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{"created":"2022-01-31T14:04:19.575066+00:00","id":"lit14179","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Aubert, Hermann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 52-59","fulltext":[{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den Sinneswahrnehmungen und Bewegungen.\nVon\nHermann Aubert.\nDem Bestreben, die physiologischen und psychologischen Komponenten unserer Sinnesth\u00e4tigkeit voneinander ahzugrenzen, wird sich auch die Untersuchung komplexer Bewegungsprozesse anzuschliefsen haben, welche sowohl mit den Funktionen der Sinnesorgane, als mit Seelenth\u00e4tigkeiten eng verbunden sind. Zu diesen Prozessen geh\u00f6rt die Sprache, wenigstens derjenige Teil, welcher k\u00fcrzlich von Ballet 1 nach dem Vorg\u00e4nge von Pa\u00fclhan 2 als \u201einnerliche Sprache\u201c bezeichnet worden ist, also die Beziehung der Laut- und Schriftsprache zu den Sinneswahrnehmungen, zu dem Vorstellungsverm\u00f6gen, dem Ged\u00e4chtnis f\u00fcr Sinneseindr\u00fccke und f\u00fcr geh\u00f6rte oder gesehene Worte, sowie zu den zum Sprechen oder Schreiben der Worte erforderlichen Bewegungsvorstellungen.\nEine darauf zielende Analyse der Sprachkomponenten ist schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von dem englischen Philosophen David Hartley1 2 3 unternommen worden, welcher unterschieden hat: 1. Die Eindr\u00fccke, welche auf das Ohr gemacht werden; 2. die Wirkungen der Sprach Werkzeuge ; 3. Eindr\u00fccke, welche durch die Charaktere (Schriftz\u00fcge) auf\n1\tGilbert Ballet : Die innerliche Sprache und die verschiedenen Formen der Aphasie. Deutsch von Paul Bongers. 1890.\n2\tPa\u00fclhan: Le langage int\u00e9rieur in Revue philos. 1886, Janv. pag. 34.\n8 David Hartley: Observation on man, his frame, his duty and his expectations. \u00dcbersetzung von 1772 Bd. II, pag. 2\u201440. (Hartley starb 1757. Eine neue englische Ausgabe seines Werkes ist in London 1843 erschienen.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den Sinneswahrnelmuugen. 53\ndas Auge gemacht werden; 4. Wirkungen der schreibenden Hand. Hartley hat \u00fcber die Associationen der W\u00f6rter mit den Gegenst\u00e4nden und Ideen beim Erlernen der Muttersprache und fremder Sprachen eine grofse Anzahl treffender Auseinandersetzungen gemacht. In neuerer Zeit ist die Untersuchung der Momente, welche die Vorstellungen unserer Sinnes- und Denkth\u00e4tigkeit mit den Bewegungsvorstellungen der Laut-und Schriftsprache vermitteln, durch die Beobachtungen \u00fcber Aphasie und Agraphie wieder angeregt worden, und namentlich die Pathologen haben diese Untersuchungen, deren Bedeutung f\u00fcr die Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane besonders Stricker1 hervorgehoben hat, unternommen und Avesentlich gef\u00f6rdert.