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{"created":"2022-01-31T16:08:22.515076+00:00","id":"lit14012","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Carus, Carl G.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 2: 161-195","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Deutfches Archiv\nf\u00fcr die\nPHYSIOLOGIE.\nZweiter Band. Zweites Heft.\nI.\nGedanken zur Beantwortung der Frage: in wiefern Wachsthum, Reproduction und Abnahme des thierifchen K\u00f6rpers begr\u00fcndet: werde durch den Stand und die Verh\u00e4ltniffe feiner Organifation?\nVon Dr. G. G. Ca rus, Prof, der \u00cbntbindungskund\u00f4 in Dresden.\nWie unermefslichen Reichthum auch die Natur an Wunderbaren und feltfamen Erfcheinungen dem For-fcher darbieten mag, kaum wird eine derfelben das Wiffenfchaftliche Streben fo m\u00e4chtig anregen, kaum eine den Menfchen \u00dcberhaupt fo gewaltig anziehen, als der ftete Wechfel zwilchen Eritftehen und Vergehen, der ewige Kampf zwilchen Geboren - und Vernichtetwerden, zwifchen Beginnen, Wachten, Abnehmen Und \u25a0 Enden, welcher in taufend fachen Gehalten uns, wohin wir blicken, umkreift, fr\u00fcher oder fpater der\u00bb Schauenden felbft ergreifend, um ihn zu unergr\u00fcndlichen Tiefen hinabzuziehen.\nDichtung und Philofophie, Strahlen, welche gleich denen cler Sonne, immer das H\u00f6chfte z\u00fcerft begr\u00fcfsen, haben bei dielen Gegenft\u00e4nden von jeher Af. d, Archiv. 71, 3.\tf\"","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"mit befonderer Liebe verweilt, wenn dagegen im Kreife der Naturkunde noch vielfache Dunkelheiten \u00fcber ihnen verweilten, um fo beftimmter die Forfchungen neuerer Bearbeiter auffordernd. \u2014- Anlangend nun insbefonJere die GeJ'chichte des thierifchen Organismus, fo ift zwar allerdings die Philofophie feiner Entwicklung neuerlich durch vielfache gewichtige Un-terfuchungen bereichert worden, als deren fch\u00f6ne Ausbeute wir namentlich die Erkenntnifs betrachten d\u00fcrfen, dafs nicht das Individuum allein in feiner Entfaltung betrachtet werden mtiffe, fondern erft aus der Unierfuchung einer ganzen auffteigenden Thierreihe die herrlichfte Sch\u00f6pfungsgefchichte des Thierk\u00f6rpers hervorgehe. Wenden wir uns dagegen zu jenen Vorg\u00e4ngen, mittelfi deren der Thierk\u00f6rper J\u00efch felbfi auf reibt, vernichtet wird, und fo wieder im univer-feilen Organismus unter geht, fo fcheinen diefe, fo wie ihr Verh\u00e4ltnis zur erzeugenden, reproducirenden Th\u00e4tigkeit, offenbar weit weniger als billig beachtet zu feyn, und fo foil denn im vorliegenden Auffatze verfucht werden, die Aufmerkfamkeit der Phyfiologen mehr nach diefer Richtung zu lenken. Bevor inclefs eine ausf\u00fchrlichere Nachweifung dar\u00fcber unternommen wird, in wiefern im lebendigen Thierk\u00f6rper Erzeugen und Bilden durch die einen, Ert\u00f6dten und Ab-fondern durch andere Gebilde bewerkftelligt, in wiefern demnach die fchnellere oder langfamere Entwicklung, das vorherrfchende oder nachftehende Repro-ductionsverm\u00f6gen, ja felbft die verfchiedene Lebensdauer eines thierifchen Individuums, nothwendig durch das Eigenth\u00fcmliche feiner Organifation bedingt werde, fo liefse fich wohl zun\u00e4chft noch die Frage aufwer-fen : wodurch \u00fcberhaupt wohl jenes ewige Wechfeln der Erfcheinung, fowohl im individuellen thierifchen, als im univerfelien kosmifchen Organismus nothwendigef","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Weif\u00ab begr\u00fcndet werde? \u2014 Man nehme Folgendes als einen Verlach zur Beantwortung derfelben.\nAlle menfchliche Erkenntnifs geht aus vom Ge-genfatz eines Denkenden und eines Gedachten, und eben deshalb finden wir die Form des Gegenfatzes zugleich als Urform des gelammten Denkverm\u00f6gens. -So wie aber jener fubjective, das Bewufstleyn begr\u00fcndende Gegenfatz, ein zwilchen Einheit (Denken lemj und Vielheit (Gedachtem) beftehender ift, fo wird auch die Wiederfpiegelung diefes fubjectiven Gegenfatzes im Objectives der Gegen fatz, welcher dem Begriff der Aufsenwelt eben fo zum Grunde liegt, wie jener fubjective dem Bewufstleyn, als Gegenfatz zwilchen Einheit und Vielheit erfcheinen muffen, und ein folcher ift der durch die ganze Natur ausgesprochene zwilchen Gefetz und Erfcheinung. \u2014 Das All in der Mannigfaltigkeit gedacht, giebt den Begriff der Natur, das All in der Einheit gedacht, giebt die Idee einer Welt-feele, eines Gottes. In der erlten Form fchauen wir \u2022das Univerfum an durch den Sinn, in der zweiten Form ahnen wir es durch die Vernunft.\nDasjenige aber, deffen Wefen die Mannigfaltigkeit felbft ift, wird eben deshalb auch mannigfaltig leyn muffen in jeder Beziehung, in jeder Anfchauungs-form , und folglich eben fowohl im Raum als in der Zeit; d. i. in der Natur (dem All als Mannigfaltigen) werden nicht nur unendlich vielfache Dinge erfcheinen muffen, diefe Dinge felbft k\u00f6nnen auch nicht durchaus beharren und fich gleich bleiben, fie muffen lieh fortw\u00e4hrend umwandeln, auftauchen und umergehen, wenn im Gegentheil die innere Einheit der Natur in jeder Hinficht beharrend und bleibend ift. Und fo Balten wir denn den Satz, dafs \u00fcberhaupt-nur das Reale, die Erfcheinung endlich und wandelbar, hingegen das Ideale) das Gefetz noth wendig unver\u00e4nder-\nL a","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"lieh und ewig feyn k\u00f6nne und miiffe, als hinl\u00e4nglich, begr\u00fcndet, und zugleich als gen\u00fcgend zur Beantwortung obiger Frage.\nScheint nun auch auf diefe Weife die Frage \u00fcber die Nothwendigkeit des Wechfels in den Naturerfchei-nungen genugfarn er\u00f6rtert, fo bleibt doch noch die Frage \u00fcber die M\u00f6glichkeit und Wirklichkeit eines fol-chen Wechfels zu ber\u00fcckfichtigen, indem man zwar vorausfetzen m\u00f6chte, dafs irgend ein felbftft\u00e4ndiges Naturwefen lieh wohl immer fortbilden und erhalten, alier nicht aus freiem Antriebe fich zerfr\u00f6ren k\u00f6nne; ungef\u00e4hr wie ein Pendel, deffen Schwingungen einmal begonnen haben, eigentlich in Ewigkeit fich fortbewegen m\u00fcfste, wenn es blofs durch eigne Kraft fortwirken k\u00f6nnte, nicht fremde Kr\u00e4fte fich ihm ft\u00f6rend entgegenftellten. \u2014 Fragen wir alfo beftimmter : auf welche Weife kommt endlich die Zerft\u00f6rung eines Organismus, von deren endlicher Nothwendigkeit wir \u00fcberzeugt find, zu Stande? fo m\u00f6gen wir fchon aus! dem kurz zuvor Erw\u00e4hnten abnehmen, dafs die eigene innere Kraft deffelben wohl fchwerlich die nothwen\u00bb dige Vernichtung herbeif\u00fchren, dafs vielmehr nur die Einwirkung des Aeufsern hinreichende Veranlaffung derfelben werden k\u00f6nne. \u2014\u2014 Werfen wrir daher zu\u00ab nach ft einen Blick auf die \u00e4ufsern Umgebungen individueller Wefen , fo k\u00f6nnen wir abermals fragen: giebt es denn \u00fcberhaupt in diefen letztem eine, wahrhafte freie. Selbftft\u00e4ndigkeit, oder ift auch das freiefte Individuum immer fo lehr an feine Umgebungen gekettet, fo fehr integrirendes Glied eines hohem Ganzen, dafs vielleicht fchon von diefem Standpunkte aus betrachtet, fein endliches Vergehen verft\u00e4ndlich wird?\nMan w\u00fcrde das Beltelien eines einigen, unermefs-lichen Weltorganismus l\u00e4ugnen, wenn man irgend ein Befonderes als g\u00e4nzlich durch lieh bedingt, und au\u00dfer","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"165\njenem Allgemeinen exiftirend annehmen wollte, und fchon aus diefem Grunde kann alfo eine abfolute Selbft-ft\u00e4ndigkeit in der Gefchloffenheit allgemeiner Natur nicht gedacht werden. Eben fo wenig kann aber das Individuum einer gewiflen relativen Selbftft\u00e4ndigkeit g\u00e4nzlich ermangeln, da ohne eine folche ja \u00fcberhaupt gar keine Individualit\u00e4t (Offenbarung innerer Einheit) m\u00f6glich w\u00e4re, fogar der h\u00f6here oder niedere Stand verfchiedener Einzelwefen, ihre gr\u00f6fsere oder geringere organifche Vollendung, nur danach abgemei\u00efen werden kann, ob diefes eingeborene Geietz, dicfe innere Kraft, mit gr\u00f6fserer oder geringerer Deutlichkeit, durch eine gr\u00f6fsere oder geringere Mannigfaltigkeit ihrer Erfcheinung hindurchleuchte.\nWo nun aber in irgend einem gefchloffenen Ganzen ein einzelnes Glied mit ausgezeichneter Freiheit und Kraft hervortritt, wo durch diefes Hervorheben zugleich ein ft\u00e4rkerer Gontraft mit jenem Ganzen bedingt wird, da wird in Folge diefes Contrafts eine gewiffe Wechfelwirkung zwilchen beiden nicht aus-bleiben, deren Ziel auf der einen Seite die Erhaltung der Individualit\u00e4t, auf der andern Seite R\u00fcckf\u00fchrung derfelben zur Totalit\u00e4t ift, und es wird lieh voraus-fehen laffen, dafs ein foicher ungleicher Streit eines Allgemeinen und Befondern nur durch Vernichtung des letztem beendigt werden k\u00f6nne.