde zeigen. Nicht von den momentanen, durch \u00e4ufsere oder innere Reize erzeugten, Farben-erfcheinungen (Augengefpenftern), noch weniger von den durch Tr\u00fcbung oder F\u00e4rbung der durchfichtigen H\u00e4ute und Feuchtigkeiten des Auges \u00f6fters entftehen-den farbigten Flecken vor den Augen, auch nicht von den aus \u00e4hnlicher Qtfblle entfpringenden Ver\u00e4nderungen des Farbtons des ganzen Gefichtsfeldes ift hier die Rede, fondern von den in dynamifchen Verh\u00e4lt-niffen des Sehorgans begr\u00fcndeten permanenteren Ver-","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"189\nfchiedenheiten der Farbenempfindung, welche ein und daffelbe Object unter gleichen \u00e4ufsern Urnft\u00e4nclen bey verfchiedenen Menfchen, oder auch bey ein und dem-felben Menfchen zu verfchiedenen Zeiten erregt.\nSo giebt es nicht wenige Menfchen, welche ge-wiffe Farben nicht von einander unterfcheiden k\u00f6nnen, oder wenigftens nicht einen fo betr\u00e4chtlichen Unterfchied, wie Andere, zwifchen denfelben finden.\nDiefe Erfcheinung kommt befonders auch als ein Symptom der Akyanoblep\u00dfe vor, d. h. derjenigen Be-fchaffenheit des Sehorgans, bei welcher es alles Blau, fowohl an fich, als in der Vermifchung mit andern Farben nicht, oder nicht als Blau, wahrnimmt, fo dafs ihm ftatt des reinen Blau eine Art von Roth oder (wenn ich bl\u00f6fs auf eine theoretifche Anficht hin eine Vermuthung wagen darf) vielleicht vielmehr ein Grau, als blofser Ausdruck des aKie\u00e7\u00e9t was im Blauen ift, in dem Violetten -n\u00fcr das Rothe, in dem Gr\u00fcnen nur das Gelbe erfcheint. Solche Augen fcheinen \u00fcberhaupt f\u00fcr den Pol der Farbenpolarit\u00e4t, welcher in der blauen Farbenreihe, ; oder beffer auf der blauen Seite des Farbenkreifes herrfcht, in gewiffem Grade, oder auch abfolut, unempfindlich zu feyn; und die Erw\u00e4gung des Umftandes, dafs die Akyanoblep\u00dfe meift mit einiger Schw\u00e4che des Auges verbunden ift, d\u00fcrfte viell\u00e9icht zur Entfcheidung der Frage, ob der blaue Pol als der pofitive oder negative zu betrachten fey, etwas beitragen.\n; Manche Menfchen, die, bei etwas fchwacher Sehkraft, die Formen der Gegenft\u00e4nde ganz deutlich fehen,","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nfind dabey doch beinahe oder g\u00e4nzlich unf\u00e4hig, die Farben derfelben' anders als in R\u00fcckficht ihrer ver-h\u00e4ltnifsm\u00e4fsigen Helligkeit oder Dunkelheit zu unter-fcheiden, fo dafs ihnen alle Gegenft\u00e4nde nur wie mit Tufche gezeichnet erfcheinen. Solche Menfchen fchei-nen zwar das quantitative Verh\u00e4ltnifs der beiden jede Farbe producirenden Factoren, des Lichts und der Fin-fternifs, keineswegs aber das qualitative, auf welchem der polare Gegenfatz des Gelben und Blauen beruht, und welcher die Farbe erft vollendet, zu empfinden.