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{"created":"2022-01-31T16:14:10.225730+00:00","id":"lit14198","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kries, Johannes A. von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 235-251","fulltext":[{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Erkennen der Schall richtung.\nVon\nProfessor J. v. Kries.\nDie Frage, auf welchen physiologischen Vorg\u00e4ngen das Erkennen der Schallrichtung beruhe, war bekanntlich bis vor kurzem durchaus kontrovers. In neuester Zeit ist durch Preyer1 auf Grund umfassender Versuche die schon fr\u00fcher gelegentlich erw\u00e4hnte Hypothese aufgestellt worden, dafs je nach dem Ort der Schallquelle verschiedene Heizungen der halbzirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le hierbei ins Spiel kommen; es hat dann auf Grund eigner Versuche auch M\u00fcnsterberg2 dieser Annahme (im Spe-ciellen zwar unter wesentlicher Abweichung von Preyers Vorstellungen) sich angeschlossen. Es sei gestattet, an dieser Stelle einige Bemerkungen \u00fcber die interessante Frage vorzubringen und \u00fcber einige einschl\u00e4gige Versuche kurz zu berichten.\nBetrachten wir zun\u00e4chst, was auf Grund der \u00e4lteren Annahmen \u00fcber die Funktion des Geh\u00f6rorgans ohne Hinzunahme der PREYERschen oder \u00e4hnlicher Hypothesen erkl\u00e4rt werden kann. Wie bekannt, w\u00e4re hier an erster Stelle das Verh\u00e4ltnis der Schallintensit\u00e4ten in den beiden Ohren zu erw\u00e4hnen. Dafs ein Schall, der von der rechten Seite herkommt, das rechte Ohr aufserordentlich viel st\u00e4rker affiziert als das linke, ist theoretisch einleuchtend, auch experimentell leicht zu erweisen. Die Rechts-Links-Lokalisation, wenn ich der K\u00fcrze halber diesen Ausdruck gebrauchen darf, erscheint also im allgemeinen hiernach erkl\u00e4rbar. Auch die neuerdings von M\u00fcnsterberg bekannt gemachten Thatsachen, welche sich auf die Genauigkeit der Rechts-\n1\tPreyer: Die Wahrnehmung der Schallrichtung mittels der Bogeng\u00e4nge. Pfl\u00fcgers Archiv. Bd. 40. S. 586.\n2\tM\u00fckstekberg: Beitr\u00e4ge zur experimentellen Psychologie. Heft II.\n16\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nv. Kries.\nLinks-Lokalisation beziehen, scheinen mir mit der Annahme, dafs dabei das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis im rechten und linken Ohr in Betracht komme, nicht unvereinbar zu sein. Bestimmteres w\u00fcrde sich dieserhalb erst sagen lassen, wenn festgestellt w\u00e4re, wie sich f\u00fcr jedes Ohr die Intensit\u00e4ten ver\u00e4ndern, wenn die Schallquelle z. B. in einem Horizontalkreise um den Kopf herumbewegt wird. Es ist sehr fraglich, ob sich in dieser Hinsicht der vordere und der hintere Halbkreis genau gleich verhalten. Was die absoluten Werte jener Genauigkeit anlangt, so soll nach einer Berechnung Lord Rayleighs die Abweichung von der Medianebene schon bemerkt werden, wenn der Unterschied der Schallst\u00e4rke in beiden Ohren nur l\u00b0/o betr\u00e4gt. Dies erscheint sehr auffallend, wenn man bedenkt, dafs nach allen Untersuchungen die Empfindlichkeit des Ohres f\u00fcr Schallintensit\u00e4ten nicht kleinere Unterschiede als 10\u201420% wahrzunehmen gestattet. Indessen sind die Voraussetzungen der \u00c9AYLEiGHschen Berechnung wohl kaum \u00fcber jeden Zweifel erhaben; aufserdem aber erscheint wenigstens denkbar, dafs die Vergleichung zweier gleichzeitig (rechts und links) zu st\u00e4nde kommenden Schallempfindungen genauer geschieht, als die zweier zeitlich aufeinander folgenden, welche bei den Bestimmungen der Unterschiedsempfindlichkeit allein in Betracht kam.\nIm Gegensatz hierzu k\u00f6nnte man nun glauben, dafs ohne die Hinzunahme neuer Annahmen \u00fcber die Funktion des Geh\u00f6rorgans eine Unterscheidung von Schallrichtungen gar nicht erkl\u00e4rt werden k\u00f6nne, welche in Bezug auf die Beteiligung des rechten und linken Ohres \u00fcbereinstimmen, so z. B. die Unterscheidung irgend welcher in der Medianebene gelegener Punkte, eine Medianlokalisation, wie kurz gesagt werden mag. Indessen ist die Meinung derjenigen Autoren, welche die Hechts-Links-Lokalisation in der eben erw\u00e4hnten Weise durch das binaurale H\u00f6ren erkl\u00e4ren wollen, doch nicht dahin gegangen, dafs eine Median-Lokalisation \u00fcberhaupt unm\u00f6glich sei. Vielmehr ist wohl als ein zweiter Faktor immer die ja zweifellos vorhandene Modifikation der Qualit\u00e4t und namentlich der Intensit\u00e4t anerkannt worden, welche der Schall erf\u00e4hrt, je nachdem er z. B. von hinten oder vorn kommt. Es w\u00fcrde zu erwarten sein, dafs diese Lokalisation nur dann stattfinden kann, wenn der betreffende Schall seiner Beschaffenheit nach","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Erkennen der Schallrichtung.\n237\nim voraus bekannt, wenn so zu sagen bereits erlernt ist, wie er von vorn her und wie er von hinten her klingt. Man k\u00f6nnte vermuten, dafs bei einem g\u00e4nzlich unbekannten Schall eine Unterscheidung verschiedener Punkte in der Medianebene unm\u00f6glich sein werde, \u00e4hnlich wie dies z. B. auch bez\u00fcglich der Entfernungslokalisation meist angenommen wird.