\nGilt nun diefes zwar wohl von einer jeden individuellen Natur erfcheinung, fo mufs es doch ganz vorz\u00fcglich von den nuxt'^op^v fogenaanten organischen K\u00f6rpern, den vegetabiiifchen oder anima\u00fcfehen Organismen, zugegeben und verhandelt werden, als in deren Leben die innere Selbftft\u00e4ndigkeit immer klarer hervortritt, um im Menfchen zur h\u00f6chften Freiheit lieh zu entfalten, gegen welche daher aber auch die R\u00fcck-","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nWirkung allgemeiner Natur am bedeutendften und zer-ft\u00f6rendften gerichtet ift.\nSomit fcheint nun aber auch die Frage \u00fcber die M\u00f6glichkeit der Wiedervernichtung eines befondern Gefch\u00f6pfs zureichend beantwortet, und zwar mittelft der Deduction und Aufftellung des Satzes: dafs eben fo wie eines Theils die Manifeftation des Gcfetzes in der Erfchciming, die Sch\u00f6pfung einer unendlichen Mannigfaltigkeit befonderer Wefen begr\u00fcndet, eben fo andern Theils, der unmittelbar dadurch aufgeregte Gegenfatz und Kampf zwifchen dem Individuum und der Natur, die Vernichtung diefer Individuen herbeif\u00fchren , ihre felbftft\u00e4ndige Exiftenz wieder aufheben muffe.\nWenn nun aber das thierifehe Leben, wie jede individuelle Exiftenz, fortgehender Kampf eines Be-foniiern und Allgemeinen genannt werden mufs, und wenn folglich in diefem Leben nothwendjg eine zwiefache Th\u00e4tigkeit unterfchieden werden kann, n\u00e4mlich eine egoi\u00dfifche, wo das Individuum fich Aeufseres unterwirft und aneignet, und eine univerfeile, wo es Inneres der Aufsenwelt zuzukehren *nd zu opfern gen\u00f6thigt wird, fo mufs es ferner f\u00fcr unfern Zweck von befonderm Intereife fevn, zu unterfuchen, in wel-chen Syftemen und Organen des Thierk\u00f6rpers, die eine o er die andere Th\u00e4tigkeit vorwalte. Jede der-felben wird n\u00e4mlich f\u00fcr Wachsthum, Reproduction und Lebensdauer von ganz verfehiedener Bedeutung feyn, indem die egaiftifche der Exiftenz fich eben fo giinftig, als die univetfeUe ihr fich feindlich erzeigen wird ; und daher dann zun\u00e4ehft einige Worte \u00fcber die Unterfcheidung der verfchiedenen organifchen Syfteme im Thiere \u00fcberhaupt.\nSo wenig wir aber berechtigt find, im An Feh au en 'k-s Thierlebens die befondern Mamfeftationen dei\u2019fel-","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"16?\nben fehr zu trennen uncl zu vereinzeln, fo fehr wir immer daran fefthalten muffen, dafs die Grundbedingung eines folchen Lebens nicht in diefem oder jenem befondern Theile, fondern einzig und allein in der innigen Verbindung aller diefer Theile und Kr\u00e4fte zum Ganzen gefunden werden k\u00f6nne : fo ift es doch nicht nur zu entfchuldigen, fondern fogar nothwendig, dafs wir auch den lebendigen thierifchen Organismus, zum Behuf verftandesm\u00e4fsiger Erkenntnifs, welche Betrachtung des Einzelnen fordert, f\u00fcr einige Zeit, und zwar bis wir uns zur Anfchauung der Gefammtheit erheben k\u00f6nnen, dem ewig trennenden Verm\u00f6gen des Verbandes unterwerfen, fobald nur die vorzunehmenden Abtheilungen auf hinreichenden nat\u00fcrlichen und philo-fophifchen Gr\u00fcnden beruhen. Dielen Forderungen wird nun wohl durch die bereits ziemlich allgemein anerkannte Trennung in vegetatives und animales Leben , welche fich auf die A nalogie der organifchen Natur und auf Entwicklungsgefetze ftiitzt, in einem vorz\u00fcglichen Grade entfprochen, und mit eben diefem Rechte glaube ich ferner in der erftern Sph\u00e4re die Production der Gattung von der Fortbildung des In-dividuums unterfcheiden zu muffen, indem ich den erftern diefer Zwecke durch das Gefchlechtsjyftem, den letztem durch Dauungs-, Gef\u00fcfs - und Athmungsfyfte-me erf\u00fcllt fehe. Eben fo wie aber die individuelle Beziehung der vegetativen Sph\u00e4re in drei organifchen Syftemen fich ausfpricht, fo dann endlich auch die h\u00f6here dem Thiere ausfchliefsend eigene animale Sph\u00e4re, und zwar im Sinnen-, Nerven- und Bewe-gungsfyj,lerne. \u2014 Jetzt, nachdem diefe fieben befondern Glieder des thierifchen Organismus, aus deren gefamm-ter Wirkfamkeit die Lebenskraft als Product hervorgeht, dargelegt worden find, wird es nun weiter in Erw\u00e4gung zu ziehen feyn, welche von diefen Syftemen","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"die Lebensdauer und Reproduction des Individuums begiinftigen, welche andere dagegen fich ihr h\u00f6rend entgegenftelJen. Ift es uns dann gelungen, hier\u00fcber etwas mit Sicherheit feftzufetzen, fo wird fich auch ferner bei irgend einer gegebenen Organifation mit ziemlicher Beftimmtheit der Stand der reproductiven Kraft im alfo 01\u2018ganifirten Individuum angeben und verliehen laffen, da es keines Beweifes bedarf, dafs da, wo 7. B. alle aneignenden egoiftifchen Th\u00e4tigkeiten vorz\u00fcglich ausgebildet erfcheinen, Reproduction, Wachsthum und Lebensdauer mehr Energie und gr\u00f6fseres Maafs, als im entgegengefetzten Falle, zeigen muffen.\nStellen wir in diefer Hinficht zuv\u00f6rderft vegetative und animale Sph\u00e4re im Allgemeinen zufammen, fo ergiebt fich lchon aus dem Begriff jeder derfelben, dafs eigent\u00fcmlich nur die erftere , welche namentlich die Exiftenz des Organismus auf reale Weife begr\u00fcndet, von welcher die bereits in der Pflanze vorhandenen reprocfucirenden und deftruirenden Proceffe ge\u00fcbt werden, hier in befondere Betrachtung gezogen zu werden verdiene; indem die letztere, die animale, welche mehr idealen Zwecken dient, f\u00fcr Reproduction, Wachs-thum-u. f. w. ziemlich gleichg\u00fcltig feyn w\u00fcrde, wenn nicht gerade in ihr innere Einheit und Selbftft\u00e4ndig-Iceit befonners kr\u00e4ftig hervortr\u00e4te, nicht mittelft derfelben das Individuum fich eben beftimmter der \u00e4ufsern Natur entgegenfetzte, ft\u00e4rkern Conflict mit derfelben erregte, fo dafs alfo das animale Leben, bei einer mehr nniverjelie/t Th\u00e4tigkeit, der Reproduction u, f. w. hemmend entgegenfleht. Nervenleben, Sinnesverm\u00f6gen und Bewegungskra\u00df, werden deshalb in h\u00f6herer Entwicklung durchaus dem Vegetationsprozefs ung\u00fcn-ftig feyn, und cla, wo nicht im eigentlich vegetativen Leben zugleich eine befonders entwickelte ern\u00e4hrende","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Kraft vorhanden, die Aufl\u00f6fung des Organismus be-giinftigen.\nVergleichen wir nun unter den Gliedern der vegetativen Sph\u00e4re wiederum zun\u00e4chft das Gefchlechts-fyftem mit den auf Vegetation des Individuums lieh beziehenden Syftemen, fo werden wir abermals nur die letztem f\u00fcr Wachsthum und Reproduction th\u00e4tig erblicken, da das erftere faft offenbar die Zerft\u00f6rung des individuellen Organismus bezweckt; denn Erzeugung und Fortpflanzung fteht nothwendig mit individueller Exiftenz im Widerfpruch, und h\u00e4tte das Individuum unendliche Dauer, fo w\u00e4re Fortpflanzung ohne allen Zweck. Demungeachtet verdient das Ge-fchlechtsfyftem hier noch eine etwas genauere Unter-fuchung, und wir werden fie unternehmen, fobald die Ver h\u00e4 kniffe des Dauungs -, Gef\u00e4fs - und Athmungs-fyftems in Bezug auf Fortbildung des Individuums etwas genauer er\u00f6rtert find. \u2014 Welches unter diefen Syftemen nun vorz\u00fcglich die Reproduction wie das Wachsthum unterft\u00fctze, bedarf wohl kaum der Frage, da eines Theils fogleich das erftere als folches fleh zu erkennen giebt, andern Theils faft eben fo beftimmt im letztem, im Athnmngsfyftem, eine der n\u00e4hrenden Kraft der Dauungsfunctionen vollkommen entgegengefetzte, zerft\u00f6rende, verfl\u00fcchtigende fleh darftellt, und endlich das Gef\u00e4js\u00dfftern, als Verbindungsglied beider, fowohl den ern\u00e4hrenden als zerft\u00f6renden Prozefs zu vermitteln beftimmt ift. Doch auch die einzelnen Wichtigem Organe diefer Sph\u00e4ren verdienen noch eine genauere Erw\u00e4gung f\u00fcr unfern Zweck.