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{"created":"2022-01-31T16:10:54.632355+00:00","id":"lit14435","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Rehmke, J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 313-315","fulltext":[{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Li it\u00e9ra turbericht.\n313\nYon den 15 Kapiteln, auf welche Verfasser seinen Stoff verteilt hat, sind es das 6. bis 11., welche Referent besonders hervorheben m\u00f6chte: Verfasser behandelt hier die Fragen der Substitution und Traummetamorphose, der Assoziationsverh\u00e4ltnisse und ihrer Beziehungen zum Traum sowie das Problem des Ich und seine Stellung in allen diesen Vorg\u00e4ngen.\nDas Buch w\u00fcrde an Wert gewonnen haben, wenn Verfasser einzelne Begriffe, ohne welche die in Frage stehende Materie gar nicht bearbeitet werden kann, genauer untersucht und festgestellt h\u00e4tte; er operiert mit den Begriffen: Bewufstsein, Vorstellung, Gef\u00fchl, ohne sich mit ihnen auseinandergesetzt zu haben; das Verh\u00e4ltnis von Bewufstsein und Selbst-bewufstsein, von Vorstellung und Gef\u00fchl, das Verh\u00e4ltnis ferner, in welchem diese beiden letzteren Faktoren zum Bewufstsein stehen, sowie das Verh\u00e4ltnis zwischen Gef\u00fchl und Empfindung \u2014 alles das h\u00e4tte genauer ausgef\u00fchrt werden d\u00fcrfen. Die schwankende Bedeutung dieser Termini in der gegenw\u00e4rtigen Entwickelungsperiode unserer Wissenschaft macht eine solche prinzipielle Voruntersuchung und Fixierung notwendig.\nAus diesem Mangel scheint sich denn auch die bilderreiche Ausdrucksweise zu erkl\u00e4ren, welche Verfasser gelegentlich gew\u00e4hlt hat; nicht ganz selten treffen wir auf eine Deskription, wo doch eine Deduktion mit Recht erwartet wird. Vergl. u. A. S. 6, 9, 11, 13, 14, 38, 60, 199. Im \u00dcbrigen ist das an feinen Beobachtungen reiche Buch sehr wohl geeignet, das Interesse an den Problemen der Schlaf- und Traumzust\u00e4nde zu beleben und zu neuen Forschungen anzuregen. Heinrich Spitta (T\u00fcbingen).\nG. F. Stout. \u201eThe genesis of the cognition of physical reality.\u201c Mind. XV (1890), S. 22-45.\nWir sprechen von physischer Realit\u00e4t, d. i. einem unabh\u00e4ngig von unserem individuellen Bewufstsein existierenden Physischen. Welchen wissenschaftlichen Wert diese Behauptung habe, will der Verfasser nicht untersuchen; ihm ist es nur darum zu thun, den psychologischen Prozefs aufzufinden, welcher zwingend zu solcher Meinung und Behauptung f\u00fchre.\nNicht die Sinnwahrnehmung bietet schon physisches Wirkliches, sagt der Verfasser, denn sie ist eine psychische, d. i. von individuellem Bewufstsein abh\u00e4ngige Thatsache ; aber sie ist andrerseits doch der Grund und Boden, von dem aus wir uns zu jener Meinung von physischem Wirklichen emporschwingen. Verkehrt w\u00e4re es auch, diese Meinung hervorgehen zu lassen aus der festen, von unserem W\u00fcnschen und Wollen unabh\u00e4ngigen Ordnung der Sinnwahrnehmung, weil die Sinnwahrnehmung selber doch nichts anderes als psychische und keine physische Thatsache ist. Die Sinnwahrnehmungen selbst und deren Ordnung k\u00f6nnen uns also nicht Wissen von Dingen und Ereignissen, die nach Zeit, Ort und Umst\u00e4nden mit ihrer Existenz aufserhalb unseres individuellen Bewufstseins fallen, physisches Wirkliches sind, geben.\nDieses Wissen f\u00fchrt uns offenbar \u00fcber die Sinnwahrnehmung hinaus, es kann daher auch seine Quellen nicht haben in der Gleichf\u00f6rmigkeit der Verkn\u00fcpfung des Wahrgenommenen, ja die Regelm\u00e4fsigkeit solcher Verbindung w\u00fcrde, wenn sie eine ausnahmslose w\u00e4re, einer Unterscheidung","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"814\nLitteraturbericht.