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{"created":"2022-01-31T16:15:12.589352+00:00","id":"lit14340","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meinong, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 245-265","fulltext":[{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\nVon\nA. Meinung.\n(Chr. t. Ehrenfels. \u00dcber Gestaltqualit\u00e4ten. Vierteljahrsschr. f. wissensch.\nPhilosophie, 1890. 3. Heft. S. 249\u2014292.)\nZweierlei m\u00f6chte durch die Stellung zum Ausdrucke gelangen, welche der hier namhaft gemachten Abhandlung an der Spitze der nachfolgenden Ausf\u00fchrungen einger\u00e4umt erscheint, einmal mein Vorhaben, \u00fcber den Inhalt derselben hier kurz Bericht zu erstatten, dann aber auch die Thatsache, dafs, was ich im Anschl\u00fcsse an diesen Bericht zur L\u00f6sung einiger mir grundlegend scheinenden Fragen der Psychologie beizusteuern habe, zun\u00e4chst den aus dieser Schrift gesch\u00f6pften Anregungen entsprungen ist.\nAnkn\u00fcpfend an Ausf\u00fchrungen E. Machs in dessen \u201eBeitr\u00e4gen zur Analyse der Empfindungen\u201c erhebt der Verfasser die Frage, was Vorstellungsgebilde wie Gestalt und Melodie \u201ein sich seien, \u2014 eine blofse Zusammenfassung von Elementen, oder etwas diesen gegen\u00fcber Neues, welches zwar mit jener Zusammenfassung, aber doch unterscheidbar von ihr vorliegt?\u201c (S. 250.) Die Frage ist auch so zu pr\u00e4zisieren: Fafst einerseits ein Individuum S eine Melodie auf, die aus n T\u00f6nen besteht, stellen andererseits n Individuen je einen der n T\u00f6ne (mit der zugeh\u00f6rigen Zeitbestimmung) vor, stellt dann S mehr vor als die n \u00fcbrigen Individuen zusammengenommen? (S. 252 f.), analog bei Figuren (S. 25B). Antwort hierauf giebt die \u201e\u00c4hnlichkeit von Melodien und Figuren bei durchg\u00e4ngiger Verschiedenheit ihrer tonalen oder \u00f6rtlichen Grundlage\u201c. Melodien und Figuren k\u00f6nnen h\u00e4ufig derart transponiert resp. verschoben werden, dafs von den urspr\u00fcnglichen Ton- resp. Ortsbestimmungen auch nicht eine\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie II.\t17","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nA. Meinong.\nerhalten bleibt. Man kann aber \u201evon vorneberein behaupten, dafs verschiedene Komplexe von Elementen, wenn sie in sich nichts Anderes darstellen als die Summen derselben, um so \u00e4hnlicher sein m\u00fcssen, je \u00e4hnlicher ihre einzelnen Elemente untereinander sind\u201c. Besteht gleichwohl in den obigen F\u00e4llen \u00c4hnlichkeit, ja Gleichheit trotz gr\u00f6fserer oder geringerer Un\u00e4hnlichkeit der Elemente, so beruht jedenfalls \u201edie \u00c4hnlichkeit von Raum- und Tongestalten auf etwas Anderem . . . , als auf der \u00c4hnlichkeit der Elemente, bei deren Zusammenfassung im Be-wufstsein sie erscheinen. Es m\u00fcssen daher jene Gestalten auch etwas Anderes sein als die Summe der Elemente\u201c (S. 258. ff.). Was so mit \u201eunausweichlicher Stringenz\u201c erwiesen ist, findet eine weitere St\u00fctze an der Thatsache, dafs man sich Melodien so wenig ihren absoluten H\u00f6hen nach merkt, dafs vielmehr umgekehrt die Erinnerung an bestimmte Melodien manchen, als Hilfsmittel dient, absolute Tonh\u00f6hen zu reproduzieren. Auch Figuren-Reproduktion erscheint nicht an den subjektiven Ort der ersten Wahrnehmung gebunden: gelten also die herk\u00f6mmlichen Reproduktionsgesetze, so mufs etwas Anderes als die tonalen oder lokalen Komponenten das in solchen F\u00e4llen Reproduzierte sein (S. 260 ff.). Dieses Andere nennt Verfasser \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c und versteht darunter \u201esolche positive Vorstellungsinhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstellungskomplexen im Bewufstsein gebunden sind, die ihrerseits aus voneinander trennbaren (d. h. ohne einander vorstellbaren) Elementen bestehen\u201c. Jene Komplexe sollen Grundlage der Gestaltqualit\u00e4ten heifsen (S. 262 f.).\nDie Mannigfaltigkeit vorhandener Gestaltqualit\u00e4ten teilt der Verfasser in \u201ezeitliche\u201c, die sich auf verschieden zeitlich bestimmte Vorstellungsobjekte gr\u00fcnden, und \u201eunzeitliche\u201c, wo solches nicht der Fall. Hier kann die ganze Grundlage, dort h\u00f6chstens Ein Element derselben in Wahrnehmungsvorstellung gegeben sein (S. 268 f.). Als unzeitliche Gestaltqualit\u00e4ten werden Gestalt (vom Verfasser den \u201eTongestalten\u201c als \u201eRaumgestalt\u201c gegen\u00fcbergestellt), Harmonie und Klangfarbe in Anspruch genommen, dann aber auch Farbenharmonie und -disharmonie (die farbige Gestaltqualit\u00e4t nicht getrennt neben der r\u00e4umlichen, sondern \u201ebeide untereinander und mit ihrer Grundlage zu einem anschaulichen Ganzen verbunden\u201c), sowie Qualit\u00e4ten, welche, wie die sogenannte Empfindung des Nassen,","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Selationen.\n247\nverschiedene Sinnesgebiete einbeziehen, gleichsam \u00fcber br\u00fccken (S. 264 ff.). Zeitliche Gestaltqualit\u00e4ten findet man bei allen Ver\u00e4nderungen nach bestimmter Richtung (Steigen, Err\u00f6ten,. Abk\u00fchlen und vieles Andere, wof\u00fcr meist Namen fehlen): dem Gesicht erweist sich hier (im Gegens\u00e4tze zu den unzeitlichen Gestaltqualit\u00e4ten) das Geh\u00f6r weit \u00fcberlegen; \u00fcberreich im Vergleich mit den vorhandenen sprachlichen Ausdr\u00fccken ist, was aus dem Gebiete der \u00fcbrigen Sinne hieher geh\u00f6rt. Auch an Kombinationen fehlt es nicht; dazu kommt noch das Gebiet der inneren Wahrnehmung: als Grenzfall der Ver\u00e4nderung erscheint die Dauer (S. 268 ff). Auch \u00c4hnlichkeit und Widerspruch geh\u00f6ren in diesen Zusammenhang und f\u00fchren zugleich auf Gestaltqualit\u00e4ten h\u00f6herer Ordnung, wie uns solche in den \u00c4hnlichkeiten entgegentreten, an denen man Komponisten oder Autoren erkennt, dann aber auch in vielen Begriffen des t\u00e4glichen Lebens, mit denen man trotz des Mannigfaltigen, das ihr Inhalt dazubieten scheint, wie mit \u201eeinheitlichen Elementen\u201c operiert (S. 273 ff).\nZwischen lesenswerten Erw\u00e4gungen \u00fcber die psychologische und selbst metaphysische Bedeutung der Gestaltqualit\u00e4ten erhebt der Verfasser (S. 285 ff.) noch die wichtige Frage, ob die Gestaltqualit\u00e4ten mit ihren Grundlagen sofort mitgegeben oder etwa als Produkt einer auf ihre Hervorbringung besonders gerichteten Th\u00e4tigkeit zu betrachten sind. Der Autor entscheidet si\u00e7h f\u00fcr die erste M\u00f6glichkeit: scheinbare Gegeninstanzen legt er mangelhafter Beschaffenheit der Grundlagen zur Last, welche sich oft nicht ohne besondere Anstrengung und auch dann nur unter Voraussetzung ausreichender Bef\u00e4higung beseitigen lasse.