\nDiefe Abweichungen des Sehorgans find ohne Zweifel h\u00e4ufiger als man glaubt, und aufser ihnen kommen wahrfcheinlich manche andere \u00f6fter vor. Einige Erfcheinungen bey hypochondrifchen und hyfterifchen Menfchen d\u00fcrften wohl zu ihnen gerechnet werden. Meiftens aber fcheinen fie auf eine urfpr\u00fcngliche permanente Befchaffenheit des Sehorgans begr\u00fcndet, den, an welchem fie fich finden, durch das ganze Leben zu begleiten und da dieier, indem er nicht weifs, wie die Farben Andern erfcheinen, nie, oder nur durch gewiffe beg\u00fcnftigende IJmft\u00e4nde, die nicht gar h\u00e4ufig zufammentreffen, die Verfchiedenheit feiner Empfindung von der der andern Menfchen gewahr wird, fo wird es erkl\u00e4rlich, warum man fo wenige Beobachtungen von liefen Abweichungen hat. Diefe k\u00f6nnen, wie diefes manche beobachtete F\u00e4lle wirklich zeigen, mit einer \u00fcbrigens ganz fehlerfreien Befchaffenheit des Auges und des ganzen K\u00f6rpers beftehen, auch, an fich betrachtet, noch innerhalb der Gr\u00e4nze des gefunden Zuftandes ihren Platz finden, wo fie dann","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"191\nfchwerer wahrgenommen werden. Ueberhaupt k\u00f6n-juen wir nicht wiffen, ob eine und diefelbe Farbe bei uns Allen auf einerlei Weife gefehen wird. Es ift ja wohl ausgemacht, dafs alle Erfcheinungen, welche uns die fraulichen Gegenft\u00e4nde darbieten, nicht blofs von einer einfeitigen Einwirkung der Objecte auf blofs leidend fich verhaltende Sinnorgane abh\u00e4ngen, fondera von der Einwirkung der Objecte auf den empfindenden Organismus und von der ihr entgegenkommenden Selbftth\u00e4tigkeit des letztem gemeinfchaftlich, wie von zwei Factoren, hervorgebracht werden. Es wird demnach, auch wenn der objective Factor einer und der-felbe bleibt, bei Verfchiedenheit oder Ver\u00e4nderung des fubjectiven Factors die Erfcheinung, die aus der Wechfelwirkung beider hervorgeht, verfchieden aus-fallen. So kann ein und daffelbe Naturding, fo k\u00f6nnen mehrere Naturdinge, in denen die Befcbaffenheit, welche das objective Cauffalmoment ihrer Farbe enth\u00e4lt, diefelbe ift, in den Augen verfchiedener Perfo-nen verfchiedene Empfindungen von Farbe hervorbringen. Und da dies 1m ganzen bei allen Naturdingen in einerlei Verh\u00fcltniffe gefchehen mufs, fo bleibt das Verh\u00e4ltnifs der Farben unter einander daffelbe, die Farbe, welche zu den \u00fcbrigen einerlei Verh\u00e4ltniffe zeigt, werden wir alle mit einerlei Namen belegen, obgleich jeder von uns vielleicht eine andere Vorftel-lung von ihr hat. Aber auch da, wo das Verh\u00e4ltnifs der Farben unter einander, fo wie fie verfchie-'denen Individuen erfcheinen, ein verfchiedenes ift, wo nur eine oder nur einige Farben dem Einen anders","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nerfcheinen als den Uebrigen, wird der gradus und modus des Unterfchiedes fchwer genau zu beftirnmen fevn, weil den Individuen, die ihre Farbenempfindun-gen rhit einander vergleichen wollen , ein gemeinfchaft-lich\u00e8r Maasftab dazu durchaus fehlt.\nEs w\u00e4re meines Erachtens wohl der M\u00fche werth, und k\u00f6nnte f\u00fcr die Optik fowohl als f\u00fcr die Phyfio-logie und Pathologie des menfchlichen Auges fehr erfpriefslich werden, wenn die Verfchiedenheit, in welcher den Menfchen einerlei Farben erfcheinen, von Naturforfchern und Aerzten mehr, als bisher gefche-hen, beachtet und forgf\u00e4ltiger. unterfucht w\u00fcrde. Die Gelegenheit zu folchen Beobachtungen d\u00fcrfte wohl dem, der fie auffuchte, h\u00e4ufiger, als man glaubt, entgegen kommen. Indeffen bleibt es doch aus den oben angef\u00fchrten Gr\u00fcnden immer fchwer, folche Beobachtungen in hinl\u00e4nglicher Menge rein und genau genug aufzufaffen, das Beobachtete zu vergleichen, und ohne Gefahr eines Mifsverft\u00e4ndniffes mitzutheilen, noch fchwerer aber mit den Unterfuchungen \u00fcber diefen Gegenftand ins Allgemeine zu gehen.