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Ueber eine neue Begriffsbestimmung des Lebens

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{"created":"2022-01-31T14:05:34.091459+00:00","id":"lit14077","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Mayer, A. C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 3: 84-104","fulltext":[{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\n\u00fcberzeugt habe, bei den meiften S\u00e4ugthieren fich das ganze Leben hindurch das Netz zum Grimmdarm v\u00f6llig in demielhen Ortsverh\u00e4ltniffe findet, als beim menfch-liehen Embryo, fich bei mehrere gar nicht, bei andern Bur zu einem kleinen Theile an denfelben heftet, fo dafs alfo auch diefe, beim Menfchen vor\u00fcbergehende Bildungsftufe, einer bleibenden in der Thierreihe ent-fpricht.\nVon den netzf\u00f6rmigen Anh\u00e4ngen {Appendices epi-ploicae) am Grimmdarm nimmt man an, dafs fie noch beim reifen F\u00f6tus fehlen. Wenigftens fagt dies Mayer ' ), nach ihm Danz J), und S\u00f6mmerring widerfpricht die-fer Angabe nicht. Sie ift indeffen v\u00f6llig falfch, indem fp\u00e4teftens fchon \\m f\u00fcnften Monat fie vollkommen deutlich vorhanden find, wenn fie gleich, fo wenig als das Netz, Fett enthalten.\nII.\nUeber eine neue Begriffisbeftimmung (Definition) des Lebens. Von Dr. A. C. Mayer, Profeffor der Anatomie und Phyfiologie zu Bern.\n*VVer nur immer Hand an die Bearbeitung einer allgemeinen Phyfiologie legte, wird mit mir die Verlegenheit gef\u00fchlt haben, in welcher man fich befindet, wenn die Rede von einer Definition des Lebens ift, und wenn man eine allgemeingiiltige und erfch\u00f6pfends Definition deffelben zu geben aufgefordert wird. Ei\nl) Befchreibung des ganzen menlcbliehen K\u00f6rpers. Bd.' \u00c7. S. 505 a) A. a. O. S. \u00cf7.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"85\nfehlt zwar nicht an Definitionen des Lebens. Man findet derfelben eine Menge, und jeder felbftdenkende Phyfiolog hat meiftens feine eigenth\u00fcmiiche. Aber keine derfelben hat man bisher f\u00fcr gen\u00fcgend und allgemein-g\u00fcltig anerkannt.\nJa einige Phyfiologen gingen noch weiter. Da fie fahen, dafs eine Menge von Definitionen des Lebens vorhanden fey, von welchen keine fo zn fagen die Quelle des Lebens erfch\u00f6pfte, fo hielten fie diefe Quelle felbft f\u00fcr unerfeh\u00f6pflich, und behaupteten, es fey \u00fcberhaupt unm\u00f6glich, eine erklekliche Definition des Lebens zu Stande zu bringen. Das Leben, hiefs es, ift gar nicht definirbar, man kann zwar einzelne Bedingungen zum Leben, man kann die wichtigften Erfcheinungen und Wirkungen deffelben angeben, aber das Leben felbft, der Grund und das Princip des Lebens bleibe uns dennoch eben fo dunkel wie vorher. Es fey ein verwegenes Spiel des Vorwitzes in diefes Geheimnifs eindrin-gen zu wollen. Das Innere des Lebens werde uns ewig verborgen bleiben. Mit folchen Ausrufungen fucht man den Eifer derjenigen niederzufchlagen, die unverwandten ' Blickes den Myfterien des Lebens nach-finnen, und den Muth derjenigen, die, von dunkler\n: Ahndung getrieben, die Siegel der Lebenspforte zu erbrechen wagen, um die Federn und Angeln diefes wunderbaren Triebwerkes aufzufp\u00fcbren. Manverwech-felt aber bei diefen Ausfpriichen, was eine Definition leiften foil und kann, mit dem, was aufserhalb der Sph\u00e4re der Definition liegt.\n\u00bb ; Die Definition des Lebens hat es blofs mit einer\n' Zufammenftellung aller Merkmale zu tnun, welche den Begriff deffelben zufammenfetzen. Diefe Merkmale find Vorftellungen, welche nicht blofs aus der Erfcheinung des Lebens und der Aufsenwelt, fondera auch aus unterer Innenwelt gefch\u00f6pft find. Hat die Definition kein","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nMerkmal \u00fcbergangen, nimmt fie kein befonderes auf, fondern fafst fie blofs die allgemeinen] Merkmale zur Einheit des Bewufstfeyns (wie Kant fich unbeftimmt ausdr\u00fcckt) oder, wie mir fcheint, beftitnmter ausgedr\u00fcckt, in die Form des Urfatzes zufammen, fo hat fie ihren Zweck erreicht, und wird allgemein g\u00fcltig und erfch\u00fcpfend feyn. So weit reicht ihr Wirkungskreis, Weiter geht aber der definirende Geift (der Verftand) nicht. Unbek\u00fcmmert um die Erkennbarkeit oder Begr\u00fcndung diefier einzelnen, von ihm aufgefafsten und zufammengefafsten Merkmale gen\u00fcgt es ihm, fie unter die Form des Urfatzes nach den ihn einwohnenden Gefetzen gebracht zu haben. Diefe Erkennbarkeit oder Begr\u00fcndung \u00fcberl\u00e4fst er der Vernunft, einem Verm\u00f6gen , welches \u00fcber ihn gefetzt ift. Diefe liefert dem Verftande das Materiale, welchem er fodann feine Formen aufdr\u00fcckt. Er pr\u00e4gt die Silberbarren, die ihm die Vernunft darbietet, gleichfam als gangbare M\u00fcnze aus. Wenn aber auch die Urquellen jener Silberminen noch nicht entdeckt find, wenn der Menfch von einem Jahrhunderte zum andern fich deswegen vertr\u00f6ftet, wenn der Faden, den wir geftern entwickelt haben, heute zu einem neuen Knoten fich verfchlingt, fo beweift diefes nur die Unendlichkeit d\u00e7r Aufgabe der Vernunft, nicht aber der Aufgabe des Verftandes, der