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{"created":"2022-01-31T16:15:02.057465+00:00","id":"lit14314","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"M\u00fcnsterberg, Hugo","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 360-362","fulltext":[{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nLi tteraturberich t.\nbachten, wie kaum einige Wochen alte Kinder bereits in v\u00f6llig coordi-nierter Weise etliche Schritte machten, wenn sie unter die Achsel ge fafst und so gehalten wurden, dafs die Fufssohlen die Unterlage ber\u00fchrten. Letzteres war von wesentlicher Bedeutung. Dafs bewufste Ortsver\u00e4nderungen erst viel sp\u00e4ter begonnen und m\u00fchsam erlernt werden, berechtigt nicht, das Gehen den einfach erworbenen Eigenschaften zuzurechnen. \u2014 Im zweiten Abschnitte wird die Thatsache registriert, dafs bei Kindern von einigen Wochen in direktem Gegensatz zu mehrj\u00e4hrigen stets die, meist explosive, Bewegung des einen Armes von der n\u00e4mlichen seitens des anderen begleitet oder sehr bald gefolgt ist ; dafs ferner in den ersten Wochen die H\u00e4nde bei schlaff herabh\u00e4ngenden Armen eine auffallend ausgepr\u00e4gte Pronationsstellung einnehmen und \u2014 was sehr wichtig \u2014 genaue Orientierung \u00fcber den Grad der Sicherheit gegen etwaiges Pallen besteht, derart, dafs bereits ein geringes Lockern der haltenden H\u00e4nde gen\u00fcgt, heftiges Str\u00e4uben und Geschrei auszul\u00f6sen. Verfasser nimmt zur Erkl\u00e4rung ein auf Vererbung beruhendes fr\u00fchzeitiges In-Funktion-treten des Muskelsinnes an. \u2014 Ein drittes Kapitel handelt von den automatischen Bewegungen. Kitzeln der Hohlhand, Hineinlegen von Gegenst\u00e4nden in dieselbe reicht hin, um ein Schliefsen der Finger herbeizuf\u00fchren, nicht nur trotz anderweitiger Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit, sondern sogar im Schlafe. Andererseits werden manchmal gewisse Fingerstellungen l\u00e4ngere Zeit zwecklos innegehalten, als w\u00e4ren sie vergessen worden. Es erinnert das, rein \u00e4ufserlich betrachtet, an gewisse kataleptische Erscheinungen der Hysterie. Der Impuls zu einer Bewegung bleibt eben bestehen, auch wenn eine anderweitige Inanspruchnahme des Intellektes Platz greift. Ein analoges Beispiel rein psychischer Art erlebte Verfasser an einem heftig weinenden M\u00e4dchen. Uber den Anblick einer Flamme vergafs es augenblicklich seinen Kummer, allein dieser blieb doch im Hintergr\u00fcnde des Bewufstseins und brach immer gleich wieder hervor, wenn das Licht verl\u00f6scht ward. \u2014 Zum Schl\u00fcsse werden einige Angaben \u00fcber die Reaktionszeit bei Kindern von durchschnittlich 4 Jahren gegeben. Es war die Aufgabe, auf ein Metronomsignal einen MABEYSchen Tambour in Aktion zu setzen. Die Reaktionszeit erwies sich als sehr lang (zwischen 0,2\" und 1,0\"). Die gleichzeitig aufgenommenen Kurven der Muskelkontraktion zeigten sehr verschiedene Form und waren sehr flach.\tSchaeeer (Jena).\n0. Fl\u00fcgel. Zur Lehre vom Willen. Zeitschrift f\u00fcr exakte Philosophie Band 18. (1890), H. 1. S. 30-67.\nK\u00fclpe hatte in seiner Habilitationsschrift \u00fcber die Lehre vom Willen in der neueren Psychologie die WuNDische Willenstheorie zu verteidigen gesucht; als indirekter Beweis f\u00fcr ihre Richtigkeit wollte er die Unhaltbarkeit aller \u00fcbrigen modernen Willenslehren aufdecken und mufste somit unter anderen auch Herbarts bez\u00fcgliche Anschauungen der Kritik unterziehen. Der Herbartianer Fl\u00fcgel wehrt nun in der vorliegenden Arbeit den Angriff ab, weist nach, dafs K\u00fclpe der HERBARTSchen Theorie nicht gerecht geworden ist und w\u00e4gt aufs neue die von K\u00fclpe verteidigte Lehre gegen die von ihm bek\u00e4mpfte ab. Die Grundfrage ist,","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n361\nob der Wille etwas Urspr\u00fcngliches, Selbst\u00e4ndiges sei, wie K\u00fclpe will, oder etwas Abgeleitetes, von den Vorstellungen Bedingtes, wie Fl\u00fcgel annimmt. K\u00fclpe hatte Herbabt vorgeworfen, er komme zu der letzteren Anschauung nur aus metaphysischen Gr\u00fcnden; Fl\u00fcgel weist nach, wie vielmehr die Analyse des empirisch Gegebenen dahin f\u00fchrte. Die Selbstbeobachtung zeigt nie einen Willen oder auch nur ein Begehren ohne ein Begehrtes, zeigt das Begehren nur verbunden mit anderen Seelenvorg\u00e4ngen, aber w\u00e4hrend kein Wille ohne Vorstellungen, existieren fortw\u00e4hrend Vorstellungen ohne Willen. Herbarts Auffassung stimmt somit zur Erfahrung, dagegen weifs unsere Erfahrung nicht das geringste von jenem abstrakten Willen, den K\u00fclpe sich \u201eeiner metaphysischen Theorie zuliebe zurechtmacht.