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{"created":"2022-01-31T16:15:35.392778+00:00","id":"lit14344","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Engel, Gustav","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 361-378","fulltext":[{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Vergleichungen von Tondistanzen.\nVon\nGustav Engel\n(Professor an der Kgl. Hochschule f\u00fcr Musik in Berlin).\nAn die \u201e Untersuchungen \u00fcber die Auffassung von Tondistanzen\u201c, welche Carl Lorenz in den von Wilhelm Wundt herausgegebenen \u201ePhilosophischen Studien11 (1890, Bd. VI., S. 26\u2014105) mitgeteilt bat, haben sich zwei weitere Abhandlungen unter dem Titel \u201e \u00dcber Vergleichungen von Tondistanzen\u201c angeschlossen, die eine von C. Stumpe in dieser Zeitschrift (I., S- 419\u2014462), eine scharfe Kritik der LoRENZschen Arbeit, die andere zur Verteidigung derselben von W. Wundt (Philosophische Studien, Bd. VI., S. 605\u2014640) selber herr\u00fchrend. Sie bilden die Grundlage f\u00fcr die folgenden Bemerkungen.\nIch unterlasse es auf eine Vorfrage einzugehen, die mir recht wesentlich erscheint r ob n\u00e4mlich, wie wir es auf anderen Gebieten des Geistes unaufh\u00f6rlich erfahren, dafs wir blofse Empfindungen durch ein aus anderen Quellen gesch\u00f6pftes Wissen und andererseits wieder ein vermeintliches Wissen durch unsere Empfindung regulieren, so auch f\u00fcr das Verh\u00e4ltnis der Tonh\u00f6hen aus allgemeinen Gesichtspunkten, die in der Zahlenlehre, den Kaum- und den BewegungsVerh\u00e4ltnissen begr\u00fcndet sind, feste Ergebnisse vorliegen, die uns, so weit es die Beurteilung des objektiven Sachverhaltes betrifft, n\u00f6tigen, uns f\u00fcr die G\u00fcltigkeit des arithmetischen oder geometrischen Verh\u00e4ltnisses zu entscheiden, gleichviel wie die Sinnesempfindung dieses oder jenes Einzelnen sich entscheide. Ich behalte mir die Auseinandersetzung dar\u00fcber f\u00fcr eine andere Gelegenheit vor und beschr\u00e4nke mich zun\u00e4chst auf diejenige Seite der Erage, die in den thats\u00e4chlichen Sinneseindr\u00fccken ihre Begr\u00fcndung hat.","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362\nGustav Engel.\nIch will auch nicht dasjenige wiederholen, was die Leser dieser Zeitschrift bereits durch Stumpf erfahren haben, und gebe nur in K\u00fcrze an, in welchen Punkten ich mit ihm, dem durch seine musikalische Durchbildung in so hervorragendem Mafse f\u00fcr die Tonpsychologie berufenen Psychologen, in vollst\u00e4ndiger \u00dcbereinstimmung mich befinde. Die Beobachter waren erstens nach der Beschreibung, die Lorenz selbst von ihnen giebt, vorwiegend viel zu unreif in der Ausbidung ihres Geh\u00f6rs, um objektive Ergebnisse erreichen zu k\u00f6nnen. Der Musiker weifs aus Erfahrung, wie unvollkommen die Geh\u00f6rsbildung selbst von musikalisch angelegten Personen oft ist, so lange sie sich noch im Anfangsstadium ihrer Entwickelung befinden. Objektive Urteile k\u00f6nnen in der Streitfrage, um die es sich handelt, nur wirkliche Musiker aussprechen und diese auch nur dann, wenn sie von ihrem musikalischen Intervallen-sinn zum Zweck der psychologischen Untersuchung zu abstrahieren verm\u00f6gen. Das letztere ist teils darum notwendig, weil die Mitte zwischen zwei gegebenen Tonh\u00f6hen \u2014 auch vom Standpunkt des geometrischen Verh\u00e4ltnisses aus \u2014 oft auf einem musikalisch unbrauchbaren Tone liegt, teils darum, weil die Distanzbeurteilung, um auch f\u00fcr das etwaige Hervortreten des arithmetischen Unterschiedes ein offenes Ohr zu haben, sich auf die Auffassung des blofsen Klanges der T\u00f6ne einschr\u00e4nken und das Intervallen-Bewufstsein vergessen mufs. Werden aber dennoch Beobachtungen mit anderen Personen angestellt, so ist darauf nie ein objektiver Wert zu legen, weil ihnen mit dem musikalischen Gef\u00fchl in der Regel auch das blofse Klanggef\u00fchl nicht in erforderlichem Mafse verliehen sein wird ; ein gewisser Wert wird ihnen aber trotzdem vielleicht nicht ganz abzusprechen sein, insofern es ja recht interessant ist, auch auf diesem Gebiet zu erfahren, aus welcher Nacht des Irrtums sich das Bewufstsein des Wahren emporzuringen oft gen\u00f6tigt ist.\nZweitens. Dafs die Beobachtungen, um zuverl\u00e4ssig zu sein, an m\u00f6glichst obertonfreien oder wenigstens in Tiefe, Mittellage und H\u00f6he obertongleichen Kl\u00e4ngen angestellt werden mufsten, hat Stumpe ebenfalls mit Recht scharf hervorgehoben und Wundt hat die Berechtigung dieses Tadels, freilich mit der Einschr\u00e4nkung, dafs die Beobachtung an nicht obertonfreien und obertongleichen Kl\u00e4ngen ebenfalls erforderlich sei,","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Vergleichungen von Tondistanzen.