\nIm Darmkanal, als dem wefentlichften Gliede des Dauungsfyftems, ift namentlich der obere Theil, bis zum Anfang des Dickdarms, und in cliefein obern Theil wieder die Gegend des Magens und Zw\u00f6lffingerdarms als f\u00fcr Ern\u00e4hrung hefonders th\u00e4tig zu be-","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\ntrachten ; die untere Gegend des Darmkanals aber, der Dickdarm, welcher in die Sph\u00e4re des.Gefchlechts-fyftems herabfteigt, ja deffen Ausgang in vielen Thie-ren felbft Gefchlechtsh\u00f6hle wird, wirkt zum Zweck der Ern\u00e4hrung weniger, ja ift feiner Natur nach mehr ab- und ausfondernd. Je kleiner daher diefer letztere, je gr\u00f6fser und th\u00e4tiger das obere St\u00fcck des Dannkanals, namentlich Magen und Magendarmsh\u00f6hle ift, um fo giinftiger f\u00fcr zweckm\u00e4fsige Affimilation aufgenommener Nahrung; jemehr hingegen die Th\u00e4tig-keit der untern Darmgegend vorherrfcht, um fo mehr inufs Reproduction und Wadisthum gef\u00e4hrdet werden.\nDie Abfonderungsorgerne, welche den Darmkanal umgeben und zum Dauungsfyftem geh\u00f6ren, wirken zwar als Abfonderungsorgane, welche gleich den Athmungsorganen, deren Nachbildungen fie zum Theil find, Stoffe dem K\u00f6rper entziehen, dem Ern\u00e4hrungs-gefch\u00e4ft entgegen ; infofern aber hier das Abgefonderte felbft wieder nothwendige Bedingung, oder doch Bef\u00f6rderung des Dauungsprozeffes wird, find Schleim-driifen , Mund- und Bauch.fpeicheldritJen, fo wie die Leber nebft der die Gallenabfonderung unterft\u00fctzenden Milz allerdings der Ern\u00e4hrung g\u00fcnftig und als den Reproductionsprozefs bef\u00f6rdernd zu betrachten, obgleich ihre ge\u00dfeigerte Th\u00e4tigkeit, zumal wenn die Secretionen dem K\u00f6rper verloren gehen, wenn die Organe folglich als reine Abfonderungsorgane erfchei-nen, nothwendig dem Ern\u00e4hrungsprozefs entgegen wirken mufste.\nAnlangend die Organe des Abhmungsfyfeems, fo ift als deren wichtigftes und urfpr\u00fcngliches die ge-fammte Kor per Oberfl\u00e4che zu betrachten, welche in tie-fern Thierklaffen als \u00e4ufsere abfeheidende Schleimhaut, der innern einfaugenden des Darms rein entgegengefetzt ift, allein auch in h\u00f6hern Organismen durch","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"171\nfortgeliendes Ausftofsen elaftifcher oder tropfbarer Fliiffigkeiten die Maffe organifchen Stoffs ft\u00e4tig vermindert, infofern folglich der Ern\u00e4hrung entgegeni'teht, und obfchon fie, bei \u00fcbrigens normalem Stande, eben fo nothwendig zur Exiltenz des Individuums durch Befreiung von Ueberfl\u00fcffigem hinwirkt, als ern\u00e4hrende Organe durch Herbeif\u00fchrung des Nothwendigen, fo fehen wir doch bei tiberni\u00e4fsiger Th\u00e4tigkeit des Haut-fyl'tems, oder bei gehemmter Dauungskraft, die Al'fi-milation und Reproduction fchnell untergraben werden. \u2014 Was nun von der K\u00f6rperfl\u00e4che im AJJgemei-uen gilt, das wird auch von den aus ihr fleh entwickelnden Gebilden, als den Haaren und Federn, namentlich aber von Kiemen, Luftr\u00f6hren und Lungen gelten, wefs-lialb wir denn fp\u00e4terhin bei Thieren , wo die letztem Organe fleh vorz\u00fcglich ausgebildet haben, oder in Zu-ft\u00e4nclen, wo die Th\u00e4tigkeit derfelben befonders hervor-fpringt, immer einen ausgezeichnet niedrigen Stand der Reproduction antreffen werden.\nDas Gef\u00e4fs/yftem, deffen Zweige das Athmurtgs -und Dauungsfyfiem mit einander vereinigen, wird-, auch in der hier zu nehmenden R\u00fccklicht, die Wirkfam-keit beider in fleh verbinden muffen, und wir fehen daher einmal, wie tbeils durch folche Gef\u00e4fse , welche Nahrung aus dem Dauungsfyftem auffaugen und in die Blutmaffe \u00fcberf\u00fchren ( Kaja ehylifera , theils durch Arterien, welche die plaftifchen Stoffe den Organen zuf\u00fchren, die Reproduction des Individuums hauptf\u00e4chlich vermittelt wird ; ein andermal hingegen, Wie die eigentlichen Lymphgef\u00e4\u00dfe fo wie die Venen, organifchen Stoff im K\u00f6rper aufnehmen, um ihn durch Athmungs- oder Abfonderungsorgane zulezt g\u00e4nzlich auszuftofsen, und wie demnach diele Gef\u00e4fse der Reproduction entgegenwirken. Selbft zwifchen kleinem und gro\u00dfem Kreislauf des Bluts k\u00f6nnen wir hinfichtlich","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"der Reproduction unterfcheiden, indem der erftere, als g\u00e4nzlich dem Athmungsorgan angeh\u00f6rig, zum zweyten fait in demfelhen Verh\u00e4ltnis i'teht, wie Aui-mungslyftem zum Dauungsfyftem \u00fcberhaupt.\nVom Gef\u00fchlechtsjjjlem ii't im Vorigen nur im Allgemeinen angegeben worden, dafs es der individuellen Reproduction entgegenwirke; jetzt find deffen befondere Organe noch etwas genauer zu betrachten.\u2014 Das Ge fehle chts fyftem aber, welches eigentlich Wiederholung der ganzen vegetativen Sph\u00e4re ilt, infoweit diefe das Individuum beachtet, zeigt auch, wie diele Sph\u00e4re, zwei entgegengefetzte Glieder. Beide ftelien in demfelben Verh\u00e4ltniffe zu einander, wie Lunge und Darm; es find die Harnwerkzett ge und die eigentlichen GeJchleclusorgane. So wie im Filch, Kiemenbl\u00e4tter als eigentliches Athmungswerkzeug, und Schwimmbla fe, als Luftbeh\u00e4lter und Vorbild der Lunge, gefunden werden; wie im Gallenfyftem ein \u00e4hnliches Verhaltnifs in Leber und Gallenblafe fich darftellt, fo beurkundet die Wiederholung des Athmungsorgans im Gefchlechts-fyftem ganz diefelbe Bildung eines nach niedrigerm Typus orgarrifirten Athmungsfyftems, und zwar durch das gleichzeitige Vorhandenfeyn von Nieren und Harn-blaje. Wie aber Athmung durch Verfl\u00fcchtigung orga-nifchen Stoff zerft\u00f6rt, fo auch die Harnwerkzeuge durch Ausfcheidung in fliiffiger Geftalt, und io ift folglich auch die Th\u00e4tigkeit diefer Gebilde der Reproduction entgegengefetzt. In den eigentlichen Ge-Jchlechtswerkzeugen herrfeht mehr die darmartige Bildung, namentlich in den wefentlichen und bei niedern Thiergattungen alleinigen, d. i. in den weiblichen ; daher fie auch nicht fowohl der Reproduction entgegen-gefetzt find, als felbft produciren, nur ein neues In-dividuuni, und zwar auf Koften des eigenen. Uebri-gens wird individuelle Reproduction immer noch mehr","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"173\ngefr\u00f6rt durch \u00fcberwiegende Zeugungsfunction im m\u00e4nnlichen Gefchlecht, als im weiblichen ; denn m\u00e4nnliches Zeugungsverm\u00f6gen verh\u00e4lt lieh zum weiblichen wie animale Sph\u00e4re zur vegetativen \u00fcberhaupt, und fo mufs auch erfteres, eben fo wie die gefammte animale Sph\u00e4re, der Reproduction ft\u00e4rker entgegenftehen als das letztere; diefes iit empfangend, jenes gebend.\nWelche Organifation wird nun, nach allem bisher Erwogenem, die individuelle Reproduction am meiften beg\u00fcnl'tigen ? welche im Gegentheil fie befonders ft\u00f6ren ?\nBefonders vorlierrfchendeReproductionskraft, uncl in Folge davon l\u00e4ngere Lebensdauer, lange fortgehendes Wachsthum, Gr\u00f6fse des K\u00f6rpers und felbft Verm\u00f6gen zur Wiedererzeugung g\u00e4nzlich verlorener Glieder, wird um fo gewiffer gefunden werden miiffen , a) je niedriger der Stand, der gefammten animalen Sph\u00e4re ift, b) je weniger Athmungsorgane lieh entwickelt zeigen, c) je weniger Venen - und Lymphfyftern, und der kleine Kreislauf ausgebildet find, dl) je weniger die Gefchlechts-function pr\u00e4dominirt, und e) je weniger das Harnfy~ fern fich th\u00e4tig erzeigt ; da hingegen f) das Dauungs-fyftem, und in denselben vorz\u00fcglich die Magengegend des Darmkanals, um fo mehr ausgebildet feyn wird, und g) Arterien wie Milchfa\u00dfgef\u00e4fse durch befondere Wirkfamkeit f\u00fcr individuelle Reproduction fich aus-zeichnen werden.\nEin Minimum reproductive}' Kraft wird hinwiederum da angetroffen werden, wo a) animale Funetio* rum, b) Athmung, c) Venen und Lymph gef \u00fcfse fo wie kleiner Blutumlauf, d') Gefchlechtsth\u00e4tigkeit (namentlich m\u00e4nnliche') und e) Harnabfonderung hervorgehoben find, wenn im Gegentheil f) Darmjyjtem und o) ern\u00e4hrende Gef\u00e4fse eine geringe Tnatigkeit zeigen. K\u00fcrzere Lebensdauer, bald ftillftehendes Wachsthum,","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nkerbeigefiihrt durch Gleichgewicht zwifehen n\u00e4hrenden und zerfr\u00f6ren !en Wirkungen, ja Achtbare Abnahme des K\u00f6rpers, Folge \u00fcberwiegender zerft\u00f6render Th\u00e4iig-keit, fo wie das Verlorene Wiedererzeugungsverm\u00f6gen wichtigerer organifcher Glieder, werden fowohl Zeichen als Folgen einer folchen Organifation genannt werden miiffen.\nIch gehe jetzt \u00fcber zur Anwendung diefer S\u00e4tze auf die \u00dfeti'achtung theils verfchiedener Thiergattungen, theils verfchiedener Entwicklnngszuft\u00e4nde des thieri-\u00eechen Organismus, und endlich mehrerer krankhafter Ver\u00e4nderungen defl'elben.