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{"created":"2022-01-31T16:15:35.877773+00:00","id":"lit14324","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 231-232","fulltext":[{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"LitteraturbericM.\n281\nden Hexenglauben zu seiner alten Pracht und Herrlichkeit aufzuwecke n und den Teufel in seine pers\u00f6nlichen Rechte auf den Menschen wieder einzusetzen. Es schadet nichts, wenn uns diese Thatsachen von Zeit zu Zeit vorgehalten werden, und dem Verfasser m\u00fcssen wir daf\u00fcr wie f\u00fcr vieles andere dankbar sein, das er uns in dem inhaltreichen Buche bietet.\nPelm an.\nP. J. M\u00f6bius. J. J. Rousseaus Krankheitsgeschichte. 191 S. Leipzig 1889, Vogel. Preis Mi. 4.\u2014.\nM\u00f6bius hat uns in der Krankheitsgeschichte J. J] Rousseaus ein wirklich gutes Buch geliefert, das jeder mit Genufs und Belehrung zur Hand nehmen wird. Derartige retrospektive Untersuchungen sind aufser-ordentlich umst\u00e4ndlich und zeitraubend, und je dickleibigere B\u00fccher der Mann selber geliefert hat, um dessen Lebensgeschichte es sich handelt, und je mehr \u00fcber ihn geschrieben wurde, um so umfangreicher wird die Aufgabe. Handelt es sich nun gar um einen Mann wie J. J. Rousseau, dessen Namen zwar jeder gelegentlich im Munde f\u00fchrt, dessen Werke aber zur Zeit kaum mehr in gleichem Mafse gelesen werden, dann geh\u00f6rt pers\u00f6nlicher Mut dazu, seine Krankheitsgeschichte zu schreiben.\nM\u00f6bius hat diesen Mut gehabt und er hat die Aufgabe, die er sich gestellt, in einer geradezu mustergiltigen Weise gel\u00f6st.\nVor unsern Augen rollt er ein klares und scharf gezeichnetes Bild von der Entwickelung jenes aufserordentlichen Mannes auf, das ihn uns auch gem\u00fctlich n\u00e4her bringt und uns zum Mitgef\u00fchle zwingt.\nWir machen sein Ringen und sein K\u00e4mpfen mit ihm durch, wir empfinden seine k\u00f6rperlichen und seelischen Leiden, und wir treten ihm auf diese Weise menschlich n\u00e4her, ja wir gewinnen ihn trotz seiner Schrullen und seiner uns sonst nicht ganz verst\u00e4ndlichen Absonderlichkeiten wirklich lieb.\nM\u00f6bius erreicht diese echt k\u00fcnstlerische Wirkung durch die einfachsten Mittel der Darstellung, indem er seinen Kranken meist selber reden l\u00e4fst und nur selten mit seiner eigenen Anschauung an den Leser herantritt.\nWenn wir so die zahllosen Entt\u00e4uschungen und Kr\u00e4nkungen Rousseaus gleichsam mitdurchleben, so treten wir mitten in das Verst\u00e4ndnis seiner geistigen St\u00f6rung hinein, wir empfinden sie als eine einfache logische Folge jener Sch\u00e4dlichkeiten, und auch hierin zeigt sich die Kunst des Darstellers, dafs er es vielfach fraglich erscheinen l\u00e4fst, was in den Beeintr\u00e4chtigungsideen Rousseaus als Wahn und was als Wirklichkeit anzusehen ist.\nSeit 1766 war R. unzweifelhaft geistesgest\u00f6rt und er blieb es bis zu seinem Tode 1778.\nIn diesen langen Jahren gab es allerdings bessere Zeiten, und oft hatte es den Anschein, als sei er ganz von seiner Krankheit frei, im Grunde aber wucherte sie weiter und entwickelte sich nach und nach zu einem ausgebildeten Wahnsystem. \u00dcberall witterte er Verfolgung und Gefahr, die W\u00e4nde und Fufsb\u00f6den seiner Wohnung waren in passender Weise eingerichtet, um ihn mit Spionen zu umgeben, und nirgends h\u00e4lt er es mehr aus, bis er endlich seiner eigenen Frau nicht mehr traut und","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nLitteraturbericht.