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{"created":"2022-01-31T16:15:54.422694+00:00","id":"lit14321","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 230-231","fulltext":[{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nLitteraturbericht.\ndenn w\u00e4hrend Wiederholung und Ausdauer die Rindenbilder verst\u00e4rkt, schw\u00e4cht \u00dcberb\u00fcrdung dieselben.\n\u201eDie Verwirrtheit ist eine Herabsetzung des elementaren Ern\u00e4hrungs-Ph\u00e4nomens der geweblichen Attraktion im kortikalen Organe, welche die Association in weitgreifendem Zusammenh\u00e4nge, die h\u00f6her koordinierte Association in verschiedenem Grade beeintr\u00e4chtigt, so dafs das Gewebsplasma einerseits nicht mit f\u00fcr geordnete Gedankeng\u00e4nge gen\u00fcgender Intensit\u00e4t chemisch angezogen wird, damit diese \u00fcber der Schwelle des Bewufstseins sich halten, und andererseits nicht durch diese Anziehung in grofsen Zusammenh\u00e4ngen den all\u00f6rtlich vorhandenen Nebenleitungen nach allen Richtungen entzogen wird, welche der Zusammenhang aller Rindenstellen untereinander in der anatomischen Einrichtung dar bietet, innerhalb deren aber die Gewebsattraktion eine Anordnung gestaltet.\u201cJ\nDie Verwirrtheit ist also ein Ausfallssymptom; das Auftreten von Hallucinationen spricht aber daf\u00fcr, dafs gleichzeitig mit dem Herabsinken der kortikalen Leistung die subkortikalen Sinnescentren Reizerscheinungen darbieten. M. erkl\u00e4rt dies aus den anatomischen Verh\u00e4ltnissen der Blutgef\u00e4fsbahnen.\tPeretti (Bonn).\nTh. Kirchhoff. Grundrifs einer Geschichte der deutschen Irrenpflege.\n192 S. Berlin 1890, Hirschwald. Preis M. 5.\u2014.\nUnter diesem bescheidenen Titel bringt uns der Verfasser eine ganze F\u00fclle an interessanten und lehrreichen Thatsachen, wobei er den Begriff der Irrenpflege im weitesten Sinne auffafst und ihn auf das Hexen- und D\u00e4monenwesen ausdehnt.\nDas Buch gewinnt dadurch weit \u00fcber den Kreis der Fachgenossen hinaus an Wert, und die Untersuchungen des Verfassers \u00fcber Einflufs und Ausbreitung des Hexenwesens, sowie \u00fcber die Stellung verschiedener grofser M\u00e4nner jener dunkeln Zeit zu diesen traurigen Verirrungen Paracelsus, Weter, Platter, Luther u. a. m.) haben ein allgemeines Interesse.\nSelbst ein so gewaltiger Geist, wie Luther, steht unter dem Banne des Aberglaubens seiner Zeit, und da man den Teufel \u00fcberall vermutete, hatte man auch die Befriedigung, ihn oft zu finden.\nIhm und seinen Zeitgenossen einen Vorwurf daraus zu machen, dafs sie Kinder ihrer Zeit gewesen, w\u00e4re aber so th\u00f6richt wie unvorsichtig. Wir wissen zwar, dafs bis in die neuere Zeit hinein dogmatische Erscheinungen und insbesondere der Teufelsglauben eine eigentliche Irrenpflege unm\u00f6glich machten, was wir aber nicht wissen, oder in unserer raschlebigen Zeit wieder vergessen haben, das ist, dafs uns von diesen mittelalterlichen Anschauungen nur ein winzig kleiner Zwischenraum trennt, ja mehr noch, dafs sie bis auf den heutigen Tag ihre Anh\u00e4nger und Verteidiger finden.\nHeixroth und seine Schule (1818) n\u00e4herte sich wieder der Teufelstheorie, oder hatte sich vielmehr nie davon entfernt, G\u00f6rres findet in seiner vielbewunderten \u201echristlichen Mystik\u201c (1842) den Ursprung aller Krankheiten in der S\u00fcnde, und endlich hatte Vilmar (1856) den traurigen Mut,","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Li tteraturbericht.