\nDa der Grundgedanke der vorstehend skizzierten Untersuchung, wie dem Autor wohl bekannt, schon bei verschiedenen Gelegenheiten und auf Grund verschiedenster Bed\u00fcrfnisse in Erw\u00e4gung gezogen worden ist, so kommt hier zun\u00e4chst alles darauf an, inwieweit der Verfasser mit dem vor ihm kaum einmal in so bestimmter Weise erhobenen Anspruch Recht beh\u00e4lt, f\u00fcr seine Aufstellung den zwingenden Beweis erbracht zu haben. Und wirklich wird man es als Hauptverdienst der vorliegenden Untersuchung anerkennen m\u00fcssen, im \u00c4hnlichkeitsgedanken ein Moment herangezogen zu haben, dem in\n17*","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nA. Meinong.\nunserer Sache eine Beweiskraft zukommt, wie solche sonst der psychologischen Forschung, der nicht-experimentellen zumal, keineswegs allzuh\u00e4ufig erreichbar ist. Abge\u00e4nderte Formulierung h\u00e4tte dies leicht noch sch\u00e4rfer ergeben: denn dafs sich aus Ungleichem oder Un\u00e4hnlichem Gleiches _ oder \u00c4hnliches summieren k\u00f6nnte, eine solche Annahme schliefst meines Erachtens nicht weniger Unvertr\u00e4glichkeit in sich, als die Annahme eines gelben Blau oder eines runden Vierecks; damit aber erscheint der negative Teil der Position in einer Weise gesichert, welche \u201emore geometrico\u201c buchst\u00e4blich jeden Zweifel ausschliefst.\nAber allerdings nur der negative Teil, und auf den posi-siven, demgem\u00e4fs das, was zu den Bestandst\u00fccken der betreffenden Komplexionen noch hinzukommen mufs, ein Vorstellungsinhalt ist, h\u00e4tte der Autor nicht ohne weiteres \u00fcberspringen d\u00fcrfen. Es giebt ja noch andere M\u00f6glichkeiten zu erw\u00e4gen; und gl\u00fcckt es auch schwerlich, deren ganzen Umkreis mit der Garantie der Vollst\u00e4ndigkeit vorg\u00e4ngig zu \u00fcberblicken, so kann doch, was anderweitige psychologische Forschungspraxis an Eventualit\u00e4ten nahe legt, nicht einfach unber\u00fccksichtigt bleiben. Ich will kurz zusammenstellen, was ich in diesem Sinne beizubringen weifs :\na.\tHaben die \u00e4hnlichen Komplexionen wirklich ganz un\u00e4hnliche Bestandst\u00fccke ? Praktisch k\u00e4me dieses Auskunftsmittel am ehesten bei den in diesem Sinne vom Autor auch gelegentlich ber\u00fchrten Ortsbestimmungen in Frage, namentlich k\u00f6nnte man sich einiges von Bewegungsvorstellungen versprechen. Aber die grofse Mannigfaltigkeit der Gebiete, welche der Verfasser f\u00fcr sich in Anspruch nimmt, l\u00e4fst es doch ziemlich aussichtslos erscheinen, f\u00fcr jedes dieser Gebiete mit besonderen Mitteln der allgemein beobachteten Thatsache gerecht zu werden.\nb.\tDie Melodie in der Originaltonart stimmt mit der transponierten Melodie in gewissen Relationen zwischen den sie ausmachenden T\u00f6nen; was liegt n\u00e4her, als eben in diesen Relationen dasjenige zu suchen, was beim Zusammen treten der Bestandst\u00fccke noch hinzukommt, ja naturgem\u00e4fs noch hinzukommen mufs? Ohne Zweifel ist dieser vom Verfasser ebenfalls gelegentlich gestreifte Gedanke der sozusagen popul\u00e4rste, und gar mancher, dem die \u00c4hnlichkeit des sonst Un\u00e4hnlichen","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\t249\nkeineswegs entgangen ist, wird sick mit der Berufung auf die Relationen als L\u00f6sung des Problems zufrieden gegeben haben. Gleichwohl ist leicht einzusehen, dafs man zwischen Relationen, welche zwar \u201ebestehen\u201c, von denen man aber nichts weifs, so wenig Gleichheit oder \u00c4hnlichkeit konstatieren kann als zwischen anderen Inhalten, die man nicht gegenw\u00e4rtig hat. Und dar\u00fcber wird doch kein Zweifel vorhegen, dafs ich beim H\u00f6ren einer Melodie nicht etwa jeden Ton mit jedem anderen in Vergleich ziehe; man denke nur, wie viele Relationsvorstellungen auf diese Art entstehen m\u00fcfsten. Minder bedenklich w\u00e4re nach dieser Seite der Versuch, sich auf die Beziehung je zweier zeitlich benachbarter T\u00f6ne, also auf die Tonschritte zu berufen, durch welche ja in der That im Verein mit den erforderlichen Zeitdaten eine Melodie f\u00fcr \u201egegeben\u201c erachtet werden kann : aber auch dem widerspricht die musikalische Erfahrung, zumal bei ausreichend raschen Tonfolgen, \u2014 davon ganz abgesehen, dafs hier jedenfalls die Intervalle im musikalischen Sinn das Mafsgebende sein m\u00fcfsten, diese Intervalle aber keineswegs mit den Tonh\u00f6hen-Verschiedenheiten oder Tondistanzen zusammenfallen, an die ein Vertreter des in Rede stehenden Ausweges zun\u00e4chst denken d\u00fcrfte. Noch auffallender tritt indes die Aussichtslosigkeit solchen Versuches bei Gestalten zu Tage. Hier liegen an den Ortsbestimmungen normalerweise Dis-creta, welche den T\u00f6nen der Melodie entspr\u00e4chen, gar nicht vor; man kann deren endlich oder unendlich viele heraus- oder vielleicht richtiger hineinanalysieren. Bevor solches aber geschehen ist, fehlt f\u00fcr Relationsvorstellungen die unentbehrliche Voraussetzung. \u2014 Zum \u00dcberflufs ist die fragliche L\u00f6sung keine Entkr\u00e4ftung, sondern vielmehr eine Specifikation der vom Autor vertretenen Theorie. Verschiedenheit oder \u00c4hnlichkeit von x und y oder sonst eine Relation zwischen ihnen vorstellen, heilst eben aufser x und y noch etwas anderes vorstellen. Und der ganze Vorzug dieser Specifikation besteht darin, an Stelle des Allgemeinen sich auf ein Besonderes zu st\u00fctzen, in welchem die Position des Verfassers im Grunde l\u00e4ngst schon allgemeine Anerkennung gefunden hat.\nc. Ist das \u00dcbereinstimmende nicht die besondere Form, in der das Verschiedene sich kompliziert? Was der vielgebrauchte und -mifsbrauchte Ausdruck \u201eForm\u201c in diesem Zusammenh\u00e4nge","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nA. Meinong.\nbesagen soll, ist an Beispielen leicht genug zu ersehen1: zwei Inhalte d\u00fcrfen sicher in anderer Weise verkn\u00fcpft heifsen, wenn sie nacheinander als wenn sie zugleich auftreten, wenn sie eine anschauliche als wenn sie eine unanschauliche Vorstellung ausmachen u. dgl.; aber unser Fall ist einer Auffassung in diesem Sinne wenig g\u00fcnstig. Zwar bietet das Gleichnis, dem der Ausdruck \u201eForm\u201c entstammt, nur wenig zuverl\u00e4ssige Gew\u00e4hr f\u00fcr die Vormeinung, als m\u00fcfsten verschiedene Inhalte gleiche Form annehmen, verschiedene Formen durch den gleichen Inhalt ausgef\u00fcllt werden k\u00f6nnen. Dafs aber die Form, in welcher etwa T\u00f6ne zu einer Melodie verkn\u00fcpft sind, eine andere werden sollte, sobald durch Ver\u00e4nderungen an den T\u00f6nen die Melodie eine andere wird, das widerspricht doch aller Erfahrung, falls man sich in dem, was man \u201eForm\u201c nennt, irgend durch Erfahrung bestimmen l\u00e4fst.