\nvon physischer und psychischer Welt, von ordo ad Universum und ordo ad nos eher hinderlich als f\u00f6rderlich sein. Erst der Wechsel von Regelm\u00e4fsigkeit und Unregelm\u00e4fsigkeit in unserer sinnlichen Erfahrung, von Zusammenhang und Widerstreit der Wahrnehmungen macht die Unterscheidung m\u00f6glich.\nDie teilweise Gleichf\u00f6rmigkeit und teilweise Ungleichf\u00f6rmigkeit in der Verkn\u00fcpfung des Wahrnehmungsinhaltes bringt uns zun\u00e4chst den Mangel an Zusammenhang in unserer Erfahrung zum Bewufstsein, weil ein Widerstreit der Vorstellungen besteht. Ich sitze z. B. in meinem Zimmer vertieft in meine Arbeit, pl\u00f6tzlich werde ich gest\u00f6rt durch eine Drehorgel auf der Strafse. Solcher Widerstreit findet sich in jedem Augenblick unseres Bewufstseinslehens, da dieses immer bestimmt ist durch innere und \u00e4ufsere Bedingungen, durch Bewufstseinsth\u00e4tigkeit und physische Reize; freilich kommt dieser Gegensatz erst zu klarem Bewufstsein, wenn etwa ein kr\u00e4ftiges Begehren gehemmt oder die Aufmerksamkeit pl\u00f6tzlich gewaltsam abgelenkt wird von dem eingeschlagenen Wege durch entgegentretende Wahrnehmungen. Die so bewufst gewordene Zusammenhangslosigkeit innerhalb der eigenen Erfahrung sucht nun die Seele zu erkl\u00e4ren und damit wieder aufzuheben. Indem sie sich der Grenzen ihrer eigenen Th\u00e4tigkeit bewufst wird, ist sie zugleich gezwungen diese Begrenzung zu erkl\u00e4ren, und sie vermag es nur durch das Setzen einer Existenz, welche jenseits ihrer individuellen Erfahrung liegt. Der Gegensatz von psychischer Aktivit\u00e4t und Passivit\u00e4t, sobald er klar hervortritt, zwingt uns ein Th\u00e4tiges anzunehmen, das unabh\u00e4ngig von unserem Bewufstseinsleben existiere. Dieser Gegensatz tritt vor allem hervor bei unserer Willensth\u00e4tigkeit. Wenn wir sehen, dafs gewisse Ver\u00e4nderungen in der individuellen Bewufstseinswelt das eine Mal auf unsere Willensth\u00e4tigkeit folgen, das andere Mal dagegen ohne diese auftreten, so sind wir, um unsere Erfahrung in Einklang mit sich selbst zu bringen gen\u00f6tigt im zweiten Fall ein Etwas zu setzen, das \u00e4hnlich, wie wir im ersten Fall, die Ursache der her egten Ver\u00e4nderungen sei. Ferner tritt es besonders klar hervor bei all den Erfahrungen des Widerstandes oder der Willenshemmung: wenn ein Kind hundert mal und mehr eine Bewegung ausgef\u00fchrt hat, und nun wiederum diese Bewegung ausf\u00fchren will, w\u00e4hrend gerade ein Gegenstand Widerstand leistet, so entsteht eine stark empfundene Zusammenhangslosigkeit in seiner Erfahrung, die es nur erkl\u00e4ren und damit auch beseitigen kann, dafs es ein Anderes, als es selbst ist, setzt, welches sich bem\u00fcht ihm entgegenzuwirken. So steht ihm ein Nicht-Ich da, welches sich ver\u00e4ndert oder gleichbleibt unabh\u00e4ngig von seiner eigenen Willensth\u00e4tigkeit. Eine Ver\u00e4nderung unserer Wahrnehmung, welche von unserer Willenshandlung abh\u00e4ngt, kann nun nicht als Ver\u00e4nderung dieses Nicht-Ich angesehen werden: wenn wir das Auge schliefsen und uns demnach ein bisher wahrgenommener Gegenstand verschwunden ist, so ist dieses Verschwinden nur f\u00fcr unsere Wahrnehmung, nicht f\u00fcr den Gegenstand selbst g\u00fcltig. Und ebenso, wenn das von uns unabh\u00e4ngige Bestehen des Gegenstandes sich gerade erst durch sein Widerstehen offenbart, so kann er nicht vorgestellt werden als etwas, das entst\u00e4nde","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n315\nund verginge, wenn seine Wahrnehmung auftritt und verschwindet. Wir konstruieren ihm daher aus dem Zwang der psychischen Thatsachen heraus ein Bestehen auch in der Zeit, in welcher wir seihst ihn nicht wahrgenommen haben.