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Ueber die verschiedenen Begriffsbestimmungen des Lebens

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{"created":"2022-01-31T16:16:12.883995+00:00","id":"lit14155","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Carus, Carl G.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 4: 47-60","fulltext":[{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"47\nIII.\n\u2018Ueber d\u00efe verfchiedenenBegriffsbeftimmungen des Lebens. Yon Dr. C. G. Carus.\n'Die Syfteme der Phyfiologie find bisher gew\u00f6hnlich \u00ceD\u00cet einem Gegenitande er\u00f6ffnet Worden, welchen man : ftreng genommen weit eher als Sehlufsflein und Summe fate*, ganzen Wiffenfchaft, denn als Anfang oder Vorbereitung derfelben aufgei\u2019tellt wiinfchen m\u00f6chte, n\u00e4mlich H\u00fct dem. Begriffe oder der Definition des Lebens.\ni f)as Wort Leben n\u00e4mlich, bezeichnet ja \u00fcberhaupt ^jUTnichts wahrhaft Bel\u2019onderes, nichts f\u00fcr fieh befite-Rendes Reales, es enth\u00e4lt vielmehr nur den Begriff differ Ver\u00e4nderungen, ge wiffer ftets fortfehreitenden\nVerwandlungen beftimmter Realit\u00e4ten, und es kann uns demnach nur erft durch lange und tiefe Beobach-\u00bb tung folcher Verwandlungen oder des Lebendigen felbft, \u00e8in klares Bild davon entftehea, was eigentlich bei dem Worte Leben (diefem f\u00fcr ein Unausfprechiiches angenommenen Zeichen) gedacht werden folle, folglich ungef\u00e4hr eben fo, wie dem, welcher irgend einen JVIenfchen noch nicht feinem Leben und Beftrebungen nach beobachtet, oder forift kennen gelernt hat, der Name diefes Menfcben ein gleichg\u00fcltiger leerer Klang bleibt, io wird der, welcher die Erfcheinungen des Lebens felbft noch nicht n\u00e4her erfahren oder erforicht hat, wenn ihm nun gleich anfangs das Zeichen anftatt der Sache, das Wort und die Definition anftatt der Gefchichte entgegentritt, Vom eigentlichen Wefen des Lebendigen entweder gar kein deutliches, oder ein falfches Bild erhalten, ja er kann dahin kommen, das Symbol zur Sache felbft zu machen, und mit Schulbegriffen wie mit Wirklichkeiten fortzurechnen. Wir erkl\u00e4ren uns daher das fo h\u00e4ufig fichtbare Hinneigen zum Spiel mit vagen Ver-","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nftandesbegriffen, bei dem Abwenden fowohl von klarer innerer Vernunftanfchauung als von unbefangener ob* jectiver Naturforfchung, welches da alles als caput mor\u00ab tuum Zur\u00fcckbleiben m\u00f6chte, fobald die Definition als Spiritus davon abgezogen ift.\nSolchem Mifsbrauch nun vorzubeugen, und aqf den richtiger\u00bb Weg zur Betrachtung des Lebens \u00fcberhaupt vorzubereiten, fcheint es zweckdienlich, von Zeit zu Zeit fr\u00fchere Anfichten \u00fcber diefe Gegenft\u00e4nde zu vergleichen und zu pr\u00fcfen, ja nach Kr\u00e4ften zu erweitern und zu ver.vollft\u00e4ndigen , damit Mehreren gelinge, \u25a0was Einem unm\u00f6glich war. Beides ift nun von Herrn Prof.Mayer *) in einem fr\u00fchem Auffatze diefes Archivs beabfichtigt, und kann die gegenw\u00e4rtige Arbeit, zum Theil durch jene veranlafst, einer \u00e4hnlichen Abficht gleichfalls auf irgend eine Weife f\u00f6rderlich feyn, fo hat fie ihren Zweck erreicht.