\nIch erlaube mir, dem Publicum eine Beobachtung mitzutheilen, welche hierher zu geh\u00f6ren fcheint, jedoch etwas an fich hat, weshalb man diefes bezweifeln k\u00f6nnte und \u00fcberlafla das Urtheil hier\u00fcber den Phyfiologen.\nEs ift bekannt, dafs, wenn Licht und Schatten neben einander durch ein Glasprisma (oder ein anderes nicht paralleles Mittel) fallen, oder ein dunkles und ein helles Bild, (z. B. ein Fenfterftab und der Himmel\nvom","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"193\nvom Innern des Zimmers aus) nebeneinander durch ein folches betrachtet werden, an der Gr\u00e4nze zwilchen Licht und Schatten, oder zwifchen dem liehen und dunkeln Bilde, wenn fie nicht auf der Axe1 des Prisma fenkrecfit ift, eine farbige Erfcheinung entfteht. Und zwar kommt in dem erften Falle,' den wir mit den neuern Optikern den objectiven nennen wollen, da, wo der Schatten gegen den brechenden Winkel, das Licht gegen die diefem Winkel gegen\u00fcberftehende Fl\u00e4che des Prisma zu liegen kommt ( bei der gew\u00f6hnlichen Lage des Prisma an der untern Gr\u00e4nze des Lichtes) ein gelber, da hingegen, wo das Licht gegen den brechenden Winkel, der Schatten gegen die'diefem gegen\u00fcberftehende Fl\u00e4che des Prisma liegt (gew\u00f6hnlich an der obern Gr\u00e4nze des Lichtes) ein blauer Rand vor. In dem zweiten Falle, den man den fubjec-tlven nennt, ift dies umgekehrt. In dem gelben Rande unterfcheiden die Phyfiker zwei in einander tiberflief-fende Farben: gelb und (gelb-) roth, oder drei': gelb, orange und (gelb-) roth, in dem blauen ebenfalls zwei: blau und violer, oder drei: azur, indigo und violet. Wenn ein gelber und ein blauer Rand einander fo nahe kommen, dafs das (eigentliche) Gelb des' einen und das Azur des andern fich decken, er-fcheint an der Stelle diefer Vereinigung Gr\u00fcn ; fo wie, wenn beiderlei R\u00e4nder auf der andern Seite mit ihrem Roth und Violet in einander \u00fcbergreifen, der Purpur fich zeiget. So werden die Farben des Prisma (nur mit Ausnahme des Purpurs, deffen einige nicht erw\u00e4hnen) fo viel mir bekannt, allgemein angegeben.","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nEs war mir daher feit der Zeit, da ich anfing, mich ernfthaft mit optifchen Verfuchen zu befch\u00e4fti-gen, auffallend, dafs ich in dein prismatifchen Farben-bild und auch fonft, wo Farben durch Refraction er-fchienen, nie ein reines Azur, fondern immer ftatt deffen ein entfchiedenes Blaugr\u00fcn zu fehen bekam, und zwar im objectiven fowohl, als im fubjectiven Fall.