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{"created":"2022-01-31T16:20:23.755984+00:00","id":"lit14237","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Edinger, L.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 496-503","fulltext":[{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\nU. Edinger. Bericht \u00fcber die Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie des Centralnervensystemes im Jahre 1889. Schmidts Jahrb. der ges. Medizin, Bd. 228, S. 73\u2014103. (Selbstanzeige.)\nIch gebe im Folgenden (einer Aufforderung der Redaktion folgend) einen kurzen Auszug aus meinem soeben erschienenen f\u00fcnften Jahresbericht, in dem ich keineswegs auf alles einzugehen, sondern nur auf einige wichtigere und namentlich allgemein interessierende Arbeiten kurz aufmerksam zu machen beabsichtige.\nNoch vor wenig Jahren bildeten die Arbeiten, welche sich mit der feineren Anatomie der nerv\u00f6sen Centralorgane besch\u00e4ftigten, nur einen verschwindenden Bruchteil in der anatomischen Litteratur. Es hat sich aber nicht nur das Interesse an den Fragen, die hier aufgeworfen werden, wesentlich gesteigert, sondern es sind auch neue Methoden denen zu Hilfe gekommen, welche hier voranarbeiten wollten. So sind denn die letzten Jahre immer reicher an Beitr\u00e4gen zur Anatomie des Gehirnes und R\u00fcckenmarkes geworden, und es hat die Zahl der 1889 erschienenen Schriften die Ziffer 127 erreicht.\nIm allgemeinen werden die \u00e4lteren Methoden der rein anatomischen Untersuchung ausgebildeter menschlicher Gehirne mehr und mehr verlassen und man bem\u00fcht sich auf Umwegen zur Erkl\u00e4rung der dort vorhandenen, noch unbekannten Anordnungen zu kommen. Fr\u00fche Entwickelungsstadien, einfachere Gehirne niederer Tierformen , auch Gehirne, an denen durch Erhrankung oder k\u00fcnstlich gesetzte Verletzung ein oder der andere Faserzug degeneriert und dadurch deutlicher erkennbar geworden ist, bilden im wesentlichen das Material der Untersuchung, soweit die Erkenntnis des Faserverlaufes angestrebt wird. Die eigentliche Histologie der nerv\u00f6sen Centralorgane ist in den letzten Jahren sehr wenig gef\u00f6rdert worden. Erst in der neuesten Zeit hat auch hier die Entdeckung neuer technischer Methoden wieder die Arbeiter angezogen, und es scheint sich gerade auf diesem Gebiete eine wichtige Umw\u00e4lzung vorzubereiten. Schon jetzt haben unsere Anschauungen von der Art, wie ein Nerv central entspringt, in wesentlichen Dingen eine Erweiterung und eine Umgestaltung erfahren.\nDie Erkenntnis, wie weit wir in diesen Dingen noch zur\u00fcck sind, verbreitet sich immer mehr und sie hat zur Folge, dafs wir mehr und mehr mit \u201eumfassenden Theorien\u201c zur Erkl\u00e4rung des \u201eGanzen\u201c verschont","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n497\nbleiben. Fleifsige Einzelarbeit, ein Yorw\u00e4rtsstreben auf allen offenen Wegen, der Versuch neue Wege zu erschliefsen, charakterisieren die augenblickliche Arbeit auf dem Gebiete der Hirnanatomie.