\n363\nzugegeben. Erforderlich ist dieselbe nun freilich, nicht, sondern h\u00f6chstens interessant, um es genau festzustellen, inwieweit Obert\u00f6ne zu tr\u00fcgen verm\u00f6gen. Denn selbst vorz\u00fcgliche Musiker irren sich mitunter infolge der hinzutretenden Obert\u00f6ne in der Oktavenlage eines Tones. Ich kann ein leicht nachzuahmendes Beispiel anf\u00fchren. Wenn ich auf einem der tiefsten Pfeift\u00f6ne, welche die Mundh\u00f6hle besitzt, auf dem dieser Lage eigent\u00fcmlichen Vokal U ein F pfeife, und dann/-1 mit leisestem Kopfton singe (ebenfalls auf ZT), so h\u00e4lt der Nichtmusiker den gepfiffenen Ton \u2014 ich habe das Experiment oft angestellt \u2014 fast immer f\u00fcr tiefer, als den gesungenen, also etwa f\u00fcr /'. Das habe ich nun freilich nie geglaubt, aber ich hielt beide f\u00fcr dasselbe f1, obschon das gepfiffene scheinbar tiefer klingt. Erst meine Stimmgabeln mit Kesonanzkasten haben mich gr\u00fcndlich widerlegt. Denn wenn ich den Ton in meine /^-Stimmgabel hineinpfeife, so schweigt sie beharrlich, obgleich sie eben so resonanzf\u00e4hig ist, wie meine /^-Stimmgabel, die bei dem Pfeifton sofort mitzut\u00f6nen beginnt. Joachim und Stockhausen hatten sich freilich mit ihrem sicheren Klanggef\u00fchl schon viel fr\u00fcher dahin mir gegen\u00fcber ausgesprochen, dafs der gepfiffene Ton = /'2 sei. So weicht hier also die Empfindung des Nichtmusikers von dem des vollst\u00e4ndig klangfesten Musikers um zwei Oktaven ab. Wer kann aber nach solchen Erfahrungen auf Beobachtungen \u00fcber Tondistanzen, an Instrumenten angestellt, die zu solchen Irrt\u00fcmern verleiten, irgend welchen Wert legen?\nDrittens. Auch Stumpf hat bereits hervorgehoben, dafs nach Wundts neuester Theorie e : c1 dieselbe Distanz sein m\u00fcfste wie c3 : <F. Wundt findet, indem er darauf erwidert, dafs, namentlich wenn er sich die betreffenden Distanzen eine Oktave tiefer vorstellt, also als C : c und c2 : d2, dieselben ihm dann in der That gleichklingen. Er kn\u00fcpft daran noch eine weitere Er\u00f6rterung, dahin gehend, dafs, was f\u00fcr eine bestimmte endliche Distanz ausgesprochen sei, darum noch nicht allgemein gelte, d. h. er tritt einen versteckten R\u00fcckzug an. Aber das STUMPFsche Beispiel kann noch weiter ausgedehnt werden. Ich will nicht von den aller\u00e4ufsersten Grenzen des Tonreiches reden, von dem doppelten Kontra-(7 mit 16 Schwingungen, das Preyer f\u00fcr den tiefsten m\u00f6glichen Ton h\u00e4lt, und von e8 mit seinen 40 960 Schwingungen und fragen, ob 16:17","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nGustav Engel.\n\u2014 40 830:40961, d. h. als dieselbe Distanz erscheinen w\u00fcrde, sondern ich beschr\u00e4nke mich auf die sechs noch leidlich guten Oktaven unserer Klaviere vom Kontra-Obis c4, 32 bis 2048 Schwingungen. Wird Wundt 32: 34 (einen Halbton, wie er ungef\u00e4hr der temperirten Stimmung entspricht) und 2048:2050 (der n\u00e4chste Halbton von 2048 ist 2176) auch noch f\u00fcr dieselbe Distanz f\u00fcr die Empfindung halten?\nWie wir aus dem SruMPFschen Beispiel ersehen, dafs bei weiterem Hinaufr\u00fccken der Tonh\u00f6he die gleiche arithmetische Differenz sich auf ein immer kleiner werdendes Intervall bezieht, so ergiebt nat\u00fcrlich dasselbe Intervall, je h\u00f6her es gelegt wird, eine fortdauernde Erweiterung des arithmetischen Unterschiedes. C:c (64: 128) hat eine Differenz von 64, c : c1 eine von 128 Schwingungen u. s. w. Je weiter also die Distanz der zwei T\u00f6ne ist, f\u00fcr welche die Empfindungsmitte gesucht wird, um so mehr treten die geometrische und die arithmetische Mitte auseinander. Es ist notwendig, diesen Gesichtspunkt noch etwas ausf\u00fchrlicher hervorzuheben, weil sich daran eine weitere Einsicht \u00fcber das Unzureichende der im Wundt-schen Laboratorium angestellten Versuche kn\u00fcpft.\nIch beginne mit der Sekunde C : D, die wir nach reiner Stimmung als 8:9 auffassen (die mathematisch reine diatonische Tonleiter hat die Zahlen 24, 27, 30, 32, 36, 40, 45, 48). Suchen wir die Mitte dazu, etwa in der Zahlenfolge 80 : 90, so w\u00fcrden wir arithmetisch die Zahl 85 als Mitte zu betrachten haben. Die geometrische Mitte w\u00fcrde\nsein. Die Verh\u00e4ltnisse 80:85 \u2014 16:17 und 85:90 = 17:18 kommen in der Musik nicht vor, w\u00fcrden aber f\u00fcr weniger empfindliche Ohren immer als Halbt\u00f6ne gelten k\u00f6nnen. Der Unterschied ist so geringf\u00fcgig, dafs das blofse Empfindungsurteil wohl ziemlich ratlos bleiben w\u00fcrde. Allzuviel darf man von der blofsen Empfindung, selbst bei den vortrefflichsten Musikern, nicht verlangen. Ich gehe daher zu der Terz \u00fcber und zwar zu der grofsen Terz, da es ausreicht, einen Umrifs \u00fcber das ganze Gebiet zu geben und die interessantesten F\u00e4lle hervorzuheben.","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Vergleichungen von Tondistanzen.\n365\nBei dem Intervall der grofsen Terz stehen die drei T\u00f6ne : Prime, Sekunde, Terz, falls sie mathematisch rein intoniert werden, in dem Verh\u00e4ltnis 8:9:10, also etwa 80:90:100; wer nun also von den T\u00f6nen c, d, e das d f\u00fcr die Mitte h\u00e4lt \u2014 und das wird der Musiker um so leichter geneigt sein zu thun, als die temperierte Stimmung ihn an das geometrisch gleiche Verh\u00e4ltnis von c : d und d : e gew\u00f6hnt hat \u2014 trifft die arithmetische Mitte, nicht die geometrische, falls ihm n\u00e4mlich diese T\u00f6ne in reiner Stimmung vorgef\u00fchrt werden; denn 9 verh\u00e4lt sich nicht zu 8 wie 10 : 9, jenes ist das gr\u00f6fsere Verh\u00e4ltnis. Ich besitze eine Tonleiter vom eingestrichenen bis zum zweigestrichenen f \u2014 ich komme darauf weiter unten noch zur\u00fcck \u2014, die, soweit Vollkommenes erreichbar ist, mathematisch rein ist; f\u00fcr vorz\u00fcglich gelungen halte ich namentlich die grofse Terz f1 : a1. Vorz\u00fcgliche Musiker haben nun stets, wenn ich ihnen die Tonreihe f1, g1, a1 auf meinen Stimmgabeln vorf\u00fchrte, geh\u00f6rt, dafs die Distanz g1 : a1 kleiner ist, als die fl : g1, dafs also f1 : g1 und g1 : a1 ungleiche Distanzen sind, dafs mithin nicht g1 die Mitte zwischen f1 und a1 ist, was eben die arithmetische Sch\u00e4tzung behauptet. Ich nenne unter den Musikern, die dies im ersten Moment erkennen und damit ein entschiedenes Zeugnis gegen die arithmetische Sch\u00e4tzung ein-legen die Herren Joseph Joachim, Spitta