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{"created":"2022-01-31T16:18:13.072680+00:00","id":"lit14202","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schaefer, Karl L.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 300-309","fulltext":[{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"Zur interaurealen Lokalisation diotischer W ahrnelimimgen.\nVon\nKarl L. Schaefer in Jena.\nBei den Untersuchungen \u00fcber die Wahrnehmung und Lokalisation von Schwebungen und Differenzt\u00f6nen1 wurde konstatiert, dafs der scheinbare Ausgangspunkt der Schwebungen zweier T\u00f6ne zwischen die Tonquellen (Stimmgabeln) verlegt wird, aber um so n\u00e4her der lauteren, je gr\u00f6fser die Intensit\u00e4tsdifferenz. Dem-gem\u00e4fs wird der Ursprungsort zwischen den Ohren gesucht, wenn die Prim\u00e4rt\u00f6ne in gleicher St\u00e4rke, der eine dem rechten, der andere dem linken Ohre zugeleitet werden. Bei eingehenderer Pr\u00fcfung ergab sich aber die Lokalisation bei solcher Verteilung der Gabeln auf beide Ohren als sehr unbestimmt und wechselnd. Zum Teil h\u00f6rt man n\u00e4mlich die St\u00f6fse genau in der Medianebene und zwar bald im Innern des Kopfes, bald in gr\u00f6fserer Entfernung vor oder \u00fcber sich, in anderen F\u00e4llen treten sie zugleich median und in den Ohren selbst auf oder scheinen wohl auch oberhalb des Kopfes aus einer durch die Mittelpunkte der Geh\u00f6reing\u00e4nge gehend gedachten Vertikalebene zu entspringen. Es d\u00fcrfte nicht unwichtig sein, die Bedingungen und Ursachen dieser Verschiedenheit der Versuchsresultate aufzudecken.\nSilvanus P. Thompson2 hat \u00fcber die interaureale Lokalisation, offenbar ganz unabh\u00e4ngig von den viel fr\u00fcheren Angaben Purkyn\u00e9s3, sehr genaue Erhebungen angestellt, allerdings ohne\n1\tJahrgang I, Heft 2 dieser Zeitschrift. S. 81 ff.\n2\tPhenomena of Binaural Audition, II. Philosoph. Magaz. Serie V. No. 38, S. 383 ff.\n3\tReferat dar\u00fcber in der \u201ePrager Vierteljahrsschrift\u201c, 1860, Bd. 3, S. 94.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Zur interaurealen Lokalisation cliotischer Wahrnehmungen.\n301\nden interessanten Ergebnissen derselben eine Erkl\u00e4rung hinzu-zuf\u00fcgen. Er fand zun\u00e4chst, dafs, wenn man zwei Telephone, deren Platten Schwingungen von gleicher Frequenz und Amplitude ausf\u00fchren, fest an die Ohren dr\u00fcckt, nur eine akustische Wahrnehmung und zwar median im Hinterkopfe gemacht wird. Dazu m\u00fcsse jedoch noch die dritte Bedingung erf\u00fcllt sein, dafs n\u00e4mlich die Platten immer gleichzeitig sich dem Kopfe n\u00e4hern resp. von ihm entfernen, also stets in entgegengesetztem Sinne schwingen. Dafselbe ergab sich dann f\u00fcr Stimmgabelt\u00f6ne, wenn ein solcher beiden Ohren in gleicher Intensit\u00e4t und so zugef\u00fchrt wurde, dafs die Maxima der Verdichtungen und ebenso die der Verd\u00fcnnungen rechts und links immer genau gleichzeitig eintrafen. Urbantschitsch1 best\u00e4tigte letzteren Befund an einer gr\u00f6fseren Anzahl Personen und f\u00fcgte die Thatsache hinzu, dafs f\u00fcr verschiedene Individuen und Tonh\u00f6hen auch die Lokalisation gewissen Schwankungen unterworfen ist, indem der wahrgenommene Ton nicht ausschliefslich in das Hinterhaupt, sondern auch in die Stirn oder an einen Punkt zwischen beiden verlegt wird, ja zuweilen gar nicht median, sondern an zwei symmetrischen Stellen rechts und links von der Mittelebene auftritt.