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{"created":"2022-01-31T16:18:31.128716+00:00","id":"lit14157","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Burdach","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 4: 89-95","fulltext":[{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Ungef\u00e4hr diefelben find, und die Saurier in der That doch, wenigftens im Vergleich mit den Batrachiern, den Vollkommnern Refpirationsprocefs haben.\nFolgendes find die Hauptrefultatc der im Vorigen \u00cantbaltnen Unterfuchungen.\n1)\tDie Mehrzahl der Ophidier befitzt eine mehr \u00f6der weniger vollkommen doppelte Lunge.\n2)\tDer Bau einer jeden Lnngenh\u00e4lfte vervollkommnet lieh nach demfelben Typus bei den Sauriern, als \u00bbch die Duplicilat der ganzen Lunge bei den Ophidiern entwickelt.'\n3)\tMehreren, namentlich den h\u00f6hern Ophidiern fehlt der zellige Bau in dem vor dem Herzen liegenden Theiie des Refpirationsorgans, und diefe ftehen dadurch, fo wie durch die K\u00fcrze der eigentlichen Lunge, den Sauriern nahe.\n4)\tDer fpgenannte zellige Theil der Luftr\u00f6hre der meiften Ophidier entfpricht dem vordem Theiie der Lunge der \u00fcbrigen Amphibien.\n5)\tDie Lunge der Seefchildkr\u00f6ten hat den zufam-mengefetzteften Bau und die gr\u00f6fste athmende Fl\u00e4che Unter allen, diefe ift dagegen bei den Sauriern im Allgemeinen am kleinften.\nV.\nR\u00fcckenmark ohne Endfaden. Wahrnehmung und Vermuthungen von Burdach.\nBei der Zergliederung eines grofsen H\u00fchnerhundes bot fich mir neulich , nachdem der Druck meines Auffatzes \u00fcber das untere Ende des R\u00fcckenmarks fchon begonnen hatte, eine mich fehr \u00dfberrafehende Wahrnehmung dar.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nDas R\u00fcckenmark ging unten nicht in einen zu den-Schwanzbeinen laufenden Endfaden aus, fondern endigte fich mit einem frei herabh\u00e4ngenden Zapfen. Nachdem es n\u00e4mlich das unterfte Schwanznervenpaar gegeben hatte, fetzte es fich in einen, keine Nerven mehr aus-fchickenden, und \u00fcberhaupt weder feillich, noch unten mit irgend einem andern Theile ver'oundnen walzenf\u00f6rmigen K\u00f6rper fort, welcher 7 F Linien lang war, und vom obern Rande des vierten Bauchwirbels bis \u00fcber die Mitte diefes Wirbels hinaus fich erftreckte, 2 Linien breit war, nach unten eine flach gew\u00f6lbte, Linien breite Endfl\u00e4che bildete, und \u00fcbrigens aus fchon von aufsen her deutlich dnrchfchimmernder grauer Subftanz beftand. So wie der Mittelfaden des R\u00fcckenmarks hier fehlte, fo war auch nichts von den ihn feitlich begleitenden filbergl\u00e4nzenden fibr\u00f6len F\u00e4den zu bemerken: ja diefe fehlten am ganzen untern Theile des R\u00fcckenmarks, und an ihrer Stelle hatte diefes zwilchen den vordem und hintern Wurzeln feiner Nerven eine Seitenfurche, die am obern Rande des dritten Bauchwirbels, zwifchen dem Urfprunge des dritten und vierten Bauchwirbelnerven flach begann, und im Herabfteigen etwas tiefer wurde. W\u00e4hrend der R\u00fcckenmarksfaden fehlte, lief gleichwohl vom untern, fpitzigen Ende der Dura mater, welches an der untern H\u00e4lfte des f\u00fcnften Bauchwirbels und if Zoll unter dem freien Ende desRiicken-markszapfens fich befand, die fonft die Fortfetzung des R\u00fcckenmarkfadens einfchliefsende Scheide in der Mittellinie bis zu den Schwanzbeinen fort, und nahm F\u00e4den vom unterften Schwanznervenpaare in fich auf. Der\" rechte Nerv von diefem Paare n\u00e4mlich