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{"created":"2022-01-31T16:13:37.969894+00:00","id":"lit14365","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Martius, G\u00f6tz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 130-132","fulltext":[{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nLitteraturbericht.\nam leichtesten vor sich geht, wenn die Aufmerksamkeit der Koordination von Reizbild und Bewegungsbild zugewendet ist. Letztere Aufmerksamkeitsrichtung, die hei fehlender \u00dcbung die nat\u00fcrlichste sein soll, stellt Martius als centrale Aufmerksamkeit neben die muskul\u00e4re und sensorielle.\nNach diesen, der Wiederlegung M\u00fcnsterbergs gewidmeten Untersuchungen sucht Verfasser die Gr\u00fcnde im einzelnen zu widerlegen, welche Wundt f\u00fcr seine Ansicht angef\u00fchrt hat, dafs die muskul\u00e4ren Reaktionen auf Ein\u00fcbung beruhende Gehirnreflexe darstellten. Insbesondere weist er durch eigene Versuche nach, dafs der Unterschied zwischen muskul\u00e4rer und sensorieller Reaktionweise sich auch hei ganz unge\u00fcbten Versuchspersonen zeigt. Ferner hat Verfasser neue Versuche \u00fcber einfache Reaktionszeiten angestellt, hei denen der Reagierende nach jedem Einzelversuche seine eigene Beobachtung \u00fcber die Richtung [seiner Aufmerksamkeit im Augenblicke des Reagierens sowohl als \u00fcber denErfolg und die scheinbare L\u00e4nge der Reaktionszeit aufschrieb. Diese Versuche, welche eine grofse Genauigkeit der eigenen Sch\u00e4tzung des Versuchsverlaufes ergaben, lehrten, dafs der Eindruck der Gleichzeitigkeit von Sinneseindruck und Reaktionsbewegung ziemlich regellos stattfindet und weder von der Aufmerksamkeitsrichtung noch von der Reaktionsdauer in gesetzm\u00e4fsiger Weise abh\u00e4ngt. Perner zeigte sich ein zeitlicher Unterschied zwischen sensorieller und muskul\u00e4rer Reaktion, der wesentlich kleiner war, als der von L. Lange gefundene Unterschied, was Martius dadurch erkl\u00e4rt, dafs bei ihm die Vorschrift kurz dahin lautete, m\u00f6glichst schnell zu reagieren, w\u00e4hrend Lange bei sensorieller Aufmerksamkeitsrichtung das Abwarten der vollen Apperception des Eindrucks vorgeschrieben hatte. Martius schliefst nun aus diesem Resultat einerseits, dafs die Vorstellung der Gleichzeitigkeit von Sinneseindruck und Reaktionsbewegung nicht verwendbar ist, um Schl\u00fcsse \u00fcber die Natur des muskul\u00e4ren oder sensoriellen Reaktionsvorganges daran anzukn\u00fcpfen, und andererseits, dafs bei dem geringen zeitlichen Unterschiede zwischen muskul\u00e4rer und sensorieller Reaktionsweise kein Grund vorhanden ist zu der Annahme einer specifischen Verschiedenheit der beiden Vorg\u00e4nge. Vielmehr stellen nach Martius die sensorielle und die muskul\u00e4re Reaktion einen innerlich gleichartigen Vorgang dar, bei dem nur die Aufmerksamkeit in verschiedenem Sinne th\u00e4tig ist, das eine Mal, indem sie den erwarteten Sinneseindruck vorher reproduziert und alle anderen gleichzeitigen Vorstellungen hemmt, das andere Mal, indem sie die intendierte Muskelinnervation aktuell im Bewufstsein erh\u00e4lt. Die Perception des Reizes soll in beiden F\u00e4llen zum Zustandekommen der Reaktionsbewegung erforderlich sein.\tA. Pilzecker (G\u00f6ttingen).\n1.\tGeorges Dwelshauvers. Psychologie de l\u2019apperception et recherches\nexp\u00e9rimentales sur l\u2019attention, essai de psychologie physiologique.\nBruxelles 1890. 179 S.\n2.\tGeorg Dwelshauvers. Untersuchungen zur Mechanik der aktivem\nAufmerksamkeit. Wundt, Philosoph. Studien, Bd. VIr 2, S. 217\u2014249.