\nGleich anfangs aber glaube ich hier meine fefte Ue* berzeugung ausfprechen zu mtiffen, dafs ich jeden Ver* fuch, das Leben blofs als irgend eine, dem befondern Organismus anh\u00e4ngende, ihm f\u00fcr \u00dfch felb\u00df zukommende Kraft zu erkl\u00e4ren, f\u00fcr g\u00e4nzlich verfehlt, und aller tiefem Einficht hinderlich anfehen m\u00fcffe, ja dafs es mir \u00fcberhaupt fcheint, als ob alle Lehrf\u00e4tze der Na-turwiffenfcbaft, fofern fie einzelne, an einzelne K\u00f6rper gebundene Kr\u00e4fte annehmen, der \u00e4chten Naturforfchung mehr entgegen, als Vorarbeiten. Wo n\u00e4mlich ift denn irgend eine Kraft uns denkbar, aufser unter der Form einer Weehf\u00dflivirkung zwi\u00dfhen Mehrern? Und wenn dadurch das Wefen der Kraft als nothwendjg auf Vor-handenfeyn verfchiedener K\u00f6rper gegr\u00fcndet erfcheint,\nwie\ni) Ueber eine neue Eegriffsbeftimmung (Definition) des Lebens. Arch, f\u00fcr Pbyf. III. Kd. is Heft.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"49\nwie d\u00fcrfen wir dann irgend eine Kraft und fo auch die Lebenskraft, das Leben felbft, als Attribut eines ein* zelnen K\u00f6rpers betrachten ? Man verfuche es nur und d\u00e9nke fich f\u00fcr einen Augenblick das Unm\u00f6gliche, n\u00e4mlich einen durchaus einfachen K\u00f6rper, vollft\u00e4ndig und In jeder Hinficht ifolirt, aller WechfelWirkung mit andern Wefen entfremdet, und man wird fich leicht \u00fcberzeugen, dafs in einem folchen K\u00f6rper auch fchlechter-dings keine Kraft\u00e4ufserung, keine Th\u00e4tigkeit gedenkbar fey. Selbft die allgemeinften Kr\u00e4fte n\u00e4mlich, z. B. die Schwerkraft, letzen immer eine Beziehung auf \u00abin Aeufseres voraus; ferner wird auch keine \u00dcrtsbe-wegung gedenkbar feyn, da der Begriff des Orts noth-wendig ein r\u00e4umliches Verh\u00e4ltnifs zu andern Objecten vorausfetzt; und eben fo wenig k\u00f6nnen hier, als in einem durchaus Einfachen, innere Verwandlungen Vorkommen, denn verwandeln kann fich nur ein Zufam-mengefetztes, und Verwandlung gefehieht nur durch \u00ebine Um\u00e4nderung der Verh\u00e4ltniffe befonderer Th ei le, fo dafs diel'es Einfache erft durch h\u00f6here Einwirkung in mehrere Tbeile gefondert werden mfifste, wenn es auch nur der innern'Th\u00e4tigkeit, eines innern Lebens f\u00e4hig feyn fo Ute. Sonach ergiebt fich, dafs ein vollkommen einfacher und ifolirter K\u00f6rper als fchlechthin lohend oder todt anzufehen w\u00e4re, ja dafs er eben \u00fcberhaupt gar nicht in der Wirklichkeit exiftiren k\u00f6nne.\nSehen wir aber, dafs felbft die einfaehften Kr\u00e4fte tlofs in Beziehungen unter einem Mehrfachen (fey die-fes. nun ein Inneres oder Aeufseres) beltehen1), fo 'wird dies. gewifs in noch vollerem Maafse vom Leben,\nt) Will man fich daher mathematifch ein Bild der Kraft gehalten, fo mnfs es immer die Linie als die Verbindung zweier Endpunkte feyn.\nM. d, Archiv IV. I.\nD","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nals von tier Vereinigung fo vielartiger Kr\u00e4fte gelten muffen. So f\u00fcllten wir es demnach feft im Auge behalten, tlafs Leben feinem Wefen nach Wechfelwirkung fey, und feine Erfcheinung folglich nie als Attribut eines Objects allein, fondern als Product aller der Objecte zu betrachten ift, welche zu diefer Wechfelwir* kung beitragen.