bildete, nachdem er neben dem Zapfen herabgelaufen und zum fpitzigen Ende der Dura mater gelangt war, dafelbft ein deutliches Ganglion, und aus diefem traten dann mehrere h\u00f6chft feine F\u00e4den , welche alsbald die Dura mater fiebi","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"fBrmig durchbohrten, und in jener fadenf\u00f6rmigen, in der Mittellinie herablaufenden, fcheidenartigen Fort-. fetznng der Dura mater weiter fortgingen. Dafs diefer Nerv nicht etwa der in diefem Falle blofs von einer h\u00f6hern Stelle des R\u00fcckenmarks, als gew\u00f6hnlich, ent-fpringende Mittelfaden war, ging daraus hervor, dafs er ganz nach Art der Riickenmarksrierven leitlich, nicht \u00ceQ der Mittellinie des R\u00fcckenmarks, entfprang, und \u00bbuch von den \u00fcbrigen Schwanznerven, wie gew\u00f6hnlich, durch nichts, als durch gr\u00f6fsere Zartheit lieh unterr fchied, ohne graue Subftanz zu enthalten, oder von fibr\u00f6l'en F\u00e4den begleitet zu feyn.\nj-\u2022 Zwei verfchiedne Deutungen diefer Bildung boten fleh mir fogleich dar, und da erft fernere Beobachtung i^er die G\u00fcltigkeit der einen oder der andern entfehei-d\u00e8n mufs, fo lege ich beide mit ihren Zweifelsgr\u00fcnden\nhier vor.\ni) Es war eine urfpriingliche Spielart der Bildung, dafs der Rackenmafksfaden hier fehlte; das untere Schwanznervenpaar, namentlich in feiner rechten H\u00e4lfte, verrat deffen Steife Demzufolge bildete es ein Ganglion , fo wie die graue Subftanz im R\u00fcckenmarksfaden mit einer Anfehwellung zu endigen fcheintI); und die aus diefem Ganglion tretenden zarten F\u00e4den durchbohr-: ien (wie die aus den Riechnervenganglien hervorkom-\u2018 ftienden F\u00e4den) die Dura mater fiebf\u00f6rmig, um nun als Wirkliche Stellvertreter der aus dem Ende des R\u00fcckenmarksfadens fonft flammenden Nerven zum Ende des Schwanzes fortzugehn. Hier f\u00e4nde ich denn eine Be-Itatigung meiner Annahme, dafs wirklich vcm untern, gangli\u00f6s anfchwellenden Ende der grauen Subftanz des R\u00fcckenmarksfadens Nerven aasgehen, indem bei Ab-\nl) Berichte von der K. Anftalt in K\u00f6nigsberg, Ir Bericht S. sa \u00a3\u00a3.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nwefe\u00fcheit deffelben feitliche Schwanznerven, ein eigene^ verh\u00e4ltriifsm\u00e4fsig grofses Ganglion bildeten , deffen F\u00e4-: den fo, wie fonft die Fortfetzung des R\u00fcckenmarks*! fadens, zum Schw\u00e4nze liefen. Dagegen w\u00e4re hierdurch^ meine andre Behauptung, dafs das R\u00fcckenmark nicht! nach unten verlaufen k\u00f6nne, ohne noch abw\u00e4rts Ner-> ven zu geben, durch das urfpr\u00fcngliche Vorhandenfeyoi eines R\u00fcckenmarkszapfen ohne Nerven, einigermafse\u00bb; widerlegt: ich fage einigermafsen, denn bei Abnormi*. tat der Bildung kann ein Glied da feyn, ungeachtet eiifc Wefcntlich mit ihm zusammenh\u00e4ngendes und ihm fein#] Bedeutung gebendes Glied fehlt. Uebrigens w\u00e4ren hier\u00bb folgende Umft\u00e4nde bemerkenswert!!, a) Der R\u00fcckenmarksfaden fehlte, aber das R\u00fcckenmark behauptet^ feine gew\u00f6hnliche Lage ; an feiner Stelle hatte fich kein andres Befeftigungsmittel, wohl aber eine eigene BiK dung der Nerven erzeugt: folglich kann feine urlpriing-liehe Beftimmung nicht die feyn, als Band das R\u00fcckenmark zu befeftigen, fondern die Nerven zu geben, b) Seine Stelle wurde vertreten, durch feitlich ent-fprungene Nerven, aber nicht durch das Zufammentre-' ten derfelben von beiden Seiten, fondern durch den Nerven der einen