\n231\nden Hexenglauben zu seiner alten Pracht und Herrlichkeit aufzuwecke n und den Teufel in seine pers\u00f6nlichen Rechte auf den Menschen wieder einzusetzen. Es schadet nichts, wenn uns diese Thatsachen von Zeit zu Zeit vorgehalten werden, und dem Verfasser m\u00fcssen wir daf\u00fcr wie f\u00fcr vieles andere dankbar sein, das er uns in dem inhaltreichen Buche bietet.\nPelman.\nP. J. M\u00f6bius. J. J. Rousseaus Krankheitsgeschichte. 191 S. Leipzig 1889, Vogel, Preis il. 4.\u2014.\nM\u00f6bius hat uns in der Krankheitsgeschichte J. Jj Rousseaus ein wirklich gutes Buch geliefert, das jeder mit Genufs und Belehrung zur Hand nehmen wird. Derartige retrospektive Untersuchungen sind aufser-ordentlich umst\u00e4ndlich und zeitraubend, und je dickleibigere B\u00fccher der Mann selber geliefert hat, um dessen Lebensgeschichte es sich handelt, und je mehr \u00fcber ihn geschrieben wurde, um so umfangreicher wird die Aufgabe. Handelt es sich nun gar um einen Mann wie J. J. Rousseau, dessen Namen zwar jeder gelegentlich im Munde f\u00fchrt, dessen Werke aber zur Zeit kaum mehr in gleichem Mafse gelesen werden, dann geh\u00f6rt pers\u00f6nlicher Mut dazu, seine Krankheitsgeschichte zu schreiben.\nM\u00f6bius hat diesen Mut gehabt und er hat die Aufgabe, die er sich gestellt, in einer geradezu mustergiltigen Weise gel\u00f6st.\nVor unsern Augen rollt er ein klares und scharf gezeichnetes Bild von der Entwickelung jenes aufserordentlichen Mannes auf, das ihn uns auch gem\u00fctlich n\u00e4her bringt und uns zum Mitgef\u00fchle zwingt.\nWir machen sein Ringen und sein K\u00e4mpfen mit ihm durch, wir empfinden seine k\u00f6rperlichen und seelischen Leiden, und wir treten ihm auf diese Weise menschlich n\u00e4her, ja wir gewinnen ihn trotz seiner Schrullen und seiner uns sonst nicht ganz verst\u00e4ndlichen Absonderlichkeiten wirklich lieb.\nM\u00f6bius erreicht diese echt k\u00fcnstlerische Wirkung durch die einfachsten Mittel der Darstellung, indem er seinen Kranken meist selber reden l\u00e4fst und nur selten mit seiner eigenen Anschauung an den Leser herantritt.\nWenn wir so die zahllosen Entt\u00e4uschungen und Kr\u00e4nkungen Rousseaus gleichsam mitdurchleben, so treten wir mitten in das Verst\u00e4ndnis seiner geistigen St\u00f6rung hinein, wir empfinden sie als eine einfache logische Folge jener Sch\u00e4dlichkeiten, und auch hierin zeigt sich die Kunst des Darstellers, dafs er es vielfach fraglich erscheinen l\u00e4fst, was in den Beeintr\u00e4chtigungsideen Rousseaus als Wahn und was als Wirklichkeit anzusehen ist.\nSeit 1766 war R. unzweifelhaft geistesgest\u00f6rt und er blieb es bis zu seinem Tode 1778.\nIn diesen langen Jahren gab es allerdings bessere Zeiten, und oft hatte es den Anschein, als sei er ganz von seiner Krankheit frei, im Grunde aber wucherte sie weiter und entwickelte sich nach und nach zu einem ausgebildeten Wahnsystem. \u00dcberall witterte er Verfolgung und Gefahr, die W\u00e4nde und Fufsb\u00f6den seiner Wohnung waren in passender Weise eingerichtet, um ihn mit Spionen zu umgeben, und nirgends h\u00e4lt er es mehr aus, bis er endlich seiner eigenen Frau nicht mehr traut und","page":231}],"identifier":"lit14321","issued":"1890","language":"de","pages":"230-231","startpages":"230","title":"Th. 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