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Über negative Empfindungswerte: Briefliche Mitteilungen an W. Preyer, Schlußfassung

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{"created":"2022-01-31T16:07:31.928180+00:00","id":"lit14176","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Fechner, Gustav Th.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 108-120","fulltext":[{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindnngswerte.\nVon\nGustav Theodor Fechner (f 1887).\nBriefliche Mitteilungen an\nW. Preyer.\n(Schlu\u00df.)\nLeipzig, d. 16. M\u00e4rz 74.\nSie sagen:\n\u201eWenn\tE\u2014x log X\nund E\u2014xx log ip\nso ist keineswegs (wie Elemente d. Es. II. 429. Z. 11\u201414. v. o.) gefolgert wird, ip proportional dem X. Auch hier bleibt die Identit\u00e4t der Konstanten x und xt zu beweisen.\u201c Aber so folgere ich ja gar nicht, sondern so: Wenn E=x log X, und\nxp\u2014pX, d. h. ip proportional X, so ist auch E=x log ------;\nP\nwogegen sich wohl nichts einwenden lassen wird, und wobei ein Unterschied zweier Konstanten x, x1 gar nicht in Frage kommt. Dafs die, \u00fcbrigens nur innerhalb der Grenzen des gew\u00f6hnlichen Sinnengebrauchs von mir in Anspruch genommene Proportionalit\u00e4t von psychophysischer Bewegung mit Reiz selbst innerhalb dieser Grenzen nur hypothetisch ist, gebe ich selbst zu.\nUm von hier aus zu dem einzigen Punkte \u00fcberzugehen, \u00fcber den wir uns in unseren bisherigen Diskussionen noch nicht ganz verst\u00e4ndigt haben, betreffs negativer Werte im physischen und psychischen Gebiete, so sagen Sie: \u201eEs steht durchaus nicht fest, dafs es unterhalb der Empfindung Null nichts Reales, durch negative Werte desselben Ausdr\u00fcckbares gebe. Man kann sich die M\u00f6glichkeit denken, dafs die Ganglienzelle (ihr Protoplasma) bei der Empfindung sich zusam-","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindungswerte.\n109\nmenzieht und unter der Empfindung Null siet ausdehnt .... Ich habe damit nur die M\u00f6glichkeit zeigen wollen, dafs negativen Empfindungswerten etwas Reales entsprechen k\u00f6nne.\u201c\nNun behaupte ich ja aber selbst, dafs negativen Werten im Psychischen etwas Reales im Physischen entspreche; denn der ganze Schwellenbegriff fufst darauf. Und sollte das physisch Reale, was noch unter der Schwelle der Empfindung in funktioneller Beziehung dazu fortbesteht, zugleich als negativ und real zu fassen sein, so w\u00fcrde die dazu funktionell geh\u00f6rige Empfindung nichtsdestoweniger als nicht real zu fassen sein, weil sie faktisch eben nicht da ist. Nicht darum handelt es sich doch, ob unter der Schwelle der Empfindung von dem Physischen, wozu es in allgemeiner Punktionsbeziehung steht, \u00fcberhaupt noch etwas, sei es mit positivem oder negativem Vorzeichen real da ist, sondern ob von der Empfindung selbst noch etwas real da ist, wenn die funktionelle Beziehung auf negative Werte derselben f\u00fchrt. Vielleicht aber verstehe ich Ihren Einwurf noch nicht ganz und treffe ihn daher auch mit meiner Entgegnung nicht ganz.\nWas das aus den photographischen Wirkungen des Lichtes hergenommene Beispiel anlangt, so kann daraus meines Erachtens in keinem Palle ein Einwurf gegen die Deutung der negativen Empfindungswerte als imagin\u00e4rer mit der Nebenbestimmung gr\u00f6fserer oder geringerer Entfernung von der Wirklichkeit, hervorgehen ; denn diese Deutung beruht auf keinen Analogien, sondern auf direkter Betrachtung der Sachverh\u00e4ltnisse im psychophysischen Gebiete, und sollte eine Analogie nicht dazu stimmen, so w\u00fcrde dies nur ein Beweis sein, dafs der rechte Gesichtspunkt der Analogie nicht getroffen ist. Das Psychische tritt in der Psychophysik als Funktion eines anders gearteten Wertes des Physischen auf; nun kann nur die