und Adolf Schulze. Sch\u00fcler von geringerer Begabung irren sich wohl, ja sie halten auch mitunter, wenn ich ihnen die Tonreihe von unten nach oben vorf\u00fchre, das Verh\u00e4ltnis der Sekunde zur Terz f\u00fcr das gr\u00f6fsere, w\u00e4hrend es ihnen erst bei der entgegengesetzten Folge, von oben nach unten, als das kleinere erscheint; wenn ich sie aber l\u00e4ngere Zeit damit besch\u00e4ftige und sie namentlich veranlasse, das Geh\u00f6rte nachzusingen, dann pflegen sie es meist zu bemerken. Haben sie es aber erst einmal bemerkt, dann stelle ich ein weiteres Examen an. Ich f\u00fchre ihnen die T\u00f6ne 61, e2, d2, e2, welche drei grofse Sekunden enthalten, auf meiner Stimmgabel-Tonleiter vor und verlange von ihnen, dafs sie mir sagen, welche von diesen das gr\u00f6fsere Sekundenverh\u00e4ltnis 8 :9 und welche das kleinere enthalten. Theoretisch weifs das kaum je einer von ihnen, denn in dem \u00fcblichen theoretisch-musikalischen Unterricht erfahren sie nichts davon, weil dergleichen dem praktischen Musiker f\u00fcr etwas \u00dcberfl\u00fcssiges, g\u00fcnstigsten Falls und das mit Hecht f\u00fcr etwas","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nGustav Engel.\nEsoterisches gilt. Von mir erfahren sie es auch nicht, weil meine Unterrichtszeit f\u00fcr andere wichtigere Dinge bestimmt ist; sie urteilen also blofs nach ihrer urspr\u00fcnglichen Distanzempfindung, die ja durch die Gesangs\u00fcbungen, wenn es sich darum handelt, ein bestimmtes Intervall bald etwas weiter bald etwas enger zu nehmen, ge\u00fcbter ist als bei Andern. \u00dcberrascht hat es mich nun aber dennoch, wie schnell sie oft fanden, dafs b1 : c2 und d2 : e2 ein gr\u00f6fseres Intervall sind, als (? : d2; so leicht gelingt es dem nicht ganz Unbegabten und einigermafsen Vorgebildeten den arithmetischen Unterschied von dem geometrischen zu unterscheiden und zu erkennen, dafs nicht das arithmetisch Gleiche, sondern das geometrisch Gleiche das wirklich Gleiche ist. Denn b1, c2, d2 und e2 sind in reiner Stimmung (f1 = 80 gesetzt) 1062/s, 120, 133 73, 150; zwischen b1 und c2 ist dasselbe arithmetische Verh\u00e4ltnis wie zwischen c2 und d2 (13V\u00e4) und doch werden sie als ungleich erkannt; dagegen ist d2 : e2 wegen der h\u00f6heren Lage arithmetisch schon sehr verschieden von b1 : e2, n\u00e4mlich 162/3 im Gegensatz zu 13 73 ; und wird trotzdem als gleiche Entfernung, also wegen der geometrischen Gleichheit, empfunden.\nF\u00fcr das Verh\u00e4ltnis von Tonika und Dominante ist die grofse Terz arithmetische Mitte; der Unterschied zwischen arithmetischer und geometrischer Mitte ist etwa ein Viertelton. Kein Musiker wird die grofse Terz f\u00fcr die Mitte halten, weil er zu genau weifs, dafs c : e und e : g ungleiche Distanzen sind. Aus demselben Grunde wird er auch weder die Quinte noch die Quarte f\u00fcr die Mitte zwischen Grundton und Oktave halten, sondern er wird nicht viel \u00dcberlegung brauchen, um die \u00fcberm\u00e4fsige Quarte als die Mitte zu bezeichnen. Mathematisch hat er freilich nicht ganz recht ; denn die \u00fcberm\u00e4fsige Quarte ist das Verh\u00e4ltnis 32:45, w\u00e4hrend die verminderte Quinte, welche die erstere zur Oktave erg\u00e4nzt = 45 : 64 ist; nun verh\u00e4lt sich aber 32 : 45, wie 45 : 639/s2 ; die verminderte Quinte ist also ein etwas gr\u00f6fseres Intervall, als die \u00fcberm\u00e4fsige Quarte, die geometrisch richtige Mitte mufste mithin etwas h\u00f6her, freilich nur um einen sehr geringen Bruchteil h\u00f6her, als die \u00fcberm\u00e4fsige Quarte sein. Das temperierte Klavier giebt nun aber, falls es so vollkommen als m\u00f6glich gestimmt ist, genau die geometrische Mitte, da alle Halbt\u00f6ne auf dem Klavier in demselben geometrischen Verh\u00e4ltnis zu einander","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Vergleichungen von Tondistamen.\n367\nstehen und sechs Halbt\u00f6ne zwischen Grundton und \u00fcberm\u00e4fsiger Quarte wie zwischen dieser und der Oktave liegen. Noch genauer und \u00fcberzeugender kann ich \u2014 auch wegen der gr\u00f6fse-ren Klanggleichheit auf meiner temperierten chromatischen K\u00f6Ni\u00dfschen Stimmgabel-Tonleiter das Verh\u00e4ltnis von e2 zu fis3 als geometrischer Mitte und zu e3 zur Darstellung bringen. Innerhalb der Oktave betr\u00e4gt also die Abweichung zwischen der geometrischen und arithmetischen Mitte einen Halbton, denn die arithmetische ist g [c \u2014 80, g \u2014 120, c1 \u2014 160).\nJe weiter nun die Entfernung vorschreitet, desto weiter schreitet auch der Abstand zwischen der geometrischen und arithmetischen Mitte vor, wie das bei der unaufh\u00f6rlich mit der H\u00f6he zunehmenden Zahl der Schwingungen nicht anders sein kann. Weil ich nur den Umrifs geben will, gehe ich sofort zur Doppeloktave \u00fcber, dem weitesten Intervall, auf das sich die Beobachtungen von Lobenz erstreckt haben.\nF\u00fcr die Doppeloktave c : c2 ist c1 die geometrische Mitte, denn c1 ist = 2 c und c\u00e4 = 2c1. Die arithmetische Mitte ist e2; denn wenn c = 64 ist, so ist cs = 256, also e* = 160 die arithmetische Mitte. Hier sind also die arithmetische und geometrische Mitte schon um eine grofse Terz von einander entfernt.