\nDiefeS Blaugriui n\u00e4hert fich auf der Seite gegen das Violette hin allm\u00e4hlig dem Blau, und zwar einem etwas dunklerem Blau.. Dies zeigt fich befonders in dem objectiven Fall, wenn der blaue und rothe Rand eines Liclitftreifens vun betr\u00e4chtlicher Breite zum Iu-einandergreifen gebracht werden, welches hier nur in einer bedeutenden Entfernung der auffangenden Fl\u00e4che yom Prisma m\u00f6glich ilt, bei welcher zugleich die farbigen R\u00e4nder fehr breit, und dadurch zur Unterfchei-dung der verfchiedenen Nuancen ihrer Farben tauglicher werden. Nachdem hier der mehr ins Gr\u00fcne fallende Theil jenes Biaugr\u00fcns, welches ich ftatt des von andern an deffen Stelle beobachteten Azurs fehe, von dem (eigentlichen) Gelb des gegen\u00fcberftehenden gelben Randes gedeckt und l'o zur Erzeugung des gew\u00f6hnlichen , bekannten, prismatifchen Gr\u00fcns verwandt worden, erfcheint der \u00fcbrige Theil deffelben dem Azur \u00e4hnlicher, und ift vielmehr ein Gr\u00fcnblau als ein Blaugr\u00fcn zu nennen.\nUm zu fehen, wie viel etwa die Nachbarfchaft des von Gelb und Azur erzeugten reinen , . lebhaften Gr\u00fcns etwas dazu beitrage, den gr\u00fcnen Schein, des","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"195\n\u00fcberbleibenden Azurs zu fchw\u00e4chen, verdeckte ich das reine Gr\u00fcn mit der vor das Auge gehaltenen Hand: aber das Gr\u00fcnblau blieb unver\u00e4ndert.\nDiefes Gr\u00fcnblau geht, immer dunkler werdend, in allen F\u00e4llen faft unmittelbar in das Violette \u00fcber: fo dafs ich auch das Indigo, wenn man darunter nicht Rothblau, fondern ein indifferentes, d. i. weder gegen Gr\u00fcn noch gegen (Purpur ) Roth fich hinneigendes Dunkelblau verfteht, nicht, oder wenigftens \"nicht deutlich, beftimmt und unbezweifelt, am alier-wenigften in einer betr\u00e4chtlichen Breite, im prisma-tdchen Farbenbilde wahrnehme.\nMan k\u00f6nnte mir den Einwurf machen : das Blaugr\u00fcn und Gr\u00fcnblau, was ich ftatt des Azurs fehe, fey der Vermifchung des reinen Azurs, mit dem Gelb eines etwas blafsgelben Farbenrandes, der im objective!], Falle durch ungleiche Durch\u00fcchtigkeit des Prisma oder der andern Medien, durch welche der Licht-ftreif gefallen, im fubjectiven durch ungleiche Helligkeit und F\u00e4rbung des betrachteten hellen Bildes in der N\u00e4he des beobachteten blauen Farbenrandes, ohne dafs ich es gewahr geworden, entbanden feyn konnte, zuzufchreiben. Im ob'jectiven Falle konnte ich zwar folche Nebenr\u00e4nder nie ganz vermeiden, da es mir noch nicht gelungen ift, eines vollkommen reinen Giasprisma\u2019s habhaft zu werden (das grofse Waffer-prisma, deffen ich mich bei einigen Verfuchen bediente, ift zwar von Blafen und\u2018Streifen ziemlich frei, aber wegen eines unten anzuf\u00fchrenden Umftandes etwas\n\u00a33","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nverd\u00e4chtig) : es zeigte fich aber c!a, wo diefelben ihr Gelb mit dem von andern beobachteten Azur (oder meinem Blaugriin) des blauen Randes vermifchten, nur das gew\u00f6hnliche, reine, indifferente prismatifche Gr\u00fcn, das zwar blaf 1er war, als wo es durch die Zu-fammenkunft liocligef\u00e4rbter Hauptr\u00e4nder entfteht, aber von dem mehrerw\u00e4hnten Blaugr\u00fcn fich deutlich und beftimmt, nicht blol's feiner Helligkeit, fondern auch dem Modus feiner Farbe nach, unterfchied. Eben diefs beobachtete ich, wenn im fubjectiven Falle gelbe Nebenr\u00e4nder dem blauen Rande zu nahe kommen, welches ich aber hier vollkommen zu vermeiden oft genug in meiner Gewalt hatte. Im Gegentheil er-fchien hier das Blaugr\u00fcn nie entfehiedener und fch\u00f6-ner, als wenn ich die Fenfterft\u00e4be vor einem ganz gleichf\u00f6rmig grauem Himmel durch das Prisma betrachtete.