\nTheilen wir die Gefammtheit verfchiedener Thiergattungen in heben Klaffen, deren drei erften die wir-bellofen Thiere, deren vier letztem die Thiere mit R\u00fcckenwirbeln angeh\u00f6ren, und gehen wir diefe Klaffen in auffteigender Linie k\u00fcrzlich durch, fo treffen wir zun\u00e4chftin der erften Klaffe, den Zoophyten, auf eine Organifation, wo die vegetative Sph\u00e4re noch g\u00e4nzlich das Uebergewicht hat, die animale Sph\u00e4re wenig ausgebildet, das Nervenfyftem felbft nur hin und wieder erft angedeutet ift, befondre Athmungs - und Abforide-rungsorgane noch g\u00e4nzlich fehlen, und das einzige und zwar weibliche Gefchlechtsfyftem, noch ein integriren-des Glied des Darmfyftems darftelit. Dabei find ind\u00e8fs auch die n\u00e4hrenden Gebilde wenig entwickelt, der 'Darm ift eine einfache H\u00f6hle, und Gef\u00e4fsfyftem wie Nervenfyftem, ift nur in fchwachen Andeutungen vorhanden. Wenn wir daher auch hier das Individuum noch nicht durch beh\u00e4ndere K\u00f6rpergr\u00f6fse und lange Lebensdauer ausgezeichnet feilen, ( obfchon die letztere wohl im Verh\u00e4ltnifs zum K\u00f6rper mitunter betr\u00e4chtlich genug ift, da Trembley l) einen Polypen\ni) Trembley M\u00e9moires pour fervir \u00e0 l\u2019hiftoire d\u2019un genre de-polypes d\u2019eau douee, 1744.- p. 238.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"175\nmehrere Jahre lang n\u00e4hrte) fo zeigt fich daf\u00fcr das Re-productionsverm\u00f6gen derfelben um fo bekannter und bewunderter, ein Verm\u00f6gen, von welchem Trembleys und Cavolinis Verfuche mit Polypen und Gorgonien hinl\u00e4ngliche Beweife gegeben haben.\nIn der zweiten Klaffe, in den Weichthieren, entwickelt fich zwar die animale Sph\u00e4re mehr, das Ner-venfyftem ift vollft\u00e4ndiger, \u00f6fters find fogar einige Sinnesorgane vorhanden, und Bewegungswerkzeuge vervielf\u00e4ltigen fich. Dagegen ift aber das Dauungsiyftem gew\u00f6hnlich fehr ausgebildet, das Athmungsfyftem noch gr\u00f6fstentheils, felbft in den vollkommenften Gattungen, z. B. den S\u00fcpien, auf Wai'fer- oder Kiemenrefpiration befchr\u00e4nkt, und im Gefchlechtsfyftem fehlen die Harnwerkzeuge, ja felbft die eigentlichen Gefchlechtsorgane find fo wenig entwickelt, dafs oft noch die Gefchlech-ter nicht getrennt gefunden averden. \u2014 Wir k\u00f6nnen aus einer folchen Organifation f\u00fcglich auf hohen Stand derReproductionskraftfchliefsen, und angeftellte Beobachtungen und Verfuche find im Stande, die Richtigkeit diefes Schluffes vollkommen ins Licht zu fetzen. Anlangend die Lebensdauer, fo fehlen zwar hier fo wie bei den meiften Thiergattungen genauere Beobachtungen, allein es find Gr\u00fcnde genug vorhanden, welche es aufser Zweifel fetzen, dafs diefelbe wirklich fehr bedeutend feyn miiffe. So fehen wir z. B. an den Flu\u00df-mufcheln, wenn fie geboren werden, \u00e4ufserfl zarte einfache Sch\u00e4lchen, welche fich vergr\u00f6fsern, indem am Rande derfelben fich fortw\u00e4hrend neue Ringe oder Schichten von Kalkmaffe anlegen. Nimmt man nun auch an, dafs j\u00e4hrlich einige dergleichen Ringe gebildet werden, fo mufsman doch, die grofse Zahl dieferRinge in gr\u00f6fsern Individuen erw\u00e4gend, eine lange Lebensdauer diefer Thiere zugeben. Wir k\u00f6nnen zugleich hierbei bemerken, dafs auch das Wachsthum diefer Thiere","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"fehr lange, ja wahrfeheinlich f\u00fcr Immer fortgeht, \u00abns? finden \u2018darin einen neuen Beweis von befonders kr\u00e4ftiger Vegetation. Was die Schnecken betrifft, fo hat fchon R\u00e9aumur ein \u00e4hnliches Bilden der Schale auch an ihnen bemerkt, und bereits Swammerdam *) fchliefst aus diefem allm\u00e4hligen Anwachfen auf ein hohes Alter diefer Thiere. Die beftimmtefte Kenntnifs haben wir ferner \u00fcber das Reproductionsverm\u00f6gen verlorener Theile, welches den Weichthieren in hohem Grade eigen ift. So haben fchon die altern Naturforfcher das Wiedererzeugen verlorener Arme in den S\u00e4pien gekannt, und in Schnecken haben mehrere Beobachter gefehen, dafs felbft der abgefchnittene Kopf, Zugleich mit den F\u00fchlh\u00f6rnern, fich regenerirte 1 2). Was endlich die K\u00f6rper gr\u00f6fse betrifft, fo ift auch diefe bedeutend, indem man Mufcheln findet, deren Gewicht 5 \u2014 600 Pfund betr\u00e4gt, und auch mehrere S\u00e4pien gattun gen eine aufserordentliche, ja einige vielleicht eine rieien-hafte Gr\u00f6fse erreichen.\nIn der dritten Thierklaffe, welche ich nach Oken\u2019s Vorfchlag als\u2019 Glieder thiere bezeichnen m\u00f6chte, entwickelt fich das im Wafier erzeugte Gefch\u00f6pf immer beftimmter zum Luftthier; doch nur allm\u00e4hlig, und zwar in drei Ordnungen: W\u00fcrmer, Kruft en thiere und Infekten, welche den drei verfchieclenen Zuft\u00e4nden des vollkommenen Infekts entfprechen, und deren Structur daher felbft hinfichtlich der Vegetationskraft ihres Organismus , \u00e4ufserft verfchieden ift.\nAnlangend die Ordnung der W\u00fcrmer, fo herrfcht in ihrer Organifation, faft noch mehr als in den Weichthieren, ein Verh\u00e4ltnifs der Syfteme, welches das Hervortreten bedeutender reproductiver Kr\u00e4fte beg\u00fcnftigt.\n1) Bibel der Natur. IS. <\u00ffi.\na) Blumenbach Handbuch der Naturgefohiclna S. ; ; \u2022","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"177\nDas Darmfyftem n\u00e4mlich ift vorz\u00fcglich entwickelt, die animale Sph\u00e4re hingegen um fo weniger; als Ath-mungsorgan finden wir blofs die \u00e4ufsere Fl\u00e4che des K\u00f6rpers, und das Gefchlechtsfyftein ift nur infofern mehr ausgebildet wie in der erften Ordnung der Weichthiere, indem fchon h\u00e4ufig v\u00f6llig getrennte Gefchlechter Vorkommen. Ueber Lebensdauer und Wachsthum der W\u00fcrmer fehlen \u00fcbrigens genauere Beobachtungen wieder faft g\u00e4nzlich; nichts defto weniger d\u00fcrfte jedoch weder langes Leben, noch Jangfames und lange fortgehendes Wachsthum derfelben in Zweifel zu ziehen fevn, da man einmal, z. B. bei Regenw\u00fcrmern, und Blutegeln , wenn fie mehrere Monate oder noch l\u00e4ngere Zeit aufbewahrt werden, nur fehr geringe Gr\u00f6fsen-Ver\u00e4nderung wahrnimmt, und daher fchliefsen mufs, dafs, bis fie ihre \u00e4ufserfte Gr\u00f6fse erreichen, gewif.s ein betr\u00e4chtlicher Zeitraum verftreichen werde, da ferner die lange Dauer von Wurm- und zumal von Bandwurmkrankheiten ebenfalls eine lange Lebensdauer diefer W\u00fcrmer beweift, und zwar eine Lebensdauer, w\u00e4hrend welcher fie an Gr\u00f6fse ftets fo zunehmen, dafs z. B. Bandw\u00fcrmer von 60 \u2014 8\u00b0 und mehreren Ellen gefun-den worden find, und da man endlich auch W\u00fcrmer, wie andere mit ftarker Reproductionskraft begabte Thiere, in gefprengten Steinbl\u00f6cken angetroffen hat1).\nZuletzt bemerke ich noch, dafs in vielen W\u00fcrmern auch ein betr\u00e4chtliches Wiedererzeugungsverm\u00f6gen verlorener Theile gefunden wird, welches beim Regenwurm, und befonders beim Wajjerfchl\u00fcn geleiten \u00c7\u00c0ais') fo bedeutend ift, dafs aus jedem gr\u00f6fsern St\u00fcck des K\u00f6rpers, wie beim Polyp, wieder ein Ganzes er-w\u00e4chft2), und fo ftimmten denn auch die Lebenser-\nl) Smellie's Philofopliie der Natorgefchichte iiberf, v. Lichten\u25a0 ftein. Berlin 1791. 1. Th. S. 153. d) Ok en's Zoologie. S. 364.\nAl d. Archiv. II, 2.\nM","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nfcbeinungen die\u00dfr Thiere mit ihrer Organifation vollkommen \u00fcberein.\nIn der zweiten Ordnung der Glieder thiere, in den Crufiaceen, findet fich zwar Nerven-, Sinnes - und Beweg un g sjyjlem etwas mehr als in voriger Ordnung entwickelt und die Gefchlechter ericheinen durchg\u00e4ngig getrennt, daf\u00fcr ifr aber der Darmkanal noch immer als \u00fcberwiegendes Gebild zu betrachten, das Gef\u00e4\u00dffyfiem ift \u00e4ufserft einfach ohne befondere Lymph ge f\u00fcjse, und namentlich find die AthmungsWerkzeuge noch einzig Kiemen, und gr\u00f6fstent'neils auf Wafferrefpiration be-fchrankt. Wir beobachten daher auch noch an die-fen Thieren ftarkes Wiedererzeugungsverm\u00f6gen verlorener Theile, betr\u00e4chtliche Lebensdauer, fortgehendes Wachsthum, und mitunter bedeutende K\u00f6rpergr\u00f6fse. So ift von den Krebfen das fchnelle Erneuern verlorener Scheeren u. f. w. bekannt, fo weifs man, dafs der Flufs krebs erft im dritten Jahre zur Begattung f\u00e4hig, gegen 20 Jahr alt, und dabei von Zeit zu Zeit gr\u00f6ber wird1), und endlich was K\u00f6rpergr\u00f6fse \u00fcberhaupt anbclangt, fo erreicht der Molluckenkrebs (Mo-noculus Polyphemus) eine L\u00e4nge von 4 Fufs.