\nWeiter ift es nun aber ein aus Obigem fich klar er*, gebender Satz, dafs alles, was unter fich in Wechfelwir-kung treten foil, nie ein v\u00f6llig Heterogenes feyn darf. W\u00e4ren n\u00e4mlich zwei K\u00f6rper unter fich durchaus und in jeder Beziehung ungleich, fo w\u00e4re auch an irgend einen Ber\u00fchrungspunkt beider gar nicht zu denken; wie dies denn z. B. zwifchen dein in voller Reinheit gedachten Geift und einer an fich todten Materie der Fall feyn m\u00fcfste. Sprechen wir daher vom Leben als einer Wechfelwirkung, fo ergiebt fich ferner, dafs diefe ebenfalls eine Wirkung zwifchen verfchiedenen , in gewiffer. Hinficht gleichartigen Dingen feyn werde. Nun nennen, wir aber, was die Erfcheinung des Lebens hervorbringt, lebendig,, und es ift folglich klar, dafs, wenn die Er-icheiriung des Lebens nicht aus einem Object allein, fondern aus mehrern zugleich refultirt, allem dem, wo-* von Lebensth\u00e4tigkeit mit ausgeht, auch der Name de* Lebendigen zuzufprechen fey, fo dafs wir denn endlich Leben als eine Wechfelwirkung zwifchen Lebendigen-betrachten d\u00fcrfen, jedoch fo, dafs diefem Lebendigen diefes Pr\u00e4dikat immer nur infofern zukommt, als fia in jenem Zufarrunenwirken fich th\u00e4tig erweifen.\nEs kann nun aber dem aufmerkfatnen Forfcher nicht entgehen, dafs in der ganzen uns wahrnehmbaren Natur fchlechterdings nichts ift, was nicht mit dem Andern auf irgend eine Weife in Beziehung und in Aus-taufch von Th\u00e4tigkeiten begriffen w\u00e4re. Sterne und Monde, Soqnen und Erden, Atmofph\u00e4re und Erd-","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"51\nk\u00f6rper, Waffer und feftes Land, Boden und Pflanzen, Pflanzen und Thiere, alles lebt in und durch einander, wechfelfeitig zufammenwirkend ; und keins von allen w\u00e4re ohne das LJebrige lebendig, ja exiftirte \u00fcberhaupt ohne diefes gar nicht. Ift diefs nun aber wirklich der fall, wo ift dann die fefte Gr\u00e4nze zwifchen Lebendigem und Nichtlebendigem? wo ift der K\u00f6rper, welcher exi-flirte ohne zum allgemeinen Naturleben auf feine Weif# beizutragen? Und l'o folgern wir:\nAlles ift lebendig, fo lange es in jenem Kreife allgemeiner Wechfelwirkung der Natur felbftkr\u00e4ftig eingreift, allein nichts ift lebendig, fobald es aus jenem Kreife v\u00f6llig heraustritt.\nDa es nun aber in der Natur der Sache liegt, dafs durchaus nichts wahrhaft Vorhandenes jenem grofsen Ringe der VVefen lieh entziehen kann, fo kann es auch nirgends einen wahren Tod geben aufser in der abjolu-ten Leerheit, im Nichts.\nDagegen zeigt unsein Ueberblick der verfchiedenen Lebendigen leicht die unendliche Verfchiedenbeit, in Welcher lie zur Erfcheinung allgemeinen oder befon-dern Lebens mitwirken, und wir verm\u00f6gen Stufenfolgen und Grade der Lebendigkeit zu erkennen. Allein der Maafsftab zur Ermeffung fuLher Stufenfolgen und Grade ift bisher, wir k\u00f6nnen es nicht l\u00e4ugnen, ein Ziemlich willkiihrlicher gewefen, ja man h\u00e4tte zuweilen den Begriff einer folchen Gradation lieber v\u00f6llig ver\u00bb wifchtj behauptend, dafs jedes VVefen in fleh und f\u00fcr leinen Zweck von gleicher Vollkommenheit mit den andern fey, und ihre oft fcheinbare Mangelhaftigkeit nur von unferni Standpunkte in der Wefenreihe abh\u00e4nge, nur eine relative und keine reale fey. Allein mir fcheint, dafs es allerdings klar und beftimmt lieh angeben laffe, dafs, und in wiefern wir eine folche Verfchiedenheit als real anzunehmen berechtigt lind, und die folgende An\nD a","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nficht k\u00f6nnte vielleicht den Weg zeigen, felhft mathe-matifch einen folchen Unterfchied im Allgemeinen zu bezeichnen.