\nVon Arbeiten, die das Ganze betreffen, w\u00e4re wesentlich ein Aufsatz von Gaskell in Brain, Bd. 12 (1889), zu erw\u00e4hnen. G. ist \u00fcberzeugt, dafs das kompakte Gehirn der Wirbeltiere sich ohne grofse Schwierigkeit von dem in einzelne Ganglienknoten gegliederten der Wirbellosen ableiten l\u00e4fst. Die bisher in dieser Biehtung unternommenen Versuche haben alle einer kritischen Pr\u00fcfung nicht Stand gehalten und sind vergessen. Bekanntlich liegt das Bauchmark der Gliedertiere ventral von dem Darme, und nur am Mundpole umfassen von ihm ausgehende Str\u00e4nge und Ganglien den \u00d6sophagus. Bei den Wirbeltieren liegt aber das Centralnervensystem dorsal vom Darmapparate. Gaskell stellt nun die Hypothese auf, dafs der centrale Hohlraum, welcher sich durch das ganze Gehirn und B\u00fcckenmark hindurch bei den Vertebraten nachweisen l\u00e4fst, eben jener alte Darm der Gliedertiere sei, den das Nervensystem umwachsen habe. Bei den Wirbeltieren h\u00e4tte sich dann ventral ein neuer Darm ausgebildet. Er f\u00fchrt diesen Gedanken dann aus, indem er den Darmkanal der Krebse speciell zum V ergleiche heranzieht. Der Centralkanal des B\u00fcckenmarkes, welcher bei den fr\u00fchen Stadien der Wirbeltierembryonen als Canalis neurentericus in den wirklichen Darmkanal m\u00fcndet, entspricht dem langgestreckten Darme der Krebse, die Ventrikel des Gehirnes und ihre Bedachung durch den Plexus choroideus entsprechen dem grofsen Kopfmagen dieser Tiere. Im Infundibulum wird der \u00d6sophagus gefunden. Seine Ausbuchtungen, Saccus vasculosus, sind noch heute nicht von Nervenmasse umgeben. Ausgehend von dieser Auffassung, sucht G. verschiedene Teile des Vertebratengehirnes als Beste von Teilen des alten \u201eKopfmagens\u201c zu erkl\u00e4ren. Seine Begr\u00fcndung ist teils eine morphologische, teils versucht er auch das Wenige, was aus der vergleichenden Physiologie des Gehirnes bekannt ist, zur Bekr\u00e4ftigung seiner Hypothese heranzuziehen.\nHis studiert bekanntlich seit Jahren an Wachsrekonstruktionen den Pormaufbau fr\u00fcher menschlicher Embryonen und hat im Laufe dieser Studien die anatomische Wissenschaft vielfach sehr bereichert. In einer umfassenden Arbeit \u00fcber die Eormentwickelung des menschlichen Vorderhirns vom Ende des ersten bis zum Beginn des dritten MonatsL schildert er in genauerer Weise, als es bisher m\u00f6glich war, die fr\u00fchen Formen des Gehirns. Von allgemein wichtigen Gesichtspunkten ist namentlich der Nachweis hervorzuheben, dafs die Betina des Auges sich aus der Grundplatte des Vorderhirns entwickelt, ganz der gleichen Hirnsubstanz, welche weiter hinten den motorischen Nervenkernen Ursprung giebt. Der Biechnerv ist nicht ein eigentlicher Gehirnteil, sondern seine Fasern wachsen aus einer getrennt vom Gehirn liegenden Platte, der Biechplatte, die in der Decke der Nasenh\u00f6hle liegt, hirnw\u00e4rts, treten dann in das Kopfgewebe ein und verbinden sich dort mit dem Biech-\n1 Abhandlungen der Kgl. s\u00e4chs. Oesellsch., No. 26, S. 275.","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"49B\nLitteraturberichl.\nganglion. Dieses Ganglion geht verh\u00e4ltnism\u00e4fsig sp\u00e4t die Verbindung mit dem Gehirn ein.\nEin \u00e4hnlicher sekund\u00e4rer Anschlufs eines Ganglions an das Hirn wird auch von His jun. im Bereich des Acustico-facialis-Gebietes geschildert.1 Auch hier steigt ein Zellkomplex zum Gehirn auf, der an dessen Oberfl\u00e4che Halt macht und erst sekund\u00e4r verklebt.