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{"created":"2022-01-31T14:20:12.975297+00:00","id":"lit14279","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, Carl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 345-351","fulltext":[{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n345\nAn nicht geblendeten Olmen betr\u00e4gt die Reaktionszeit f\u00fcr verschiedene Farben folgende Sekundenzahlen: Uebergang von Schwarz in Violett 26, in Blau 23, in Roth 16, in Gr\u00fcn 13, in Gelb 10,5. Dubois glaubt, diesen Zahlen keine Beziehungen zur Beleuchtungsintensit\u00e4t beimessen zu sollen. Doch teilt er des weiteren mit, dafs die Olme die Farben in folgender Reihenfolge vorziehen : schwarz, roth, gelb, gr\u00fcn, violett, blau.\nReferent glaubt, bei der Schwierigkeit, Farbl\u00f6sungen oder Gl\u00e4ser von gleicher Absorption der Lichtmenge herzustellen, dafs obige Zahlen doch von der Beleuchtungsintensit\u00e4t herr\u00fchren d\u00fcrften.\nBurckhardt (Berlin).\n0. Stumpf. Tonpsychologie. II. Band. XIII u. 582 S. Leipzig 1890, Hirzel. Preis M. 12. (Selbstanzeige.)\nAuf Wunsch der Redaktion gebe ich im Folgenden eine \u00dcbersicht der wesentlichsten Untersuchungen und Ergebnisse dieses zweiten Bandes meiner Tonpsychologie. Der erste hatte die Urteilserscheinungen bei aufeinanderfolgenden (oder isolierten) T\u00f6nen zum Gegenstand, dieser untersucht sie bei gleichzeitigen T\u00f6nen. In beiden ist aber von der Auffassung der T\u00f6ne als Konsonanzen, Dissonanzen, Intervalle, Akkorde, Melodien, also von eigentlich musikalischen Auffassungen noch abgesehen. Diese sollen den Gegenstand des dritten, die Tongef\u00fchle endlich den des vierten Bandes bilden.\nDen Ausgangspunkt und zugleich den Mittelpunkt des vorliegenden Bandes bildet die Frage nach der M\u00f6glichkeit und den Bedingungen des gleichzeitigen H\u00f6rens mehrerer T\u00f6ne. Drei Meinungen stehen sich gegen\u00fcber (\u00a7 16) : die gew\u00f6hnliche (Mehrheitslehre), wonach wir mehrere T\u00f6ne streng gleichzeitig h\u00f6ren k\u00f6nnen; die Wettstreitslehre, wonach die Gleichzeitigkeit T\u00e4uschung ist und in Wahrheit ein rascher Wechsel der T\u00f6ne in der Empfindung stattfindet; und die Einheitslehre, wonach die Mehrheit T\u00e4uschung ist und wir in Wahrheit die allezeit streng einfache Empfindung nur auf eine Mehrheit objektiver T\u00f6ne beziehen. Alle drei Ansichten involvieren Schwierigkeiten. Aber die Schwierigkeiten der beiden letzten scheinen mir un\u00fcberwindlich, die der ersten nicht (\u00a7 17). Diese liegen haupts\u00e4chlich darin, dafs erstens gleichzeitige T\u00f6ne sich im Bewufstsein r\u00e4umlich durchdringen m\u00fcfsten, w\u00e4hrend Empfindungen anderer Sinne nur unter der Bedingung gleichzeitig sein k\u00f6nnen, dafs sie r\u00e4umlich aufser einander sind; dafs zweitens gleichzeitige T\u00f6ne schwerer unterscheidbar sind als aufeinanderfolgende, w\u00e4hrend doch zwei Empfindungen im allgemeinen um so leichter in irgend einer Beziehung beurteilt werden, je mehr sie sich in allen anderen Beziehungen gleich (hier also gleichzeitig) werden.