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{"created":"2022-01-31T16:14:47.180863+00:00","id":"lit14334","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Raehlmann, E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 53-96","fulltext":[{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch - psychologische Studien \u00fcber die Entwickelung der Gresichtswahrnehmungen hei Kindern und bei operierten Blindgeborenen.\nVon\nE. Rae ulmann,\nordentl. Professor der Ophthalmologie und Direktor der Universit\u00e4tsklinik f\u00fcr Augenkranke in Dorpat.\nDie Physiologie der Sinneswahrnehmungen ist wohl als das Bindeglied zwischen den rein naturwissenschaftlichen Forschungen einerseits und der Psychologie und der Philosophie andererseits zu betrachten.\nIn der Neuzeit hat sie immer mehr Einflufs auf die genannten Disciplinen gewonnen. Die Beobachtung des Vorganges der Sinnesth\u00e4tigkeiten, ihrer Abh\u00e4ngigkeit von physikalischen Vorbedingungen, ihrer Einwirkung auf den Ablauf der einfachsten psychischen Vorg\u00e4nge, die sich als Sinnesreflexe \u00e4ufsern, die Analyse der Punktion der Sinnesorgane nach quantitativ und qualitativ verschiedener Reaktion hat nicht allein auf die philosophischen Systemanschauungen grofsen Einflufs ausge\u00fcbt, sondern in der Neuzeit sogar zu ganz neuen Systemen gef\u00fchrt. Namentlich seit Helmholtz seine neue Erkenntnistheorie, welche alle geistige Entwickelung auf die Punktion der Sinnesorgane zur\u00fcckf\u00fchrt, der KANTschen Erkenntnislehre mit ihrem Apriorismus der Zeit und Raumbegriffe gegen\u00fcberstellte.\nSeitdem hat sich der scharfe Gegensatz in der Auffassung der Entstehung unseres Seelenlebens ausgebildet, der die beteiligte wissenschaftliche Welt in zwei Lager gespalten hat. Die KANTsche Lehre in Anwendung auf die Physiologie des Gesichtssinnes, fr\u00fcher von Joh. M\u00fcller, gegenw\u00e4rtig am konsequentesten vertreten durch E. Hering, ist der vollkommenste Ausdruck des Nativismus, die HELMHOLTZsche Lehre die des Empirismus geworden.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nE. Baehlmann.\nNach der Lehre der Nativisten ist der Raumbegriff eine seelische Eigenschaft, welche vor aller Sinnesth\u00e4tigkeit vorhanden, also angeboren ist. Ohne Sinnesth\u00e4tigkeit schlummert diese Eigenschaft, bestimmt aber nach jeder Sinnesth\u00e4tigkeit die Form der zugeh\u00f6rigen Vorstellung.\nNach Helmholtz ist die Vorstellung der Raumdimensionen ausschliefslich ein Produkt der Erfahrung unserer Sinne, also nach Inhalt und Form empiristisch erworben.\nDas Auge ist unstreitig das vornehmste der Sinnesorgane, durch welches wir im Leben den Raum ermessen und Dimensionen zu sch\u00e4tzen verm\u00f6gen. Unstreitig auch dasjenige Organ, durch welches wir die ersten Erfahrungen \u00fcber Raumgr\u00f6fsen sammeln. Bei der Frage, wie die ersten Raum begriffe, oder vielmehr der Raumbegriff schlechthin entsteht, m\u00fcfste daher die Physiologie des Auges f\u00fcr Nativisten wie Empiristen ein wertvolles Beobachtungsfeld abgeben.\nDie einschl\u00e4gigen physiologischen Beobachtungen, welche auf diesem Felde angestellt worden sind, beziehen sich auf Tiere sowohl, als auf den Menschen.\nDie Beobachtungen an neugeborenen Tieren ergeben das Resultat, dafs je h\u00f6her das Tier in der Tierreihe steht, dasselbe um so h\u00fclfloser geboren wird, um so sp\u00e4ter sich sicher bewegen, d. h. seine Gesichtswahrnehmungen um so sp\u00e4ter zu seiner Orientierung benutzen lernt.\nDie niederen Tiere, Insekten (K\u00e4fer, Schmetterlinge) besitzen, vom ersten Momente ihres Auskriechens an, ihre volle Orientierungsf\u00e4higkeit, bringen also den Raumbegriff (wenn man von einem solchen bei ihnen reden darf) ohne Zweifel mit auf die Welt.\nAuch junge H\u00fchner, Enten etc. besitzen gleich nach dem Ausschl\u00fcpfen aus dem Ei eine staunenswerte Geschicklichkeit im Aufpicken von Getreidek\u00f6rnern. Ebenso kommen manche S\u00e4ugetiere mit einem sehr guten Orientierungsverm\u00f6gen auf die Welt. So berichtet Spalding \u00fcber Beobachtungen an neugeborenen Ferkeln, welche ihm ergeben, dafs letztere beim Springen Tiefendistanzen zu ber\u00fccksichtigen verm\u00f6gen.\nEine objektive Kritik mufs also f\u00fcr die niederen Tiere zugeben, dafs sie die F\u00e4higkeit angeboren besitzen, ihre Gesichtseindr\u00fccke zweckm\u00e4fsig zu verwerten. Die Zweckm\u00e4fsigkeit richtet sich hier indes nur auf eine, und zwar immer nur auf","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n55\neine und dieselbe vegetative Bewegung, die Bewegung der N ahrungsaufnahme.\nDie ersten Bewegungen junger F\u00fcllen, K\u00e4lber, junger Schweine etc. sind auf die Erreichung der Zitzen der Mutter gerichtet. Der junge Hund findet die letzteren ohne Zuthun der H\u00fcndin auch, obwohl er v\u00f6llig blind ist. Wieviel bei den Bewegungen junger F\u00fcllen auf richtige Verwertung der Gesichtseindr\u00fccke zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, wieweit andere Sinne, namentlich der Geruch, bei der Leitung und Richtung der Bewegung mitwirken, ist schwer zu erforschen. Aufserdem verfliefst nach der Geburt der erw\u00e4hnten Tiere doch immer einige, wenn auch kurze Zeit, bevor sie sich fortbewegen. Es l\u00e4fst sich auch schwer entscheiden, ob und was f\u00fcr Sinneseindr\u00fccke das Tier in dieser Zeit sammelt und verwerten lernt.\nDas junge H\u00fchnchen, welches gleich nach dem Auskriechen umherl\u00e4uft, pickt freilich nach umherliegenden K\u00f6rnern, mufs die letzteren also sehen. Die beim Picken notwendigen Bewegungen sind indes sehr einfache, immer in gleicher Weise wiederkehrende. Eine zweckentsprechende Auswahl unter vielen, m\u00f6glichen Kopf- und Augenbewegungen, wie sie bei h\u00f6heren Tieren sich mit der Verwertung der Gesichtseindr\u00fccke verbindet, findet hier nicht statt. Die Koordination zwischen den Gesichtseindr\u00fccken und den Kopfbewegungen der H\u00fchnchen ist zun\u00e4chst also eine m\u00f6glichst einfache. Ebenso einfach sind die Augenbewegungen selbst. Ein binokulares Gesichtsfeld fehlt. Jedes Auge hat sein gesondertes Gesichtsfeld, in welchem alle Teile gleichwertig funktionieren und in welchem keine besondere Stelle, wie die macula lutea des Menschen, physiologisch pr\u00e6valiert. Dieses Gesichtsfeld wird wenig durch Augenbewegungen, fast nur, und bei ganz jungen Tieren wohl immer, nur durch Kopfdrehungen relativ zum Raume (dem Erdboden) verschoben. Eine Beziehung zwischen den relativ fixen Netzhautstellen, die von optischen Bildern getroffen werden, und den leuchtenden Objekten auf dem Erdboden, die die Netzhaut erregen, ist daher viel leichter m\u00f6glich, als bei den h\u00f6heren Tieren.\nSeit acht Jahren halte ich zu meinem Vergn\u00fcgen ein Vogelhaus, in welchem durchschnittlich 150 V\u00f6gel, unter ihnen viele Papageien, frei umherfliegen, nisten und sich vermehren.\nObwohl mir bekannt ist, dafs V\u00f6gel, namentlich Papageien, \u00fcber","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nJE. Baehlmann.\neinen entwickelten Augenmuskelapparat verf\u00fcgen, konnte ich mich trotz l\u00e4ngerer Beobachtung nicht \u00fcberzeugen, dafs dieselben Augenbewegungen zum Zwecke des Sehens wirklich ausf\u00fchren, dagegen besitzen die meisten Papageien namentlich die gr\u00f6fseren Arten (Psittacus erithacus oder Graupapagei) eine willk\u00fcrlich bewegliche Pupille, welche nicht allein erweitert und verengert, sondern auch seitlich verschoben werden kann. Ich glaube mich wenigstens \u00fcberzeugt zu haben, dafs die Pupille h\u00e4ufig, unter gleichzeitigem Schm\u00e4lerwerden des nach dem Schnabel gerichteten Breitenteils der Iris, nach Seite des Schnabels disloziert wird, wobei sie eine leicht ovale Gestalt erh\u00e4lt.\nOft hatte ich Gelegenheit das Ausfliegen junger V\u00f6gel, auch hoch-begabter Papageien zu beobachten. Die jungen Tiere, im Neste (Nistkasten) gewifs schon gew\u00f6hnt, umherzuschauen, Krallen und Schnabel zu gebrauchen, sind, wenn sie das Nest verlassen, durchaus nicht sicher im Erfassen von Zweigen und \u00c4sten, sondern greifen h\u00e4ufig fehl und fallen, umflattert von den besorgten Alten, zu Boden. Auch sah ich sie anfangs fast regelm\u00e4fsig gegen die Zimmerw\u00e4nde fliegen, gegen Hindernisse stofsen etc., was bei \u00e4lteren Tieren derselben Species nie vorkommt.\nJe h\u00f6her das Tier in der Tierreihe steht, desto sp\u00e4ter lernt es seine Gesichtseindr\u00fccke beim Ortswechsel verwerten, das trifft besonders f\u00fcr diejenigen h\u00f6heren Tiere zu, welche ein binokulares oder teilweise binokulares Gesichtsfeld besitzen. Beim neugeborenen Menschen dauert die Ausbildung des Gesichtssinnes als Mittel der Baumsch\u00e4tzung unter allen Wesen am l\u00e4ngsten. Alle Kenntnisse \u00fcber die Dimensionen des Baumes werden m\u00fchsam der Erfahrung der Sinne, vornehmlich des Auges, abstrahiert.\nEs existiert also, was die Entstehung der Baumanschauungen angeht, ein erheblicher Unterschied zwischen Mensch und Tier, indem der Mensch m\u00fchsam erlernen mufs, was das Tier gleich bei der Geburt an Ausstattung in den Beziehungen zwischen Hirn und Auge fertig mitbringt.\nIst dieser Unterschied nun geeignet, bei Entscheidung der Streitfrage zwischen Empirismus und Nativismus mit eine Bolle zu spielen? Soweit wir die menschliche psychologische Entwickelung ins Auge fassen, \u2014 wohl nicht ; dazu sind die Beobachtungen an Tieren viel zu unsicher, da wir \u00fcber das Sehenlernen derselben nur ganz oberfl\u00e4chliche Beobachtungen zu machen verm\u00f6gen.\nDie Thatsachen aber, die sich hier auch durch solche unbestreitbar feststellen lassen und welche, wie hervorgehoben, angeborene Baumvorstellungen voraussetzen, lassen sich auch","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n57\nmit den Anschauungen des Empirismus vereinen, wenn man die Lehre Darwins \u00fcber die geistige Ausbildung und Veredlung der Rassen in Anwendung zieht.\nDer englische Philosoph U. Spencer, sowie in Deutschland Du Bois-Reymond 1 haben auf die Bedeutung der DARWiNschen Grunds\u00e4tze f\u00fcr die in Rede stehende Streitfrage hingewiesen und gewissermafsen zwischen dem reinen Nativismus und dem Empirismus, wie mir scheint mit Erfolg, vermittelt.\n\u201cWir sehen, dafs bei Tieren, bei denen die Veredlung der Art, durch zweckm\u00e4fsige Rassenz\u00fcchtigung in der Weise vor sich geht, dafs nicht allein k\u00f6rperliche, sondern auch geistige Vorz\u00fcge, die von Individuen zu Individuen vollkommener wurden, sich vererben, Einzelwesen mit einer Disposition f\u00fcr ganz bestimmte F\u00e4higkeiten geboren werden, welche anderen Individuen, die der Ahnenreihe nicht angeh\u00f6ren, entweder fehlen oder nicht in gleichem Grade zukommen.\nUnter den obenerw\u00e4hnten Papageien befindet sich eine Species (Psittaeus nov\u00e6 Zelandi\u00e6) deren Individuen viel auf dem Boden umherlaufen, dagegen fast nie klettern. Ein M\u00e4nnchen dieser V\u00f6gel zeigte die Eigent\u00fcmlichkeit, heim Fressen die Getreidek\u00f6rner mit dem Fufse, mit halb zusammengezogenen Krallen, zur Seite zu schlagen, durch kurze schnelle Bewegungen, welche dem Scharren der H\u00fchner gleichen. Diese Eigent\u00fcmlichkeit, welche ich sonst bei keiner Papageienart, auch bei anderen Individuen derselben Familie nie gesehen habe, zeigte die Nachkommenschaft des erw\u00e4hnten M\u00e4nnchens durch drei Generationen, welche ich beobachten konnte.\nSo k\u00f6nnen wir uns auch das Zustandekommen bestimmter Hirnfunktionen denken, welche durch die immer wiederkehrenden optischen Reize regelm\u00e4fsig angeregt und in bestimmten Bahnen geleitet, zu immer denselben Bewegungen f\u00fchren, welche letztere zugleich den allereinfachsten Existenzbedingungen Gen\u00fcge leisten.\nEs w\u00e4re gem\u00e4fs dieser Vorstellung die beim niederen Tiere angeborene Raumanschauung, eine durch die Erfahrung der Art fixierte Relation zwischen Auge und Hirn.\nBei der Beobachtung des neugeborenen Menschen lassen sich aber \u00e4hnlich fertig gebildete Relationen, welche der Orientierung dienen, schlechterdings nicht auffinden. \u201eW\u00e4hrend\nDu Bois-Reymond: Leibnizsche Gedanken in der neueren Naturwissenschaft. Berlin 1870.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nE. Baehlmann.\nalso beim K\u00e4lbchen schon w\u00e4hrend des F\u00f6tallebens eine Gehirnentwickelung geschah, verm\u00f6ge deren das neugeborene Tier im Eaume Bescheid weifs, seine vier F\u00fcfse in richtiger Folge zu setzen und seinen Schwerpunkt zu unterst\u00fctzen versteht, geht beim Kinde die entsprechende Entwickelung erst nach der Geburt, w\u00e4hrend der ersten Monate vor sich. Nach dieser Ansicht w\u00e4ren die Raumvorstellung, die Verstandes-Kategorien, weder angeboren noch erworben, sondern sie w\u00fcchsen dem werdenden Geiste allm\u00e4hlich zur richtigen Zeit von selber zu. Damit aber verst\u00e4ndlich werde, warum ein sehend gemachter Blindgeborner, ein an das Licht gelassener Caspar Hauser, seine Gesichtseindr\u00fccke mangelhaft deutet, mufs freilich hinzugef\u00fcgt werden, dafs zur normalen Entwickelung der Sehsinnsubstanz normale Gesichtseindr\u00fccke geh\u00f6ren.\u201c (Du Bois-Reymond 1. c.)\nDiese h\u00f6chst geistreiche schon 1870 ge\u00e4ufserte Hypothese \u00fcber die relativ sp\u00e4te Entstehung der Raumvorstellungen in Abh\u00e4ngigkeit vom weiteren Gehirnwachstum, hat inzwischen durch die Resultate vieler Untersuchungen auf dem Gebiete der Pathologie, der physiologischen Chemie, dann aber auch der pathologischen Anatomie und Physiologie eine besondere St\u00fctze erhalten.\nDurch die Untersuchungen Flechsigs, Pierrets und Anderer ist klargestellt worden, dafs die anatomischen Bahnen in Hirn und R\u00fcckenmark (Pyramidenbahn), welche den motorischen Innervationen dienen, zur Zeit der Geburt des Kindes noch garnicht\u2019 vorhanden sind, dafs dieselben vielmehr erst ver-h\u00e4ltnism\u00e4fsig sp\u00e4t entstehen, gleichsam \u201eZuwachsen\u201c, dafs also von Willens\u00e4ufserungen irgend welcher Art beim neugebornen Kinde schon aus dem Grunde nicht die Rede sein kann, weil die Bahnen, auf welchen sie geleitet werden k\u00f6nnten, noch g\u00e4nzlich fehlen.\nDasselbe gilt nach den Untersuchungen Soltmanns, Tar-chanoefs, Rougets auch f\u00fcr die Tiere, welche blind geboren werden. Bei diesen Tieren, wie beim neugeborenen Menschen fehlen die motorischen erregbaren Partien in der Hirnrinde und im R\u00fcckenmark vollst\u00e4ndig. Nach Tarchanofe sind aber die motorischen Centren in Hirn und R\u00fcckenmark bei den niederen Tieren, welche gleich nach der Geburt sich selbst\u00e4ndig bewegen, schon vorhanden. W\u00e4hrend beim Kalbe und beim jungen F\u00fcllen schon im Uterus des Muttertieres die Verbindung der","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n59\nSinnesorgane mit dem Hirn und die nerv\u00f6se Verbindung dieses mit den motorischen Bewegungsapparaten ausgebildet ist, so dafs die letzteren gleich nach der Geburt, sowie die Sinneserregung es verlangt, in Th\u00e4tigkeit treten k\u00f6nnen, m\u00fcssen diese Verbindungen beim neugebornen Menschen erst nach der Geburt entstehen. Bei ihm sind nur die vegetativen Funktionen in Th\u00e4tigkeit, die h\u00f6heren animalen erst im Werden begriffen. Die Th\u00e4tigkeit des Nervensystems beschr\u00e4nkt sich auf die Funktion des Bulbus und des R\u00fcckenmarks. Alle Bewegungen des Neugebornen entspringen darum vorl\u00e4ufig entweder rein vegetativen Bed\u00fcrfnissen, die reflektorisch erf\u00fcllt werden, oder sie sind unwillk\u00fcrliche Haut- und Sinnesreflexe.