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{"created":"2022-01-31T16:11:15.700223+00:00","id":"lit14372","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 139-141","fulltext":[{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"LitleralurberichJ.\n139\ngebracht, und ich glaube fast, mancher, der dort kurzweg zu den Genies gerechnet wird, w\u00fcrde sich sehr wundern, wenn er sich Ln dieser Gesellschaft s\u00e4he. Einen nicht geringen Teil konnte ich seihst mit Hilfe des Konversationslexikons nicht ermitteln. F\u00fcr andere Behauptungen sollte es ihm schwer fallen, stichhaltige Beweise beizubringen ; und w'enn immer wieder C\u00e4sar, Mohammed und Napoleon als Epileptiker ins Feld gef\u00fchrt werden, dann ist man leicht geneigt, auch andere Angaben als nicht \u00fcber alle Zweifel erhaben anzusehen.\nAus diesen Anschauungen heraus m\u00fcssen uns Ausspr\u00fcche wie \u201edas Genie ist eine wirkliche Degenerationspsychose aus der Gruppe des moralischen Irreseins\u201c oder \u201edas Genie h\u00f6rt zu der Familie der Epi-lypsien\u201c etwas sonderbar ber\u00fchren. Denn selbst zugegeben, dafs sich zwischen der Genialit\u00e4t und diesen krankhaften Zust\u00e4nden manche Vergleichungspunkte f\u00e4nden, dafs Temperatur und Klima, Bodenbeschaffenheit und soziale Einfl\u00fcsse auf beide in ziemlich gleicher Weise einwirkten, so ist damit doch keineswegs erwiesen, dafs sie sich deshalb gleich sein oder auch nur n\u00e4her stehen m\u00fcssen, als andere Zust\u00e4nde.\nL\u00e4ge es nicht vielmehr n\u00e4her, in allen diesen Dingen ein gemeinsames Gesetz zu vermuten, dem beide unterliegen, weil beide eben Menschen sind? Und sind nicht am Ende die Ber\u00fchrungspunkte zwischen den Geisteskranken einerseits und den Idioten und Schwachsinnigen andererseits weit inniger und zahlreicher als mit den Genies ? Es wird daher auch fernerhin erlaubt sein, sich an den Sch\u00f6pfungen eines Goethe, Bafael, Mozart u. a. in reiner Freude zu erg\u00f6tzen, ohne uns diese Freude durch den Gedanken tr\u00fcben zu lassen, dafs wir es mit einem geistig Degenerierten aus der Gruppe des moralischen Irreseins und der Epilepsie zu thun haben.\nMit diesen kleinen Ausstellungen kann man das Werk des italienischen Forschers gelten lassen, und aus ihm wie aus allen Arbeiten Lombrosos zahlreiche Anregung und Belehrung sch\u00f6pfen.\tPelman (Bonn).\nR\u00e9gis. Die K\u00f6nigsm\u00f6rder in derGeschichte und der Gegenwart. Medizinischpsychologische Studie. Mit 20 Portraits von K\u00f6nigsm\u00f6rdern. Lyon und Paris. 1890. 97 S.\nR\u00e9gis hat sich der ebenso interessanten wie dankbaren Aufgabe unterzogen, eine bestimmte Klasse von M\u00f6rdern vom anthropologischklinischen Standpunkte aus zum Gegenst\u00e4nde einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen, und er hat sich zu diesem Behufe die K\u00f6nigsm\u00f6rder gew\u00e4hlt. Es ist ihm in dreij\u00e4hriger Arbeit gelungen, sich das Material \u00fcber mehr als 80 derartige Individuen zu verschaffen, wobei er allerdings die Bezeichnung \u201eK\u00f6nigsm\u00f6rder\u201c in dem weiteren Sinne gebraucht, dafs es nicht gerade ein K\u00f6nig zu sein braucht, auf dessen Lehen es abgesehen war. Wir begegnen daher in dieser Gesellschaft auch Namen wie Sand (Kotzebue), Charlotte Corday (Marat), Aubertin, (J. Ferry) u. a. m., die sich weniger hochstehende Pers\u00f6nlichkeiten zu ihren Opfern erkoren hatten, immer aber waren es Personen von einer hervorragenden politischen oder sozialen Stellung, gegen die sich ihre Waffe richtete.\nZun\u00e4chst gilt es hier eine Scheidung zu treffen und die falschen von den wahren K\u00f6nigsm\u00f6rdern zu trennen. Bei einer ganzen Anzahl","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nLitter aturbericht.