\nWenn man die M\u00f6glichkeit einer solchen auf geringen und schwer definierbaren Modifikationen des Schalles beruhenden Lokalisation, ich will eine solche im folgenden als mittelbare Lokalisation bezeichnen, mit in Betracht zieht, so erscheinen die Versuche Preyers mit einer gewissen Unsicherheit behaftet; denn da stets derselbe Schallreiz angewandt wurde, so waren f\u00fcr eine solche mittelbare Lokalisation jedenfalls die g\u00fcnstigsten Bedingungen gegeben. Es erschien aus diesem Gr\u00fcnde von einigem Interesse, die Versuche \u00fcber Medianlokalisation des Schalles so anzustellen, dafs von Versuch zu Versuch die Qualit\u00e4t und die St\u00e4rke des Schalles in ganz unregelm\u00e4fsiger Weise gewechselt wurde, wodurch, wie man hoffen durfte, die mittelbare Lokalisation ausgeschlossen oder doch wesentlich erschwert werden w\u00fcrde. Insbesondere empfahl es sich, auch die Entfernung der Schallquelle gleichzeitig wechseln zu lassen, da voraussichtlich hierdurch \u00e4hnliche kleine Variierungen in die Schallbeschaffenheit gebracht werden konnten. Eine Anzahl von Versuchen, welche in dieser Art angestellt wurden, zeigte nun zwar sogleich die grofse Unsicherheit der Medianlokalisation; aber es stellte sich auch alsbald heraus, mit welcher Vorsicht die Besultate beurteilt sein wollen.\nIch schicke der Besprechung der Ergebnisse einige Bemerkungen \u00fcber die Technik der Versuche voraus. Ich benutzte zu einem Teil der Versuche den Knall eines Telephons, durch welches \u00d6ffnungs- oder Schliefsungs-Induktionsschl\u00e4ge geschickt wurden; teils der Wechsel zwischen den \u00d6ffnungs- und Schliefsungsschl\u00e4gen (welche meistens etwas verschieden klingen), teils die Variierung des Bollenabstandes in dem Induktionsapparat gestatteten hier eine unregelm\u00e4fsige Ver\u00e4nderung der Schallreize. Ferner verwendete ich bei einigen Versuchen 2 M\u00fcnzen oder 2 Holzpl\u00e4ttchen, die mit dem Daumen und Mittelfinger gegen einander gedr\u00fcckt und durch das Herausziehen des zwischengeklemmten Zeigefingers zusammengeklappt werden. Man kann auf diese sehr einfache Weise den Schall leicht\n16*","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nv.\ninner halb gewisser Grenzen st\u00e4rker und schw\u00e4cher machen, wobei er sich wohl auch qualitativ etwas \u00e4ndern d\u00fcrfte. Ferner konnten kleine Pfeifen benutzt werden, welche mittels eines Gummischlauohs mit dem Munde angeblasen wurden; mit der St\u00e4rke des Anblasens \u00e4ndert sich die Intensit\u00e4t des Tones, zugleich auch die Beimischung von Ger\u00e4uschen. In einigen F\u00e4llen benutzte ich auch in unregelm\u00e4fsigem Wechsel eine offene und eine gedachte Pfeife von gleicher Tonh\u00f6he, aber etwas verschiedener Klangfarbe, um auf diese Weise noch gr\u00f6fseren Wechsel in der Beschaffenheit des Schalles zu erzielen. \u2014 In allen F\u00e4llen wurde so verfahren, dafs dieselben Schallgeber bald an den einen, bald an den anderen Ort der Medianebene gebracht wurden, niemals etwa so, dafs an einer Stelle immer die einen, an der andern die andern benutzt w\u00e4ren, weil auf diese Weise zu leicht konstante Differenzen der Schallgeber die Lokalisation h\u00e4tten erm\u00f6glichen k\u00f6nnen. Selbstverst\u00e4ndlich wurde Sorge getragen, dafs der dem Schallgeber vor jedem Versuch gegebene Ort weder durch optische noch durch akustische Eindr\u00fccke verraten oder auch nur irgendwie vermutet werden konnte. Es wird nicht n\u00f6tig sein, die zu diesem Zweck erforderlichen Vorsichtsmafsregeln genau zu besprechen. Ich beschr\u00e4nkte mich in allen F\u00e4llen darauf, sehr stark abweichende Richtungen miteinander zu vergleichen, weil es mir zun\u00e4chst darum zu thun war festzustellen, mit welcher Sicherheit diese unterschieden werden. Dem Sinne der Versuche entsprechend, liefs ich aber kleine Variierungen jeder einzelnen Richtung zu, wie sie von selbst Vorkommen, wenn dem Beobachter aufgegeben ist den Kopf still zu halten, aber eine besondere Fixation desselben unterlassen ist. Die Einstellung der Schallgeber geschah zumeist verm\u00f6ge ihrer Befestigung genau an dem gleichen Orte, in manchen Versuchsreihen aber auch aus freier Hand, so dafs auch hierdurch kleine unregelm\u00e4fsige Variierungen jeder einzelnen Richtung hervorgebracht wurden.1 In allen Versuchen wurden\n1 Preyer giebt zwar an, dafs bei manchen Schallrichtungen (z. B. Hinten-Oben) eine kleine Abweichung von der genauen Richtung gen\u00fcge, um gewisse Verwechselungen zu beg\u00fcnstigen. Da indessen doch zweifellos alle Dinge, auf die es hier ankommen kann, in stetiger Weise von der Richtung der Schallquelle abh\u00e4ngen, so kann f\u00fcr die Unterscheidung zweier ganz verschiedener Richtungen das Schwanken jeder einzelnen um einige Grade wohl kaum in Betracht kommen.","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Erkennen der Schallrichtung.\n239\nnur 2 Schallrichtungen benutzt, welche \u00fcberdies dem Beobachter zum voraus bekannt waren. Der Beobachter wufste also z. B., dafs der Schall vorn oder hinten gegeben werden w\u00fcrde, und hatte nur anzugeben, ob das eine oder das andere geschehen w\u00e4re. Ob das Resultat richtig oder falsch war, wurde dem Beobachter, um die Erlernung der etwaigen verschiedenen Kl\u00e4nge zu erschweren, niemals mitgeteilt. Der gr\u00f6bste Teil der Versuche wurden von mir und meinem Assistenten Herrn Baader gemeinsam in der Weise ausgef\u00fchrt, dafs einer abwechselnd als Beobachter resp. als Greh\u00fclfe funktionierte.