\nEs ist schon in der Einleitung hervorgehoben worden, dafs auf histologischem Gebiete die letzte Zeit viele neue Kenntnisse gebracht hat. Den wesentlichen Anstofs gaben die Untersuchungen von Golgi und von Bela Haller in den Jahren 1885, 1886 und 1887. Durch diese ist sichergestellt worden, dafs es zweierlei Ursprungsarten von Nervenfasern giebt. Es k\u00f6nnen aus einer Ganglienzelle durch den Axencylinder direkte Nervenbahnen entspringen oder es verzweigt sich der Axencylinder, und aus dem Netz, das durch die Vereinigung mehrerer seiner Verzweigungen entsteht, k\u00f6nnen sich Nervenbahnen ableiten. Golgi hat das wesentlich durch Versilberung von Zellen des S\u00e4ugergehirns erkannt. Bela Haller untersucht seit Jahren das Centralnervensystem der Mollusken und der W\u00fcrmer, an dem, wie es scheint, diese Verh\u00e4ltnisse aufserordentlich klar zu erkennen sind. Er hat im letzten Jahre uns mit einer Arbeit \u00fcber das Oentralnervensystem h\u00f6herer W\u00fcrmer2 beschenkt. In dieser mit Tafeln reich ausgestatteten Schrift finden sich zahlreiche Beweise f\u00fcr den doppelten Ursprung der Nervenfasern. Die sogenannten paarigen Nerven des Regenwurms enthalten Fasern direkten und indirekten Ursprungs. Von beiden Arten stammen solche aus der gleichen, wie aus der gekreuzten Seite, aufserdem treten in jeden Nerven Fasern aus dem vor ihm und aus dem hinter ihm liegenden Bauchganglion; auch hier wieder gleichseitige und gekreuzte. Diese Verh\u00e4ltnisse sind, nach den Abbildungen zu urteilen, bei den W\u00fcrmern so aufserordentlich klar, dafs es Referent scheint, als seien hier zum ersten Mal alle centralen Beziehungen eines einzelnen Nerven aufgedeckt. Da alles darauf hinweist, dafs das Wesen des Nervenursprungs in der ganzen Tierreihe ein gleiches ist, so tritt an dieser Stelle die Wichtigkeit der HALLERSchen Untersuchungen besonders deutlich hervor.\nDie GoLGische Methode der Versilberung von Nervenzellen ist namentlich von Ramon y Cajal verbessert und von ihm und Koelliker weiter ge\u00fcbt worden. Sie hat f\u00fcr die Kenntnis der Kleinhirnrinde, ebenso wie f\u00fcr den Aufbau des R\u00fcckenmarkes vielfach Neues und Wichtiges gelehrt. Koelliker namentlich schliefst sich auf Grund seiner Untersuchungen der von Ramon y Cajal und His aufgestellten Annahme an, dafs wahrscheinlich an vielen Orten des Gehirns die Einwirkung der nerv\u00f6sen Elemente aufeinander nicht durch Kontinuit\u00e4t, sondern nur durch Aneinanderlagern statthabe. Man mufs nach diesen neuen Untersuchungen annehmen, dafs z. B. die sensiblen Wurzelfasern des R\u00fcckenmarkes nicht in Verbindung mit Zellen\n1\tArch. f. Anatomie u. Phys., anatom. Abt., 1889.\n2\tArbeiten aus dem zool. Institut der Univ. Wien, VII. Bd.","page":498},{"file":"p0499.txt","language":"de","ocr_de":"I\u00c2tteraturbericht.\n499\ntreten, sondern daft sie sich in feinste Pinsel aufl\u00f6sen, welche um die Zellen der Hinterh\u00f6rner herumliegen. Nat\u00fcrlich stehen viele Nervenfasern auch direkt mit Zellen in Verbindung; solche Zellen liegen in den Vorderh\u00f6mern f\u00fcr die vorderen Wurzeln, in den Spinalganglien, in der Binde des grofsen und kleinen Gehirns. His hat vor drei Jahren schon gezeigt, dafs die hinteren Wurzeln entwickelungsgeschichtlich gar nicht im B\u00fcckenmark entstehen, sondern dafs die Zellen der Spinalganglien Ausl\u00e4ufer entsenden, welche in das B\u00fcckenmark