\nDie dritte Ordnung der Gliederthiere wird nun durch die eigentlichen Infekten gebildet , und obfchon auch hier noch mehrere Gattungen zum Typus der niedrigem Ordnungen zur\u00fcckzukehren fcheinen, fo ift doch im Gegentheil die Organifation der hohem Gattungen von Allem, was wir bisher betrachteten, g\u00e4nzlich unterfchieden, und wird nur in fr\u00fchem Lebensperioden des Individuums, im Larven- und Puppenzu-\n0 Rts/el Infektenbeluftigungen, ajr Ed., ;r Th. Vom einhei-mifchen Flufskrebs.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"179\nftancfe, der der vorigen Ordnungen \u00e4hnlicher. \u2014 Was den K\u00f6rper des vollkommnen Infekts anbelangt, fo finden wir darin nicht nur die fenfibeln und Bewegungsorgane in befondrer Entwicklung, fondern namentlich find die Athmungsorgane in einem folchen Umfange wie durchaus bei keinem andern Thier entwickelt; unz\u00e4hlige Athemr\u00f6hren durchziehen n\u00e4mlich, anftatt des faft g\u00e4nzlich verdr\u00e4ngten Gef\u00e4fsfyftems, alle Theile des K\u00f6rpers und verwandeln fo gewiffermafsen das ganze Thier in eine fich frei bewegende, und lieh fortpflanzende Lunge. Selbft der Darmkanal ift in vielen vollendeten Infekten \u00e4ufserft klein, ja mehrere nehmen nach der letzten Verwandlung durchaus keine Nahrung mehr zu fich, und da nun ferner auch ftatt eines die Reproduction vermittelnden Gef\u00e4fsfyftems ein einziges \u00fcberall gefchloffenes Riickengef\u00e4fs \u00fcbrig ift, da demohn-erachtet noch mehrere Abfonderungsorgane vorhanden find, und vorz\u00fcglich auch das Gefchlechtsfyftem, deffen Function oft einziger Zweck eines folchen ganzen Thierlebens zu feyn fcheint, h\u00f6chft ausgebildet ift, fo mufs aus dem Verh\u00e4ltnifs aller diefer Syfteme untereinander ein folcher Stand der Vegetationskraft hervorgehen , welchen wir fchon weiter oben als das Minimum derfelben bezeichneten. Daher denn nun das fehr kurze Leben vollkommner Infekten (niedrigere Gattungen, z. B. die Spinnen, welche den Cruftaceen fich n\u00e4hern, leben fchon weit l\u00e4nger), deren ganze Lebenszeit fich oft nur auf die Begattimgszeit einfehr\u00e4nkt, daher ihr fchwaches Wachsthum, welches (die fchnelle Vergr\u00f6fserung *) einzelner Theile, z. B. der Fl\u00fcgel, nach der letzten Verwandlung ausgenommen) faft = o ift,\nM 2\nI) Dafs auch diefs eigentlSfr nur ein fcheinbares Waclnthum fey* hat bereits Reaumur erwiefen.","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\ndaher die verlorene Reproductionskraft, daher endlich auch die geringe K\u00fcrpergr\u00f6fse aller eigentlichen /\u00ab\u2022 fekten. Was indefs von dem vollkommnen Infekt gilt, gilt weit weniger von der Larve und Puppe ; im Lar-venzuftande n\u00e4mlich ift der Darmkanal mehr ausgebildet, das Thier felbft nimmt gew\u00f6hnlich viel Nahrung zu lieh (einige Raupen verzehren in 24 Stunden das dreifache ihres Gewichts an Futter), namentlich aber ift das Gefchlechtsfyftem noch g\u00e4nzlich unth\u00e4tig, ja erft in einzelnen Andeutungen vorhanden, und l\u2019o wirdes denn erkl\u00e4rlich, wie hier das Thier fchnell wachfen und l\u00e4ngere Zeit leben kann. So w\u00e4chft z. B. die Made einer Schmeifs\u00dfiege 24 Stunden nach dem Auskriechen um das \u00eesgfache ihres erfien Gewichts 1 ), und fo lebt die Larve des Maik\u00e4fers bekanntlich.4 Jahr als Engerling unter der Erde. Ja wir fehen aus demfelben Grunde auch vollkommne Infekten, z. B. K\u00e4fer, l\u00e4ngere Zeit leben, wenn fie von der Paarung abgehalten werden. Was den Puppenziftand betrifft, fo ift diefs ein tiefer Schlaf, und hier, wo h\u00f6heres thierifches Leben und Gefchlechtsfunction g\u00e4nzlich ruht, und felbft das Ath-mungsgefch\u00e4ft weniger lebhaft ift, mufs ebenfalls Reproduction, und vorz\u00fcglich Ausbildung der innern Organifation, auf Koften des fr\u00fcher im fogenannten Fettk\u00f6rper angeh\u00e4uften Biidungsftoffs, leichter von Statten gehn.\nWir kommen jetzt zur Unterfuchung der Thiere mit R\u00fcckenwirbeln, und k\u00f6nnen hier gleich anf\u00e4nglich im Allgemeinen bemerken, dafs in Folge der ft\u00e4rkern Entwicklung aller zur animalen Sph\u00e4re geh\u00f6rigen Gebilde, jenes bewundernsw\u00fcrdige Verm\u00f6gen, nicht nur verlorene Theile vollkommen zu reproduciren, fondern\n1) Blamcnbach's Naturgefchiclue. S. 509.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"181\naus jedem fol eher Theile felbft wieder ein vollft\u00e4ncfiges Ganze zu bilden, in diefer zweiten grofsen Abtheilung des Thierreichs durchaus nicht mehr in dem Maafse beobachtet werde, wie wir es in niedrigem Gattungen fo h\u00e4ufig gefunden haben. Demohnerachtet zeigt auch ' hier wieder die Energie der Vegetationskraft nach dem jedesmaligen Verh\u00e4ltnis. organifcher Syfteme in dep verfchiedenen Klaffen , \u00e4ufserft verfchiedene Grade.\nWas zun\u00e4chft die Klaffe der Fifche betrifft, fo find hier die fenfibeln Organe noch immer in ihrer Ausbildung bedeutend zur\u00fcck, der K\u00f6rper entbehrt felbft, gleich einem fr\u00fchzeitigen menfchlichen Embryo , wirkliche \u00e4ufsere Gliedmafsen, ferner wird die Rcfpiralion noch durchg\u00e4ngig mittelft der Kiemen vollzogen, ift demnach Wafferrefpiration , und folglich unvollkomrn-ner als in allen hohem Klaffen. Dagegen ift nun das Da nun gsfyftem befonders entwickelt, die Bauchh\u00f6hle ift der bedeutendste Raum des K\u00f6rpers, im Lytnphfyfiem fehlen noch Drtifen und Klappen, der kleine Kreislauf des Bluts macht noch mehr einen integrirenden Theil des grofsen Kreislaufs aus, und was endlich das Gefeilt edits fyftem anbelangt, fo find zwar die Gefchlechter hier, wie in allen Thieren mit R\u00fcckenwirbeln, durch-gehends getrennt, doch findet eine wirkliche Paarung nur in wenigen Gattungen Statt. Eben fo find zwar auch die Harnwerkzeuge von nun an immer in den Vertebralen vorhanden, doch-auch ihre Bildung ift hier infofern noch fehr unvollkommen, da eine eigentliche Harnblafe nur h\u00f6chft feiten gefunden wird. Als Re-fultat diefer Organifation ift es zu betrachten, wenn wir an diefen Thieren betr\u00e4chtliche Lebensdauer, fortgehendes Wdchsthum, und h\u00e4ufig, zum Theil in Folge dief\u00e8s letztem, aufserordentliche K\u00f6rpergr\u00f6\u00dfe wahrnehmen. So ift z. B. bekannt, dal\u2019s Hechte ein Alter von mehr als 200 Jahren erreichen k\u00f6nnen, wobei auch die","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"183\nGr\u00f6fse derfelben fortw\u00e4hrend zunimmt1 2 ), dafs Karpfen., welche im gten Jahre gew\u00f6hnlich 6 Zoll lang, und gegen das 6te Jahr zum Laichen v\u00f6llig geeignet find 3 4 5), wohl IOO Jahr alt werden, und dann eine L\u00e4nge von mehr als 2 Ellen erlangen k\u00f6nnen 3), und dafs Aale mitunter eine Schwere von 20 Pfund durch hohes Alter erreichen 4). Es ift \u00fcbrigens merkw\u00fcrdig, wie ein folches Fortwachfen des K\u00f6rpers in den Fifchen, felbft durch die Bildung ihres Skelets begiinftigt wird, indem hier die einzelnen Knochenftiicke z. B. des Kopfs, nicht fo-wohl durch feft in einandergreifende N\u00e4the verbunden find, fondera vielmehr fchuppenartig an und \u00fcber einander liegen; dabei ift es mir jedoch zweifelhaft, ob auch die h\u00f6hern fenfibeln Gebilde, namentlich Hirn, R\u00fcckenmark und Sinnesorgane, an diefem Wachsthum Theil nehmen, oder ob fie nicht vielmehr (wie diefs ja auch im Menfchen der Fall ift) fr\u00fcher zu wachfen aufh\u00f6ren *), ja ob nicht vielleicht, in Folge eben diefes Mifsverh\u00e4ltniffes, welches durch das zeitigere Nachlaf-fen des Wachsthums in jenen Gebilden, im Vergleich mit dem fortgehenden Anwachfen anderer Theile, herbeigef\u00fchrt wird, endlich nothwendig das Erl\u00f6fchen aller Lebenskraft, der Tod eintreten m\u00fcffe ? \u2014 Eine Frage, welche wohl noch weitere Nachforfchungen verdienen m\u00f6chte.\n1)\tEs wird diefs namentlich durch einen vom Kaifer Friedrich II mit einem Binge verfehenen Hecht bewiefen. S. Ruyschii Theatrum animalium. Amftelod. 1718. T. II. p. 154.\n2)\tAuszug aus Kr\u00fcnitz Encyclop\u00e9die von Sch\u00fctz. Berlin 1790. IX. Thl, (/. Karpfen).\n3)\tC. Gefsner de natura pifcium. Frankf, l\u00f6io. p. 309.\n4)\tRuyschii Th. a. T. II. p. 81.\n5)\tWenigften\u00e4 fand ich bei gr\u00f6fsern Fifchen die Sch\u00e4delh\u00f6hle zum Hirn immer weit gr\u00f6fser, als bei J\u00fcngern, wo das Hirn den Sch\u00e4delraum weit beftimmter ausfiillt.