\nEs ift n\u00e4mlich wohl keinem Widerfpruche unterworfen, dafs, je intenfiver und zugleich extenfiver eine Lebensthiitigkeit erfcheint, fie zugleich um fo mehr die Idee des Lebens erf\u00fclle, um fo lebendiger er-fcheine, dahingegen eine intenfiv und extenfiv fchwache' Lebensth\u00e4tigkeit immer mehr vom Sinne des Lebens fich entfernen, uns zuletzt als g\u00e4nzlich ruhend, als todt erfcheinen muffe. Intenfion und Extenfion der Lebens-erfcheinungen, welche wir an irgend einem K\u00f6rper wahrnehmen, kann nun aber, infofern Leben eine Wechfel-wirkung ift, nur dadurch entftehen, dafs eine gr\u00f6fsere Mehrzahl von Wirkungen auf einem Punkte lieh con-centriren, und von diefem Punkte wieder gegen jene Richtungen ausgehen. Da n\u00e4mlich jeder K\u00f6rper lebendig zu nennen ift, in wie fern er mit einem andern in Wechfelvvirkung tritt, fo wiederholt fich nat\u00fcrlich der Begriff der Lebendigkeit fo vielmal in ihm, als er mit fremden K\u00f6rpern fich verbunden zeigt.\nSetzen wir z. B. A und B als zwei mit einander in Wechte!Wirkung flehende K\u00f6rper, fo ift ihre Wech-felwirkung = A. B., und es bezeichnet diefes Product zugleich den Grad lebendiger Th\u00e4tigkeit eines Jeden. \u2014 Setzen wir dagegen mehrere K\u00f6rper \u2014 A. in Wechfel-wirkung mit einem einzigen K\u00f6rper = B, n\u00e4mlich fo :\nA A A AAA\nB\nfo erfcheint an einem jeden A, welches, ohne den fibri- * gen fich zu verbinde.\u2022, blofs mit B in Wechfelvvirkung tritt, eine Lebensth\u00e4iigkeit \u2014 A. B, allein an B, Wel-","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"53\n\u00abJbes mit jedem A in Wechfelwirkung (ich befindet, eine Manifeftation des Lebens ~ B. Ab, und das Leben von B-ift folglich hier um fo viel h\u00f6her denn im erftern Bei-Ipiele, als die Zahl feiner Wechfelbeziehungen zuge-bommen hat, d. i., um fo viel als Ab mehr ift als A.\nBeifpiele zu diefen Formeln ergeben fich hierzu in iler Natur in Menge. Denn indem wir die in th\u00e4tigerm Yerh\u00e4ltnifs zur Aufsenwelt ftehende, wachfende, aus-toniJernde, zeugende Pflanze, \u00fcber das unfrer Wahrnehmung faft ganz ruhend erfcheinende Foflil fetzen, ferner indem wir den durch Empfindung und Bewegung ln lebendigerer Wechfelwirkung mit Aeufserlichem heilenden Thieren ein h\u00f6heres Leben zufchreiben als der Pflanze, und endlich unter den Thieren wieder dem Mepfehen, welcher durch Vernunft und Willensfreiheit Sinnigere Verbindung mit dem All tritt, den.h\u00f6chl'ten Rang angewi\u00e9fen finden, zeigt es fich klar, dafs immer dlegr\u00f6fsere Ausbreitung von VVirkfamkeit in Beziehung auf Aeufserliches, verbunden mit der kr\u00e4ftigften Behauptung innerer Individualit\u00e4t, der Maafsftab ift, nach welchem der Stand der Organifation und des Lebens gpmeffen wird.\nFolgern wir nun aus diefen S\u00e4tzen, dafs die ganze Natur nur ein grofses Lebendiges fey, und nur gradweife durch h\u00f6here und niedere Energie der Lebenskraft lieh \u00abmterfcheide, fo miiffen wir allerdings auch annehiren, dafs die Bem\u00fchungen, einen ftrengen und entfehiedenen Gr\u00e4nzpunkt zwifchen lebendigen und nicht lebendigen, \u00abrganifchen und nicht organifchen K\u00f6rpern nachzuweifen, nie zu einem gen\u00fcgenden Erfolg f\u00fchren k\u00f6nnen. Cs fcheint hier als w\u00e4ren die Phyfiologen irre geleitet durch den gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch, welcher ein \u00fccheinbar ruhendes, wenige und \u00e4ufserft langfame Weeh-felwirkungen und Verwandlungen zeigendes Object zum Unterfchied von einem bewegten, fich fchneller","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nverwandelnden, todt oder erftorben zu nennen pflegt. Man wollte n\u00e4mlich dielen Unterfchied, der nur auf mehr und weniger beruht, zu einem wefent-liehen