hineinwachsen. Die vorderen Wurzeln aber sind nach seinen Untersuchungen direkt als Ausl\u00e4ufer von B\u00fcckenmarkszellen anzus\u00e9hen. Im Laufe des letzten Jahres hat er seine Aufmerksamkeit der Gewebeentwickelung des E\u00fcckenmarks besonders zugewandt. Aus der betreffenden Arbeit1 geht hervor, dafs auf sehr fr\u00fcher Entwickelungsstufe die Markplatte des B\u00fcckenmarkes den Charakter eines einfach geschichteten Epithels hat. Zwischen den inneren Abschnitten der Epithelzellen liegen runde, zum grofsen Teil in Kernteilung b\u00e8griffene Zellen, die Keimzellen. Sp\u00e4ter wachsen aus diesen Keimzellen Forts\u00e4tze aus, welche zu Nervenfasern werden. Die Epithelzellen aber bilden sich unter Verschiebung ihrer Kerne und unter Ausscheidung einer geformten, fadenf\u00f6rmig sich anordnenden Substanz allm\u00e4hlich zum Markger\u00fcst um. Die Keimzellen lagern sich sp\u00e4ter in bestimmte Zonen des B\u00fcckenmarkes, innerhalb der L\u00fccken des Markger\u00fcstes. Da aus ihnen die Nervenzellen hervorgehen, nennt sie His Neuroblasten. Die Abk\u00f6mmlinge der Epithelzellen bezeichnet er als Spongioblasten. Wichtig erscheint, dafs alle centralenNervenzellen sich zun\u00e4chst nur nach einer Seite hin entwickeln; erst lange nach dem Auswachsen des Axencylinders kommt es zum Hervorsprossen von neuen Forts\u00e4tzen, welche sich unter Zunahme der Verzweigung in der Umgebung der Zellen ausbreiten. So sind die Grundelemente f\u00fcr die ersten Nervenfasern schon sehr fr\u00fchzeitig angelegt. Es scheint sogar, dafs diese Anlage eine definitive ist, dafs, wenn das Gehirn einmal ausgebildet ist, gar keine neuen Ganglienzellen mehr auftreten. Wenigstens hat Schiller* * im Nervus oculomotorius erwachsener Katzen ungef\u00e4hr ebensoviel Nervenfasern nachweisen k\u00f6nnen, als er in dem gleichen Nerven neugeborener Tiere fand. Forel, unter dessen Leitung die ScHiLLERSche Arbeit entstanden ist, meint, da auch jede Nervenfaser einer Zelle entspreche, so sei es sehr wahrscheinlich, dafs die Ganglienzellen so lange dauern, als das menschliche Leben. Alle Erfolge der GuDDENSchen Methode (Zerst\u00f6rung der Nervenkerne durch Ausreifsen der Fasern bei neugeborenen Tieren) zeigten, dafs eine Ganglienzelle, einmal zerst\u00f6rt, nie mehr ersetzt wird. Er hebt die Wichtigkeit dieser Auffassung f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der Ph\u00e4nomene des Ged\u00e4chtnisses hervor.\nDie Arbeiten, welche das Jahr 1889 \u00fcber das Vorderhirn gebracht hat, besch\u00e4ftigen sich alle mit den Furchen und Windungen desselben.\n1 W. His: Die Neuroblasten und deren Entstehung. Arch. f. Ahat. u. Phys., anat. Abt., 1889, S. 249 u. a. a O.\n* Conipt. rend. hebd. de VAcad. des Sciences de Paris, CIX, No. 11, S. 530, 1889.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie.\n33","page":499},{"file":"p0500.txt","language":"de","ocr_de":"500\nLitteraturbericht.\nWir haben durch Eberstaller1 eine ausf\u00fchrliche Beschreibung der Oberfl\u00e4che des menschlichen Stirnhirns und der dort vorkommenden Variationen erhalten. Cunningham2 * * hat die Intraparietalspalte in ihren Variationen studiert, und es haben uns Ziehen und K\u00fcckenthai.3 mit einem grofsen Werk beschenkt, welches vom Centralnervensystem der Waltiere handelt. Ziehen und K\u00fcckenthal geben hier auch eine genaue Stiidie \u00fcber die vergleichende Anatomie der Gehirnoberfl\u00e4che uud untersuchen, inwieweit Furchen und Windungen bei den einzelnen Tierarten untereinander verglichen werden k\u00f6nnen.