Frage sein, ob sich auch innerhalb des physischen Gebietes f\u00fcr sich etwas Analoges von einem derartigen funktionellen Verh\u00e4ltnisse finden lasse, dafs Werte einer gewissen Art, welche in funktioneller Abh\u00e4ngigkeit von Werten andrer Art stehen, als imagin\u00e4r mit jener Nebenbestimmung gefafst werden m\u00fcssen, wenn sie verm\u00f6ge der funktionellen Beziehung einen negativen Wert annehmen. Ich glaube, dafs es der Pall mit negativen Werten beharrlichen Abstandes von einem gegebenen Punkte als Punktion ge\u00e4ufserter Kraft sei, wenn die Frage auf Nichter-","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nG. Th. Fechner.\nreichung oder \u00dcberschreitung dieses Punktes gestellt wird, und die Abst\u00e4nde in diesem Sinne der Aufgabe gem\u00e4fs gedeutet werden \u2014 negativer Abstand = imagin\u00e4res \u00dcberschreiten des Punktes \u2014 wie ich am Beispiele der Beibung zu erl\u00e4utern gesucht. Aber f\u00fcr die psychophysische Deutung der negativen Empfindungswerte ist es ganz gleichgiltig, ob diese Analogie als richtige zutrifft oder als nicht richtige nicht zutrifft. Und m\u00f6chten Sie auch das Beispiel von dem gl\u00fchenden Draht, der Drehung des Wasserrades und der photographischen Platte noch so sehr variieren, so w\u00fcrde immer dieselbe allgemeine Antwort darauf zu geben sein, dafs das die psychophysische Deutung der negativen Empfindungswerte nichts angeht. F\u00fchrt die Mafsformel auf negative Empfindungswerte, so k\u00f6nnen sie nicht anders, denn als imagin\u00e4r mit jener Nebenbestimmung gefafst werden; der Zusammenhang von Bechnung und That-sachen l\u00e4fst es nicht anders zu. Es sei denn, dafs man die Giltigkeit einer Formel selbst bestritte, welche auf negative Empfindungswerte f\u00fchrt, wie es ja von Delboeuf geschieht; dann h\u00f6rt mit den negativen Empfindungswerten nat\u00fcrlich das Bed\u00fcrfnis einer Deutung von solchen auf; aber unsre Diskussion ist auf Grund der Voraussetzung von solchen gef\u00fchrt, und f\u00fcr Ihre myophysische Mafsformel w\u00fcrde doch ein entsprechendes Bed\u00fcrfnis noch fortbestehen. Dafs ich \u00fcbrigens den Delboeuf-schen Gr\u00fcnden und seiner Formel mich nichts weniger als f\u00fcge, habe ich fr\u00fcher bemerkt.\nSollte nun aber r\u00fccksichtslos auf eine Bedeutung f\u00fcr die Psychophysik, die ich nicht zugestehen kann, das Beispiel der photographischen Platte in Beziehung auf die Frage f\u00fcr das physische Gebiet diskutiert werden, so m\u00fcfste man es meines Erachtens ebenso wie das Beispiel der Beibung erst auf bestimmte Vorstellungen bringen, wonach es mir auch unter denselben Gesichtspunkt zu treten scheint. Sie sagen: \u201eBei einer gewissen Gr\u00f6fse der W\u00e4rmeschwingung beginnt die chemische Zersetzung. Nun kann man doch nicht wohl die Abwesenheit der chemischen Zersetzung unterhalb jenes Punktes eine negative chemische Zersetzung nennen.\u201c Aber was ist unter chemischer Zersetzung den W\u00e4rmeschwingungen gegen\u00fcber zu verstehen? Ich denke, eine bleibende Lagen\u00e4nderung der Teilchen gegeneinander, oder Schwingung um neue Lagen gegeneinander. Nun hat es ohne solche Kl\u00e4rung der Vorstellung","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindungswerte.\n111\nfreilich keinen klaren Sinn, von einer negativen chemischen Zersetzung zu sprechen, hingegen wird es m. E. weder unklar, noch \u00fcntriftig sein, zu sagen: so lange die W\u00e4rmeschwingungen nicht eine gewisse Grenze \u00fcberschreiten, bleiben die Gleichgewichtslagen der Teilchen, um die sie schwingen, dieselben; wird eine gewisse Grenze \u00fcberschritten, so \u00e4ndern sich die Gleichgewichtslagen. Der Abstand, in welchem die Schwingungen hinter dieser Grenze Zur\u00fcckbleiben, wird bez\u00fcglich derselben als negativ zu fassen und zugleich als Mafs der Entfernung vom Eintritt einer chemischen Zersetzung zu betrachten sein, diese selbst aber als imagin\u00e4re bezeichnet werden k\u00f6nnen.