\nd. K\u00f6nnten nicht Gef\u00fchle dasjenige sein, was hinzukommt? Man denkt am nat\u00fcrlichsten an \u00e4sthetische Gef\u00fchle, vor Allem an das sogenannte Harmoniegef\u00fchl bei Zusammenkl\u00e4ngen. Aber wer ausreichend viel Musik treibt, hat sich sicher sch\u00f6n oft in der Lage befunden, einem einzelnen Accorde gegen\u00fcber gerade so wenig etwas zu f\u00fchlen als einem einzelnen Ton oder Klang gegen\u00fcber, wenigstens ist von derlei Gef\u00fchlen oft genug nicht das Mindeste zu merken. Das mag dem gut musikalisch veranlagten Naiven gegen\u00fcber immerhin als eine Folge von Abstumpfung erscheinen ; die F\u00e4higkeit aber, die Accorde richtig zu agnoszieren, zeigt sich bekanntlich beim ge\u00fcbten Musiker nichts weniger als herabgesetzt. Auffallender noch ist solches bei Melodien; und dafs es Gestalten giebt, bei denen kein Unvoreingenommener etwas von Gef\u00fchlen weifs, bezeugt die t\u00e4gliche Erfahrung, so oft man sie nur befragen will. Ein zwingender Gegenbeweis ist das freilich nicht, und so hat denn das Gef\u00fchl schon \u00fcber manche theoretische Verlegenheit hinaushelfen m\u00fcssen. Empfehlend aber ist diese Eignung keineswegs; wenigstens sollte man die Verlegenheit ausreichend anwachsen lassen, ehe man zu diesem Auskunftsmittel greift.\nZusammenfassend kann man sagen: Ist im Vorstehenden nicht gerade die entscheidende Eventualit\u00e4t \u00fcbersehen ge-\n1 Vergl. \u00fcbrigens meinen Aufsatz \u201ePhantasievorstellung und Phantasie\u201c in der Zeitschr. f. Philosophie u. ph\u00fcosoph. Kritik, Bd. 95, 1889, S. 17S.","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\n251\nblieben, so wird der Autor wohl auch im positiven Teile seiner Aufstellung Recht behalten. Versucht man freilich eine direkte Verifikation an der Empirie in der Weise, dafs man sich etwa bem\u00fcht, den Inhalt der Vorstellung \u201eGestalt\u201c der Gesamtheit der sie ausmachenden Ortsbestimmungen gegen\u00fcberzustellen, so ist das Ergebnis nicht sofort g\u00fcnstig : mir war beim Experiment zuerst zu Mute, als ob es evident w\u00e4re, dafs die Gestalt in die Gesamtheit der Ortsbestimmungen restlos aufgehen m\u00fcfste. Aber solches ginge bereits gegen den negativen Teil der Position, mit dem ja doch kein Kampf aufzunehmen sein wird; \u00fcberdies merkt man bald den Schein, der da irre f\u00fchrt. Verfolge ich etwa in Gedanken oder auch mit dem Auge die Konturen eines Ornaments, so kann ich das leicht so einrichten, dafs dabei keine Stelle unber\u00fchrt bleibt; dafs ich aber, indem ich so gleichsam das ganze Ornament nach seiner Gestalt absuche, diese an keiner einzigen Stelle antreffe, sondern allenthalben Ortsbestimmungen und nichts als diese, ist im Grunde doch etwas recht Selbstverst\u00e4ndliches. Mein Verfahren gleicht dabei nur allzusehr dem des Anf\u00e4ngers, der die einfache Melodie, die er in Noten vor sich hat, m\u00fchsam aufs Klavier \u00fcbertr\u00e4gt, Ton um Ton, und doch so, dafs er am Ende der m\u00fchseligen Arbeit von der Melodie keine Ahnung hat. \u2014 Dagegen liegt etwas von empirischer Best\u00e4tigung in dem Gef\u00fchle von Unbefriedigung, das den Ergebnissen von Analyse und Definition gegen\u00fcber unbeschadet aller ihrem Werte gezollten Anerkennung oft \u00fcbrig bleibt: die zerpfl\u00fcckte Blume hat eben streng genommen aufgeh\u00f6rt, Blume zu sein.\nDie Zustimmung, die ich sonach der Sache des Autors nicht versagen kann, l\u00e4fst sich indes nicht wohl auch auf den von ihm gew\u00e4hlten Namen ausdehnen. Der Weg freilich, der ihn auf den Ausdruck \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c f\u00fchrte, ist nicht eben schwer zu \u00fcberblicken. Vor Allem macht sich bei Gestalten im engsten Wortsinne, bei deren geometrischer Betrachtung das quantitative Moment oft mehr als billig in den Vordergrund ger\u00fcckt wird, sicherlich nicht selten das Bed\u00fcrfnis geltend, das wesentlich Qualitative der betreffenden Inhalte zu betonen : der Inhalt der Gestaltvorstellung ist den Inhalten der konstitutiven Orts-Vorstellungen gegen\u00fcber qualitativ eigenartig; den \u00d6rts-Quaii-t\u00e4ten steht sonach jedesmal eine Gestalt-Qualit\u00e4t zur Seite.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nA. Meinong.\nDann aber kommt dem Ausdruck Gestalt allem Ansebeine nach eine gewisse Eignung zu, \u00fcbertragene Bedeutungen anzunebmen: E. Mach konnte, ohne dafs es allzu gewaltsam erschienen w\u00e4re, von \u201eTongestalten\u201c reden, und das gew\u00f6hnliche Leben spricht von \u201eGestaltung der Dinge\u201c u. dgl. in ganz unr\u00e4umlichem Sinne. Es lag unter solchen Umst\u00e4nden gar nicht so fern, das Wort \u201eGestalt\u201c zur Bezeichnung des unter Anderem auch an den Gestalten im eigentlichen Sinne aufgefundenen qualitativen Momentes zu benutzen, und dann konsequenter Weise nicht nur bei Melodien, sondern, falls keine sachlichen Bedenken vorliegen, auch bei Accorden, Klangfarbe, Ver\u00e4nderungen in bestimmter Richtung (einschliesslich Konstanz als Grenzfall), bei \u00c4hnlichkeit, Widerstreit, einheitlichen Begriffsgebilden und vielem Anderen von \u201eGestalt-Qualit\u00e4ten\u201c zu reden.\nAber gerade der umfassenden Anwendung gegen\u00fcber f\u00fchlt man nun auch recht deutlich, was damit dem Sprachgef\u00fchl zugemutet wird, und wie wenig das, was man sonst bei \u201eGestalt\u201c und \u201eQualit\u00e4t\u201c zu denken gewohnt ist, der neuen Ausdrucksweise zu Hilfe kommt. Zum \u00dcberflufs verdanke ich einem Zufall die Belehrung dar\u00fcber, dafs die. fragliche Benennung f\u00fcr Manche auch die Gefahr eines Mifsverst\u00e4ndnisses birgt. Ich weifs einen Leser des vorliegenden Aufsatzes, der hinter den \u201eGestalt-Qualit\u00e4ten\u201c objektive, aufserpsychische Realit\u00e4ten vermutete, so dafs etwa die Akustik aufser mit den T\u00f6nen noch einmal mit der aus ihnen sich zusammensetzenden Melodie zu schaffen h\u00e4tte: kein Wunder, dafs er unter dieser Voraussetzung der ganzen theoretischen Aufstellung die gewichtigsten Bedenken entgegenzustellen hatte.