\nAus den Arbeiten, welche sich mit der Anatomie des Zwischen-und Mittelhirnes besch\u00e4ftigen, sei namentlich eine ausf\u00fchrliche Studie von Monakow* erw\u00e4hnt. Monakow besch\u00e4ftigt sich schon seit Jahren mit den Degenerationsbildern, welche eintreten, wenn die optischen Cen-tren und Bahnen im Gehirn irgendwo eine Unterbrechung erfahren. Es liegt gerade f\u00fcr diesen Punkt schon ein recht betr\u00e4chtliches Material vor, das nicht zum wenigsten durch Monakows eigene Arbeiten geschaffen worden ist. \u00dcber dieses giebt er nun eine \u00dcbersicht. Seine Studien sind soweit zum Abschlufs gekommen, dafs er eine Art Schema zu geben vermag, in das sich alles Gefundene wohl einf\u00fcgt, ein Schema, das den Ursprung und die centralen Verbindungen des Sehnerven umfafst. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dafs er zu der Auffassung gekommen ist, dafs im Opticus zweierlei Nervenbahnen verlaufen, solche, die aus den Zellen der Retina stammen und sich in Anteilen des \u00e4ufseren Knieh\u00f6ckers pinself\u00f6rmig aufl\u00f6sen und solche, die aus Zellen des Vierh\u00fcgels stammen, um sich in der Retina pinself\u00f6rmig aufzul\u00f6sen. Diese Zellen des Vierh\u00fcgels sind wieder selbst von Pinseln umgeben, die aus Ganglienzellen der Hirnrinde des Occipitallappens stammen. Ebenso liegen im \u00e4ufseren Knieh\u00f6cker Zellen, die ihre Ausl\u00e4ufer mit den eben erw\u00e4hnten Fasern zusammen als Sehstrahlung zum Hinterhauptlappen senden, wo sie sich pinself\u00f6rmig aufl\u00f6sen. Zwischen den Pinseln und den Ganglienzellen, welche direkt Nervenfasern Ursprung geben, liegen wahrscheinlich noch Schaltzellen. Es geht also von jedem Opticuscentrum, Retina, Mittelhirn, Ganglien, Hirnrinde ein Fasersystem aus und in jedem endigt ein solches. So verlaufen in dem Sehnerven sowohl als in der Sehstrahlung parallel je zwei Fasersysteme, deren Richtung eine entgegengesetzte ist. Pr\u00e4parate vom Mittelhirn der V\u00f6gel, welche Ramon t Cajal5 auf dem Anatomenkongrefs demonstriert hat, lassen Bilder erkennen, welche v\u00f6llig in \u00dcbereinstimmung mit dem stehen, was Monakow aus seinen Degenerationspr\u00e4paraten geschlossen hat, \u2014 Mehrere Forscher haben sich mit dem Ursprung des Augenbewegungsnerven besch\u00e4ftigt und es haben Referent in seinem Lehrbuche und Perlia6 ausf\u00fchrliche Beschreibungen der dort vorliegenden Verh\u00e4ltnisse gegeben. Der Hauptkern besteht aus einer ganzen Gruppe\n1\tDas Stirnhirn. Wien u. Leipzig, 1890.\n2\tJourn. of Anat. etc., 1889. \u2014 3 Monographie. Jena, 1889.\n* Arch. f. Psychiatrie, Bd. 20, S. 714. \u2014 6 Anat. Anzeiger, 1889.\n6 Arch. f. Ophthalm., XXXV, S. 287.","page":500},{"file":"p0501.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturberich t.