\nDafs wir f\u00fcr zwei gleichzeitig beide Geh\u00f6rapparate treffende quantitativ und qualitativ gleiche Eindr\u00fccke einen einzigen Ursprungsort in der Medianebene annehmen, ist eine einfache Konsequenz der allt\u00e4glichen Erfahrung, dafs mediane Aufstellung einer Schallquelle und gleiche Intensit\u00e4t der beiderseitigen Wahrnehmung sich gegenseitig bedingen. Auffallend aber ist die endocephale Lokalisation, die sich in den meisten F\u00e4llen dem Beobachter trotz des doch bestehenden Bewufst-seins grober akustischer T\u00e4uschung unwiderstehlich aufdr\u00e4ngt. Bei gr\u00fcndlicherem Eingehen auf diese Verh\u00e4ltnisse stellt sich indessen doch heraus, dafs man nur unter einer ganz bestimmten Bedingung gewissermafsen gezwungen von der Verlegung des akustischen Bildes in die mediane Umgebung des Kopfes Abstand nimmt, um dafselbe intrakraniell zu lokalisieren.\nGehen wir von dem urspr\u00fcnglichen Telephonversuche Thompsons aus. Ich pflege mich zu seiner Anstellung des\n1 Zur Lehre von der Schallempfindung. Pfl\u00fcgers Archiv, Bd. 24, S. 579 fi.\n20*","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nKarl L. Schaefer.\nDoppelinduktoriums von Preyer1 zu bedienen, einer Modifikation des Du-Boisschen Schlittens, welche in sinnreicher und einfacher Weise es erm\u00f6glicht, mittelst einer und derselben prim\u00e4ren Spirale gleichzeitig durch zwei sekund\u00e4re, mit deren jeder ein Telephon in Verbindung steht, Induktionsstr\u00f6me zu senden. Durch Verschieben der sekund\u00e4ren Pollen hat man es jederzeit in der Hand die Intensit\u00e4t der Telephonger\u00e4usche beliebig zu variieren. Leistet man nun den oben2 bereits erw\u00e4hnten Versuchsbedingungen Gen\u00fcge und dr\u00fcckt die Telephone fest an die Ohren, so wird also, wenn beiderseits gleiche H\u00f6rsch\u00e4rfe besteht \u2014 umgekehrt kann dies Experiment zu vergleichenden Messungen derselben benutzt werden \u2014 das intermittierende Knacken in der Mitte des Hinterhauptes vernommen. AVird durch Ann\u00e4hern seiner Polle an die prim\u00e4re Spirale eines der Telephone zu lauterem T\u00f6nen gebracht, dann n\u00e4hert sich das akustische Bild die Medianebene verlassend dem entsprechenden Ohre, und so kann der Beobachter dasselbe durch \u00c4nderungen der Rollenabst\u00e4nde im Kopfe hin- und herwandern lassen. W\u00e4hrend nun diese Resultate Thompsons auch von unbefangenen Beobachtern schon bei den ersten Versuchen mit grofser Leichtigkeit und Bestimmtheit best\u00e4tigt zu werden pflegen, verliert die eigent\u00fcmliche Erscheinung eines endocephalen Ger\u00e4usches sofort ihre charakteristische Deutlichkeit, wenn man die Telephone weiter vom Kopfe entfernt. Dann bleibt zwar der scheinbare Ursprungsort des Passeins median, aber er ist nicht mehr wie vorher scharf zu umgrenzen; es besteht mindestens ebenso grofse Geneigtheit, ihn aufser-halb des Kopfes wie innerhalb zu suchen ; und l\u00e4fst man das Ger\u00e4usch jetzt von Ohr zu Ohr wandern, so geschieht dies nunmehr deutlich aufserhalb des Kopfes, also um diesen herum.