\nErst durch die Beobachtungen der Pathologen konnte sichergestellt, werden, dafs Aphasie und Agraphie ohne St\u00f6rungen des Intellektes oder der Seelenth\u00e4tigkeit auftreten, dafs sie ohne L\u00e4hmungen der Sinnesnerven, ohne L\u00e4hmung der beim Sprechen und Schreiben in Betracht kommenden Muskeln oder motorischen Nerven stattfinden, dafs Aphasie vorhanden sein kann, ohne dafs die F\u00e4higkeit, Empfindungen und Gedanken durch die Schrift auszudr\u00fccken, irgend beeintr\u00e4chtigt ist. Dahingeh\u00f6rige Beobachtungen findet man bei Kussmaul2, Bernard3 4 u. a., meist als \u201eAphemie\u201c bezeichnet. \u2014 In entsprechender Weise kann eine Unf\u00e4higkeit, zu schreiben, eintreten, ein Zustand, welchen Ballet (1. c. pag. 137) treffend \u201eAphasie der Hand\u201c nennt, welcher f\u00fcr gew\u00f6hnlich \u201eAgraphie\u201c genannt wird, \u2014 H\u00e4ufig und genau beobachtet sind F\u00e4lle von \u201eAlexie\u201c, bei welchen geschrieben, gesprochen, alle Obliegenheiten des gew\u00f6hnlichen Lebens prompt besorgt werden k\u00f6nnen, nur die F\u00e4higkeit, Geschriebenes oder Gedrucktes zu lesen, eingeb\u00fcfst ist. Die Alexie wird auch als c\u00e9cit\u00e9 verbale, als Wortblindheit (Kussmaul 1. c. pag. 174, Bernard 1. c. pag. 69, Charcot,\n1\tStricker: Studien \u00fcber die Sprachvorstellungen. Wien, 1880. pag. 26\u201450 und 92\u2014100.\n2\tKussmaul: Die St\u00f6rungen der Sprache, in v. Ziemssens Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie. Bd. XII, Anhang pag. 157.\na D\u00e9sir\u00e9 Bernard : De VAphasie. 2. Ausgabe. Paris, 1889. pag. 118 u. f,\n4 Charcot: Neue Vorlesungen \u00fcber die Krankheiten des Nervensystems \u00fcbersetzt von Freud. Leipzig und Wien, 1886. pag. 124.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nHerrn. Aubert.\nLandolt1) bezeichnet. \u2014 Finden wir endlich, dafs ein Mensch Gedrucktes und Geschriebenes abschreiben, Fehler, auf die er in der Abschrift aufmerksam gemacht wird, richtig korrigieren kann, ohne ein Verst\u00e4ndnis davon zu haben, so mufs man wohl mit Trousseau2 sagen: \u201eCe que la psychologie n\u2019a pas os\u00e9 faire, le mal l\u2019a r\u00e9alis\u00e9.\u201c\nFolgen wir, ohne hier n\u00e4her auf die einzelnen Beobachtungen einzugehen, den Schematen, welche zur Klassifizierung der vorkommenden Sprachst\u00f6rungen von Baginsky, 3 Wernicke4, Kussmaul (1. c. pag. 182), Charcot,5 Lichtheim6 entworfen worden sind, so finden wir im wesentlichen \u00fcbereinstimmend, wenn auch im einzelnen sehr verschieden weit ausgef\u00fchrt, immer aufser dem perzipierenden Sinnesorgane und dem Intellektcen-tvnm (Seelencentrum) das Postulat: 1. eines Sprachcentrums, 2. eines Sprechcentrums, 3. eines Schrift- und 4. eines Schreibecentrums, welche teils untereinander, teils mit den Sinnesorganen und dem Intellektcentrum durch Leitungsbahnen verbunden sind.\nDie Worte, aus welcher die Laut- und Schriftsprache gebildet wird, sind konventionelle Zeichen f\u00fcr Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken, Verh\u00e4ltnisse, welche den Dingen v\u00f6llig inkongruent sind. Sie werden von Generation zu Generation \u00fcberliefert und bilden das Mittelglied zwischen der Sinnes- und Geistesth\u00e4tigkeit des einen Individuums zu der eines anderen. \u2014 Wir wollen die Kombination psychischer Th\u00e4tigkeit mit Sinnesth\u00e4tigkeit beiseite lassen und nur eine einfache Sinnesth\u00e4tigkeit, die Empfindung des \u201eBlau\u201c stattfinden lassen. Dieses Wort setzt aufser der Empfindung im Sehnerven eine Geh\u00f6rsempfindung f\u00fcr das gesprochene Wort voraus \u2014 und mit dieser Geh\u00f6rsempfindung verbindet sich auf dem Wege des Reflexes ein Bewegungskomplex, durch\n1\tLandolt: He la c\u00e9cit\u00e9 verbale in Beestbundel Donders-Jubil\u00e9um. Amsterdam, 1888. pag. 418.