\nIch berichte nunmehr \u00fcber die Versuche nach der Zeitfolge ihrer Anstellung. Bei der Unterscheidung von vorn-oben und hinten-oben (einfacher Knall im Telephon ca. 20 cm \u00fcber Scheitelh\u00f6he und 20 cm nach vorn resp. nach hinten von der Scheitellinie entfernt) wurde in der ersten Versuchsreihe vom Beobachter B. 18 mal richtig und 17 mal falsch geurteilt, von K. 5 mal richtig und 11 mal falsch, w\u00e4hrend in 4 F\u00e4llen kein Urteil abgegeben werden konnte. Die Fortsetzung der gleichen Versuche an mir selbst ergab sich hier zun\u00e4chst als nutzlos, weil mit voller Regelm\u00e4fsigkeit sowohl der vorn als auch der hinten erzeugte Knall vorn geh\u00f6rt wurde. Die Ermittelung einer Verh\u00e4ltniszahl richtiger oder falscher Urteile hat unter diesen Umst\u00e4nden nat\u00fcrlich keinen Sinn. Bei einer zweiten Versuchsreihe war die H\u00f6he auf wenig \u00fcber 1 cm \u00fcber Scheitelh\u00f6he reduziert und die Entfernung wechselte, wurde jedoch so gew\u00e4hlt, dafs die Richtung niemals mehr als 45 0 von der Horizontalen abwich, ja meistens sich dieser sehr ann\u00e4herte. Das Resultat war \u00e4hnlich. Beim Beobachter B. 25 richtige und 14 falsche Urteile (in 2 F\u00e4llen kein Urteil abgegeben), bei Kr. 18 richtige und 17 falsche; einmal konnte kein Urteil abgegeben werden. Auch hier wurde der von hinten kommende Schall in 19 F\u00e4llen 16 mal nach vorn und nur 3 mal nach hinten verlegt; der von vorn kommende dagegen in 18 F\u00e4llen 15 mal richtig und nur 1 mal falsch lokalisiert.\nMan kann zweifeln, ob bei Ergebnissen dieser Art eigentlich von der F\u00e4higkeit einer Medianlokalisation \u00fcberhaupt gesprochen werden kann. Thats\u00e4chlich machte keiner der beiden Beobachter einen sehr grofsen Unterschied in der Auffassung des von vorn und des von hinten kommenden Schalles; einer","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nv. Kries.\nlokalisierte gleichm\u00e4fsig beide bald nacb vorn, bald nach hinten, der andere dagegen fast alle nach vorn.\nZu schon etwas g\u00fcnstigeren Resultaten f\u00fchrten die Versuche \u00fcber die Unterscheidung von oben und von unten kommender Schallreize ; dieselben wurden so angeordnet, dafs die Schallquelle in beiden F\u00e4llen sich etwas nach vorn vom Beobachter befand. Wir erhielten bei Anwendung einer Pfeife von Beobachter B. 18 richtige und 8 falsche Urteile (in einem Falle kein Urteil), von Beobachter Ke. 15 richtige und 8 falsche Urteile (in zwei F\u00e4llen kein Urteil).\nAuch eine Versuchsreihe \u00fcber die Unterscheidung von hinten und oben kann hier angereiht werden, bei welcher das oben erw\u00e4hnte Zusammenklappen zweier M\u00fcnzen als Schallreiz diente. Wir erhielten bei Beobachter B. 10 richtige, 10 falsche und 11 halbrichtige, bei K. 16 richtige, 6 falsche und 9 halb-richtige Urteile. Unter halbrichtigen sind hier solche verstanden, bei denen die Schallrichtung um 45\u00b0 falsch wahrgenommen wurde, also z. B. hinten-oben angegeben, w\u00e4hrend der Schall gerade von oben oder gerade von hinten kam.\nDie zun\u00e4chst naheliegende Annahme, dafs der Grund f\u00fcr die Schwierigkeit der Medianlokalisation in der bei all diesen Versuchen bestandenen unregelm\u00e4fsigen Variierung der Reize zu suchen sei, erwies sich indessen bei der Fortsetzung der Versuche als nicht zutreffend. Es wurden vielmehr in sp\u00e4teren Reihen, zum Teil wohl infolge besserer Ein\u00fcbung, zum Teil auch, wie zu erw\u00e4hnen sein wird, durch die Anwendung anderer Reize, erheblich bessere Resultate erhalten.\nDie Versuche \u00fcber H\u00f6henlokalisation (Unterscheidung von vorn-unten und vorn-oben) ergaben zun\u00e4chst bei dem einen Beobachter (Ke.) bei Anwendung eines einfachen Knalls nur 1 falsches Urteil auf 18 richtige (neben 5 F\u00e4llen, in denen kein Urteil abgegeben werden konnte). Der andere Beobachter lieferte bei dem gleichen Versuche 15 falsche auf 32 richtige Urteile (2 F\u00e4lle ungewifs), unterschied also wenig besser als in den ersten F\u00e4llen.\nNoch g\u00fcnstigere Resultate ergab ein sp\u00e4terer Versuch an mir selbst, in welchem wegen gesteigerter Komplikation der Versuche ein ung\u00fcnstigeres Resultat h\u00e4tte erwartet werden k\u00f6nnen. In Hinblick n\u00e4mlich auf die Annahme, dafs irgend welche leichte Modifikation der Schallqualit\u00e4t die Lokalisation bedingt, liefsen wir in dieser Reihe vorn und hinten 7 verschiedene Ger\u00e4usche","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Erkennen der Schallrichtung.\n241\nunregelm\u00e4fsig ab wechseln;1 ich lokalisierte 39 mal richtig, 4 mal falsch und war 2 mal ungewifs. Ferner sei hier eine Versuchsreihe angef\u00fchrt, in welcher Herr B. (bei Telephonknall) 24 mal richtig, 3 mal falsch urteilte und nur 1 mal ungewifs war.2 Eine Beg\u00fcnstigung der Unterscheidung schien, namentlich f\u00fcr mich, dann einzutreten, wenn statt des einfachen Knalls ein kurz (vielleicht Va\u20141 Sekunde) dauerndes knatterndes Ger\u00e4usch angewandt wurde. Dasselbe wurde im Telephon durch schnell folgende \u00d6ffnung und Schliefsung des prim\u00e4ren Stromes des Induktionsapparates bewirkt. Da wir dies durch Aneinanderstreichen zweier, den prim\u00e4ren Strom schliefsenden Dr\u00e4hte oder durch Drehen eines Disjunktors aus freier Hand bewirkten, so war das Ger\u00e4usch auch hier seinem Charakter nach sehr unregelm\u00e4fsig; es wurde aufserdem noch durch die Variierung des Bollenabstandes modifiziert. Ich urteilte unter 44 Versuchen 39 mal richtig, 1 mal falsch und war 4 mal im Zweifel, w\u00e4hrend unmittelbar zuvor bei einer Versuchsreihe mit einfachem Knall unter 43 Versuchen 12 falsche und 3 halbrichtige (in dem oben S. 240 angegebenen Sinne) neben 26 richtigen Urteilen (2 F\u00e4lle ungewifs) gewesen waren.