\nMan k\u00f6nnte a priori versucht sein, das urs\u00e4chliche Moment hierf\u00fcr in der Verringerung der Intensit\u00e4t, welche durch das Entfernen der Telephone vom Kopfe gesetzt wird, zu vermuten. Allein man \u00fcberzeugt sich leicht, dafs das Gesagte auch bei sehr grofser Intensit\u00e4t seine Giltigkeit beh\u00e4lt, w\u00e4hrend andererseits, sobald die Telephone den Ohren fest anliegen,\n1\tZeitschrift f\u00fcr Imtrumentenkunde, Jahrgang IV, Januar 1884.\n2\tS. 265 Absatz 2.","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Zur interaurealen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen.\n303\ndas Geknatter, auch wenn es fast bis zur Grenze der Wahrnehmbarkeit abgeschw\u00e4cht wird, immer gleich deutlich im Innern des Sch\u00e4dels bleibt.\nDaraus geht also offenbar hervor, dafs die Sch\u00e4tzung des Abstandes der wahren Schallquellen von den Ohren eine wesentliche Rolle bei der medianen Lokalisation spielt. In der That l\u00e4fst sich durch eine Reihe einfacher Versuche zeigen, dafs je n\u00e4her die Schallquellen einzeln vernommen gesch\u00e4tzt werden, um so n\u00e4her dem Kopfe auch bei ihrem Zusammenwirken das median auftretende akustische Bild lokalisiert wird, und dafs dafselbe dann im Sch\u00e4del selbst erscheint, wenn man jede der Schallquellen, f\u00fcr sich beobachtet, direkt im Ohre ihrer Seite h\u00f6rt. Setzt man beispielsweise eine maximal laut t\u00f6nende Stimmgabel auf die Mitte eines Kautschuckschlauches, dessen eines Ende fest in ein Ohr, sagen wir in das rechte, eingef\u00fcgt wird, so wird der sehr starke Ton unmittelbar im rechten \u00e4ufseren Geh\u00f6rgang vernommen. Armiert man dann auch das linke Ohr mit dem anderen Schlauchende, so tritt alsbald mediane und zwar intrakranielle Lokalisation ein, die noch pr\u00e4ciser wird, wenn man die Gabel wiederholt abhebt und gleich nachher fest wieder auf den Schlauch setzt. Verf\u00e4hrt man hierauf ganz analog mit einer m\u00f6glichst leise t\u00f6nenden Gabel, so wird im ersten Teil des Versuches der Ton deutlich aufserhalb des Ohres in schwer genauer zu bestimmender Entfernung vor demselben geh\u00f6rt und ebenso aufserhalb des Kopfes, nachdem auch das andere Ohr in Verbindung mit dem Schlauche gebracht ist. Dasselbe Verhalten zeigen \u00fcbrigens Schwebungen, falls solche statt eines einfachen Tones in Anwendung kommen, indem beide Gabeln dicht nebeneinander auf die Schlauchmitte placiert werden.\nEine Variation der beschriebenen Versuchsanordnung besteht nun darin, dafs eine Schallquelle vor einen Trichter gebracht wird, der durch einen gleichschenklig gegabelten Schlauch mit beiden Ohren in Kommunikation steht. Ich habe in dieser Weise folgendes recht instruktive Experiment anstellen k\u00f6nnen. Es ward ein BELLsches Telephon mit der sekund\u00e4ren Spirale eines Du-Boisschen Schlitteninduktoriums verbunden, bei grofsem Rollenabstand in Th\u00e4tigkeit gesetzt und in n\u00e4chste N\u00e4he des Trichters gebracht. Darauf wurden die Ohren mit den Schl\u00e4uchen armiert und unter langsamem Ann\u00e4hern der","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nKarl L. Schaefer.