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{"created":"2022-01-31T14:02:21.490714+00:00","id":"lit1409","links":{},"metadata":{"alternative":"Arbeiten aus der Physiologischen Anstalt zu Leipzig","contributors":[{"name":"Tschirjew, Sergei I.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Arbeiten aus der Physiologischen Anstalt zu Leipzig: 38-49","fulltext":[{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"Die Unterschiede der Blut- und Lymphgase des erstickten Thieres.\nVon\nS. Tschiriew.\nDie Gase der Lymphe sind einer eingehenden Untersuchung zuerst von 0. Hammarsten*) unterworfen worden. Hierbei wurde unter andern die Thatsache aufgedeckt, dass der procentische Kohlens\u00e4uregehalt der Lymphe in der Mitte zwischen denen des arteriellen und des ven\u00f6sen Blutserums steht. Diese Erfahrung f\u00fchrte unmittelbar zu der Frage, ob nicht im Binnenraume der Blutgef\u00e4sse ein Theil der Kohlens\u00e4ure entstehe, welche die Athmung bestreitet. Hammarsten glaubte, es m\u00fcsse dieses bejaht werden, wenn in dem Serum der Lymphe, trotzdem dass ihm weniger Kohlens\u00e4ure als dem gleichnamigen Bestandtheile des ven\u00f6sen Blutes zukomme, ebenso viel Basen als im Blute enthalten seien, weil unter diesen Bedingungen die Kohlens\u00e4ure des ven\u00f6sen Blutes einen h\u00f6heren Druck als die der Lymphe aus\u00fcben werde. Da seine Versuche \u00fcber den letzteren Punkt keine Aufkl\u00e4rung gew\u00e4hrten, so konnte er die angeregte Frage nicht entscheiden. Die L\u00fccke, welche Hammarsten gelassen, versuchte Strassburg mittelst eines von Pfl\u00fcger**) erfundenen Apparates, des A\u00f6rotomometers, auszuf\u00fcllen. Das Resultat der hier einschlagenden Versuche fasst Strassburg 1. c. p. 89 in folgenden Worten zusammen: \u00bbAus unseren Versuchen geht das auffallende Resultat mit absoluter Sicherheit hervor, dass die Spannung der Kohlens\u00e4ure in der Lymphe nicht gr\u00f6sser, sondern etwas kleiner als die des ven\u00f6sen Blutes ist und um etwa 0,5 bis 1,0 Procent abweicht. Es liegt also der Werth zwischen dem des arteriellen und des ven\u00f6sen Blutes.\u00bb\nNach diesen Versuchen verhalten sich somit die Spannungen\n*) Arbeiten des physiologischen Instituts zu Leipzig. Jahrgang 1871.\n**) Dessen Archiv 6. Bd. p. 65 u. folgde.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"121] S. Tschiriew, Unterschiede deriBlut\u2014 u. Lymphgase etc. 39\nder Kohlens\u00e4ure in der Lymphe zu denjenigen in den verschiedenen Blutarten \u00e4hnlich, wie die procentischen Mengen dieses Gases. Demgem\u00e4ss h\u00e4tten Pfl\u00fcger und Strassburg die Frage nach dem Orte, an welchem sich einTheil der ausgeathmeten Kohlens\u00e4ure bildet, in dem von Hammarsten angedeuteten Sinne entscheiden m\u00fcssen, wenn ihnen nicht ein neues Bedenken aufge\u2014 stossen w\u00e4re. Sie sind der Meinung, dass die Fl\u00fcssigkeit, welche die Gewebe, namentlich die Muskeln und die Dr\u00fcsen durchtr\u00e4nkt, eine gespanntere Kohlens\u00e4ure enthalte, als das ven\u00f6se Blut, aber sie glauben, dass dieses nicht mehr der Fall sei, wenn der Gewebesafl