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"183\nAnlangend ferner die Klaffe der Amphibien, fo gilt von diefen noch ziemlich dafielbe, was von den Fifchen gefagt worden ift ; denn obfchon fenfible. Organe fich bereits hier ft\u00e4rker entwickeln, Bewegungsorgane allm\u00e4hlich ausgebildet werden, fo ift doch das Ver-dauungsfyftem immer noch vor waltend th\u00e4tig, das ihm entgegenftehende Athmun gsfyftem aber, obfchon nun Luftathmung Statt findet, um wenig m\u00e4chtiger als bei der Kiemenathmung, indem noch nicht die ganze Blut-maffe durch die Lungen getrieben wird, vielmehr der kleine Kreislauf nur einen einzelnen kleinen Nebenzweig des grofsen ausmacht, und diefer letztere daher auch ohne den erftern beftehen kann, fo dafs Athmung hier allerdings noch weniger ftetes Bed\u00fcrfuifs ift als im Fifch, deffen grofser Blutlauf ohne die Cirkulation durch die Kiemenbl\u00e4tter keinesweges beftehen k\u00f6nnte. Die Lebenserfcheinungen hinfichtlich der Vegetationskraft, find daher auch hier faft g\u00e4nzlich diefelben wie in der vorigen Klaffe ; wir beobachten bedeutende Lebensdauer, langfame Entwicklung des K\u00f6rpers, io wie lange fortgehendes Wachsthum, und in Folge deffelben bedeutende K\u00f6rpergr\u00f6fse ; ja felbft die Reproductionskraft f\u00fcr verlorene Glieder, welche in voriger Klaffe g\u00e4nzlich ver-fchwunden fchien, tritt hier in einem nicht unbetr\u00e4chtlichen Grade wieder hervor.\nHieher geh\u00f6rige Beifpiele z\u00e4hlt die Naturgefchichte in Mentre auf : fo ift die Kr\u00f6te erft im 4 len Jahre fich fortzupfianzen f\u00e4hig, lebt aber fehr lange, denn man fahe z. B. ein folches Thier einft 36 Jahr lang in einem Haufe1), ja das Vorkommen von Kr\u00f6ten in Steinbl\u00f6cken, welches um fo unbez weifeiter ift, da Kr\u00f6ten mit Gypsm\u00f6rtel umgoffen 15 Monate lebendig blie-\nl) De la Cr,}]tele's Naturgefchiclite der Amphibien, iiberfetzt von Bechftein ; II. Thl; S. 441*","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nben l), deutet gar auf ein unermefsliches Alter der-felben. Wenn \u00fcbrigens bei diefen Thieren gerade keine bedeutende Vergr\u00f6\u00dferung des K\u00f6rpers in den fp\u00e4tern Lebensjahren zu bemerken ift, fo wird dagegen bei andern Gattungen ein felbft bis ins fp\u00e4tefte Alter fortgehendes Wachsthum um fo deutlicher wahrgenommen. So mifst z. B. ein eben aus dem Ei gekrochenes KrokodilI 6 \u2014 7 Zoll, ein 2 Jahr und a Monat altes etwa so Zoll2); bedenkt man nun, dafs dieles Thier eine L\u00e4nge von 30 Fufs erreichen kann, und ferner, dafs jedes Thier fp\u00e4terhin langfamer w\u00e4chft als in den fr\u00fchem Jahren, fo kann man fich fchwerlich irren, wenn man daraus theils auf das Alter des Thiers, theils auf das fortgeliende Wachsthum deffelben, weitere Schl\u00fcffe zieht; wefshalb denn auch fowohl \u00e4ltere (z. B. Ariftote-les und PUnius), als neuere Naturforfcher (wie Blumenbach 3 4) der Meinung gewefen find, dafs das Krokodill bis zu feinem Ende immer fortwachfe. ____ End-\nlich ift es auch von den Schlangen und Schildkr\u00f6ten bekannt, dafs lie eines hohen Alters f\u00e4hig find 4).\nDie Klaffe der V\u00f6gel, zu deren Betrachtung wir uns nun wenden, bietet, wie in fo vielen andern Hinfichten, fo auch hinfichtlich der Vegetationskraft, mancherlei Analogieen mit den Infekten dar. Namentlich finden wir im Vogel, wie im Infekt, fowohl die Bewegungswerkzeuge, als die Athmungsorgane, welche auch hier zu den meiften H\u00f6hlen des K\u00f6rpers Luft f\u00fchren, in befondrer Vollkommenheit entwickelt, und wenn diefes einer Seils allerdings einen tiefem Stand\n1)\tEbendaf. S. 443.\n2)\tDe la Cepede; I. Thl. S. 403.\n3)\tHandb. der Naturgefcli. S. 39.\n4)\tDe la Cepede; I. Thl. S. 98. III. Thl. S. 31.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"185\nder Vegetationskraft zu bedingen fcheint, fo fehen wir anderer Seits die daraus folgenden Nachtheile wieder in etwas compenlirt, theils durch die gleichzeitige Ausbildung eines Gef\u00e4fsfyftems (welches den Infekten g\u00e4nzlich abging), theils durch ein kr\u00e4ftigeres Verdccuungsfyftem (welches im vollkommnen Infekt gleichfalls \u00dfch wenig th\u00e4tig erzeigte, da feine Wirkfamkeit hingegen in der l\u00e4nger lebenden Larve um fo betr\u00e4chtlicher war),. und endlich durch geringere Fruchtbarkeit, verglichen mit der der Infekten (fo legt z. B. die Termitenk\u00f6nigin 1 ) innerhalb 24 Stunden gegen 80000 Eier; welcher Contraft gegen die Vermehrung irgend eines Vogels!). \u2014 Als Refnltat diefer Organifation k\u00f6nnen wir hier die fchnelle K \u00f6 rperent wickl un g, das bald au\u00dfi\u00f6-rende Wachsthum, und die geringere Gr\u00f6\u00dfe, bei einem \u00fcbrigens nicht unbetr\u00e4chtlichen Lebensalter anf\u00fchren, und werden auch darin die Uebereinftimmungjmit fr\u00fcher aufgeftellten S\u00e4tzen nicht verkennen. Als hierhergeh\u00f6rige Beobachtung kann es z. B. gelten, dafs ein Haushahn , welcher im elften Lebensjahre ausgewach-fen und zeugungsf\u00e4hig ift, 15 bis 20 Jahr lebt, fo dafs folglich die Zeit des Wachsthums beinahe 20 mal durch die Lebensdauer \u00fcbertroffen wird, ein Verh\u00e4ltnifs, welches auch bei den meiften \u00fcbrigen Gattungen der V\u00f6gel als das gew\u00f6hnliche gefunden wird. Die Lebensdauer felbft ift \u00fcbrigens verfchieden ; fo leben Nachtigallen, 17 \u2014 18 Jahre, Tauben 22, G\u00fcnfe gegen 80, ja Adler, Papageyen, und Raben felbft gegen 100 Jahre2). \u2014 Uebrigens hat bekanntlich die Klaffe der V\u00f6gel keine einzige Gattung aufzuweifen, deren K\u00f6rpergr\u00f6\u00dfe, mit\nl) Blumenhach\u2019s Naturgefcli. S. 387,\n3) Verfuch einer Gefchichte und Plryliologie der Thiere von J. W. Link. Chemnitz 1805. S. 317.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nder der gr\u00f6fsern Fifche, Amphibien oder S\u00fcugthiere verglichen werden k\u00f6nnte.\nNoch w\u00e4re nun die Klaffe der S\u00fcugthiere zu betrachten \u00fcbrig, da indefs hier die Organifation des Menfchen felbft als Grundform und Repr\u00e4fentant zu betrachten ift, fo fcheint es f\u00fcr unfern Zweck hinl\u00e4nglich im Allgemeinen anzumerken, dafs durch jenes fch\u00fcne Gleichgewicht, welches hier unter den befon-dern Syftemen und Functionen herrfchend wird, auch der Vegetationskraft ein folches Maafs gefetzt wird, wo zwar nicht mehr das immer fortgehende Wachsthum und die ftarke Reproductionskraft der Amphibien, aber auch nicht mehr die aufserordentlich fchnelle Entwicklung der V\u00f6gel beobachtet wird, fondern die Zeit des Wachsthums ungef\u00e4hr auf den vierten Theil gelammter Lebensdauer befchr\u00e4nkt, und die Geftalt endlich zwar nicht mehr durch ungeheure Gr\u00f6fse, um fo mehr aber durch beftimmtes Ebenmaafs ihrer Formen ausgezeichnet ift. Merkw\u00fcrdig ift es indefs, dafs bei den im Waffer lebenden S\u00e4ugthieren, z. B. Delphinen, Seek\u00fchen und Wallfifclien die Vegetationskraft mehr Energie als in den Landthieren verr\u00e4th, und zwar theils durch die aufserordentliche Fetterzeugung, theils durch die bedeutende Blutmal'fe diefer Thiere, und endlich durch das wahrfcheinlich fehr hohe Alter bei gewifs lange Zeit fortgehendem Wachsthum des K\u00f6rpers. So foil z. B. der Delphin gegen 300 Jahr alt werden *), und fo fcheint fchon das Factum, dafs Wall-fifche von der Gr\u00f6fse, wie lie fonft zuweilen gefangen worden find, jetzt faft gar nicht mehr Vorkommen, deutlich zu erweifen, dafs das Wachsthum diefes Thiers zum wenigften weit \u00fcber die Jahre der Fortpflanzungsf\u00e4higkeit hinausreichen muffe. Fragt man, in\n1) R.uyschii Theatr. animal. T. II. p. 154.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"187\nwiefern wohl eine folche vorwaltende Vegetationskraft durch die Organifation begr\u00fcndet fey, fo d\u00fcrfte nicht mit Unrecht anzunehmen feyn, dafs eines Theils die, faft eben fo wie im Fifch gehinderte Glieder - Entwicklung, andern Theils aber, die bei ftetem Aufenthalt im Waffer weniger denkbare Huutausdilnftimg, und endlich felbfe eine unvollkommnere Lungenath-mung, als die Folge des mehr fleifchigen Gewebes der amphibienartig langgeftreckten, von aufsen faft fackf\u00f6r-migen Lungen1), hinreichende Gr\u00fcnde diefer Erfchei-nungen darbiete.\nNachdem auf diefe Weife Vegetationskraft und Organifation in verfchiedenen Thierklaffen verglichen worden find, bleibt es mir noch \u00fcbrig, theils \u00fcber die Entwicklungsgefchichte, theils \u00fcber verfchiedene krankhafte Zuft\u00e4nde des Menfchen einige Bemerkungen hinzuzuf\u00fcgen , wobei hoffentlich noch manche Beft\u00e4tigung fr\u00fcher aufgeftellter S\u00e4tze nachzuweifen feyn wird.