\nBei einer Tonleiter, die von c bis c3 reicht, also 3 Oktaven umfafst, ist die Oktave der \u00fcberm\u00e4fsigen Quarte, also fis1 f\u00fcr das temperierte Tonsystem die genaue geometrische Mitte; f\u00fcr das reine System ist dieselbe leise Erh\u00f6hung notwendig, welche f\u00fcr die Mitte zwischen Grundton und Oktave notwendig war. Arithmetische Mitte ist, wenn c = 64 und c3 \u2014 512 ist, da die Differenz zwischen c und c1 = 448 und die H\u00e4lfte derselben = 224 ist, die Zahl 288. Da c2 \u2014 256, so mufs es der Ton d2 sein, denn 288 : 256 = 9:8, dies ist aber das zwischen Prime und grofser Sekunde herrschende Tonverh\u00e4ltnis. Arithmetische und geometrische Mitte sind um eine kleine Sext voneinander entfernt, und von den beiden Strecken, die nach Lorenz- und W\u00fcNDTscher durch ihre experimentalen Untersuchungen begr\u00fcndeter Ansicht als gleich weit bezeichnet werden, ist die eine zwei Oktaven und eine Sekunde, die andere eine kleine Septime ausgedehnt. Hier wird, wie wir vermuten, ein Jeder, der mit Musik ein wenig nur vertraut ist, stutzig werden, auch ohne direkte Beobachtung.\nNun betrachten wir schliefslich noch eine Strecke von\n\\","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368\nGustav Engel.\nsechs Tonleitern, also von Kontra-F bis zu fi) das Kontra-F = 44, /'4 = 2816 Schwingungen. Die Differenz ist = 2772, die H\u00e4lfte = 1386 , der mittlere Ton also \u2014 1430. f3 ist = 1386,\nalso die arithmetische Mitte =\tetwa =-|i, also\num ungef\u00e4hr ein Komma h\u00f6her, als f3, w\u00e4hrend f1 geometrische Mitte ist. Die eine Strecke ist also f\u00fcnf Oktaven, die andere eine Oktave lang; ich bin nat\u00fcrlich jederzeit bereit, statt des um ein Komma erh\u00f6hten auch das reine f3 als mittlere Distanz gelten zu lassen und bin begierig, den Menschen kennen zu lernen, der \u2014 freilich, ohne zu wissen, um welche Distanzen es sich handelt und ohne zu wissen, dafs es verschiedene Standpunkte in dieser Angelegenheit giebt, denn sonst k\u00f6nnte Eigensinn und Widerspruchsgeist ihn beherrschen, auch m\u00fcfsten ihm andere besser zur Mitte geeigneten T\u00f6ne zur Vergleichung vorgelegt werden \u2014 ich bin also begierig den Menschen kennen zu lernen, der diese beiden Strecken nach der reinen Klangempfindung f\u00fcr gleich grofse und f3 f\u00fcr die richtige Mitte zwischen Kontra-F und /'4 hielte. Denn ich w\u00fcrde gestehen, dafs ich einer solchen Unf\u00e4higkeit f\u00fcr richtige Geh\u00f6rseindr\u00fccke bisher noch nicht begegnet w\u00e4re; ihr aufzuhelfen, sie richtiger zu erziehen, w\u00fcrde auch hier bis zu einem gewissen Grade wohl m\u00f6glich sein, falls nicht unheilbare Nerven Zerr\u00fcttung, sei sie schon bei der Geburt vorhanden gewesen oder durch sch\u00e4dliche Einfl\u00fcsse entstanden, zu Grunde l\u00e4ge; gewifs w\u00fcrde sich aber jeder gewissenhafte Gesangs- oder Violinlehrer \u00fcberlegen, ob es ratsam w\u00e4re, einen mit so schlechtem Geh\u00f6r Veranlagten als Sch\u00fcler anzunehmen.\nDie Beobachtungen von Lorenz sind nicht \u00fcber zwei Oktaven hinausgegangen. Schwer ist es zu begreifen, dafs sie, obschon ihnen doch 5 Oktaven \u2014 vom Kontra-0=32 bis c3 = 1024 \u2014 zur Verf\u00fcgung standen, in ihren einzelnen Versuchen niemals \u00fcber das Mafs von zwei Oktaven hinausgingen. Warum verglichen sie nicht 32 mit 1024 und suchten hier die Empfindungsmitte? Als geometrische Mitte ergiebt sich in diesem Falle die temperierte (nicht die reine) \u00fcberm\u00e4fsige Quarte fis, als arithmetische der Ton 528, ein zwei bis drei Kommas h\u00f6her als c2 gelegener Ton; hier war also zwischen arithmetischer und geometrischer Mitte ein Abstand von V/t Oktaven, w\u00e4hrend die Reihe von zwei Oktaven, \u00fcber die sie nicht hinaus-","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Vergleichungen von Tondistanzen.\n369\ngingen, nur einen Abstand von einer grofsen Terz ergiebt. Dafs innerhalb zweier Oktaven die Beurteilung der Mitte vermittelst eines, um mich so auszudr\u00fccken, blofsen Kostens oder Schmeckens der Tonempfindung sich um eine Terz zu irren vermag, konnte jeder einigermafsen erfahrene Musiker vorher wissen. Ich halte dies f\u00fcr den gr\u00f6fsesten Fehler, der bei den LoRENZschen Untersuchungen begangen wurde, dafs man solche F\u00e4lle vermied, bei denen die Unm\u00f6glichkeit der arithmetischen Mitte auff\u00e4llig wurde.\nAls eine weitere Fehlerquelle bei den LoRENZschen Untersuchungen erscheint mir endlich noch der Umstand, dafs die Beobachter durch die dauernde Gew\u00f6hnung an sehr kleine, durchschnittlich nur ein Komma betragende Tonunterschiede f\u00fcr die Aufmerksamkeit auf das Arithmetische k\u00fcnstlich erzogen wurden. Dies w\u00e4re kein Nachteil, sondern vielmehr, vom Standpunkte der Allseitigkeit und Gerechtigkeit, ein Vorteil gewesen, wenn sie das nat\u00fcrliche Geh\u00f6r, den Intervallen-Sinn, in demselben Mafse besessen h\u00e4tten, so dafs sie bei einer Reihe ihnen etwa auf dem Klavier angegebener T\u00f6ne mit abgewandtem Gesichte schnell und sicher h\u00e4tten angeben k\u00f6nnen, welche Intervalle das seien, eine Pr\u00fcfung, wie man sie mitunter bei angehenden Musikern anstellt (etwa c, g, e1, a, f1, as1, d2, e1 u. s. w., um Schwierigeres, z. B. c, b, a1, des1, g2, as u. s. w. zun\u00e4chst auszuschliefsen). Kein Wunder, dafs sie bei dieser Erziehung nun \u00fcberall schon im kleinen Intervallen-Raume bei hoher Lage weite Distanzen witterten.\nNachdem ich also als Grundbedingungen f\u00fcr psychophysische Tondistanzbeobachtungen 1. eine m\u00f6glichst grofse Reihe von Stimmgabeln mit Resonanzr\u00e4umen, 2. musikalisch gediegene und wissenschaftlich gew\u00f6hnte Beobachter hinstellen mufste, so m\u00f6chte ich noch schliefslich auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen, der bei den Sch\u00e4tzungen mir der einzig mafs-gebende zu sein scheint.