erheben, man vergafs, dafs folche Benennungen immer nur relativ find, und dafs die bleibende Gr\u00e4nze hier eben fo mangelt, wie bei vielen \u00e4hnlichen Beftiin-mungen. So l\u00e4ngnet z. B. niemand, dafs ein Unterfchied beftehe zwilchen grofs und klein, hoch und niedrig, fchnell und langfam u. 1. \\v., allein jeder empfindet die Unm\u00f6glichkeit, hier fcharfe Gr\u00e4nzen zu zitdien. Man nenne doch z. B. die Zahl, welche den Unterfchied macht zwilchen einer grofsen und kleinen, das H\u00f6hen-maafs welches die Gr\u00e4nze angiebt zwilchen hoch und niedrig! Und doch, was im Allgemeinen lieh als unm\u00f6glich darftellt, wollte man in der Anwendung auf das Befondere geltend machen, wollte eine Definition vorn Beben geben, welche zugleich ausreichend fey, und zugleich die nach dem Sprachgebrauche vorzugsweife fo genannten nicht lebendigen K\u00f6rper, g\u00e4nzlich aus-fchl\u00f6ffe.\nVon vielen \u00e4hnlichen altern Definitionen des Lebens hat bereits Herr Profeffor Mayer in der erw\u00e4hnten Abhandlung das Unzul\u00e4ngliche dargethan , allein er erlaube mir zu bemerken, dafs ich auch in der von .ihrrt aufgeftellten Definition einen Begriff des Lebens aus-gefprochen finde, der in aller Hinficht weiter als auf die gew\u00f6hnlich fo genannten organifchen Dinge fich erftreckt. Es heifst n\u00e4mlich S. 104. (a. a. O.)\t\u201e Das\n\u201eLeben eines Wefens befteht in der Erhaltung feinet \u201efelbft, durch Verwandlung feiner felbft und der \u201e Aufsendinge vermittel\u00df Kr\u00e4fte und Werkzeuge, uni \u201enach Gefetzen, welche in demfelben liegend Sollte nun aber alles diefes nicht in vollfter Bedeutung einem nach ewigen Gefetzen fich bewegenden , verwandelnden und erhaltenden Sonnenfyfteine zukommen? \u00e4ndert es","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"55\netw\u00e4s am Wef\u00e9n der Sadie, wenn hier Sonnen, Erden und Monde mit ihren Gebirgen, Str\u00f6men und Vulkanen die Organe find, und im fogenannten organifchen K\u00f6rper Bl\u00e4tter, Glieder und Adern? welche Ph\u00e4nomene von Verwandlung, Erzeugung, Zerft\u00fcrung und Erhaltung bietet nur die Oberfl\u00e4che der Erde dar! ja il't nicht Erde und Waffcr, Licht und W\u00e4rme recht eigentlich die Mutter aller organifchen K\u00f6rper, und kann wohl ein wahrhaft Todtes das Lebendige geb\u00e4ren? Ueber-haupl wird der fcharffinnige Verf. jener Definition felhft zugeben, dafs die Erhaltung feiner felhft nach in ihm liegenden Gefetzen dem Stein, dem Metall, eben fo zu-U'omme als dem lebenden K\u00f6rper, es bliebe allo nur die gef'etzm\u00e4fsige Verwandlung feiner Jelbft und der Aufsendinge mittel ft bejtimmter Kr\u00e4fte und Werkzeuge als unterfcheidend ; allein find die geletzm\u00e4fsigen Wech-Jelwirkungen zwilchen Atmofph\u00e4re und Erdk\u00f6rper, die chemifchen Verwandtfchaften und Verwandlungen u. f. w. nicht mit diefen organifchen Proceffen in gleichem Range, fehen wir nicht oft das organifche VVefeti eben fo fch\u00e8inbar ruhend als\u00bb das unorganifche? man denke doch nur an das ftille, in fich gekehrte Leben eines viele Jahre lang ohne ficlitliche Th\u00e4tigkeit, ohne Verwandlung und Ver\u00e4nderung liegenden Samenkorns, welches nur erft durch \u00e4ufsere g\u00fcnftige Verh\u00e4ltniffe zu keimen und fich zu verwandeln beginnt, gerade fo Wie irgend ein Salz oder Metall Jahrhunderte ganz zu ruhen fcheint, bis irgend eine einwirkende \u00e4ufsere Kraft Verwandlungen der verfchiedenften Art erzeugt. Ja, jft nicht der fr\u00fcher erwogene Umftaud, dafs auch das kr\u00e4ftigfte Leben nie feine Bedingungen in einem K\u00f6rper allein, fondera im Zufammenwirkeu felir verfchiedener findet, dafs felbft tliierifches Leben nicht gedacht werden kann, ohne Mitwirkung von Boden, Luft, Licht, W\u00e4rme u. f.w. Beweis genug, dafs auch dieErfcheinung","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\ndes h\u00f6chften Lebens zum Theil als Product vieler Soge-nannten unorganifchen K\u00f6rper und Kr\u00e4fte anziiiehon ii't ?