\nDie erste Schwierigkeit scheint mir indessen nicht auf einem zwingenden, a priori einleuchtenden Prinzip zu beruhen, sondern nur auf der Analogie anderer Sinne, welche uns auch sonst vielfach im Stich l\u00e4fst (kein Kontrast im Tongebiet, keine mefsbare Ausdehnung der T\u00f6ne u. s. f.). Man mufs jeden Sinn zun\u00e4chst nach seinem eigenen Recht richten. Es schliefst sich hieran ein Exkurs \u00fcber die r\u00e4umlichen","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nLitteraturbericht.\nEigenschaften der T\u00f6ne, worin ich einen (quasi-) lokalen Empfindungsunterschied der T\u00f6ne des rechten und linken Ohres, sowie eine mit der Tonh\u00f6he abnehmende (Quasi-) Ausdehnung als immanentes Moment der Tonempfindungen vertrete, dagegen eine mit der H\u00f6he wechselnde \u00d6rtlichkeit der T\u00f6ne im Bewufstsein (Mach\u2019s Tonraum) nicht f\u00fcr gegeben oder erforderlich halte.\nDie zweite Schwierigkeit l\u00e4fst sich nicht blofs bei Tonempfindungen sondern \u00fcberall aufwerfen und f\u00fchrt zur Konstatierung eines besonderen Verh\u00e4ltnisses zwischen gleichzeitigen Empfindungsinhalten (auf welches unter den Sinnesphysiologen zuerst E. H. Weber aufmerksam machte, das aber auch schon Aristoteles ber\u00fchrt). Gleichzeitige Empfindungen sind immer nur Teile eines Empfindungsganzen. Den Begriff des Empfindungsganzen kann')man sich am besten an den sog. Momenten einer Empfindung klar machen ; Intensit\u00e4t, Qualit\u00e4t und dergleichen sind Teile der Empfindung. In \u00e4hnlicher, wenn auch nicht gleich inniger, Weise bilden alle gleichzeitigen Empfindungen ein Ganzes. Wir nennen das Verh\u00e4ltnis in diesem Falle Verschmelzung. Sie ist aber wieder von ungleicher Engigkeit, wenn es sich um Empfindungen verschiedener oder um solche Eines Sinnes handelt, und auch hier gibt es wieder Gradunterschiede. Die Definition der Verschmelzung kann \u00fcberall nur darin bestehen, diese thats\u00e4chlichen Unterschiede an Beispielen aufzuzeigen und zu klassifizieren; wie man auch das Verh\u00e4ltnis der Momente zu einander durch keinerlei blofs abstrakte Definition wird klar machen k\u00f6nnen. In Anbetracht der Verschmelzung nun l\u00e4fst sich auch der Anschauung, wonach wir bei einem Accord nur Eine Empfindung h\u00e4tten (Einheitslehre), eine relative Berechtigung zugestehen. Jedenfalls aber bleibt es dabei, dafs diese Empfindung mehrere T\u00f6ne enth\u00e4lt und nicht blofs auf eine Mehrheit objektiver T\u00f6ne bezogen wird. Nach der Zahl der empfundenen Qualit\u00e4ten aber pflegen wir doch die Zahl der Empfindungen zu bestimmen.\nEine weitere Untersuchung betrifft die Frage, ob Erfahrung, also vorg\u00e4ngiges H\u00f6ren der einzelnen Bestandtheile, und ob Aufmerksamkeit eine unentbehrliche Bedingung f\u00fcr die Analyse sei. Helmholtz hat die in den drei ersten Auflagen der \u201eLehre v. d. Tomempfindungen\u201c vertretene Theorie, welche auf dem auch in der Raumlehre durchgef\u00fchrten \u201eem-piristischen\u201c Prinzip gr\u00fcndet, dafs wir Sinnesempfindungen um so weniger leicht auseinanderhalten, je h\u00e4ufiger sie uns als Zeichen einheitlicher