\nDie an erster Stelle genannte Schrift enth\u00e4lt aufser den experimen-","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n131\nteilen Untersuchungen \u00fcber die Aufmerksamkeit, welche auch den Inhalt des an zweiter Stelle genannten Aufsatzes ausmachen, eine l\u00e4ngere Einleitung \u00fcber das Wesen, die Entwickelung und Bedeutung der experimentellen Psychologie, sowie \u00fcber die Methode derselben (S. 1\u201435) und eine ausf\u00fchrliche Darstellung der Apperceptionstheorie Wundts mit mehrfachen Ausblicken auf die zeitgen\u00f6ssische englische und franz\u00f6sische Litteratur (Luys, Ferrier, Maudsley, Ribot, Marillier, Fouill\u00e9e, Bourdon und Binet, S. 105\u2014167).\nDie experimentelle Arbeit \u00fcber die Mechanik der aktiven Aufmerksamkeit leitet Wundt mit der Bemerkung ein, dafs dieselbe urspr\u00fcnglich auf eine ausf\u00fchrliche Behandlung der Frage nach dem Einflufs eines in bestimmter Zeit dem Hauptreiz vorangehenden Signals auf den Reaktionsvorgang angelegt, nicht zu einem vollst\u00e4ndigen Abschlufs gekommen sei. Untersucht wurden die drei Intervalle von l'/s, 3 und 6 Sekunden; dabei wurde die Aufmerksamkeit das ganze Intervall hindurch m\u00f6glichst gespannt erhalten. Daneben wurden Reaktionen ohne Signal mit Zwischenzeiten von 30 , 45 und 60 Sekunden zwischen den einzelnen Versuchen gemacht, ebenfalls unter Spannung der Aufmerksamkeit, und endlich unaufmerksame Reaktionen. Das Ergebnis ist, dafs die Zeiten wachsen mit der L\u00e4nge des Intervalls, w\u00e4hrend bei den Reaktionen ohne Signal die L\u00e4nge der Zwischenzeiten keinen Einflufs hatte; die l\u00e4ngsten Zeiten mit Signal sind aber k\u00fcrzer als die k\u00fcrzesten ohne Signal; beides gilt sowohl f\u00fcr die muskul\u00e4re als die sensorielle Reaktionsart. Am l\u00e4ngsten sind die unaufmerksamen Reaktionen ausgefallen. Ferner veranlafste Dw. seine Reagenten, ihre Selbsbeobachtungen \u00fcber das Gelingen der Spannung der Aufmerksamkeit und die Dauer der Reaktion aufzuschreiben, ein Verfahren, das schon fr\u00fcher in \u00e4hnlicher Weise von Exner und j\u00fcngst vom Referenten (vergl. Wundt, Phil. Stud., VI, 2) befolgt ist. Dw. nennt dies die Methode der subjektiven Beziehungen. Die Ergebnisse sind nicht \u00fcberall gleich. Im allgemeinen ergiebt sich eine Zunahme der Reaktionsdauer mit Abnahme der Spannung der Aufmerksamkeit. Die Sch\u00e4tzungen der L\u00e4nge der Reaktionszeit seitens der Reagenten stimmen aber nur unvollkommen mit den wirklichen Reaktionszeiten \u00fcberein. Dabei ist zu bemerken, dafs die verschiedenen Reagenten weder bei der Art der Aufmerksamkeitsrichtung, noch bei der Sch\u00e4tzung gleich-m\u00e4fsig verfuhren. Sichere Schl\u00fcsse \u00fcber die Mechanik der Aufmerksamkeit werden sich aber nur unter sorgf\u00e4ltiger Ber\u00fccksichtigung des jedesmaligen subjektiven Verhaltens des einzelnen Reagenten aus dem Zahlenmaterial ziehen lassen.\nDie franz\u00f6sische Schrift hat ein Interesse eigener Art noch durch den Umstand, dafs sie, bei der philosophischen Fakult\u00e4t der Universit\u00e4t Br\u00fcssel als Habilitationsschrift eingereicht, von dieser zur\u00fcckgewiesen ist. Dw. hat als Anhang einen Brief des Herrn Professor Tiberohien, in welchem dieser ihn zum Zur\u00fcckziehen der Schrift zu bestimmen sucht, seine Antwort darauf und die kurze Mitteilung der Fakult\u00e4t von der erfolgten Zur\u00fcckweisung abdrucken lassen. In jenem Briefe wird der experimentellen Psychologie eine relative Berechtigung einger\u00e4umt, insofern sie dazu dienen k\u00f6nne, Bewufstseinsthatsachen bei denen festzustellen,\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nLittevaturbericht.\nwelche sich nicht selbst beobachten k\u00f6nnen. Nun solle aber im Sinne Dw.