\nWir haben also im neugebornen Kinde einen noch unentwickelten Hirnorganismus vor uns, in welchem die geistigen Funktionen, auch die Gewinnung der Raumvorstellungen, erst proportional dem Gr\u00f6fsenwachstum und der Weiterentwickelung des Hirns sich ausbilden. Umsomehr Interesse verdient die Beobachtung der Zeit und der Art, wie diese Ausbildung vor sich geht.\nWelche Rolle spielen hier die gleich nach der Geburt einwirkenden optischen Sinnesreize? Sind sie entsprechend der empiristischen Auffassung die veranlassende Ursache f\u00fcr die Entwickelung der Vorstellung vom Raume, oder sind sie nur Mittel zum Zweck der Beth\u00e4tigung einer durch Wachstum des Hirns geweckten, aphoristischen Funktion?\nNur durch genaue Beobachtung der ersten Lebens-\u00e4ufserungen neugeborner Kinder kann man dieser Frage n\u00e4her treten.\nNeben den grundlegenden Arbeiten von Kussmaul sind solche Beobachtungen von C\u00fcignet, von Schoeler, von mir und Witkowski, von Gensmer, namentlich aber die ausf\u00fchrlichen Untersuchungen von Preyer vorhanden. Die Resultate dieser Untersuchungen sprechen mit Entschiedenheit f\u00fcr die empiri-stische Entstehung jeglicher Raumanschauung.\nNeben der Beobachtung der Neugebornen ist dann die Untersuchung von operierten und sehend gewordenen Blind-gebornen von besonderer Wichtigkeit f\u00fcr die Beantwortung der obigen Fragen. Solche Beobachtungen sind mitgeteilt von Cheselden, Grant, Wardrop, Ware, Home, Hofbauer, Trin-chinetti, Hirschberg, v. Hoippel und Dufour.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nE. Raehlmann.\nAlle Beobachtungen ohne Ausnahme sprechen f\u00fcr empiri-stisch gewonnene Raum Vorstellungen.\nDen angef\u00fchrten Beobachtungen habe ich meinerseits einige neue hinzuzuf\u00fcgen, welche sich teils auf neugeborne Kinder, teils auf operierte Blindgeborne beziehen.\nA. Beobachtungen an neugebornen Kindern.\nBei der Untersuchung neugeborner Kinder hatte ich mir die Aufgabe gestellt, diejenigen Erscheinungen aus dem beginnenden Geistesleben zusammenzustellen, resp. zu sammeln, welche Gesichtswahrnehmung verraten, zun\u00e4chst ohne R\u00fccksicht darauf, ob diese Sinneswahrnehmungen zweckbewufste, d. h. auf Bewegung gerichtete Vorstellungen herbeif\u00fchrten, also Willens\u00e4ufserungen zur Folge hatten. Dabei kam es dann zweitens darauf an, den relativen Wert der verschiedenen Teile des Gesichtsfeldes f\u00fcr das Sehenlernen \u00fcberhaupt festzustellen und die Reihenfolge in der Erwerbung der optischen Sinneserfahrungen, sowie deren Beziehung zum Bewegungsapparate zu eruieren.\nIch darf hier zun\u00e4chst wohl verweisen auf die Ergebnisse einer Reihe von Untersuchungen, welche ich im Verein mit L. Witkowski vor 15 Jahren an Neugebornen angestellt habe.1 Wir haben damals Kinder in den ersten 10 Lebenstagen untersucht, und konnten zun\u00e4chst die Beobachtung K\u00fcssmauls, dafs die Pupillen gleich nach der Geburt auf Licht reagieren, best\u00e4tigen. Der bekannte Reflex zwischen Sehnerv und Oculo-motorius, demzufolge der Lichtreiz Pupillenverengerung herbeif\u00fchrt, ist also gleich nach der Geburt ebenso vorhanden, als die an denselben Kindern von der Haut des Rumpfes und der Extremit\u00e4ten auszul\u00f6senden Reflexbewegungen.\nWir konnten damals ferner nachweisen, dafs im Schlafe bei Kindern Augenstellungen und Augenbewegungen Vorkommen, welche allen Associationsgesetzen, wie sie f\u00fcr die Augenbewegungen sehender Menschen gelten, durchaus zuwider sind. Wir konnten vollkommen einseitige Bewegungen konstatieren, ferner ungleich stark und vollkommen entgegengesetzte Be-\n1 Raehlmann und Witkowski: Du Bois-Reymonds Archiv f\u00fcr Physiologie. 1877. S.4S4\u2014471.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n61\nwegungen beider Augen nach weisen, durch welche starke Divergenzstellungen der Augen herbeigef\u00fchrt wurden.\nWir trafen auch bei wachen, nicht schlafenden Kindern gelegentlich vollkommen atypische Augenbewegungen und auffallende Schieistellungen an. Wir glaubten uns zu dem Schl\u00fcsse berechtigt, dafs das neugeborne Kind eine Disposition, beide Augen associiert zu bewegen, mit zur Welt bringt. Eigentlich koordinierte Augenbewegungen gelang uns jedoch nicht aufzufinden.\nAuch haben wir direkt nachgewiesen, dafs die sp\u00e4ter so fest eingewurzelte Koordination zwischen Augen- und Lidbewegungen bei Neugebornen bis zum 10. Lebenstage gar nicht existiert. Auge und Lid bewegen sich recht oft g\u00e4nzlich unabh\u00e4ngig voneinander, indem das obere Lid empor- oder herabgezogen wird, w\u00e4hrend der Augapfel zur\u00fcckbleibt und umgekehrt.\nDie mit Witkowski angestellten Untersuchungen habe ich seitdem fortgef\u00fchrt, auch an \u00e4lteren Kindern, wo sich nur Gelegenheit bot, namentlich an meinen eigenen K\u00fcndern, kontinuierliche, regelm\u00e4fsige Beobachtungen angestellt, \u00fcber welche mir zur Zeit eine grofse Reihe von Aufzeichnungen vorliegen, aus denen sich die nachfolgenden Gesichtspunkte und Folgerungen entnehmen lassen.\nErst nach der f\u00fcnften Lebenswoche findet, offenbar zum Zwecke des Fixierens, eine zweckm\u00e4fsige Auswahl zwischen den vielen m\u00f6glichen Augen- und Lidbewegungen statt und dann bildet sich rasch die volle Harmonie zwischen Lid- und Augenbewegungen aus, welche f\u00fcr das ganze Leben herrschend bleibt. Nur bei besonderen krankhaften St\u00f6rungen der Nerventh\u00e4tig-keit (bei morbus Basedowii), wird diese Harmonie gest\u00f6rt, und dann finden sich Augen- und Lidstellungen vor, welche den beim Kinde vorkommenden vollkommen gleichen.\nBei ganz jungen Kindern konnte ich bei Gelegenheit zuf\u00e4llig entstehender Konvergenzbewegungen, wie sie ja auch bei Neugebornen schon Vorkommen, eine Verengerung der Pupille, wenn sich gleichzeitig eine Ver\u00e4nderung des Lichtreizes (der Beleuchtung) mit Sicherheit ausschliefsen liefs, nicht nachweisen.\nDie Pupillenverengerung als Mitbewegung bei der Konvergenz der Blicklinien, welche von einer \"Willk\u00fcrinnervation des betreffenden Okulomotoriusastes abh\u00e4ngig ist, scheint dem-","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nE. Baehlmann.\nnach beim Neugebornen und bei Kindern in den ersten Lebenswochen nicht vorzukommen.\nErst gegen Ende der f\u00fcnften Lebenswoche habe ich fr\u00fchestens die akkomodative Verengerung der Pupille gesehen, zur selben Zeit etwa, wo sich auch die ersten bewufsten Fixationsversuche konstatieren lassen.\nWie der Lichtreflex der Pupille angeboren vorliegt, so auch die reflektorisch bedingten kurzen Zuckungen des Orbikularis-muskels, welche die bekannte Bewegung des Blinzelns hervorbringen. Der Lidschlufs durch Blinzeln l\u00e4fst sich n\u00e4mlich, was Kussmaul zuerst beobachtet hat, regelm\u00e4fsig hervorrufen bei Ber\u00fchrung der Wimperhaare, auch bei einfachem Anblasen derselben. Er tritt oft einseitig auf; oft auch so, dafs die Blinzelbewegung des zweiten Auges, etwas sp\u00e4ter nachfolgt.\nDiesen selben Behex des Blinzelns, k\u00f6nnen wir bei Neugebornen auch noch auf anderem Wege ausl\u00f6sen, n\u00e4mlich von der Haut der Umgebung des Auges und der Wange, innerhalb des Verbreitungsgebietes des zweiten Trigeminisastes. Eine leichte Ber\u00fchrung, ein schwacher, pl\u00f6tzlich ausge\u00fcbter Druck auf die Haut, bringt ihn hervor. Oft tritt er nur an einem Auge auf, welches dann momentan vollkommen geschlossen und gleich wieder ge\u00f6ffnet wird, w\u00e4hrend das Auge der nicht ber\u00fchrten Seite sich nicht beteiligt. Bisweilen schliefsen sich, auf eine solche pl\u00f6tzliche Ber\u00fchrung hin, zwar beide Augen, aber nicht gleichzeitig und in gleichem Grade, sondern die Lidschlufsbewegung des der ber\u00fchrten Seite entgegengesetzten Auges folgt um einen eben bemerkbaren Zeitteil der Bewegung des andern nach, ist auch h\u00e4ufig viel weniger energisch, so dafs es nicht zum v\u00f6lligen Schlufs der Lidspalte kommt.\nDie \u00dcbertragung des Hautreizes vom Trigeminus auf die motorische Bahn des Facialis erfolgt hier offenbar auf dem Wege einer Association, welche im sp\u00e4teren Leben sich nicht mehr findet resp. durch Hemmung verloren geht.1\nDerselbe Beflex l\u00e4fst sich aber vom Sehnerven her nicht\n1 Die praktische Ophthalmologie begegnet zuweilen krankhaften Zust\u00e4nden des Nervensystems mit gesteigerter Reflex erreghark eit, hei welchen L\u00e6sionen oder Hautaffektionen (Ekzem) im Bereiche des zweiten Trigeminusastes klonische Zuckungen im Orbicularis palpebrarum unterhalten.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n63\nausl\u00f6sen, eine Thatsache, die ich. bereits mit Witkowski feststellen konnte, und welche auch Preyer best\u00e4tigt.\nJeder erwachsene Mensch blinzelt bekanntlich, sobald unversehens ein Gegenstand rasch gegen sein Auge bewegt wird, vorausgesetzt nat\u00fcrlich, dafs der Reflexvorgang willk\u00fcrlich nicht unterdr\u00fcckt wird. Kindern in den ersten Wochen kann man die Hand auf das Auge zu bewegen, langsam oder rasch, ohne dafs Blinzeln eintritt.\nDer momentane Lidschlufsreflex kommt also einmal zwischen den Hautnerven des Lides (den Trigeminusfasem) und dem Facialisast des Orbicularis palpebrarum zu st\u00e4nde; als solcher ist er dem Kinde angeboren; und dann als Keflex zwischen Sehnerv und Facialis, welcher sich beim Neugeborenen nicht hervorrufen l\u00e4fst. Ich habe diesen Reflexvorgang erst um die achte Lebenswoche (wie auch Soltmann und Preyer) auftreten sehen, also kurze Zeit sp\u00e4ter, als sich die ersten Fixationsbestrebungen einstellen. \u2014 Die \u00dcbertragung des Reizes von den Wimperhaaren, von den Hautbezirken des zweiten Astes des Trigeminus auf den Orbicularis palpebrarum scheint, wie der Lichtreflex zwischen Netzhaut und Pupille, durch Vermittelung der Centren im centralen H\u00f6hlengrau der Ventrikel zu erfolgen. Er repr\u00e4sentiert eine Art von automatisch wirkendem Schutzapparat f\u00fcr das Auge. \u2014 Derselbe Reflexvorgang vom Sehnerven her angeregt, scheint Wahrnehmungsf\u00e4higkeit vorauszusetzen und an die Funktion centraler gelegener Associationsbahnen in den Rindengebieten gebunden zu sein.\nBei leicht Schlafenden und bei Chloroformierten ist, wenn das Bewufstsein bereits geschwunden, anfangs, wie die Reaktion der Pupille auf Licht, so auch jener Reflex vom Trigeminus auf den Facialis noch erhalten, es fehlt aber der Lidschlufsreflex vom Sehnerven her.\nGanz so verh\u00e4lt es sich bei vielen pathologischen Zust\u00e4nden, \"wie bei der ur\u00e4mischen Erblindung, unter Umst\u00e4nden also, wenn die Verbindung zwischen den Hirnrindengebieten und den Nervenurspr\u00fcngen des Opticus ausgeschaltet ist.\nAber auch bei zweimonatlichen und \u00e4lteren Kindern ist der Lidschlufsreflex vom Sehnerven aus nicht unter allen Umst\u00e4nden nachweisbar. Zun\u00e4chst tritt nur Blinzeln ein, aber meistens auf beiden Augen und gleichzeitig \u2014 wenn ein Gegenstand z. B. die Hand in der Richtung der Fixations-","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nE. Haehlmann.\nl\u00e4ge des Kindesauges (in der Richtung von dessen Blicklinie) gen\u00e4hert wird und zwar meistens nur dann, wenn der gen\u00e4herte Gegenstand vom Kinde angesehen wurde.\nDer Lidschlufsreflex bleibt h\u00e4ufig aus, wenn zwar die bewegte Hand sich der Fixationslage des Auges gerade gegen\u00fcber befindet, dieses Auge aber sich mit einem andern Gegenst\u00e4nde besch\u00e4ftigt, z. B. ein gl\u00e4nzendes Spielzeug, eine Rassel oder dergleichen vorgehalten wird. Der Reflex bleibt regel-m\u00e4fsig aus, wenn die auf das Auge zubewegte Hand nicht in der Mittellinie, sondern von der Peripherie des Gesichtsfeldes her dem Auge sich n\u00e4hert.\nIn der Mitte des f\u00fcnften Monats ist der Lidschlufsreflex von den peripheren Teilen der Retina her noch nicht regelrecht ausgebildet, man sieht ihn nur ausnahmsweise.\nDieses Verhalten des beschriebenen Reflexvorganges legt die Vermutung nahe, dafs die optischen Eindr\u00fccke in der Peripherie der Netzhaut erst sehr sp\u00e4t beim Kinde zur Geltung kommen, resp. beim Sehen verwertet werden.\nGanz im Einkl\u00e4nge mit diesen Befunden steht die Entwickelung der Blickbewegungen in Form der associierten Seitendrehungen der Augen. Sie sind, wie oben fl\u00fcchtig bemerkt, anf\u00e4nglich nicht nachzuweisen, erst gegen Ende der f\u00fcnften Woche, selten fr\u00fcher, treten sie auf. H\u00e4lt man um diese Zeit irgend einen hellen oder farbigen Gegenstand aus einiger Entfernung in der Mittellinie des K\u00f6rpers dem Kinde vor und zwar so, dafs die gew\u00f6hnlich mit ihren Blicklinien geradeausgerichteten Augen den Gegenstand gegen\u00fcber haben, so bemerkt man an einer eigent\u00fcmlichen Ver\u00e4nderung des Gesichtsausdruckes, eventuell auch an dem pl\u00f6tzlichen Aufh\u00f6ren der Bewegungen, welche das Kind bis dahin mit den H\u00e4nden und Beinen ausf\u00fchrte, dafs der Gegenstand gesehen wird, d. h. dafs sein Netzhautbild eine centrale Vorstellung herbeigef\u00fchrt hat, welche das Kind besch\u00e4ftigt. Bewegt man dann den also vom Kinde fixierten Gegenstand in horizontaler Richtung langsam zur Seite, so folgen die Augen beide nach, aber ohne dafs Kopfdrehungen eintreten. Geschieht die Fortbewegung des Objektes zur Seite rasch, so verlieren die Augen des Kindes den Gegenstand sofort, ebenso wenn derselbe aus der prim\u00e4ren Fixationsstellung, nicht in der horizontalen, sondern in vertikaler Richtung nach oben oder unten bewegt wird. \u2014-","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Physio logisch-psychologische Studien \u25a0\n65\nDie ersten sicher vom Kinde ausgef\u00fchrten Koordinationsbewegungen der Augen sind nach meinen Beobachtungen ausnahmslos associierte Seitenwendungen, welche \u2014 (das Kind horizontal liegend vorausgesetzt) \u2014 bei halb gesenkter Blickebene vor sich gehen. Bei allen untersuchten Kindern waren Hebungen und Senkungen der Blicklinien, um, bei entsprechenden Bewegungen der Gesichtsobjekte, diesen zu folgen, immer viel sp\u00e4ter erst nachzuweisen.\nBewegungen der Augen, die zum Zwecke des Fixierens vorgenommen werden, d. h. willk\u00fcrliche Verschiebungen der Blicklinien zu seitlich von der Mittellinie des Kindes gelegenen Gesichtsobjekten, treten erst sehr viel sp\u00e4ter ein. Erst gegen Mitte des f\u00fcnften Monats konnte ich sicher feststellen, dafs Blickbewegung durch Seitenwendung der Augen auftrat, wenn unversehens ein gl\u00e4nzender Gegenstand seitlich ins Gesichtsfeld ger\u00fcckt wurde.