\nVVenn daher der gemeinen Sinnlichen Wahrnehmung einige K\u00f6rper, im Vergleich zu andern, durchaus unbelebt und unth\u00e4tig erscheinen * fo folgt zwar daraus, dafs wir Solche Erfcheinungen im Allgemeinen durch einen befondern Namen zu unterfcheiden berechtigt lind,\u2019 aber es refultirt daraus eben fo wenig eine wahre Trennung f\u00fcr die Wiffen\u00dfchaft, als wir etwa \u00fcberzeugt werden, dafs der Stundenzeiger einer Uhr unbeweglich fev, blofs weil fein Fortr\u00fccken nicht finnlich bemerkbar ift. Fragte man nun aber, worauf eigentlich d\u00e4efer Unterschied des Sprachgebrauchs zvvifchen Lebendigem und Nichtlebendigem, den wir, wiedargethan, als wesentlicher und wahrhafter nicht gelten laffen k\u00f6nnen, gegr\u00fcndet fey? fo glaube ich Folgendes als gen\u00fcgende Antwort betrachten zu d\u00fcrfen. Alle lebendige Wcch-felwirkung der Natur ift nach unfrer Anfchauungsform entweder eine innere oder \u00e4ufsere. Innere lebendige WechfeiWirkung nehmen wir da wahr, wo ein Ding zu mehreren, gegen einander tb\u00e4tigen , und folglich mehr oder weniger, obwohl nie durchaus ungleichen Theilen entfaltet, und mit ctiefen gewifferrnafsen in fich befchlof-fen ift; \u00e4u\u00dferes Leben hingegen zeigt fich, indem irgend ein K\u00f6rper, fey er einfach oder zufammengcfetzt, als Ganzes fich gegen einen andern oder mehrere andere tb\u00e4tig erweift. Je mehr wir nun einen gewiffen K\u00f6rper blofs als Glied des allgemeinen Naturlebens erkennen, je weniger wir in ihm nmeresLeben wahrnehmen, defto mehr mufs er uns, die wir das grofse, ja unendliche Ganze, wozu er als nothwendiges Glied geh\u00f6rt, nicht finnlich aufzufaflen verm\u00f6gen, als ruhend , als unor-ganifch, als todt erfcheinen; und umgekehrt, je mehr wir innere Thatigkeit, folglich Selbftbeftiinmung in Seiner Entwicklung, Erhaltung und Wirksamkeit wahr-","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"57\nnehmen, defto mehr wird ein folcher als lebend, als erganifch fich darftellen. Auf folche Weife wird auch der -Unterfchied zwifchen den Zuftanden eines organifchen K\u00f6rpers begr\u00fcndet, welchen wir durch Leben \u00bbnd Tod bezeichnen. Die Periode feiner Exiftenz n\u00e4mlich, welche wir fchlechihin als Leben zu bezeichnen pflegen, wird dadurch beftimmt, dafs der Organismus tbeils als Ganzes gegen die Aufsemvelt reagirt und von ihr afficirt wird, tbeils als Zufammengefetztes ein gegenseitiges Afficirtwerden und Reagiren, kurz eine Wechselwirkung feiner einzelnen Organe, folglich \u00e4ufseres und inneres Leben zugleich erkennen l\u00e4fst, das Erfier-ben\u00bb..,der Tod hingegen, giebt fich kund durch das Aufh\u00f6ren innerer Wcchfelwirkungen, durch das CJe-hergewicht, welches bei erlofchenem hinein, individuellen Leben, im \u00e4ufsern Leben die Einwirkung von fremden Stoffen \u00fcber die Wirkfamkeit diefes K\u00f6rpers felbft gewinnt, wodurch diefer K\u00f6rper nun wieder untergehen mufs in dem grofsen Wefenringe, aus welchem