\nDas Gesagte reicht wohl aus, die \u00dcberzeugung zu begr\u00fcnden, dafs der Name \u201eGestalt-Qualit\u00e4t\u201c den Sinn der EHRENFELSschen Positionen eher verdunkelt als beleuchtet, von der Zustimmung zu denselben eher abh\u00e4lt als solche f\u00f6rdert. Eine angemessene Umnennung w\u00e4re hier also durchaus w\u00fcnschenswert und der Verfasser selbst hat hiezu, indem er auf die \u201eGrundlagen\u201c der von ihm festgestellten Vorstellungsthatsachen hinweist, den Weg geebnet. Dieser Hinweis trifft hier so sehr den Nerv der Sache und l\u00e4fst deren theoretischer Untersuchung gleichwohl immer noch so viel Spielraum, dafs eine Benennung, die zugleich m\u00f6glichst charakteristisch und doch m\u00f6glichst wenig pr\u00e4okkupierend sein will, wohl an keinem Punkte besser","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\n253\neinsetzen kann als hier. Es handelt sich eben kurzweg tun Inhalte, die eine solche \u201eGrundlage\u201c haben, sonach wohl in einfachster und verst\u00e4ndlichster Weise mit dem Namen \u201efundierte Inhalte\u201c belegt werden k\u00f6nnen. Vorstellungen solcher fundierten Inhalte aber werden dann folgerichtig fundierte Vorstellungen heifsen m\u00fcssen. Sie sind, weil auf die sie fundierenden Grundlagen als Voraussetzungen angewiesen, diesen gegen\u00fcber unselbst\u00e4ndig; nicht-fundierte Vorstellungen k\u00f6nnen ihnen daher auch als \u201eselbst\u00e4ndige\u201c zur Seite gestellt werden, so dafs fundierte und selbst\u00e4ndige Vorstellungen im eben pr\u00e4zisierten Sinne eine vollst\u00e4ndige Disjunktion ausmachen. Nur darf durch solche Gegen\u00fcberstellung dar\u00fcber nichts vorausbestimmt sein, ob das Vorstellen der fundierenden Inhalte und das Vorstellen des durch sie Fundierten Einen Akt ausmache oder mehrere. Jeder inhaltlichen Mannigfaltigkeit gegen\u00fcber erhebt sich ja die oft voreilig entschiedene Frage, ob man Eine Vorstellung mit relativ komplexem Inhalt oder mehrere Vorstellungen mit relativ einfachem Inhalte vor sich habe, und je enger sich die Inhalte verbunden zeigen, desto mehr wird die erstere Auffassung an Boden gewinnen. Wer das Farbige, wie er mufs, ausgedehnt vorstellt oder das Ausgedehnte farbig, von dem sagt niemand, er habe mehrere Vorstellungen; ebenso k\u00f6nnte in noch zu ber\u00fchrenden F\u00e4llen, wo die fundierenden Inhalte recht eng mit dem fundierten Inhalt verkn\u00fcpft sind, es angemessener sein, trotz der inhaltlichen Mannigfaltigkeit nur von Einer Vorstellung zu reden. Der Ausdruck \u201efundierte Vorstellung\u201c bleibt dann freilich immer noch ebenso statthaft, als man anstandslos von Farbenvorstellung oder Ausdehnungsvorstellung spricht; genauer und darum vielfach ratsamer mag es indes bleiben, die Gegen\u00fcberstellung \u201efundierend und fundiert\u201c \u201eselbst\u00e4ndig und unselbst\u00e4ndig\u201c nur auf die Inhalte zu beziehen, von denen sie jedenfalls gilt.\nEs ist schwerlich ein Nachteil der eben vorgeschlagenen Bezeichnungsweise, dafs sie sofort dazu dr\u00e4ngt, den in Eede stehenden Thatsachen einen bestimmten Platz im grofsen Bereiche verwandter Erscheinungen anzuweisen, dem sie augenscheinlich angeh\u00f6ren. L\u00e4ngst ist der Ausdruck \u201eFundament\u201c als Korrelat zum Ausdruck \u201eRelation\u201c gel\u00e4ufig; wie verh\u00e4lt sich hierzu die Korrelation zwischen fundierendem und fundiertem","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nA. Meinong,\nInhalt? Ich lasse einige Ausf\u00fchrungen folgen, die einer ersten Orientierung in dieser Sache dienlich sein wollen.\nNimmt man, wozu allgemeinste Geneigtheit bestehen d\u00fcrfte, den Ausdruck Relation so weit als m\u00f6glich, nennt man sonach Relation alles das, was, soll es Einem zugeschrieben werden, stets noch ein Anderes heranzuziehen zwingt, so f\u00e4llt sogleich in die Augen, wie nahe doch jede relative Thatsache dem stehen mufs, was man eine komplexe Thatsache nennt. Eelation kann nicht bestehen, wo nur ein Einfaches vorliegt: also keine Eelation ohne Komplexion. Aber auch keine Komplexion, deren Bestandst\u00fccke nicht mindestens insofern zueinander und zur Komplexion als Ganzem in Eelation st\u00fcnden, dafs sie eben Teile dieses Ganzen ausmachen. Es ist eben streng genommen der n\u00e4mliche objektive Thatbestand, der sich als Komplexion und als Eelation pr\u00e4sentiert, je nach dem Standpunkte gleichsam, von dem aus derselbe betrachtet wird: Eelation zumal ist die Komplexion vom Standpunkte eines (oder mehrerer) der Bestandst\u00fccke aus besehen. Der Eigenartigkeit des Relations-wie des Komplexionsgedankens, ihrer Unzur\u00fcckf\u00fchrbarkeit auf einander 1 und wohl auch auf andere Inhaltsthatsachen, verm\u00f6ge deren wohl beide unter die letzten, undefinierbaren Daten z\u00e4hlen werden, geschieht durch Anerkennung dieser Sachlage nicht der geringste Eintrag. Aber die Einsicht in dieselbe l\u00e4fst einerseits Gefahren, das sich so Nahestehende zu verwechseln, voraussehen und ihnen begegnen; andererseits gestattet sie der Untersuchung freiere Bewegung, indem dieselbe bald am Komplexions-, bald am Relationsgedanken geeignetere Ankn\u00fcpfungspunkte finden mag.\nAn Komplexion und Relation ist die Psychologie in doppelter Weise interessiert. Komplexionsvorstellungen und Relationsvorstellungen, d. h. Vorstellungen von Komplexionen und von Relationen sind gleich allen anderen Vorstellungen Gegenstand psychologischer Untersuchung nach Beschaffenheit,\n1 In gewissem Sinne freilich erscheint die Komplexion gegen\u00fcber der Eelation als das Prim\u00e4re; aber das \u201eBeziehen\u201c eines Bestandst\u00fcckes auf ein anderes bedeutet auch dann ein Eigenartiges, ein bestimmtes Thun vielleicht, f\u00fcr das jedenfalls die Vorstellung der Komplexion an sich allein noch nicht aufzukommen vermag. Von F\u00e4llen, in denen siah der Eelations- vom Komplexionsgedanken v\u00f6llig zu emanizipieren scheint, einiges weiter unten.