als Lymphe in die St\u00e4mmchen und St\u00e4mme der Lymphgef\u00e4sse \u00fcbergetreten w\u00e4re. An den letzteren Orten werde der Lymphe fortw\u00e4hrend Kohlens\u00e4ure entzogen, weil das Bindegewebe, in dem jene Bahnen liegen, wegen seines geringen Stoffwechsels nur wenig Kohlens\u00e4ure bilde, die zu keiner hohen Spannung gelangen k\u00f6nne, da das Bindegewebe von einem continuirlichen und im Verh\u00e4ltniss zu dem der Lymphe raschen Strome des Blutes durchsetzt und ausgewaschen werde. Aus diesem Grunde sprechen sie der Lymphe die F\u00e4higkeit ab, einen Aufschluss \u00fcber die wahren Spannungen der Kohlens\u00e4ure in den Gewebes\u00e4ften zu gew\u00e4hren.\nDiesem Ausspruche w\u00fcrde man sich erst dann mit voller Ueberzeugung anschliessen k\u00f6nnen, wenn die zahlreichen Voraussetzungen, auf welche sich derselbe gr\u00fcndet, bewiesen w\u00e4ren. Da dieses bisher nicht geschehen war, so forderte mich Herr Professor C. Ludwig auf, nach dieser Richtung hin Versuche vorzunehmen; diesem Wunsche kam ich um so bereitwilliger entgegen, als der gleichzeitig mitgetheilte Plan noch andere werthvolle Aufschl\u00fcsse \u00fcber den Gashaushalt des thierischen K\u00f6rpers versprach.\nDie Aufgabe, deren L\u00f6sung zun\u00e4chst beabsichtigt war, bestand darin, die Gase der Lymphe und des arteriellen Blutserums zu vergleichen, die demselben Thiere, nachdem es erstickt war, unter gewissen Vorsichtsmaassregeln entnommen waren. Sollte das den Arterien entnommene, in das Bindegewebe einstr\u00f6mende Blutserum reicher anKohlens\u00e4ure sein als die Lymphe, so w\u00fcrde diese relative Armuth nicht mehr nach den von Pfl\u00fcger und Strassburg aufgestellten Grunds\u00e4tzen zu erkl\u00e4ren sein, vorausgesetzt, dass dem gr\u00f6sseren Gehalt an Kohlens\u00e4ure auch ein Uebergewicht an Spannung entspr\u00e4che.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nS. Tschiriew,\n[122\nUm den wichtigen Versuch von einem leicht zu erhebenden Einwand zu befreien, erschien es gerathen, nur die Lymphe zu entgasen, welche sich, w\u00e4hrend das Erstickungsblut kreiste, in den Wurzeln und Capillaren der lymphatischen Bahnen befunden hatte.\nNach diesen Vorbemerkungen gehe ich zur Schilderung meiner Versuche Uber. An jedem der benutzten Hunde wurde zuerst der linke Brustgang und eine a. carotis aufgesucht und in beide je eine Can\u00fcle eingebunden. Darauf ward unter die freigelegte Luftr\u00f6hre eine Schraubenklemme geschoben und geschlossen ; war die Erstickung so weit fortgeschritten, dass eine Ber\u00fchrung der Bindehaut des Auges keinen Lidschluss mehr hervorrief, so wurde mit dem Auffangen des Blutes begonnen. Dieses trat durch ein Gabelrohr \u00fcber Quecksilber gleichzeitig in mehrere Cylinder ein. Zwei derselben wurden zur Gewinnung des Serums zur\u00fcckgesetzt, ein dritter ward bis zur vollendeten Gerinnung gesch\u00fcttelt. Nachdem alle das Blut betreffenden Handgriffe beendet waren, wurde mit dem Auffangen der Lymphe begonnen. Die zuerst austretenden 15 bis 20 Ccm. wurden in das Freie gelassen, und erst nach ihrer Entfernung das Ausfliessende \u00fcber Quecksilber geleitet. Unter den geschilderten Umst\u00e4nden kann der Strom der Lymphe \u2019nur dann eingeleitet und unterhalten werden, wenn man die unteren Extremit\u00e4ten in regelm\u00e4ssiger Folge beugt und streckt, und \u00f6fter den in den gr\u00f6sseren Lymphst\u00e4mmen angeh\u00e4uften Inhalt durch Bestreichen der Haut und einen Druck auf den Unterleib entleert. Um 60 bis 80 Ccm. Lymphe zu erhalten, welche zu einer Doppelanalyse nothwendig sind, muss die Manipulation mindestens 20 bis 30 Minuten hindurch fortgesetzt werden. Trotz aller Sorgfalt ist es mir einmal nicht gelungen, mehr als 30 Ccm. Lymphe zu erhalten. Auch war es mir zweimal nicht m\u00f6glich, aus dem abgeflossenen Blute so viel Serum auszuscheiden, dass dasselbe zu einer Entgasung ausgereicht h\u00e4tte.\nDie Versuche verliefen folgendermaassen und die Fl\u00fcssigkeiten gaben in Procenten ausgedr\u00fcckt die nachstehenden Gasmengen.\nVersuch I.\nCurarevergiftung. Volumen des gewonnenen, Blutes 700 Ccm. Das Sammeln der Lymphe begann 12 Minuten nach dem Verschluss der Schraubenklemme. Als in Verlauf von 38 Minuten 65 Ccm. Lymphe gewonnen","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"123] Die Unterschiede der Blut-und Lymphgase etc. 41\nwaren, wurde das Auffangen beendet. Die Lymphe war farblos ; sie gerann erst nach zweist\u00fcndigem Stehen.\n\tc,o2\t0\tN\na\t31,30\t0,01\t1,06\nLymphe\t\t\t\nb\t31,41\t0,01\t1,04\na\t34,37.\t0,86\t1,38\nBlut\t\t\t\nb\t34,31\t0,82\t1,42\na\t38,65\t0,11\t1,10\nSerum\t\t\t\nb\t38,54\t0,09\t1,17\nVersuch II.\n\u00fcnvergiftet. 4 Minuten nach dem Zuklemmen der Luftr\u00f6hre begann der Aderlass. Es wurden 450 Ccm. aufgefangen. 8 Minuten nach dem Verschluss der Klemme begann das Auffangen der Lymphe \u00fcber Quecksilber. Von ihr wurden nur 23 Ccm. erhalten. Sie war farblos.\n\tC,02\t0\tN\nLymphe\t31,97\t0,01\t0,60\nBlut\t32,51\t0,03\t1,29\nSerum\t36,77\t0,07\t0,43\nVersuch in.\n\u00fcnvergiftet. 5 Minuten nach dem Zuklemmen der Luftr\u00f6hre begann der Aderlass, durch welchen 550 Ccm. Blut gewonnen wurden. Um 60 Ccm. farbloser Lymphe zu erhalten, musste die Gliederbewegung 30 Minuten hindurch fortgesetzt werden.\n\tc,o2\t0\tN\na\t40,89\t0,01\t0,64\nLymphe\t\t\t\nb\t40,81\t0,01\t0,63\na\t44,25\t0,02\t1,03\nBlut\t\t\t\nb\t44,33\t0,04\t1,06\na\t50,07\t0,04\t1,45\nSerum\t\t\t\nb\t49,98\t3 \u00b0.\u00b04\t1,48","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\n[124\nS. Tschiriew,\nVersuch IV.\nCurarevergiftung. Durch den Aderlass wurden 120 Ccm. Blut gewonnen, w\u00e4hrend einer 25 Minuten hindurch fortgesetzten Bewegung der Glieder wurden 70 Ccm. farblose Lymphe erhalten.\n\tC,02\tO\tN\na\t35,80\t0,00\t0,89\nLymphe\t\t\t\nb\t35,80\t0,00\t0,81\na\t35,79\t0,01\t1,59\nBlut\t\t\t\nb\t35,49\t0,01\t1,68\nVersuch V.\nMit Curare vergiftet. Das Thier befand sich in der Verdauung. Durch den Aderlass wurden 125 Ccm. Blut erhalten. Durch die Bewegung der Glieder 80 Ccm. Lymphe. Diese letztere war blutfrei, aber stark opalescirencfc\n\tC,02\t0\tN\na\t39,61\t0,09\t1,07\nLymphe\t\t\t\nb\t39,49\t0,11\t1,03\na\t39,45\t0,31\t1,03\nBlut\t\t\t\nb\t39,23\t0,30\t1,06\nDer besseren Uebersicht wegen mag es gestattet sein , die Mittelwerthe des Procentgehaltes der Fl\u00fcssigkeiten an Gasen zusammenzustellen.