\nAuch vor dem Einwurfe: dafs vielleicht gr\u00fcne Farbe des Prisma felbft das Blau in das Gr\u00fcne hin\u00fcber gezogen habe, f\u00fchle ich mich ficher. Denn obgleich eins von den von mir bei diefen Verfuchen gebrauchten Glasprismen eine gr\u00fcnliche, das oben erw\u00e4hnte Wafferprisma fogar eine gelbgr\u00fcne Farbe hat, fo hatte ich doch Gelegenheit genug, den Verfuch mit ganz farbenlofen Prismen und andern hierzu brauchbaren gefchliffenen Gl\u00e4fern zu machen, wo es denn immer die oben befchriebenen Erfolge gab. Und felbft durch jene gr\u00fcnen Prismen erfchien mein Blaugr\u00fcn immer deutlich von dem andern, allgemein anerkannten, Gr\u00fcn verfchieden.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"197\nUeberhaupt aber glaube ich mich durch die confiante Identit\u00e4t des befchriebenen Erfolgs bei den unz\u00e4hligen Verfuchen, welche ich bald abfichtlich zur Pr\u00fcfung deffelberi, bald zu andern Zwecken unter den verfchiedenften Bedingungen und Umft\u00e4nden an-geftellt habe, vor aller T\u00e4ufchung in diefer Sache hinl\u00e4nglich gefichert halten zu d\u00fcrfen.\nWenn nicht diefe Erz\u00e4hlung felbft fchon eins Kenntnifs des Unterfchiedes zwifchen Azur und Blaugr\u00fcn bei mir vorausfetzte, fo follte man nach derfel-ben wohl glauben: dafs ich \u00fcberhaupt alles, was Andere Azurfarben nennen, blaugr\u00fcn fehe. Aber das ift eben das Sonderbare, dafs diefes, fo viel ich bisher bemerken konnte, nur bei dem dioptrifchen Blau der Fall ift, dafs ich die befagten Farben, wo fie (als cheinifche Farben nach G\u00f6thej permanent an der Oberfl\u00e4che der K\u00f6rper haften, fo deutlich, beftimmt und leicht von einander unterfcheide, dafs ich mir es gar nicht m\u00f6glich denken kann, fie mit einander zu ver-wechfeln, es mtffste denn bei Kerzen-oder Lampenlichte gefchehen, welches alles Blau leicht etwas in das Gr\u00fcne her\u00fcber zieht, und \u00fcberhaupt dem Auge die Unterfcheidung zwifchen nahverwandten Farben erfchwert l). Auch in der Wahrnehmung und Un-\ni) Ob ich auch unter den katoptrifchen, paroptrifchen und epop-trifchen Farben Gr\u00fcnblau oder Blaugr\u00fcn ftatt Blau fehe, darauf habe ich noch nicht geachtet, auch wird hier\u00fcber, wegen der geringen Breite, in welcher hier alle Farben meiftens erfchei-nen, fchwerer, als bei den dioptrifchen Farben eine bcftinunte Beobachtung zu machen feyn.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nterfcheidung der \u00fcbrigen Farben konnte ich bisher keine Abweichung von andern Menfchen bei mir beobachten.\nEben der Umftand, dafs mir der Azur nur unter einer gevviffen objective/! Bedingung als Blaugr\u00fcn und Gr\u00fcnblau erfcheint, hat in mir den fchon oben ge-\u00e4ufserten Zweifel erregt, ob dies wirklich in einer befondern Befchaffenheit meines Gefichtsorgans feinen Grund finde; und ich w\u00fcrde auch nicht einen Augenblick diefem letztem Gedanken Platz geg\u00f6nnt haben, wenn ich mir es m\u00f6glich h\u00e4tte denken k\u00f6nnen, dafs fo viele forgf\u00e4ltige Beobachter, welche die clioptrifchen Farben fchon betrachtet und