er f\u00fcr k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Zeit aufgetaucht war. Der Leichnam des organifchen K\u00f6rpers ift deshalb allerdings nicht wahrhaft todt, fondern er fteht zu einem hohem organifchen Kreife nun in demfelben VerU\u00e4ltniffe Wie etwa irgend ein kleines Theilchen von einem lebendigen Organismus zu diefem Ganzen fteht,' indem es n\u00e4mlich, wie jener, nach kurzer individueller Exiftenz, bei dem allgemeinen Stofrwechfel wieder im Ganzen untergeht. Auch ein folches Theilchen f\u00fcr fich betrachtet kann ja, dem Spi'achgebrauche g\u00e9nitifs, kaum mehr als lebendig betrachtet werden , und gefchieht es doch, fo ift es, weil der Organismus zu welchem es geh\u00f6rt, WS ganz vor Augen liegt; wiffenfchaftlich betrachtet kommt ihm indefs diefe Bedeutung vollkommen zu; wogegen denn es auch in vielen F\u00e4llen recht deutlich Wird, dafs ein jErfterben nur eine neue Erzeugung","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nanderer Lebendigen fey. Ueberliaupt k\u00f6nnen wir fchliefslich nicht umhin, die Erzeugung und Fortpflanzung in wahrhaft lebenden Gefch\u00f6pfen noch in diefer Hinficht etwas n\u00e4her zu betrachten, da gerade diefes Ph\u00e4nomen befonders geeignet ift, das Verh\u00e4ltnis von> foa.enannten Todten und Lebendigen anfchaulicher zu machen. In der gelammten Natur n\u00e4mlich ift ein wahf res neu Entftehen fo wenig als ein wahres Vergehen (f. oben) denkbar, denn das All ift nur dann als ewigef Seyn zu denken, und es k\u00f6nnte nicht ewig feyn, wenn ein Anfang oder Ende fleh nachweifen liel'se. Alles fo-senannte Entftehen ift daher fo wie das Vergehen nur ein Verwandeln; diele Verwandlung, inwiefern fie als Eutltebung erfchejnt, ift nun namentlich im Thier als J\u20196 ae h\u00f6chft merkw\u00fcrdiger Vorg\u00e4nge anerkannt, vort denen wir hier nur noch als Beifpiel die Entftehung aus dem Ei mit einigen Worten zu ber\u00fcckfichtigen Willens find.\nDas Ei n\u00e4mlich, noch als Theil des m\u00fctterlichen K\u00f6r[ ers betrachtet, kann man, dem gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch nach, nicht ein lebendiges Wefen nennen, eben fo wenig als ein Samenkorn eine Pflanze genannt wird. In beiden erfcheint n\u00e4mlich noch kein inneres Leben, und jenes Ei ift blofs Theil eines gr\u00f6fsern Lebendigen, obwohl in ihm fchon die Einheit, das Seyn gegeben ift, aus welchem die Mannichfaltigkeit der thierifchen Gebilde fich entfalten foil, eben fo wie im Samenkorn bereits die Idee des Baumes gegeben ift, um bei gegebenen Veranlaffungen wirklich zu werden. L\u00f6ft fich nun endlich tiefes Ei vom m\u00fctterlichen K\u00f6rper ab, ja wird es als folches vollkommen ausgefondert, fo ftellt es einen K\u00f6rper dar, von welchem es dem gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch ftets zweifelhaft bleiben mufs, ob er lebendig oder nicht lebendig zu nennen fey. Wif-fenfchaftlich erwogen ergiebt es fich indefs leicht, dafs","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"59\nw\u00eef hier einen K\u00f6rper vor tins haben, welcher als abge-tr\u00e8nnter Theil eines gr\u00f6lsern Ganzen, bisher mirais G\u00e9f\u00e0mmtheit, als fehr Einfaches, mit jenem in Wech-felwirkung ftand, welchem folglich nur \u00e4ufs eres Leben zukam, in welchem aber das Verm\u00f6gen, fo wie das Gefetz eines innern Lebens vorhanden ift. Wird nun unter den n\u00f6thigen \u00e4ufsern Bedingungen diefes Verm\u00f6gen zur Wirklichkeit, entwickelt fich unter Einwirkung ton Luft und W\u00e4rme das Ei zum Embryo, fo fagt der Sprachgebrauch es kommt Leben hinein , das heifst eben, es entfteht ein inneres Leben, und anftatt dafs \u00e9s fr\u00fcher blofs ein Einfaches war, wird es jetzt eine Einheit, d. i, eine Vereinung mehrerer fich entwickelnder Theile zu einem Zweck.