\n\t\tc,o2\tO\tN\t\n1\tLymphe\t31,35\t0,01\t1,05\tCurarevergiftung\n\tBlut\t34,34\t0,84\t1,40\t\n\tSerum\t38,59\t0,10\t1,14\t","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"125] Die Unterschiede der Blut- und Lymphgase etc.\n43\n\t\tc,o2\tO\tN\t\n2\tLymphe\t3t, 97\t0,01\t0,60\tunvergiftet\n\tBlut\t32,51\t0,03\t1,29\t\n\tSerum\t36,77\t0,07\t0,43\t\n3\tLymphe\t40,85\t0,01\t0,63\tunvergiftel\n\tBlut\t44,29\t0,03\t1,05\t\n\tSerum\t50,03\t0,04\t1,46\t\n4\tLymphe\t35,80\t0,00\t0,85\tCurarevergiftung\n\tBlut\t35,64\t0,01\t1,63\t\nS\tLymphe\t39,55\t0,10\t1,05\tCurarevergiftung\n\tBlut\t39,34\t0,31\t1,05\t\nDurch ihren Gehalt an Sauerstoff, welcher fast durchweg minimal zu nennen ist, charakterisiren sich die analysirten Fl\u00fcssigkeiten als Erstickungsproducte. Die Besprechung ihrer Gase kann sich also auf ihren Kohlens\u00e4uregehalt beschr\u00e4nken.\u2014 Fassen wir zun\u00e4chst die F\u00e4lle in\u2019sAuge, in welchen das gesammte Blut und das Serum desselben mit der Lymphe verglichen werden k\u00f6nnen, so ergiebt sich durchweg, dass die Lymphe mit dem geringsten Kohlens\u00e4uregehalt begabt ist. Sehr betr\u00e4chtlich ist namentlich der Ueberschuss der Kohlens\u00e4ure des Serums \u00fcber denjenigen derLymphe, denn er bewegt sich zwischen 4,80 und 9,18 p. G. Obwohl es nun in den Versuchen IV und V nicht gelang, die zur Analyse n\u00f6thige Quantit\u00e4t von Serum darzustellen, so darf doch nach den Ergebnissen, welche das Gesammtblut geliefert hat, angenommen werden, dass auch in diesen beiden F\u00e4llen das Serum um mehrere Procente reicher an Kohlens\u00e4ure war, als die Lymphe und zwar darum, weil beidemal der Kohlens\u00e4uregehalt des ganzen Blutes gleich dem der Lymphe stand. Also war sicher das Serum reicher an dieser Gasart als die Lymphe. Durch diese Versuche steht es also fest, dass das arterielle Blutserum des erstickten Thieres bedeutend reicher an Kohlens\u00e4ure ist, als die Lymphe desselben.\nNach der soeben erhaltenen Auskunft liegt es nahe, die Frage zu erheben, ob sich die Lymphe des athmenden und des erstickten Thieres r\u00fccksichtlich ihrer Kohlens\u00e4ureprocente in \u00e4hnlicher Weise von einander abheben, wie wir dieses vom Blutserum wissen. Entscheidend w\u00fcrde hierauf nur nach einer Untersuchung zu antworten sein, in welcher mehrere Lymph-","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nS. Tschiriew,\n[126\nproben desselben Thieres analysirt worden waren, das der Reihe nach apnoisch, in normaler Athmung und endlich erstickt gewesen ware. Vorl\u00e4ufig, wo uns keine solche Versuchsreihe zu Gebote steht, k\u00f6nnen wir uns nur dadurch eine Auskunft verschaffen, dass wir den Kohlens\u00e4uregehalt der Erstickungslymphe, welcher von verschiedenen Thieren geliefert wurde, demjenigen gegen\u00fcber stellen, welchen die Lymphe anderer normal athmen-der Hunde geliefert hat. Diesem Unternehmen ist darum nicht alle Bedeutung abzusprechen, weil die Zahl der untersuchten F\u00e4lle schon eine merkliche ist. Von Hammarsten sind neun verschiedene Lymphen w\u00e4hrend normaler Athmung untersucht worden und ich selbst habe sieben verschiedene Lymphsorten erstickter Thiere auf ihren Gasgehalt bestimmt. F\u00fcnf dieser F\u00e4lle wurden soeben vorgelegt und zwei andere werden noch auf pagina 130 dieser Abhandlung ausf\u00fchrlich besprochen werden.