\nAuch die H\u00f6henlokalisation (Unterscheidung von oben und unten, beide Orte wenig nach vorn gelegen) gelang mir bei der Anwendung des Knatterns besser, indem unter 25 F\u00e4llen 22 mal richtig geurteilt wurde.\nDie F\u00e4higkeit einer Medianlokalisation auch bei unregel-m\u00e4fsiger Variierung der Schallbeschaffenheit kann hiernach nicht bezweifelt werden. Jedoch zeigt sich dieselbe in hohem Mafse von der Beschaffenheit des gew\u00e4hlten Schalls, von der Ein\u00fcbung und \u00fcbrigens wohl auch von jeweiliger Disposition abh\u00e4ngig. Gerade der zu den ersten Versuchen gew\u00e4hlte Telephonknall scheint schwerer zu lokalisieren zu sein, als z. B. das Zusammenschnellen der Holzpl\u00e4ttchen. Doch ist es schwer,\n1\tDieselben waren: 3. Der Knall des Telephons. 2. Derselbe durch Bedeckung des Schallbechers mit einem Papierblatt ged\u00e4mpft. 3. Desgleichen durch Bedeckung mit einem Uhrglas ged\u00e4mpft. 4. Zusammen, schnellen zweier M\u00fcnzen. 5. Schlag mit einem Holzst\u00e4bchen auf eine M\u00fcnze. 6. Der Fall eines Schrotkorns in eine Porzellanschale. 7. Ein durch Kratzen mit einem Glasstab auf Sandpapier verursachtes Ger\u00e4usch.\n2\tDabei ist allerdings zu bemerken, dafs der Knall stets irrt\u00fcmlicherweise mehr oder weniger oben geh\u00f6rt wurde; es wurde also immer statt vorn und hinten, vorn oben und hinten oben angegeben.","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nv. Kries.\nhier\u00fcber bestimmte Angaben zu machen, weil auch andere Dinge von bedeutendem Einflufs sind. Wir bemerkten \u00f6fter, dafs der Beobachter nach einer Reihe sicherer und richtiger Urteile unsicher zu werden anfing, zuweilen auch im Gegenteil nach einer Anzahl falscher Urteile eine ann\u00e4hernd sichere Unterscheidung gewonnen wurde, als ob die Unterscheidung im Laufe der Versuchsreihe erlernt worden w\u00e4re.\nZu noch besseren Ergebnissen aber, als durch Fortsetzung der Versuche an denselben Beobachtern gelangten wir durch \u00dcbergang zu anderen Versuchspersonen. Ich wurde zu der Anstellung der Versuche an einer gr\u00f6fseren Zahl von Personen durch folgende Erw\u00e4gung gef\u00fchrt. Wer an die F\u00e4higkeit einer auf besonderen physiologischen Hilfsmitteln beruhenden Schalllokalisation nicht zu glauben, vielmehr nur eine mittelbare Lokalisation anzunehmen geneigt ist, der wird immer behaupten k\u00f6nnen, es sei die in den Versuchen erzielte Variierung der Schallreize keine zureichende oder keine geeignete gewesen; gewisse Eigent\u00fcmlichkeiten, z. B. des zeitlichen Verlaufs oder des Timbres k\u00f6nnten doch wohl, je nach Lage der Schallquelle, f\u00fcr alle Reizarten sich in \u00e4hnlicher Weise geltend machen und f\u00fcr die wenigen in den Versuchen zur Anwendung kommenden Reize insgesamt leicht erlernt werden. Es lag im Hinblick auf diesen Einwand nahe, eine erworbene Kenntnis der Reize in der Weise zn verhindern, dafs die zur Ausschliefsung des Zufalls erforderliche H\u00e4ufung der Versuche durch Heranziehung einer grofsen Zahl von Beobachtern erreicht, mit jedem einzelnen aber nur ganz wenige (5) Versuche angestellt w\u00fcrden. Ich experimentierte auf diese Weise an 22 Studenten; es wurde stets der durch Zusammenschnellen zweier Holzpl\u00e4ttchen bewirkte Knall (\u00fcbrigens auch in wechselnder Intensit\u00e4t und Entfernung) benutzt, und zwar gerade hinter und gerade vor dem Kopf erzeugt. Bei den so erhaltenen 111 Versuchen (an einem Beobachter wurden 6 ausgef\u00fchrt) wurde, obwohl stets im voraus gesagt war, dafs der Schall gerade vorn oder gerade hinten sein w\u00fcrde, h\u00e4ufig gerade nach oben oder auch nach hinten-oben oder vorne-oben lokalisiert; die Urteile zerfallen also in richtige, in solche, die um 45\u00b0, um 90\u00b0 oder mehr als 90\u00b0 falsch waren, indem ich unter der letzten Kategorie die Verwechselung z. B. von vorn mit hinten und mit hinten-oben zusammenfafste. So fanden sich unter den 111 Versuchen 47 richtige Urteile,","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Erkennen der Schattrichtang.\n243\num mehi' als 90\u00b0 falsch waren 23, um 90\u00b0\t\u201e\t\u201e\t14,\num 45\u00b0\t\u201e\t\u201e\t21,\nin 6 F\u00e4llen konnte der Ort nicht angegeben werden.