\nWar nun diefes Beifpiel eines Theils geeignet, die hier \u2019eingeleitete Betrachtungsweife des Lebens zu erl\u00e4utern, fo wird es andern Theils auch Veranlaffung geben, noch den Begriff des eigentlichen Unterfchiedes Zwifchen wahrem Naturleben, und dem Scheinleben eines Artefakts, eines Uhrwerkes u. f. w. darzulegen; ein Unterfchied, welcher fogar zur Klippe f\u00fcr manche Definitionen des Lebens wurde, infofern cfiefe den Begriff von wahrem und Scheinleben unter einander warfen. Ja wollten wir es genau nehmen, fo m\u00f6chte felbft die oben erw\u00e4hnte Definition : \u201eLeben jft Erhaltung feiner felbft durch Verwandlung feiner felbft und der Aufsendinge, vermittelet innerer Kr\u00e4fte un i Werkzeuge und nach innern Gefetzen\u201c leicht auf irgend eine k\u00fcnlUichedurch regelm\u00e4fsige Bewegungen und Ver\u00e4nderungen \u00e4ufsere Zwecke erf\u00fcllende Mafchine, Anwendung finden; denn es ift fehr wohl zu denken, dafs eine Mafchine fo eingerichtet werde, dafs fie auf gewiffc Zeit fich felbft erhalte, dafs fie innere und \u00e4ufsere Verwandlungen hervorbringe, und zwar nach beftimmten Gefetzen mittelft innerer Werkzeuge und deren Kr\u00e4fte.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nDemungeachtet fcVieint mir jener Unterfchied fehr be-ftimmt dadurch fich zu finden, da Ts wir bemerken, wia ' jedes Artefakt, jeder ein folches Scheinleben zeigende K\u00f6rper, ein zufammengefetztes, ein erft aus vielen einzelnen Theilen Verbundenes fey; dahingegen ein Naturk\u00f6rper, infofern er nicht felbft blofser Theil, fon< tient ein, gewiffermafsen in fich befchloffenesGanze ift, nie als zu fammengefetzt -, fondera zu feinen einzelnen Theilen und Gliedern entwickelt betrachtet werden darf. Das Erfte n\u00e4mlich ift \u00fcberall das blofse Seyo, und aus diefem kann erft das beftimmte Ssyn hervortreten. Wie daher das Ei zuo\u00e4chft nur die F\u00e4higkeit zu innerm Leben zeigt, dann aber bei wahrem begonnenen innern Leben zu immer gr\u00f6fserer Verfclnedenheit von Theilen fich trennt, fo bildet fich alles \u00fcrganifche durch Entfalten und Aneinandertreten innerhalb und aus der Einheit, wenn das Artefakt hingegen durch Zufammenf\u00fcgen entfteht, und erft zur Einheit eingef\u00fchrt werden mufs. Beiderlei Richtung, ja das eigentliche Wefen beider Bildungen ift fonach g\u00e4nzlich ver-fchieden, ja einander gerade entgegengefetzt, und ich empfehle es der weitern Entfcheidung meiner Lefer, ob nicht die Beachtung diefes Punktes die ficherfte Grenzlinie zwifchen wahrem und Scheinleben ziehen laffen wird.\nIV.\nHeber das Refpirationsfyftem der Reptilien, Von j\u00bb F. Meckel.\nDas Refpirationsfyftem der Reptilien zeigt, auf eine, dirfe Klaffe von allen \u00fcbrigen Wirbelthieren unterfchei-dende Weife diel'elbe allm\u00e4hliche Gradation als das ihm am ncichfien ft\u00e9hende Herz, Dies ergiebt fich fchon aus den","page":60}],"identifier":"lit14155","issued":"1818","language":"de","pages":"47-60","startpages":"47","title":"Ueber die verschiedenen Begriffsbestimmungen des Lebens","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:16:12.884001+00:00"}

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