\nWas die Entwicklungsgefchichte betrifft, fo ftofsen wir hier gleich anf\u00e4nglich auf die allerdings h\u00f6chft wichtigen Fragen : woher das aufserordentlich fchnelle Wachsthum des Embryo ? \u2014 und woher das allm\u00e4hliche Nachlaffen und endliche Auf h\u00f6ren diefes Wachsthums nach der Geburt? \u2014 Es ift bekannt, dafs der Embryo im erften Schwangerfchaftstnonat um das 300,000fache an Gr\u00f6fse gewinnt, wenn man den Anfang deffelben -j\u00f6'\u00f6'\u00f6\u00f6\u00f6 Gran fcli\u00e4tzen will, dafs er ferner im zweiten Monat um das 48fache an Gr\u00f6fse zunimmt, und dafs diefes Wachsthum dann immer mehr und mehr finkt, fo dafs auf jeden der \u00fcbrigen Schwan-gerfchaftsmonate nur eine 15faltige Vergr\u00f6fserung zu rechnen ift *); allein man wird den Grund eines folchen\nl) Blumenbach's Handbuch der vergl. Anat. S. 247, 3) Halier Element, phyf. T. VIII. p. 302.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nreifsenden Wachsthums wohl fchwerlieh hinl\u00e4nglich zu verftehen glauben, wenn man blofs die von Haller angef\u00fchrten Urfachen beriickfichtigt, welche er theils in einer verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig bedeutendem Gr\u00f6fse und Reitz-barkeit des Herzens, in dem gr\u00f6fsern Nervenfyftem (?), und in der gr\u00f6fsern Anzahl von weichem und mehr ausdehnbaren Gef\u00e4fsen zu finden glaubt. Nehmen wir (aber Jm [Gegentheil R\u00fccklicht darauf, dafs der Embryo in feinen fr\u00fchem Perioden \u00abdurchaus nur vegetirend lebt, dafs alles h\u00f6here animale Leben im eigentlichen Sinne des Worts fchl\u00e4ft, dafs Athmung entweder g\u00e4nzlich ~ o ift, oder fp\u00e4terhin durch eine Art von Kiemen-refpiration vollzogen wird, dafs felbft Perforation auf der Hautoberfl\u00e4che bei dem in Fl\u00fcffigkeit fch wimmenden K\u00f6rper nur in geringerm Maafse vorhanden feyn k\u00f6nne, dafs endlich das Gefchlechtsfyftem hier noch g\u00e4nzlich unth\u00e4tigift, und dafs dagegen dem K\u00f6rper ein v\u00f6llig affimilirter unmittelbar zur Fortbildung geeigneter pla-fiifcher Stoff zugef\u00fchrt wird, fo kann uns jene iiberra-fchend fchnelle Entwicklung fchwerlieh mehr befremden. Ja man d\u00fcrfte wohl noch einen Grund diefer Erfcheinung mehr darin finden, dafs felbft das Arterien-fyfiem nothwendig fr\u00fcher exiftiren mufs, als das Venen-fyfiem, und dafs daher gewifs anf\u00e4nglich mehr Blut zur Fortbildung des Organismus verwandt wird als fp\u00e4terhin, wo es durch die Menge der Venen gleichf\u00f6rmiger aufgefaugt und zum Herzen zurnekgef\u00fchrt wird. Ich halte es daher noch f\u00fcr einen intereffanten Gegenftand k\u00fcnftiger anatomifcher Unterfuchungen, auszumitteln, welches Verh\u00fchnifs zur\u00fcck f\u00fchrender Gef\u00e4\u00dfe zum Ar-terienjyftem, in den ver/Hiiedenen , und namentlich in den fr\u00fchem Lebensperioden des Menfchen und der Thiere gefunden werde? \u2014\nEben fo wenig dunkel fcheint mir ferner der Grund des fich gegen die Geburt, und fp\u00e4terhin, allm\u00e4hlich","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"189\nvermindernden Wachsthums zu feyn; denn wenn wir beachten, wie nach und nach alle jene Syfteme, welche individueller Reproduction entgegenarbeiten, mehr hervortreten , wie die fenfibeln Organe erwachen, die Bewegungswerkzeuge ge\u00fcbt und ausgebildet werden, wie endlich eine immer vollkommnere Lufiaihmung eintritt, fo mufs wohl nothwendig die Vegetationskraft an Energie bedeutend verlieren, und zuletzt, wenn felbft das Gefclilechtsfyftem zur vollen Th\u00e4tigkeit gelangt, zu jenem Grade herabfinken, wo fernere Vergr\u00f6fserung ides Skelets, und fomit auch der Geftalt, nicht weiter Statt findet, fondern nur im Innern des Organismus jener Stoffwechfel fich fortfetzt, welcher, indem der zerft\u00f6rende Procefs nach und nach immer mehr \u00fcber den fchaffenden fiegt, endlich den Tod felbft herbeif\u00fchrt.\nNoch ift es als befonders merkw\u00fcrdig nicht zu \u00fcbergehen, wie das Maafs der Reproductionskraft und des vVachsthums in den verfchiedenen Syftemen und Gebilden von einer fo bedeutenden Verfchiedenheit gefunden wird, dafs, wenn gewille Organe fchon fehr zeitig aufh\u00f6ren weiter gebildet zu werden, und dabei ein h\u00f6chft geringes Verm\u00f6gen zur Wiedererzeugung verlorener Theile befitzen, andere hingegen zu jeder Zeit an St\u00e4rke und Gr\u00f6fse zu- oder abnehmen k\u00f6nnen, ja felbft, g\u00e4nzlich verloren, fich wieder zu erzeugen verm\u00f6gen. Welche Organe nun aber zu der letztem, welche dagegen zur erftern Gattung geh\u00f6ren , wird leicht fchon im voraus fich abnehmen Jaffen, wenn wir bedenken , dafs das vegetative Leben gewifs eben auch nur in den Gliedern der vegetativen Sph\u00e4re eine beh\u00e4ndere H\u00f6he erreiche, eine Vorausfetzung, welche durch n\u00e4here Unterfuchungen mehr und mehr gerechtfertigt werden wird. So fehen wir das Wachsthum des edel-ften aller zur animalen Sph\u00e4re geh\u00f6rigen Organe d. i.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\ndes Gehirns, nach cfen Beobachtungen der Gebr. Wenzel1) bereits im fiebenten Lebensjahre in jeder Hinficht vollkommen abgefchloffen, eben To d\u00fcrfen wir um diefe Zeit die Bildung der wichtigften Sinnesorgane, der Augen und Geh\u00f6rwerkzeuge als gr\u00f6fstentheils vollendet betrachten, und wie endlich das Skelet, welches mit Nerven - und Muskelfyfiem in gleich enger Beziehung fteht, durch das Aufh\u00f6ren feines Wachsthums jeder weitern Vergr\u00f6fserung der Geftalt Gr\u00e4nzen fetzt, ift bereits oben erw\u00e4hnt worden. \u2014 Betrachten wir dagegen die vegetativen. Gebilde, fo finden wir kein einziges, deffen Ausbildung fo zeitig, als die der hohem zur animalen Sph\u00e4re geh\u00f6rigen Organe abgefchloffen w\u00e4re, ja wir fehen f\u00fcr mehrere, z. B. die unz\u00e4hligen kleinen Lymph- und Blutgef\u00e4fse durchaus kein feftes Ziel und Maafs gegeben, indem unter ihnen eben fo leicht fielt neue erzeugen (zumal bei Entz\u00fcndungskrankheiten), als \u00e4ltere vernichtet werden, indem ferner mittelft ver\u00e4nderter Th\u00e4tigkeit derfelben durch Anh\u00e4ufung von Fett und Zellgewebe, oder durch deren Reforption, die gefammte K\u00f6rpermaffe, und zwar in jeder Lebensperiode, bald vergr\u00f6fsert, bald verkleinert werden kann, indem endlich unter ihrer Mitwirkung felbft eine gewiffe, wenn auch oft unvollft\u00e4ndige PieproJuction gr\u00f6fserer verlorener Theile , oder wenig-ftens Ausf\u00fcllung und Heilung der bei einem folchen Verluft erhaltenen Wunden, zu Stande kommt. Endlich erinnere man lieh der noch mehr untergeordneten Gebilde diefer Art, der Haare, N\u00e4gel, der Oberhaut, deren aufserordentliche Reproductionskraft den Stand diefes Verm\u00f6gens im Pflanzenthier zu wiederholen fcheint, und man wird darin einen neuen Beweis f\u00fcr die obige Annahme nicht verkennen d\u00fcrfen.\nl) De penitiori fcructura cerebri. Cap. XXVIII,","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"191\nDoch wie der vorliegende Auffatz \u00fcberhaupt mehr dazu beftimmt war, die Reichhaltigkeit des behandelten Stoffs anzudeuten, als zu erfch\u00f6pfen, fo findet auch eine ausf\u00fchrlichere Betrachtung des gefammten Entwicklungsproceffes, und der mannichfaltigen Er-fcheinungen , welche w\u00e4hrend des ganzen Lebens r\u00fcck-fichtlich jenes ewigen Wechfels organifcher Maffe beobachtet werden, hier weiter nicht Zeit noch Ort, und es bleibt uns daher nur die Beachtung einiger be-fonderen Krankheitszuft\u00e4nde, deren Gefchichte auf die hier zu l\u00f6fende Frage noch ein helleres Licht werfen k\u00f6nnte, r\u00fcckft\u00e4ndig.\nWir m\u00f6gen aber bei den Krankheiten, deren hier noch k\u00fcrzlich zu gedenken ift, zun\u00e4chft in fofern einen Unterfchied feftfetzen, als bei einer Gattung derfelben Organe, welche der individuellen Reproduction entgegen wirken, in erh\u00f6hter Th\u00e4tigkeit erfcheinen, oder wichtige vegetative Organe in ihrer Th\u00e4tigkeit gefunken find, bei einer andern hingegen die Wirkfam-keit confumirende Organe gefchw\u00e4cht und eriofchen, oder die Th\u00e4tigkeit mehrerer zur individuellen Reproduction hinwirkenden Organe abnorm gei'teigert ift; und werden zugeben m\u00fcffen, dafs, wenn die erftere Gattung nothwendig als f\u00fcr das Individuum befonders zerft\u00f6rerid und Verderblich anzufehen fey, die zweite hingegen die Vegetationskraft des K\u00f6rpers zu einem bedeutenden Grade erh\u00f6hen mufs. So wie indefs Organe f\u00fcr individuelle Reproduction \u00fcberhaupt, in geringerer Anzahl, als die derfelben entgegenarbeitenden vo\u00e7handen find, wie ferner die letztern im Ganzen \u00f6fterer in erh\u00f6hter als in verminderter Lebensth\u00e4tigkeit fielt zeigen, fo kann es uns auch nicht, verwundern, wenn wir den Krankheiten der erften Gattung h\u00e4ufiger als den zu letzterer Gattung geh\u00f6rigen begegnen.