\nRolle an die Prim\u00e4rspirale das Verhalten der Lokalisation beobachtet. Es liefs sich so in zahlreichen Versuchen an anderen und an mir feststellen, dafs der mediane scheinbare Ursprungsort des Rasseins proportional der Verringerung des Rollenabstandes sich dem Kopfe n\u00e4hert, dann in denselben f\u00f6rmlich hineinkriecht, und schliefslich mehr oder weniger genau zwischen den Ohren Halt macht. Wird dann ein Schlauchende zugedr\u00fcckt, so tritt sofort das Ger\u00e4usch im Geh\u00f6rgang der entgegengesetzten Seite auf. Es wandert aus diesen in den Raum hinaus, wenn der Rollenahstand langsam vergr\u00f6fsert wird, und wird nun der zusammengepresste Schlauch wieder frei gegeben, so findet auch wieder extrakranielle Lokalisation statt. Von dem Augenblicke an, wo das akustische Bild den Kopf verl\u00e4fst, ist eine genauere Bestimmung seines Ortes innerhalb der Medianebene gew\u00f6hnlich \u00fcberhaupt unm\u00f6glich oder es werden wenigstens arge Irrt\u00fcmer begangen. Nur solange ich allein experimentierend den Ort des Telephons \u2014 vor mir auf dem Tische \u2014 kannte, machte ich beim Hin- und Herschieben der Rolle deutlich die Wahrnehmung, wie das Rasseln von aufsen durch die Nasenwurzel in den Sch\u00e4del hinein vordrang oder denselben auf dem n\u00e4mlichen Wege verliefs.\nDen Ton einer median auf den Scheitel gesetzten Gabel h\u00f6rt man median \u00fcber der Ansatzstelle. Wird aber ein Ohr fest verschlossen, so springt er in dieses hinein. Dieser bekannte WEBERsche Versuch gelingt stets besonders gut, wenn die Gabel sehr laut t\u00f6nt. Ist aber das Gegenteil der Fall, s\u00f6 verl\u00e4fst der Ton zwar auch die Medianebene in der Richtung auf den verschlossenen Geh\u00f6reingang zu, ist aber nicht recht genau zu lokalisieren, und vor allem hat man nicht den Eindruck, als entspr\u00e4nge er im Ohre selbst. Diese Thatsache bietet eine weitere Handhabe zur Best\u00e4tigung der vorliegenden These. Verschliefst n\u00e4mlich der Beobachter beide Ohren und setzt eine laute Gabel fest auf die angegebene Stelle, so erf\u00fcllt der Ton den ganzen intrakraniellen Teil der Medianebene, um sofort aus dem Kopfe in den Raum oberhalb des selben \u00fcberzutreten, sowie der Gabelstiel gelockert wird. Durch rasch alternierendes, loseres und festeres Andr\u00fccken kann man sich auch hier am besten von dem Lokalisations-wechsel \u00fcberf\u00fchren. Es entspricht also auch in diesem Falle die intrakranielle Lokalisation diotischer Wahrnehmungen","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Zur inieraurealen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen.\n305\nder intraaurealen monotisclier, die extrakranielle der extra-aurealen.1\n\"Wenn bei dem Doppelinduktoriumversuche ein Telephon fest an ein Ohr gedr\u00fcckt und das zweite dem anderen Ohr ans gr\u00f6fserer Entfernung m\u00e4fsig rasch gen\u00e4hert wird, so findet sich,2 dafs der Ton des ersteren sich zun\u00e4chst erheblich verst\u00e4rkt, ohne aber, wie wohl theoretisch zu erwarten w\u00e4re, gleichzeitig einen Ortswechsel gegen die Medianebene hin zu beginnen. Erst wenn die Ann\u00e4herung an das zweite Ohr sehr erheblich fortgeschritten, scheint der Ton in das Innere des Kopfes einzudringen. Es ist wirklich auch bei grofser \u00dcbung und Aufmerksamkeit so gut wie unm\u00f6glich, zugleich mit der Verst\u00e4rkungauch den Eintritt einer Platz\u00e4nderung des Ger\u00e4usches zu beobachten. Dies gelingt aber sofort, wenn man in dem Augenblicke, wo der Intensit\u00e4tszuwachs ganz deutlich geworden ist, das bewegte Telephon pl\u00f6tzlich zum Schweigen bringt. Man hat in diesem Moment ausdr\u00fccklich die Empfindung, dafs das Ger\u00e4usch von einer der Medianebene n\u00e4her gelegenen Stelle in das Ohr zur\u00fcckspringt. Das N\u00e4mliche gilt von dem Ton unisoner und auch von den Schwebungen verstimmter, auf beide Ohren verteilter Gabeln.