\nDies Resultat kann im ganzen wohl auch ein sehr ung\u00fcnstiges genannt werden, welches eher gegen als f\u00fcr das Vorhandensein eines physiologischen Hilfsmittels der Lokalisation sprechen w\u00fcrde. Es war aber die kleine Zahl der an jeder Person angestellten Versuche ausreichend, um einige individuelle Eigent\u00fcmlichkeiten zu entdecken, welche bedeutungsvoller waren, als das Gesamtergebnis. Unter den 22 Personen war nur eine (stud. J.), welche in 6 Versuchen hintereinander stets richtig urteilte. Ich setzte die Versuche mit diesem Beobachter fort und erhielt bei der Unterscheidung von vorn und hinten in 30 F\u00e4llen 29 richtige Urteile, w\u00e4hrend der Beobachter in 1 Fall ungewifs war. Ich stellte sodann 32 Versuche mit demselben Beobachter an, in welchen vorn, oben und hinten wechselte; es wurde 30 mal richtig geurteilt, in 2 F\u00e4llen kein Urteil abgegeben. Als Reiz diente in diesen F\u00e4llen ebenfalls ein einfacher Knall (zwei Holzpl\u00e4ttchen), der an St\u00e4rke und Klangfarbe variabel war, und es wurde zugleich die Entfernung betr\u00e4chtlich ver\u00e4ndert. Bei dem hohen Prozentsatz richtiger Urteile reicht die kleine Zahl vollkommen aus, um jede T\u00e4uschung durch Zufall auszuschliefsen. Worauf aber die entschieden sehr ungew\u00f6hnliche Sicherheit im Erkennen der Schallrichtungen bei diesem Beobachter zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, weifs ich nicht anzugeben; musikalisch war derselbe weder beanlagt noch ausgebildet.\nMit Recht hat M\u00fcnsterber\u00f61 darauf hingewiesen, dafs in Preyers Versuchen \u2014 da jedesmal angegeben werden sollte, an welcher von 26 bestimmten Stellen der Schall erzeugt w\u00e4re \u2014 die Aufgabe des Beobachters sehr schwer gemacht ist, das Lokalisationsverm\u00f6gen also unter relativ ung\u00fcnstigen Bedingungen in Th\u00e4tigkeit kommt. Bei den von uns angestellten Versuchen ist dies in weit geringerem Mafse der Fall, da es sich nicht um die richtige Erkennung einer von 26, sondern nur einer von 2 Schallrichtungen handelt. Immerhin kann man sagen, dafs auch hier die gestellte Aufgabe nicht die einer Unterschei-\n1 A. a. O. S. 222.","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nv. Kries.\ndung unter m\u00f6glichst g\u00fcnstigen Bedingungen, sondern mehr die einer Rekognition war. Es liefs sich erwarten, dafs die Erkennung eines Richtungsunterschiedes leichter und sicherer gelingen werde, wenn die beiden Schallreize in ganz kurzem Intervall nacheinander zu Geh\u00f6r gebracht w\u00fcrden. Auch hierbei konnte ihr Verhalten bez\u00fcglich St\u00e4rke und Entfernung gewechselt werden. In der That fanden wir dies. Indem ich je zwei Holzpl\u00e4ttchen vor und hinter dem Kopf des Beobachters B. zusammenschnellte, mit einem Zeitintervall von etw 1 Sekunde, unterschied dieser die Reihenfolge vorn-hinten von der entgegengesetzten in 25 Versuchen mit voller Sicherheit (ohne einen einzigen Fehler), w\u00e4hrend vorher die Rekognition der Einzelreize ziemlich unsicher gewesen war. Dabei wurde allerdings der \u00dcbergang von vorn nach oben als demjenigen von vorn nach hinten, ebenso der von oben nach hinten dem von vorn nach hinten etc., als gleichsinnig betrachtet und somit als richtiges Urteil gerechnet, wenn die Angaben auch nur in dieser bedingten \"Weise der Wahrheit entsprachen.\nDie Wahrnehmung der Schallrichtung ist, wie schon Preyer mitgeteilt hat und auch hier bereits ber\u00fchrt wurde, durchaus nicht blofs in dem Sinne eine unsichere, dafs etwa 2 Richtungen, a und Z>, verwechselt und dabei ebenso leicht a f\u00fcr b, wie b f\u00fcr a gehalten w\u00fcrde. Es zeigen sich vielmehr nicht selten konstante Tendenzen zu ganz bestimmten Irrt\u00fcmern. Hierf\u00fcr haben auch unsere Versuche zahlreiche Beispiele ergeben. Die Tendenz, den von hinten kommenden Schall nach vorn zu verlegen, war bei mir selbst in den ersten Versuchsreihen in ausgepr\u00e4gtester Weise vorhanden; ich fand sie in gleicher Weise noch bei 2 andern Personen. Die eine derselben (Kp.) lokalisierte den durch 2 Holzpl\u00e4ttchen bewirkten Knall im Anf\u00e4nge einer ersten Versuchsreihe immer nach vorn1, schien aber dann die Unterscheidung einigermafsen zu lernen und lokalisierte vorn stets und hinten wenigstens ziemlich oft richtig. Um die Ein\u00fcbung auszuschliefsen, stellte ich mit Kp. w\u00e4hrend mehrerer Tage t\u00e4glich nur 4 Versuche an, und es wurde dabei durchg\u00e4ngig sowohl der von vorn als der von hinten kommende Schall nach vorn lokalisiert. Bei Anstellung einer l\u00e4ngern\n1 Die gleiche Tendenz, den von hinten kommenden Schall nach vorn zu versetzen, bestand hier auch f\u00fcr hohe Pfeifent\u00f6ne.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Erkennen der Schallrichtung.\n245\nReihe ergab sich dann wieder das erste Resultat; zwar wurde keine hohe Sicherheit der Unterscheidung gewonnen, aber doch eine Anzahl von Malen hinten richtig erkannt, w\u00e4hrend vorn niemals nach hinten verlegt wurde. Bei mir selbst hatte sich nach einer l\u00e4ngeren Unterbrechung der Versuche das Verh\u00e4ltnis umgekehrt und ich lokalisierte hinten fast durchg\u00e4ngig richtig, vorn dagegen meist gleichfalls nach hinten.\nSehr h\u00e4ufig scheinen aber auch die Irrt\u00fcmer bez\u00fcglich der H\u00f6he zu sein und zwar zun\u00e4chst in dem Sinne, dafs die in Wirklichkeit mit dem Kopf gleich hoch liegende Schallquelle nach oben verlegt wird. Herr B. verlegte den Telephonknall, obwohl ihm bekannt war, dafs er grade vor oder hinter dem Kopf hervorgebracht wurde, stets ziemlich stark nach oben, unterschied also nur vorn oben oder hinten oben, statt vorn und hinten, und nahm gelegentlich den Schall auch grade oben wahr. Auch mir schien der Telephonknall stets mehr oder weniger von oben zu kommen. Bei uns beiden persistierte diese T\u00e4uschung, selbst wenn das Telephon erheblich unter die Kopfh\u00f6he gebracht wurde. Beachtenswert scheint mir, dafs die T\u00e4uschung in weit geringerem Grade vorhanden war, wenn statt des Telephonknalls die zusammenklappenden Holzpl\u00e4ttchen benutzt wurden, deren Knall im allgemeinen lauter und sch\u00e4rfer klang, als der des Telephons.