auf jedem Standpunkte der Vernunftentwicklung eine gewiffe Vollendung erreichen kann. Alle Werke des Verftandes haben daher fchon fehr fr\u00fche einen hohen Grad von Vollendung erreicht, waren bei den Griechen fchon fehr ausgebildet, und die Nachwelt hat nur wenig zu diefen Werken hinzuzuf\u00fcgen gewufst. Ich meine hier vorz\u00fcglich die Logik und Mathematik, welche Wiffen-fchaften feit Ariftoteles und Euklid bis auf unfere Zeiten ihre alterthiimliche Form behielten. Welche Ver\u00e4nde^ nmgen und Umw\u00e4lzungen haben hingegen die Ver-","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"87\nminftwiffenfchaften erlitten, namentlich die Philofophie und die philofophifchen Einleitungen in alle reale Wif-f\u00eanfchaften! Es liegt zu entfernt von meinem Endzwecke die Belege hiezu anzuf\u00fchren, welche fich io zu fagen von felbft anbieten. Die Vollendung nun , welche der Verftand im Grofsen bei der Auff\u00fchrung feiner Lehrgeb\u00e4ude erreichen kann, foil er auch im Kleinen zeigen. Es ergeht daher an ihn die Aufforderung, einen voll-ft\u00e4ndigen Begriff des Lebens zu entwerfen. Ehe. ich rerfuche diefe Aufgabe zu l\u00f6fen, will ich einen kriti-fchen Blick auf die vorz\u00fcglichften Definitionen des Lebens, welche von verfchiedenen Naturforfchern aufge-ftellt wurden, werfen.\nInvenit natura ((pwi\u00e7) : fibi ipfi vias non ex intellect, a nullo edocta natura, et intra difciplinam omnia, quae conveniunt, efficit. Die Natur (oder das Lebensprincip) befolgt ihren (feinen) eignen Gang, Welchen ihr weder der Verftand noch fonft Jemand lehrte, und ohne alle Anweifung fchafft fie herbei, was ihr tauglich ift. (Vide Hippocrat. de alimento Tom. 9. pag. 164.)\ni In diefem Satze hat Hippokrates die innereGefetz-m\u00e4fsigkeit des Lebens, feine Autokratie, ausgefprochen, mit H\u00e4ndeutung auf das Verm\u00f6gen des belebten Wefens f\u00d6r feine Selbfterhaltung zu forgen. Er hat dadurch wichtige, wenn gleich nicht ausfchliefsliche Merkmale des Lebens ber\u00fchrt. Worin aber diefe Herbeifchaffung Eigentlich beftehe, das \u00fcbergeht Hippokrates, obwohl eine n\u00e4here Erkl\u00e4rung der Art und Weife, wie diefe Herbeifchaffung gefchehe, jener Definition noch hinzugef\u00fcgt werden f\u00fcllte. Es mufs angegeben werden, dafs diefe Herbeifchaffung nicht in einem blofsen Anziehen fremder Stoffe von aufsen, wie diefes bei den unbelebten Wefen der Fall ift, beftehe. N\u00e4her erkl\u00e4rt fich hier\u00fcber Galen : nihil autem eorum, quae edimus et","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"83\nbibjrmss tale pr\u00f6rfus eft, hinc neceffe habuit natura prius immutare: QirqofjLstu\u00dfctAhziv') et concoquere ilia et alendo corpori similia praeparare (Vide Comm, in libr. Hipp, de alimento T. 6. p. 245.)* Diefe Her-beifchaffung ift fomit zugleich eine Umwandlung und Verwandlung der aufgenommenen Stoffe, und zwar in Subftanzen, die denen des belebten Wefens \u00e4hnlich lind, oder eine Ver\u00e4hnlichung, Affimilation. Wenn uns diefe Definitionen wichtige Auffchl\u00fcffe \u00fcber das Wefen des Lebens, als Erfcheinung betrachtet, geben, fo traten fp\u00e4ter M\u00e4nner auf, die das Leben in Beziehung auf die Kr\u00e4fte, welche ihm zu Grunde liegen, definirten. Paracelfus fagt: das Leben ift eine Wirkung der Lebenskraft, und diefe ein Ausflufs der Geftirne, (welcher Satz jedoch wieder von ihm zur\u00fcckgerufen undcorrigirt wird), obwohl diefe Kraft dem Menfchen eigenth\u00fcmlich ift, denn auch ohne die Geftirne war der Menfch was er ift \u2014 fie ift der Spiritus vitalis, der Arch\u00e4us, der den K\u00f6rper zum Mikrokosmus als ein Nachbild des Makrokosmus zu einem aftralifchen Leib bildet. Das Leben wird aber hier nicht als eine eigenthiimliche h\u00f6here Erfcheinung, fondern blofs als ein Nachbild eines im Reiche der todten Natur vorkommenden Phae-noraens dargeftellt. Daffelbe fagt van Helmont : das Leben ift eine Wirkung des Arch\u00e4us, der aus einem Ferment und einem qu\u00e4le occultum den Leib bildet. Infofern unter diefem Arch\u00e4us dasjenige weife Princip verftanden wird, welches Hippokrates natura Qpvuig) nannte, n\u00e4hert fich diefe Definition der Vollkommenheit. Der von diefem grofsen Arzte gegebenen analoge Definitionen find die von Cartefius. Das Leben, fagt derfelbe, ift eine Bewegung und G\u00e4hrung der Ejementar-theile (rnateriae primi elemenli), welche von den in dem Gehirne abgefonderten Lebensgeiftern unter dem Ein-flufs der Seele bewirkt wird. Wie dort das Leben einer","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"89\nabgef\u00f6nderten Kraft, fo wird hier daffelbe hefondern geiftigen Subftanzen zugefchrieben. Diefes will man aber nicht wiffen, fondern worin das Eigent\u00fcmliche der Wirkung diefer Lebenskraft oder diefer Lebensgei-fter; worin der Charakter der Lebenserfcheinung liege. Aufserdem fchliefst Cartepus hier die Pflanzenwelt vom Antheil am Leben aus. Jener Vorwurf trifft auch die Erkl\u00e4rung, die Sylvius vom Leben gab. Nach ihm ift das Leben die Wirkung eines Lebensfeuers, dasaus der Mifchung fl\u00fcffiger und alkalifcher Theile entfteht. Noch