\nBei rein monotischen Wahrnehmungen gelingt es bekanntlich im Gegensatz hierzu auch unter gr\u00f6fstm\u00f6glicher Ann\u00e4herung und Intensit\u00e4tsSteigerung nie, den Schalleindruck der Medianebene n\u00e4her als bis h\u00f6chstens in den \u00e4ufseren Geh\u00f6rgang zu bringen. H\u00e4lt man diese beiden Befunde vergleichend zusammen, so folgt daraus das psychophysiologisch bedeutungsvolle Ergebnis, dafs, trotzdem bei quantitativ gleicher aber verschieden starker diotischer Erregung das schw\u00e4cher afficierte Ohr ebenso \u201ephysiologisch taub\u201c erscheint, wie bei alleiniger Erregung des anderen Geh\u00f6rorganes, das Sensorium dennoch sehr wohl dar\u00fcber unterrichtet ist, ob beide akustische Ner-\n1 Hierher geh\u00f6rt noch folgende Beobachtung, die sich mit Erfolg an mehreren Normalh\u00f6rigen anstellen liefs. Wird ein recht tiefes \u201eu\u201c laut gesungen, und dabei ein Ohr, aber nicht ganz fest, verschlossen, so r\u00fcckt das \u201eu\u201c aus dem Kehlkopf in das Ohr und von da in die Mittelebene des Sch\u00e4delinnern, wenn auch das zweite Ohr in gleicher Weise behandelt wird.\n* Vgl. Preyer: Die akumetrische Verwendung des Bellschen Telephons. Sitzgs-Ber. d. Jenaer Gesellsch. f. Mediz. u. Naturw. vom 21. II. 1879.","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nKarl L. Schaefer.\nvenapparate oder ausschliefslich einer an der Vermittelung der Perception beteiligt sind.\nImmerhin ist die Wahrnehmung vom Wechsel des Ortes bei weitem weniger pr\u00e4cise als die einer Intensit\u00e4ts\u00e4nderung. Ist das Doppelinduktorium f\u00fcr intrakraniell-mediane Lokalisation eingestellt, so darf die eine Telephonrolle um mehrere Centimeter weit verschoben werden, bevor das Ger\u00e4usch die Mittelebene zu verlassen anf\u00e4ngt. Wird indessen nun der Versuch abgebrochen und ohne vorherige Korrektur der bestehenden Ungleichheit des Rollenabstandes nach einer Pause wieder aufgenommen, so wird dann in den meisten F\u00e4llen den Verh\u00e4ltnissen richtig entsprechend extramedian lokalisiert. Darin best\u00e4tigt sich die schon bei fr\u00fcheren Gelegenheiten betonte Thatsache aufs neue, dafs momentane akustische Reize oder l\u00e4nger andauernde im ersten Augenblicke ihres Auftretens leichter und richtiger lokalisiert werden, als nach l\u00e4ngerer Beobachtung, was von der Erm\u00fcdung der Aufmerksamkeit, von Reflexionen, von Suggestion abh\u00e4ngig sein mag.\nFechner 1 hat zuerst gezeigt, dafs nicht nur der Ton zweier unisoner vor beide Ohren verteilter Gabeln ausschliefslich auf der Seite der lauteren geh\u00f6rt werde, sondern auch die Schwebungen derselben, welche entstehen, sobald die Gabel vor dem physiologisch tauben Ohre in nicht zu grofsen Exkursionen rhythmisch geschwungen wird. Auch er \u00fcbersah, dafs der Ton jedesmal w\u00e4hrend der Ann\u00e4herung sich, aufser dafs er st\u00e4rker wird, auch der Medianebene n\u00e4hert, und bemerkte dies erst, wenn die Elongationen der bewegten Gabel sehr ausgiebig wurden. In Proportion zu deren Wachsen wanderte der Ton bei der N\u00e4herung in die Medianebene und eventuell \u00fcber diese hinaus in das andere Ohr, gem\u00e4fs dem Prinzip von der Verlegung des Schalles nach der Seite der st\u00e4rkeren Erregung.