\nInzwischen, ich gebe Ihnen vollkommen recht, wenn Sie sagen, dafs dergleichen \u201esehr subtil\u201c ist, und man erst genau nachdenken mufs, ehe man dergleichen acceptiert, d. h. in physikalische Betrachtungen einf\u00fchrt; und wenn Sie sagen, dafs Sie das noch nicht gethan haben, so sage ich meinerseits dasselbe. Ob mit dergleichen etwas anzufangen ist, kann sich ja erst in der mathematischen Durchf\u00fchrung zeigen, die im physischen Gebiete zu versuchen ich nicht f\u00fcr meine Sache halte, daher ich auch vom Anf\u00e4nge her in das, was ich in dieser Beziehung vorgebracht, um f\u00fcr eine Schwierigkeit, zu der Ihre Formel f\u00fchrt, eine m\u00f6gliche Abhilfe zu finden, f\u00fcr unmafsgeblich erkl\u00e4rt habe. Lassen Sie also, sei es, dafs Sie hier keine Schwierigkeit anerkennen, oder ihr auf zufriedenstellendere Weise zu begegnen wissen, meinen Versuch in dieser Hinsicht auf sich beruhen, was ich in der Ordnung finde; nur damit werde ich mich nicht einverstehen k\u00f6nnen, dafs Sie diese Schwierigkeit auf die Psychophysik \u00fcbertragen, wo sie nach meiner Fassung und Erl\u00e4uterung der negativen Empfindungswerte, so weit ich es \u00fcbersehen kann, nicht besteht.\nLeipzig, d. 25. Mai 74.\nUm noch eines Restes unsres Streites zu gedenken, so sagen Sie, dafs die Annahme negativer Empfindungen in meinem Sinne (in welchem ich aber vielmehr von negativen Empfin-dungsgr\u00f6fsen sprechen w\u00fcrde, indem ich mich damit nur auf die quantitative Seite der Empfindung beziehe), wenn auch auf bisherigem Wege nicht widerlegt, doch nicht not-","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nG. Th. Rechner.\nwendig sei. Ich behaupte allerdings, dafs, wenn die Mafsformel richtig ist, die Auslegung der negativen Empfindungswerte, wozu sie f\u00fchrt, notwendig ist; aber die Eichtigbeit derselben wird ja von Delboeuf und Plateau bestritten; hiergegen werde ich mich noch zu wehren haben und es allerdings thun,1 da ich nicht in Verlegenheit bin, wie ich es zu thun habe; doch bin ich immer noch nicht dazu gekommen.\nLeipzig, d. 20. Juni 74.\nIn unsrer Diskussion \u00fcber die negativen Empfindungswerte scheint es, dafs wir nicht zum Ziele kommen, indes haben wir wenigstens das Interesse einer wissenschaftlichen Unterhaltung dar\u00fcber. Ich kann nicht zugeben, dafs meine Deutung der negativen Empfindungswerte, die aus der von mir aufgestellten Mafsformel fliefsen, irgendwie an einer mir eigent\u00fcmlichen Auffassung des Bewufstseins h\u00e4ngt, sondern nur an der Thatsache, dafs die Empfindung erst bei einem endlichen Eeizwerte merklich zu werden beginnt, dafs die Formel diese Thatsache in sich aufnimmt, hiermit aber zugleich zu negativen Empfindungswerten f\u00fchrt, die dann meines Erachtens gar nicht anders gedeutet werden k\u00f6nnen, als es von mir geschieht. Hierbei kommt die Frage nach dem allgemeinen Begriff des Bewufstseins gar nicht in E\u00fccksicht, und wenn ich die negativen Empfindungswerte auch \u201eunbewufste\u201c nenne, so ist dies ein kurzer Ausdruck, den ich durchaus nicht durch den dabei ganz frei-gelassenen allgemeinen Begriff des Bewufstseins, sondern durch rein faktische Verh\u00e4ltnisse erl\u00e4utere. Nat\u00fcrlich aber, wenn Formeln aufgestellt werden, in welche negative Empfindungswerte nicht eingehen, wie dies mit der DELBOEUFschen und PLATEA\u00fcschen der Fall ist, fallt auch das Bed\u00fcrfnis einer Deutung derselben weg; und ich habe ja schon fr\u00fcher erkl\u00e4rt, dafs ich die Notwendigkeit meiner Deutung nur f\u00fcr den Fall der Eichtigkeit meiner Formel, insoweit \u00fcberhaupt negative Empfindungswerte als Funktion unzureichender Eeizwerte darin eingehen, in Anspruch nehme. Die Frage nach der Eichtigkeit meiner Formel ist aber doch eine ganz andere, als die\n1 In Sachen der Psychophysik, 1877 und Revision der Hauptpunkte der Psychophysik, Leipzig, 1882. [P.]","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindungswerte.\n118\nFrage nach der Richtigkeit jener Deutung im Falle der Richtigkeit der Formel. Hierin \u00e4ndert sich auch durch die Ansicht nichts, welche der ungenannte Verfasser einer Schrift,1 auf die Sie sich beziehen, \u00fcber die Bedeutung der Schwelle ausgesprochen hat. Diese Ansicht, sowie der Name des Autors sind mir nicht unbekannt geblieben. Nun aber erkennt der Autor damit entweder die Anwendbarkeit der Mafsformel auf die in-nern Bewegungsverh\u00e4ltnisse des Gehirns an und macht nur die negativen Empfindungswerte f\u00fcr das Gesamtbewufstsein, statt von einer Schwelle direkter Erregung der Ganglienzellen von einer Schwelle der Leitung zwischen denselben abh\u00e4ngig, d. h. von einem Zur\u00fcckbleiben hinter der Schwelle, dann bleibt auch meine Deutung jener Werte im Rechte und notwendig, oder er erkennt keinen Schwellenwert der Leitung, hiermit auch keine negativen Empfindungswerte an, findet hiermit \u00fcberhaupt meine Mafsformel innerlich nicht zutreffend, dann f\u00e4llt f\u00fcr ihn nat\u00fcrlich mit den negativen Empfindungswerten auch meine Deutung derselben weg. Um \u00fcbrigens noch mit ein paar Worten auf die eigent\u00fcmliche Ansicht des Verfassers einzugehen, so will derselbe, wie Sie wissen, nicht blofs den Ganglienzellen, sondern jedem Atom Empfindung vindizieren, statuiert aber keine Schwelle f\u00fcr die Atome, also die kleinste Bewegung mufs Empfindung geben, sie mufs sich aber auch den benachbarten Atomen irgendwie mitteilen, oder ich m\u00f6chte wissen, worin der Verfasser den Widerstand gegen die Mitteilung von W\u00e4rme-und Schallschwingungen sucht, wodurch die Leitung g\u00e4nzlich unterbrochen werden soll \u2014 also mufs eine Leitung stets durch das ganze Gehirn stattfinden, womit die Ansicht des Verfassers vom isolierten Bewufstsein der Ganglienzellen durch Unterbrechung der Leitung dazwischen sich von selbst auf hebt, es w\u00e4re denn, dafs er wirklich einen Schwellenwert der die Leitung vermittelnden Schwingungen statuierte, wonach er konsequenterweise einen solchen \u00fcberhaupt f\u00fcr die Schwingungen statuieren m\u00fcfste, hiermit aber seinen eigenen Voraussetzungen widerspr\u00e4che. Das ganze Gehirn ist doch\n1 Das Unbewu\u00dfte vom Standpunkt der Physiologie und Descendenztheorie. Eine kritische Beleuchtung des naturphilosophischen Teils der Philosophie des Unbewufsten aus naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Berlin, 1872. S. 59. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie.\t8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nG. Th. Fechner.\nwarm und sonst in lebendiger Erregung; meint er, dafs sich irgendwo ein absolut kaltes Atom zwischen die Gehirnzellen einschiebt ?\nMit freundschaftlicher Hochachtung\nder Ihrige\nFechner.\nLeipzig, den 26. Juni 1874.\nHierbei nehme ich zugleich Gelegenheit, unsere Diskussion \u00fcber das alte Thema etwas fortzuspinnen.