allgemeiner aufgefafst ift die Definition von Ernfi Stahl (Vid. theoria med. vera p. 94 \u2014 98.). Das Leben ift eine Wirkung der Seele, die in einem organifchen We-fen fich offenbaret. Es entfteht fosleich die Fra^e. worin befteht aber diefe Wirkung der Seele? Jedoch hat Stahl mit vielem Scharffinn den Unterfchied zwifchen organifchen und unorganifchen Wefen angegeben. Von den erftern fagt er, dafs fie zwar zur Aufl\u00f6fung und F\u00e4ulnifs geneigt feyen, aber dennoch derfelben wider-ftehen, und dadurch fortdauern. Sehr mangelhaft ift die Definition des Lebens von Friedr. Hoffmann (vide ejusmedicinaration.Vol.il. cap.I. p.45.). DasLeben, heifst es hier, befteht in der Erhaltung des zur F\u00e4ulnifs geneigten K\u00f6rpers, welche von der inneren Bewegung der feften und il\u00fcffigen Theile, befonders vom Kreisl\u00e4ufe des Blutes abh\u00e4ngt. Auf das Merkmal der F\u00e4ulnifs und der Schatzung gegen fie ift das Gewicht von Stahl gelegt worden, welches Hoffmann auf die Circulation \u00fcbertragen wollte. Da diefe bei den Pflanzen nicht vorkommt, fo gefteht er denfelben ein blofses Wachs-thum und kein Leben zu. Es bliebe alfo als ein ge-meinfchaftliches Merkmal des Lebens in dem Thier -und Pflanzenreiche der Widerftand gegen die Neigung zur F\u00e4ulnifs \u00fcbrig. Es hat daher auch in fp\u00e4teren Zeiten Pumas dem Leben eine force autifepticjue zuge*","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nfchrieben. Allein diefe Definition ift im Grunde ein limitierendes Urthpil, und fagt nichts pofitives \u00fcber das Leben aus. Lebendig heifst, was der F\u00e4ulnifs wi-derfteht, das nicht Faulende. Worin befteht denn fein pofitives Seyn? Dies ift die Frage. Boerhauve und Haller gaben nur Definitionen vom thierifchen Leben insbefondere, nicht von einem allgemeinen organifchen Leben. Erfterer fagt : (vide aphorismi I. et II.) , das menfchliche Leben befteht aus vitalen, nat\u00fcrlichen und thierifchen Verrichtungen. Dem Leben \u00fcberhaupt konnten daher blofs die nat\u00fcrlichen Verrichtungen und die vitalen zukommen. Haller ftellte bekanntlich einen neuen Charakter des thierifchen Lebens in den Aeufse-rungen der Reizbarkeit und Empfindlichkeit (vis infita und vis nervea) auf. Nach diefen fragmentarifchen Noten \u00fcber die Begriffsbeftimmung des Lebens aus altern Schriftftellern, gehe ich nun zu der Periode der philo-fophifchen Revolution von Kant, durch den das Bed\u00fcrfnis zu vollendeten Begriffsbeftimmungen und klaren Vorftellungen allgemein verbreitet wurde, \u00fcber. Kant (metaphyfifche Anfangsgr\u00fcnde zur Naturwif-fenfchaft S. 120.) definirt das Leben auf folgende Art: das Leben ift das Verm\u00f6gen einer Subftafiz, fich aus einem inneren Princip zum Handeln zu beftimmen. Allein eine folche Selbftbeftimmung und Selbftgefetzge-bung k\u00f6mmt auch im Reiche der todten Natur, namentlich im Reiche der galvanifchen, electrifchen und mag-netifchen Erfcheinungen vor. Schmid (f. Phyfiologie Bd. 2. S. 274.) giebt eine Definition desLebens-, welche auf den Begriff der Organifation gegr\u00fcndet ift. Leben ift die Wirkung der Materie nach den Gefetzen der Organifation. Diefe aber nennt er mit Kant die Einrichtung , wo jeder Theil fich zugleich als Mittel und als Zweck zu allen \u00fcbrigen verh\u00e4lt. Auch hippokra-tes fpricht einen \u00e4hnlichen Satz aus. Principium cor-","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"91\nporis mihi quidem nullum videtur, fed partes omnes principium, omnesque finis, defcripto enim circulo principium non invenitur (opera edit. Chart. Tom. 7. p. 375.). Diefe Definition der .Organifation pafst mehr in die Naturwiffenfchaft als jene teleologifche von Kant. Es wird mit diefer Definition von Kant allen Gliedern der Organifation gleiche Bedeutung und gleiche W\u00fcrde beigelegt, was aber nicht richtig ift; denn es ift ein Hauptzweck in der Organifation des Lebenden, dem alles Uebrige untergeordnet ift; zu dem fich alle einzelnen Zwecke als Mittel verhalten, der aber felbft nicht mehr Mittel ift. Einige Glieder in der Organifation z. B. in der thierifchen die Knochen, find blofse Mittel und nicht Zweck der Organifation. Daher k\u00f6nnen auch mehrere Glieder verloren gehen, es k\u00f6nnen einzelne R\u00e4der aus dem Uhrwei'ke der Organi-lation geriffen werden, ohne dafs das Ganze zufammen-ft\u00fcrzt, was feyn m\u00fcfste, confpirirten alle Theile auf einen, und w\u00e4re jeder als Zweck des Ganzen zu betrachten. Es k\u00f6nnen die Ovarien, Teftikeln, die Milchdr\u00fcfen, die Milz, fehlen oder weggenommen werden, und dennoch befteht die Organifation. Diefe Definition ift mehr auf ein Ger\u00fcft, welches aus einzelnen einander gegenfeitig unterftutzenden Gliedern befteht, wovon keines weggenommen werden kann, ohne dafs das ganze Geb\u00e4ude zufammenft\u00fcrze, als auf das Geb\u00e4ude der Organifation paffend. In diefem Geb\u00e4ude beziehen fich aber alle Theile auf einen Mittelpunkt, und wenn diefer zerft\u00f6rt ift, f\u00e4llt das Ganze zufammen. Hingegen k\u00f6nnen mehrere peripherifche Theile weggenommen werden, ohne dafs dar\u00fcber das \u00fcbrige Ganze zu Grunde ginge. So verh\u00e4lt es fich wenigftens in der thierifchen Organifation. In der Organifation der Pflanzen findet fich felbft kein folcher Mittelpunkt, der ihnen das ift, was dem Thiere das Nervenfyftem.