\n2\tTrousseau: Bulletin Acad. imp. de M\u00e9decine. T. XXX, 1865. pag. 652.\n3\tBaginsky: Berliner klinische Wochenschrift. 1871. No. 36 u. 37.\n4\t\"Wernicke: Her aphasische Symptomenkomplex. Breslau, 1874; und Lehrbuch der Gehirnkrankheiten. Kassel, 1885. Bd. I. pag. 206.\n5\tCharcot : Schema s. bei D. Bernard 1. c. pag. 37 und Ballet 1. c. pag. 17.\n6\tLichtheim: \u00dcber Aphasie. Deutsches Archiv f. klin. Medicin. 1875. pag. 203. (cf. Ballet 1. c. pag. 149.)","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den Sinneswahrnehmungen. 55\nwelchen das Wort gesprochen wird und nun wiederum als geh\u00f6rtes Wort die entsprechende Vorstellung von der Gesichts-empfindung \u201eBlau\u201c erzeugt. Der ganze Vorgang setzt voraus : 1. ein Sehorgan, 2. ein Associationsorgan zwischen Gesichtsund Geh\u00f6rsempfindung, 3. ein Reflexorgan zwischen der Geh\u00f6rsempfindung und dem Bewegungskomplex zum Aussprechen des Wortes, 4. ein Koordinationscentrum f\u00fcr die Sprechbewegungen. Jedem dieser vier Organe mufs eine Ged\u00e4chtnisvorrichtung zugeordnet sein, wie uns die Beobachtungen an Aphasischen lehren \u2014 denn es kann bei ihnen die Zugeh\u00f6rigkeit des Wortes zu der Empfindung vergessen worden sein, oder die Vorstellung f\u00fcr die Anordnung der Bewegungen oder die Zugeh\u00f6rigkeit der Bewegungsvorstellung zu der Geh\u00f6rswahrnehmung ; im letzteren Falle kann das Wort nur unmittelbar, nachdem es vorgesagt worden ist, nachgesprochen werden (Kussmauls Fall 1. c. p. 166).\nWas nun die jenen Centren zuzuschreibenden Ged\u00e4chtnisse betrifft, so gehen wir auf diese Frage nicht ein, sondern schliefsen uns der Auffassung Herings 1 an, welcher \u201edas Ged\u00e4chtnis oder Reproduktionsverm\u00f6gen als ein Grundverm\u00f6gen der organisierten Materie\u201c nachzuweisen sucht \u2014 was in Bezug auf die hier in Betracht kommenden Nervenelemente wohl kaum in Zweifel gezogen werden d\u00fcrfte. Die Ausbildung derselben ist Sache der Erziehung, und wir lassen es unbestimmt, wie weit eine Pr\u00e4disposition durch Vererbung mit der individuellen Entwickelung vergesellschaftet ist.\nWenn wir die genannten Zwischen organe, das Sprach- und Sprech-, das Schrift- und Schreibecentrum, welche die Verbindung zwischen unserer Seele und unseren Muskeln bewirken, kurz als \u201eVerst\u00e4ndigungsorgane\u201c bezeichnen, so werden wir dieselben ihrer physiologischen Dignit\u00e4t nach den Reflexmechanismen gleichzusetzen haben : sie sind selbst\u00e4ndige Centra , insofern sie fortbestehen bei den verschiedenartigen St\u00f6rungen des Verstandescentrums \u2014 aber sie sind beim gesunden Menschen in steter Beziehung mit dem psychischen\n1 E. Hering : Uber das Ged\u00e4chtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie. Feierliche Sitzung der Wiener Akad. vom 30. Mai 1870. pag. 170. \u2014 cfr. Galton: Inquiries into human faculty; mental imagery. London, 1883. pag. 83, und Laycock: A chapter on some organic laws of personal and ancestral memory in Journ. of Mental Science. 