\nProcentischer Kohlens\u00e4uregehalt in der Lymphe des athmenden Thieres 40,36 40,32 37,82\n33.49 32,02 31,84 29,55 28,54\n28.50\nProcentischer Kohlens\u00e4uregehalt in der Lymphe des erstickten Thieres\n40.97 40,85 39,55\n35.80\n33.80\n31.97 31,35\nAus diesen 16 Versuchen geht hervor, dass sich die Maxima des Kohlens\u00e4uregehaltes in der Lymphe des athmenden und erstickten Thieres nur um Bruchtheile eines Procentes unterscheiden, und ferner, dass in der Mehrzahl der F\u00e4lle die Procents\u00e4tze der Kohlens\u00e4ure, welche sich in der Lymphe des erstickten Thieres finden, auch in der des athmenden Vorkommen. In der Lymphe des athmenden Thieres finden sich allerdings procen-tische Werthe der Kohlens\u00e4ure vor, welche geringer sind als die der Erstickungslymphe, aber der gr\u00f6sste Unterschied betr\u00e4gt auch in diesen F\u00e4llen nur 2,7 Proc. Hierdurch ist es festgestellt, dass w\u00e4hrend der Erstickung der Kohlens\u00e4uregehalt der Lymphe weit weniger \u00fcber seinen normalen Werth emporw\u00e4chst, als derjenige des Blutserums.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"127] Die Unterschiede der Blut- und Lymphgase etc. 45\nDa erwiesener Maassen in den hier betrachteten Fl\u00fcssigkeiten mit der Zunahme des Procentsatzes auch der Druck der Kohlens\u00e4ure ansteigt, so wird anzunehmen sein, dass sich der Unterschied der Kohlens\u00e4urespannung in beiden Fl\u00fcssigkeiten vergr\u00f6ssert hat, wenn dasselbe mit ihrem Kohlen S\u00e4uregehalt geschehen ist. Nun ist das normale Venenblut mit einer h\u00f6heren Kohlens\u00e4urespannung begabt, als die Lymphe des ath-menden Thieres, sonach wird mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass das Erstickungsblut jenes Uebergewicht in noch viel h\u00f6herem Grade besitzt.\nVorausgesetzt, dass zuk\u00fcnftige Untersuchungen diese Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit erheben, so w\u00fcrden wir unsere Anschauungen \u00fcber die Stellung der Lymphe zu den Gewebes\u00e4ften \u00e4ndern oder wir w\u00fcrden die Annahmen verwerfen m\u00fcssen, welche \u00fcber die Orte, wo die Kohlens\u00e4ure entsteht und \u00fcber die Geschwindigkeit, mit der sie sich von dort aus verbreitet, an der Tagesordnung sind.\nGeht die Kohlens\u00e4ure aus den Formbestandtheilen hervor, die jenseits der Blutgef\u00e4sse liegen und diffundirt sie von dort im freien Zustande in das Blut, so muss die Kohlens\u00e4urespannung in den S\u00e4ften, welche die Blutgef\u00e4sswand umgeben, h\u00f6her sein als in der Blutfl\u00fcssigkeit. Beobachtungen, die auf den verschiedensten Wegen gewonnen sind, stimmen aber darin \u00fcberein, dass die Fl\u00fcssigkeit, welche die Blutgef\u00e4sse