Seite allein: es erlchien alfo hier diei unpaarige Nervenvertheilung vom unterlten Ende des R\u00fcckenmarks aus als beharrliches Gefetz. c) Mit dem R\u00fcckenmarksfaden fehlte dem ganzen untern Theile des R\u00fcckenmarks von den Bauchwirbeln an das feitliche Paar riech figer F\u00e4den: diefe fcheinen alfo mit jenem Faden wefentlich zufammenzuh\u00e4ngen, ungeachtet es offenbar irrig feyn w\u00fcrde, anzunehmen, dafs \u00dfe ihn allein bildeten, d) Mit dem Mangel diefer F\u00e4den oder B\u00e4nder trat die feitliche Einfchn\u00fcrung des R\u00fcckenmarks deutlich hervor, w\u00e4hrend fie oben, wo die B\u00e4nder vorhanden waren, wie gew\u00f6hnlich, fehlte: ein ft\u00e4rkeres Anfchiefsen weifser Subftanz zwifchen dem vordem","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022und hintern Strange grauer Subftanz, wodurch die L\u00fccke zwifchen denfelben ausgef\u00fcllt wird, fcheint folglich mit der flechfigen Verdickung der Gef\u00e4fshaut an diefer Stelle wefentlich zufammen zu h\u00e4ngen.\n3) Aber k\u00f6nnte nicht diefer Mangel des Pv\u00fccken-marksfadens, ohne urfpr\u00fcnglich Statt gefunden zu haben, erft w\u00e4hrend des Lebens durch einen Zufall ent-ftanden feyn? Der Hund halte \u00fcber ^ feiner Schwanz-beine eingebiifst, indem ihm beim f\u00fcnften derfelben der Schwanz abgehackt war, Und zwar, wie aus der feften, fehnigen Narbe erhellte, fchon vor langer Zeit. Wenn nun der Riickemnarksfaden, wie ich annehmen zu d\u00fcrfen glaube, die Urfpr\u00fcnge der Nerven f\u00fcr die letzten .Schwanzwirbel und ihre Muskeln und Haut enth\u00e4lt, \u00abmufste er da nicht fchwinden, nachdem die peripberi-fchen Enden diefer Nerven verloren gegangen waren? Das Centrale ift nicht das fchlechthin Herrfchende und \u00abHein Belebende, fondera indem lieh im Lebendigen \u00fcberhaupt der Gegenfatz von Centralem und Peripheri-fchem bildet, ift Beides durch einander bedingt, Beides 1n gegenfeitiger Spannung. Auch das Peripherifche Wirkt alfo erregend auf das Centrale zur\u00fcck : die t\u00fcchtig ge\u00fcbten Muskeln wirken belebend und kr\u00e4ftigend auf das R\u00fcckenmark; die vielfeitig wirkfamen Sinne fteigern das Hirnleben zu h\u00f6herer Regfamkeit. Geht das Peripherifche verloren, fo h\u00f6rt auch das Centrale auf, als folches zu heftehen : ohne Umkreis ift kein Mittelpunkt. Nach dem Abfterben eines peripherifchen Oliedes verliert alfo das centrale Glied zuerft feine Bedeutung; es wird zu einem m\u00fcfsigen Gebilde herabgefetzt. In diefer Miifsigkeit verk\u00fcmmert es nun und feheumpft ein, indem mit dem Aufh\u00f6ren feiner eigent\u00fcmlichen Lebensth\u00e4tigkeit auch die allgemeine Lebendigkeit, das Gew\u00e4chsleben, in ihm finkt. Der Organismus eignet fich endlich das ihm bedeutungslofe Ge-","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nbilde an, und nimmt es durch R\u00fcckfaugung in fein* allgemeine Maffe wieder auf: feine Aufgabe zu l\u00f6fen unverm\u00f6gend, wird es feiner Selbst\u00e4ndigkeit verluftig, und, diefer beraubt, giebt es fein befondres \u00fcafevu auf, geht es in der anftr\u00f6mendeu Flut des allgemeinen Lebens unter. Wenn das Sehverm\u00f6gen durch Verletzung der \u00e4ufsern Sph\u00e4ren des Auges vernichtet ifr, fo welkt die Netzhaut, der Sehnerv, endlich der Sebhigel feibi'tl Ganz kann jedoch diefer nicht verzehrt werden, denn er fteht mitten in der Kette der Hirngebilde, deren Leben vielf\u00e4ltig auf ihn zur\u00fcckftrahlt, und ihn nicht* ganz finken