1875. Juli.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nHerrn. Aubert.\nCentrum, von welchem ihnen Erregungen zugehen, welche dann Wortvorstellungen oder BewegungsVorstellungen ausl\u00f6sen, und umgekehrt. Diese Wechselbeziehungen des Verstandescentrums und des Verst\u00e4ndigungscentrums k\u00f6nnen bei Aphasischen auch unterbrochen sein \u2014 der Kranke verh\u00e4lt sich dann nach dem treffenden Vergleich Exners 1 \u201ewie ein intelligentes Tier, das die Sprache des Menschen wohl h\u00f6rt, aber nicht versteht\u201c \u2014 oder wie ein sprechender Papagei, welcher Worte ganz deutlich, wie ein Mensch, spricht, aber nicht versteht. Der wortblinde Alexander Sporch (D. Bernard 1. c. pag. 101) schreibt und korrigiert sogar das Geschriebene richtig, ohne es zu verstehen.\nDie Erscheinungen bei Aphasischen regen ferner die Frage an, ob die Innervation unserer Muskeln und die von ihnen auszuf\u00fchrenden Bewegungen einer Kontrolle in Bezug auf die wirkliche Ausf\u00fchrung von seiten unserer Sinnesorgane bed\u00fcrfen. Stricker2 verneint gerade im Hinblick auf die Sprach-funktion diese Frage. Er will nur \u201emotorische Vorstellungen als Wortvorstellungen\u201c gelten lassen und spricht den reinen Wortvorstellungen jede Beimischung von Sinnesvorstellungen ab. Er macht daf\u00fcr geltend, dafs Sinnesvorstellungen beim Denken in Worten, z. B. beim stillen, nicht lauten Lesen ausgeschlossen erscheinen; ebenso bei einem Dialoge, den man \u201eim Geiste\u201c mit jemandem f\u00fchrt. Ich w\u00fcfste auch nicht, durch welche Sinnesorgane eine Kontrolle unserer Bewegungen beim Sprechen ge\u00fcbt werden soll. In dem Falle, welchen D. Bernard (1. c. pag. 75) und Charcot (1. c. pag. 131) mitteilen, scheint auch f\u00fcr die Bewegungen beim Schreiben eine derartige Kontrolle der Sinnesorgane v\u00f6llig ausgeschlossen zu sein: der Alektische oder Wortblinde sagt geradezu: \u201eIch schreibe, als wenn ich die Augen geschlossen h\u00e4tte, ich lese nicht, was ich schreibe.\u201c Er schreibt seinen eigenen Namen; aufgefordert, denselben zu lesen, sagt er : \u201eIch weifs wohl, dafs es mein Name ist, aber lesen kann ich ihn nicht.\u201c Der Auffassung Strickers ganz konform, macht er es indes m\u00f6glich, zu lesen dadurch, dafs er einen Buchstaben des Wortes nach dem an-\n1 Sigm. Exnek: Physiologie der Gro\u00dfhirnrinde in Hermanns Handbuch der Physiologie. II, 2. pag. 344.\n8 Stricker: Studien \u00fcber die Sprachvorstellungen. Wien, 1880. pag. 26\u201450.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den Sinneswahrnehmungen. 