umsp\u00fclt, in die Lymph-gef\u00e4sse \u00fcberfliesst, wenn in die Gewebel\u00fccken entweder ein neuer Erguss erfolgt oder wenn ihre R\u00e4umlichkeit vermindert wird. Insofern sich nun, wie dieses z. B. w\u00e4hrend der Erstickung der Fall, die Lymphe auf ihrem weiteren Verlaufe nur mit einem Blute in Ber\u00fchrung findet, dessen Kohlens\u00e4ure unter einem hohen Drucke steht, m\u00fcsste auch die Kohlens\u00e4ure der Lymphe mindestens so hoch als die des Blutes gespannt sein. Trifft dieses nicht ein, trotzdem dass die \u00fcber die Entstehung und den Austausch der Kohlens\u00e4ure aufgestellten Grunds\u00e4tze richtig sind, so k\u00f6nnen die Beziehungen zwischen den Gewebes\u00e4ften und der Lymphe nicht bestehen, welche gegenw\u00e4rtig f\u00fcr giltige gehalten werden.\nGesetzt aber, es k\u00f6nnte weder die Gewebefl\u00fcssigkeit als solche, noch ihre Kohlens\u00e4ure in die Lymphe \u00fcbergehen, so ist es doch nicht zu bezweifeln, dass die letztere ein Erzeugniss des Blutes ist; als solches m\u00fcsste ihr Kohlens\u00e4uregehalt gleich dem des Blutserums, in meinen Beobachtungen also gleich dem des","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nS. ISCHIHIEW,\n[4 28\nSerums vom Erstickungsblute sein. Um den in Wirklichkeit hervortretenden Mangel einer solchen Uebereinstimmung zu erkl\u00e4ren, m\u00fcsste man annehmen, dass die aus den bewegten Gliedern hervorgeholte Lymphe schon vor der Erstickung das Blut verlassen habe. Allerdings w\u00fcrde es hiernach begreiflich sein, warum der Kohlens\u00e4uregehalt der Lymphe soweit hinter dem des Erstickungsserums zur\u00fcckbliebe, aber auch dieses nur unter der Voraussetzung, dass der Austausch der Gase zwischen dem Inhalt der Lymph wurzeln und dem der Blutgef\u00e4sse lange nicht so ausgiebig sei, als man bisher gedacht.\nWenn wir aber daran festhalten, dass die Lymphe aus dem Zusammenfluss der Gewebes\u00e4fte entsteht und so weit als diese mit Kohlens\u00e4ure ges\u00e4ttigt sei, so sehen wir uns gen\u00f6thigt, unter die Ursprungsorte dieser letzteren auch die Gewebsformen aufzunehmen, welche innerhalb des von den Blutgef\u00e4ssen umschlossenen Raumes liegen, namentlich also auch die Blutscheiben, die Lymphzellen und die nach der Gef\u00e4ssh\u00f6hle gekehrten Oberfl\u00e4chen Endothelien. Einer derartigen Annahme steht kein prin-cipielles Bedenken entgegen, selbst wenn sich die Bef\u00e4higung zur Kohlens\u00e4urebildung nur auf die organisirten Massen beschr\u00e4nkte. An der Zersetzbarkeit der geformten Bestandtheile des Blutes k\u00f6nnte aus bekannten Gr\u00fcnden auch dann kaum gezweifen w'erden, wenn selbst durch die Versuche von Afonas-siew*) nicht bewiesen w\u00e4re, dass sich unter dem Zutritte von Sauerstoff aus dem Cruor des Erstickungsblutes Kohlens\u00e4ure bilden k\u00f6nnte; und f\u00fcr die Betheiligungen der Endothelzellen an dem Oxydationsprocess sprechen die Lebenserscheinungen der-' selben, welche um so deutlicher und vielfacher hervortreten, je sorgf\u00e4ltiger wir nach ihnen suchen. Ohne Weiteres w\u00fcrde sich hieraus erkl\u00e4ren, dass das arterielle Blut nach dem Durchtritt durch dieCapillaren in ven\u00f6ses umgewandelt ist, wenn auch auf der Aussenfl\u00e4che der Gef\u00e4sswand die Bestandtheile fehlen, in welchen man ihres \u00fcbrigen Verhaltens wegen einen lebhaften Stoffwechsel voraussetzen darf.