l\u00e4fst. Anders ift es mit dem R\u00fcckenmarks-faden: an die \u00e4ufserfte Gr\u00e4nze des Reichs freith\u00e4tiger Bewegung verwiefen, hat er, wenn fein Peripherifches, das Schwanzende mit deffen Nerven, ihm geraubt ift, keinen St\u00fctzpunkt aufser fich, denn alle Lebendigkeit ftr\u00f6mt zum Riickenmarke vom Gehirne aus in der Richtung nach den peripherifchen Nervenenden hin, und von diefen aus aufw\u00e4rts nach dem Gehirne zu. Durch nichts mehr aufrecht gehalten, fchrumpft. daher der R\u00fcckenmarksfaden in folchem Falle ein, und wird allm\u00e4hlich eingefogen. So konnte dann in vorliegendem Falle der R\u00fcckenmarksfaden nach dem Abhacken des -Schwanzes verloren gegangen feyn, und der Zapfen als Ueberbleibfel feine ehemalige St\u00e4tte bezeichnen Wirklich hatte letzterer mit feinem flach abgerundetes Ende ganz das Anfehen, als ob fein unterer Theil abgenagt, oder im fer\u00f6fen Dampfbade, welches das R\u00fcckenmark umlp\u00f6ft, verfl\u00fcffigt worden w\u00e4re. Diefer Deutung k\u00f6nnte entgegenftehen a) die angef\u00fchrte Bildung des imterften feitlicheu Schwanznerven der rechten Seite, Indefs ift es lehr oft der Fall, dafs diefes Nervenpaar an den R\u00fcckemnarksfaden fich anlegt, und denfeiben noch in feiner von der Dura mater gebildeten Scheide begleitet, und da die Schwauznerven noch deutliche","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"95\nGanglien zu bilden pflegen, fo konnte hier durch Spielart der Bildung ein folches Ganglion zu fr\u00fch, noch vor dem Durchg\u00e4nge des Nerven durch die dura mater, entftanden feyn; und konnte es nicht vielleicht, wenn der R\u00fcckenmarksfaden in fr\u00fcher Jugend gefchwunden war, autagoniftifch um fo ft\u00e4rker fich entwickelt haben? b) Wenn die graue Subftanz des R\u00fcckenmarks* fadens eingefogen worden w\u00e4re, fo w\u00fcrden doch die denfelben begleitenden Flechfenf\u00e4den folcher Verfl\u00fcf-figung widerftanden haben, und \u00fcbrig geblieben feyn. Indeffen waren diefe Flechfenf\u00e4den beim Abhacken des Schwanzes nothwendig durchfchnitten worden : konnten fie, da fie ihre Anheftung verloren hatten, nicht lieh bedeutend verk\u00fcrzen und allm\u00e4hlich heraufziehen ?\nWeitere Beobachtungen und Verfuche muffen ent-fcheiden.\nIch werde Pferde mit Stutzfchw\u00e4nzen in diefer Hinficht unteriuchen. Noch lehrreicher w\u00fcrden Verfuche an folchen Thieren feyn, deren Schwanz eine h\u00f6here Bedeutung f\u00fcr das Leben hat, an Quadruma-nen mit Rollfchw\u00e4nzen, Didelphen u. f. w. Nur ver-fteht es fich von felbft, i) dafs man das Verfchwinden des R\u00fcckenmarksfadens nicht fo bald nach dem Verlufte des Schwanzes erwarten darf: es geh\u00f6rt wahrfcheinlich ein langer Zeitraum dazu, ehe der Hergang des Ver-welkens und der Einfaugung fich beendet; 2) dafs man das Schwinden in jedem Falle, und am wenigften wenn der Schwanz nicht bald nach der Geburt abgehackt worden ift, erwarten darf: fo wenig man an jedem Blinden ohne Ausnahme die Sehh\u00fcgel eingefchrumpft findet, oder fo wenig jedes gel\u00e4hmte Glied merklich abmagert, eben fo wenig fteht zu erwarten, dafs nach dem Verlufte des Schwanzes das Gew\u00e4chsleben des R\u00fcckenmarksfadens immer g\u00e4nzlich erl\u00f6fchen wird.","page":95}],"identifier":"lit14157","issued":"1818","language":"de","pages":"89-95","startpages":"89","title":"R\u00fcckenmark ohne Endfaden: Wahrnehmung und Vermuthungen","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:18:31.128721+00:00"}