\nSchon um die dreizehnte Lebenswoche werden aber regel-m\u00e4fsig Kopf- und Augenbewegungen zugleich nach der Seite hin ausgef\u00fchrt, deren Hand oder deren Arm man, w\u00e4hrend das Kind unbeachtet, meist lallend, dahegt, ber\u00fchrt hat.\nUm dieselbe Zeit ist auch eine Art von Association zwischen Augenbewegungen und Geh\u00f6r ausgebildet. Das Kind wendet sehr h\u00e4ufig Kopf und Augen nach der Seite, von welcher ein pl\u00f6tzlich entstehendes Ger\u00e4usch kommt.\nGegen die dreizehnte Lebenswoche, wenn das Kind, wie oben erw\u00e4hnt, Kopf und Augen, wenn ein akustischer oder ein Hauptreiz einwirkt, gleichzeitig und in gleichem Sinne nach der Seite des Reizes verschieben lernt, werden auch besondere Augenbewegungen bemerkt, welche f\u00fcr die Entstehung der Gesetzm\u00e4fsigkeit des Binokularsehens besondere Bedeutung zu haben scheinen. Um diese Zeit sind n\u00e4mlich die Augen des Kindes gew\u00f6hnlich auf die H\u00e4ndchen gerichtet, deren Bewegungen verfolgt werden.\nDas Kind bewegt durch Adduktion und Abduktion des Oberarmes, bei rechtwinklich gebogenen Ellenbogen, die H\u00e4ndchen von der Thoraxseite \u00fcber der Brust gegeneinander, aneinander vorbei, und dann zur\u00fcck. Die Augen des Kindes drehen sich, wenn sie diesen Handbewegungen folgen, in der Horizontalen, von rechts nach links, oder umgekehrt, bei halbgesenkter Blickebene. Es werden hier also diejenigen Augen-\nZeitschrit f\u00fcr Psychologie II. *\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nE. 1la\u00e9hlmann.\nbewegungen am fr\u00fchzeitigsten ge\u00fcbt, welche im sp\u00e4teren Leben als die am h\u00e4ufigsten gebrauchten und zugleich als die sichersten sich erweisen.\nDie Bewegungen der Arme und H\u00e4nde, welche die Augen besch\u00e4ftigen, werden vom Kinde im wachen Zustande fast best\u00e4ndig ausgef\u00fchrt. Es handelt sich hier um rein automatische Bewegungen, wenigstens l\u00e4fst sich ein bewufster Willensakt aus diesen Bewegungen nicht abstrahieren. Indes schliefsen \u2018 sich schon in der zw\u00f6lften Woche fast regelm\u00e4fsig die Finger um einen zuf\u00e4llig in die Richtung der Handbewegung hineingebrachten kleinen Gegenstand. Wenn man z. B. den eigenen Finger hinh\u00e4lt, wird derselbe fest umschlossen, aber man sp\u00fcrt an der Bewegung, die der Arm des Kindes ausf\u00fchrt, dafs der Finger in der Richtung der automatischen Bewegung mitgef\u00fchrt wird.\nIn derselben Richtung leiten sich die ersten Tastversuche ein, indem, in der H\u00f6he der halbgesenkten Blickebene, die H\u00e4ndchen immer in derselben Weise quer \u00fcber die Brust bewegt werden, auch wenn der von dem Kinde gesehene Gegenstand, nach welchem es verlangt, aufser Bereich seiner H\u00e4nde sich befindet. Ein eigentliches Erfassen der Gegenst\u00e4nde, welche fixiert werden, also das zielbewufste Greifen, wird erst gegen Ende des f\u00fcnften Monats, gegen die vierundzwanzigste Woche etwa, beobachtet.\nZun\u00e4chst \u00e4ufsert sich dasselbe durch tastende Bewegungen der H\u00e4nde, welche den fixierten Gegenstand, unter Kontrolle des Gesichts, also im Sehfelde, aufsuchen. \u2014 Das Kind greift langsam zu, regelm\u00e4fsig vorbei und dirigiert die tastende Hand nach vielen Mifserfolgen unsicher zu dem Gegenst\u00e4nde. Erst sehr sp\u00e4t, etwa vom sechsten bis siebten Monate an, wird die Hand beim Greifen auf dem k\u00fcrzesten Wege zum Gegenst\u00e4nde hingef\u00fchrt. Um diese Zeit ist dann die komplicierte Relation zwischen Netzhautbild, Augenbewegungen und dem Bewegungsapparat der oberen Extremit\u00e4ten erworben.\nAn der Hand der Erfahrung dieser Tastversuche entwickelt sich die Kenntnis der Tiefendimension und der Entfernungen, vorl\u00e4ufig aber nur mit R\u00fccksicht auf die allern\u00e4chste, d. h. mit den H\u00e4nden kontrolierbare Distanz.\nDie Vorstellung des weiteren Raumes wird erst gewonnen auf Grund der Eigenbewegung des K\u00f6rpers, wenn das Kind","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Physiobgisch-psychologische Studien.\n67\nsich seihst fortzubewegen, d. h. sich selbst im Baume zu verschieben gelernt hat.\nErst nachdem die Kenntnis von der Baumausdehnung der Objekte dem Kinde zu eigen geworden ist, gelangen auch andere Eigenschaften bei der Betrachtung der Dinge und dem Vergleich derselben mit anderen, \u00e4hnlichen, zur Geltung. Neben den morphologischen kommen dabei auch die farbigen Unterschiede der fixierten Gegenst\u00e4nde in Betracht.\nEs kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dafs, wenn nicht besondere angeborene, oder durch Krankheit erworbene Sinnesdefekte vorliegen, die F\u00e4higkeit, Farben wahrzunehmen, dem Sehverm\u00f6gen, als solchem, eigent\u00fcmlich und von der Erfahrung des Individuums unabh\u00e4ngig ist. Sie beruht auf einer unserer Netzhaut angeborenen Funktion, welche als die spezifische Energie des Optikus angesehen werden kann, auf Licht verschiedener Wellenl\u00e4nge verschieden zu reagieren. Es ka.rm nur Aufgabe unserer Sinnesarbeit werden, die qualitativ verschiedenen Eindr\u00fccke richtig beziehen zu lernen und die Bedeutung qualitativer Distinktion als Hilfsmittel f\u00fcr die Unterscheidung im Baume zu verwerten.\nDie Aufgabe, bei Kindern festzustellen, wann sie zuerst Farben unterscheiden, liefert zwar, wie die bez\u00fcglichen Untersuchungen von Prbter und Anderen zeigen, wertvolle Aufschl\u00fcsse \u00fcber die geistige Entwickelung des Kindes, nicht wohl aber \u00fcber die Entstehung der Empfindung der Farben.\nEntsprechende Pr\u00fcfungen an Kindern k\u00f6nnen uns wohl dar\u00fcber belehren, zu welcher Zeit das Kind in seiner geistigen Entwickelung soweit vorger\u00fcckt ist, qualitativ verschiedene Eindr\u00fccke in der Erinnerung zu sondern und die Farbennamen, welche es durch das Geh\u00f6r kennen gelernt hat, richtig auf seine qualitativen Gesichtseindr\u00fccke zu beziehen ; sie k\u00f6nnen uns auch dar\u00fcber Aufschlufs geben, wann das Kind Wortged\u00e4chtnis genug besitzt, und gen\u00fcgend sprechen gelernt hat, um die Farbennamen nicht mehr zu verwechseln. Keineswegs aber d\u00fcrfen wir solchen Beobachtungen entnehmen, dafs die Farbenempfindung zu einer bestimmten Zeit des kindlichen Lebens entstehe. Es l\u00e4fst sich allerdings aus der direkten Beobachtung nicht unmittelbar entnehmen, dafs das Kind, sobald es fixiert, auch die Gegenst\u00e4nde, in den ihnen eigenen Farben sieht.\nMan kann erst geraume Zeit nach der f\u00fcnften Leben s-\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nE. Eaehhnann.\nwoche, wenn, man der Form nach gleiche, aber komplement\u00e4r \u2014 entgegengesetzt gef\u00e4rbte Gegenst\u00e4nde dem B\u00e4nde abwechselnd zeigt, an dem Ausdrucke und den Mienen des Kindes ablesen, dafs es dieselben, als verschieden unterscheidet.\nWenn das Kind sp\u00e4ter die Namen der Farben verwechselt, z. B. aus vorgelegten Mustern rot ausw\u00e4hlt, wenn gr\u00fcn verlangt wird etc., so beweist das nur, dafs es unter dem Vielfachen der farbigen Empfindung, und dem Vielfachen der Benennung, noch keine richtige Relation zu finden vermochte.\nAufserdem ist es den Kindern, au\u00e7h wenn sie die sog. Hauptfarben unterscheiden, immer noch schwer, die verschiedensten Abstufungen der Farbe nach N\u00fcance und Helligkeit unter die ihnen bekannten Farbennamen unterzubringen. F\u00fcr Kinder ist die Farbe so lange eine untergeordnete Eigenschaft der Objekte, als die Wahrnehmung von deren Form und Gestalt f\u00fcr die Unterscheidung derselben ausreicht.\nAuch bei niedrig stehenden Kulturv\u00f6lkern verh\u00e4lt sieh die Sache nicht anders ; meistens verf\u00fcgt ihre Sprache \u00fcber wenige Namen, welche dann die unendliche Mannigfaltigkeit der Farbent\u00f6ne ausdr\u00fccken m\u00fcssen.\nLazarus Geiger, Gladstone, Magnus und andere haben aus den in alten Schriftdenkm\u00e4lern vorkommenden Farbenbezeichnungen und deren Anwendungsweise den Schlufs gezogen, dafs einzelne Farben zu jenen Zeiten nicht existierten, mithin sich in der absteigenden Generation der Abkommen dieser V\u00f6lker erst eingestellt haben m\u00fcssen. Aber es sind alte Steindenkm\u00e4ler, Statuen, Bautenreste, welche noch \u00e4lter, als jene Schriften sind, in unsere Zeit hin\u00fchergelangt, welche noch gegenw\u00e4rtig die s\u00e4mtlichen Farben des Spektrums, als materiellen Beweis f\u00fcr den normgem\u00e4fs ausgehildeten Farbensinn dieser alten V\u00f6lker enthalten.\nDas Volk der Esthen, in den russischen Ostseeprovinzen urangesessen, geh\u00f6rt, wie die Finnen, zu den Tschuden, und als solche zur Ural-altaischen V\u00f6lkerfamilie. Seine Sprache zeigt sich gegenw\u00e4rtig, einerseits vom Deutschen, andrerseits vom Russischen, stark beeinflufst. Bezeichnend sind in dieser Beziehung die Farbennamen. Nur f\u00fcr rot, gelb und gr\u00fcn existiert in dieser Sprache eine eigene Bezeichnung. Unter diesen ist das Wort, welches die Esthen f\u00fcr gr\u00fcn haben \u201erohilane\u201c, abgeleitet von \u201erohi\u201c Gras und bedeutet eigentlich, w\u00f6rtlich \u00fcbersetzt \u201egraslich\u201c, f\u00fcr Blau, violett etc. haben die Esthen in ihrer Sprache urspr\u00fcnlich kein Wort gehabt. Die Bezeichnungen, die sie gegenw\u00e4rtig anwenden, sind entlehnt: \u201esini\u201c (blau) aus dem Russischen, die \u00fcbrigen Namen wie \u201eprum\u201c (braun), rosa etc. aus dem Deutschen.\nVor einiger Zeit operierte ich eine alte esthnische B\u00e4uerin am grauen Staar, sie war mit den Namen der Farben nicht recht vertraut und verwechselte dieselben bisweilen.\nBei der genauen Pr\u00fcfung des Farbensinnes aber bezeichnete sie die","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n69\nihr in spektraler Reihenfolge vorgelegten Farben immer richtig als \u201eBlut\u201c, \u201eWachs\u201c, \u201eGras\u201c und \u201eHimmel\u201c.\nAndere Benennungen hatte sie zur Bezeichnung ihrer Empfindungen nie gebraucht, aber sie reichten hin, mich zu \u00fcberzeugen, dafs die Patientin \u00fcber einen guten Farbensinn verf\u00fcgte.\nWenn man die angef\u00fchrten Daten \u00fcber die Reihenfolge in der Ausbildung der Funktionen des Auges und seines Bewegungsapparates genauer pr\u00fcft, so ergiebt sich, dafs das Kind von der Funktion des Gesichtssinnes, wie es ihn im sp\u00e4teren Leben gebraucht, fast nichts gegeben mit auf die Welt bringt, sondern dafs die ganze Ausbildung des Sehaktes relativ langsam vor sich geht. Dabei zeigt es sich, dafs sich im fr\u00fchesten kindlichen Leben zwei Zeitepochen unterscheiden lassen, welche f\u00fcr diese Ausbildung besonders mafsgebend sind, dafs ist die f\u00fcnfte Woche und dann der f\u00fcnfte Monat nach der Geburt.\nDurchschnittlich innerhalb der f\u00fcnften Lebenswoche, bei einigen Kindern etwas fr\u00fcher, bei anderen etwas sp\u00e4ter, entsteht die F\u00e4higkeit, einen Gegenstand, der sich in der Richtung der Sehlinien befindet, zu fixieren d. h. von einem in der macula lutea des Auges zuf\u00e4llig entworfenen Netzhautbilde Notiz zu nehmen.\nGleichzeitig werden die Augenbewegungen geregelt, indem assecierte Seitenwendungen, sowie Hebungen und Senkungen der Blicklinien, letztere etwas sp\u00e4ter, als erstere, auftreten.\nDiese Bewegungen h\u00e4ngen eng mit dem ersten bewufsten Sehakte zusammen; sie erfolgen, um das Netzhautbild, welches die Aufmerksamkeit erregt, nicht zu verlieren. Ohne Zweifel finden hier also schon Innervationen der Augenmuskeln statt, welche dem Zwecke des Sehens dienen.\nAugenbewegungen aber, welche den Zweck haben, peripher im Gesichtsfelde befindliche Objekte der direkten Fixation zug\u00e4nglich zu machen, fehlen zu dieser Zeitepoche noch vollst\u00e4ndig. Offenbar sind die peripher von der macula auf der Netzhaut entworfenen optischen Bilder der im \u00e4ufseren Raume vorhandenen Objekte f\u00fcr die Wahrnehmung des Kindes noch v\u00f6llig wertlos. Damit in \u00dcbereinstimmung steht die Thatsache, dafs der Lidschlufsreflex, bei rascher Ann\u00e4herung eines Gegenstandes an das Auge, von den seitlichen Teilen des Gesichts feldes her, noch nicht auszul\u00f6sen ist.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nE. Raehlmann.\nDerselbe Reflex entsteht aber in dieser Zeitepoche regel-m\u00e4fsig von der macula lutea her.\nEndlich entwickelt sich in dieser Zeit, also gleichzeitig mit der Entstehung des ersten direkten Sehaktes, die Koordination in der Bewegung zwischen Augapfel und Lid, welche sp\u00e4ter zwangsweise geregelt, vom Sehakte abh\u00e4ngig bleibt. Endlich f\u00e4llt in die Zeit der f\u00fcnften Lebenswoche die Entwickelung der akkomodativen Pupillarreaktion. Das Kind gewinnt die F\u00e4higkeit, von der Abblendungsvorrichtung, die in seiner Iris gegeben ist, bei der optischen Einstellung seines Auges Gebrauch zu machen.\nDie zweite Zeitepoche, welche mit dem f\u00fcnften Lebensmonat zusammenf\u00e4llt, dient vornehmlich der Entwickelung einer Orientierung im Gesichtsfelde. Erstens zeigen sich um diese Zeit zuerst eigentliche Blickbewegungen, welche die Blicklinie im Raume verschieben. Der Blick wird zur Seite gewandt, um ein peripheres Netzhautbild auf die macula lutea zu bringen. Die Augenbewegungen, welche solche Verschiebungen der Netzhaut herbeif\u00fchren, setzen schon bestimmte Kenntnisse einer Relation zwischen Gesichtsfeld und Retinaloberfl\u00e4che voraus, sie m\u00fcssen ganz ad\u00e4quat dem Abstande des peripheren Bildes von der macula erfolgen.\nEs entwickelt sich also um diese Zeit beim Kinde mit der Regelung einer f\u00fcr die Augenmuskeln bestimmten Innervationsdosis, welche an bestimmte Verschiebung der Blicklinien im Raume gekn\u00fcpft ist, eins der wesentlichsten Mittel zur Raumsch\u00e4tzung.\nZweitens wird der Lidschlufsreflex bei Ann\u00e4herung eines Gegenstandes, auch von der Peripherie des Gesichsfeldes her, ausgel\u00f6st.\nDrittens finden um diese Zeit die ersten Tastversuche unter Kontrolle der Augen statt, welche die Sinneseindr\u00fccke der Haut mit denen des Gesichts in Verbindung bringen.\nDer Umstand, dafs die Entwickelung des Gesichtssinnes zu seiner vollen Funktion immer innerhalb derselben zeitlichen Grenzen, die erste sinnliche Beth\u00e4tigung immer in derselben typischen Ordnung vor sich geht, spricht daf\u00fcr, dafs eine bestimmte physiologische Disposition, welche die Form der Th\u00e4tigkeit des Gesichtssinnes und den Modus ihrer Ausbildung pr\u00e4destiniert, auch beim Menschen angeboren, offenbar als Er-","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n71\nFahrung der Generation dem Kinde als Erbe \u00fcberliefert wird. Dafs die Erbschaft, welche das Individuum auf diese Weise von seinen Voreltern \u00fcbernimmt, mitunter als Defekt in der Sinneswahrnehmung auftritt, beweisen die F\u00e4lle von erblichem Daltonismus, sowie die Beobachtungen an schielenden Kindern derselben Familien.\nDer Zeitraum zwischen Geburt und der f\u00fcnften Woche, sodann der Zeitraum zwischen der f\u00fcnften Woche und dem f\u00fcnften Monat dienen der Erwerbung derjenigen Sinneseindr\u00fccke, welche in ihrer Gesamtheit auf das Organ zur\u00fcckwirken und dessen anf\u00e4nglich ungeregelte, zu weite Funktion an bestimmte Zweckm\u00e4fsigkeitsgesetze kn\u00fcpfen. So werden, auf Grund der gemachten Erfahrung, von den Augenbewegungen die atypischen allm\u00e4hlich ausgeschlossen, und nur diejenigen beibehalten, welche der genauen Kongruenz der beiden Netzh\u00e4ute w\u00e4hrend der Augenbewegungen am besten dienen.