\nVon den untersuchten Studenten lokalisierte einer den Knall der Holzpl\u00e4ttchen von hinten stets richtig, der von vorn kommende dagegen wurde in allen F\u00e4llen grade oben wahrgenommen. Eine irrt\u00fcmliche Lokalisation des Schalles nach unten habe ich dagegen nie beobachtet.\nAus den mitgeteilten Versuchen l\u00e4fst sich, trotz der numerischen Geringf\u00fcgigkeit des Materials, zweierlei ersehen. Erstlich, dafs eine nahezu sichere Medianlokalisation (wenigstens in Bezug auf die Unterscheidung von vorn und hinten) unter Umst\u00e4nden auch dann stattfinden kann, wenn die Schallreize von Versuch zu Versuch ihrer Qualit\u00e4t und St\u00e4rke nach, sowie bez\u00fcglich ihrer Entfernung ganz unregelm\u00e4fsi g wechseln. Zweitens aber f\u00e4llt die aufserordentliche Unsicherheit, welche die gleiche Lokalisation unter anderen Umst\u00e4nden zeigt, in die Augen. Welche theoretische Folgerung bei dieser Sachlage zu ziehen ist, das scheint mir nicht ohne weiteres klar. Wenn man nur eine","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nv. Kries.\nmittelbare Lokalisation anzunelimen geneigt ist, wird man doch schwer begreiflich finden m\u00fcssen, dafs diese bei best\u00e4ndig wechselnder Schallbeschaffenheit m\u00f6glich ist. \"Wenn man dagegen mit Preyer eine besondere, der Lokalisation dienende physiologische Einrichtung annimmt, so wird es zum mindesten auffallend erscheinen, dafs diese h\u00e4ufig so \u00e4ufserst mangelhaft funktioniert, in vielen F\u00e4llen die grade entgegengesetzten Richtungen verwechselt werden und zwar, was vielleicht besonders merkw\u00fcrdig ist, Angaben, die um 180\u00b0 falsch sind, mit positivster Sicherheit ausgesprochen werden.\nOhne eine Entscheidung versuchen zu wollen, m\u00f6chte ich noch zwei Thatsachen anf\u00fchren, die zur Vorsicht mahnen. F\u00fcr die indirekte Natur der Medianlokalisation w\u00fcrde es offenbar in hohem Grade sprechen, wenn es m\u00f6glich w\u00e4re, willk\u00fcrlich durch die Natur der gew\u00e4hlten Ger\u00e4usche oder Kl\u00e4nge das Ergebnis der Lokalisation zu bestimmen. Uns ist im allgemeinen nichts derartiges gelungen; wir konnten z. B. nicht finden, dafs etwa der schw\u00e4chere Klang mit Vorliebe nach hinten, der st\u00e4rkere nach vorn verlegt worden w\u00e4re. Nur in einer Versuchsreihe ergab sich mit einer gewissen Regelm\u00e4fsigkeit ein derartiges Resultat. Es wurden n\u00e4mlich bei den schon oben erw\u00e4hnten Versuchen, in denen eine gr\u00f6fsere Anzahl verschiedener Ger\u00e4usche in unregel-m\u00e4fsigem Wechsel verwendet wurden, von Herrn B. alle fast durchg\u00e4ngig richtig lokalisiert; nur eines wurde unter 10 F\u00e4llen 9 mal nach hinten versetzt, obwohl es vorn hervorgebracht wurde. Es m\u00f6chte hieraus doch zu schliefsen sein, dafs wenn auch ein physiologisches H\u00fclfsmittel der Schall-Lokalisation existiert, doch neben demselben auch Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t des Schalles in Betracht kommen, und auf das Ergebnis von Ein-flufs sind, \u00e4hnlich wie ja auch bei der optischen Entfernungs-Lokalisation sehr verschiedenartige Umst\u00e4nde von Einflufs sind, ohne dafs man im allgemeinen sich bewufst w\u00fcrde, worauf das Resultat beruht. \u2014 Die Annahme aber, dafs geringf\u00fcgige Differenzen der Schallart mit grofser Feinheit aufgefafst werden, scheint eine gewisse St\u00fctze auch in den Thatsachen zu finden, welche sich auf die Wahrnehmung der Entfernung einer Schallquelle beziehen. Auch diese ist n\u00e4mlich weit vollkommener, als man erwarten sollte, wenn man davon ausgeht, dafs sie auf Schl\u00fcssen aus der Intensit\u00e4t und dem Timbre des Schalles beruht und dafs daher nur bei im voraus bekanntem Schallreize eine","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Erkennen der Schallrichtung.\n247\nrichtige Beurteilung der Entfernung m\u00f6glich sei. Wir liefsen, um uns hier\u00fcber zu orientieren, den Knall des Telephons abwechselnd in 25 und 65 cm Entfernung vom Kopfe des Beobachters in genau seitlicher Richtung erklingen, dabei die Intensit\u00e4t durch Wechsel des Rollenabstandes unregelm\u00e4fsig variieren und zwar in einem Spielraum, von dem schon ein kleiner Teil gen\u00fcgte, um die mit der Abstands\u00e4nderung verkn\u00fcpfte Variierung der Intensit\u00e4t zu kompensieren. Der Beobachter hatte in einer Reihe von Einzelversuchen jedesmal angegeben, ob der Schall von der nahen oder von der entfernten Stelle kam. Dabei wurden von B. in 27 F\u00e4llen 24 richtige und 3 falsche, von K. in 27 F\u00e4llen 23 richtige und 3 falsche Urteile (in einem Falle kein Urteil) abgegeben. Bei Versuchen mit 2 schnell aufeinander folgenden Knallen (Holzpl\u00e4ttchen), von denen der n\u00e4here in 20\u201440 cm, der entferntere in 100\u2014140 cm Abstand gegeben und ebenfalls die Intensit\u00e4t stark ge\u00e4ndert wurde, konnte nicht minder die Reihenfolge (Nah-Fern oder umgekehrt) in allen F\u00e4llen richtig erkannt werden; keineswegs