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\n255\nEntstehung u. s. \u00a3; weist das psychische Leben aber neben den vorgestellten noch wirkliche Komplexionen und Relationen auf, so hat sich die Psychologie nat\u00fcrlich auch mit diesen zu besch\u00e4ftigen. Wie bekannt, zeigt uns die psychologische Erfahrung im G-runde \u00fcberhaupt nur komplexe Thatsachen: solche Erfahrung, sofern sie uns z. B. das Urteilen auf einen Vorstellungs-inhalt gerichtet, zwei Urteile in einem Schlufs verbunden, ein Wollen auf Gef\u00fchl und Urteil begr\u00fcndet zeigt, kann darum unbedenklich auch als Quelle von Komplexions- und Relationsvorstellungen in Anspruch genommen werden. Aber nicht als die Quelle, sondern nur als eine Quelle; denn Komplexionen und Relationen zeigt auch das Vorstellungsgebiet der sogenannten \u00e4ufseren Wahrnehmung, sofern hier jederzeit Farbe mit Ausdehnung, jede Ortsbestimmung in einer kontinuierlichen Verbindung mit \u00f6rtlicher Umgebung auftritt u. s. f. Ob in F\u00e4llen, wo solches an Wahrnehmungsvorstellungen bernerklich wird,1 auch das zugeh\u00f6rige Wahrnehmungsurteil berechtigt ist, ob und inwiefern man also die betreffenden Komplexionen und Relationen auch auf aufserpsychischem Gebiete voraussetzen darf, das geht nat\u00fcrlich die Psychologie nichts mehr an; wichtig ist f\u00fcr sie nur, an der Hand der eben ber\u00fchrten Thatsachen dem Irrtum vorzubeugen, als sei die Reflexion auf psychische Zust\u00e4nde erforderlich, um Komplexionen oder Relationen vorzustellen. Wer die Farbe ausgedehnt vorstellt, stellt eine Komplexion vor, und wer einsieht, dafs Farbe an Ausdehnung gebunden sei und Ausdehnung an Farbe, der denkt an eine bestimmte Relation der beiden Bestandst\u00fccke zu einander. Dabei gehen die Gedanken \u00fcber Farbe und Ausdehnung keinen Schritt hinaus, und wer an Ausdehnung und Farbe denkt, hat anderes im Sinn, als wer etwa sich mit der Vorstellung von Farbe und der Vorstellung von Ausdehnung befafst.\nInzwischen wird die in einer Hinsicht eben abgelehnte Frage nach der erkenntnistheoretischen Dignit\u00e4t der Komplexions- und Relationsvorstellungen in einer anderen Hinsicht doch noch f\u00fcr die Psychologie selbst wichtig. Man wird darauf\n1 \u00dcber die Bedeutung dieses Ausdruckes vergl. meine Untersuchungen\n\u201e\u00dcber Begriff und Eigenschaften der Empfindung11, Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie, 1888, S. 478.","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nA. Meinong.\naufmerksam, wenn den obigen Ausf\u00fchrungen etwa die skeptische Frage entgegengehalten wird, ob, was da unter dem Namen Komplexion als Vorstellungsthatsache sui generis in Anspruch genommen wurde, auch wirklich mehr sei, als eben die Bestandst\u00fccke zusammengenommen. Wenn eben von der Komplexion von Farbe und Ausdehnung die Rede war, konnte damit mehr gesagt sein, als dafs etwa unter bestimmten Umst\u00e4nden sowohl Farbe als Ausdehnung gegeben sei? An sich ist nat\u00fcrlich nichts leichter, als die Frage zu verneinen, denn das \u201esowohl, als auch\u201c pafst nicht nur auf Farbe und Ausdehnung in der oben gemeinten Relation, sondern nicht minder auf die Farbe des Veilchens einerseits und die Ausdehnung der W\u00fcste Sahara andererseits, am Ende auch auf eine Kunstsch\u00f6pfung Beethovens und auf eine Kr\u00f6te. Erw\u00e4genswert aber bleibt, was denn dieses \u201esowohl, als auch\u201c an sich ist, und inwieweit die obigen Komplexionsfalle ihm gegen\u00fcber ein \u201emehr\u201c bedeuten k\u00f6nnten. W\u00e4re vor allem, selbst wenn unsere skeptische Frage das Rechte getroffen h\u00e4tte, damit der Komplexionsgedanke \u00fcberhaupt aus der Welt geschafft? Offenbar nicht; denn auch dieses \u201esowohl, als auch\u201c, dieses \u201ezusammengenommen\u201c, die Summe oder wie man sonst sagen mag, kann zuletzt nichts als eine Komplexion bedeuten. Aber allerdings eine von besonderer Art, und was an ihr vor allem auffallt, ist ihre augenscheinliche Bedeutungslosigkeit f\u00fcr das, was etwa in dieser Weise \u201ezusammengenommen\u201c wird. L\u00e4ge in den obigen Beispielen von Komplexion zwischen Vorstellung und Urteil, Urteil und Urteil u. s. f. nichts vor als dieses \u201ezusammengenommen\u201c, dann brauchte die Psychologie die zweite der ihr oben zugewiesenen Aufgaben vielleicht gar nicht in Angriff zu nehmen, und nur etwa mit jener Vorstellung des \u201ezusammengenommen\u201c h\u00e4tte sie als mit einer Komplexionsvorstellung, und w\u00e4re es auch der einzig vorkommenden, zu thun. Diese w\u00e4re wohl Erkenntnisobjekt, doch nicht, wie solches bei Vorstellungen sonst die Regel, auch Erkenntnismittel, und zwar deshalb nicht, weil sie als blofses Erzeugnis des vorstellenden Subjektes unf\u00e4hig scheint, mit der vom Vorstellen unabh\u00e4ngigen Wirklichkeit in engere F\u00fchlung zu treten.\nVielleicht entspricht \u00fcbrigens im gegenw\u00e4rtigen Falle der Schein nicht v\u00f6llig der Wahrheit; so viel aber erhellt ohne weiteres, dafs von den mancherlei Komplexions- und Relations-","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\n257\nVorstellungen, -welche uns begegnen, manche der Wirklichkeit in der Weise der Wahrnehmungs vor Stellungen n\u00e4her, manche ihr ferner stehen. Dabei kommt es zun\u00e4chst nicht auf die Besonderheit der miteinander komplizierten Bestandst\u00fccke an, sondern darauf, ob am Zustandekommen der betreffenden Vorstellung das Subjekt vorwiegend passiv oder aktiv beteiligt ist. Wie das Vorstellen in den Urteilsakt, wie das G-ef\u00fchl in den Willensakt einbezogen ist, das lehrt uns Wahrnehmung und Beobachtung ebenso, als wir nur durch diese wissen, was die Bestandst\u00fccke, Vorstellen, Urteilen, F\u00fchlen, Wollen sind; im Falle der Zusammenfassung dagegen war zun\u00e4chst ich es, der Komplexion und Relation gleichsam erst in die Wirklichkeit hineingetragen hat, und nur sofern ich dies verkenne, kann ich jene Komplexion oder Relation f\u00fcr ein St\u00fcck dieser Wirklichkeit nehmen.\nWie gleichwol bei Komplexionen und Relationen der letzteren Beschaffenheit an Stelle der ihnen mangelnden direkten Erkenntnisbedeutung so viel von indirekter treten kann, dafs gerade sie f\u00fcr die Erkenntnistheorie von grundlegender Wichtigkeit werden, mufs hier un er\u00f6rtert bleiben; um so wichtiger ist f\u00fcr uns ein anderer Umstand, der zun\u00e4chst gleichfalls an Thatbest\u00e4nden dieser zweiten Gruppe hervortritt. Vergleiche ich A mit B. so ist dadurch ein komplexer psychischer That-bestand geschaffen, verm\u00f6ge dessen die Vorstellung des A und die des B sich zu einander und zur ganzen Komplexion in bestimmter Relation befinden, \u00fcber dessen Eigenart psychologische Beobachtung Aufschlufs giebt. Aber aufserdem f\u00fchrt die Vergleichung noch meist zu etwas, das man das Ergebnis der Vergleichung nennen kann: das A erweist sich dem B gleich oder mehr oder minder \u00e4hnlich oder un\u00e4hnlich, und diese Ausdr\u00fccke bezeichnen Vorstellungsinhalte, welche ihrem Wesen nach so wenig dem Forum der inneren Wahrnehmung zugeh\u00f6ren, so wenig etwa auf Reflexion \u00fcber den Vergleichungsakt zur\u00fcckzuf\u00fchren sind, dass sie vielmehr augenscheinlich mit dem A und B gleichsam auf derselben Stufe rangieren. Niemand meint das Gebiet der Farben verlassen und erst in den Bereich psychologischer Vorstellungen abschweifen zu m\u00fcssen, um zwei gegebene Farben \u00e4hnlich zu finden. Ja nichts kann im Grunde unpsychologischer sein als eine solche Aussage, in welcher, ohne auf die bedingenden psychologischen Umst\u00e4nde","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nA. Meinong.