\nIn meinem vorigen Briefe habe ich gesagt, dafs ich bei meiner Deutung der negativen Empfindungswerte den Begriff des Bewufstseins ganz frei lasse, und, wenn ich diese Werte unbewufste nenne, dies der K\u00fcrze wegen thue. In der That verh\u00e4lt es sich so mit der fundamentalen Deutung dieser Werte ; doch ist der Ausdruck unbewufst allerdings nicht blofs durch K\u00fcrze motiviert, vielmehr finde ich mich nach jener Deutung, welche vom Allgemeinbegriff des Bewufstseins ganz abstrahiert,, im st\u00e4nde, das ganze unbewufste Seelenleben, was man so nennt, in psychophysischen Th\u00e4tigkeiten unter der Schwelle ablaufend zu denken und dadurch auf einen klaren Gesichtspunkt zur\u00fcckzuf\u00fchren, den ich bisher vermifst habe; es ist damit etwas aufweisbar, was nicht auf die psychische, sondern physische Seite der Erscheinung, als unvollst\u00e4ndige Bedingung des Eintrittes der psychischen, f\u00e4llt. Insofern hat allerdings, der Name \u201eunbewufste\u201c Empfindung Beziehung zu den herrschenden Ansichten \u00fcber Bewufstsein; meine Deutung st\u00fctzt sich aber nicht darauf, sondern umgekehrt kann sich eine Ansicht \u00fcber das Verh\u00e4ltnis von Bewufstsein und Unbewufstsein auf meine Deutung der negativen Empfindungswerte st\u00fctzen.\nSie sagen : sUm die \u2014 y wirklich zu deuten, mufs man,, meine ich, irgend etwas angeben, was dem Entferntsein des negativen Wertes vom Nullpunkt entspricht. Andernfalls verzichtet man auf eine Repr\u00e4sentation derselben, und die negativen j'-Werte sind nichts als Zahlen, nichts als. die Logarithmen von anderen Zahlen mit negativen Vorzeichen.\u201c Aber versuchen Sie doch, mit den Logarithmen der Logarithmentafeln das unbewufste Seelenleben zu repr\u00e4sentieren, ohne.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindungswerte.\n115\nihnen die Bedeutung unterzulegen, die ich im Zusammenh\u00e4nge nach positiver und negativer Seite in der Mafsformel daf\u00fcr in Anspruch nehme ; und wollen Sie nur nicht vergessen, dafs die Mafsformel \u00fcberhaupt keine reinpsychologische Formel ist, sondern eine Formel, die angeben soll, welches Verh\u00e4ltnis die Empfindung in Abh\u00e4ngigkeit vom Beize hat. Dieses Abh\u00e4ngig-keitsverh\u00e4ltsnis durch die Beizskala hindurch will sie decken, und da die Empfindung bei positiven Beizwerten unter der Schwelle noch nicht da ist, aber sich der Entstehung um so mehr n\u00e4hert, je mehr der Beiz dem Schwellenwerte zuw\u00e4chst, so wird dies durch immer mehr abnehmende negative Empfindungswerte dargestellt. Gr\u00f6fsere negative Empfindungswerte bedeuten insofern eine gr\u00f6fsere Entfernung vom Eintritt wirklicher Empfindung, als die Beizwerte, von denen sie abh\u00e4ngen, von dem Grade, wo Empfindung beginnt, entfernter sind; sie weisen also auf diese gr\u00f6fsere Entfernung hin, lassen die Entstehungsbedingungen der Empfindung unter der Schwelle in Zusammenhang mit denen oberhalb der Schwelle nach einer gemeinsamen Funktion verfolgen, wonach sie eben unter der Schwelle ebensowenig als die positiven Empfindungswerte oberhalb der Schwelle den Beizwerten einfach proportional gesetzt werden d\u00fcrfen, was den mathematischen Konnex aufheben w\u00fcrde. Bein psychologisch genommen, sage ich selbst, unterscheidet sich eine negative Empfindung nicht von einer Null-Empfindung, wohl aber psychophysisch, und zwar auf eine ganz angebbare Weise nach ihrem Abh\u00e4ngigkeitsver-h\u00e4ltnisse vom Beize oder der psychophysischen Bewegung, indes Sie das Angebbare im psychologischen Gebiete f\u00fcr sich aufgezeigt haben wollen, wof\u00fcr die Mafsformel nicht gemacht ist. Das \u00e4ndert sich nicht, wenn Sie f\u00fcr einen Schwellenwert der Beizung einen Schwellenwert der Leitung in die Formel substituieren, und irgend einen physischen Schwellenwert m\u00fcssen Sie doch darin substituieren, um sie nicht fundamental zu verwerfen. Bei jeder Annahme einer Schwelle aber erhalten Sie notwendig negative Empfindungswerte daraus, und ich frage nun, welche von der meinigen abweichende Deutung Sie daf\u00fcr noch m\u00f6glich halten, denn Ihre Einw\u00fcrfe haben mich im Grunde doch im Unklaren dar\u00fcber gelassen. Entweder m\u00fcssen es wirkliche oder nicht wirkliche Empfindungen oder ein\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nG. Th. Fechner.