Objekte dienten, in der vierten Auflage bereits selbst, doch ohne Angabe der Motive, aufgegeben. In der That l\u00e4fst sich schon der Umstand, dafs Musikalische unter sonst gleichen Umst\u00e4nden leichter als Unmusikalische Obert\u00f6ne heraush\u00f6ren, und Anderes nicht wohl damit vereinigen. Helmholtz legt nunmehr das Hauptgewicht auf die vorangehenden Erfahrungen. Je h\u00e4ufiger jemand die Bestandteile einzeln geh\u00f6rt und die Zusammensetzung des Ganzen aus ihnen wahrgenommen hat, um so leichter die Analyse. Ganz unentbehrlich ist jedoch diese Bedingung nur unter Voraussetzung der Einheitslehre; die Mehrheitsansicht dagegen f\u00fchrt zu der Folgerung, dafs bei g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden (grofsem Abstand der T\u00f6ne, gleicher Intensit\u00e4t u. s. w.) vor jeder Erfahrung und sogar","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Li it\u00e9ra tu rbericht.\n347\nohne Aufmerksamkeit eine Mehrheit von T\u00f6nen als solche sich dem Bewufstsein aufdr\u00e4ngen kann.\n\u00a7 18 bespricht die anatomisch-physiologischen Bedingungen der gleichzeitigen Tonmehrheit. Anatomische Sonderung erscheint mir als die notwendige Konsequenz; und als beste Erf\u00fcllung dieses Postulates trotz mancher Angriffe immer noch die HELMHOLTzsche Lehre von der \u201eSchneckenklaviatur\u201c. Was f\u00fcr und gegen sie an Thatsachen erbracht ist, war ich bem\u00fcht zusammenzustellen. Nur die Verlegung der Klaviatur in die Haarzellen des CoRTischen Organs ist vielleicht nicht von der Hand zu weisen; aber das Prinzip, die Zerlegung der Gesamtwelle durch mitschwingende Teile, bliebe auch dann gewahrt.\nDiese Betrachtung f\u00fchrt zu einer weiteren \u00fcber die specifischen Energien. Der Tonsinn bietet das Hauptbeispiel einer Durchf\u00fchrung derselben innerhalb des Qualit\u00e4tenkreises eines und desselben Sinnes. Doch scheint es n\u00f6tig, eine Accommodation der Energien an den augenblicklichen Tonreiz innerhalb enger Grenzen anzunehmen, infolge deren ein einfacher objektiver Ton, obgleich er eine Eeihe benachbarter Ganglien in Erregung versetzt, doch nur eine einfache Empfindung erzeugt (vergl. unten). Dagegen f\u00fcr eine irgend erhebliche Entwickelung der specifischen Energien (nach der Geburt) liegen keine Anhaltspunkte vor. Vollends die Bek\u00e4mpfung der ganzen Lehre scheint mir dunkel und widerspruchsvoll. (Diese Bogen waren vor der Kontroverse zwischen Wundt und M\u00fcnk gedruckt. Die sogenannte \u201eStellvertretung\u201c bei Exstirpationen, welche Wundt hierbei besonders betont, ist doch auch noch sehr verschiedener Deutung f\u00e4hig.)\nDie folgenden \u00a7\u00a7 (19 und 20) besch\u00e4ftigen sich mit der genaueren Untersuchung der Tonverschmelzung. Sie tritt in f\u00fcnf Hauptstufen auf, und zwar in abnehmender Reihenfolge bei der Oktave, Quinte, Quarte, den Terzen und Sexten, endlich den \u00fcbrigen Tonkombinationen. Jenseits des Umfangs einer Oktave wiederholen sich dieselben Stufen. Diese zun\u00e4chst auf individueller Beobachtung ruhenden Aufstellungen habe ich durch Versuche an Unmusikalischen \u00fcber die Frage, wie