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nWir d\u00fcrfen daher diefe Definition von Organisation , mit Recht aus dem Reiche des Phyfifchen in das Reich der moralifchen Organifation verwerfen. An ihre Steile fetzen wir folgende:\nUnter Organifation ver\u00dfehen wir jene Einrichtung eines Naturk\u00f6rpers, verm\u00f6ge welcher die das Ganze (den Organismus) zufammen fetzenden heterogenen Theile in ungleicher Unterordnung unter gewiffe Central- oder Radicaltheile ftehen, und dadurch eine gr\u00f6\u00dfere oder geringere Selb\u00dfft\u00fcndigkeit erringen. Der Organismus ift alfo ein Ganzes, deffen peripherifche Theile in ungleicher Unterordnung unter den Central-theilen ftehen. Diefe Centraitheile find bei den Pflanzen das Gef\u00e4fsfyftem, bei den Thiereu das Nerven-fyftem und Gef\u00e4fsfyftem zugleich. Die Idee von Zweckm\u00e4\u00dfigkeit, womit man feit Kant die Organifation charakterifiren will (fiehe Brandis \u00fcber die Lebenskraft Seite 2.) ift nicht f\u00fcr rein theoretifche Definitionen paffend, und geh\u00f6rt in das Gebiet der praktifchen und theologifchen Anficht der Naturwiffenfchaften. Erhard (fiehe R\u00f6fchlaubs Magazin Bd. i. St. i. S. 69.) defiuirt das Leben (beffer hiefse es die Lebenskraft) als ein Verm\u00f6gen der Bewegung zum Dienfte des Bewegten, was man als einen fehr mifslungenen Ausdruck der Kanti-fchen Definition anfehen darf. Schwankend und un-ficher fagt Schelver (Gehe Elementarlehre der organi-fchen Natur Th.l. S. 32.): Lebende K\u00f6rper find folche Theile der ganzen organifchen Natur, die uns als vollendete Organifationen erfcheinen. Er unterfcheidet die organifche und unorganifche Natur nur gradweife, ja fetzt den Unterfchied nur in die Unvollkommenheit tinfers Geiftes, welcher nicht im Stande ift, die ge-fammte unorganifche Welt zu \u00fcberfehen, die ihm nur deswegen unorganifch erfcheint, weil er nur Partikeln derfelben, nicht das Ganze \u00fcberiieht. Allein an den","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"93\nkleinsten Partikeln der organischen K\u00f6rpern kann man ja Tchon ihre organifche Structur erkennen. Auch f\u00fccherand (Elemens de Phyfiologie pag. j.) verweilt bei der Definition des Lebens auf den Begriff der Orga-nifation. La vie, fagt er, eft une collection de ph\u00e9nom\u00e8nes, qui fe fucc\u00e9dent pendant un temps limit\u00e9 dans les corps organif\u00e9s. Eben fo find diejenigen Definitionen, welche den Begriff der Lebenskraft oder der Erregbarkeit in fich fcbliefsen, unzureichend, weil fie etwas erft zu erkl\u00e4rendes einfchliefsen. So z. B. die von Brown : Tota vita, quanta eft, confiftit in ftimulo et vi vitali. Die von Hufeland (f. Makrobiotik S. 49.) Leben eines organifchen Wefens heifst der freie wirkfame Zuftand der Lebenskraft und die damit unzertrennlich verbundene Wirkfamkeit und Regfamkeit der Organe. Humbolds Definition : Belebt ift derjenige Stoff, deffen \u25a0Willk\u00fchrlieh getrennte Theile nach der Trennung unter den vorigen \u00e4ufseren Verh\u00e4ltnifi'en ihren Miichungs-zuftand ver\u00e4ndern (f. Verfuche fiber die gereizte Muskel- und Nervenfafer Bd. a. S. 433.) fpielt auf das Ph\u00e4nomen der F\u00e4ulnifs an, und ift deswegen nicht tauglich, weil viele lebende K\u00f6rper und Theile nach einer folchen willk\u00fchrlichen Trennung ihren Mifchungszu-ftand beibehalten, und das Ganze aus fich reproduciren. Die Definition von Bichat (sur la vie et la mort p. 1.) Leben heifst die Gefammtheit der Verrichtungen, welche dem Tode widerflehen, ift zu unvollkommen, als dafs fie einer Kritik w\u00fcrdig w\u00e4re. Eben fo diejenige von B\u00e2ti (vide Mojon loix phyfiologiques p. 1.), das Leben ift eine Vereinigung der Bewegungen und der thieri-fchen W\u00e4rme. Ich ber\u00fchre nun die Definition, welche Treviranus vom Leben gab, und auf deren Ausarbeitung diefer vorz\u00fcgliche Phyfiolog viele Sorgfalt verwendet hgt. Der Charakter des Lebens befteht nach ihm (t deffen Biologie Bd. 1. S. 64.) in der Fortdauer und","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nUnver\u00e4nderlichkeit der Th\u00e4tigkeit eines Wefens bei der Zuf\u00e4lligkeit \u00e4ufserer Einwirkungen. Allein eine l'olche Fortdauer, Unver\u00e4nderlichkeit und Unabh\u00e4ngigkeit der Erfcheinungen, welche wir an einem organischen Wefen bemerken, findet \u00fcberall da Statt, wo diefen Erfcheinungen eine eigenth\u00fcmliche Th\u00e4tigkeit, ein eigenes Princip zum Grunde liegt. So bemerkt man eine Fortdauer und Unver\u00e4nderlichkeit der Erfcheinungen am Magnete unter verfcbiedenen \u00e4ufserenEinfl\u00fcffen, wenigftens r\u00fcckfichtlich der Qualit\u00e4t derfelben oder Polarit\u00e4t. Ueberhaupt find die Begriffe Fortdauer und Unver\u00e4nderlichkeit der Th\u00e4tigkeit viel zu allgemein, als dafs fie dem lebenden Welen eigenthiimlich zugeeignet werden k\u00f6nnten. Daher fpricht auch diefer Phy-fiolog an einer andern Stelle (f. S. 59.) von einer Gleichf\u00f6rmigkeit in dem Gange der Ver\u00e4nderungen des lebenden K\u00f6rpers, wodurch er fich von leblofen K\u00f6rpern unterfcheide. Aber auch diefe Gleichf\u00f6rmigkeit der Erfcheinungen bei der Ungleichf\u00f6rmigkeit der \u00e4ufseren Einwirkungen unterfcheidet das lebende Wefen nicht Von einem K\u00f6rper, in welchem eine Th\u00e4tigkeit nach inneren eigenth\u00fcmlichen Gefetzen fich \u00e4ufsert, und eine gefetzm\u00e4fsige Gleichf\u00f6rmigkeit in den Erfcheinun gen, auch unter den mannichfaltigften und verfchie-denften \u00e4ufseren Einfliiffen zeigt. So zeigt der Magnet, die galvanifche S\u00e4ule, unter dem Aequator wie am Pole, in der Hitze und K\u00e4lte zwei entgegengefetzte Th\u00e4tig-keiten.