\n501\nbisher ungen\u00fcgend voneinander geschiedenen Kerne. Es hat sich auch herausgestellt, dafs, was fr\u00fcher schon Gulden behauptet hatte, ein Teil der Fasern des Oculomotorius auf der gekreuzten Seite entspringt, die Hauptmasse der Fasern aber aus dem gleichseitigen Kern. Aufserdem lassen sich im Bereich des Oculomotoriuskerns eine Reihe in ihrem Wesen bisher noch unbekannte Nervenkeme nachweisen. Andere Arbeiten \u00fcber den Oculomotorius stammen von Darkschewitsch 1 und Mendel\u2019; der letztere hat neugeborenen Kaninchen die Iris entfernt und sp\u00e4ter im Gehirn der herangewachsenen eine Atrophie des gleichseitigen Ganglion habenulae konstatiert. Er sieht daher in diesem Ganglion ein Centrum f\u00fcr die Pupillenhewegung.\nDas laufende Jahr hat uns auch eine wichtige Arbeit \u00fcber die Pyramidenbahn gebracht, jene Bahn aus der Grofshirnrinde, welche beim Menschen aus den motorischen Regionen des Vorderhirnes stammt und im R\u00fcckenmark zum Teil gekreuzt endigt. Ihre Fasern f\u00fchren, wie die Ergebnisse der Pathologie zeigen, den gr\u00f6fsten Teil der motorischen Leitung vom Vorderhirn zum R\u00fcckenmark. Da dieselben sich nicht nur beim Menschen, sondern auch bei anderen S\u00e4ugetieren sehr sp\u00e4t mit Mark umgeben, so war es von Lenhoss\u00e9ck 8 m\u00f6glich, den Querschnitt der Pyramidenbahn bei verschiedenen Tieren untereinander zu vergleichen. Derselbe betr\u00e4gt beim Menschen 11,87% des ganzen R\u00fcckenmarkquerschnittes, bei der Katze nur 7,76%, beim Kaninchen 5,3%, beim Meerschweinchen 3,0% und bei der Maus gar nur 1,14%. Die Pyramidenbahn lagert hei den meisten Tieren in den Seitenstr\u00e4ngen, bei einigen aber auch in den Hinterstr\u00e4ngen. \u00dcberall kreuzt sie vollst\u00e4ndig, aufser etwa beim Menschen, wo ein Teil bekanntlich in den Vorderseitenstr\u00e4ngen ungekreuzt verl\u00e4uft.\nVon den Kernen der Oblongata hat das Gebiet des Acustico-facialis durch His jr. eine entwickelungsgeschichtliche, das des Acusticus durch Baginsky* eine experimentelle Untersuchung gefunden. Durchschneidungsversuche der unteren Schleife von Monakow* * * * 6 haben gezeigt, dafs aus dem Ursprungsgebiet des H\u00f6rnerven Fasern stammen, Striae acusti-cae, welche in die gekreuzte Schleife eintreten und mit dieser in die Vierh\u00fcgel gelangen. \u00c4hnliches hatte Referent schon fr\u00fcher aus vergleichenden anatomischen Thatsachen folgern zu m\u00fcssen geglaubt. Monakows Versuche gestatten in der Schleife verschiedene Bestandteile viel besser zu unterscheiden, als es bisher m\u00f6glich war. Eine neue Darstellung der Acusticus-Ursprungsverh\u00e4ltnisse hat Referent in seinen \u201eZw\u00f6lf Vorlesungen\u201c gegeben.\nDas R\u00fcckenmark ist von mehreren Forschern im letzten Jahre durchgearbeitet worden. Neben einer eingehenden Monographie des Gorillar\u00fcckenmarkes von Waldeyer6, die auch die Verh\u00e4ltnisse heim Menschen fortw\u00e4hrend vergleichend ber\u00fccksichtigt, steht eine Arbeit\n1 Arch, f Anat. u. Physiol, anat. Abt., 1889.\n\u2019 Deutsche med. Wochenschr., 1889, No. 47.\n8 Anat. Anzeiger, 1889, S. 208. \u2014 4 Neurol. Centralblatt, 1889, S. 687.\n4 Bericht \u00fcber die Heidelberger naturforschende Versammlung.\n6 Berlin, 1889, 4.","page":501},{"file":"p0502.txt","language":"de","ocr_de":"502\ni\u00c0tteraturbericht.