viele T\u00f6ne sie bei entsprechenden Kombinationen zweier objektiver T\u00f6ne zu vernehmen glaubten, zu erh\u00e4rten gesucht. Die F\u00e4lle, in denen sie nur einen zu h\u00f6ren glaubten, waren weitaus am zahlreichsten bei der Oktave und nahmen von da durch Quinte, Quarte, Terzen bis zu dissonierenden Intervallen ab; in einzelnen Reihen allerdings mit Ausnahmen, welche die Stellung der kleinen Terz und der Quarte betreffen und sich aus den besonderen Versuchsumst\u00e4nden (den durch das jeweilige Orgelregister und die Tonlage bedingten Schwebungen und dergleichen) erkl\u00e4ren, w\u00e4hrend die Stellung von Oktave, Quinte, gr. Terz, Tritonus (bezw. Sekunde) gegeneinander auch selbst in allen einzelnen (mit verschiedenen Instrumenten an verschiedenen Personen angestellten) Versuchsreihen genau die gleiche blieb.\nDie Tonverschmelzung l\u00e4fst sich weder aus psychologischen Gesetzen der Wechselwirkung von Vorstellungen, noch aus \u00c4hnlichkeitsverh\u00e4ltnissen der T\u00f6ne, noch aus h\u00e4ufiger Koexistenz im Bewufstsein oder aus sonst einem psychologischen Prinzip herleiten (\u00a720). Sie ist viel-\n23\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie.","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"B48\nLitteraturbericht.\nmehr als ein Verh\u00e4ltnis der Empfindungsinhalte nur physiologisch erkl\u00e4rbar. Sie f\u00fchrt auf den Begriff \u201especifischer Synergien\u201c. Generelle Entwickelung hleiht hier wie hei den specifischen Energien denkbar. Eine Idee in dieser Richtung habe ich angegeben, ohne derselben (ebensowenig wie derjenigen im I. Band \u00fcber Entwickelung des Tonsinnes und der Unterschiedsempfindlichkeit von der H\u00f6he zur Tiefe) ein sonderliches Gewicht beilegen zu wollen.\nDie folgenden Paragraphen untersuchen zwei andere Bedingungen des Analysierens und Heraush\u00f6rens : \u00a7 21 das St\u00e4rkeverh\u00e4ltnis der T\u00f6ne, \u00a7 22 die Aufmerksamkeit. Ungleiche Intensit\u00e4t f\u00fchrt zur Erschwerung, zuletzt zur Unm\u00f6glichkeit der Analyse, zur \u201eUnterdr\u00fcckung\u201c eines Tones durch den anderen, eine Thatsache, die sowohl experimentell als theoretisch noch zu wenig ber\u00fccksichtigt ist. Im Einzelnen wird dann das Heraush\u00f6ren von regelm\u00e4fsigen Beit\u00f6nen, namentlich Kombinationst\u00f6nen und Ohert\u00f6nen, und zuletzt die Frage nach dem Vorkommen einfacher T\u00f6ne besprochen (oh hei Ausschlufs objektiver Ohert\u00f6ne subjektive unvermeidlich sind, wie es sich ferner mit H. Riemakns Untert\u00f6nen, mit Machs Zerlegung der T\u00f6ne in die Elemente \u201eDumpf und Hell\u201c verh\u00e4lt). Es besteht meiner Meinung nach kein triftiger Grund, gewisse Kl\u00e4nge nicht als v\u00f6llig einfache anzusehen, z. B. ganz schwache T\u00f6ne von Stimmgabeln auf Resonanzk\u00e4sten, subjektive T\u00f6ne, Ohert\u00f6ne und Kombinationst\u00f6ne, endlich die h\u00f6chsten wahrnehmbaren T\u00f6ne.