\nauch nur im mindesten R\u00fccksicht zu nehmen, das Vergleichungs-ergebnis von den verglichenen Inhalten wie eine Eigenschaft der letzteren pr\u00e4diziert wird. Aber ein solches Urteil repr\u00e4sentiert eine Grundgestalt menschlichen Erkennens, und es wird wohl damit Zusammenh\u00e4ngen, dafs man solche als besondere Inhalte pr\u00e4dizierbare Ergebnisse beziehender Th\u00e4tigkeit in besonderem, gewissermafsen pr\u00e4gnanten Sinne Relationen genannt hat, wenigstens an sie zun\u00e4chst zu denken pflegt, wenn von Relationen die Rede ist. Es ist dann ganz angemessen, die auf einander bezogenen Inhalte, von deren Beschaffenheit das Ergebnis in unverkennbarer Weise abh\u00e4ngt, jener \u201eRelation\u201c als \u201eFundamente\u201c gegen\u00fcberzustellen; aber es versteht sich, dafs dann auch dem Ausdrucke \u201eFundament\u201c die Grenzen gesteckt sind, in welchen sein Correlat \u201eRelation\u201c verstanden wird. Kehrt man dann wieder zum weiten Gebrauch des Ausdruckes Relation zur\u00fcck, so liegt es nahe, die Correlativit\u00e4t des Ausdruckes \u201eFundament\u201c dadurch festzuhalten, dass man auch ihn seiner engeren Bedeutung entkleidet: die Bestandst\u00fccke der im Relationsfalle niemals fehlenden Komplexion bieten sich dem fraglichen Terminus jederzeit als Anwendungsobjekte v\u00f6llig ungezwungen dar.\nAber nat\u00fcrlich unter Verlust des charakteristischesten Teiles der engeren Wortbedeutung, und nichts kann geeigneter sein, die Gr\u00f6fse solchen Verlustes in\u2019s rechte Licht zu setzen als die oben ausgezogene Abhandlung Ehrenfels\u2019, auf die wir uns nunmehr wieder zur\u00fcckgef\u00fchrt finden. Indem vor allem der Autor einerseits \u201eVergleichungsrelationen\u201c und am Ende auch \u201eVertr\u00e4glichkeitsrelationen\u201c als \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c, andererseits die verglichenen oder auf Vertr\u00e4glichkeit untersuchten Inhalte als \u201eGrundlagen\u201c in Anspruch nimmt, ist sicher gestellt, dafs mit diesen \u201eGrundlagen\u201c, das \u201eFundament\u201c im engeren Sinne gemeint ist: mein Vorschlag, diesen fundierenden Inhalten \u201efundierte\u201c gegen\u00fcberzustellen, hat innerhalb dieser Grenzen sonach kaum den Charakter eines terminologischen Reformversuches. Indem aber der Autor den Fundamentgedanken auf Gebiete anwendbar erweist, denen dieser Gedanke bisher fern geblieben ist, wird ein Verwischen desselben durch allzu weite Anwendung des ihn tragenden Terminus um so weniger ratsam, je weiter und bedeutsamer die ihm gleichsam neu erschlossenen Gebiete sind. Die praktische Nutzanwendung hieraus zu ziehen, f\u00e4llt um so","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychobgie der Komplexionen und Relationen.\n259\nweniger schwer, als der von mir vor Jahren acceptierte weite Gebrauch, demzufolge es keine Relation ohne Fundament geben k\u00f6nnte, offenbar auch sonst nicht allenthalben befriedigt hat und ein einfacher Ab\u00e4nderungsvorschlag seitens eines literarischen Berichterstatters1 vorliegt. Es kann diesem stattgegeben werden, indem man die keiner Relation fehlenden Komplexionsbestandst\u00fccke mit dem Ausdrucke \u201eGlieder\u201c der betreffenden Relation belegt.\nWeiter lehrt nun aber die vorliegende Abhandlung, dafs der \u201efundierte Tnha.1t,\u201c auch nicht kurzweg mit Relation im engem Sinne zusammenf\u00e4llt. Gerade dort, wo der Hinweis auf fundierte Inhalte sich in besonderem Mafse als neue und zu Bedenken am wenigsten herausfordernde Feststellung darstellt, bei Gestalten und Melodien, redet niemand von Relation. Um so nat\u00fcrlicher freilich von Komplexion ; und ist das oben \u00fcber das Zusammengehen der Komplexions- und Relationsthatsachen Gesagte zutreffend, so beweist dieser terminologische Unterschied sicherlich nichts gegen die Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Anwendungsfallen des Fundierungsgedankens. Erwiesen ist damit aber jedenfalls, dafs den Fundamenten statt der Relation eventuell auch die Komplexion gegen\u00fcbertreten kann. Wann das eine, wann das andere, ist nat\u00fcrlich Sache der Untersuchung, \u00fcber deren Ergebnis mir indes eine Vermutung nicht wohl abzuweisen scheint. Nachdem Stumpf2 in meines Erachtens v\u00f6llig \u00fcberzeugender Weise auf die Thatsache der Verschmelzung zwischen gleichzeitig gegebenen Inhalten sowie auf die dabei vorkommenden graduellen Verschiedenheiten aufmerksam gemacht hat, liegt angesichts der Simulta-neit\u00e4t der fundierten mit den fundierenden Inhalten nichts n\u00e4her, als auf Verschmelzung oder ein derselben \u00e4hnliches Verh\u00e4ltnis zwischen ihnen gefafst zu sein. Je enger dann etwa die Verschmelzung, je schwieriger daher die Analyse, desto ferner wird es der aufserpsychologischen Betrachtung und Sprachbildung liegen, die Bestandst\u00fccke in jener Weise von einander zu isolieren, welche erforderlich scheint, um der Relationen zwischen ihnen zu gedenken. Wirklich sind \u201eMelodie\u201c\n1 A. H\u00f6flek in der Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie, 1883, S. 484, Anm, 1.\n* Tonpsychobgie, II.","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nA. Meinong.\nwie \u201eGestalt\u201c Namen f\u00fcr die Gesamtheit der betreffenden Fundamente nebst dem durch sie fundierten Inhalte; und wie eng dieser mit jenen verkn\u00fcpft ist, darauf weist nicht nur die Thatsache, dafs er sich psychologischer Feststellung so lange entzogen hat, sondern noch mehr die oben ber\u00fchrte Schwierigkeit, ihn direkt heraus zu analysieren, die, auch nachdem er auf indirektem Wege erwiesen ist, immer noch fortbesteht: indem sich die Analyse den fundierenden Inhalten zuwendet, entschl\u00fcpft ihr gleichsam, was sie gerade sucht. Ganz anders beim Vergleichen: wer Not und Orange \u00e4hnlich findet, dem ist die \u00c4hnlichkeit sicherlich auch in bestimmter Weise an Rot und Orange gekn\u00fcft; aber die Verbindung ist eine erheblich weniger innige, so dass es nicht schwer f\u00e4llt die \u00c4hnlichkeit den verglichenen Inhalten gegen\u00fcberzustellen, w\u00e4hrend hier kein Wort vorliegt, welches Rot, Orange und deren \u00c4hnlichkeit zusammen zum Ausdruck bringt.