\nNeben die Gr\u00fcnde, welche sich f\u00fcr die ausgesprochene Anschauung geltend machen, treten jedoch auch wichtige Bedenken ; wenn der h\u00f6here Spannungsgrad, welcher der Kohlens\u00e4ure\n*) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig 1872.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"129] Die Unterschiede der Blut- dnd Lymphgase etc. 47\ndes Blutes eigen ist, daher r\u00fchrt, dass sich im Binnenraum der Gef\u00e4sse die hierzu noth wendigen Gasmengen entwickeln, so w\u00fcrde daraus folgen, dass die Gewebes\u00e4fte keine Kohlens\u00e4ure in das Blut \u00fcberzutreiben verm\u00f6chten. Die gesammte Summe jenes Gases, welche in den Geweben entst\u00e4nde, w\u00fcrde also darauf angewiesen sein, mit dem Strom der Lymphe in das Blut zu gelangen. Weil nun aber die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Lymphe bewegt, eine m\u00e4ssige ist, so w\u00fcrde durch sie auch nur wenig Kohlens\u00e4ure gef\u00f6rdert werden, mit andern Worten die Gr\u00f6sse des Stoffumsatzes, welche in den Gewebsmassen stattf\u00e4nde, die ausserhalb der Blutgef\u00e4sse liegen, w\u00e4re sehr gering im Verh\u00e4ltnis zu derjenigen, die in den Formbestandtheilen innerhalb der Gef\u00e4ssh\u00f6hle abliefe.\nDiese auffallende Annahme w\u00fcrde sich mit der gegenw\u00e4rtig verbreiteten Anschauung vereinigen lassen, wenn es nachzuweisen w\u00e4re , dass in den Gewebs\u00e4ften beziehungsweise in der Lymphe fl\u00fcssige Zersetzungsproducte vork\u00e4men, die sich mit H\u00fclfe des Oxyhaemoglobins unter Bildung von Kohlens\u00e4ure zersetzten. F\u00fcr diese Annahme war nach den Beobachtungen von Hammarsten allerdings wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden. Da sich jedoch dieser Beobachter zum Nachweise der leicht oxydablen Stoffe nur der Lymphe des athmenden Thieres bedient hatte, so war immerhin die M\u00f6glichkeit offen, dass der gew\u00fcnschte Erfolg mit H\u00fclfe der Erstickungslymphe eintreten k\u00f6nnte. Mit dieser habe ich den von Hammarsten ausgef\u00fchrten Versuch wiederholt.\nBei dem Sammeln der Erstickungslymphe schlug ich jedoch ein etwas anderes Verfahren als das fr\u00fcher beschriebene ein, weil ich f\u00fcrchtete, durch dasselbe nicht das gen\u00fcgende Volum an Fl\u00fcssigkeit zu gewinnen. Nachdem die Vorbereitungen in der oben beschriebenen Weise ausgef\u00fchrt waren, unterbrach ich die Athmung w\u00e4hrend einer Dauer von 4,5 bis 2,0 Minuten, stellte darauf dieselbe w\u00e4hrend 0,5 Minuten wieder her und wechselte mit der Unterbrechung und der Wiederherstellung so lange, bis die n\u00f6thige Quantit\u00e4t von Lymphe ausgeflossen war. Da bei diesem Verfahren mindestens Dreiviertel der auf die Gewinnung der Lymphe verwendeten Zeit bei einer beschr\u00e4nkten Sauerstoffzufuhr verstrichen waren, so konnte man erwarten, dass in der gewonnenen Fl\u00fcssigkeit auch ein bedeutender Antheil von Erstickungslymphe enthalten sei.