\nDie Betrachtungen \u00fcber den Einftufs der Aufmerksamkeit auf die Analyse (\u00a7 22) beginnen mit allgemeinen Erl\u00e4uterungen \u00fcber das Wesen und die Wirkungen dieser Kraft, welche das im I. Band Vorgebrachte teils erg\u00e4nzen, teils berichtigen sollen. Dann wird besonders eingehend die Verst\u00e4rkung schwacher Klang-Komponenten durch Aufmerksamkeit und das Verh\u00e4ltnis der letzteren zu Muskelaktionen untersucht. Ich halte daran fest, dafs Aufmerken sowie auch Verst\u00e4rkung durch Aufmerken (welches nur eine gelegentliche, nicht die Hauptwirkung ist) ohne jede Muskelaktion erfolgen kann, und dafs die Muskelaktion, wo sie erfolgt, wesentlich nur eine Begleiterscheinung darstellt. Zuletzt wird die M\u00f6glichkeit und die Bedingungen des gleichzeitigen Aufmerkens auf eine Mehrheit von Empfindungen besprochen.\n\u00a7 23 stellt die Bedingungen f\u00fcr die Zuverl\u00e4ssigkeit der Analyse und des Heraush\u00f6rens klassifikatorisch zusammen, wobei die schon einzeln besprochenen kurz, die \u00fcbrigen weitl\u00e4ufiger zur Sprache kommen; unter diesen besonders der tonale Abstand der Klangkomponenten (Beobachtungen \u00fcber die gleichzeitige Schwelle, welche h\u00f6her liegt als die successive, aber wie diese sich mit der Tonregion \u00e4ndert), sowie die partiellen Ver\u00e4nderungen in der H\u00f6he oder St\u00e4rke der Klangkomponenten. Einige schwierige Punkte, Einflufs der Klangfarbe, Verschwinden des h\u00f6heren Oktaventons in bestimmten F\u00e4llen (Helmholtz\u2019 Tonempf. S. 103), Analyse von Nach- und Ged\u00e4chtnishildern werden dann noch mit Bezug auf die unterschiedenen Bedingungen besprochen.\nWie im I. Band folgen der \u00dcbersicht der Bedingungen Beschreibungen individueller Unterschiede (\u00a7 24). Es werden hier die F\u00e4higkeiten des Analysierens und Heraush\u00f6rens vonseiten einiger Individuen,","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n349\ndie als Typen ganzer Klassen gelten k\u00f6nnen, besonders aber von Unmusikalischen und von Kindern eingehender beschrieben. Bei Kindern f\u00e4llt namentlich die Neigung auf, Zweikl\u00e4nge f\u00fcr eine um gr\u00f6fsere Anzahl von T\u00f6nen zu erkl\u00e4ren, je weniger sie konsonieren.\nIst bis dahin ausschliefslich von Urteilen \u00fcber Einheit oder Mehrheit die Rede gewesen, so handeln nun \u00a7\u00a7 25 und 26 von Qualit\u00e4ts- und Intensit\u00e4tsurteilen \u00fcber zusammengesetzte Kl\u00e4nge und deren Teile (also solche Urteile, die bei aufeinanderfolgenden T\u00f6nen den Hauptgegen-stand bildeten). Wir fassen einen Zusammenklang, selbst wenn er analysiert uns vorschwebt, gleichwohl als ein Ganzes und schreiben ihm als solchem eine gewisse H\u00f6he zu, und zwar hat ein ruhender Zusammenklang als solcher die scheinbare H\u00f6he des tiefsten Tones (womit in der Musik die Verlegung des Haupttons in die Tiefe, die Bezeichnung \u201eGrundton\u201c zusammenh\u00e4ngt). Dieser Zug erkl\u00e4rt sich nur psychologisch, n\u00e4mlich aus der gr\u00f6fseren Ausdehnung der tieferen T\u00f6ne, welche den jeweilig tiefsten als den tragenden, als Fundament, erscheinen lassen. Bei aufeinanderfolgenden Zusammenkl\u00e4ngen ferner macht das Ganze scheinbar die Bewegung der in den gr\u00f6fsten Schritten bewegten Stimme. Weiter wird der scheinbare Einflufs eines Tons auf die H\u00f6he eines anderen gleichzeitigen Tons (Accommodation, Kontrast) und dgl. besprochen und die meisten dieser Z\u00fcge auch an Beispielen aus der Musik erl\u00e4utert.