gelang es das Urteil durch grofse Intensit\u00e4t des fernen und geringe des nahen Schalles irrezuf\u00fchren. Sollte man auch hier einen physiologischen Mechanismus annehmen? So viel ich sehe, w\u00fcrde die Ausdehnung der Preyersehen Hypothese auf die Entfernungswahrnehmung auf einige Schwierigkeit stofsen. Auch nach der Auffassung M\u00fcnsterbergs k\u00f6nnten die Hiilfsmittel der Richtungswahrnehmung wohl f\u00fcr die Beurteilung der Entfernung nichts n\u00fctzen, da der Bewegungsanstofs in beiden F\u00e4llen qualitativ gleich sein w\u00fcrde; auch k\u00f6nnte es nicht gen\u00fcgen, etwa dem entfernten Reiz der Ausl\u00f6sung eines st\u00e4rkern Bewegungsimpulses zuzuschreiben, da die St\u00e4rke doch jedenfalls auch von der Schallintensit\u00e4t abh\u00e4ngig gedacht werden mufs. \u00dcberdies mag daran erinnert werden, in welcher Weise gerade bez\u00fcglich der Entfernungsbeurteilung die willk\u00fcrliche Herstellung gewisser Schallqualit\u00e4ten zu T\u00e4uschungen f\u00fchrt; die Leistungen geschickter Bauchredner sind in dieser Hinsicht sehr belehrend.\nWie dem nun auch sein mag, jedenfalls scheint mir die Frage der Schalllokalisation noch keineswegs vollst\u00e4ndig klar zu liegen. Vielleicht wird durch eine systematische Vergleichung der Entfernungs- und der Richtungswahrnehmung am ehesten eine weitere Sicherung, sei es der einen, sei es der andern Anschauung zu gewinnen sein.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nv. Kries.\nIch m\u00f6chte endlich noch auf eine eigent\u00fcmliche Konsequenz gewisser Lokalisationstheorien aufmerksam machen, welche teils f\u00fcr den vorliegenden Gegenstand von einiger Bedeutung, teils wohl auch von allgemeinem Interesse ist. Es ist h\u00e4ufig angenommen worden, dafs eine Lokalisation auf irgend welchen, die betreffenden Empfindungen regelm\u00e4fsig begleitenden Nebenerscheinungen beruhe, welche je nach der Art des Beizes verschieden w\u00e4ren. Das erste Beispiel hierf\u00fcr bietet wohl Lotzes Theorie der optischen Lokalisation, nach welcher die Erregung jeder Netzhautstelle einen Bewegungsimpuls erzeugt; derselbe wird so beschaffen gedacht, dafs durch Ausf\u00fchrung der betreffenden Bewegung die Stelle des deutlichsten Sehens an den Platz der erregten Netzhautstelle gebracht w\u00fcrde.1 Dieser Ansicht sehr nahe steht die Anschauung, welche M\u00fcnterberg \u00fcber den Baumsinn des Ohres sich gebildet hat; nach ihm sollen es die durch Beizungen der halbzirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le reflektorisch ausgel\u00f6sten Impulse zu Kopfbewegungen sein, auf denen die Lokalisation der Schallempfindungen beruht.\nSoviel ich nun sehe, ist eine Theorie, welche in dieser Weise die Lokalisation auf Begleiterscheinungen der Empfindung zur\u00fcckf\u00fchrt, nicht im st\u00e4nde, die gleichzeitige richtige Lokalisation mehrerer Empfindungen zu erkl\u00e4ren, f\u00fchrt vielmehr zu der Konsequenz, dafs eine solche unm\u00f6glich sein m\u00fcsse. In der That denken wir uns die Empfindung X mit dem Bewegungsimpuls a, Y mit dem Bewegungsimpuls \u00df verkn\u00fcpft; entsteht nun X und Y, demgem\u00e4fs auch a und \u00df gleichzeitig, wie unterscheidet sich der psychische Effekt in diesem Pall von dem entgegengesetzten, dafs \u00df durch X und a durch Y hervorgerufen worden ist? Ich vermag diese Frage auf dem Boden einer derartigen Theorie nicht zu beantworten, wenigstens nicht ohne ganz neue und wenig wahrscheinliche Annahmen in dieselbe einzuf\u00fchren. Mir scheint vielmehr zun\u00e4chst als Konsequenz sich zu ergeben, dafs entweder die beiden Bewegungsimpulse zu einem einheitlichen von mittlerer Beschaffenheit verschmelzen und sodann die beiden Empfindungen an demselben Ort lokalisiert w\u00fcrden, oder aber dafs beide unabh\u00e4ngig bestehen bleiben und alsdann beide Orte richtig erkannt werden,\n1 Lotze : Medizinische Psychologie. S. 353 f.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Erkennen der Schattrichtung.\n249\ndie Lokalisation aber nun verwechselbar ist. Welche Empfindungen an den einen, welche an den andern Ort zu verlegen ist, m\u00fcfste zun\u00e4chst ungewifs bleiben und k\u00f6nnte erst jedesmal z. B. durch Bewegungen festgestellt werden. Es ist hinl\u00e4nglich bekannt, dafs f\u00fcr das Auge die Sache sich nicht so verh\u00e4lt; wir erkennen ja, wenn z. B. ein rotes und ein gr\u00fcnes Licht im Gesichtsfelde auf blitzt, jederzeit sogleich den Ort eines jeden, und niemals kommt eine Verwechselung etwa derart vor, dafs man das Gr\u00fcne unten und das Bote oben zu sehen glaubte, w\u00e4hrend es sich in Wirklichkeit umgekehrt verh\u00e4lt. Mir ist aus diesem Grunde die LoTZEsche Theorie der optischen Lokalisation nie gen\u00fcgend erschienen. Bez\u00fcglich der Schallokalisation war es indessen bisher ungewifs, wie die Thatsachen in dieser Hinsicht eigentlich l\u00e4gen, und es erschien deswegen von einigem Interesse, Versuche \u00fcber die gleichzeitige Lokalisation zweier Schallreize anzustellen. Ich gestehe, dafs ich mit wenig Vertrauen an diese Versuche heranging; denn zwei Beobachtungen gewisser Art gleichzeitig zu machen, mufs tinter allen Umst\u00e4nden schwierig und im Ergebnis unsicherer sein, als eine einzelne. Hiernach schien zu bef\u00fcrchten, dafs, selbst wenn der ganze Mechanismus der