\u201c Gegeben sind uns ja nur die einzelnen Willensakte; aus diesen abstrahiert K\u00fclpe den logischen Allgemeinbegriff etwa des Begehrens, und dann wird weiter von dem wesentlichen Merkmal, welches die Erfahrung stets beim Begehren zeigt, n\u00e4mlich von der Beziehung auf ein Begehrtes, abgesehen, und so kommt endlich ein dunkler Trieb heraus, der als reale Ursache des geistigen Geschehens gesetzt wird. Andererseits wird nun aber diesem urspr\u00fcnglichsten Triebe alles-m\u00f6gliche von vornherein mitgegeben; er mufs Sinnlichkeit haben, denn er richtet sich nach den Wahrnehmungen, er hat Verstand, denn er befolgt seine Mahnungen, kurz der Wille wird zu einer vollst\u00e4ndigen Pers\u00f6nlichkeit, in der alles das schon vorausgesetzt wird, was erkl\u00e4rt werden sollte. Fl\u00fcgel citiert hier Ballauffs treffendes Wort: Alle die einzelnen gegebenen Willensakte auf einen nicht gegebenen, sondern zur Erkl\u00e4rung angenommenen einheitlichen Willen zur\u00fcckf\u00fchren, das ist nichts anderes als wenn die Griechen als Ursache alles Streites in der Welt ein und dasselbe Wesen, die Eris ansahen.\nDie wichtigste Folgerung aus der Lehre von dem pers\u00f6nlichen Ur-willen ist die, dafs auf der Einheitlichkeit dieses Willens die Einheit des gesamten Geisteslebens beruht; Fl\u00fcgel weist nach, dafs auch hier die Erfahrung widerspricht. Der Wille ist nicht Ursache des Ich, sondern das Ich ist Ursache des Willens. Wir k\u00f6nnen vor allem dasselbe wollen und zugleich nicht wollen ; der vern\u00fcnftige Wille ist gegen die niedre Begierde u. s. w. Derartige Schwankungen und innere K\u00e4mpfe d\u00fcrften nicht Vorkommen, wenn es in uns eine Funktion g\u00e4be, die allen Willensakten einheitlich zu Grunde l\u00e4ge. K\u00fclpe meint schliefslich, dafs der einzige psychische Inhalt, welcher nicht vom Willen abh\u00e4ngig ist, die perzipierten Emfindungen seien, diese aber nur eine Schattenexistenz f\u00fchren, nur den Stoff bieten, den der Wille erst uns verwertbar macht. Mit Kecht erwidert Fl\u00fcgel, dafs diese \u201euns\u201c, f\u00fcr welche die Sinnesempfindungen Schattenexistenz f\u00fchren, nur v\u00f6llig ausgebildete K\u00f6pfe sein k\u00f6nnen. Beim ungebildeten Menschen, beim Kind und gar beim Tier ist es ganz anders, da l\u00e4fst sich noch beobachten, wie die Vorstellungen nach ihren eigenen Gesetzen sich verbinden und hemmen. Der Zustand des ausgebildeten charaktervollen Geistes, dessen Wille alle inneren Kegungen beherrscht, ist also erst ein Erzeugnis allm\u00e4hlicher Entwickelung; unm\u00f6glich darf dieses Letzte zum Ersten gemacht werden. \u00dcberdies deutet keine Erfahrung darauf hin, dafs die Vorstellungen aus-","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362\ni\u00c4tteraturbericht.\neinander fallen w\u00fcrden, wenn sie nicht von einem Willen zusammengehalten w\u00fcrden; im Gegenteil beweisen die vielen Verwechselungen und Verallgemeinerungen, dafs die Vorstellungen von Natur einheitlich zusammenfliefsen und oft erst der Wille sie auseinanderh\u00e4lt.\nEs l\u00e4fst sich nicht leugnen, dafs die psychologische Erfahrung im allgemeinen f\u00fcr Fl\u00fcgel gegen K\u00fclpe spricht; nur darf diese Zustimmung zur empirischen Willensanalyse nicht ausgedehnt werden auf die theoretischen Grundvoraussetzungen, mit denen Herbart sie verkn\u00fcpft hat und f\u00fcr die nun auch Fl\u00fcgel wieder eintritt. Schon durch die Forderung nach psycho-physischem Verst\u00e4ndnis werden diese beseitigt, denn darin t\u00e4uscht sich Fl\u00fcgel: f\u00fcr eine wissenschaftlich konsequente Psycho-physik ist Herbarts Realienmetaphysik genau so unfruchtbar wie die Apperceptionsmetaphysik von K\u00fclpe.\nM\u00fcnsterberg (Freiburg i. Br.).","page":362}],"identifier":"lit14314","issued":"1890","language":"de","pages":"360-362","startpages":"360","title":"O. Fl\u00fcgel: Zur Lehre vom Willen. Zeitschrift f\u00fcr exakte Philosophie, Band 18, 1890, H. 1, S. 30-67","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:15:02.057471+00:00"}