\nTreviranus fcheint auch diefe Unzul\u00e4nglichkeit feiner Definition des Lebens gef\u00fchlt zu haben, daher er diefelbe (\u2019S. 83.) wieder dahin ab\u00e4ndert, dafs er fagt: das Leben befteht in der Gleichf\u00f6rmigkeit der Reactio-nen bei ungleichf\u00f6rmigen Einwirkungen der Aufsen-weit. Dadurch ger\u00e4th er mit fich felbft in Widerfpruch, denn eben von einer Ungleichf\u00f6rmigkeit der Reactionen","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"95\ndes lebenden Individuums h\u00e4ngt die Gleichf\u00f6rmigkeit io den Erfcheiuungen des Lebens ab. W\u00e4ren die Reactio-nen deffelben bei ungleichf\u00f6rmigen Einwirkungen auch noch gleichf\u00f6rmig, fo m\u00fcfste nothwendig eine Ungleichf\u00f6rmigkeit und Ver\u00e4nderlichkeit in den Lebenserfchei-nungen Statt haben. Ja wir werden l'p\u00e4ter fehen, dafs eine charakteriftifche Eigenfchaft des Lebens gerade darin befteht, auf verfchiedene \u00e4ufsere Einwirkungen ungleich zu reagiren, fo dafs nur durch eine im entgegengefetzten Verh\u00e4ltniffe vorgenommene Ab\u00e4nderung in den Factoren immer das gleiche Product ent-ftehen kann.\nEin anderer nicht minder fcharffinniger Phyfiolog \u00c7ruit h\u00fclfen (in feiner Organozoonomie \u00a7. 223.) liefert folgende Erkl\u00e4rung des Lebens. Leben ift nichts anders als die fchnelle mittelbare Wirkung des einzelnen thie-rifchen Theiles auf das Ganze, fo wie des Ganzen auf den Theil und mithin aller Theile auf einander. Man fieht ohne mich ein, dafs nach diefer Definition Leben auch dem Sonnenfyftem, einem Uhrwerk, zugefchrie-ben werden miifste. Um die naturphilofophifche Schule nicht vor\u00fcberzugehen, erw\u00e4hne ich was Eber-hard Sehe!lin g (f. Jahrb\u00fccher derMedicin Bd. 1. Hft. a. S. 137.) \u00fcber diefe Punkte ausfagt: Das Wefen der fo-genannten todten Materie kann man darein fetzen, dafs fie der Subftanz nach blofses Leiden zu feyn fcheint, Th\u00e4tigkeit aber nur als Accidens in fich aufnimmt. So ift die Electricit\u00e4t ein blofses Accidens des K\u00f6rpers, eine Th\u00e4tigkeitsform, welche gefetzt und nicht gefetzt feyn zu k\u00f6nnen fcheint, ohne Nachtheil cler Subftanz. Handeln und feyn nicht nur zuf\u00e4lligerweife, wie in der todten Materie, fondern wefentlich eins in der lebenden Materie. Obwohl diefe Erkl\u00e4rung auf der unfichern Ausfage, \u00e8s fcheint fo zu feyn ruht, fo hat fie fich doch in der genannten Schule erhalten, und wurde von","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nVielen wiederholt. So fagt der Recenfent von Lenho\u00df-Jeck\u2019s Phyfiologia medicinalis (f. die Salzburger med, chir. Zeitung 18x6. 28. October S. 122.). Das Verh\u00e4ltnis der Imponderabilien, der Electricit\u00e4t u. f. w. zu den K\u00f6rpern der todten Natur ift ein blofs zuf\u00e4lliges; der K\u00f6rper bleibt derfelbe, ob er erw\u00e4rmt fey oder nicht, electrifirt werde oder nicht u. f. w. Bei den lebenden K\u00f6rpern beobachtet man gerade das ent-gegengefetzte;Verh\u00e4ltnifs; das Leben ift nicht blofs eine Th\u00e4tigkeit, fondern zugleich Urfache des befonderen Dafeyns der lebenden K\u00f6rper u. f. f. Man Geht aber leicht ein, dafs diefe Analogie unrichtig und falfch auf-gefafst und angewandt ift. Ein freies Imponderabile trifft man bei den unorganifchen fowohl, wie bei den organifchenK\u00f6rpern an, die ft\u00e4rkereEntbindung deffel-ben kann bei beiden nur durch einen Deftructionspro-cefs der materiellen Theile gefchehen ; die galvanifehen Platten werden mit jedem Schlage oxydirt und zer-ft\u00f6rt, die Entladung des ungewichtigen Lebensbeftand-theiles gefchieht beim Schlagfluffe, und hebt die Lebensf\u00e4higkeit der Organe auf. So wie diefes Fluidum im latenten Zuftande bei den Lebensproceffen und den organifchen Geftaltungen wirkfam ift, fo ift es, und wohl im gr\u00f6fserem Maafse, auch bei der Bildung und Kryftallifation der unorganifchen K\u00f6rper th\u00e4tig ; daher es auch feit einiger Zeit als die Seele der chemifchen Mifchungen betrachtet wird. Die Lebenskraft ift weder eine ponderable noch imponderable Fi\u00fcffigkeit, und ift h\u00f6her als beide. Auch dauert das Leben nur fo lange, als beide im gebundenen Zuftande beharren,\nNachdem wir nun alle diejenigen Erkl\u00e4rungen des Lebens, weiche Geh durch Eigent\u00fcmlichkeit auszeichnen, ber\u00fchrt, die Unzul\u00e4nglichkeit einer jeden aber darzuthun gefucht haben, ift es an uns, diejenige\nDefini-","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"finition\u00bb die wir als die vollft\u00e4ndigfte erkennen, auf. zuftelien.