Lokalisation derart w\u00e4re, dafs auch die Erkennung zweier Bichtungen gleichzeitig dadurch nicht ausgeschlossen w\u00fcrde, doch praktisch diese sich unausf\u00fchrbar erweisen m\u00f6chte. Ein negatives Besultat h\u00e4tte also in keiner Bichtung etwas beweisen k\u00f6nnen. Die Versuche ergaben indessen durchaus nicht die Unm\u00f6glichkeit einer doppelten Lokalisation. Es mufste bei denselben nat\u00fcrlich auf strenge Gleichzeitigkeit der zwei zu unterscheidenden Schallreize geachtet werden. Ich verfuhr deswegen zun\u00e4chst so, dafs mittels eines Gabelrohrs und Gummischl\u00e4uchen zwei Pfeifen gleichzeitig angeblasen wurden ; klingt die eine zu laut, so kann man leicht den zu ihr f\u00fchrenden Schlauch ein wenig zuklemmen und so die erforderliche Gleichheit der St\u00e4rke hersteilen. Bl\u00e4st man nun die Pfeifen in solcher Stellung an, dafs die eine rechts, die andere links von der Medianebene des Beobachters sich befindet, so ist der Erfolg allerdings zun\u00e4chst meist verwirrend; es werden die T\u00f6ne nach rechts und links lokalisiert, es scheint aber nicht sicher, welcher Ton rechts und welcher links klingt. Nach kurzer Ein\u00fcbung aber gelingt dies ganz gut, namentlich wenn man die T\u00f6ne von recht unglei\u00e7her H\u00f6he","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nv. Kries.\nnn rl dissonierend w\u00e4hlt. Noch leichter und sicherer fand ich die Unterscheidung, wenn nur auf der einen Seite eine Pfeife angewandt, das andere Ende des Schlauches aber stark verengert und auf diese Weise durch die herausstr\u00f6mende Luft ein zischendes Ger\u00e4usch hervorgebracht wurde. Es wird alsdann, wie ich mich an mehreren Beobachtern in zahlreichen Versuchen \u00fcberzeugte, mit Leichtigkeit und Sicherheit Ton und Ger\u00e4usch, jedes an seinem richtigen Platz geh\u00f6rt. Um sich vor Irrt\u00fcmern zu sch\u00fctzen, ist es \u00fcbrigens notwendig, bei den Versuchen auch solche F\u00e4lle einzuschalten, in denen Ger\u00e4usch und Ton an derselben Stelle gegeben werden, da sonst der Verdacht entstehen k\u00f6nnte, es w\u00fcrde nur eine der beiden Schallarten, etwa als st\u00e4rkere, richtig lokalisiert, und der anderen nur gem\u00e4fs der zum voraus bekannten Einrichtung der Versuche der entgegengesetzte Ort zugeschrieben. \u2014 Bez\u00fcglich der Rechts-Links-Lokali-sation ist also die gleichzeitige richtige Wahrnehmung zweier verschiedener Scha 11 richtungen in der Weise m\u00f6glich, dafs jede Schallart in ihrer wahren Richtung geh\u00f6rt wird. Soviel ich sehe, wird auch derjenige, der die Annahmen M\u00fcnsterbergs adoptiert, zur Erkl\u00e4rung dieser Unterscheidungen doch auf die Vergleichung der Intensit\u00e4t jedes Schalles in den beiden Ohren rekurrieren m\u00fcssen.\nEs ist nach jeder Theorie begreiflich, dafs der gleiche Versuch bez\u00fcglich der an sich viel weniger sicheren Medianlokalisation weniger schlagend ausf\u00e4llt. Gleichwohl findet man auch, wenn Ton hinten und Ger\u00e4usch vorn erklingt oder umgekehrt, wenigstens im allgemeinen die M\u00f6glichkeit einer doppelten Richtungswahrnehmung. In einer mit Herrn J. ausgef\u00fchrten Versuchsreihe wurden beide Schalle dann richtig lokalisiert, wenn sie beide vorn oder beide hinten erzeugt wurden, ebenso auch, wenn der Ton hinten und das Ger\u00e4usch vorn erzeugt wurde; regelm\u00e4fsig wurde dagegen f\u00e4lschlich sowohl Ger\u00e4usch als Ton nach hinten verlegt, wenn in Wirklichkeit nur das erste hinten, die Pfeife aber vorn sich befand. Die Lokalisation des Pfeifentones f\u00fcr sich allein war zwar bez\u00fcglich vorn und hinten auch nicht ganz sicher, doch wurden hier selten Fehler gemacht. Kein Zweifel also, dafs das von hinten klingende Ger\u00e4usch die Lokalisation des vorn erzeugten Tones beeintr\u00e4chtigt. Bei der entgegengesetzten Anordnung aber wurde doch mit voller Sicherheit der eine Schall nach vorn, der","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Erkennen der Schallrichtung.\n251\nandere nach hinten, der Wirklichkeit entsprechend verlegt; die M\u00f6glichkeit einer doppelten Richtungswahrnehmung besteht also jedenfalls auch, und auch hier scheint es kaum, dafs die beiden geh\u00f6rten Schallarten sozusagen ganz zuf\u00e4llig in die beiden wahrgenommenen Richtungen verteilt w\u00fcrden. Herr Baader, der bez\u00fcglich der Medianlokalisation \u00fcberhaupt weniger sicher war, h\u00f6rte meist die beiden Schalle an der gleichen Stelle und zwar da, wo in Wirklichkeit das Ger\u00e4usch war. Doch wurden nicht selten auch beide Richtungen wahrgenommen, zuweilen jeder Schall an richtiger Stelle, zuweilen auch vertauscht.\nDie mitgeteilten Beobachtungen pr\u00e4tendieren nat\u00fcrlich durchaus nicht, den Gegenstand ersch\u00f6pfend aufzukl\u00e4ren; doch d\u00fcrften sie gen\u00fcgen um zu zeigen, dafs auch ein weiteres Studium der Doppel-Lokalisationen und der dabei auftretenden Verwechselungen von einigem Interesse und f\u00fcr die Theorie der Lokalisation von Bedeutung sein w\u00fcrde.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie.\n17","page":251}],"identifier":"lit14198","issued":"1890","language":"de","pages":"235-251","startpages":"235","title":"\u00dcber das Erkennen der Schallrichtung","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:14:10.225736+00:00"}