\nDar\u00fcber, dafs die T\u00f6ne Schwingungen sind, ist der Empfindung nicht das Mindeste bekannt (h\u00f6chstens die Erscheinungen des Zusammenklangs w\u00fcrden sich auf den unbewufsten Rhythmus zur\u00fcckf\u00fchren lassen, und erst von diesem Standpunkt aus ist \u00fcber Klangverwandtschaft zu sprechen); wer nicht physikalische Kenntnisse hat, weifs wohl, dafs irgendwie im Raum eine Bewegung stattfindet, wenn T\u00f6ne oder Ger\u00e4usche\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie II.\t25","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370\nGustav Engel.\nentstellen; aber dafs das eigentliche Wesen des Tones in Schwingungen besteht, und dafs die Tonh\u00f6hen vom Geschwin-digkeitsgrade der Schwingungen abh\u00e4ngen, das bleibt der Sinnesempfindung vollst\u00e4ndig verborgen. Dagegen ist die Empfindung sehr wohl im Stande, etwas anderes zu bemerken, was mit den Schwingungen und der Geschwindigkeit derselben zusammenh\u00e4ngt, ja sogar ihre bewirkende Ursache ist, n\u00e4mlich die Gr\u00f6fse der t\u00f6nenden K\u00f6rper, oder, um sofort den entscheidenden Punkt hervorzuheben, die Gr\u00f6fse der t\u00f6nenden Luftwelle, welche ganz dasselbe Verh\u00e4ltnis einh\u00e4lt, wie die Schwingungszahlen. Wenn die griechische Sprache den Gegensatz von tief und hoch durch die Worte des Schweren und Spitzen oder Scharfen bezeichnet, so hat sie dasjenige, was die Tonempfindung leicht beobachten und sich zum Bewufstsein bringen kann, noch anschaulicher in Worte verwandelt, als die deutsche mit den Ausdr\u00fccken des Tiefen und Hohen. Wie eine schwere Last wirken die tiefe T\u00f6ne der Posaune oder Tuba auf uns ein, w\u00e4hrend die schrillen T\u00f6ne der Piccolofl\u00f6te das Ohr zu zerschneiden drohen. Auf einen grofsen t\u00f6nenden K\u00f6rper und auf gr\u00f6fse t\u00f6nenden Luftwellen deutet die Tiefe, auf einen kleinen und kleine Wellen die H\u00f6he. F\u00fcr die r\u00e4umliche Beschaffenheit der erzeugenden Tonquelle ist also unser Ohr nicht unempf\u00e4nglich, und hieran gewinnt es wieder einen Halt f\u00fcr eine nicht ganz im Dunkeln tappende Beurteilung von Tondistanzen, wenn es Tonintervalle nur ungen\u00fcgend kennt oder von seiner erreichten Kenntnis zum Zweck vorurteilsloser wissenschaftlicher Untersuchungen zu abstrahieren gen\u00f6tigt ist. Es eignet sich aber mit dieser Aufmerksamkeit auf das Schwere, Massige, Volle und auf das Leichte, D\u00fcnne, Stechende im Ton nicht etwa wieder ein neues Vorurteil an; denn auf den Klang als solchen mufs es doch, wenn es irgend etwas \u00fcber Tondistanzen aussagen soll, scharf hinh\u00f6ren; es mufs also die Grundeigenschaften des Klanges unterscheiden lernen. Dies ist also das Studium, das Jeder, der an psychophysichen Untersuchungen sich mit der Aussicht, etwas Verwendbares dazu beitragen zu k\u00f6nnen, mit allem Eifer vorher betreiben sollte: das Studium der Klangfarbe. Auch dies ist ein schwieriges Studium, und auch von dieser Seite her werden Musiker, namentlich Violinspieler und S\u00e4nger den Nichtmusikern in der Kegel \u00fcberlegen sein ; da es aber bei den psychophysischen Untersuchungen","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Vergleichungen von Tondistanzen.\n371\nnicht auf die Feinheiten der Klangverschiedenheit, die bei bedeutenden Spielern und S\u00e4ngern im Vordergr\u00fcnde steht, ankommt, so ist auch bei Nichtmusikern eine gewisse Ausbildung nach dieser Seite hin wohl als m\u00f6glich anzunehmen. Man pflegt heute unter Klangfarbe nur dasjenige zu verstehen, was nicht einfacher Ton ist, sondern sich nach dem mathematischen Verh\u00e4ltnis, das zwischen einem Grundton und seinen Obert\u00f6nen besteht, aus einer Reihe einfacher T\u00f6ne zusammensetzt. Besser w\u00fcrde dies als Klangfarbenmischung oder in \u00e4hnlicher Weise bezeichnet; denn es verleitet zu dem Irrtum, als ob die T\u00f6ne einer l\u00e4ngeren Skala von T\u00f6nen, die in Bezug auf diese Mischung ganz gleichm\u00e4fsig gebildet sind, oder die T\u00f6ne einer Skala von einfachen T\u00f6nen nicht ebenfalls bereits in der Klangfarbe von einander verschieden seien. Die Klangfarbe in ihrem einfachsten Gegensatz des Vollen, M\u00e4chtigen und des Kleinen, Spitzen haftet an Tiefe und H\u00f6he als solcher, wie ich in meiner Abhandlung \u201e \u00dcber den Begriff der Klangfarbe\u201c (Halle, Pfeffer, 1886) nachgewiesen zu haben glaube. Jeder, der gleich mir eine lange Skala von Stimmgabeln mit Resonanz-r\u00e4umen zu h\u00f6ren Gelegenheit hat, wird das zugeben oder wenigstens, wenn er die Abweichung von der heutigen durch Helmholtz herrschend gewordenen wissenschaftlichen Terminologie vermeiden will, eine Bezeichnung, die dasselbe sagt, ersinnen m\u00fcssen. Denn mit dem Unterschiede von Tiefe und H\u00f6he ist der Unterschied im Klange, der Unterschied von gr\u00f6fserer und geringerer F\u00fclle etwa zwischen /1 und p in seiner urspr\u00fcnglichen Wurzel identisch. Trotzdem aber und sogar eben vielmehr darum gewinnt fl, wenn es sich mit p verbindet, einen helleren Klang, als es vorher hatte ; das dunkle P erhellt sich und klingt insofern auch etwas h\u00f6her, sowie das hellere f1 sich ihm zugesellt.\nIch besitze nun eine teils diatonisch teils chromatisch fortlaufende Tonleiter von Stimmgabeln mit Resonanzkasten f\u00fcr einen Umfang von viertehalb Oktaven. Die Tonleiter von f bis e1 r\u00fchrt von dem j\u00fcngeren, die von f1 bis p von dem \u00e4lteren Appun her, die letztere namentlich ist vorz\u00fcglich; von K\u00f6nig in Paris besitze ich c2 bis c3 in chromatischer Folge, mithin in temperierter Stimmung, c3 bis \u00e9 diatonisch. Die h\u00f6chsten dieser Stimmgabeln sind in dieser bestimmten Weise, d. h. mit genau abgestimmtem Resonanzkasten, zum ersten","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372\nGustav Engel.