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\tS. Tschirikw,\t[130\nIn zwei nach diesem Plan ausgef\u00fchrten Versuchen erhielt ich die folgenden Zahlen.\nVersuch Yl.\nCurarevergiftung.- Die gesammte Dauer des Lymphsammelns betrug 28 Min., in derselben war die Luftr\u00f6hre w\u00e4hrend 21,5 Min. verschlossen und w\u00e4hrend 6,75 Min. offen.\nIn 100 Th. Lymphe fanden sich :\na.\tC,02 40,91\t0\t0,03\tN\t0,92\nb.\t-\t41,01\t-\t0,02\t-\t0,90\nDas defibrinirte Arterienblut, welches der Lymphe zugesetzt wurde, enthielt in 100 Th.\na.\tC,02 22,99 0 10,27 N 0,85\nb.\t- 23,06 - 10,24 - 0,84\nAls 38,88 Ccm. der Lymphe mit 25,81 Ccm. des arteriellen Blutes gemengt waren, gaben 100 Th. der Mischung\na.\tC,02\t33,85\t0\t4,07\tN\t1,14\nb.\t-\t33,86\t-\t4,05\t-\t1,18\nVersuch VII.\nCurarevergiftung. Die Dauer des Lymphsammelns betrug 23,5 Min., die Luftr\u00f6hre war w\u00e4hrend dieser Zeit 18 Min. geschlossen und 5 Min. offen.\nIn 100 Th. der Lymphe fanden sich\na.\tC,02\t33,78\t0\t0,09\tN\t1,17\nb.\t-\t33,82\t-\t0,10\t-\t1,04\nDas defibrinirte Arterienblut, welches der Lymphe zugesetzt wurde, enthielt in 100 Th.\na.\tC,02\t15,51\t0\t13,36\tN 1,47\nb.\t-\t15,62\t-\t13,30\t- 1,46\nAls 22,36 Ccm. der Lymphe mit 25,81 Ccm. des arteriellen Blutes gemengt waren, enthielt die Mischung in 100 Th.\na.\tC,02\t23,96\t0\t6,80\tN 1,43\nb.\t-\t23,98\t-\t6,78\t- 1,60\nNimmt man das Mittel aus den Zahlen, welche bei der Analyse der Mischung gefunden wurden, und vergleicht man sie mit denWerthen, die sich aus den bekannten Bestandtheilen des Gemenges berechnen lassen, so gelangt man zu der folgenden Reihe.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"431] Die Unterschiede dre Bldt- und Lymphgase etc. 49\nVI.\tGefunden\tC,C>2\t33,85\t0\t4,06\nBerechnet\t-\t33,80\t-\t4,10\nVII.\tGefunden\t-\t23,97\t-\t6,79\nBerechnet\t-\t24,02\t-\t7,18\nHieraus gehl auf das Deutlichste hervor, dass auch der Erstickungslymphe die Stoffe fehlen, welche mit Oxyhaemoglobin Kohlens\u00e4ure liefern, beziehungsweise den Sauerstoff desselben an sich nehmen k\u00f6nnen.\nDurch die Beobachtungen, welche in der vorstehenden Abhandlung niedergelegt sind, wird, wie mir scheint, zur Gen\u00fcge bewiesen, dass das Dunkel, welches Uber den Vorg\u00e4ngen der innern Athmung schwebt, noch nicht einmal so weit gehoben ist, um auch nur die Orte mit Sicherheit bestimmen zu k\u00f6nnen, auf welche sich dieselbe vertheilt. Von allen Fl\u00fcssigkeiten, welche ausserhalb des Blutstromes Vorkommen, nimmt die Lymphe unzweifelhaft den ersten Rang ein, sei es, dass man auf ihre Menge oder auf ihre Ausbreitung R\u00fccksicht nehme; solange also die Herkunft und die Schicksale ihres Gasgehaltes unbekannt sind, wird dieses auch mit dem wesentlichsten Theile der innern Respiration der Fall sein.","page":49}],"identifier":"lit1409","issued":"1874","language":"de","pages":"38-49","startpages":"38","title":"Die Unterschiede der Blut- und Lymphgase des erstickten Thieres","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:02:21.490719+00:00"}