\nDafs auf diesem Wege nach teleologisch leitenden Motiven, die aus den vorhandenen Komplexen der Gesichtsvorstellungen entspringen, die erste zweckm\u00e4fsige Bewegungsth\u00e4tigkeit des Auges sich entwickelt, l\u00e4fst sich dem Seelenleben des Kindes wohl absehen, durch Betrachtungen, wie die vorstehenden, wohl im hohen Grade wahrscheinlich machen, aber nicht beweisen. Gl\u00fccklicher sind wir bei der Untersuchung solcher erwachsener Personen, welche blind geboren, durch Operation ihr Sehverm\u00f6gen zu einer Zeit erhalten, wo die geistige Erziehung, ohne die Mithilfe des Gesichtssinnes bis zu einer gewissen Vollkommenheit gediehen ist. Sie k\u00f6nnen uns \u00fcber die in ihrem Geistesleben durch die Eindr\u00fccke eines pl\u00f6tzlich zur Funktion erwachenden Sinnes neu entstehenden Vor* Stellungen genau Auskunft geben.\nB. Beobachtungen an sehend gewordenen Blindgeborenen.\nBei mit Erfolg operierten Blindgeborenen fehlen zur Zeit der Operation die optischen Vorstellungen vollkommen. Nichtsdestoweniger hat der Blindgeborene eine Vorstellung von der Aufsenwelt und von der r\u00e4umlichen Ausdehnung der Dinge in derselben. Er hat durch seine \u00fcbrigen Sinne, namentlich durch das Gef\u00fchl, welches bei ihm, wie bei Blinden \u00fcberhaupt,","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\n-B. liaehlmann.\nbesonders scharf ausgebildet ist, einen Begriff von der Form und Gestalt dieser Dinge erworben. Wird ein solcher Blindgeborner sehend, so mufs er die neuen Vorstellungen und Erfahrungen, welche der pl\u00f6tzlich sich geltend machende Gesichtssinn liefert, mit der Summe seiner seitherigen Sinneserfahrungen zusammenstellen und vergleichen, er mufs die neue durch das Gesicht gewonnene Kenntnis von der Ausdehnung und dem Raume in das System der bei ihm durch die \u00fcbrigen Sinne entwickelten Raumanschauungen hineinf\u00fcgen, sie gegenseitig aufeinander beziehen lernen.\nDabei vermag er uns Auskunft zu geben, ob und wie der Raum, welchen er sieht, sich unterscheidet von dem, den er, als er noch blind war, getastet hat.\nDie Geschichte der Entstehung des Sehverm\u00f6gens des Blindgebomen Johann Ruben, den ich vor einem halben Jahre mit Erfolg operierte, hat daher f\u00fcr die Lehre von der Empirie der Sinneswahrnehmungen aus mehr als einem Grunde besondere Wichtigkeit.\nErstens ist J. R\u00fcben 19 Jahre alt und ein intelligenter Mensch, dessen Selbstbeobachtungen Glaubw\u00fcrdigkeit verdienen und zweitens war J. R. von Jugend auf bis zur Operation so v\u00f6llig blind, wie es ein an Katarakt leidender Patient nur sein kann.\nEin f\u00fcr psychologische Studien gleich gut geigneter Fall ist bisher, soweit die mir zug\u00e4ngliche Litteratur zeigt, nicht beobachtet worden.\nDer zweite von mir beobachtete Fall (Christine Deutschmann) ist nach beiden angef\u00fchrten Richtungen hin weniger wichtig, er gleicht den meisten der in der Litteratur berichteten F\u00e4lle. Ich f\u00fchre ihn an, weil er f\u00fcr die Genese der koordinierten Augenbewegungen sehr beweisend ist.\nDie nachfolgende Beschreibung dessen, was die Untersuchung unserer Operierten ergab, entspricht genau den Protokollen, welche bei den Demonstrationen des Patienten vor dem versammelten Auditorium, oder bei der t\u00e4glichen Krankenvisite diktiert und aufgeschrieben wurden. Die Protokolle folgen, wie sie entstanden sind, sie verzeichnen nur die wichtigsten der beobachteten Erscheinungen und enthalten Wiederholungen, welche durch die Art ihrer Entstehung, durch t\u00e4gliches Hinzuf\u00fcgen neu auftretender Erscheinungen mit Ber\u00fccksichtigung der fr\u00fcheren, motiviert sind.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Physio log isch -psycho login che Studien.\n73\n1. Johann Buben, 19 Jahre alt, aus Neu-Bilsk in Livland, ist blind geboren. Beiderseits wurde fr\u00fchzeitig, als das Kind sich nicht entsprechend dem Verhalten anderer Kinder geistig entwickelte, festgestellt, dafs die Augen nicht fixierten. Es wurde ein weifser Schein aus der Pupille bemerkt. Der Patient ist von Kindheit auf als v\u00f6llig Blinder angesehen worden. Da sein ziemlich abgesondert liegender Geburtsort gegenw\u00e4rtig durch Bahnverbindung mit Dorpat Beziehung gewonnen hat, wurde der unbemittelte Patient auf Veranlassung des Arztes hierher gesandt mit der Anfrage, ob Hilfe m\u00f6glich sei.\nDie objektive Untersuchung der Augen ergiebt beiderseits Katarakt, etwas geschrumpft, links teilweise verkalkt. Beiderseits sind die Pupillen von normaler Beweglichkeit, reagieren aber nur auf Licht, soviel sich feststellen l\u00e4fst, nicht bei Konvergenzbewegungen. Beide Augen zeigen oscillierenden Nystagmus und eigent\u00fcmliche atypische Bewegungen, durch welche die Hornhaut zeitweise unter die Decke des oberen oder unteren Lides gezogen wird. Die Bewegungen beider Augen erfolgen h\u00e4ufig ganz entgegengesetzt und bringen entstellendes Schielen hervor. Diese krampfartig erfolgenden Bewegungen gleichen vollst\u00e4ndig jenen, wie man sie ausnahmslos bei Blinden antrifft. Die Pupille ist beiderseits durch die undurchsichtige Katarakt v\u00f6llig verlegt, auch bei starker Erweiterung derselben durch Atropin ist keine Spur des roten Lichtes des Augenhintergrundes bei ophthalmoskopischer Beleuchtung wahrnehmbar. Der Patient hat prompten Lichtschein, er nimmt, wenn man im halbdunkeln Zimmer eine Kerzenflamme bis \u00fcber 10 Fuis entfernt und abwechselnd verdeckt und freil\u00e4fst, -den Unterschied in der Helligkeit wahr. Er unterscheidet die Bewegungen der Hand in n\u00e4chster N\u00e4he, indem er die Bichtung dieser Bewegung sicher angiebt. Die Finger der Hand vermag er nicht zu z\u00e4hlen, er vermag auch die Form und die Umrisse irgend eines Gegenstandes nicht zu erkennen, kann offenbar die Anwesenheit von Gegenst\u00e4nden dicht vor seinen Augen nur am Unterschied zwischen Hell und Dunkel, d. h. am Schatten, den sie auf sein Auge werfen, erkennen. Farben unterscheidet er aber vollkommen gut, vorausgesetzt, dafs ihm gr\u00f6fsere Fl\u00e4chen, die gen\u00fcgend Licht reflektieren, resp. durchlassen, vorgehalten werden. Der Patient kann ohne F\u00fchrung sich nicht fortbewegen, auch wenn er gef\u00fchrt wird, h\u00e4lt er die Hand mit leicht gebogenem Arm vor sich ausgestreckt, um etwaige Hindernisse durch das Gef\u00fchl zu vermeiden.\nZun\u00e4chst wird sein rechtes Auge, und 14 Tage sp\u00e4ter sein linkes Auge durch Linearextraktion operiert. Die verkalkte Katarakt des linken Auges kann nur teilweise entfernt werden. Auf dem rechten Auge l\u00e4fst sich die Katarakt in toto entfernen. Die Augen des Patienten werden ann\u00e4hernd vier Wochen nach der ersten Operation unter stetem Verband gehalten, in der Absicht, bei den Pr\u00fcfungen des Gesichtssinnes den vollen Effekt der Operation benutzen zu k\u00f6nnen. Zur Zeit des Beginns der Pr\u00fcfungen erwies sich die rechte Pupille des Kranken frei, mit Ausnahme einzelner \u00fcbrigens scharf umschriebener Tr\u00fcbungen der im Auge gebliebenen Linsenkapsel. Links findet sich ebenfalls ein freies Pupillar-gebiet zwischen den verkalkten Linsenresten, die im Auge zur\u00fcck-","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nE. Raehlmann.\ngeblieben sind. Die Sehsch\u00e4rfe, welche der Kranke zur Zeit der Untersuchungen, sowie bei seiner Entlassung zeigte, l\u00e4fst sich nicht bestimmt angeben, da, wie die nachfolgenden Protokolle zeigen, unsere Untersuchungsmethoden, welche sonst die Sehsch\u00e4rfe feststellen, f\u00fcr unseren Patienten als blindgeborenen keine Anwendung finden konnten. Doch glaube ich nicht fehlzugreifen, wenn ich bei der Taxierung der Sch\u00e4rfe, mit welcher er entferntere Gegenst\u00e4nde sp\u00e4ter wahrnahm, mindestens auf Vio der normalen Sehsch\u00e4rfe zur\u00fcckschliefse.\nDie Pr\u00fcfungen beginnen am 28. April, 4 Wo\u00e7hen nach der Operation des rechten, 14 Tage nach der des linken Auges. Bis dahin sind die Augen also 4 Wochen lang stets verbunden gewesen. Bis zum 8. Mai sind alle Untersuchungen so angestellt, dafs der Untersuchte sitzend oder stehend beobachtet wurde, Ortsver\u00e4nderungen aber von demselben w\u00e4hrend der Dauer der Versuche nicht vorgenommen wurden.\nErst vom 8. Mai ab wurden die Versuche \u00fcber Sch\u00e4tzung der Entfernung etc. unter Ber\u00fccksichtigung der Fortbewegung des Johann Buben angestellt.\nNach Abnahme des Yerhandes, \u00d6ffnung der Augen, deutlich tappende atypische Augenbewegungen; teilweise in Form des zuckenden Nystagmus, den der Patient schon vor der Operation zeigte, teilweise als Bewegung der Augen, bei welchen der Versuch gemacht wird, sich den optischen Bildern der Aufsenwelt zu entziehen; teilweise auch als Versuche zu fixieren, welche indes unvollkommen ausfallen. Der Kopf des Operateurs wird von dem Patienten wahrgenommen, und auf die Frage, was er sehe, antwortet er: Etwas weifses und dunkles. Man zeigt dem Kranken ein von ihm t\u00e4glich benutztes Trinkgef\u00e4fs aus Blech in circa V Entfernung.\nBei den Versuchen, das Bild dieses Gegenstandes mit dem Blicke festzuhalten, werden in der Zeit von mehreren Minuten eigent\u00fcmliche rollende und zuckende Bewegungen ausgef\u00fchrt, und man sieht deutlich, dafs es dem Kranken grofse Schwierigkeit macht, die koordinierte Innervation der Augenmuskeln, die zur Fixationslage der Bulbi erforderlich ist, zu finden; erst allm\u00e4hlich bei fortdauernden Versuchen, den Gegenstand anzusehen, gew\u00f6hnt sich das Auge, eine bestimmte Ruhelage beim Fixieren anzunehmen, welche indes auch nicht sehr lange ausgehalten werden kann. \u2014 Patient bemerkt den vorgehaltenen Gegenstand, verliert ihn aber sofort, wenn man denselben aus der Mitte des Gesichtsfeldes (Fixationslage) in die peripheren Teile des Gesichtsfeldes hineinbringt.\nAuf die Frage, welchen Gegenstand er sehe, antwortet er: \u201eEtwas helles weifses\u201c. Bei der Aufforderung den Gegenstand zu fassen, f\u00fchrt Patient die rechte Hand von der Seite des Thorax quer \u00fcber die Brust nach oben und vorn, langsam und behutsam neben den Gegenstand","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n75\nvorbei, zu weit nach vorn, dann zur\u00fcck und umgreift dann den Gegenstand mit seinen Fingern, erkl\u00e4rt sodann, dafs der Gegenstand das ihm geh\u00f6rige Trinkgef\u00e4fs sei. Als man ihm zum zweiten Mal den Gegenstand zeigt, erkennt er ihn sofort wieder. Die Versuche werden oft wiederholt und haben etwa eine halbe Stunde Zeit in Anspruch genommen.\nW\u00e4hrend der Kranke die Augen offen hat, bringt der Professor seinen Kopf, mit dem Gesichte dem Patienten zugekehrt, in die Richtung der Blicklinien des letzteren. Auf die Frage, was er sehe, antwortet der Kranke \u201eEtwas helles und dunkles\u201c, welches vorher nicht da war. Es wird ihm gesagt, das was er vor sich sehe, sei der Kopf und das Gesicht des Professors. Es sieht sich jetzt das Gesicht genau an, augenscheinlich mit vielem Interesse, l\u00e4chelt immer von neuem, sobald ihm das Gesicht wieder gezeigt wird.\n30. April. Nach Abnahme des Verbandes \u00f6ffnet Patient die Augen, erkl\u00e4rt, besser zu sehen, die Blickbewegungen, die anfangs in der oben erw\u00e4hnten Weise wieder atypisch und zuckend erfolgen, werden bald ruhiger, der Patient sieht um sich, bewegt aber beim Umherschauen mehr den Kopf, als die Augen. Nach jeder Kopfdrehung bemerkt man ein L\u00e4cheln der Befriedigung; er behauptet, ausgezeichnet zu sehen, erkennt aber keinen Gegenstand, den man ihm vorh\u00e4lt mit Ausnahme des Trinkgef\u00e4fses, welches ihm bei der ersten Untersuchung gezeigt wurde. Auf die Frage, ob er etwas im Raume erkenne, wendet er den Kopf und die Augen nach links, zeigt auf den weifsen Kachelofen und die Th\u00fcr (beide cirka 61 entfernt) und bezeichnet richtig beide Gegenst\u00e4nde. Patient hat beide Gegenst\u00e4nde beim Aufstehen von seinem Bett h\u00e4ufig betastet und die relative Lage derselben zu seinem Bette aus diesen Tastversuchen erkannt. Man zeigt ihm eine Porzellantasse und ein cirka lOmal gr\u00f6fseres Porzellangef\u00e4fs von gleicher Form, die erstere in cirka Vs', das letztere in cirka 8' Entfernung; beide Gegenst\u00e4nde werden f\u00fcr gleich gehalten, und beim Betasten des n\u00e4her gelegenen Gegenstandes als Tassen bezeichnet. Es wird ihm ein L\u00f6ffel vorgehalten, den er als gl\u00e4nzenden Gegenstand bezeichnet, und erst bei Betastung erkennt.\nEbenso erkennt er seinen Schuh, der neben seinem Bette gestanden hat und den man ihm vorh\u00e4lt, erst, nachdem er ihn angefafst.\n2.\tMai. Gleich nach Abnahme des Verbandes erkennt er das Gesicht des vor ihm sitzenden Professors. Er giebt spontan an, es sei dasselbe, welches er schon gesehen habe.\nIn der Richtung der Blicklinien der Augen wird die Handfl\u00e4che rasch auf das Auge des Patienten zubewegt. Es tritt regelm\u00e4fsig auf beiden Augen Blinzeln ein, bei welchem die Augen meistens durch kurze Zuckung des Orbikularis geschlossen werden.\nEs wird zu wiederholten Malen die Hand von der Seite \u2014 w\u00e4hrend der Patient geradeaus sieht, \u2014 auf das Auge zubewegt, ohne dafs eine Spur von Blinzeln auftritt.\n3.\tMai. Lidschlufsreflex von der Stelle der centralen Fixation, der macula lutea, regelm\u00e4fsig, von der Peripherie der Netzhaut bei vielen Versuchen niemals auszul\u00f6sen.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nJS. Eaehlmann.\nBeim Versuche zu Fixieren sind die nystagmusartigen Bewegungen jetzt seltener, die Augen finden leichter die Fixationslage, und werden rascher ruhig. Sobald aber der Sehakt unterbrochen wird, treten die krampfhaften Drehungen der Aug\u00e4pfel wieder auf.\nDer Patient erkennt sein Trinkgef\u00e4fs und seinen L\u00f6ffel wieder.\n4. Mai. Es wird das Experiment mit der Tasse und der Sch\u00fcssel wiederholt. Patient erkl\u00e4rt beide Gegenst\u00e4nde f\u00fcr gleich. \u2014 Die Tasse wurde in 1', die Sch\u00fcssel in 7' gezeigt. \u2014 L\u00f6ffel, Messer und Gabel werden ihm vorgehalten, den L\u00f6ffel, den er fr\u00fcher gesehen, erkennt er, die \u00fcbrigen Gegenst\u00e4nde erst nach Ber\u00fchrung. \u2014 Theel\u00f6ffel und Efsl\u00f6ffel von derselben Form, in verschiedener Entfernung gehalten, werden f\u00fcr denselben L\u00f6ffel erkl\u00e4rt.\nEiner der behandelnden Assistenz-\u00c4rzte h\u00e4lt demselben semen Kopf vor, Patient giebt an : vor ihm sei ein Gesicht, welches anders sei, als das des Professors, \u2014 (dessen Gesicht er mehrmals gesehen und betrachtet hat).\nPatient giebt an, das zweite Gesicht habe etwas Eigenes, ihm Eigent\u00fcmliches, etwas, was das andere nicht habe; n\u00e4her pr\u00e4zisieren k\u00f6nne er den Unterschied nicht.\nBei der n\u00e4chsten Untersuchung unterscheidet er die beiden Gesichter mit Sicherheit voneinander.