\nVervollst\u00e4ndigt man die FechnerscIien Untersuchungen dahin, dafs beide Gabeln gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden, so l\u00e4fst sich folgendes eruieren.\n1. Es sollen anfangs beide Gabeln in gleichem Abstande von der Medianebene vor den Ohren fixiert, ihr Ton also median lokalisiert sein. Beginnen nun beliebig rasche synchrone\n1 \u00dcber einige Verh\u00e4ltnisse des binokularen Sehens. Abhdlg. d. Sachs. Gesellsch. d. Witts. (Mathemat. Klasse V) Bd. 7. S. 543 ff.","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Zur interaurealen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen.\n307\nSchwingungen von beiderseits gleicher Weite und in stets genau entgegengesetztem Sinne, so kommen mediane Schwebungen zu Geh\u00f6r.\n2.\tWerden aber beide Gabeln immer a tempo nach rechts oder links verschoben, also gleichsinnig, so wandert der Ton von Ohr zu Ohr, solange die Schwingungen in geringer Frequenz geschehen.1\n3.\tWerden sie hingegen m\u00f6glichst rasch vollf\u00fchrt, so haben die Schwebungen (und zwar ausschliefslich) in den beiden Ohren ihren Sitz.\nDer erste \"Versuch entspricht genau dem Doppeltelephonversuche Thompsons. Die beiden anderen enthalten die bisher noch ausstehende Erkl\u00e4rung f\u00fcr dessen zweite Entdeckung, dafs n\u00e4mlich das mediane Ger\u00e4usch aus der Mittelebene in beide Ohren verlegt wird, wenn die Telephonplatten gleichsinnig schwingen, die eine sich also dem Kopfe n\u00e4hert, w\u00e4hrend die andere zur\u00fcckgeht. Dafs wir in Versuch 2 den Ton von Ohr zu Ohr durch die Medianebene wandern h\u00f6ren, ist wiederum, wie kaum mehr erw\u00e4hnt zu werden braucht, in dem Prinzip der Schallverlegung nach der Seite st\u00e4rkerer Intensit\u00e4t begr\u00fcndet. Geschieht nun dieser Wechsel, wie in Fall 3, zu schnell, als dafs wir seine einzelnen Phasen noch verfolgen k\u00f6nnten, so nehmen wir nur noch die beiden Endlagen des hin- und herwandemden Tones wahr. Diese Erscheinung d\u00fcrfte als akustisches Analogon zu jener optischen aufzufassen sein, welche zum Beispiel ein rasch genug schwingender, an einem Ende festgeklemmter, d\u00fcnner Metallstab darbietet. Auch diesen sieht man scheinbar in seinen Endlagen fixiert ruhend, w\u00e4hrend zwischen diesen Endlagen nichts als h\u00f6chstens ein schattenhaftes Flimmern wahrzunehmen ist. Die obige \u00dcberlegung mufs nun auch f\u00fcr die gleichsinnig schwingenden Telephonplatten g\u00fcltig sein, denn auch bei deren Benutzung springt die gr\u00f6fsere Intensit\u00e4t in raschem Wechsel von Ohr zu Ohr. Das Bestehen einer Intensit\u00e4tsdifferenz aber ergibt sich daraus, dafs das Ger\u00e4usch, welches beim Angezogenwerden der Platte durch den Magneten auftritt, sich quantitativ merklich unterscheidet von dem beim Loslassen entstehenden, wie man leicht\n1 Denselben Effekt erzielt \u00fcbrigens die Aufstellung sehr wenig verstimmter und also ganz langsam schwebender Gabeln rechts und links vorm Ohre.","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nKarl L. Schaefer.