\n\u00a7 26 best\u00e4tigt an Erscheinungen bei gleichzeitigen T\u00f6nen die gr\u00f6fsere Empfindungsst\u00e4rke h\u00f6herer T\u00f6ne (I 365), stellt sodann fest, dafs dem Gesamteindrucke bei geeigneten Versuchsumst\u00e4nden keine gr\u00f6fsere St\u00e4rke zuerkannt wird als dem st\u00e4rksten Teil (ein neues Zeugnis gegen die Einheitslehre), dafs sich gleichzeitige T\u00f6ne vielmehr gegenseitig physiologisch schw\u00e4chen. Das doppelohrige gegen\u00fcber dem einohrigen H\u00f6ren, sowie minimale Eindr\u00fccke werden in dieser Hinsicht noch besonders betrachtet, weil sich hier die Beobachtungen nur sehr schwer genau ausf\u00fchren lassen, und zuletzt ohren\u00e4rztliche Beobachtungen und solche bei andern Sinnen zur Vergleichung herangezogen.\nDie beiden letzten Paragraphen behandeln besondere Erscheinungen, welche ausschliefslich oder vorwiegend an gleichzeitige T\u00f6ne gebunden sind : Schwebungen, Ger\u00e4usche, Klangfarbe (bez. die Auffassung dieser Erscheinungen). \u00a7 27 untersucht zun\u00e4chst den verschiedenen Charakter der Schwebungen je nach Umst\u00e4nden, die Grenze ihrer Schnelligkeit (die ich weit h\u00f6her fand als sie bisher angegeben wird, bei etwa 400 in der Sekunde), die verwickelten Bedingungen ihrer St\u00e4rke und ihrer Merk-lichkeit; darauf die Tonh\u00f6he bei Schwebungen. H\u00f6rt man beide schwebende T\u00f6ne oder einen einheitlichen dritten, und diesen von konstanter oder von periodisch schwankender H\u00f6he? Es war mir nicht m\u00f6glich, den hin- und hergehenden Schwebungston, welchen Helmholtz beschreibt und theoretisch ableitet und welchen Sedley Tayloe sogar als die eigentliche Ursache der Dissonanz betrachtet, zu beobachten. Ich fand die Erscheinung verschieden je nach dem H\u00f6henabstand der schwebenden objektiven T\u00f6ne. Bei g' a' h\u00f6re ich nur diese beiden T\u00f6ne selbst, und sie sind es, welche schweben Bei gis' a\u2018 h\u00f6re ich ebenfalls diese beiden, aufser ihnen aber einen dritten dazwischenliegenden, und dieser allein\n23*","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350\nLitteraturberichl.\nschwebt. R\u00fccken die prim\u00e4ren T\u00f6ne noch n\u00e4her zusammen, so vernehme ich zuletzt nat\u00fcrlich nur einen und diesen schwebend. Die physiologische Erkl\u00e4rung ergibt sich aus dem Prinzip der specifischen Energien in Verbindung mit dem obenerw\u00e4hnten Hilfsprinzip der Accommodation. Zuletzt handelt dieser Paragraph von der Zuteilung der Schwebungen in der Auffassung an das Ganze oder bestimmte Teile eines Klanges; speciell von der Zuteilung an den tieferen Ton bei den Schwebungen verstimmter Konsonanzen h : 1, wo h nur wenig von einer ganzen Zahl differiert (Bosanquet).\nDie Versuche, Ger\u00e4usche vollst\u00e4ndig auf T\u00f6ne zur\u00fcckzuf\u00fchren (es werden in \u00a7 28 drei solche Auffassungen unterschieden), scheinen mir viel Wahres zu enthalten, aber nicht allgemein durchf\u00fchrbar; wonach auch ein besondres Organ im Ohr f\u00fcr den nicht redueierbaren ger\u00e4uschigen Erdenrest vorauszusetzen bliebe.