\nZu diefem Behufe wollen wir kurz die einzelnen charakterifdfchen Eigenfchaften, welche wir an leben-den K\u00f6rpern wahrnehmen, der Reihe nach aufz\u00e4hlen, und \u00dfe fodann in einen, alle vereinigenden, Begriff zu. lammenzufaffen fuchen.\nDie unbelebten Wefen (die K\u00f6rper aus dem Mine-ralreich) unterfeheiden \u00dfch von den belebten Wefen (von den K\u00f6rpern aus dem Pflanzen - und Thierreich) durch folgende Pr\u00e4dikate,\ni) Durch das Princip ihrer Bewegung. Man bei den unbelebten oder auch unorganifchen K\u00f6r-pern entfteht eine Ver\u00e4nderung im Raume (eine Bewegung) nur durch einen Anftofs von aufsen, fo z. B. die Bewegung eines Steines u. f. w., bei den belebten oder orgariifchen K\u00f6rpern liegt der Grund ihrer Bewegung in ihnen felbft, und nicht: aufser ihnen,\nDiefes Merkmal ift jedoch zu einer TJnterfcheidung nicht hinreichend. Bei der Bewegung einiger unorga-nifcher K\u00f6rper, z. B. bei der Bewegung chemifcher Flilffigkeiten, bei der Str\u00f6mung der magnetifchen und electrifchen Fl\u00fcffigkeiten, bei der Bewegung der Licht-flamme, der Weltk\u00f6rper (um ihre Axe) u. f, w., ift ebenfalls eine folche innere Urfache der Bewegung be-merklich. Allein bei allen diefen Bewegungen liegt nur ein Theil der Urfache in dem \u00dfch bewegenden K\u00f6rper und in feiner befondern Befchaffenheit, der andere Theil der Urfache liegt aufserhalb demfelben, in einem andern anziehenden und abftofsenden K\u00f6rper, Bei dem belebten Wefen hingegen liegt die ganze Urfache der Bewegung in ihm felbft. Diefes ift vornehmlich daraus erfichtlich, dafs die Bewegungen des organifchen K\u00f6r-M. d, Arehiv. III. I,\tG","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\npers eine gewiffe Periodicit\u00e4t beobachten. Z. B. der Safttrieb bei den Pflanzen, die Bewegungen, welche dem Pflanzenfehlaf vorhergehen, und dafs diefelbe bei einigen organif\u00e7hen Wefen (bei den Thieren n\u00e4mlich^ ganz von einem innern Grund oder Princip abh\u00e4ngig 'cf. h. willk\u00fchrlieh ift. Da aber diefes Merkmal der Bewegung durch und verm\u00f6ge eines inneren Principes, weil es zum Theil auch den unorganil\u2019cheu Wefen zu-k\u00f6mmt, diefe von den lebenden Wefen blofs quantitatif iunterfcheidet, fo ift daffelbe zu einer Diftinciion beider\nUnzureichend.\n2) Durch die Art ihrer Zur\u00fcckwirkung auf dit Aufsenwelt. Die organifchen Wefen, heifst es, verhalten fich bei denVer\u00e4nderungen, welche mit ihnen untef ,dem Einfluffe der Aufsendinge Vorgehen, nicht blofis leidend (paffiv), wie die unorganifchen K\u00f6rper, fondera fie find dabei felbftth\u00e4tig, d. h. fie befitzen nicht blofsi Paffivit\u00e4t und Receptivit\u00e4t, fondern fie befitzen die Ei-genfchaft der Erregbarkeit (Incitabilitas), welche aufsef dem Begriffe der Receptivit\u00e4t, auch den Begriff der Spontaneit\u00e4t oder des Reactionsverm\u00f6gens involyirt, Eine Reaction auf die einwirkenden Aufsendinge kommt Jedoch den todten Naturk\u00f6rpern, namentlich den elaftt fchen, zu; worin liegt nun der Unterfchied? Uiiorga-nifche K\u00f6rper reagiren zwar auch auf die Aufsenwelt; aber diefe Reactionen find ganz von dem Eindr\u00fccke deS Aufsendinges abh\u00e4ngig, und ihm conform, bei den belebten Wefen hingegen find diefe Reactionen nicht in nothwendiger Correfpondenz mit den Eindr\u00fccken und von diefen unabh\u00e4ngig; dagegen erfcheinen fie abh\u00e4ngig von einem inneren Grunde , einem innern Princip. Das organifche Wefen wird unter denfelben \u00e4ufsern Einfliif-fen mehr oder weniger ver\u00e4ndert, reagirt bald mehr, bald weniger auf diefelben. Es ift im Stande die Scale feiner Receptivit\u00e4t felbl't zu ver\u00e4ndern, herab oder hinauf","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"99\nzu ftimmen. So wird bei demfelben Grade der Temperatur vpn Aufsen ein Stein immer gleich erw\u00e4rmt werden,, dahingegen das organifche VVefen unter dem gleichen Grade der Temperatur bald w\u00e4rmer, bald k\u00e4lter fich anf\u00fchlt, und auf der andern Seite gegen zu grofse \u00e4ufsere Hitze oder K\u00e4lte fo zu reagiren weifs, dafs es immer einen ihm angemeffenen Temperaturgrad beh\u00e4lt. Ferner mufs noch bemerkt werden, dafs das Wefen der Reaction des,,lebenden Wefens picht blofs darin befteht, dafs es auf die ein wirkende Anfsenwelt zur\u00fcck wirkt, fondera haupts\u00e4chlich darin, dafs es auf fich felbft einwirkt, und fein Verh\u00e4ltnifs zur Aufsen-weit ab\u00e4ndert. Das unorganifche Wefen wird von dem \u00e4ufseren Einflufs umgeftaltet, das organifche aber gestaltet fich auf Veranlaffung der \u00e4ufsern Einfluffe felbft um. Bei diefer Reaction des organifchen Wefens und bei diefem Selbftver\u00e4ndern feiner Verh\u00e4ltniffe zur Aufsenwelt richtet fich das organifche Wefen nach der Befchaffepheit der \u00e4ufseren Objecte oft bewunderungsw\u00fcrdig ein, fo dafs man berechtigt wird zu fchliefsen, es komme demfelben eine Art von Erkenntnifs der \u00e4ufseren Objecte und ihrer Befchaffenheiten zu; welche jnan als den Uranfang der Senfibilit\u00e4t an feil e\u00ab kann,\nj) Durch die Art ihres Wachsthums, Das organifche Wefen w\u00e4chft und vergr\u00f6fsert fich durch Affimi-Jation, das unorganifche durch Anh\u00e4ufung (aggregatio). Dagegen l\u00e4fst fi\u00e7h jedoch einwenden, dafs bei gewjffen Proceffen der unorganifchen K\u00f6rper ebenfalls eine folche Ver\u00e4hnlichung und Verwandlung der von \u00e4ufsen aufgenommenen Stoffe bis zur Unnnterfcheid-barkeit derfelben Statt finde, fo z. B, die Aufnahme des Waffers bei der Kryftallifation in das Innere des Kryftalles, Aehnliche Erfcheinungen bieten die chemifchen Aufl\u00f6fungen und Verbindungen dar.