unterfucht haben, eine Er feil ei nun g, welche, unter \u00e4ufsern Bedingungen, die (weil fie doch meine Verfuche beft\u00e4ndig begleiteten) h\u00e4ufig genug eintreten miiffen, bei folchen Befch\u00e4fti-gungen einem Jeden fich zeigen k\u00f6nnte, auch nicht einmal f\u00fcllten bemerkt, oder, wenn fie fie bemerkt h\u00e4tten, nicht follten aufgezeichnet; oder dafs alle Optiker fich mit einander f\u00fcllten verfchworen haben, das, was fie wirklich blaugr\u00fcn fallen, azurfarb zu neu\u00ab nen. Und w\u00e4re auch' der Grund jener Erfcheinung rein objectiv, und w\u00e4re ihrer, ohne dafs ichs wiifste, in den optifchen Schriften irgend Erw\u00e4hnung gethan, foAcheint fie mir doch auch in diefem Falle w\u00fcrdig, mehr beachtet zu werden, als es gefchehen ift, und w\u00e4re es auch nur zur Beftimmung der beft\u00e4ndigen und ver\u00e4nderlichen in den dioptrifchen Farbenerfchei-nungen oder zur mehrerer Feftftellung der Farben\u00bb nomenclatur.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Wenn aber gleich nicht zu verkennen ift, dafs die . befchriebene Abweichung von' der gew\u00f6hnlichen Erfcheinung der dioptrifchen Farben eine objective Urfache habe, fo fchliefst doch diefe die Mitwirkung einer fubjectiven, im Sehorgane des Beobachters liegenden Urfache, keineswegs aus.\nWenn man fich das Verh\u00e4ltnifs der letztem zu der erftern fo denkt1, wie das einer pr\u00e4disponirenden zu einer Gelegenheitsurfache, fo begreift fichs leicht, warum-, ungeachtet die Befchaffenheit des individuellen Sehorgans, welche die fubjective Urfache davon enth\u00e4lt, in einem Individuum beft\u00e4ndig vorhanden ift, daffelbe doch nicht immer Blaugr\u00fcn ftatt Azurblau Geht, fondern nur dann, wenn die objective Urfache, die in einer Eigenth\u00fcmlichkeit der Entfteliungsweife der dioptrifchen Farben (zweiten Klaffe, nach G\u00f6the) liegen mag, dazu kommt.\nMan lieht, dafs, um mit diefer Sache mehr ins Reine zu kommen, zahlreiche vergleichende Verfuche mit andern Menfchen erforderlich w\u00e4ren.- Mit einigen Menfchen habe ich folche bereits vor l\u00e4ngerer Zeit angeftellt, und bedaure nur, dafs ich die Reful-tate davon nicht fogleich aufgezeichnet habe, und mein Ged\u00e4clitnifs mein Vertrauen hier get\u00e4ufcht hat. In meinen Papieren \u00fcber Optik finde ich blofs die gele-genheitliche unbeftimmte Bemerkung: dafs aufser mir auch Andere ftatt Blau blaugr\u00fcn gefehen haben. K\u00fcrzlich habe ich die Verfuche mit mehrerer und m\u00f6g-lichft grofser Sorgfalt mit einigen meiner Bekannten wiederholt. Diefe fahen den Azur rein, jedoch im","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nobjectiven Fall zwifchen diefem und dem \u00fcbrig gebliebenen VVeifs des Lichtftreifens etwas weniges reines., indifferentes Gr\u00fcn, welches ohne Zweifel durch die oben von der Unreinheit des Prisma abgeleiteten farbigen Nebenr\u00e4nder entftanden war. Nur Einer von ihnen fah im objectiven Falle den Azur blaugr\u00fcn oder gr\u00fcnblau, und im fubjectiven \u00e4ufserte er auf meine wiederholten Fragen: was er am blauen Rande lebe; dafs er nicht wiffe, ob er die Farbe deffelben blau oder gr\u00fcn nennen folle, wie er denn \u00fcberhaupt die benachbarten Farben des Farbengefpenftes fchwerer, als ich und Andere zu unterfcheiden fchien. Ich gedenke diefe vergleichenden Verfuche gelegentlich fortzufetzen, befonders auch fie mit meiner jiingften Schwefter, der Albine, vorzunehmen, um auszumit-teln, ob die fubjective Urfache der hier befchriebenen Abweichung etwa mit dem Mangel an Pigment oder einer andern Eigent\u00fcmlichkeit des albinifchen Auges in Zufammenhang ftehe I).