\nMale vor drei Jahren f\u00fcr mich angefertigt worden. Da dieses Material wegen der relativen Freiheit von Obert\u00f6nen und, weil es Beobachtungen \u00fcber einen weiteren Umfang gestattet, besonders geeignet war f\u00fcr empirische Feststellungen in der Tondistanzfrage, so bot es mir die Veranlassung, in dieser Sache ebenfalls Untersuchungen anzustellen. Was ich gefunden habe, ist folgendes:\n1. f\\ gx, a1 bei Appen, c2, d2, e2 bei K\u00f6nig, f1, g\\ a1 bei Appun ist sehr gut gestimmt (mathematisch), g1 ist arithmetische aber nicht geometrische Mitte, soll g1 geometrische Mitte sein, so mufs a1 um ein Komma h\u00f6her werden. Am Klavier ist dagegen die geometrische Mitte zwischen Tonika und Terz in der Sekunde gegeben, aber die Schwingungszahlen von Sekunde und Terz sowohl, als die Verh\u00e4ltniszahlen sind durch die temperierte Stimmung gef\u00e4lscht. Bei K\u00f6nigs Stimmgabeln sind c2, d2, e2 temperiert; das gleiche geometrische Verh\u00e4ltnis von c2 : d2 und d2 : e2 tritt deutlich hervor. Dafs der einiger-mafsen Musikgebildete es leicht erkennt, dafs f1 : g1 und g1 : a1 nicht dieselbe Distanz sind, sondern dafs das letztere etwas kleiner ist, habe ich schon oben bemerkt und das entscheidende Zeugnis von Joachim, Spitta und Schultze dabei erw\u00e4hnt. Der Unterschied aber zwischen arithmetischer und geometrischer Mitte ist in diesem Fall ein so verschwindend kleiner, dafs ohne ein sicheres musikalisches Intervallengef\u00fchl wohl Niemand wird aussagen k\u00f6nnen, welcher von diesen beiden T\u00f6nen ihm die Klangempfindungsmitte besser zu vertreten scheint. Besitzt er aber dasselbe, so hat er gar keinen Zweifel \u00fcber die Ungleichheit der arithmetischen Distanzen und weifs ganz genau, dafs er beim genauen Nachsingen f : g weiter, als g : a nehmen mufs. Im Prinzip ist schon dadurch die Distanzfrage entschieden.\n2. c2, e2, g2 und c2, es2, g2 bei K\u00f6nig. Die geometrische Mitte zwischen c2 und g2 liegt zwischen es2 und e2. Ich empfinde, dafs es2 weiter absteht von g2, als von c2 und e2 weiter ab von c2 als von g2. Da aber die zweigestrichene Tonleiter hei K\u00f6nig temperiert ist, so k\u00f6nnte mich die zu hohe temperierte Terz t\u00e4uschen. Jedenfalls sind aber arithmetische (e2) und geometrische Mitte nur durch einen kleinen Viertelton von einander getrennt, und auch diese Entfernung ist noch zu gering, um dem blofsen Empfindungsurtheil einen sicheren Halt zu geben.","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Vergleichungen von Tondistanzen.\n373\n3.\tf\\c2f2 und f1, 61, Z-2 beiAppira. c2, g2, cs, ferner c2, f2, cs, endlich e2, /?s2, c8 bei K\u00f6nig. Dieser Fall ist von besonderer Bedeutung ; denn die arithmetische und geometrische Mitte sind bereits um einen halben Ton auseinander, erreichen also das Gebiet der unserem Ohre gel\u00e4ufigen Tondifferenz; aufserdem hat die temperierte Tonleiter die genaue geometrische Mitte in der \u00fcberm\u00e4fsigen Quarte als gegebenen Ton (die reine Tonleiter hat sie nicht, sondern sie liegt in dieser, wie bereits oben bemerkt wurde, zwischen \u00fcberm\u00e4fsiger Quarte und verminderter Quinte). Bei der App\u00fcNschen Tonleiter h\u00f6re ich nun f1 : c2 gr\u00f6fser als c2 : f2 und f1 : b1 kleiner als b1 : f2. Eben so h\u00f6re ich bei K\u00f6nig c2 : g2 gr\u00f6fser als g2 : c3 und e2 : f2 kleiner als f2 : c3. Mit vollkommener Sicherheit aber erkenne ich c2 : fis2 und fis2 : c8 als gleich, mit solcher Sicherheit, dafs ich selber erstaunt dar\u00fcber bin, wie bestimmt ich das empfinde, sobald mir meine Apparate gestatten, mir die wirkliche geometrische Mitte in genauer Stimmung zur Wahrnehmung zu bringen.\n4.\tc2, g2, \u00e4? bei K\u00f6nig. Ich erkenne g2 als die Mitte, welche es geometrisch auch ist, aber nicht so genau, wie vorher fis2 zwischen c2 und c3. Die arithmetische Mitte w\u00fcrde ein etwas erh\u00f6htes gis2 sein; das temperirte gis2 klingt mir daher nicht ganz falsch, aber doch immer noch dem d3 etwas n\u00e4her liegend, als dem c2.\n5.\tc1, c2, des2, d2, dis2, e2, c3 aus App\u00fcNschen und K\u00f6NiGschen Gabeln zusammengestellt, c2, c3, dB, e3, e4 aus K\u00f6NiGschen allein bestehend, e2 oder e3 erscheint mir nie als Mitte zwischen c1 und c3 oder c2 und c4, allenfalls d2, am genauesten des2 oder c2, zwischen denen ich in der That schwanken k\u00f6nnte, weil bei weiteren Entfernungen das . blofse Empfindungsurteil hinsichtlich solcher kleinen Tonunterschiede immer unsicherer wird.\n6.\tc1, e2, f2, fis2, g2, gis2, a2, b2, h2, c3, d3, c4 aus App\u00fcn-und K\u00f6NiGschen Gabeln zusammengestellt. Die geometrische Mitte liegt in diesen drei Oktaven bei temperierter Stimmung genau auf fis2, bei reiner zwischen fis2 und g es2 ; die arithmetische Mitte ist d3. Hier liegen also die geometrische und arithmetische Mitte um eine kleine Sexte auseinander. Ich w\u00fcrde nach meiner Empfindungssch\u00e4tzung fis2, aber fast noch eher g2 f\u00fcr die Mitte, w\u00fcrde es auch f\u00fcr m\u00f6glich halten, dafs a2 als Mitte gesch\u00e4tzt w\u00fcrde; d3 betrachte ich als ganz unm\u00f6glich.\n7.\tf, c2, des2, d2, dis2, e2, f2, fis2, g2, gis2, a2, b2, h2, c3, d3, \u00e0","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374\nGustav Engel.