\nG a","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nGegen die letztem Erfahrungen kann aber eingewendet werden, dafs die Verwandlung b\u00e9i den chemir fchen Proceffen meiftentheils gegenfeitig ift, fo daft beide auf einander wirkende Stoffe ihre vorige eigen-th\u00fcrnliche Mifchung verlieren, und fich wechfelfeitig neutraleren. Es mufs aber auch nicht unbemerkt ge? la ff en werden, dafs die Affimilationskraft der organi\u00bb fchen W-efen eine gewiffe Gr\u00e4nze habe; fo zwar, dafs bisweilen Stoffe faft unver\u00e4ndert in den Umkreis des organischen Wefens aufgenommen werden. Z. \u00df. bei den Thieren das Eifen, das Natrum u. f. w. Es richtet fich ferner der organifche K\u00f6rper in feiner Mifchung auch nach dem Boden, dem Klima, der Jahrszeit u. f. f. welchen er angeh\u00f6rt, und wird fo zu fagen von diefen Einfl\u00fcffen der Aufsenwelt ebenfalls affimilirt und neutralifirt. Um daher die belebte \u00fcnd todte Natur zh unterfcheiden, mufs man noch hihzufetzen, dafs die Affimilation und das Wachsthum des organifchen K\u00f6rpers durchaus nach einem inneren Gefetze und Plane gefchebe, in einer beftimmten Periode vor fich gehe, und nothwendig zu feinem Dafeyn geh\u00f6re, von ihm unzertrennlich fey. Das Wachsthum des unorgani-fchen K\u00f6rpers gefchieht hingegen ohne inneres Gefetz und Regel, und ift blofs als zuf\u00e4llig, und nicht als nothwendig mit feinem Dafeyn verkn\u00fcpft anzufehen.\n4) Durch Productions - und Reproductions^. reift. Das organifche Wefen ift f\u00e4hig einen Stoff von fich ab-zufonclern, der entweder zu einem neuen Theil feines Selbft oder zu einem ganzen neuen Individuum werdenkann, d. h. befitzt das Verm\u00f6gen fich zu reproduciren und ein neues Individuum zu produciren.\nDas unorganifche Wefen zerf\u00e4llt blofs in Theile. wovon keiner f\u00e4hig ift, das Ganze aus fich hervorzubringen. Die Productions - und Repr\u00f6ductionskraft","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"401\n\u25a0ift eine der wefentlichften Eigenfchaften des Lebens. \u25a0Beide Ae\u00fcfserungen, die der Production und die der Reproduction, geh\u00f6ren mit dem Wachsthum zu den Ur-functionen des Lebens.\n5) Durch, einen befondern Bau (Organifation). Das belebte Wefen hat befonders gebaute Theile (Organe), daher man es auch organifch oder organifirt nennt. Wenigftens find in dem belebten Wefen R\u00f6hren oder Kan\u00e4le zur Aufnahme der zu affimilirenclen Stoffe, und andere zur Hervorbringung eines Saamens vorhanden. Das unorganifche Wefen hat keine folche Structur im Innern. Dem belebten Wefen ftehen daher Mittel und Werkzeuge, die es in feinem Innern tr\u00e4gt, zu Gebote, wodurch daffelbe gewiffe Verrichtungen aus\u00fcben, gewiffe Zwecke erreichen kann.\nMan bemerkt daher in feinem Baue eine gewiffe Zweckm\u00e4fsigkeit, d. h. eine weife Berechnung gewiffer Einrichtungen zum Behufe gewiffer Aeufserungen des belebten Wefens.\n6) Durch eine wider[teilende Kraft (vis refiften-tiae). Der belebende K\u00f6rper ift im Stande, den \u00e4ufseren Einfl\u00fcffen, welche ihn zu zerft\u00f6ren trachten, zu wider-ftehen. Er widerfteht n\u00e4mlich erftens der F\u00e4ulnifs, und zwar unter Umft\u00e4nden , welche die fauligte Aufl\u00f6sung beg\u00fcnftigen, z. B. in einer erh\u00f6heten Temperatur. Er fault aber fobald ihn die Lebenskraft verl\u00e4fst. So entfteht der Brand in den feften Theilen, wenn die Lebenskr\u00e4fte gefunken find, wenn die Arterien unterbunden werden ; fo fault der Muskel erft dann, wenn er keine Spur von Reizbarkeit mehr zeigt. Zweitens widerfteht derfelbe der Hitze und dem Frofte. Ein lebender Theil widerfteht noch l\u00e4ngere Zeit dem Feuer, w\u00e4hrend derfelbe, wenn er todt ift, in fr\u00fcherer Zeit vom Feuer angegriffen wird. Bekanntlich finkt die","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nTemperatur um einige Grade herab, wenn der lebende K\u00f6rper einer zu grofsen Hitze ausgefetzt wird. Ein fri* fches Ei und frifches Blut gefrieren langfamer als die-felben Stoffe, wenn man fie aufthauen und wieder gefrieren I\u00e4fst. Drittens widerfteht derfelbe mechanifchen und chemifchen Einll\u00fcffen und Sch\u00e4dlichkeiten. Je ft\u00e4rker die Lebenskraft, defto gr\u00f6fser der Widerftand, So ertr\u00e4gt ein gefundes Glied anhaltenden Druck, deij Reiz eines Blafenpflafters u. f. w., w\u00e4hrend ein fchwacheres, wafferf\u00fcchtiges oder das eines typh\u00f6fen Kranketf leicht dadurch in Entz\u00fcndung und Brand ger\u00e4th. So f\u00fchlen Wir den Druck enger Bekleidungen Abends oder beim Einfchlafen am meiften, den wir Morgens und Wachend nicht achten. So weifs die Jugend Wenig von H\u00fchneraugen, die im fp\u00e4tern Alter leicht eintreten. So widerfteht der Magen w\u00e4hrend dem Leben dem auf-l\u00f6fenden Magenfafte, welcher ihn nach dem Tode leicht angreift. Diefes Factum beft\u00e4tigen auch mein? Beobachtungen.