\nAus diesem Zwang beantwortet sich auch die Frage, wie es komme, dafs z. B. die zeitliche Reihe von Tastwahrnehmungen, wenn ich mit der Hand \u00fcber ein Ding hinstreiche, notwendig die Vorstellung eines r\u00e4umlichen Zusammens des Getasteten bedinge? Wir sehen uns ja gen\u00f6tigt, Dinge, die unsere Willensbewegung hemmen, als unabh\u00e4ngig von uns bestehende anzunehmen; streichen wir nun mit der Hand \u00fcber einen K\u00f6rper, so sind wir gen\u00f6tigt, die sich nacheinander bietenden Teile der uns hemmenden Oberfl\u00e4che auch dann noch als weiter bestehend anzunehmen, wenn wir sie nicht mehr tasten, wie sie ja auch bestanden, als wir sie wahrnahmen: d. h.: sie m\u00fcssen f\u00fcr zusammenbestehende Teile eines Raumganzen angesehen werden. Diese Auffassung wird durch ein wichtiges negatives Moment noch gest\u00fctzt, und die Erfahrung von einer bestimmten gleichf\u00f6rmigen Abh\u00e4ngigkeit der Wahrnehmungsfolge von unseren Bewegungen l\u00e4fst dasselbe hervortreten. Z. B. so oft wir in einer gegebenen Richtung die Hand \u00fcber ein Ding hinstreichen lassen, haben wir eine bestimmte Reihe von Tastwahrnehmungen in bestimmter Ordnung; so oft wir in entgegengesetzter Richtung die Hand bewegen, haben wir dieselbe Reihe in umgekehrter Ordnung, Da nun, wie wir wissen, die Ver\u00e4nderung in derjenigen Wahrnehmung, welche gleichf\u00f6rmig unserer Willensth\u00e4tigkeit folgt, auf diese zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, und nicht auf das Nicht-Ich, so kann uns hier nichts bestimmen, zu meinen, die zeitliche Folge in der Wahrnehmung der Teile schl\u00f6sse die zeitliche Folge der Teile selbst in sich, wir k\u00f6nnen letztere vielmehr ungehindert als zusammenbestehend annehmen. Wenn wir hei T\u00f6nen ein solches Zusammenbestehen nicht annehmen, so kommt dies daher, weil in unserer unmittelbaren Erfahrung sich nichts findet, was uns bestimmte, sie auch dann, wenn wir sie nicht \u00ab'ahrnehmen, als bestehend vorzustellen,\nSo weit der Verfasser. Ich kann auch diesen Ausf\u00fchrungen gegen\u00fcber nur wieder bemerken, was ich Dilthey (s. diese Zeitschrift Bd. 2, Heftl\u20142) entgegengehalten habe: sie m\u00f6gen ihre Geltung haben, wo es sich darum handelt, festzustellen, ob ein bestimmtes Gegebenes zum physischen Wirklichen geh\u00f6re oder nicht, aber the cognition of physical reality setzen sie schon immer voraus, ohne diese Voraussetzung h\u00e4tten sie keinen Boden.\nDie in England ja besonders beliebten Versuche, ,,die Realit\u00e4t der Aufsenwelt\u201c psychologisch aufzuhauen, erinnern allesamt an das Blindekuhspiel, nur mit der Aenderung, dafs man es mit sich seihst spielt. Daher haben alle diese Versuche keinen wissenschaftlichen Wert, und wer ohne die heimliche Voraussetzung der \u00e4ufseren Wirklichkeit sich zun\u00e4chst allein auf die ,,innere Erfahrung\u201c, auf die ,,Thatsachen des Bewufstseins\u201c stellt, wird es niemals ohne Erschleichung fertig bringen, \u201esich von ihnen aus einen Weg entgegen der \u00e4ufseren Wirklichkeit zu bahnen.\u201c Der ganze \u201esubjektive\u201c psychologische Ansatz zur Erkl\u00e4rung der physischen Realit\u00e4t ist ein v\u00f6llig irriger. J. Rehmke (Greifswald),","page":315}],"identifier":"lit14435","issued":"1891","language":"de","pages":"313-315","startpages":"313","title":"G. F. Stout: \"The genesis of the cognition of physical reality\". Mind. XV, 1890, S. 22-45","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:10:54.632360+00:00"}