57\ndern mit dem Finger nachzieht und gelangt durch diese Bewegungen zu der Vorstellung des Wortes, welches er nun richtig ausspricht. Dieser Herr hat also nur Bewegungsvorstellungen von dem Worte gehabt \u2014 ob wir aber daraus schliefsen d\u00fcrfen, dafs \u00fcberhaupt beim Schreiben eine Kontrolle durch den Gesichtssinn und Tastsinn bedeutungslos ist, mufs ich im Hinblick auf die \u00e4ngstlichen Bewegungen der Kinder beim Schreibenlernen bezweifeln. Die Selbstbeobachtung, wenn ich schreibe, l\u00e4fst es mir freilich unzweifelhaft erscheinen, dafs die motorische oder Bewegungsvorstellung haupts\u00e4chlich mafsgebend ist f\u00fcr die auszuf\u00fchrenden Handbewegungen, doch sieht meine Handschrift, wenn ich beim Schreiben die Augen schliefse, abgesehen von der Dislokation auf der Papierfl\u00e4che, ganz anders aus, als wenn ich die Augen beim Schreiben offen halte. \u2014 Charakteristisch f\u00fcr den grofsen Einflufs der Bewegungsvorstellung beim Schreiben ist der Ausspruch eines Agraphischen, welchen Ballet (1. c. pag. 141) nach Pitres mitteilt: Aufgefordert, das Wort \u201eBordeaux\u201c zu schreiben, sagt er: \u201eIch weifs sehr wohl, wie das Wort Bordeaux geschrieben wird, aber wenn ich mit der rechten Hand schreiben will, weifs ich nicht mehr, was ich machen soll.\u201c Den Buchstaben L, den er sehr wohl erkennt, versucht er zu schreiben, vermag aber nur unzusammenh\u00e4ngende Striche zu ziehen, die in nichts an die allgemeine Form des Buchstaben L erinnern.\nEinen \u00e4hnlichen Standpunkt, wie Stricker gegen\u00fcber den Bewegungen beim Sprechen, nimmt in Bezug auf die Augenbewegungen Loeb 1 im Anschlufse an Mach 2 ein, indem er von ihnen sagt : \u201eDas Lokalzeichen eines indirekt gesehenen Punktes sei nichts anderes, als der Impuls zur Blickbewegung nach diesem Punkte.\u201c Mach hatte schon den Satz aufgestellt: \u201eDer Wille, Blickbewegungen auszuf\u00fchren, oder die Innervation, ist die Raumempfindung selbst.\u201c Gerade beim Sprechen und Schreiben machen wir fast immer die Erfahrung, \u201edafs die ausgef\u00fchrte Bewegung der gewollten genau entspricht\u201c, denn die ausgesprochenen Worte entsprechen genau unseren Wortvorstellungen oder \u201emotorischen Vorstellungen\u201c (Stricker), und ebenso die gesungenen Melodien ; daher w\u00fcrde nach Loeb \u201eder\n1\tJ. Loeb : Untersuchungen \u00fcber die Orientierung im, F\u00fchlraume der Hand und im Blickraume in Pfl\u00fcgers Arch. f. cl. ges. Physiol. Bd. 46. 1889. pag. 30.\n2\tE. Mach: Beitr\u00e4ge zur Analyse der Empfindungen. Jena, 1886. pag. 57.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nHerrn. Aubert.\nWillensimpuls zur Bewegung, aber nicht die bei der Bewegung ausgel\u00f6sten Empfindungen f\u00fcr die Gr\u00f6fse und Richtung unserer willk\u00fcrlichen Bewegungen mafsgebend sein\u201c. Die Bewegungsvorstellung w\u00fcrde also dem, was Loeb den Willensimpuls zur Bewegung nennt, gleich zu setzen sein. Gen\u00fcgt dann aber die Bewegungsvorstellung zur wirklichen Ausf\u00fchrung der Bewegung durch die Muskeln, ohne dafs eine Kontrolle der ausgef\u00fchrten Bewegung durch irgend welche Sinnesorgane stattfindet ?\nDafs der Bewegungsvorstellung eine genaue Innervation f\u00fcr den Grad der Zusammenziehung der zugeh\u00f6rigen Muskeln zu Gebote steht, wird man mit Loeb aus der Kontinuit\u00e4t des Muskels mit der Nervenzelle folgern k\u00f6nnen, dafs aber ein bestimmter Bewegungsimpuls f\u00fcr eine beabsichtigte Bewegung nach Gr\u00f6fse, Richtung und Zeit gegeben werde, und dafs sogar die Richtung der gewollten Bewegung f\u00fcr die Raumempfindung bestimmend sei entgegen der fehlerhaft