\nBez\u00fcglich des Klangfarbenbegriffes endlich mufs die Zur\u00fcckf\u00fchrung auf die Teilt\u00f6ne, Helmholtz\u2019 bewunderungsw\u00fcrdige Theorie, als ausgemacht gelten; sie bedarf nur gewisser psychologischer Erg\u00e4nzungen. Zun\u00e4chst muls auch den einfachen T\u00f6nen eine Farbe zuerkannt werden, wenn das Klang-Ganze eine solche besitzen soll. Die tiefen sind dunkler, die hohen heller und eben dadurch wird ein Klang um so heller, je mehr und je h\u00f6here Obert\u00f6ne hinzukommen. Worin besteht nun aber die Tonfarbe selbst? Sie ist nicht, wie ich dies fr\u00fcher versuchte, mit Tongef\u00fchl zu identifizieren. Sie l\u00f6st sich auf in die drei Momente der Tonh\u00f6he, Tonst\u00e4rke und Tongr\u00f6fse. Die Pr\u00e4dikate, womit wir die Farbe von T\u00f6nen und infolgedessen von Kl\u00e4ngen kennzeichnen, beziehen sich auf diese drei Momente zusammen, bald mehr auf dieses, bald mehr auf jenes. Ton-und Klangfarbe ist also nicht ein Moment neben der St\u00e4rke und der H\u00f6he. Wollte man ein solches anf\u00fchren, so w\u00e4re nur die Gr\u00f6fse (die Quasi-Ausdehnung) zu nennen, welche aber das, was man gemeinhin unter die Klangfarbe rechnet, nicht ersch\u00f6pft.\nDerselbe Zug der Auffassung, der bereits in den drei vorangehenden Paragraphen mehrfach ber\u00fchrt wurde, macht sich hier geltend, dafs wir einem unanalysierten Ganzen in gewissem Grade Eigenschaften seiner Teile zuschreiben. Es ist eben jedem seiner Teile um so \u00e4hnlicher, je intensiver er darin enthalten ist. (Diese Pr\u00e4dikation ist nat\u00fcrlich nicht die Folge einer Vergleichung, einer Wahrnehmung der \u00c4hnlichkeit, sondern eine Folge der \u00c4hnlichkeit selbst. Wir subsumieren das Ganze unter denselben Begriff, unter den wir ff\u00fcher das f\u00fcr sich wahrgenommene Element subsumierten.) Daraiif reduziert sich die Chemie der Empfindungen; nicht entstehen neue Inhalte, weder ein mittlerer, noch gar eine neue Gattung.\nVon hier aus lassen sich auch die einzelnen HELMHOLTZSchen Regeln ableiten. Es folgt aber, dafs nicht blofs die relative sondern auch die absolute H\u00f6he der Teilt\u00f6ne und darunter vor allem die des Grundtones selbst von Einflufs auf die Klangfarbe sein mufs; was sich u. a. auch an der (nur ber\u00fchrten) Vokaltheorie best\u00e4tigt.\nDie Anwendung derselben Prinzipien auf die Klangmischungen leitet schliefslich noch zu der Frage \u00fcber, auf welchem Wege wir in einer","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n351\nKlangmischung mehrere Instrumente heraush\u00f6ren k\u00f6nnen. Diese Frage ist analog der Ausgangsfrage, wie wir in einem Mehrklang mehrere T\u00f6ne unterscheiden, aber sachlich wohl von dieser zu trennen. Hier ist in der That die einzige L\u00f6sung die, dafs wir nach Anhaltspunkten, welche nur die Erfahrung liefern kann, auf das Vorhandensein bestimmter Instrumente schliefsen, den Klang auf sie beziehen. Es gibt ein Heraush\u00f6ren yon T\u00f6nen, aber nicht ein Heraush\u00f6ren von Instrumenten, vorausgesetzt, dafs sie wirklich streng gleichzeitig erklingen.