\nvon Lenhoss\u00e9ck1 * * liber das R\u00fcckenmark der Maus, welche sich wesentlich auf die Markscheidenentwickelung bei diesem Tiere gr\u00fcndet. Beide Arbeiten bringen vielfach Neues und Interessantes \u00fcber den Faserverlauf. Von ganz principieller Wichtigkeit scheint ein Fund von Ramon y C AJ al 3 zu sein. Dieser hat n\u00e4mlich nachgewiesen, und seine Angaben sind seitdem durch Koelliker best\u00e4tigt worden, dafs von allen L\u00e4ngsfasern der R\u00fcckenmarksstr\u00e4nge zahllose kleine Seitenzweige im rechten Winkel abgehen. Diese Kollateralen dringen oft in das R\u00fcckenmark und endigen zwischen den Zellen, namentlich der Hinterh\u00f6rner, durch eine feine und sehr varik\u00f6se Ver\u00e4stelung. Der Nervenplexus, welcher oft zwischen den Ganglienzellen beschrieben worden ist, wird zu einem Teil durch die Ansammlung einer unendlichen Zahl solcher End Verzweigungen gebildet. Diese, wie die vorgenannten zwei Arbeiten, enthalten zahlreiche Angaben \u00fcber die Zellen des R\u00fcckenmarkes und ihre Anordnung. Aufserdem hat Sass5 Studien \u00fcber die Topographie der Nervenkerne im R\u00fcckenmark ver\u00f6ffentlicht. Er hat an Tieren, welchen er gleich nach der Geburt, Monate vor der Z\u00e4hlung, einzelne Nerven durchschnitten hatte, Z\u00e4hlungen der atrophisch gewordenen Zellen vorgenommen und so mehrfach die zu bestimmten Nerven geh\u00f6rigen Kerne ermittelt. Lenhoss\u00e9ck4 hat eine genaue Beschreibung des Faserverlaufes aus der hinteren Wurzel in das R\u00fcckenmark ver\u00f6ffentlickt und die verschiedenen Z\u00fcge, in welche die Wurzel sich dort spaltet, auf rein anatomischem und auf entwickelungsgeschichtlichem Wege studiert.\n\u00dcber die Fortsetzung der sensorischen Bahn zum Gehirn lagen bisher nur ungen\u00fcgende Erfahrungen vor. Referent6 hat deshalb diese Verh\u00e4ltnisse an niederen Tieren, Fischen, Amphibien und Reptilien, bei denen das R\u00fcckenmark noch relativ einfach gebaut ist, und sp\u00e4ter auch am Menschen studiert. Nach den Ergebnissen, die er dabei erhalten, sowie unter Ber\u00fccksichtigung des bisher \u00fcber die Degenerationen im R\u00fcckenmark Bekannten ist er zum Schlufs gekommen, dafs sich ein Teil der hinteren Wurzel durch die CLARKsche S\u00e4ule in die Kleinhirnseitenstrangbahn fortsetzt, dafs ein zweiter ungekreuzt in den Hinterstr\u00e4ngen zur Oblongata aufsteigt und dort unter Zwischenschaltung von Kernen in die gekreuzte Schleife tritt, und dafs ein dritter Teil schon im R\u00fcckenmark in Kerne tritt; aus den letzteren entspringt eine Bahn, welche im gekreuzten Vorderseitenstrang aufw\u00e4rts zieht. So kommen oben in der Oblongata beide Anteile in der Schleifenschicht wieder zusammen. Die Ergebnisse physiologischer Versuche und der Beobachtung am Krankenbette best\u00e4tigen die auf anatomischen Wege gewonnene Auffassung.\nSchliefslich w\u00e4re noch ein ausf\u00fchrliches Werk von Kadyi: \u201e\u00dcber die Blutgef\u00e4\u00dfe des menschlichen B\u00fcckenmarks\u201c (Lemberg, 1889, gr. 4\u00b0) zu erw\u00e4hnen.\n1 Arch, f mikroskop. Anatomie, Bd. 33.\n* Anat. Anzeiger, 1889, No. 3.\n6 Virchows Archiv, Bd. 116.\n4\tArch. f. mikroskop. Anatomie, Bd. 34.\n5\tAnat. Anzeiger, 1889.","page":502},{"file":"p0503.txt","language":"de","ocr_de":"Litieraturbericht.\n503\nDarstellungen des Gesamtbaues sind im Berichtsjahre zwei erschienen, eine italienische von Mingazzini und eine deutsche vom Referenten unter dem Titel: \u201eZw\u00f6lf Vorlesungen \u00fcber den Bau der nerv\u00f6sen Centralorgerne\u201c (Leipzig, 1889).