\nDabei ist er nicht im st\u00e4nde, durch Zeichen anzugeben, was in den betreffenden Gesichtern die Nase, die Augen, der Bart etc. ist, nachdem er aber einen dieser Teile angef\u00fchlt (Bart), konstruiert er sich das \u00dcbrige, indem er mit der Hand h\u00f6her geht, ber\u00fchrt die Nase und bezeichnet die Teile richtig, erkl\u00e4rt jetzt, dafs die Augen schwarz seien. Auf die Aufforderung, die Haare zu fassen, steht er auf, streckt die Hand aus und tappt von oben nach unten auf den Kopf.\nMan h\u00e4lt ihm einen grofsen Spiegel vor, in welchem er sein Gesicht sieht. Auf die Frage, wen er sehe, antwortet er: \u201eeinen anderen Herrn Doktor.\u201c Er erkennt, dafs dieses neue Gesicht keinen Bart hat.\nEin kleiner Hund, halb Pudel, halb Pintscher, wird dem Kranken in n\u00e4chster N\u00e4he vorgehalten, er weifs nicht, welchen Gegenstand er vor sich hat, erkl\u00e4rt jedoch, dafs der Gegenstand sich bewegt, dafs er grau ist. Er f\u00fchlt denselben an, f\u00fchlt die Haare, erkennt aber erst den Hund, als derselbe jetzt zu knurren beginnt.\nMan zeigt dem Patienten eine Kugel und einen W\u00fcrfel, beide aus gleich gef\u00e4rbtem Holze, vom selben Durchmesser. Er erkennt, wenn er sie nebeneinander sieht, dafs beide Gegenst\u00e4nde verschieden sind, weifs aber nicht, welcher Gegenstand rund und welcher eckig ist. Man zeigt ihm neben der Kugel eine runde Scheibe, neben dem W\u00fcrfel ein viereckiges Brett, beide vom Durchmesser von Kugel und W\u00fcrfel. Der Patient vermag die Scheibe nicht von der Kugel, das Brett nicht vom W\u00fcrfel zu unterscheiden. Er glaubt, zwei ganz gleiche Gegenst\u00e4nde vor sich zu haben. Nachdem er die Kugel und den W\u00fcrfel vielfach betastet hat, unterscheidet er zwar die Kugel vom W\u00fcrfel, erkl\u00e4rt jetzt, dafs erstere rund, letztere eckig ist; vermag jedoch die Scheibe von der Kugel, das Brett von dem W\u00fcrfel nicht zu unterscheiden. Auch nachdem er","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch -psychologische Studien.\n77\nbei Betrachtung die Scheibe und das Brett, als von Kugel und W\u00fcrfel abweichend, d. h. richtig erkannt hat, verwechselt er die bez\u00fcglichen Gegenst\u00e4nde noch immer, namentlich wenn er Scheibe und Kugel oder Brett und W\u00fcrfel nicht gleichzeitig vor sich sieht und vergleichen kann.\nAm schwierigsten ist es ihm, den Unterschied zwischen viereckigem Brett und W\u00fcrfel aufzufassen.\nVon zwei gleich grofsen Gegenst\u00e4nden h\u00e4lt Patient den entfernteren f\u00fcr kleiner. Dabei l\u00e4fst sich aber deutlich feststellen, dafs es ihm schwer f\u00e4llt, einen entfernten Gegenstand, den man ihm zeigt, im Blickfelde aufzufinden und dessen Bild mit den Augen festzuhalten. Wiewohl er z. B. kleine Gegenst\u00e4nde, die Uhr etc. wenn man sie zun\u00e4chst in der N\u00e4he zeigt und dann allm\u00e4hlich entfernt, auf gr\u00f6fsere Distanze, bis 41 und weiter, noch mit Sicherheit erkennt, vermag er selbst grofse Gegenst\u00e4nde, z. B. Personen, wenn sie in den seitlichen Teilen seines Blickfeldes und entfernt sich befinden, schwer von ihrer Umgebung zu unterscheiden,\n5. Mai. Patient erkl\u00e4rt noch immer die Kugel und eine gleich grofse Scheibe f\u00fcr vollkommen identisch, ebenso den Kubus und ein viereckiges Brett.\nNachdem Patient den Kubus betastet, erfolgt die Angabe, dafs der ihm gezeigte Gegenstand ein Kasten sei.\nEiner der Zuh\u00f6rer pr\u00e4sentiert ihm sein Gesicht, das ungef\u00e4hr den Bartschnitt, die Haar- und Bartfarbe des Assistenzarztes hat, er erkl\u00e4rt das Gesicht gesehen zu haben und erkl\u00e4rt dasselbe f\u00fcr das des Arztes, als aber der Arzt jetzt sein eigenes Gesicht zeigt, erkl\u00e4rt er mit Sicherheit, das w\u00e4re der Doktor, das andere Gesicht zeige etwas Besonderes von dem Gesicht des Doktors Abweichendes.\nEs wird ihm wieder sein eigenes Bild im Spiegel gezeigt, wie beim letzten Versuch, er bemerkt dasselbe und erkl\u00e4rt wiederum, einen Herrn zu sehen, bemerkt aufserdem die im gr\u00f6fseren Kreise herumstehenden Personen (des Auditoriums), deren Bild der Spiegel zur\u00fcckwirft.\nAuf 4' Entfernung wird die Uhr vorgehalten, er erkennt dieselbe, bezeichnet die Fl\u00e4che richtig, und erkennt die Kette. Sie wird dann in 1' Entfernung in der Mittellinie pr\u00e4sentiert und Patient aufgefordert die Uhr zu greifen. Er fafst die Uhr richtig, indem er die Hand auf dem gradesten Wege hinbewegt. Sodann wird dieselbe Uhr in demselben Abstande seitlich von der Mittellinie (in der Peripherie des Gesichtsfeldes in cirka 45\u00b0 seitlicher Abweichung) dem Patienten pr\u00e4sentiert und derselbe, w\u00e4hrend sein Kopf festgehalten wird, aufgefordert, die Uhr zu greifen. W\u00e4hrend er gleichzeitig die Augen nach der betreffenden Seite hinbewegt, greift der Patient regelm\u00e4fsig bald rechts, bald links, weit an der Uhr vorbei.\nDie Uhr wird von der Medianebene aus mehrmals, sowohl in die rechte als die linke Seite des Blickfeldes der Augen gebracht, und dann wieder in der Mittellinie pr\u00e4sentiert, mit v\u00f6llig gleichem Resultate: In der Mittellinie wird die Uhr richtig gefafst, seitlich wird vorbeigegriffen.\nDas Experiment ist so deutlich, dafs es dem Auditorium v\u00f6llig drastisch vorgef\u00fchrt werden kann.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nE. Baehlmann.\nEs wird ein braun und weifs gefleckter gr\u00f6fserer Hund (Pointer) dem Patienten vorgestellt; er erkl\u00e4rt das Tier mit einiger Zaghaftigkeit schon in der Entfernung von 6' f\u00fcr einen Hund, der Letztere wird ihm ganz nahe gebracht; er betrachtet und betastet die Schnauze, Nase, Augen, Ohren, die Haare, die Beine des Tieres, sagt, dafs das Tier weifs und braun gefleckt sei.\nEs wird ihm ein auf Pappe aufgezeichnetes und ausgeschnittenes Bild eines etwa gleich grofsen Hundes gezeigt (in der Entfernung von cirka l1). Nach kurzer genauer Betrachtung erkl\u00e4rt er, dafs das, was vor ihm sich befinde, gleichfalls ein Hund sei.\nJetzt wird ihm das ausgeschnittene Bild eines Affen gezeigt (H\u00f6he 372') er besieht dasselbe genau und bemerkt dann: \u201eVielleicht ist das ein Pferd.\u201c\n(Kurz vorher war ein Wagen mit zwei Pferden auf der Strafse, an welcher das Untersuchungszimmer (Auditorium) dicht angrenzt, vorbeigefahren und m\u00f6glicher Weise hat Patient das Bassein des Wagens und den Hufschlag der Pferde geh\u00f6rt und beachtet.)\nDas Experiment mit Theel\u00f6ffel und Essl\u00f6ffel, mit Tasse und Sch\u00fcssel wird angestellt und gelingt wie oben.\n6.\tMai. Der Patient unterscheidet den ihm bekannten kleinen Hund auf eine Entfernung von 10' und verliert ihn auf 18' Entfernung noch nicht aus den Augen.\nDie Uhr wird ihm in Entfernung von 1' vorgehalten; er erkennt diese sofort und bezeichnet mit Sicherheit die Glasseite, die Ziffern als Flecke, dann die E\u00fcckseite; er wird wieder aufgefordert, die Uhr zu greifen. In der Mittellinie, in der Richtung der optischen Axe, beim Blick geradeaus, greift er regelm\u00e4fsig richtig. Wenn man ihm die Uhr in den seitlichen Teilen des Gesichtsfeldes von rechts oder links pr\u00e4sentiert und greifen l\u00e4fst, greift er noch fehl, aber schon bedeutend sicherer, als fr\u00fcher.\nEs wird die Uhr, w\u00e4hrend der Kopf festgehalten wird, unten in dem Blickfelde des Patienten pr\u00e4sentiert. Bei der Aufforderung die Uhr zu greifen, bringt er die Hand in die Mitte des Gesichtsfeldes ca. V\u00ab' \u00fcber den Gegenstand, als er dann den Fehler merkt, wird die Hand nach unten gef\u00fchrt und die Uhr tappend gefafst. Jetzt wird die Uhr im oberen Teil des Gesichtsfeldes, ebenfalls bei fixiertem Kopf, gezeigt. Der Patient sieht die Uhr, und blickt nach derselben; beim Fassen greift er wiederum mindestens Vs Fufs nach unten vorbei, merkt die falsche Bewegung und korrigiert dieselbe, indem er die Hand nach oben f\u00fchrt und die Uhr tappend sucht.\nDem Patienten wird in ca. 1 ' Entfernung abwechselnd ein Efsl\u00f6ffel und ein Theel\u00f6ffel gezeigt. Patient h\u00e4lt beides f\u00fcr denselben L\u00f6ffel. Als er beide neben einander sieht, erkennt er den Unterschied der Gr\u00f6fse und giebt auch die richtigen Bezeichnungen, indem er den gr\u00f6fseren L\u00f6ffel Efsl\u00f6ffel, den kleineren Theel\u00f6ffel benennt.\n7.\tMai. Man zeigt Patient eine Flasche in 1 ' Entfernung ; er weifs nicht, was der Gegenstand bedeutet. Wenn man die Flasche in gerader Lage pr\u00e4sentiert und dann in liegender Stellung, mit dem Halse nach","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n79\nseinem Gesichte gerichtet, so erkl\u00e4rt er zwei verschiedene Gegenst\u00e4nde zu sehen. Bei wiederholter Aufforderung den Gegenstand zu besehen und zu bezeichnen, sagt er, es sehe sonderbar aus. Als man die Flasche sch\u00fcttelt, so dafs das in der Flasche enthaltene Wasser pl\u00e4tschert, sagt er, es sei eine Flasche. Dem Patienten wird jetzt der kleine Hund ge-zeigt, den er schon fr\u00fcher mehrere Male gesehen, er erkennt ihn sofort wieder und folgt ihm mit den Augen, als der Hund sich entfernt, bis auf 30' Entfernung und giebt mit Sicherheit die Richtung an, wo der Hund sich nun befindet. Patient wird darauf eine Uhr in der Entfernung von 10' vorgehalten, er erkennt die Uhr und giebt richtig an, welche Seite der Uhr ihm gezeigt wird.\nEs werden ihm auf weifsen Papptafeln gemalte schwarze Punkte von 7 cm Durchmesser und dem gleichen Abstand voneinander gezeigt und er wird aufgefordert, die Zahl der schwarzen runden Flecke anzugehen. Patient hat augenscheinlich keinen Begriff von der Zahl im optischen Sinne, insofern es gilt, die Eindr\u00fccke der Netzhaut numerisch zu sondern ; nach vielen vergeblichen Versuchen erkennt er zun\u00e4chst die Tafel mit zwei Punkten, indem er in charakteristischer Weise die einzelnen Punkte, nicht durch Augenbewegung, sondern durch Kopfbewegung aufsucht, den Kopf hin und her bewegt und dann die zwei Punkte z\u00e4hlt. Dieselbe Eigent\u00fcmlichkeit wiederholt sich, als ihm Tafeln mit 4, 5 und G Punkten pr\u00e4sentiert werden. Er f\u00fchrt in charakteristischer Weise den gerade gehaltenen Kopf, zuerst dem einen, dann dem anderen und so nach der Reihe den einzelnen Punkten zu, wobei er sorgf\u00e4ltig Augenbewegung vermeidet.\nBei der Tafel mit zwei Punkten, welche neben einander stehen, f\u00fchrt er zun\u00e4chst Kopfbewegungen in der H\u00f6he der Punkte nach rechts und links hin aus, dann sucht er oberhalb und schliefslich unterhalb der Punkte, mittelst seiner Kopfbewegungen die Papierfl\u00e4che ab, augenscheinlich, um sich von dem Fehlen weiterer Punkte zu \u00fcberzeugen, dann erst giebt er Auskunft.\nDem Patienten wird jetzt eine Uhr in der Entfernung von 1 ' vorgehalten, auf die Aufforderung sie zu fassen, greift er mit Sicherheit nach der Uhr. Auch in den seitlichen Teilen des Gesichtsfeldes greift er jetzt bereits ganz sicher. Es wird jetzt die Uhr bei fixierter Kopflage oben in dem Blickfelde des Patienten gezeigt, er greift ca. */*' nach unten vorbei. Die unten im Blickfelde gezeigte Uhr erfafst er jetzt ziemlich sicher.\nPatient wird gefragt, ob er fr\u00fcher bereits ein Pferd betastet h\u00e4tte und ob er sich eine Vorstellung machen k\u00f6nne von der Gestalt und Gr\u00f6fse eines Pferdes: Er bejaht es mit grofser Sicherheit. \u201eEr habe Pferde am Z\u00fcgel gef\u00fchrt, sei sogar auf denselben geritten.\u201c\nDarauf wird ihm eine grofse dunkle Flasche in 1 ' Entfernung ge-zeigt; er betrachtet sie genau und meint schliefslich, dafs das wohl ein Pferd sein k\u00f6nne. \u2014 Ist dann aber sehr besch\u00e4mt, als er den Gegenstand betastet und eine grofse 10 Literflasche entdeckt.\nDer Assistenzarzt bemerkt darauf zum Patienten gewandt, wie es ihm m\u00f6glich gewesen sei, eine Flasche und ein Pferd zu verwechseln,","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nJS. Baehlmann.\nda beide Gegenst\u00e4nde doch so grundverschieden seien. Nach einigem Z\u00f6gern antwortet der Patient: \u201eJa, das ist nicht so einfach.\u201c\n8. Mai. In ca. 10' Entfernung wird ihm die Uhr vorgehalten; er wird aufgefordert, sie zu nehmen. Er greift (sitzend) anfangs mit gebogenem Arm vor sich hin, dann mit ausgestrecktem Arm und schliefs-lich mit stark vorn\u00fcbergeneigtem K\u00f6rper nach der Uhr. Dann steht er auf, geht einige Schritte vorw\u00e4rts, indem er mit ausgestrecktem Arm tappt ; er bewegt sich aber nicht direkt auf die Uhr zu, sondern macht einen verh\u00e4ltnism\u00e4fsig grofsen Bogen, wobei er ca. 3' nach rechts aus der graden Directionslinie ablenkt, dabei greift er mit ausgestrecktem Arm nach rechts und links nach der Uhr und schliefslich fafst er dieselbe. \u2014 Aufgefordert, durch das Zimmer zu gehen, geht er vorsichtig mit kleinen Schritten, den rechten Arm vorausgestreckt, st\u00f6fst gegen einen Stuhl und gegen die Th\u00fcrkante. Dem Patienten werden wiederum ein Holzw\u00fcrfel und eine viereckige Holzscheibe von derselben Gr\u00f6fse gezeigt; er giebt an, die Scheibe w\u00e4re schm\u00e4ler als der W\u00fcrfel. Eine Kugel und eine runde Scheibe von derselben Gr\u00f6fse verwechselt er auch noch; doch giebt er an, die Kugel sei etwas dunkler. \u2014 Zweimal hintereinander erkl\u00e4rt er, als man ihm den W\u00fcrfel mit einer Kante zugekehrt pr\u00e4sentiert, \u2014 so dafs er also zwei W\u00fcrfelseiten im Profil sieht, zwei Bretter vor sich zu haben. Tasse und Sch\u00fcssel in verschiedenen Entfernungen gezeigt, werden noch immer f\u00fcr gleiche Gegenst\u00e4nde gehalten.\nVon zwei gleich grofsen L\u00f6ffeln ist ihm der entferntere der kleinere.\nMan zeigt ihm die Uhr in ca. 15' Entfernung und stellt in der Verbindungslinie einen Stuhl und zwar in der Mitte des Abstandes zwischen Patient und Uhr. Der Patient wird aufgefordert, die Uhr zu nehmen. Er erhebt sich, geht in grader Richtung auf die Uhr zu, st\u00f6fst gegen den Stuhl, bleibt dann, als er den Stuhl ber\u00fchrt, stehen, beugt sich mit ausgestrecktem Arm \u00fcber den Stuhl nach der Uhr. Nach einigem Besinnen geht er jedoch um den Stuhl herum, grade auf die Uhr zu und fafst dieselbe. Dann stellt man zwei St\u00fchle in 5' Entfernung vom Patienten nebeneinander, und wiederholt dasselbe Experiment. Er geht jetzt mit Sicherheit um die St\u00fchle herum und dann grade auf die Uhr zu. Sodann werden drei St\u00fchle zwischen zwei Tischen so gestellt, dafs nur ganz schmale Zwischenr\u00e4ume \u00fcbrig bleiben. Patient sucht mit Sicherheit einen Zwischenraum auf und geht dann grade auf die Uhr zu.\nW\u00e4hrend der Dauer der Experimente zeigt Patient ein stilles L\u00e4cheln der Befriedigung.\nMan zeigt ihm in n\u00e4chster N\u00e4he durch Vorstrecken des Beines den mit einem Stiefel bekleideten Fufs. Nachdem er den Fufs lange angestarrt, erkl\u00e4rt er, dafs er nicht wisse, was das Ding sei, er greift danach und meint jetzt, dafs es ein Stiefel sei, weifs aber noch immer nicht, trotzdem er das Bild des ganzen Menschen vor sich hat, dafs ein Fufs in dem Stiefel steckt und nachdem er genau betastet, wie der Fufs dahin kommt. Erst, nachdem er lange den ganzen Menschen angesehen und das Bein bef\u00fchl hat, kommt er auf die richtige Idee, dafs man ihm ein Bein mit dem Fufse vorgestreckt hat.