\nDer Selbstanzeige sei es gestattet eine Selbstkritik hinzuzuf\u00fcgen. Einem Bedenken wenigstens, das mir heim Durchbl\u00e4ttern aufgestofsen, w\u00fcrde ich als (Recensent folgenden Ausdruck geben:\n\u201eDer Verfasser, der gegen andere mitunter scharf polemisiert, hat sich doch selbst in Hinsicht der sogenannten Verschmelzungsthatsachen eine Undeutlichkeit zu schulden kommen lassen. Denn er behauptet S. 137, die Verschmelzung gehe bei allen Tonpaaren, die nicht schon der niedersten Verschmelzungsstufe angeh\u00f6ren, in diese Stufe \u00fcber, ohne die etwaigen Zwischenstufen zu durchlaufen. Die Kurve aber, durch welche S. 176- die Verschmelzungsverh\u00e4ltnisse dargestellt werden, durchl\u00e4uft, indem sie von den h\u00f6heren Stufen zur niedersten (Ber\u00fchrung mit der Abscisse) \u00fcbergeht, jedesmal die zwischenliegenden Stufen, wie dies ja auch geometrisch innerhalb einer Ebene gar nicht anders m\u00f6glich ist.\u201c\nIn der That m\u00fcssen wohl beim \u00dcbergang z. B. von der grofsen Septime zur Oktave oder von dieser zur kleinen None alle Verschmelzungsgrade durchlaufen werden, wenn anders unter den letzteren ein einfaches Steigerungsverh\u00e4ltnis stattfindet. Aber es ist ein Unterschied zwischen blofsen Graden und Stufen der Verschmelzung (S. 135). Die Stufen sind im geometrischen Bilde durch die Wendepunkte der Kurve charakterisiert, und es ist durchaus richtig, dafs die h\u00f6chste in die niederste und umgekehrt \u00fcbergeht, ohne die Zwischenstufen zu durchlaufen. Dagegen halte ich es allerdings f\u00fcr wahrscheinlich, dafs sich auch auf einer solchen Strecke ohne Wendepunkte durch hinreichende \u00dcbung, durch Emanzipation des Urteils von allen Nebeneinfl\u00fcssen die den etwaigen Zwischenstufen entsprechenden Verschmelzungsgrade wiederfinden lassen.\nIch verhehle mir nicht, dafs \u00fcberhaupt der Begriff der Verschmelzung als eines eigent\u00fcmlichen, nicht weiter zur\u00fcckf\u00fchrbaren Verh\u00e4ltnisses von Sinnesinhalten, wie er den Mittelpunkt der Untersuchungen dieses Bandes bildet, manchen Angriff erfahren wird. Der eine wird ihn f\u00fcr absurd erkl\u00e4ren, der andere f\u00fcr eine altbekannte Sache, f\u00fcr die nur die Erkl\u00e4rung noch zu entdecken w\u00e4re. Ich willnichts im voraus zur Verteidigung sagen; ich weifs nur, dafs er so, wie er hier sreht, f\u00fcr mich das Ergebnis vieler Beobachtungen und vieles Nachdenkens ist und auf viele Erscheinungen Licht wirft, von denen die im vorliegenden Bande erw\u00e4hnten (man sehe das lange Verzeichnis im Register unter \u201eVerschmelzung\u201c) nur ein kleiner Teil sind. Es liegt hier jedenfalls ein Zug der sinnlichen Welt, mit dem wir rechnen m\u00fcssen, m\u00f6gen ihn auch andere anders und besser definieren.","page":351}],"identifier":"lit14279","issued":"1890","language":"de","pages":"345-351","startpages":"345","title":"Tonpsychologie, II. Band. XIII. u. 582 S., Leipzig 1890, Hirzel. Selbstanzeige","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:20:12.975303+00:00"}