\u2019s die Psychologie allen andern philosophischen Disciplinen als Grundlage dienen. Damit werde die Erfahrung an Stelle der Philosophie gesetzt, die Vernunfterkenntnis vernichtet, die grofsen Geister, welche die Menschheit erleuchtet haben, heruntergezogen. Eine solche Theorie sei engherzig und intolerant, erkenne nichts an, als sich selbst. Daher m\u00fcsse sie mit allen Mitteln bek\u00e4mpft werden. \u201eLa tol\u00e9rance se mesure \u00e0 la hauteur des principes, \u00e0 la largeur des conceptions.\u201c Geachtet stehe die Philosophie der Universit\u00e4t Br\u00fcssel in der Welt da. Im Namen der Vernunft k\u00e4mpfe sie f\u00fcr die Freiheit und stehe ihren Mann gegen den Klerikalismus. Zu einer solchen Aufgabe reiche die Erfahrung, auf welche sich die Psychologie st\u00fctze, nicht aus; denn diese widerstreite oft der Vernunft. \u201eNous invoquons le libre examen, et le libre examen est un acte de conscience, qui ne peut avoir aucune autorit\u00e9 \u00e0 vos yeux, attendu qu\u2019il n\u2019accepte aucune v\u00e9rification ext\u00e9rieure.\u201c \u2014 Inzwischen ist der \u201ePall Dwelshauvers\u2019\u201c durch die Tagespresse in weitesten Kreisen bekannt geworden.\tG\u00f6tz Martius (Bonn).\nS. Stricker. \u00dcber Gedankenstottern. - Arbeiten aus d. Institute f. allg. u, experiment. Pathologie, Wien. 1890. 8 Seiten.\nIn seinen \u201eStudien \u00fcber die Sprachvorstellungen\u201c (W. Braum\u00fcller. Wien. 1880.) wies Verfasser bereits darauf hin, dafs man hei dem Denken an einen wohlbekannten Vers oder Satz die Empfindung hat, als spr\u00e4che man ihn leise vor sich hin, trotzdem auch die aufmerksamste Selbstbeobachtung der Sprachwerkzeuge keine Bewegung erkennen l\u00e4fst. Die Vorstellung des Lautes M ist mit einem Gef\u00fchl in den Lippen, diejenige von D mit einem solchen an der Zungenspitze verbunden, u. s. w. Das stille Denken ist also aufs engste verkn\u00fcpft mit der Andeutung einer Muskelinnervation, und eben diese \u201eInnervation der entsprechenden Artikulationsmuskeln macht das Wesen der Sprachvorstellung aus.\u201c Sie geht aus vom Sprachcentrum, das selbstverst\u00e4ndlich ein motorisches ist, die Nervencentren der Artikulationsmuskeln enth\u00e4lt, und vom Acusticus oder Opticus aus oder endlich auf dem Wege innerer Beize erregt werden kann. Sind die letzteren nicht stark genug, um das Bild des ihnen entsprechenden Wortes zu wecken, so ist dieses \u201evergessen\u201c. Geringe Grade solcher Aphasie liegen innerhalb der physiologischen Breite. Pathologische Steigerungen derselben machen das Denken in Worten und damit auch die freie Sprache mehr oder weniger unm\u00f6glich. Dabei kann aber die Erregbarkeit durch akustische und optische Beize erhalten sein, d. h. es kann noch die F\u00e4higkeit bestehen, Geh\u00f6rtes oder Gelesenes zu verstehen und also auch nachzusprechen. Andernfalls werden die Worte zwar gesehen und geh\u00f6rt, aber ihr Sinn nicht mehr begriffen. Dieser Lehre zufolge mufs die Aphasie notwendig auch von Agraphie begleitet sein, da ja zum Niederschreiben eines Wortes die Vorstellung desselben Voraussetzung ist. Zu diesen Ausf\u00fchrungen geben nun die im weiteren mitgeteilten Selbstbeobachtungen des Herrn cand. med. J. Trammer interessante Belege, indem sie den innigen Zusammen-","page":132}],"identifier":"lit14365","issued":"1891","language":"de","pages":"130-132","startpages":"130","title":"1. Georges Dwelshauvers: Psychologie de l'apperception et recherches exp\u00e9rimentales sur l'attention, essai de psychologie physologique, 2. Georges Dwelshauvers: Untersuchungen zur Mechanik der aktiven Aufmerksamkeit","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:13:37.969899+00:00"}