\naus AppuN-K\u00f6NiGschen Grabein zusammengestellt. Die arithmetische Mitte ist ein etwas erh\u00f6htes des3, die geometrische liegt zwischen d2 und dis2. Der Abstand zwischen f und c3 (des3 besitze ich nicht) ist ein soviel gr\u00f6fserer, als der zwischen c3 und c4, dafs ich kaum glauben kann, dafs irgend Jemand dieses c3 f\u00fcr die Mitte halten oder sich wenigstens nicht durch Vergleichung mit h2, b2, a2 u. s. w. anders belehren lassen w\u00fcrde. Andererseits mufs ich aber gestehen, dafs meiner Klangempfindung auch nicht d2 oder dis2 so recht als Mitte erscheinen will; ich w\u00fcrde fast mehr geneigt sein, e2 oder f2 f\u00fcr die Mitte zu halten und w\u00fcrde es auch nicht f\u00fcr befremdend halten, wenn ein in Geh\u00f6rsbeurteilungen weniger Ge\u00fcbter sich f\u00fcr fis2, g2, gis2, allenfalls auch a2 entschiede.\nIch habe nun noch eine Anzahl \u00e4hnlicher Beobachtungen gemacht, z. B. f mit h3, f mit a3 oder g3, f3 u. s. w., g mit c4, h3, a3 u. s. w. verglichen, ohne aber zu anderen Resultaten zu kommen als dem eben ausgesprochenen, dafs ich bei weiten Distanzen zwischen der geometrischen Mitte und den n\u00e4chst gelegenen h\u00f6heren T\u00f6nen schwanke. F\u00fcr die arithmetische Mitte aber und die ihr zun\u00e4chst gelegenen tieferen T\u00f6ne hat sich noch Niemand, den ich dar\u00fcber befragt, entschieden. Das Empfindungsurteil ist aber aufserdem ein so unsicheres, selbst wenn man es dadurch zu sch\u00e4rfen sucht, dafs man auf den Gegensatz der Klangf\u00fclle in der Tiefe und der Klangsch\u00e4rfe in der H\u00f6he achtet, dafs ein ausgezeichneter Musiker mir erkl\u00e4rte, er halte die ganze psychophysische Untersuchung \u00fcber diesen Gegenstand f\u00fcr ein th\u00f6richtes, in sich haltloses Unternehmen. Ich stimme ihm darin nicht bei, erw\u00e4hne es aber, um darauf hinzuweisen, dafs die Resultate, sobald man in besondere Feinheiten einzudringen unternimmt, sehr zweifelhaft sind; \u00fcber die grofsen Umrisse der Angelegenheit ist es aber wohl m\u00f6glich zur Klarheit zu kommen. Noch eine andere Beobachtung, die ich anstellte, will ich mitteilen. Ich verglich f mit f\\ f1 mit f2, f2 mit f3, konnte aber keine Ungleichheiten der Oktavdistanzen dabei entdecken. Dagegen schien es mir mitunter, aber nicht immer, dafs c2 : c3 einen etwas weiteren Raum einnehme, als c3 : ci. Ferner versuchte ich an meiner zweigestrichenen chromatischen temperierten, also genau geometrisch gestimmten Stimmgabeltonleiter, ob ich einen Unterschied von Halbton zu Halbton entdecken k\u00f6nnte; es ist mir aber nicht gelungen.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Vergleichungen von Tondistanzen.\n375\nIch will ferner noch auf eine bei mir dadurch eintretende Schwierigkeit aufmerksam machen, dafs ich in jedem einzelnen Beobachtungsfall genau vorher weifs, wo die geometrische und wo die arithmetische Mitte liegt. Dies hat aber bei mir die umgekehrte Wirkung als die zun\u00e4chstliegende es sein w\u00fcrde; indem ich n\u00e4mlich ernstlich bestrebt bin, meine Gegner nicht zu \u00fcbervorteilen und schon solche T\u00f6ne als m\u00f6gliche Mitte gelten zu lassen, bei denen ich mir vorstellen kann, dafs auch Jemand, der irgendwie ein ann\u00e4hernd richtiges Urteil \u00fcber Klangverh\u00e4ltnisse hat, sie daf\u00fcr halten w\u00fcrde. Bei mir selber kann, wenn ich mich ernstlich befrage, der Zweifel sich nur auf zwei bis drei Halbt\u00f6ne beziehen. Um so wichtiger war es mir, dafs ich nun schliefslich auch noch zwei vorz\u00fcglich geeignete Beobachter in meine Untersuchung hineinziehen konnte, den [Professor Trendelenburg, den ausgezeichneten Arch\u00e4ologen, der ! aber zugleich ein h\u00f6chst begabter und durchgebildeter Musjker ist, und den Professor Urban, einen hervorragenden Komponisten und vorz\u00fcglichen Kompositionslehrer. Trendelenburg empfand in allen F\u00e4llen ganz \u00e4hnlich, wie ich, obschon er gar nichts dar\u00fcber wufste, wo in jedem Fall die geometrische und wo die arithmetische Mitte lag. Urban erschien erst, w\u00e4hrend wir bereits mit der Pr\u00fcfung der weitesten Distanz von / bis c4 und in dieser bis etwa gis2 oder g2 angekommen waren. Bis dahin hatte Trendelenburg noch kaum zu schwanken begonnen und ich bat nun Urban, der von mir nur das Allgemeinste \u00fcber die ganze Streitfrage erfahren hatte, sofort weiter daran teilzunehmen. Bei fis2, f2, e2 trat etwas sorgf\u00e4ltigere \u00dcberlegung ein und zwar von Ton zu Ton; bei dis2 glaubte T. zuerst die Mitte schon gefunden zu haben ; als aber Urban, meinte, der Ton sei noch etwas zu hoch, bat er weiter fortzufahren. Nun hielten zun\u00e4chst Beide den Ton d2 f\u00fcr die Mitte, Urban aber f\u00fcgte sofort hinzu, dieser sei etwas zu tief, und auch T. stimmte bei. Und das war genau das Richtige, denn die geometrische Mitte zwischen f und c4 liegt eben zwischei d2 und dis2. Die ganze Untersuchung seit dem Hinzutritt Urbans dauerte nur ein paar Minuten. Dafs das Inter-vallenurieil Urban dabei geleitet h\u00e4tte, ist sehr unwahrscheinlich, selon darum, weil mein f um ein Weniges zu hoch und mein c4 um ein Weniges zu tief ist; ich bin eher geneigt, diese aufs er ordentliche Sicherheit damit zu erkl\u00e4ren, dafs Urban,","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376\nGustav Engel.\nurspr\u00fcnglich Violinspieler, gleich allen Violinspielern mit Klang-verh\u00e4itnissen besonders vertraut ist. Er hat sich mir auch bereits in fr\u00fcherer Zeit \u2014 bei einer Pr\u00fcfung kleinster Tondifferenzen \u2014 durch eine \u00fcberraschend sichere Feinheit des Gfeh\u00f6rs bew\u00e4hrt. Dies also sind die Resultate, zu denen ich bisher mit meinen Stimmgabeln gekommen bin.