\nZwischenwert dazwischen sein ; k\u00f6nnen Sie aber anders als ich in dieser Hinsicht w\u00e4hlen? Zu dem, was Sie selbst von der M\u00f6glichkeit einer verschiedenen Deutung der negativen Empfindungswerte angef\u00fchrt haben, kann ich nur die M\u00f6glichkeit, sich die physische Begr\u00fcndungsweise der Schwelle und p\u00f6fhin der davon abh\u00e4ngigen negativen Empfindungswerte verschieden zu denken, erkennen.\nSie nehmen bei Gelegenheit dieser Besprechung mindestens bedingterweise die HARTMANNsche Ansicht von der Schwelle des Totalbewufstseins als bez\u00fcglich auf die Leitung zwischen den Ganglienzellen in Schutz. Und ich selbst kann im Prinzip nichts gegen die M\u00f6glichkeit einer solchen Auffassung einwenden, da ich ja selbst in der inneren Psychophysik die Diskontinuit\u00e4t des Bewufstseins zwischen verschiedenen psychophysischen Systemen und selbst Teilen eines solchen davon abh\u00e4ngig mache, dafs die psychophysische Th\u00e4tigkeit zwischen ihnen unter die Schwelle sinkt, was recht wohl als ein Sinken der Leitung zwischen ihnen unter die Schwelle gefafst werden kann. Ob man eine solche Bewufstseinsdiskontinuit\u00e4t selbst zwischen den einzelnen Ganglienkugeln z. B. im Schlafe statuieren will, ist Glaubenssache, und fragt sich, was man mit dieser Hypothese erreichen will und erreichen kann ;. ich lasse das hier dahingestellt, werde es aber nicht zu meiner Hypothese machen. Hur dagegen mufs ich mich prinzipiell erkl\u00e4ren, dafs Hartmann die Schwelle fundamental auf Leitung bezieht, ohne f\u00fcr die psychophysisch th\u00e4tigen Grundelemente, wozwischen die Leitung stattfindet, eine Schwelle anzuerkennen. Wenn die kleinste Schwingung eines Atoms Empfindung mitf\u00fchrt, so weifs ich nicht, worauf die Unterbrechung der Kontinuit\u00e4t der Empfindung im Gehirn zu irgend einer Zeit beruhen soll, da, wie ich sagte, das ganze Gehirn mindestens warm ist. Lassen Sie Fasern zwischen den Ganglienzellen reifsen, so schiebt sich Fl\u00fcssigkeit oder sonst etwas ein, was auch warm ist. Hartmann spricht von einem Widerstande der Leitung, der \u00fcberwunden werden mufs, soll Kontinuit\u00e4t des Bewufstseins bestehen; aber es bleibt nicht blofs ganz unklar, was er sich unter diesem Widerstande denkt, sondern ich halte einen solchen Widerstand unm\u00f6glich, wenn jede kleinste Schwingung Empfindung giebt; nichts unterbricht dann die Mitteilung davon von einem zum n\u00e4chsten Atom. Mit dem Namen Wider-","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindungswerte.\n117\nstand ist es doch nicht abgemacht, man mufs sich etwas darunter denken, was anderm, das man gedacht hat, nicht widerspricht. Abgesehen davon teile ich die Fundamentalansicht H\u00e4rtmanns, die \u00fcbrigens schon vor ihm von Z\u00f6llner in seinem Kometenbuche ausgesprochen ist, dafs jedes Atom schon f\u00fcr sich Empfindung hat, nicht, sondern halte Bewufst-sein \u00fcberhaupt f\u00fcr eine innere Erscheinung der Wechselwirkung der Materie; dazu geh\u00f6ren aber mindestens zwei Atome. Der Grund, dafs Zusammensetzungen der Atome kein Bewufstsein geben k\u00f6nnten, wenn nicht schon die einzelnen solches h\u00e4tten, zieht nicht; ebensogut k\u00f6nnte man sagen: wenn nicht schon in den einzelnen Punkten des Kreises, Vierecks ein Kreis, ein Viereck steckte, k\u00f6nnte auch aus der Zusammenordnung derselben keines entstehen. Verbindung, Wechselwirkung ist eben etwas Neues, woraus etwas Neues entstehen kann, das auch seiner M\u00f6glichkeit nach nicht in den einzelnen Elementen als solches enthalten ist. Hier\u00fcber aber mag sich streiten lassen.\nLeipzig, d. 20. Juli 74.