\nDamit sollen nat\u00fcrlich etwa konkurrierende Umst\u00e4nde nicht ausgeschlossen sein. Leicht mag es Bed\u00fcrfnisse geben, denen es mehr entgegenkommt, das in einer Melodie als das in zwei beliebigen nur voneinander verschiedenen Inhalten gegebene Vorstellungsganze durch ein Wort gleichsam permanent zu machen. Noch wichtiger k\u00f6nnte ein anderer Umstand sein: je sicherer gewisse Inhalte, wenn sie Zusammentreffen, einen bestimmten anderen Inhalt fundieren, desto sicherer wird sich ihre Komplexion der Beachtung und Benennung aufdr\u00e4ngen; je mehr dagegen das Subjekt gleichsam aus Eigenem hinzuthun mufs, damit der fundierte Inhalt auftritt, desto nat\u00fcrlicher mag sich der Anteil der Fundamente durch einen Relations-Terminus ausdr\u00fccken lassen.\nFreilich tritt nun aber diese letzte Annahme der Meinung unseres Autors entgegen, es m\u00fcsse sich mit den fundierenden Inhalten stets auch der fundierte einstellen ; ich zweifle indes, dafs diese Ansicht sich als haltbar erweisen wird. Dafs zum Perzipieren etwa der \u00c4hnlichkeit das Subjekt ganz Wesentliches beitragen m\u00fcsse, erkennt er S. 273 f. ausdr\u00fccklich an, und dies w\u00e4re mit der in Rede stehenden allgemeinen Aufstellung in keiner Weise in Einklang zu bringen, ginge damit nicht der Versuch des Verfassers Hand in Hand, die fraglichen Relationsvorstellungen statt durch die verglichenen Inhalte durch die innere Wahrnehmung des Vergleichungsaktes fundiert sein zu lassen. Aber","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen.\n261\nder Umweg \u00fcber die Reflexion, der in Sachen der Relationen ja auch sonst schon versucht worden ist, 1 scheint mir wenig-stens im vorliegenden Falle gegen\u00fcber der Empirie ganz unnat\u00fcrlich, die, wie bereits ber\u00fchrt, deutlich zeigt, dafs das Vergleichungsurteil das Gebiet nicht verl\u00e4fst, dem das zu vergleichende angeh\u00f6rt. Zudem ist es ja gerade ein Vorteil der Theorie der fundierten Inhalte, solchen Umweg entbehrlich zu machen; nur mufs dann freilich einger\u00e4umt werden, dafs der fundierte Inhalt seine Fundamente nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen begleitet. Augenf\u00e4llig w\u00e4re dann, dafs beim Vergleichen das Subjekt betr\u00e4chtlich mehr hinzuthun mufs als beim Wahmehmen von Gestalt oder Melodie; indes d\u00fcrfte auch hier den fundierenden Inhalten nicht alles zu \u00fcberlassen sein. Bei Auffassung einer Melodie kommt es nicht nur darauf an, zu h\u00f6ren und zu reproduzieren, sondern auch darauf, dafs das Zusammengeh\u00f6rige beisammen bleibt, d. h. wohl, dafs nur gewisse T\u00f6ne in eine fundierende Komplexion zusammentreten, nicht aber was vorhergeht, folgt oder etwa noch gleichzeitig gegeben ist. Wer im einstimmigen Satze die Phrasen nicht sondert oder falsch abgrenzt, wer im mehrstimmigen Satze etwas in den Cantus firmus hereinnimmt, was nur Kontrapunkt sein will, der hat das Tonst\u00fcck noch nicht aufgefafst. Es giebt Kunstregeln f\u00fcr Komposition und Vortrag, welche dem H\u00f6rer seine Aufgabe zu erleichtern bestimmt sind; aber was sollten diese Erleichterungen, wenn der H\u00f6rer streng genommen gar keine Aufgabe h\u00e4tte, als etwa m\u00f6glichst aufmerksam zuzuh\u00f6ren? Immerhin besteht hier einiger Schein, als ob unser Autor durch seine Ausf\u00fchrungen S. 285 ff. f\u00fcr F\u00e4lle dieser Art bereits vorgesehen habe, sofern die diesen eigent\u00fcmliche Th\u00e4tig-keit sozusagen auf die Herbeischaffung der geeigneten Grundlagen gerichtet sein m\u00f6chte, nicht aber auf das Zustandekommen des fundierten Inhaltes bei einmal gegebener Grundlage. Aber wenn einer etwa dem Vortrag eines einstimmigen Tonst\u00fcckes zum erstenmal aufmerksam lauscht, mufs man da nicht annehmen, dafs ihm normaler Weise alle einzelnen T\u00f6ne gleich\n1 Yergl. namentlich Sigwarts \u201eLogik\u201c, Bd. I. 2. Aufl. S. 36 ff. Mir selbst schwebte bei Abfassung der einschl\u00e4gigen Ausf\u00fchrungen in Hume-Studien\u201c, II, zun\u00e4chst S. 44 f. \u00c4hnliches vor, aber so unsicher, dafs ich es ^vermied, in der Sache ausdr\u00fccklich Stellung zu nehmen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie II.\n18","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nA. Meinong.\ngut \u201egegeben\u201c sein werden? Wenn sieb gleichwohl ein bestimmter Ton im Falle richtiger \u201eAuffassung\u201c mit seinen Vorg\u00e4ngern, ein anderer mit seinen Nachfolgern zum Ganzen einer Tonphrase zusammenschliefst, da ist solche Verschiedenheit doch nur so zu verstehen, dafs das Subjekt \u2014 nicht nach Belieben, sondern etwa aus objektiven Anl\u00e4ssen \u2014 eben die und die T\u00f6ne zu einer Gruppe zusammengefafst hat, unter welcher Voraussetzung erst der in der betreffenden Tonphrase vorliegende fundierte Inhalt zu Stande kommen zu k\u00f6nnen scheint.\nNoch schwerer wird es sein, der besonderen Ausgestaltung zuzustimmen, welche dem fraglichen Gedanken bei Analyse der Unvertr\u00e4glichkeits-Belation zu teil wird. Der Inhalt \u201eWiderspruch\u201c gr\u00fcndet sich nach S. 275 ff. auf die innere Wahrnehmung dessen, was man beim Mifsgl\u00fccken des Versuches, gewisse Inhalte in anschaulicher Vorstellung zu vereinigen, erlebt. So ansprechend die Schilderung dieser Erlebnisse ist, die Auffassung des Autors scheint keinen Weg frei zu lassen, den Einwand zu entkr\u00e4ften, dafs ihr gem\u00e4fs eigentlich nicht \u201erund\u201c und \u201eviereckig\u201c die fundierenden Inhalte sind, sondern die innerlich wahrgenommenen Inhalte \u201eVorstellung des Bunden\u201c und \u201eVorstellung des Viereckigen\u201c. Zwar k\u00f6nnen auch diese Vorstellungen unter gewissen Voraussetzungen f\u00fcr unvertr\u00e4glich gelten, aber wer \u00fcber Gestalten oder sonstige r\u00e4umliche Bestimmungen urteilt, urteilt nicht \u00fcber Vorstellungen, und umgekehrt, wer von Vorstellungen handelt, hat Anderes im Auge, als wer von r\u00e4umlichen Bestimmungen spricht. Im besonderen merken wir dies auch daran, dafs \u201erund\u201c und \u201eviereckig\u201c unvertr\u00e4glich sind unter Voraussetzung gleicher Ortsund Zeitbestimmung, w\u00e4hrend f\u00fcr die Unvertr\u00e4glichkeit der bez\u00fcglichen Vorstellungen auch noch eine n\u00e4here Angabe \u00fcber die Art ihrer Verbindung \u2014 Anschaulichkeit n\u00e4mlich \u2014 erforderlich ist. Wer dies einr\u00e4umt, braucht die Bedeutung der vom Verfasser beschriebenen oder ihnen \u00e4hnlicher Vorg\u00e4nge zum Zustandekommen des Unvertr\u00e4glichkeitsgedankens darum nicht geringer anzuschlagen, nur wird er sie mit der des Vergleichungsaktes bei der \u00c4hnlichkeitsrelation auf gleiche Linie stellen. Was das Subjekt hier und dort dazu thut, das stellt die dem betreffenden Fundierungsfall angemessenen Bedingungen dar, ohne dafs die Wahrnehmung dieses Thuns dazu irgendwie","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Belationen.