\nEs werden zwei St\u00fchle in einer Entfernung von 6' aufgestellt und","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n81\nein ca. \u2019/\u00bb\" breites V*\" dickes Lineal quer \u00fcber die Lehne der St\u00fchle gelegt. Patient wird aufgefordert, durch die St\u00fchle zu gehen und ein etwaiges Hindernis fortzunehmen.\nEr greift mit beiden H\u00e4nden nach dem Lineal und entfernt dasselbe.\nW\u00e4hrend bis jetzt dem Patienten die Binde nur zu den Untersuchungen abgenommen wurde, wird sie jetzt ganz entfernt. Patient bewegt sich frei umher!\n9.\tMai. Nach der Aussage eines intelligenten Kranken, der sich im selben Zimmer befindet, hat Patient eine Zeit hindurch Selbstbeobachtungen angestellt und sich in eigent\u00fcmlicher Weise im Sehen ge\u00fcbt; er zieht z. B. seinen Stiefel vom Fufs und wirft ihn eine Strecke weit vor sich hin, dann sucht er die Entfernung, in welcher sich der Stiefel befindet, zu taxieren; er geht einige Schritte auf den Stiefel zu und sucht ihn zu greifen, als er ihn nicht erreicht, macht er noch einige Schritte und sucht dann nach dem Stiefel, bis er ihn schliefslich erfafst. Er besch\u00e4ftigt sich viel mit seinen Mitkranken, sucht sie zu unterscheiden; betastet deren K\u00f6pfe, H\u00e4nde, Arme, die einzelnen Teile des Gesichtes, indem er dieselben mit den Augen beobachtet.\n10.\tMai. Es werden dem Patienten d\u00fcnne, schwarze F\u00e4den (N\u00e4hseide), auf weifsem Grunde in P Entfernung gezeigt, er nimmt die F\u00e4den wahr und greift sicher nach denselben.\nEin Z\u00fcndh\u00f6lzchen, an einem solchen Faden aufgeh\u00e4ngt, nimmt er noch in einer Entfernung von 3\u20144' wahr. Dem Patienten wird die geballte Faust dicht vor die Augen gehalten, er sagt, er s\u00e4he einen weifsen Gegenstand, k\u00f6nne aber nicht angeben, was das sei ; erst als die Finger ausgebreitet werden, erkennt er die Hand.\n11.\tMai. Es wird dasselbe Experiment mit den F\u00e4den wiederholt, Patient nimmt sie wahr und fafst nach denselben. Ferner wird vor dem Patienten eine mit Wasser gef\u00fcllte Porzellansch\u00fcssel gestellt. Er giebt an, dafs Wasser in dem Gef\u00e4fs sei, er erkennt dasselbe an der Bewegung. Einige Kupferm\u00fcnzen, die in die Sch\u00fcssel gelegt werden, erkennt Patient aus 2' Entfernung als im Wasser liegende dunkle Gegenst\u00e4nde.\nMan l\u00e4fst jetzt ein braunes rundes St\u00fcck Papier von der Gr\u00f6fse der M\u00fcnzen auf der Oberfl\u00e4che des Wassers schwimmen; Patient giebt an, dafs der eine Gegenstand, das Papier, n\u00e4her sei als die anderen, die Kupferm\u00fcnzen.\n12.\tMai. Patient wird aufgefordert, die 7 cm im Durchmesser haltenden, auf eine weifse Papptafel gemalten Punkte zu z\u00e4hlen. Er giebt die Zahl der Punkte richtig an, aber erst dann, nachdem er, wie fr\u00fcher, die einzelnen Punkte durch Bewegungen des Kopfes aufgesucht ; doch geschieht jetzt die Angabe schneller und pr\u00e4ziser.\nPatient wird aufgefordert, einen in der Mittellinie in 7 ' Entfernung befindlichen Gegenstand, die Uhr, zu fixieren. Er soll, w\u00e4hrend er fixiert, durch ein kurzes Wort zu verstehen geben, sobald er wahrnimmt , dafs sich von der Seite her ein Gegenstand n\u00e4hert; es wird auf diese Weise nachgewiesen, dafs Patient ein v\u00f6llig freies Gesichtsfeld hat ; er bemerkt\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie II.\t6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nE. Baehhnann.\nein kleines weifses St\u00fcck Papier von 4 cm Fl\u00e4che, sobald es ins Gesichtsfeld peripher eintritt, seihst in einer Entfernung von 3 Fufs Abstand.\nZwei kleine M\u00e4dchen von 6 und 8 Jahren, die ihm in einiger Entfernung gezeigt werden, h\u00e4lt er f\u00fcr erwachsene Menschen, erkennt sie auch in der N\u00e4he erst, nachdem er ihre Kleider, Haare etc. angefafst, als Kinder, bezeichnet sie dann auch richtig als M\u00e4dchen.\nDer Patient wird in den Garten hinausgef\u00fchrt, er t\u00e4uscht sich fortw\u00e4hrend in der Beurteilung der Entfernung der B\u00e4ume, Str\u00e4ucher, Gartenbeete etc. bewegt sich sehr vorsichtig mit vorgehaltenen, halb-gebogenen Armen, st\u00f6fst aber nirgends an. Er bleibt innerhalb der schmalen Kieswege. Er greift aber nach entfernten Gegenst\u00e4nden, Laub, Blumen etc. wie wenn sie im Bereiche seiner Hand w\u00e4ren. Grofsen Eindruck macht ihm Licht und Schatten bei Sonnenschein.\n13. Mai. Dem Patienten werden drei, 3 cm von einander entfernte Z\u00fcndh\u00f6lzchen in 1 ' Entfernung gezeigt, auf die Frage, ob er die Z\u00fcndh\u00f6lzchen sehe, antwortet er: \u201esehr deutlich\u201c. Aufgefordert die Zahl derselben anzugehen, sagt er, er s\u00e4he mehrere, k\u00f6nne aber nicht bestimmen, wie viele vorhanden seien, erst nachdem er die H\u00f6lzchen betrachtet, giebt er die Zahl richtig an.\nEinen d\u00fcnnen schwarzen Seiden-Faden, der ihm in 1 ' Entfernung, wie am vorhergehenden Tage, vor einem weifsen Papier gezeigt wird, nimmt er sofort wahr.\nDas \u00d6lgem\u00e4lde eines \u00e4lteren Herrn (Lebensgr\u00f6fse), wird dem Patienten gezeigt, er sagt, das sei ein Mensch, doch habe dieser etwas Besonderes, das ihn von den \u00fcbrigen, bis jetzt gesehenen unterscheide.\nZwei kleine M\u00e4dchen von 6 und 8 Jahren, die er gestern gesehen, erkennt er wieder, doch bezeichnet er sie jetzt als Knaben.\nEin silberner L\u00f6ffel und eine goldene Uhr werden ihm jetzt gleichzeitig gezeigt. Die Uhr an der Kette, der L\u00f6ffel am schmalen Stil pendelnd bewegt, in Entfernung von 6 '. Anfangs bezeichnet er beide Gegenst\u00e4nde als Uhren; wobei er jedoch angieht, dafs die Gegenst\u00e4nde sich in ihrem Aussehen unterscheiden. In der Entfernung von erkennt er beide Gegenst\u00e4nde richtig. Nachdem ihm die Uhr und \u00ab1er L\u00f6ffel jetzt mehrere Male gezeigt, unterscheidet er sie auch in gr\u00f6fserer Entfernung, trotz ihrer pendelnden Bewegung.\n16. Mai. Es wird dem Patienten in 5\u20146 ' Entfernung die Uhr und der Efsl\u00f6ffel unbewegt vorgehalten, er unterscheidet die beiden Gegenst\u00e4nde vollkommen richtig. Auch erkennt er eine Gabel, einen L\u00f6ffel und ein Messer, wenn er sie alle gleichzeitig sieht und l\u00e4fst sich nicht t\u00e4uschen, wenn man ihm beim Zeigen der Gabel angiebt, das sei ein Messer. Als man ihm aber beide Gegenst\u00e4nde nacheinander vorh\u00e4lt , weifs er nicht recht, welcher Gegenstand die Gabel und welcher das Messer ist.\nEin an einem feinen Faden aufgeh\u00e4ngtes Z\u00fcndholz bemerkt er sofort in 3 ' Entfernung und bezeichnet die Stellen des Blickfeldes richtig, in denen sich das Z\u00fcndholz befindet, wenn man dasselbe bewegt, und greift auch richtig danach.\nEs werden ihm zwei sich in der Mitte kreuzende Z\u00fcndh\u00f6lzchen vorgehalten, er weifs den Gegenstand nicht zu bezeichnen. Bisher hat","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n83\nman ihm Z\u00fcndh\u00f6lzchen immer nur in vertikaler Lage pr\u00e4sentiert, etwa an einem schwarzen Faden aufgeh\u00e4ngt, oder in der Hand gehalten, jetzt werden ihm deren zwei in gekreuzter Richtung pr\u00e4sentiert, der Patient weifs nicht, was der Gegenstand bedeutet, er meint, es k\u00f6nne eine Anzahl zusammengelegter Z\u00fcndh\u00f6lzchen sein. Als er zufafst, merkt er sofort, dafs man ihm ein vertikales und ein horizontal liegendes Z\u00fcndh\u00f6lzchen gezeigt hat.\nEs wird Patient das auf Pappe gezogenes Bild eines Hundes gezeigt. Er sagt, er h\u00e4tte das schon gesehen, wisse es aber nicht zu bezeichnen. Auf die Frage, ob es ein Pferd sei, erfolgt die Antwort, dafs das m\u00f6glich sei, er wisse es aber nicht genau, jedenfalls sei dies Tier nicht identisch mit den Tieren, die er auf dem Hofe gesehen (Kaninchen).\nPatient vermag sich in den ihm bekannt gewordenen R\u00e4umen ganz gut ohne Hilfe zu bewegen, findet ohne Unterst\u00fctzung die ins obere Stockwerk f\u00fchrende Treppe, steigt ohne das Gel\u00e4nder zu fassen, schnell und sicher auf und ah.\n18. Mai. Als dem Patienten erst zwei, dann drei und vier Z\u00fcndh\u00f6lzchen, abwechselnd, in vertikaler Stellung zwischen den Fingern gehalten, gezeigt werden mit der Aufforderung, die Zahl der gezeigten H\u00f6lzer anzugehen, erkennt er die Anzahl ohne grofse Schwierigkeit und ohne zu greifen.\nDen kleinen Hund, den er schon oft gesehen, bemerkt er jetzt sofort, sobald derselbe ins Zimmer gelassen wird; er bemerkt ihn auch dann, wenn derselbe nicht gleich anfangs seine Aufmerksamkeit erregte, und auch dann, wenn derselbe so im Zimmer postiert wird, dafs sein Bild die Seitenteile des Gesichtsfeldes des Patienten treffen mufs.\nPatient bezeichnet den Ort, wo der Hund sich gerade aufh\u00e4lt, stets auch auf grofse Entfernung (30') richtig, geht gerade auf ihn zu und f\u00e4ngt ihn, um ihn stets von Neuem zu bef\u00fchlen.\nAls der Patient den Hund verfolgt, verkriegt sich derselbe unter den Sitz eines an der Wand stehenden, niedrigen Stuhles, dessen Sitz mit Leder \u00fcberzogen ist. Patient geht auf den Ort, wo er den Hund gesehen, zu, bleibt zun\u00e4chst unentschlossen vor dem Stuhle stehen, sieht dann nach allen Seiten suchend umher. Auf die Frage, wo der Hund \u2022sei, antwortet er, derselbe sei verschwunden und nicht mehr im Zimmer.\nMan sagt ihm, der Hund sei unter den Stuhl gekrochen, der vor ihm st\u00e4nde; darauf greift Patient nach der Stuhllehne, dann nach dem Sitz, f\u00e4hrt mit der rechten Hand \u00fcber denselben hin, dann mit der letzteren unter den Sitz und holt den Hund verwundert l\u00e4chelnd hervor.\n21. Mai. Patient zeigt sich jetzt auch im Freien (in Hof und Garten) besser orientiert als fr\u00fcher, er geht in den klinischen R\u00e4umen, ohne anzustofsen, frei umher, steigt g\u00e4nzlich anstandslos Treppen etc. Er taxiert jetzt auch Entfernungen besser, als fr\u00fcher, wenngleich er noch grobe Fehler begeht.\nUm die erworbene Lokalisation der Netzhautbilder zu pr\u00fcfen, wird der Patient, nachdem ihm zuvor die Augen verbunden, so auf ein Holzgestell (Demonstrationstisch) gelegt, dafs der Oberk\u00f6rper und der Kopf\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nE. Baehlmann.\nnach unten h\u00e4ngt. Nachdem der Assistenzarzt, dessen Gestalt und Gesicht dem Patienten genau bekannt ist, sich dem Gesichte des Patienten in 5' Abstand gegen\u00fcber gestellt hat, wird dem letzteren der Verband f\u00fcr eine kurze Zeit, w\u00e4hrend welcher er zum Fixieren aufgefordert wird, von den Augen genommen, dann aber wieder angelegt.\nNachdem der Patient aus der unnat\u00fcrlichen Lage freigelassen ist, der Augenverband wieder fortgelassen wurde, giebt der Patient auf Befragen an, dafs er den Doktor \u201everkehrt, mit dem Kopf nach unten, gesehen habe.\u201c\n23. Mai. Es wird dem Patienten ein Gem\u00e4lde in Lebensgr\u00f6fse, einen Herrn darstellend, vorgehalten. Er erkennt das Bild, das er schon mehrere Male gesehen hat, erkl\u00e4rt, es sei ein Mann, der aber nicht lebe, aber ganz wie ein lebender aussehe. Nachdem er das Bild l\u00e4nger betrachtet hat, erkl\u00e4rt er, es sei etwas Beweglichkeit darin. Man sagt ihm, es sei das gemalte Bild eines Herrn; er kann sich gar keine Vorstellung dar\u00fcber machen.\nDarauf wird ihm, wie fr\u00fcher, der Spiegel vorgehalten ; er sieht sein Bild, behauptet nun, er habe denselben Menschen schon h\u00e4ufiger gesehen. Als er den Rahmen des Spiegels anf\u00fchlt, erkl\u00e4rt er, es stelle auch hier was darin, es m\u00fcsse ein Bild sein. Jetzt wird ihm in dem Spiegel neben seinem eigenen Gesicht ein zweites, dessen Original neben seinem Kopfe sich befindet, pr\u00e4sentiert. Patient wird hochgradig verwirrt, er erkennt das ihm bekannte Gesicht in dem Spiegel, erkl\u00e4rt, er habe es h\u00e4ufig gesehen und auf die Frage, ob dafs das Bild des Professors sei, erkl\u00e4rt er, es sei unm\u00f6glich, da das Gesicht des Professors sich neben dem seinigen befinde. Als man ihm sagt, es sei in der That das Gesicht des Professors, was er vor sich sehe, guckt er mehrere Male mifstrauisch um die Achsel herum und \u00fcberzeugt sich, dafs das Gesicht doppelt da ist. Dann wird er aufgefordert, die Gegenst\u00e4nde die er sieht, zu ber\u00fchren. Er greift anfangs gegen das Spiegelglas und dann mit gebogenem ausgestrecktem Arme hinter den Spiegel und macht verschiedene Greifbewegungen, wobei er, w\u00e4hrend er in den Spiegel hineinsieht, gleichzeitig hinter demselben herumgreift. Man sagt ihm darauf, der Gegenstand, hinter welchem die Gesichter sich befinden, sei ein Spiegel. Darauf sieht er lange in den Spiegel herein, pl\u00f6tzlich entdeckt er, dafs die Bewegungen der Gegenst\u00e4nde in dem Spiegel bei Bewegungen seines eigenen K\u00f6rpers erfolgen und jetzt beginnt ein h\u00f6chst possierliches Mienenspiel, welches er ausf\u00fchrt.\nMan l\u00e4fst ihn in Ruhe, er steht nahezu eine halbe Stunde vor dem Spiegel, bewegt zun\u00e4chst immer l\u00e4chelnd den Arm auf und ab, sodann ber\u00fchrt er mit der Hand verschiedene Teile seines K\u00f6rpers, wobei er immer von neuem l\u00e4chelt. Jetzt wird Patient aufgefordert seine eigene Nase, welche er im Spiegel sieht, zu ber\u00fchren. Er greift erst gegen das Spiegelglas und dann wiederum hinter den Spiegel. Dasselbe Experiment wiederholt sich mehrere Male. Sodann f\u00fchrt ihm ein Nebenanstehender seine Hand an die Nase, jetzt lacht er und ber\u00fchrt nach einander verschiedene Teile seines eigenen Gesichtes, w\u00e4hrend er den Bewegungen der Hand im Spiegel folgt.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n85\n6.\tJuni. Es wird Patient wiederum ein Spiegel vorgehalten; er wird gebeten, sich nicht zu bewegen ; er gieht sofort an, dafs ein Spiegel sich vor ihm bef\u00e4nde und dafs das Gesicht, welches er erblicke, sein eigenes sei. Jetzt wird Patient ein Bild (Stahlstich, V* Lebensgr\u00f6fse) gezeigt. Patient glaubt auch jetzt wiederum einen Spiegel vor sich zu sehen und h\u00e4lt das Bild f\u00fcr sein eigenes Gesicht. Nach l\u00e4ngerer Betrachtung stellen sich aber Zweifel hei ihm ein, er erkl\u00e4rt, das Bild sei kleiner, als das im Spiegel gesehene, auch habe das Bild etwas Besonderes seinem Gesichte un\u00e4hnliches und schliefslich sei die Umgebung des Bildes anders beschaffen, er kommt zuletzt zum Schlufs, dafs es ein gemalter Mensch sein m\u00fcsse. \u2014 Darauf wird Patient dafs schon fr\u00fcher gesehene \u00d6lgem\u00e4lde gezeigt, anfangs gieht Patient mit Sicherheit an, jetzt den Spiegel vor sich zu haben.\nAls man den Patienten auffordert, den Kopf zu bewegen, f\u00e4llt es ihm sofort auf, dafs das Bild keine Mithewegung macht, und nachdem er noch einige Versuche angestellt, indem er die Hand und den K\u00f6rper nach verschiedenen Richtungen bewegt, und da das Bild in Ruhe bleibt, schliefst er, dafs es sein Spiegelbild nicht sein k\u00f6nne, also ein Gem\u00e4lde vor ihm sein m\u00fcsse.