\n\u00f6 \u00abB\t\u00a32\tU G3","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nUnter den zerft\u00f6renden Krankheiten verdient aber ganz vorz\u00fcglich die Lungenfchwindfucht einer etwas ausf\u00fchrlichem Erw\u00e4hnung. Es ift bereits neuerlich in einer intereffanten Abhandlung von Dr. Herhol dt1 ) darauf hingedeutet worden, wie nicht blofs die orga-nifche Zerftorung bei cliefer Krankheit beriickfichtigt werden d\u00fcrfe, fondera aufserdem noch manches mehr allgemeine Moment, und zwar vorz\u00fcglich eine ver\u00e4nderte Mifcbung des Bluts, welche diefer Verf. in eine ft\u00e4rkere Oxydation cleffelben zu fetzen geneigt ift. Betrachtet man indefs die Sache n\u00e4her, fo ift leicht zu fehen, dafs damit noch das Wefentliche diefer krankhaften Erfcheinung nicht gefafst ift, dafs es unmittelbar daraus noch nicht klar werden kann, warum bei folchem Leiden, felbft ohne bedeutenden Subftanzverluft der Lungen, der Tod mit folcher Ge-fchwindigkeit, begleitet von fchneller Abzehrung und einem fortgehenden fieberhaften Zuftande herannaht, da hingegen der K\u00f6rper an andern Orten weit ft\u00e4r-kern Subftanzverluft und betr\u00e4chtlichere Eiterungen mit weniger Nachtheil ertr\u00e4gt. Wenn wir dagegen uns daran halten, dafs Refpiration eigentlich Verfl\u00fcch-tigungsprozefs fey, in welchem die Abh\u00e4ngigkeit individuellen Lebens vom kosmifchen befonders hervortritt, dafs fie eben deshalb individueller Reproduction perade enWegenftehe, welches fich in Betrachtung des verfchiedenartigen Thierlebens fo beftimmt nachweifen l\u00e4fst, fo rnufs es wohl weit weniger befremden, dafs bei einer krankhaft aufgeregtenTh\u00e4tigkeit der Lungen, zumal wenn noch eine bedeutende f\u00fcr den individuellen Organismus zwecklofe Abfonderung hinzutritt,\nwenn\nl) J. D. Herholdt \u00fcber die Lungenkrankheiten und insbefondere \u00fcber Lungenfcmvindfuchc. A. d. Diinifchen von Dr. A. Sch\u00f6n-bcrg. N\u00fcrnberg 1814.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"193\nwenn ferner in Folge diefer aufgeregten Lungenth\u00e4-tigkeit ein fchnellerer Blutumlauf, wie h\u00e4ufigeres Zu-riickkehren der Blutmaffe zu ihrem Verfl\u00fcchtigungs-heerd Statt findet, und wenn dadurch zwar ein fehr hellrothes, aber nahrungsftoffarmes Blut erzeugt wird, dafs, fage ich, unter diefen Umft\u00e4nden fehr fchnell ein folches Sinken aller Vegetationskraft herbeigef\u00fchrt wird, wo endlich auch die eigentlich n\u00e4hrenden Gebilde, wie der Darmkanal, ihre'Kr\u00e4fte verlieren, und andere, ebenfalls der Reproduction an und f\u00fcr lieh widerftrebende, wie die Hautfl\u00e4che, ihre Th\u00e4tigkeit vergr\u00fcfsern, fo dafs fp\u00e4terhin Durchf\u00e4lle und profule Schweifse die Zerft\u00f6rung des Organismus vollenden helfen. Wahrfcheinlich wird fich \u00fcber die Lehre von den Lungenkrankheiten, will man diefen Standpunkt ber\u00fcckfichtigen, noch manche Aufkl\u00e4rung finden laffen ; nur ift hier der Ort nicht, weitere Betrachtungen der Art zu beginnen. Wir wenden uns vielmehr noch zu zwei andern Krankheiten welche ihrer fchnellen Zerft\u00f6rung wegen ebenfalls den Aerzten bekannt, ja furchtbar geworden find, ich meyne, zu der Ephidro\u00dfs und dem Diabetes. Wenn in der erftern abnorme Haut-th\u00e4tigkeit oft pl\u00f6tzlich hervortritt und fchnell durch ungeheure Abfonderungen den Tod herbeif\u00fchren kann, fo erfcheint hingegen in dem letztem eine nicht minder gef\u00e4hrliche und zerlt\u00f6rende Th\u00e4tigkeit der Harn Werkzeuge, als derjenigen Organe, welche im Gefchlecbts-fyftem die Athmungsorgane wiederholen, und fo l\u00e4fst fich alfo abermals in beiden Krankheiten das eigentliche Verh\u00e4ltnifs der afficirten Organe zur individuellen Reproduction fehr deutlich erkennen. Es geh\u00f6ren ferner hierher die Leiden der Reproduction in Folge \u00fcberwiegender SenjibiVu\u00fct und deren Gipfel, die Phthi-\u00dfs nervoja, ferner Diarrh\u00f6en und R\u00fchren, in Folge abnorm erh\u00f6hter Th\u00e4tigkeit des Dickdarms, ferner M. d. Archiv. II. 2.\tN","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"Ptyalismus, Gonorrhoe, Galactirrhoe und alle krank-luift vermehrten \u00c4bfonderun gen , deren Producte jetzt f\u00fcr den Organismus als verloren und zwecklos erfchei-nen, und deshalb zu 1 einer Zerit\u00f6rung mitwirken. Eben fo ift auch, in derl'elben Hinficht, jede betr\u00e4chtliche Eiterung hierher zu z\u00e4hlen, und endlich muffen auch diejenigen Repro luctionskrankheiten hier erw\u00e4hnt werden, welche durch die uberm\u00e4fsig hervor! rot ende Ge/chiechtsf,unction bei beiden Gefchlechtern, vorz\u00fcglich aber beim m\u00e4nnlichen Gefchlecht, fich einfinden. \u2014 So wie nun bei allen diefen Krankheiten die Vegetationskraft indirect zerr\u00fcttet wurde, fo kann fie bei andern auch direct geh\u00f6rt werden, indem die wich-tigften reproductive!! Functionen fich verletzt zeigen; und hierher mag man etwa die mancherlei Leiden der Verdauung, die St\u00f6rungen der Chvlusbereituug, die Affeetionen der Chylusgef\u00e4fse, die Scrofeln u. f. w. rechnen.\nVerft\u00fcrkung des Reproductions prozpf/es bis zum Vehermaafs, als wodurch die zweite Gattung der Re-productionskrankheiten begr\u00fcndet wird , kommt zwar als allgemeiner krankhafter Zuftand, aus fr\u00fcher ber\u00fchrten Urfachen ira Ganzen fellner vor, und wird auch weniger leicht die Form einer Krankheit annehmen , fondern eher durch Bereitung einer dicken und nahrungsftoffreiehen Blutmaffe, oder durch Erzeugung einer ungew\u00f6hnlichen Fettmafle, Veranlaflung zu andern Krankheiten geben; um fo h\u00e4ufiger fehen wir dagegen \u00f6rtliche Leiden durch krankhaft \u00fcberwiegende Productivity, namentlich tier Arterienenden , begr\u00fcndet, und es geh\u00f6ren hierher nicht nur die vielfachen Arten von Afierorgauifationen, fondera eben fo be-ftimmt die ganze grofse Klaffe \u00f6rtlicher Entz\u00fcndungen, Krankheiten, in denen, bei genauerer Betrachtung, ein ftetes plaftifekes Beftreben durchaus nicht zu verkennen ift.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"195\nDie abnorm gefteigerte Productivity kann \u00fcbrigens eben fo wie die abnorm verminderte, theils direct, theils indirect bedingt werden. Erfteres gefcliieht durch eine unverh\u00e4itnifsm\u00e4fsig reichliche Ern\u00e4hrung, letzteres hingegen wird durch Hemmung confumirender Prozeffe erreicht, und es geh\u00f6rt zu letztem Veranlaffungen theils zu wenige MuskeJbe-wegung, theils niedriger Stand der Senfibilit\u00e4t und piychifchen Kraft, theils Hemmung der Gefchlechts-function (etwa durch Caftration) ; ja es fragte lieh wohl: ob in den F\u00e4llen, wo Menfchen w\u00e4hrend einer fein-langen Zeit ajle Nahrung entbehren konnten, das Fortbeftehen des Reproductionsprozeffes nicht blofs durch eine gehemmte Auslonderung der Haut, Lungen, Nieren u. f. w. m\u00f6glich wurde?\nDoch diefe Unterfuchungen haben fich nun \u00fcber die wichtigften aller der Gegenft\u00e4nde verbreitet, welche im Bereich jener Frage Jagen, deren Beantwortung hier, wo nicht gegeben, doch wenigftens verflicht Werden follte, und fo bleibt denn dem Verfaffer nur zu w\u00fcnfehen \u00fcbrig, dafs ein fo ergiebiges Feld k\u00fcnftig eben fo von andern Forfchern nicht unbearbeitet bleibe, und demnach, wenn auch nicht diefe Abhandlung, doch deren Gegenftand einer ernften Ber\u00fccklichtigung fich erfreue.\nII.\nUnterfuchungen \u00fcber das Athmen.\nVon Nasse.\nSchwerlich giebt es einen Tlieil der Fhyfiologie, der die Lehr\u00ab vom Athmen an Verwirrung \u00fcbertr\u00e4fe, was, wie wohl jeder Unbefangene eingeftehen mufs, bei dem dermaligen Zuftande der Le-\nN 3","page":195}],"identifier":"lit14012","issued":"1816","language":"de","pages":"161-195","startpages":"161","title":"Gedanken zur Beantwortung der Frage: In wiefern Wachsthum, Reproduction und Abnahme des thierischen K\u00f6rpers begr\u00fcndet werde durch den Stand und die Verh\u00e4ltnisse seiner Organisation?","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:08:22.515081+00:00"}