\nl) Leider hat ein fr\u00fcher und unvermuteter am \u00e7. hujus eines ' typh\u00f6s - entz\u00fcndlichen Fiebers , in Folge einer heftigen Erk\u00e4ltung bei erhitztem K\u00f6rper, erfolgter Tod des Verfaffers die Ausf\u00fchrung diefer Vorf\u00e4tze vereitelt, und \u00fcberhaupt mehrere Fr\u00fcchte phyiiologifeher und mathematifch - phyfikalifcher Arbeiten , die von den Talenten und dem Fleifs diefes trefflichen und auch als Menfch liebenswerthen jungen Mannes zu erwarten waren . mit ins Grab genommen. Der verftorbene Sachs, in K\u00e4rnthen geboren (feine Eltern waren jedoch aus dem Bai-reuthifchen), war ein vollkommner Albino oder Leucaethiops ge-wefen mit ganz rother (von der Seite angefehen mehr ins Blaue oder vielmehr Violette fpielender) Iris, und beft\u00e4ndig zitternder Bewegung derfelben, fo wie des Augapfels, mit lichtfcheue JNyktalopie, dann mit ganz weifsen feidenartigen Haaren und","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"201\neiner fchneeweifsen Farbe und fammtartigen Weichheit der Hautdecken. Merkw\u00fcrdig war es, dafs er und eine j\u00fcngere (noch lebende) Schweizer die beiden einzigen Albinos in einer Familie waren?, deren Vater, Mutter und die \u00fcbrigen dreiKin-der durch Farbe der Augen, Haare und der Hqut zu den ent-fchiedenen Br\u00fcnetten geh\u00f6ren. Der felige Sachs hat eine \u00e4ufserft genaue und intereffante Befchreibung von lieh und feiner Schwe \u2022 fter, die befonders in Bezug auf die ungemein genau detaillir-ten optt\u00dfhen Verh\u00e4ltniffe der Leucaethiopen zu andern Men-fchen fehr lehrreich ift, in feiner Inaugural - Differtation : Hi-ftoria Duorum Leucaethiopum, auctoris ipfius, et fororis ejus, fauch als befondere Schrift in den Buchhandel gekommen, Sulzbach 1812) gegeben, in welcher er den Reichthum feiner opti-fchen Kenntniffe r\u00fchmlich beurkundete. Auffallend war es, dafs diefer Albino, der bei Tage nur mit halbverfchlbffenen, blinzelnden und beftiindig hin und her rollenden Augen Perfo-nen und andere Gegenft\u00e4nde anfelien konnte, in fternenhellen N\u00e4chten ohne alle Augenbefchwerden und ohne betr\u00e4chtliches Zittern und Bewegung der Augen fowohl ohne Glas als auch durch Fernr\u00f6hre die Geftirne beobachten, und felbft in der Aftronomie und Aftrognolie, mit der er fich mit befonderer Vorliebe befch'ftigte, praktifchen Unterricht beim fogenanntem ftellatim Gehen ertheilen konnte.\nHarles, D.","page":201}],"identifier":"lit13952","issued":"1815","language":"de","pages":"188-201","startpages":"188","title":"Eine physiologisch-optische Beobachtung: Von dem im Jahr 1814 verstorbenen Doctor legens J. T. Sachs, ordentl. Mitgliede der pyhsikal. med. Societ\u00e4t. Mitgetheilt vom Geh. Hofr. u. Prof. Harles","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:21:01.709120+00:00"}