\nDem Patienten werden darauf verschiedene Gegenst\u00e4nde, die er schon fr\u00fcher gesehen, gezeigt. Er erkennt Messer und Gabel sofort. Auch den L\u00f6ffel nimmt er als solchen wahr, doch ist sein Unterscheidungsverm\u00f6gen f\u00fcr verschiedene Gr\u00f6fsen noch immer unsicher. Zeigt man ihm zwei L\u00f6ffel von verschiedener Gr\u00f6fse neben einander, so bezeichnet er richtig den gr\u00f6fseren und kleineren. Zeigt man die L\u00f6ffel nach einander, so sind die Angaben oft unrichtig. Die Kugel und die Holzscheihe erkennt er richtig als solche, ebenso verwechselt er den Holzw\u00fcrfel und ein viereckiges Holzbrett nicht mehr.\nDie auf den weifsen Papptafeln befindlichen Punkte erkennt er jetzt auf den ersten Blick, ohne Kopf bewegungen zu machen, bis zur Anzahl von 6.\n7.\tJuni. Patient wird aus der Klinik nach Hause entlassen.\nChristine Deutschmann, 14 Jahre alt, leidet beiderseits an Cataracta congenita, welche seit fr\u00fchester Kindheit bemerkt wurde. Patientin vermag \u00fcber ihr Kindesalter gar keine Angaben zu machen, der Begleiter, welcher sie der Klinik \u00fcberlieferte, zeigte sich absolut nicht unterrichtet \u00fcber die Lebensverh\u00e4ltnisse der Patientin. Somit l\u00e4fst sich r\u00fccksichtlich der Orientierungsverh\u00e4ltnisse nur das anf\u00fchren, was die Patientin seihst anzugeben vermag. Danach hat sie sich an bekannten Orten, unter Benutzung des Gef\u00fchls, zurecht zu finden vermocht, hatte aber gr\u00f6fsere Gegenst\u00e4nde nur dann bemerken k\u00f6nnen, wenn sie dieselben dicht vor die Augen bringen konnte, dabei hat sie immer bei dem Versuche zu sehen den Kopf stark nach rechts wenden m\u00fcssen. Zu Vornahme irgend welcher Arbeit ist sie von jeher untauglich gewesen.\nStatus praesens: Rechte Iris braun, linke Iris grau.\nNystagmus oscillatorius, dessen Bewegungen in der Horizontalen erfolgen, daneben starke Zuckungen der Augen, durch welche die Aug\u00e4pfel sehr unregelm\u00e4fsig und atypisch verzogen werden. Bald sind ab-","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nE. Raehlmann.\nsolute Divergenzstellungen, bald vollkommen entgegengesetzte Bewegungen beider Augen zu konstatieren. Bei den Drehungen der Augen, welche offenbar unwillk\u00fcrlich erfolgen, wird die Hornhaut mitunter so stark excentrisch bewegt, dafs sie unter der Decke des oberen oder unteren Lides vollkommen verschwindet. Die Zuckungen treten besonders' dann auf, wenn die Patientin aufgefordert wird, einen Gegenstand anzuschauen.\nVordere Kammer etwas tief. Scheibenf\u00f6rmig geschrumpfte Katarakt, welche bei physiologisch weiter Pupille den ganzen Pupillarraum vollkommen verdeckt und kein Licht durchtreten l\u00e4fst. Bei der Untersuchung mit dem Ophthalmoskop l\u00e4fst sich, wenn die Pupille erweitert ist, neben den R\u00e4ndern der Katarakt, seitlich vorbei, ins Auge sehen und roter Reflex des Augenhintergrundes erreichen. Namentlich ist das am rechten Auge nasalw\u00e4rts der Pall. Geringer Abstand zwischen Irisfl\u00e4che und Katarakt (Schlagschatten), Spannung des Bulbus normal. Pupille reagiert beiderseits sehr gut auf Licht, auf Accomodation nur schwach, wenn die eigene Hand der Patientin direkt vor dem Auge sich befindet und dieselbe sich M\u00fche giebt, sie zu fixieren.\nSehverm\u00f6gen: Mit dem linken Auge vermag die Patientin nur Unterschiede in der Beleuchtung wahrzunehmen und auch die Richtung der dicht vor ihrem Auge bewegten Hand anzugeben. Mit dem rechten Auge z\u00e4hlt sie die ausgebreiteten Finger in 2\u20143 Fufs Entfernung. Dabei h\u00e4lt aber die Patientin den Kopf etwas nach vorn und rechts geneigt, steht mit dem R\u00fccken gegen das Licht (offenbar um die Pupillen durch, Beschattung zu erweitern). Dabei ist der Kopf gleichzeitig um eine vertikale Axe nach links gedreht. Patientin fixiert \u00e4ufserst excentrisch mit den linken Randteilen der rechten Netzhaut. Wenn die Patientin f\u00fcr sich unbeachtet dasitzt, hat sie offenbar absolut keine Gesichtsempfindungen, die Augen bewegen sich in grofsen zuckenden Exkursionen hin und her. Wenn ihr die Speisen vorgesetzt werden, so sieht sie zun\u00e4chst aus allern\u00e4chster N\u00e4he mit schiefer Haltung des Kopfes (wie erw\u00e4hnt), indem sie das Brot etc. dicht an ihr rechtes Auge h\u00e4lt, den Gegenstand an. Beim Essen selbst verl\u00e4fst sie sich vollkommen auf ihr Tastgef\u00fchl, dirigiert den L\u00f6ffel falsch, vergiefst die Suppe, zeigt sich \u00fcberhaupt vollkommen unbeholfen. \u2014 Beim Gehen st\u00f6fst sie an die Gegenst\u00e4nde an und mufs, wie ein v\u00f6llig Blinder, gef\u00fchrt werden.\nBeiderseits wurde die Katarakt mittelst linearer Extraktion entfernt. Die Patientin erhielt auf beiden Augen ein freies Pupillargebiet bei v\u00f6llig beweglicher Iris. Das Sehverm\u00f6gen des rechten Auges wurde ein sehr gutes, drei Wochen nach der Operation konnte an der Figurentafel, mittelst welcher die Patientin vorher einge\u00fcbt worden war, bereits eine Sehsch\u00e4rfe von ca. Vs der Norm festgestellt werden. Das linke Auge blieb im selben Grade amblyopisch, wie es vor der Operation gewesen war, trotz der freien Pupille vermochte die Patientin in n\u00e4chster N\u00e4he nicht einmal die ausgebreiteten Finger der Hand zu z\u00e4hlen.\nIn den ersten Tagen nach der Operation bestand grofse Schwierigkeit, die Augen einzustellen, d. h. mit der Blicklinie des rechten Auges den zu fixierenden Gegenstand zu finden und festzuhalten. Die Augen","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n87\nmachten tappende, wie suchende Bewegungen; dazwischen trat der fr\u00fcher erw\u00e4hnte, zuckende Nystagmus auf, und jeder Versuch zur Fixation wurde aufgegeben.\nWenige Tage nach der Operation wurden die krampfhaften Zuckungen der Augen seltener und w\u00e4hrend die Patientin einen ihr vorgehaltenen Gegenstand ansah, war nur ein leichter oscillierender Nystagmus zu konstatieren. Bei den Augenbewegungen, welche man zum Zwecke des Fixierens eines vorgelialtenen Gegenstandes eintreten sah, bewegten sich beide Augen vollkommen associiert, ohne 'dafs das linke, sehschwache Auge irgendwie durch besonderes Verhalten aufge-fallen w\u00e4re.\nDer oscillatorische Nystagmus (zitternde Bewegungen beider Bulbi in der Horizontalen), welcher in den ersten 8 Tagen, trotz Aufh\u00f6ren der Krampfbewegungen, im Fixieren noch bestand, ist 14 Tage nach dem Beginn des centralen Sehens vollkommen verschwunden, so dafs die Augen sicher, wie die eines anderen gesunden Menschen sich bewegen und fixieren. Dabei ist indes folgender Unterschied im Verhalten beider Augen zu bemerken. Die erw\u00e4hnte Sicherheit in den Augenbewegungen beim Fixieren ist nur vorhanden, wenn und solange das rechte Auge bei der Fixation sich beteiligt. Schliefst man w\u00e4hrend binokularer Fixation das rechte Auge und n\u00f6tigt mit dem linken (dem schwachsichtigen Auge) zu fixieren, so treten dieselben zwangs-m\u00e4fsigen Bewegungen der Augen auf, wie oben beschrieben. Neben den letzteren sind auch starke zuckende Bewegungen vorhanden. Beide Arten der Bewegungen, die krampfhaften, wie der Nystagmus, sind dann auf beiden Augen nachweisbar.\nDie Pr\u00fcfungen des Gesichtes ergehen, dafs die Patientin die Raumvorstellungen vollkommen besitzt, sie hat vor der Operation mit ihrem geringen Sehverm\u00f6gen so viel Erfahrungen \u00fcber den Raum, den sie tasten konnte, gemacht, dafs sie eine Kugel, die man ihr vorh\u00e4lt, f\u00fcr eine grofse gelbe R\u00fcbe erkl\u00e4rt. Ebenso erkennt sie ein rundes Brett von demselben Querschnitt wie die Kugel richtig.\nSie unterscheidet auch genau einen Kubus und ein Brettchen von demselben Querschnitt. Am meisten setzt sie noch die Deutung eines auf Pappe aufgeklebten, ausgeschnittenen Hundes in Verlegenheit, wenngleich sie gleich anfangs aussagt, dafs der Gegenstand, den sie vor sich habe, fl\u00e4chenhaft ausgedehnt und leblos sei.\nDas Bild eines Mannes \u2014 \u00d6lgem\u00e4lde, Lebensgr\u00f6i'se \u2014 erkennt sie sofort als Bild. Entfernungen weifs sie, wenn auch fehlerhaft, zu taxieren. Obgleich sie Anfangs nach der Operation noch unbeholfen auftrat, langsam und vorsichtig sich bewegte, vermied sie doch Gegenst\u00e4nde, und 14 Tage nach der Operation bewegte sie sich vollkommen sicher und frei im Raum, auch an unbekannten Orten. Unmittelbar nach der Operation aber waren ihr die Umrisse und die Gestalt der Gegenst\u00e4nde welche sie bemerkte, v\u00f6llig unbekannt.\nSie hat zwar vor der Operation bei ganz excentrischer Fixation aus n\u00e4chster N\u00e4he gr\u00f6fsere Gegenst\u00e4nde wahrgenommen, hat aber trotzdem keine Vorstellung von der ganzen Form und Gestalt derselben","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nJS. Eaehlmann.\ngewonnen, offenbar, weil sie von ihnen immer nur kleine Teile und h\u00f6chst undeutlich gesehen hatte.\nDaher fragte sie, sobald sie nach der Operation deutlich zu sehen begann, nach dem Namen eines jeden Dinges, welches ihr in die Augen fiel, namentlich, wenn es ihr unm\u00f6glich war, dasselbe zu ber\u00fchren.\nDen Begriff \u201erund\u201c, \u201eviereckig\u201c hatte sie sofort nach der Operation; auch die Vorstellung der Entfernung; genau letztere zu taxieren, war sie aber nicht im st\u00e4nde.\nDrei Wochen nach der Operation wurde ihr die Aufgabe gestellt, indem sie durch eine R\u00f6hre nach einem, in geringer Entfernung vor einem weifsen Hintergr\u00fcnde horizontal gehaltenen Bleistifte blickte, die Entfernung einer vor und hinter dem Bleistifte herabfallenden Kugel anzugeben. Bei zweiunddreifsig Einzelbeobachtungen gab sie mir achtmal richtig an, ob die Kugel vor oder hinter dem Bleistifte herabfiel.\nUngef\u00e4hr vierzehn Tage nach der Operation wurde ihr ein kleiner Knabe von sieben Jahren vorgestellt. Sie war bis dahin, seit der Operation, nie mit Kindern zusammengekommen und hatte nur erwachsene Menschen gesehen. Der kleine Knabe erregte ihre besondere Aufmerksamkeit. Anfangs bezweifelte sie, ob ein Mensch vor ihr sei, und f\u00fcrchtete sich vor dem Kleinen; dann meinte sie, es sei \u201eein ganz kleiner Mensch\u201c wie sie noch nie einen gesehen. Als man ihr sagte, es sei ein Kind und sie habe doch fr\u00fcher schon Kinder gekannt und gesehen, antwortete sie, sie habe nur immer einzelne Teile des Gesichtes sehen k\u00f6nnen, nie den ganzen Menschen \u201eauf einmal\u201c wie jetzt. Auf die Frage, ob sie sich die Gestalt eines Kindes denn fr\u00fcher nicht habe vorstellen k\u00f6nnen, bejaht sie die Frage, sie habe aber \u201enicht gewufst\u201c, dafs ein Kind \u201eanders aussehe\u201c. \u201eJetzt sei ihr alles fremd\u201c.\nSie sah einen Hund, fragte die W\u00e4rterin, was das f\u00fcr ein Ding sei, erkannte dann sp\u00e4ter jeden ihr vorgef\u00fchrten Hund sofort. Sie erkl\u00e4rte, dafs sie fr\u00fcher Hunde bef\u00fchlt habe, auch den Kopf, die Ohren, die Beine gesehen habe, sie habe aber keine richtige Vorstellung davon gehabt, wie die gesehenen Teile zusammen geh\u00f6rten, jetzt erst sehe sie, \u201ewie die Beine voneinander st\u00e4nden, wie weit sie vom Kopf entfernt seien\u201c etc.\nChristine Deutschmann hatte drei Wochen nach der Operation schon eine vollkommene Orientierungsf\u00e4higkeit, r\u00fccksichtlich der Lokalisation ihrer Netzhautbilder, dem \u00e4ufseren Raume gegen\u00fcber. In liegender Stellung mit stark herabh\u00e4ngendem Kopf, sah sie die ihr pr\u00e4sentierten Gegenst\u00e4nde aufrecht, ohne, wie Johann R\u00fcben, get\u00e4uscht zu werden.\nAber auch bei Christine Deutschmann war einige Tage, nachdem sie gut zu sehen begonnen hatte, noch nachzuweisen, dafs sie mehrere gr\u00f6fsere schwarze Scheiben, welche auf einer weifsen Fl\u00e4che, in geringem Abstande voneinander, aufgemalt waren, nicht sogleich zu z\u00e4hlen vermochte. Auch sie mufste anfangs jeden einzelnen Punkt zuerst durch Kopfbewegungen (seitliche Verschiebungen des ganzen Kopfes) aufsuchen, bevor sie die Zahl der Punkte anzugehen vermochte.\nDie ganze Procedur des Aufsuchens der Punkte ging aber viel rascher vor sich, als bei Johann Ruben, auch wurden die Kopfbewegungen viel fr\u00fchzeitiger mit Augenbewegungen kombiniert resp. durch letztere","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n89\nersetzt. Schon nach wenigen Versuchen konnte sie die Punktgruppen, ohne zu z\u00e4hlen, richtig angeben.\nVier Wochen nach der Operation fingen bei Christine Deutschmann die Gesichtsvorstellungen, welche sie inzwischen gewonnen hatte, an, in ihren Tr\u00e4umen eine Eolle zu spielen. Sie erz\u00e4hlte eines Morgens freudig verschiedenen Leuten ihrer Umgehung, dafs sie zum erstenmale \u201eim Traume gesehen habe\u201c. Es habe ihr getr\u00e4umt, sie habe ein \u201esch\u00f6n gr\u00fcnes, bl\u00fchendes Kartoffelfeld gesehen, sei durch dasselbe hindurchgegangen\u201c etc.\nAuf n\u00e4heres Befragen sagt sie aus, dafs sie fr\u00fcher vor der Operation h\u00e4ufig getr\u00e4umt, aber niemals im Traume gesehen habe. Sie beschreibt einige ihrer fr\u00fcheren Tr\u00e4ume, \u201esie habe im Wasser gewatet\u201c \u201esei fehl getreten und in den Schmutz der Landwege geraten\u201c etc. Noch j\u00fcngst habe ihr getr\u00e4umt, ihr Vater sei gekommen und habe sie aus der Klinik nach Hause geholt \u201esie sei zu Hause gewesen, habe von der Mutter Nadel und Faden verlangt, um dem Vater die Weste auszubessern\u201c.\nAuf die Frage, ob sie denn im Traume den Vater oder dessen Weste gesehen habe, antwortet sie, \u201enein, sie habe den Vater wie fr\u00fcher geh\u00f6rt\u201c sei \u201ean seiner Hand\u201c mitgegangen, habe ihn aber nicht gesehen.\nDen vorstehenden protokollarisch verzeichneten Daten f\u00fcge ich einige allgemeine Bemerkungen \u00fcber das psychische Verhalten des Johann R\u00fcben nach der Operation hinzu.\nGanz im Anf\u00e4nge schien ihm der Gebrauch seiner Augen unangenehm zu sein. Er hielt die mit ihm angestellten Beobachtungen nur kurze Zeit aus, man mufste dieselben h\u00e4ufig unterbrechen, weil er die Augen schlofs, oder die Augen pl\u00f6tzlich durch ganz atypische, zuckende Bewegungen bei offener Lidspalte unter die Decke der Lider schl\u00fcpften. Dabei gab Patient an, dafs ihm das Sehen M\u00fche mache, dafs er verwirrt werde etc.\nAnf\u00e4nglich, als er sich frei zu bewegen anfing (vom 2. Mai ab), verliefs er sich, um Hindernisse zu vermeiden, noch mehr auf sein Gef\u00fchl, durch welches er sich seither fortgeholfen, als auf das neugewonnene Gesicht. Er ging langsam mit vorgestrecktem Arm, als traue er seinen Augen nicht. Relativ rasch aber gewann er eine grofse Sicherheit im Gehen, Laufen, Steigen etc.\nSein Interesse f\u00fcr seine Umgebung wuchs von Tag zu Tag, \u201eer lerne in einem Tage mehr, als fr\u00fcher in seinem ganzen Leben.\u201c Sehr zu erw\u00e4hnen ist auch die Ver\u00e4nderung des Ausdruckes seines Antlitzes, welche nach der Operation zu st\u00e4nde kam. Vor der Operation nichts sagend, schlaff, bis stupid aussehend, erhielt der sonst wohl gebildete Kopf Leben, ein Mienen-","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nE. Ectehlmaim.\nspiel, einen gewissen intelligenten Ausdruck. Man kann nickt sagen, dafs diese Ver\u00e4nderung durch die neuentstandene schwarze Pupille (welche vorher weifs aussah) bewirkt werde, denn gleich nach der Operation war diese Ver\u00e4nderung nicht da, sie entstand erst, als der Operierte seine Augen zu gebrauchen begann. Ganz dieselben Erscheinungen liefsen sich bei Christine Deutschmann beobachten. \u2014 .