\ndurch abwechselndes Schliefsen und \u00d6ffnen eines durch das Telephon geschickten konstanten Stromes findet.\nAufserdem sind aber auch \u00d6ffnungs- und Schliefsungs-ticken, wenigstens bei den zur vorliegenden Untersuchung benutzten Instrumenten, qualitativ verschieden \u2014 und dies ist ein weiteres Moment, das wohl geeignet ist, getrennte Lokalisation in beiden Ohren zu veranlassen. Man darf diese Folgerung aus den klassischen Taschenuhrversuchen E. H. Webers herleiten, in denen gezeigt worden ist, dafs zwei in verschiedenem Takte schlagende Uhren, monotisch vernommen, den Eindruck des Zusammenklanges in rhythmischen Perioden machen, w\u00e4hrend bei diotischer Verteilung solche Kombination nie stattfindet. Daraus und aus leicht anzustellenden \u00e4hnlichen Versuchen geht die grofse Unterschiedsempfindlichkeit gegen\u00fcber getrennt diotischen Schalleindr\u00fccken von qualitativer Verschiedenheit hervor.\nEben diese Unterschiedsempfindlichkeit gibt nun auch Aufkl\u00e4rung dar\u00fcber, in welchen F\u00e4llen Schwebungen statt in der Medianebene in beiden Geh\u00f6rg\u00e4ngen geh\u00f6rt werden. Verbindet man einen Trichter durch einen gegabelten Schlauch mit den Ohren, bringt ein schwebendes Gabelpaar vor seine Schall\u00f6ffnung und n\u00e4hert derselben dann abwechselnd die tiefere und die h\u00f6here, so nehmen entsprechend die Schwebungen einmal einen tieferen, das andere Mal einen h\u00f6heren Charakter an. Dies richtet sich also nach der jedesmal lauteren Gabel. Gesetzt nun, es werden die Gabeln, gleich laut t\u00f6nend, in gleichem Abstande vor je ein Ohr gehalten, etwa links die h\u00f6here, rechts die tiefere, dann erregt der h\u00f6here Ton entweder auf dem Wege der Luft- oder der Knochenleitung von links kommend auch das rechte Ohr, aber durch den Leitungswiderstand abgeschw\u00e4cht weniger stark als der tiefe. Ebenso \u00fcberwiegt links der h\u00f6here Ton an Intensit\u00e4t. Daher werden die Schwebungen links h\u00f6her, rechts tiefer, also auf beiden Seiten qualitativ etwas verschieden wahrgenommen werden. Dieser Unterschied mufs nun um so merklicher werden, je mehr die Differenz der Schwingungszahlen zunimmt, und in der That lehrt die Beobachtung, dafs es viel leichter gelingt, die Schwebungen eines Gabelpaares mit vier St\u00f6fsen (etwa 512 und 516) in die Medianebene zu verlegen \u2014 wie dies doch die doppelseitige Wahrnehmung von Schwebungen in gleicher","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Zur interaurealen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen.\n309\nFrequenz und Intensit\u00e4t erfordert \u2014, als wenn die Differenz der Schwingungszalilen z. B. 22 betr\u00e4gt, wie bei den T\u00f6nen 494 und 516.\nFindet Lokalisation der Schwebungen in die Medianebene entweder rein oder zusammen mit einer Verlegung in die Ohren statt, so sind f\u00fcr die weitere genauere Bestimmung der Lage und Entfernung des scheinbaren Ursprungsortes die im ersten Abschnitt dieser Untersuchung aufgestellten Gesichtspunkte mafsgebend.","page":309}],"identifier":"lit14202","issued":"1890","language":"de","pages":"300-309","startpages":"300","title":"Zur interaurealen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:18:13.072685+00:00"}