\n263\nerforderlich w\u00e4re, oder der Inhalt solcher Wahrnehmung die fundierenden Inhalte ausmachte.\nInzwischen m\u00f6chte dieser Einwurf nicht als eine Verteidigungsaktion zu Grinsten meiner einschl\u00e4gigen Aufstellungen in \u201eHumestudien IIU aufgefafst sein. Denn wenn der Autor diesen entgegenh\u00e4lt, sie bestimmten zwar den Umfang des Begriffes \u201eWiderspruch\u201c, nicht aber ebenso dessen Inhalt, so wird er in dieser Hauptsache voraussichtlich Recht behalten. Man l\u00e4uft eben nur zu sehr Gefahr, zu meinen, man habe reduziert und erkl\u00e4rt, wo man im Grunde nur eine einfachere, direkte aber eigenartige Bestimmung durch eine kompliziertere indirekte ersetzt hat, die zwar umfangsgleich, vielleicht durch gr\u00f6fsere Pr\u00e4zision und dergleichen praktisch ganz n\u00fctzlich ist, nur eben das nicht beschreibt, was unbeschreiblich ist. Ob sich nicht am Ende \u00c4hnliches auch noch in betreff der Relation der Notwendigkeit heraussteilen wird, bei der ich f\u00fcr die Zur\u00fcckf\u00fchrung auf Unm\u00f6glichkeit des Gegenteils eingetreten bin? Das Bed\u00fcrfnis nach einer positiven Fassung ist unzweideutig zum Ausdrucke gelangt; 1 * was die vorliegende Abhandlung in betreff der Inhaltsfundierung festgestellt hat, mag geeignet sein, die Bahn frei zu machen, auf der diesem Bed\u00fcrfnis Rechnung getragen werden kann.\nEine Bemerkung pro domo mag indes in einer Nebensache immerhin gestattet sein. Ich habe von der Anschaulichkeit einer Vorstellung unter blofser Ber\u00fccksichtigung der in ihr komplizierten Bestandst\u00fccke eine Definition zu geben versucht, der zufolge eine komplexe Vorstellung anschaulich heifsen kann, \u201esofern sie nach jeder Richtung frei von Unvertr\u00e4glichkeit ist\u201c,3 unser Autor findet darin einen Zirkel, \u201eweil der Begriff der Unvertr\u00e4glichkeit . . . den zu definierenden Begriff der Anschaulichkeit bereits voraussetzt3 \u2014 eben deshalb n\u00e4mlich, weil, um die Unvertr\u00e4glichkeit zweier Inhalte zu erkennen, man versuchen mufs, sie anschaulich miteinander zu verbinden. Allein in den Inhalt eines Begriffes geh\u00f6ren sicher nicht die Umst\u00e4nde,\n1 Yergl. K. Zindler: \u201eBeitr\u00e4ge zur Theorie der mathematischen Erkenntnis\u201c, Sitzungsber. der. k. Akademie d. Wissensch., Wien 1889, Philos. hist. Kl. Bd. CXVIII, Sonderabdruck. S. 17 f.\n* \u201e \u00dcber Phantasievorstellung und Phantasie\u201c, Zeitschr. f. Philosophie u. Philosoph. Kritik, Bd. 95, 1889, S. 213.\ns A. a. O. S. 276 Amn.\n18*","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\nA- Meinong.\nunter denen er unserer Erkenntnis zug\u00e4nglich oder besonders gel\u00e4ufig ist oder dgl. ; auch im Begriffe der Gleichheit oder \u00c4hnlichkeit spielen die Bedingungen keine Rolle, unter denen Vergleichungen, mithin Urteile \u00fcber \u00c4hnlichkeit oder Gleichheit m\u00f6glich sind. Wollte man aber selbst solche Bedingungen in Frage ziehen, wieso k\u00f6nnte der Begriff der \u00c4nschaulichkeit unter dieselben gerechnet werden, da doch der naive Mensch so oft anschaulich vorstellt und bald mit seinem Willen, bald ohne diesen, anschaulich verbindet, ohne irgend im Besitze eines solchen Begriffes zu sein, \u2014 von der Besonderheit noch ganz abgesehen, dafs meine Definition den Gedanken des t\u00e4glichen Lebens ebenso fern liegen k\u00f6nnte wie die \u00c4uffassung des Kreises als Resultat der Bewegung einer starren Linie oder der Ellipse als Kegelschnitt. Wie Kreis und Ellipse, so hat auch das Anschauliche als solches Eigenschaften, die theoretisch sehr wichtig sein k\u00f6nnen, sich aber dem unmittelbaren Anblick, wenn man so sagen darf, durchaus nicht aufdr\u00e4ngen: meine Definition ben\u00fctzt solche Eigenschaften, ohne deshalb zu verkennen, dafs die besondere Art, zun\u00e4chst die gr\u00f6fsere Innigkeit, mit der die Bestandst\u00fccke der anschaulichen Vorstellungskomplexion aneinander gebunden sind, f\u00fcr das Anschaulichkeits - Ph\u00e4nomen viel charakteristischer ist als die Relation, in welche man etwa einzelne erst durch Analyse herauszusondernde Bestandst\u00fccke k\u00fcnstlich und probeweise zu einander setzen mag. An das Charakteristische h\u00e4lt sich der naive Mensch wie der Theoretiker, wenn er mit psychischen Thatbest\u00e4nden einmal operiert, zu definieren vermag es aber keiner von beiden.\nAuf weitere Einzelnheiten einzugehen, mufs ich mir, wenigstens an dieser Stelle, versagen. Dafs von der grofsen Zahl von Thatbest\u00e4nden, welche der Verfasser unter dem Gesichtspunkte der \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c oder \u201efundierten Inhalte\u201c in Betracht gezogen hat, sich nicht jede einer Subsumtion unter diesen Gedanken gleich willig f\u00fcgen wird, l\u00e4fst sich von vornherein annehmen; \u00fcberall hat am Ende die Detailuntersuchung das entscheidende Wort zu sprechen, und dafs diese nicht durchweg zu Gunsten der \u201efundierten Inhalte\u201c ausfallen wird, diese Vermutung k\u00f6nnte einstweilen schon der wohl nach Abschluss der vorliegenden Abhandlung ausgegebene zweite Band von Stumpfs Tonpsychologie begr\u00fcnden, dessen Ausf\u00fchrungen","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komplexionen und Belationen.\n265\n\u00fcber Klangfarbe das Bed\u00fcrfnis, in Sachen der letzteren auf fundierte Inbalte zu rekurrieren, auf alle F\u00e4lle betr\u00e4chtlich herabgesetzt haben werden. An einem ausreichend grofsen und ausreichend wichtigen Anwendungsgebiete wird es dem vom Autor vertretenen Grundgedanken darum noch lange nicht fehlen; in der \"Verwertung der \u00c4hnlichkeit der Komplexion bei Un\u00e4hnlichkeit der Bestandst\u00fccke d\u00fcrfte \u00fcberdies auch die Forschungstechnik der Komplexionspsychologie eine Bereicherung von dauerndem Werte erfahren haben.","page":265}],"identifier":"lit14340","issued":"1891","language":"de","pages":"245-265","startpages":"245","title":"Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen: Chr. v. Ehrenfels, \u00dcber Gestaltqualit\u00e4ten. Vierteljahresschr. f. wissensch. Philosophie, 1890, 3. Heft, S. 249-292","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:15:12.589357+00:00"}