\n7) Durch eine erhaltende Kraft (vis confervatrix).' Es fcheint mir nothwendig, eine folche Kraft n\u00f6ch als befondere Aeufserung der Lebenskraft heraus zu heben, Diefe Kraft ift es, wodurch die Lebenskraft in fich felbft befteht, und das Leben unabh\u00e4ngig von der Aufsenwelt fich erh\u00e4lt und fortdauert. Sie ift um fo ft\u00e4rker, j\u00e8 j\u00fcnger das Individuum ift, und um fo geringer, je \u00e4lter es wird. Durch diefe Kraft ift es dem organifcheA Wefen m\u00f6glich, ohne den Einflufs der \u00e4ufseren Lebensbedingungen fich zu erhalten. Haben wir die Noth-Wendigkeit ihrer Annahme gerechtfertigt, fo haben Wir auch bewiefen, dafs das Leben nicht ein blofses Product der Reize und der Erregbarkeit fey, wie die Brownifche Schule den Lebensact als ein folches Wech-fielfpiel betrachtet. Der Pflanzenkeim beh\u00e4lt feine Keimkraft Jahrhunderte lang, das R\u00e4dert hier wird,","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"103\nWenn es fi\u00ebbea Jahre lang ausgetrocknet lag, wieder durch einen Tropfen Waffe r belebt. Junge Thiere k\u00f6nnen fange Zeit, mehrere Minuten lang, ihre Refpiration ausfetzen und die Luft entbehren, die fie l'p\u00e4ter nicht eine Minute lang miffen k\u00f6nnen. Gewiffe kr\u00e4nkliche Sub-jecte leben l\u00e4ngere Zeit, Monate ja Jahre Jang ohne Speifen und Getr\u00e4nke. Kataleptifche bleiben fehr lange ohne Nahrung, ohne Luft zu fich zu nehmen. Auch in den unl\u00e4ugbaren Ahnungen bevorltehender Lebensgefahren thut fich diefe Kraft nicht feiten kund. Alles diefes bew\u00e8ift, dafs es eine Kraft gebe, die in fich befteht, fich felbft erh\u00e4lt, ohne die \u00e4ufsern Einfliiff\u00eb n\u00f4thig z\u00fc haben. Ja man k\u00f6nnte das Leben als eine Entbindung und allm\u00e4hliche Entziehung diefer Kraft durch \u00e4ufsere Einfl\u00fclfe und Leiter betrachten. Die Lebenskraft wird zwar durch die \u00e4ufseren Einfhiffe in Th\u00e4tigkeit gefetzt, aber auch zugleich erfch\u00fcpft und ent)j|fen. Die Widerftandskraft und die erhaltende Kran find blofse befondere Aeufserungen der Lebenskraft als der Urkraft aller einzelnen Th\u00e4tigkeiten. Sie ftehen gewiffermafsen, wenn gleich nicht durchaus, im Gegenfatz gegen einander. Bei der Widerftandskraft \u00ebrfcheint das Reactionsv\u00e9rmogen in h\u00f6herem Grade th\u00e4tig. Bei den Aeufserungen der Erhaltungskraft Wird die Action und Reaction des lebenden K\u00f6rpers auf einen niedern Grad herabgefetzt, fo dafs w\u00e4hrend einem folchen Minimum von Lebensth\u00e4tigkeit das Be-dflrfnifs zu \u00e4ufseren ern\u00e4hrenden und reizenden Ein-fl\u00fcffen faft ganz fchweigt.\nWenn wir nun alle einzelnen Charaktere des Lebens zufammenfaffen fo finden wir\ni) dafs durch Bewegung, Production und Reproduction, durch das Wachsthum und bei der Reaction auf die Aufsenwelt das orgauifche Wefen felbft ver\u00e4ndert und verwandelt werde, durch die Reaction und","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nAffimilation aber die Aufs\u00f6iidinge von ihm verwandelt\nwerden.\n2)\tDafs allen den artgef\u00fchrten Aeufserungen des Lebens ein inneres Princip zum Grunde liege, das man im Allgemeinen Lebenskraft nennt.\n3)\tDafs bei allen ein eigent\u00fcmliches inneres Ge-fetzerkenntlich fey*\n4)\tDafs die Mittel zur Verwandlung feiner felbft und der Aufsenclinge in dem organifchen Wefen felbft liegen, in feiner Organifation.\n5)\tDafs bei allen diefen Ver\u00e4nderungen das lebende Wefen fich felbft zu erhalten ftrebe.\nFaffen wir alle diefe Merkmale nun in einen ge-sneinfchaftlichen Begriff zufammen, fo werden wir das Leben am vollft\u00e4ndigften fo definiren: Das Leben eines Wefens bejteht in der Erhaltung feiner felbft, durch Verwandlung feiner felbft und der Aufsendinge verrait* telft Kr\u00e4fte und Werkzeuge, und nach Gefetzen-, welche in demfelben liegen. Ein lebender K\u00f6rper i\u00df derjenige, Welcher \u00dfch felbft erh\u00e4lti indem er fich un d die Aufsendinge durch Kr\u00e4fte, Werkzeuge und nach Gefetzen, die in ihm felbft liegen , verwandelt.\nDiefes w\u00e4re das Refultat der Reflexionen \u00fcber die Charaktere des Lebens. Diefe find zwar trocken, m\u00fcffen aber doch angeftellt werden, und find vielleicht deswegen um fo n\u00f6thiger, weil die Phyfiologie in neuerer Zeit die Strenge logifcher Diftinctionen zum nicht geringen Nachtheile diefer Wiffenfchaft nur zu fehr vernachl\u00e4ffigt.","page":104}],"identifier":"lit14077","issued":"1817","language":"de","pages":"84-104","startpages":"84","title":"Ueber eine neue Begriffsbestimmung des Lebens","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:05:34.091464+00:00"}

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