\nIch glaube doch, es wird gut sein, wenn wir unsere Diskussion \u00fcber die negativen Empfindungswerte endlich abbrechen; Sie sehen selbst, sie hat kein Ende. Ich finde auf alles, was Sie in Ihrem letzten Briefe gegen meine Auffassung dieser Werte bemerken, etwas zu erwiedern, und Sie werden auf alles, was ich hier gegenbemerke, wieder etwas zu erwiedern finden; ich zweifele nicht daran, aber ich lasse Ihnen nun endlich, falls Sie es anders ergreifen wollen, das letzte Wort.\nSie sprechen von einer Sonderung zwischen negativen und unbewufsten Empfindungswerten, die ich im Widerspruche mit dem 16. Kap. meiner Elemente mache; doch w\u00fcfste ich nicht, worin diese Sonderung best\u00e4nde. Statt beides zu sondern, betrachte ich dasselbe blofs aus zweierlei Gesichtspunkten, die sich in der That darin verkn\u00fcpfen.\nSie kommen darauf zur\u00fcck, dafs \u201everschiedene Empfindungsst\u00e4rken, d. h. verschiedene Empfindungen, nicht nur nicht ohne Zuziehung des Bewufstseinsbegriffes gedacht werden k\u00f6nnen,","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nG. Th. Fechner.\nsondern selbst eine fundamentale Bewufstseinserscheinung sind ;1 solle also die Mafsformel, und sollen speciell die \u2014y, die aus ihr fliefsen (psychologisch) gedacht werden, so m\u00fcsse man zuvor eine bestimmte Auffassung des Bewufstseins haben\u201c; und ich komme meinerseits darauf zur\u00fcck : dafs man von Empfindungen sprechen, die Mafsformel in Bezug darauf deuten kann, ohne schon einen allgemeinen Bewufstseinsbegriff dabei vorauszusetzen, dafs man diesen zun\u00e4chst freilassen kann, wohl aber nachher den Empfindungsbegriff einem allgemeinen Bewufstseinsbegriff unterordnen kann, der sich \u00fcbrigens weiter und enger fassen l\u00e4fst, ohne dafs das in der Sache etwas \u00e4ndert.\nSie wiederholen, dafs meine Auffassung der negativen Em-pfindungswerte nur die Bedeutung von Zahlen daf\u00fcr \u00fcbrig lasse. Meinerseits kann ich nur wiederholen, dafs sie im Zusammenh\u00e4nge der ganzen Auffassung der Mafsformel eine reale Bedeutung f\u00fcr die Entstehungsverh\u00e4ltnisse der Empfindung haben.\nSie postulieren als Schlufs einer eingehenderen Betrachtung \u201ef\u00fcr jeden Heizwert unterhalb der Schwelle (ebenso wie \u00fcber ihr) einen bestimmten durch die Mafsformel gegebenen psychischen Zustand\u201c als Repr\u00e4sentanten der zugeh\u00f6rigen negativen Empfindung und nehmen daf\u00fcr die Privatempfindung der Ganglienzellen in Anspruch, die sich wegen zu starker Leitungswiderst\u00e4nde zwischen den Zellen nicht zu einem Kollektivbewufstsein, unserm Ich - Bewufstsein, zusammenzu-schliefsen verm\u00f6ge, sondern ihrer St\u00e4rke nach in einem gewissen Abstande von der St\u00e4rke, wo sie dies verm\u00f6ge, also von der Schwelle des Ich-Bewufstseins bleibe, wodurch die G-r\u00f6lse der negativen Empfindung als gemessen angesehen werden k\u00f6nne, indes die Privatempfindung ihr noch einen realen Inhalt verleihe. Verstehe ich Sie recht, so ist dies Ihre Meinung. Nun aber bezieht sich doch die Mafsformel auf Empfindungen unsers Ich, nicht auf die hypothetischen Privatempfindungen der Ganglienzellen ; also sind auch die \u2014y Bezug auf jene zu deuten, nicht auf diese; und m\u00f6gen diese da sein oder nicht, die Deutung in Bezug auf jene bleibt ganz\n1 Vgl. W. Preyer: Elemente der reinen Empfindungslehre. Jena, 1877. \u00a7 22 (\u201eDie negative Intensit\u00e4t und Qualit\u00e4t und der Nullpunkt im Empfindungsgebiet\u201c.)","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber negative Empfindungswerte.