\nH. H. Donaldson. Anatomical Observations on the Brain and Sense-organs of the blind deaf-mute, Laura Bridgman. (1. Mitteilung.) Amer. Journal of Psychology, Okt. 1890.\nDas Gehirn der bekannten blinden Taubstummen, Laura Bridgman, wurde im neurologischen Laboratorium der Clark Universit\u00e4t in Worcester, U. S. A., einer sorgf\u00e4ltigen Untersuchung unterworfen, deren Ergebnisse Professor Donaldson jetzt mitteilt.\nL. B. wurde am 21. Dezember 1829 in Hanover, New Hampshire, geboren. Hire Eltern waren gesund, aber beide etwas nerv\u00f6s. Als kleines Kind war sie schw\u00e4chlich und litt an Kr\u00e4mpfen, doch besserte sich ihre Gesundheit mit dem zwanzigsten Monat, und sie zeigte sich th\u00e4tig und verst\u00e4ndig. Nachdem sie einige Worte sprechen und einen oder zwei Buchstaben kennen gelernt hatte , erkrankte sie mit ihren beiden Schwestern als sie zwei Jahre alt war, am Scharlachfieber. Die Schwestern starben, und L. wurde so krank, dafs beide Augen und beide Ohren in Eiterung gerieten und auch Geruch und Geschmack beeintr\u00e4chtigt wurden. Das Gesicht des linken Auges wurde g\u00e4nzlich zerst\u00f6rt; mit dem rechten hatte sie einige Empfindung f\u00fcr sehr grofse helle Gegenst\u00e4nde bis zu ihrem achten Jahr, wo sie ganz blind wurde. Da die Sprache mit dem Geh\u00f6r verloren gegangen war, wurde sie zu Hause durch willk\u00fcrliche Ber\u00fchrungszeichen erzogen und lernte N\u00e4hen, Stricken u. s. w., bis sie am 4. Oktober 1837 in die Perkins Institution f\u00fcr Blinde zu Boston \u00fcbergef\u00fchrt wurde. Hier wurde sie bis zu ihrem zwanzigsten Jahre durch Dr. S. G. Howe, den damaligen Direktor der Anstalt, erzogen und zwar auf folgende Weise: der Name eines gew\u00f6hnlichen Gegenstandes wurde in erhabenen Buchstaben auf den Gegenstand geklebt, und sie lernte Namen und Gegenstand miteinander associieren ; dann lernte sie den Namen aus einzelnen Buchstaben bilden; endlich lernte sie nach langer Zeit die Buchstaben selbst. Als sie zum erstenmal erkannte, dafs das Zeichen f\u00fcr einen Gegenstand aus einzelnen Buchstaben gebildet werden konnte, ging ihr die Bedeutung dessen, was sie that, pl\u00f6tzlich auf; von nun an mufste sie im Lernen zur\u00fcckgehalten werden, damit ihre Gesundheit nicht gef\u00e4hrdet w\u00fcrde.\nZur Zeit, wo sie in die Perkins Institution kam, fehlte ihr der Geruchssinn ganz; doch konnte sie sp\u00e4ter durch den Geruch die Richtung der K\u00fcche erkennen. Durch Geschmack konnte sie anfangs Sauer besser unterscheiden als S\u00fcfs und Bitter. Ihr Tast- und Ber\u00fchrungssinn war selbst f\u00fcr eine Blinde sehr scharf ; auch war sie f\u00fcr Ersch\u00fctterungen sehr empfindlich. So weit man entdecken konnte, tr\u00e4umte sie nicht in Gesichts- oder Geh\u00f6rsvorstellungen. Sie hatte \u00fcber f\u00fcnfzig Laute, mit welchen sie Bekannte zu bezeichnen pflegte. \u00dcbrigens war sie aufser-ordentlich reinlich, ordnungsliebend und gesittet.","page":503}],"identifier":"lit14237","issued":"1890","language":"de","pages":"496-503","startpages":"496","title":"Bericht \u00fcber die Leistungen auf dem Gebiet der Anatomie des Centralnervensystemes im Jahre 1889. Schmidts Jahrb. der ges. Medizin, Bd. 228, S. 73-103. Selbstanzeige","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:20:23.755989+00:00"}