\nyon Mordversuchen handelt es sich n\u00e4mlich gar nicht um die Absicht, das Opfer zu t\u00f6ten oder auch nur zu verletzen, sie wurden vielmehr lediglich in der Absicht unternommen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Gerichte zu zwingen, sich mit dem Th\u00e4ter zu besch\u00e4ftigen. (Mariotti, Perrin.) Diese Art ist meist geisteskrank. Aber auch von den wahren K\u00f6nigsm\u00f6rdern ist ein Teil offenbar irrsinnig, und die That ist hier eine direkte \u00c4ufserung der krankhaften Geistesth\u00e4tigkeit. So bei Mary Nicholson, Anna Neil, Maclean u. a. m.)\nNach Abzug dieser beiden Klassen bleiben die typischen K\u00f6nigsm\u00f6rder \u00fcbrig, und R\u00e9gis versucht nun, sie unter gemeinsamen Gesichtspunkten zusammenzufassen. Zun\u00e4chst mufs uns die Beobachtung auffallen, dafs wir es hier nicht grade mit Verr\u00fcckten, aber doch auch nicht mit ganz normalen Individuen zu thun haben.\nSie treten samt und sonders aus dem Geleise der gew\u00f6hnlichen Menschen heraus, und zeichnen sich schon fr\u00fch durch verkehrte Ideen und Handlungen aus. Bei den meisten l\u00e4fst sich eine erbliche Anlage zu Geistesst\u00f6rungen nachweisen, womit das Alter \u00fcbereinstimmt, indem sie sich fast alle unter 30 Jahre befinden, also in einer Zeit, wo sich der Einflufs der Erblichkeit am st\u00e4rksten geltend macht.\nDie Grundstimmung bildet der Mystizismus, d. h. die Neigung zu einer exaltierten Auffassung religi\u00f6ser und politischer Gegenst\u00e4nde, daher auch die vorherrschende Idee, eine glorreiche Mission zu erf\u00fcllen. Diese Exaltation erleidet bei einzelnen eine Steigerung bis zu ausgesprochenen Hallucination en, deren Inhalt alsdann immer der Richtung ihres mystischen Vorhabens entspricht, wodurch sich die Stimmung bis zum Fanatismus erhitzen kann. (Ravaillac, J. Clement.)\nAus der gleichen Anschauung heraus beherrscht sie die Idee des M\u00e4rtyrertums. Es kommt daher selten zum Selbstmord, vielmehr gehen sie dem Tode leichten Herzens entgegen und zeigen im Ertragen der Folterqualen oft einen Gleichmut, der sich nur aus einer Art Exstase erkl\u00e4ren l\u00e4fst.\nDie Art der Ausf\u00fchrung ist meist das Messer, die That selber ist vorbedacht und \u00fcberlegt, dagegen nur in den seltensten F\u00e4llen das Ergebnis eines Komplottes (Ankerstrom), das mit diesen Charakteren unvereinbar ist. Wenn daher auch fast jedesmal der Verdacht einer Verschw\u00f6rung angeregt wird, so stehen damit die Ergebnisse der Untersuchung nicht im Einkl\u00e4nge, und selbst bei Ravaillac ist diese Annahme nicht bewiesen und nicht wahrscheinlich.\nIm grofsen und ganzen besteht zwischen fr\u00fcher und jetzt kein grofser Unterschied. Die Art der Pers\u00f6nlichkeiten ist sich im wesentlichen gleich geblieben, nur die Zeit und ihre Anschauungsweise haben gewechselt. Wenn fr\u00fcher die religi\u00f6se \u00dcberspanntheit zum K\u00f6nigsmorde f\u00fchrte, (18 Attentate auf Heinrich IV) und sich die M\u00f6rder jener Zeit ihre Stimmung meist aus der Bibel holten, so sind wir jetzt aufgekl\u00e4rterer Natur. Heutzutage ist es socialistische und politische Verschrobenheit, die dem M\u00f6rder die Waffe in die H\u00e4nde dr\u00fcckt, und an die Stelle der Bibel sind die entsprechenden Brand- und Hetzschriften der modernen Presse getreten.\nIm Grunde aber sind es dieselben Individuen wie damals, die noch","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"IA it\u00e9ra turberich t.\n141\nheute morden, erblich belastete und entartete Menschen, auf die die moderne Bezeichnung der \u201eMinderwertigkeit\u201c Anwendung findet.