ausgef\u00fchrten Bewegung wird nicht ohne \u00dcbung zu bewirken sein. \u2014^ Das Erlernen der Bewegungen wird aber in Bezug auf die Kontrolle durch ausgel\u00f6ste Empfindungen wohl zu unterscheiden sein von den Bewegungen, welche wir nach vielfacher \u00dcbung und Erfahrung auszuf\u00fchren gelernt haben. Die verschiedensten Arten von Bewegungen werden zu der Zeit, wo wir sie erlernen d. h. einiiben, nicht so ausgef\u00fchrt, dafs sie dem Zweck entsprechen, zu welchem wir sie ausf\u00fchren \u2014 das tritt u. a. sehr deutlich hervor beim Spielen musikalischer Instrumente die Vorstellung der Bewegung und die Ausf\u00fchrung der vorgestellten Bewegung harmonieren anfangs sehr wenig, und es ist dann f\u00fcr den Anf\u00e4nger (z. B. auf dem Klavier) eine Kontrolle der Bewegungen durch Gesicht und Getast geboten; erst wenn unter dem Einfl\u00fcsse derselben die ausgef\u00fchrte Bewegung h\u00e4ufig wiederholt worden ist, gelingt es, die Bewegungsvorstellung endlich mit einiger Sicherheit wirklich zur Ausf\u00fchrung zu bringen. \u2014 Dann ist aber die einge\u00fcbte Bewegung zur Reflexbewegung geworden, bei welcher doch immer eine Ausbildung besonderer Leitungsbahnen vorausgesetzt werden mufs, welche im ersteren Falle von einer Bewegungsvorstellung auf die zugeh\u00f6rigen Muskelgruppen, im zweiten Falle von einem empfindenden Punkte auf die zugeh\u00f6rige Muskelgruppe f\u00fchren.\nDie Bewegungen des Sprechens und Schreibens werden","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den Sinneswahrnehmungen. 59\naber in einer so fr\u00fchen Lebenszeit einge\u00fcbt, dafs eine Selbstbeobachtung dabei noch nicht stattfinden kann ; doch ist nicht blofs eine individuelle Ausbildung, sondern auch eine Ver-eHrang der ausgebildeten Leitungsbahnen unzweifelhaft anzunehmen.\nInwieweit wir \u00fcber die wirkliche Ausf\u00fchrung vorgestellter Bewegungen durch irgend welche Empfindungen oder Wahrnehmungen unterrichtet werden, ist f\u00fcr die Bewegungen beim Sprechen und Schreiben ganz besonders schwierig zu untersuchen. Es wird sich empfehlen, weniger komplizierte Bewegungen zu beobachten, und ich habe schon vor 30 Jahren bei Gelegenheit von Beobachtungen \u00fcber den Ortssinn der Haut1 die Erfahrung gemacht, \u201edafs man bei geschlossenen Augen f\u00fcr gew\u00f6hnlich einen Punkt der Hautoberfl\u00e4che, welcher eben ber\u00fchrt worden ist, mittelst der Hand- und Armbewegungen genauer trifft, als man nach der Feinheit des Baumsinnes oder nach der Gr\u00f6fse der Empfindungskreise erwarten sollte.\u201c \u2014 Derartige Bestimmungen setzen aber nicht blofs eine sehr genaue Orientierung auf unserer Haut, sondern auch eine genaue Ausf\u00fchrung der Bewegungsvorstellung voraus.\n1 Aubert und Kammler: Untersuchungen \u00fcber den Druck- und Baumsinn der Haut in Moleschotts Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen. Bd. Y. 1858. pag. 175.","page":59}],"identifier":"lit14179","issued":"1890","language":"de","pages":"52-59","startpages":"52","title":"Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den Sinneswahrnehmungen und Bewegungen","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:04:19.575071+00:00"}