\n\u00dcberblicken wir nun die Gesamtheit der Erscheinungen, welche bei dem Sehenlernen der Blindgebornen zu Tage treten, so finden wir die interessante Thatsache, dafs sich die Gesichtsvorstellungen derselben ganz analog, wie beim Kinde entwickeln; dafs auch dieselbe Reihenfolge im ersten Auftreten der Funktion der Augen, dieselbe Abh\u00e4ngigkeit der letzteren von den Augenbewegungen auftritt, dafs sich auch die Bedeutung des Gesichtsfeldes f\u00fcr die Regelung des Sehaktes mit gleicher Entschiedenheit geltend macht.\nGleich nach der Operation, bei den ersten Versuchen zu fixieren, sind die Augenbewegungen noch ungeregelt, atypisch, die Fixationsstellung wird schwer gefunden, schwer festgehalten ; es dominieren noch die Innervationen, die gewohnheits-m\u00e4fsig, so lange der Patient blind war, also zeitlebens, f\u00fcr die Bewegung der Augen mafsgebend gewesen sind (Nystagmus.) Zum ersten Male sah ich, als der Patient Johann R\u00fcben sein Trinkgef\u00e4fs ansah, und gleichzeitig dasselbe betastete, (S. 23) die Augen ruhig werden. Gleichzeitig verlor der Blick das Unst\u00e4te, welches er vorher hatte, gleich darauf traten Nystagmus und Zuckungen wieder auf und die Fixation wurde unterbrochen. Sp\u00e4ter, als der Patient seine Augen zu gebrauchen gelernt hatte, war der Nystagmus spurlos verschwunden. Ganz dieselbe Beobachtung machten wir bei Christine De\u00fctschmann. Bei beiden Blindgebornen wurden die Augenbewegungen, die zu den Fixationsstellungen notwendig sind, augenscheinlich m\u00fchsam erworben und durch \u00dcbung gefestigt. Ganz so, wie beim Kinde, nur dafs letzteres viel l\u00e4ngere Zeit zu dieser Erlernung und Ein\u00fcbung gebraucht.\nDie atypischen Bewegungen, wie sie bei neugebornen Kindern und Blinden im wachen Zustande angetroffen werden, finden sich nun auch bei Personen, die zu sehen gelernt haben, wenn die Augenmuskeln f\u00fcr den Sehakt nicht in Anspruch","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n91\ngenommen werden, beim gedankenlosen Hinstarren, unter der Wirkung narkotischer Mittel, des Alkohols, im Schlafe, \u00fcberhaupt unter Umst\u00e4nden, wenn das Bewufstsein ausgeschaltet ist. Diese Bewegungen sind, als durch die Bed\u00fcrfnisse des Sehaktes verlangte, erlernt worden.\nWenn der Blindgeborne nach der Operation zuerst fixiert, verliert er, ganz wie ein Kind in der f\u00fcnften Lebenswoche, den fixierten Gegenstand leicht aus den Augen, sobald er bewegt wird. Auch ist es ihm schwer, den Gegenstand, den man ihm zeigt, gleich mit den Augen zu finden d. h. sein Bild mit der macula lutea beider Augen aufzufangen und festzuhalten.\nVon dem Gesichtsfelde aber existiert f\u00fcr ihn anfangs kein anderer Teil, als nur der direkt gesehene, der sich in der macula lutea abbildet. Es war f\u00fcr Johann H\u00fcben, obwohl er kleine Gegenst\u00e4nde, feine Seidenf\u00e4den, Schwefelh\u00f6lzchen, Nadeln etc. gleich bemerkte, wenn man sie ihm in der Mittellinie seines K\u00f6rpers pr\u00e4sentierte, anfangs unm\u00f6glich, wenn er geradeaus eine Person fixierte, Menschen oder Tiere, die seitlich in der Peripherie seines Gesichtsfeldes standen, wahrzunehmen, vorausgesetzt, dafs sie sich nicht bewegten. Er war also nicht im st\u00e4nde, k\u00f6rperliche Formen im seitlichen Gesichtsfelde zu sondern.\nDer Operierte zeigte sich in den ersten Versuchstagen v\u00f6llig unbeholfen, da er offenbar mit der Deutung seiner Netzhautbilder nicht fertig wurde ; er benahm sich, obwohl er fortw\u00e4hrend versicherte, alles genau zu sehen, so linkisch, wie ein Blinder.\nGanz wie beim Kinde, war bei ihm ein Lidschlufsreflex von der Peripherie der Hetina her nicht zu gewinnen. N\u00e4hert man die Hand rasch seinen Augen in der Eichtung der direkten Pixationslinien, so kommt regelm\u00e4fsig und sofort Blinzeln zu st\u00e4nde. N\u00e4hert man, w\u00e4hrend der Kranke geradeaus einen beliebigen Gegenstand fixiert, die Hand dem Auge in der Peripherie des Gesichtsfeldes, so bleibt der Lidschlufs aus. Ich konnte dieses Experiment einem Zuschauerkreise wiederholt demonstrieren. Nach verh\u00e4ltnism\u00e4fsig kurzer Zeit kam aber, fast genau zur selben Zeit, als der Patient seitliche Augenbewegungen zum Zwecke des Fixierens machte, der Lidschlufsreflex auch von der Peripherie der Netzhaut zu st\u00e4nde.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nE. Raehlmann.\nDie Augenbewegungen sind bei sehend gewordenen Blind-gebornen schon schwer f\u00fcr die centrale Fixationsstellung, noch schwerer f\u00fcr die Seitenwendungen zu erlernen. Unser Johann Ruben bewegte anfangs die Augen m\u00f6glichst wenig. Er suchte wo es ging, die Augenbewegungen durch Kopfdrehungen zu ersetzen. Offenbar war die Relation zwischen dem seitlichen Abstande eines Netzhautbildes von der macula lutea und der erforderlichen Innervation der Augenmuskeln, um die macula lutea genau entsprechend dieser Distanz zu verschieben, schwer zu erwerben. Dem entsprechend wurde auch die relative Lage seitlich im Gesichtsfelde befindlicher Objekte falsch taxiert d. h. das Netzhautbild unrichtig nach aufsen projiziert. Obwohl sich direkt durch Messung nachweisen liefs, dafs das Gesichtsfeld normal grofs und frei vorhanden war, vermochte der Kranke seitlich gelegene Gegenst\u00e4nde anf\u00e4nglich nicht sicher zu greifen, obwohl er gerade vor ihm befindliche schon ganz sicher zu fassen gelernt hatte. Dieselbe Sicherheit des Greifens wurde f\u00fcr peripher gelegene Gegenst\u00e4nde erst sehr sp\u00e4t erlernt.\nAnf\u00e4nglich in den ersten Untersuchungstagen war der Operierte nur auf die Wahrnehmung solcher Objekte und deren Raumverh\u00e4ltnisse gepr\u00fcft worden, welche in seiner N\u00e4he, im Bereiche seiner H\u00e4nde, sich befanden. Nachdem er f\u00fcr die n\u00e4chste, durch Betastung kontrolierbare Distanz mit Hilfe der inzwischen einge\u00fcbten Augenbewegungen eine richtige Raumvorstellung erworben hatte, wurde sein Sehverm\u00f6gen auch f\u00fcr die weitere als die direkt greifbare Distanz gepr\u00fcft und es zeigte sich jetzt, dafs er aufser dem Bereich seiner H\u00e4nde befindliche Gegenst\u00e4nde ganz falsch in den Raum projizierte, dafs er nach entfernten Gegenst\u00e4nden griff, wie ein Kind, welches noch nicht gehen gelernt hat, nach entfernten Dingen wie z. B. nach dem Monde zu greifen pflegt. Er griff nach der ihm sonst schon wohlbekannten Uhr, welche sich 10' von ihm entfernt befand und nach dem Hunde, der 20' entfernt sich bewegte. Erst die Bewegungen seines eigenen K\u00f6rpers (S. 28) setzten ihn in den Stand, den Raum abzumessen, der sich zwischen ihm und den entfernten Gegenst\u00e4nden befand. Dabei st\u00f6fst er bei seinen Bewegungen anfangs gegen Hindernisse an, sehr bald vermeidet er dieselben.\nAngeborne Raumvorstellungen, in dem Sinne wie der Ge-","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Physiobgisch-psychologische Studien.\n93\nsichtssinn sie uns liefert, hat unser Patient also sicher nicht besessen. Obwohl er eine Vorstellung von der Aufsenwelt und ihrer r\u00e4umlichen Dimension durch seine \u00fcbrigen Sinne haben mufste und hatte, konnte er dennoch die mit dem Gesichtssinn frisch gewonnene Kaumvorstellung nicht ohne weiteresauf die vorhandenen beziehen, sondern das erforderte \u00dcbung und Erfahrung.\nW\u00e4re eine pr\u00e4stabilierte Harmonie das unmittelbar herrschende Prinzip, wie h\u00e4tte Johann R\u00fcben die Flasche, die er vor sich sieht, mit einem Pferde, welches er fr\u00fcher durch Betastung kennen gelernt hat, auf dessen R\u00fccken er gesessen hat, verwechseln k\u00f6nnen. W\u00fcrde das Netzhautbild auch nur eine bestimmte Gr\u00f6fsenvorstellung a priori vermitteln, so k\u00f6nnte eine solche Verwechslung nicht Vorkommen. F\u00fcr Johann R\u00fcben ist das Netzhautbild nur ein Zeichen, dafs aufser ihm im Raume etwas vorhanden ist, etwas was ihm sein Auge zeigt, was nicht apriori vergleichbar ist mit den analogen Erfahrungen der anderen Sinnesgebiete und dessen Bedeutung zu erfafsen, der weiteren Erfahrung durch das Gef\u00fchl etc. und seinem Verst\u00e4nde \u00fcberlassen bleibt. Wenn er nicht im st\u00e4nde w\u00e4re, durch Vermittelung des Gef\u00fchls seine Gesichtseindr\u00fccke, welche ihm eine neue sinnliche Welt zuf\u00fchren, mit der alten ihm bekannten Welt zu vergleichen, er w\u00fcrde den gesehenen Raum und den, welchen er getastet hat, nicht ohne weiteres f\u00fcr identisch halten. Wie w\u00e4re sonst sein Verhalten dem vorgestreckten Beine gegen\u00fcber zu erkl\u00e4ren?\nEs ist solchen Beobachtungen nach sehr fraglich, ob es \u00fcberhaupt m\u00f6glich w\u00e4re, wenn die \u00fcbrigen Sinne nicht vorhanden w\u00e4ren, und die ganze Aufsenwelt starr gedacht, eine Vorstellung von der dritten Dimension, allein durch das Gesicht, zu gewinnen. Alles, was uns beim Sehen \u00fcber die Tiefendimension belehrt, Perspektive, Parallaxe, Akkommodation ist sehr minderwertig im Vergleich mit der Kontrolle, welche f\u00fcr die Raumsch\u00e4tzung unserer Gesichtseindr\u00fccke die Betastung und die Fortbewegung des K\u00f6rpers aus\u00fcbt. Jedenfalls geht aus unseren Experimenten hervor, dafs es sehr schwer ist, durch Sehen allein den Raum zu begreifen. Auch das Sehen mit zwei Augen ist, wenn auch sehr wichtig, so doch kein unbedingtes Erfordernis zur Erwerbung der Vorstellung der Tiefendimension. Christine De\u00fctschmann hatte diese Vorstellung gleich bei der ersten Pr\u00fcfung nach der Operation, lernte auch Ent-","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nE. l\u00eeaehlmann.\nfernungen schnell und gut taxieren, obwohl ihr linkes Auge heim Sehen so gut wie gar nicht mitwirkte.\nDurch das Gesicht allein vermochte Johann R\u00fcben keine Kugel von einer Scheibe, keinen Kubus von einem viereckigen Brett zu unterscheiden. Mit Ausnahme der Akkomodation, welche ein an Katarakt Operierter nat\u00fcrlich einb\u00fcfst, verf\u00fcgte er \u00fcber alle Hilfsmittel, welche ein Mensch mit normalem Sehakte besitzt, trotzdem konnte er anfangs, auch nachdem er die Gegenst\u00e4nde schon betastet hatte, durch die Augen allein die k\u00f6rperliche Eigenschaft der Kugel und des W\u00fcrfels nicht erkennen.\nNicht einmal der Begriff rund oder eckig war in der Empfindung durch den Gesichtssinn, der Form der Vorstellung nach, a priori gegeben, denn Johann R\u00fcben vermochte erst nach der Betastung, als er die Kugel erkannte, anzugeben, dafs sie rund sei. Kugel und W\u00fcrfel konnte er, als sie ihm das erste Mal gezeigt wurden, zwar voneinander, als zwei verschiedene Dinge, unterscheiden; er wufste aber nicht zu sagen, welches dieser Dinge rund, und welches eckig sei. Folglich war der ihm von seinem Gef\u00fchl her schon bekannte Begriff rund in seinen ersten Gesichtsvorstellungen nicht a priori vorhanden; er mufste den Gesichtsvorstellungen erst durch Vermittelung des Gef\u00fchls induziert werden.\nSehr auffallend ist ferner, dafs die operierten Blindge-bornen, obwohl sie ein vollst\u00e4ndig freies Gesichtsfeld haben, keinen Begriff der Zahl im optischen Sinne besitzen. Sie verm\u00f6gen nicht, zwei gesonderte Netzhautbilder oder deren mehrere zu unterscheiden. Hielt man dem Johann Ruben in 1\u20142' Entfernung ein Z\u00fcndh\u00f6lzchen vor, so sah er dasselbe sofort, zwei gekreuzt gelegte H\u00f6lzchen erkannte er aber nicht. F\u00fcr ihn handelte es sich um ein g\u00e4nzlich neues Netzhautbild. Erst als er die Z\u00fcndh\u00f6lzchen, eins nach dem anderen ber\u00fchrt hatte, erkannte er dieselben und ihre Lage zu einander. Hielt man ihm zwei und drei, je 3 cm voneinander entfernte Z\u00fcndh\u00f6lzchen vor, so erkannte er sofort, dafs es mehrere waren, konnte sie aber nicht z\u00e4hlen. Erst mufste er jedes H\u00f6lzchen f\u00fchlen und so z\u00e4hlte er gleichsam die optischen Einzelbilder. Einige Tage sp\u00e4ter, nachdem das Experiment mehrmals wiederholt worden war, z\u00e4hlte er die H\u00f6lzchen, ohne zu greifen, sicher.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologisch-psychologische Studien.\n9&\nNoch charakteristischer war das Ergebnis des Experiments (am 7. Mai) mit, auf grofsen weifsen Papptafeln befindlichen, schwarzen, runden Scheiben.\nJohann Buben konnte ihre Zahl nicht ohne weiteres angeben; er z\u00e4hlte sie, indem er seinen Kopf jedem einzelnen gegen\u00fcber brachte, sein Bild gleichsam mit der macula lutea aufsuchte.\nAuch bei Christine Deutschmann war dieselbe Eigent\u00fcmlichkeit wie bei Johann Buben zu beobachten. Auch sie z\u00e4hlte die Punkte in derselben Weise, lernte aber viel rascher die Anzahl der Punkte sofort, ohne Kopfbewegungen, bestimmen.\nWenn wir als erwachsene Menschen mit normalem Sehakte solche Punkttafeln entziffern, so geschieht das leichter, weil wir nicht allein die in der macula lutea abgebildeten Gegenst\u00e4nde des Gesichtsfeldes, sondern auch die n\u00e4chst benachbarten ziemlich scharf wahrzunehmen gelernt haben. Punktgruppen k\u00f6nnen wir, auch ohne zu z\u00e4hlen, erkennen und zwar verm\u00f6gen wir, einerlei, ob die Punkte grofs oder klein sind, etwa bis zu sechs Punkten mit einem Blicke zu \u00fcbersehen. Haben wir aber eine gr\u00f6fsere Anzahl solcher Punkte vor uns, so wird auch f\u00fcr unseren ge\u00fcbten Sehakt die Aufgabe schwer und wir m\u00fcssen jetzt die Punkte einzeln z\u00e4hlen, wie der Blindgeborne beim ersten Gebrauche seines Auges schon wenige Punkte einzeln z\u00e4hlen mufs, um ihre Anzahl zu ermitteln.\nDas Besultat der Beobachtung unserer Blindgebornen f\u00fchrt uns zu dem Schl\u00fcsse, dafs der ganze Komplex der Gesichtsvorstellungen empiristisch gewonnen wird und aus der Summe der Einzelerfahrungen der Sinnesth\u00e4tigkeit sich auf baut, in seiner Formgestaltung und Eigenart stark beeinflufst, wenn nicht geleitet durch die sensuelle Erkenntnis auf den \u00fcbrigen Sinnesgebieten.\nWas aber in der Hirnth\u00e4tigkeit, bei der Transmission der ersten optischen Eindr\u00fccke ins Bewufstsein die leitende Bolle spielt, ist weder bei der Beobachtung an Kindern, noch an Blindgebornen zu eruieren; der Vorgang des Bewufstwerdens einfacher physikalischer Vorg\u00e4nge wird dem Verst\u00e4ndnisse wohl immer verschlossen bleiben, so viel steht aber fest, dafs in diesem Bewufstsein sp\u00e4ter an optischen Vorstellungen nichts","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nE. Baehlmann.\nexistiert, was nicht durch Erfahrungen des Gesichtssinnes gesammelt wurde.\nDamit k\u00f6nnten wir als das Ergebnis einer Analyse der Gesichtswahrnehmungen, soweit sie bei neugebornen Kindern und bei operierten Blindgebornen gelungen ist, den Satz res\u00fcmieren :\nNihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu.","page":96}],"identifier":"lit14334","issued":"1891","language":"de","pages":"53-96","startpages":"53","title":"Physiologisch - psychologische Studien \u00fcber die Entwicklung der Gesichtswahrnehmungen bei Kindern und bei operierten Blindgeborenen","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:14:47.180868+00:00"}