\nruhelos von seinem Wahne von Stadt zu Stadt, von Land zu Land getrieben wird.\nUnd trotz alledem bleibt er ein grofser Geist.\nDer Ausspruch Grimms \u00fcber ihn und seine \u201eGespr\u00e4che\u201c, \u201eOhne Zweifel war R. verr\u00fcckt, als er das Werk verfafste, aber es scheint nicht weniger gewifs, dafs R. der einzige Mensch auf der Welt war, der es schreiben konnte,\u201c enth\u00e4lt die Anerkennung seines erbittertsten Gegners, der wir nur zustimmen k\u00f6nnen.\nDie ungew\u00f6hnlich hohe Intelligenz R.\u2019s erm\u00e4chtigt ihn trotz seiner Geistesst\u00f6rung zu so wunderbaren Leistungen, wie wir sie in seinen \u201eBekenntnissen\u201c vor uns sehen, w\u00e4hrend die Gr\u00f6fse seines Charakters ihn vor jeder niedrigen Handlungs- und Denkweise bewahrte.\nF\u00fcr uns Psychiater ist diese \u201eKrankheitsgeschichte\u201c von besonderem Interesse, und zwar nicht nur dem Inhalte, sondern auch der Form nach.\nSie lehrt uns unter anderem, was wir allzu leicht vergessen, dafs die Geistesst\u00f6rung unter Umst\u00e4nden die Pers\u00f6nlichkeit wohl beeintr\u00e4chtigen, aber nicht von Grund aus ver\u00e4ndern, und ein wahrhaft grofser Mensch auch noch in seiner Erkrankung grofs bleiben kann.\nPelman.\nA. Sprenger. Mohammed und der Koran. Eine psychologische Studie.\nSammlung gemeinverst. wissenschaftl. Vortr\u00e4ge. Heft 84/85. 74 S. Hamburg 1889, Verlagsanstalt. Preis M. 1.20.\nMohammed und der Koran betitelt sich eine Arbeit, die in der Sammlung gemeinverst\u00e4ndlicher wissenschaftlicher Vortr\u00e4ge von Virchow und Holtzendorff erschienen ist (Heft 84/85), und Herrn A. Sprenger in Heidelberg zum Verfasser hat. Durch den Zusatz \u201eeine psychologische Studie\u201c soll doch wohl die Art der Auffassung angedeutet werden. Nun wird man aber bei aller Aufmerksamkeit von einer psychologischen Auffassung herzlich wenig finden, und wer ohne anderweitige Belehrung \u00fcber Mohammed und den Koran seine Kenntnisse lediglich aus der vorliegenden Studie sch\u00f6pfen will, wird schwerlich seine Rechnung finden. Offenbar kommt Mohammed hier gar zu schlecht weg, und eine psychologische Entwickelung seiner Eigenart und seines Werkes wird kaum versucht. Den Propheten einfach mit der Diagnose des \u201ereligi\u00f6sen Wahnsinnes\u201c abzuthun, scheint mir bei einem Manne von der Bedeutung Mohammeds doch etwas gewagt zu sein.\nGewifs ist vieles in dem Leben des Propheten recht bedenklicher Natur, und es w\u00e4re eine ebenso dankenswerte wie schwierige Aufgabe, seine psychologische Entwickelungsgeschichte zu schreiben. .\nEin Geisteskranker in unserem Sinne war er sicherlich ebensowenig, wie ein gew\u00f6hnlicher Betr\u00fcger, obwohl er zeitweilig den Tribut entrichten mufste, ohne den nun einmal kein Prophet durchkommt, wenn er sich \u00fcber Wasser halten will.\nWenn der Koran reich an Widerspr\u00fcchen ist, so erkl\u00e4rt sich dies aus der Art seiner Entstehung, indem er alle Ereignisse aus dem Leben des Propheten, die grofsen sowohl wie die kleinen, in augenblicklichen Momentbildern wiederspiegelt, und uns so eine getreue Kunde von der jeweiligen Gem\u00fctsstimmung Mohammeds gibt. Seine Dogmen wurzeln in","page":232}],"identifier":"lit14324","issued":"1890","language":"de","pages":"231-232","startpages":"231","title":"P. J. M\u00f6bius: J. J. Rousseaus Krankheitsgeschichte. 191 S., Leipzig 1889, Vogel","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:15:35.877779+00:00"}