\n119\ndieselbe. Nach Ihnen sollen die \u2014 y zweierlei zugleich repr\u00e4sentieren: erstens die positive Privatempfindung der Ganglienzellen; das scheint mir an sich nicht zu gehen und Ihnen im Grunde doch auch nicht, denn wie kann ein als positiv zu denkender Wert mit einem negativen \"Vorzeichen bezeichnet werden? also sollen sie anderseits nach Ihnen den Abstand dieses positiven Wertes von einem andern positiven Werte, dem des Ich-Bewufstseins bedeuten; aber da das ein leerer Zwischenraum w\u00e4re, und die \u2014y doch Empfindung bedeuten sollen, um nicht blofs eine geometrische oder Zahlenbedeutung zu haben, so suchen Sie auch den ersten Sinn der \u2014 y festzuhalten. Meinerseits weifs ich das schlechthin nicht zu vereinigen, oder Ihrer Vorstellungsweise keine Klarheit abzugewinnen, die ich nur in einem Entweder-Oder finden k\u00f6nnte, wo Sie ein Sowohl-als-auch haben.\nGegen die HARTMANNsche Hypothese von Privatempfindungen der Atome unter den von H. gemachten Voraussetzungen hatte ich eingewandt: da das ganze Gehirn warm sei, alle Atome also darin schwingen und schwingende Nachbaratome haben, sich also auch wechselseitig ihre Schwingungen mitteilen m\u00fcssen, so wisse man nicht, wo ein Leitungswiderstand zwischen ihnen \u00fcberhaupt herkommen soll, und so m\u00fcfsten alle Empfindungen stets zu einem Gesamtbewufstsein im Gehirn verfliefsen. Denn wenn nach Hartmanns Voraussetzung schon die kleinste Schwingung eines Atoms Empfindung giebt, mufs auch die kleinste Mitteilung davon als Leitung gelten. Ich mufs mich aber wohl nicht klar genug in dieser Hinsicht ausgedr\u00fcckt haben, da Sie meinem Einwande entgegnen: das Gehirn sei an verschiedenen Stellen verschieden warm, was ja die Mitteilung der Schwingung nicht hindern kann: eher k\u00f6nnte man in gewissem Sinne die Mitteilung zwischen gleich warmen Atomen leugnen, absolut gleich warme Atome wird es aber nicht geben. Den Hauptvorwurf, den ich Hartmann hierbei mache, ist, dafs er eine fundamentale Ansicht mit einem entweder fundamental unklaren oder mit seinen Grundvoraussetzungen widersprechenden Begriffe, was sein Leitungswiderstand ist, aufstellen will. Nun gehen Sie nicht mit Hartmann bis auf Privatempfindungen der Atome, sondern nur der Ganglienzellen, zur\u00fcck; nach Motiven, denen ich nichts entgegenzusetzen habe, und ich habe selbst zugestanden, dafs eine solche","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nG. Th. Fechner.\nHypothese m\u00f6glich ist; Sie d\u00fcrften aber beim Versuch einer Ausf\u00fchrung dieser Hypothese doch auch nicht mit dem blofsen Worte Leitungswider stand zwischen den Zellen operieren k\u00f6nnen, sondern sich veranlafst finden, eine bestimmte Vorstellung dar\u00fcber darzubieten.\nSie sagen bez\u00fcglich einer anderen in unsere Diskussion eingetretenen Frage: \u201eBewege ich einen Punkt in einer Kreisbahn, so steckt nicht der Kreis in ihm, wohl aber die M\u00f6glichkeit, einen Kreis ebenso wie jede andre Figur zu bilden, durch seine Bewegung oder durch Zusammenordnung der Orte im Baum, die er durchl\u00e4uft.\u201c Das ist sehr wahr, aber dazu bedarf es doch eben noch anderer Punkte im Baume, die er durchlaufen kann ; nur durch die Zusammenordnung einer Vielheit von Punkten im Baume, nur durch die Beziehung derselben zu einander ist die M\u00f6glichkeit des Kreises gegeben; und so nach meiner Ansicht, nennen Sie es Hypothese, das Psychische nur durch eine Kraftbeziehung zwischen dem Physischen, deren das einfache Atom unf\u00e4hig ist. Kann sich doch, nicht einmal eins f\u00fcr sich allein bewegen. Doch hier\u00fcber wollen wir ja nicht erst einen Streit anfangen, wir w\u00fcrden vollends nicht damit fertig werden.\nBerichtigung zu den in Heft I abgedruckten Briefen:\nS. 42 Z. 6 v. o. lies dar\u00fcber statt der \u00fcber.\nS. 42 Z. 7 v. o. \u201e Summe ,, Summen,","page":120}],"identifier":"lit14176","issued":"1890","language":"de","pages":"108-120","startpages":"108","title":"\u00dcber negative Empfindungswerte: Briefliche Mitteilungen an W. Preyer, Schlu\u00dffassung","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:07:31.928186+00:00"}

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