\nZum Schlufs wirft R\u00e9gis die Frage auf, wohin mit den K\u00f6nigsm\u00f6rdern?\nFr\u00fcher machte man meist kurzen Prozefs mit ihnen; richtete sie hin, oft sogar selbst dann, wenn sie geisteskrank waren (Verger). Das darf nun nach des Verfassers Ansicht nicht mehr geschehen, da sie nur zum Verbrecher werden, weil sie geisteskrank sind. Ist dieses letztere ohne weiteres klar, so geh\u00f6ren sie in die Irrenanstalt, im anderen Falle in Verbrecher-Asyle, niemals aber auf das Schaffot.\nUns scheint es, als ob das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen sei. R\u00e9gis liefert uns in seiner Arbeit ein dankenswertes Material, so klar und unumst\u00f6fslich aber, wie er sie annimmt, so glatt wie er sie ausf\u00fchrt, sind seine Beweise noch lange nicht, und wenn die Annahme einer Minderwertigkeit auch f\u00fcr die meisten der hier in Frage kommenden Pers\u00f6nlichkeiten zutreffend sein d\u00fcrfte, so wird sich dieser Nachweis f\u00fcr andere kaum erbringen lassen.\nMotive, die uns unverst\u00e4ndlich sind,sind deshalb noch nicht krankhaft, und ebenso wenig ist eine Handlung als die That eines Unzurechnungsf\u00e4higen aufzufassen, weil sie sich unserem Fassungsverm\u00f6gen entzieht. Immerhin aber wird man sich bei derartigen Verbrechern der vorstehenden Er\u00f6rterungen erinnern und sie in das Bereich der Erw\u00e4gungen einzuziehen haben, um zu einem richtigen Verst\u00e4ndnisse von That und Th\u00e4ter zu gelangen.\tPelman (Bonn).\nG. Tarde. Les lois de limitation. Etude sociologique. Paris, 1890. Alcan. 432 S.\nEin gedankenreiches und anregendes Buch, das f\u00fcr die soziale Psychologie sehr bemerkenswerte Fingerzeige giebt. Der Verfasser teilt das gesamte Material der Geschichte in zwei Gruppen : in die Summe der originellen und sch\u00f6pferischen Thaten und Normgebungen und in die Wiederholungen derselben in dem sozialen Kreise, welcher durch diese Wiederholungen seinen specifischen Inhalt und seine Lebensformen erh\u00e4lt. W\u00e4hrend die ersten nun auf Grund ihres individuellen Charakters nicht das Objekt einer eigentlichen Wissenschaft sein k\u00f6nnen, da diese immer Regelm\u00e4fsigkeiten braucht, um auf sie Gesetze zu gr\u00fcnden, folgt die Verbreitung eingetretener Impulse, die Nachahmung gegebener Muster durch eine grofse Anzahl von Mitgliedern der Gruppe ganz bestimmten Gesetzen ; verm\u00f6ge der unendlichen H\u00e4ufigkeit, mit der wir die soziale Nachahmung eintreten sehen, bietet sie uns das Material zu einer wissenschaftlichen Induktion. In sehr interessanter Weise wird ausgef\u00fchrt, dafs die Nachahmung eine Art hypnotischer Suggestion sei, dafs der Einzelne innerhalb der Gruppe sich willenlos den Interessen, Trieben, Anschauungs- und Handlungsweisen erg\u00e4be, die irgendwie Macht gewonnen haben : L\u2019\u00e9tat social comme l\u2019\u00e9tat hypnotique n\u2019est qu\u2019une forme du r\u00eave, un r\u00eave de commande et un r\u00eave en action. N\u2019avoir que des id\u00e9es sugg\u00e9r\u00e9es et les croire spontan\u00e9es : telle est l\u2019illusion propre au somnambule et aussi bien \u00e0 l\u2019homme social. \u2014 Penser spontan\u00e9ment est toujours plus fatigant que penser par autrui. Aussi, toutes les fois qu\u2019un homme vit dans un milieu anim\u00e9, dans une soci\u00e9t\u00e9 intense et vari\u00e9e, qui lui","page":141}],"identifier":"lit14372","issued":"1891","language":"de","pages":"139-141","startpages":"139","title":"R\u00e9gis: Die K\u00f6nigsm\u00f6rder in der Geschichte und der Gegenwart, Medizinisch-psychologische Studie. Mit 20 Portraits von K\u00f6nigsm\u00f6rdern. Lyon und Paris, 1890, 97 S.","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:11:15.700228+00:00"}