\nAls eine bestimmtere m\u00f6gliche Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Neigung namentlich bei weiteren Distanzen nicht die geometrische Mitte, sondern einen etwas h\u00f6heren Ton f\u00fcr die Mitte zu halten, bietet sich nun die durch die Beobachtungen von Pr\u00eater, Stumpf , Luft u. A. gewonnene Erfahrung dar, dafs unser Tonnervensystem in den verschiedenen Oktaven in Bezug auf den uns verliehenen Tonreichtum verschieden ausgestattet ist. Die Resultate sind noch nicht zuverl\u00e4ssig genug, als dafs es angemessen w\u00e4re, systematisch auf ihnen weiter zu bauen. Wenn wir indes unsere allgemeine musikalische Erfahrung zu Rate ziehen, so w\u00fcrden wir ebenfalls, wie es die exakte Forschung zu best\u00e4tigen scheint, die Gegend von der Mitte der eingestrichenen bis zu der Mitte der dreigestrichenen f\u00fcr die beg\u00fcnstigte Tonregion halten d\u00fcrfen, innerhalb deren wir die meisten T\u00f6ne hervorzubringen und zu vernehmen f\u00e4hig sind. Insbesondere m\u00f6chte ich auf die auch von Professor Schulze, dem vorz\u00fcglichen, scharf beobachtenden Gesangslehrer mir best\u00e4tigte Erfahrung aufmerksam machen, dafs Soprane selir oft die Neigung haben, innerhalb der zweigestrichenen Oktave bei chromatischen Tonleitern mehr als 12, mitunter 16 T\u00f6ne zu singen und zwar mit deutlich gesonderten, ziemlich gleich-m\u00e4fsigen Schritten, ja \u00fcberhaupt die Halbt\u00f6ne etwas enger zu nehmen, eine Neigung, die bei tiefen B\u00e4ssen gewifs nicht so leicht vorhanden sein wird. \u00dcberhaupt aber herrschen in der Musik in tiefer Lage die weiten Schritte vor, erst in dir ein-und zweigestrichenen Oktave tritt das Passagenwesen in ausgedehntem Mafse auf, in der dreigestrichenen Oktave beginnt es dagegen allm\u00e4hlich wieder zu verschwinden. In erster Linie mag man wohl die Beschaffenheit des t\u00f6nenden Materials als die Ursache davon betrachten; es ist aber nicht ausgeschlossen, dafs dieselbe Beschaffenheit auch an dem Tonnervensystem haftet.\nIch m\u00f6chte indes nicht so weit gehen, dafs ich mit Bestimmtheit die erw\u00e4hnte Eigent\u00fcmlichkeit des Geh\u00f6rs f\u00fcr die","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Vergleichungen von Tondistanzen.\n377\nnotwendige Ursache erkl\u00e4rte, dafs unser Klanggef\u00fchl bei weiten Distanzen der geometrischen Mitte nicht ganz treu bleibt; denn es bleiben aufserdem noch die allgemeine Unsicherheit einer mit musikalischen Intervallen nicht vertrauten oder von der Gew\u00f6hnung daran absichtlich abstrahierenden Empfindung und das Behaftetsein der Tonquellen mit Obert\u00f6nen, das auch bei Stimmgabeln, namentlich in tieferer Lage nicht ganz ausgeschlossen ist, zur Erkl\u00e4rung \u00fcbrig. Immerhin aber w\u00fcrde es erkl\u00e4rlich sein, dafs uns etwa der Kaum zwischen c und c1, zwischen c1 und c2, zwischen c2 und c3 etwas weiter scheint, als zwischen G und c, zwischen c3 und c4, c4 und c5, weil er \u2014 f\u00fcr uns \u2014 innerlich reicher ist. Es w\u00e4re das zwar eine Verwechselung, insofern wir einen ausgef\u00fcllteren Umfang, obschon als Umfang gleich, f\u00fcr gr\u00f6fser halten w\u00fcrden, als den leereren Umfang, also eine empirische T\u00e4uschung ; aber es handelt sich ja auch nur darum, diese empirische T\u00e4uschung zu erkl\u00e4ren durch die dunkle Empfindung, dafs wir innerhalb der beg\u00fcnstigten Oktaven eine gr\u00f6fsere Zahl von Tonschritten zur\u00fcckzulegen f\u00e4hig sind, als innerhalb der weniger beg\u00fcnstigten.\nZum vollst\u00e4ndigen Abschlufs w\u00fcrde diese Frage nur gebracht werden k\u00f6nnen, wenn auch von der Klangverwandtschaft in diesem Zusammenh\u00e4nge die Kede w\u00e4re. Ich beschr\u00e4nke mich, was diesen Punkt betrifft, nur das Eine hervorzuheben, dafs die Klangverwandtschaft, d. h. der Intervallensinn im melodischen nacheinander durchaus nicht zu derselben Feinheit und Zuverl\u00e4ssigkeit des H\u00f6rens f\u00fchrt, wie im Zusammenklang. Gegen diejenige Begr\u00fcndung des arithmetischen Unterschiedes, welche Lorenz und Wundt von diesem Gesichtspunkt aus unternehmen, w\u00fcrde ich erhebliche Einwendungen zu machen haben. Als Beweis diene zun\u00e4chst die Erfahrung, die ich an meinem 36stufigen APRUNschen Harmonium gemacht habe, dafs die pythagor\u00e4ische Terz in der unbegleiteten Tonleiter einen viel weniger st\u00f6renden Eindruck macht, als im Zusammenklang, w\u00e4hrend die ann\u00e4hernd (nur um den kleinen Bruchteil eines Kommas zu tiefe) reine Terz im Zusammenklang vorz\u00fcglich ist, aber in der Melodie mich ebenfalls etwas st\u00f6rt. Die musikalischen Intervalle sind nicht identisch mit dem geometrischen Verh\u00e4ltnis, beruhen aber auf ihm, als eine zu bestimmten Zwecken getroffene Auswahl aus den unendlichen M\u00f6glich-","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nGustav Engel.\nkeiten desselben; zu durchgreifender Herrschaft gelangen sie aber erst in der harmonischen Musik, und auch darin liegt ein die Distanzuntersuchungen erschwerendes Moment; denn wenn wir zwei oder drei T\u00f6ne zusammenklingen lassen, k\u00f6nnen wir die einzelnen T\u00f6ne nicht so genau unterscheiden, wie es die Pr\u00fcfung verlangt; lassen wir sie nacheinander erklingen, so b\u00fcfst wieder der Sinn f\u00fcr das geometrische Verh\u00e4ltnis etwas von seiner im Zusammenklang hervortretenden Sch\u00e4rfe ein.","page":378}],"identifier":"lit14344","issued":"1891","language":"de","pages":"361-378","startpages":"361","title":"\u00dcber Vergleichungen von Tondistanzen","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:15:35.392784+00:00"}