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{"created":"2022-01-31T17:04:11.779506+00:00","id":"lit14601","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Naegele, F. C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 5: 136-140","fulltext":[{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"436\nXI.\nEefchreibung eines Falles von Zwitterbildung bei einem Zwillingspaar. Eingefandt vom Hofr. und Prof. D. F. C. Naegele, zu Heidei berg.\nUnter 9S2 jungen M\u00e4nnern, die in Betreff der Tauglichkeit zum Jvriegsdienfte unterfucht worden lind, befanden fich drei, welche wegen Bildungsfehler Anlafs zu Gefchlechtsverwechslung bis zuin erwachsenen Alter gegeben haben, und unter dielen drei Subjecten waren Zwillinge, deren Befchreibuiig der Km fender fo-wohl des lntereffe wegen, welches diele Gattung regelwidriger Bildung \u00fcberhaupt f\u00fcr den Naturforfcher hat, als und zwar vorz\u00fcglich darum der \u00f6ffentlichen Mittheilung werth h\u00e4lt, weil fie Zwillinge betrifft, und weil the Bildungsfehler bei beiden \u00fcberaus grofse Aehn-lichkeit mit einander haben, wovon, fo viel dem Ein-fender bekannt ift, fich noch kein Beifpiel aufgezeichnet findet. Noch wird bemerkt, dal's die hier folgende Befchreibuiig, welche man ohne alle Ver\u00e4nderung mittheilt, und welche von einem talentvollen, ge-fchickten Arzte herr\u00fchrt, nicht, zum Druck beftirnmt war, fondern zmn Zwecke eines amtlichen Berichtes verfafst wurde,\n\u201eIn der Gemeinde II * * befinden fich zwei Individuen , ein Zwillingspaar, Kinder des verdorbenen A. L. Maurer, und der noch lebenden Ehefrau G. 0., welche den 31. Aoguft 1794 zur Welt, kamen, bei ihrer Geburt f\u00fcr M\u00e4dchen erkannt wurden, und weibliche Namen, das eine den Namen Katharina, das andere tien Namen Anna Maria erhielten. Mit den fort-r\u00fcckenden Jahren bemerkte man an denfelben eher m\u00e4nnliche als weibliche Neigungen , fie. legten tleswe-","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"137\ngen aus eigenem Antriebe im fiebenzehnten Jahre ihres Lebens auch m\u00e4nnliche Kleidung an, und vertaufcb-ten ihre bisherigen weiblichen Namen, die bisherige Katharina nannte lieh n\u00e4mlich Karl, und die Anna Maria feitdem Michael. Das eine cliefer Individuen erlernte das Maurerhandwerk, und das andere ern\u00e4hrt lieh als Tagl\u00f6hner. Diele eigenm\u00e4chtige Namensver\u00e4nderung veranlafste eine gerichtlich medicinifche Untcr-fuchung, deren Refultat folgendes war : Zuerl': wurde Katharina, jetzt Karl, unterfucht. Das \u00e4ulsere Aufo-lien zeigt einen jungen Mann von mittlerer Gr\u00f6fse und Fobultem K\u00f6rperbau, die Stimme ift rauh und m\u00e4nnlich und das Kinn mit Haaren bewachen, wie es bei dem m\u00e4nnlichen Gelchlechte in diefem Alter zu fevn pflegt. Die Unterfuchung der Gefchlechtstheile zeigt folgendes. Ein Hodenfack ift vorhanden, aber in zwei befondere, neben einander liegende, und durch eine tiefe Furche gefchiedene S\u00e4cke getheilt, welche \u00fcbrigens vollkommen die Bildung haben, wie die beiden H\u00e4lften eines normal gebauten Organs der Art. Jeder Sack entla dt einen volllt\u00e4ndigeij Hoden mit Nebenhoden und Samenftrang von ganz regehn\u00e4fsjgem Baue. Eine m\u00e4nnliche Ruthe befindet fielt an dem untern Theile der Vereinigung der Schambeine, wie fin Nor-malzuftande, fie ift aber febr kurz und fcheiut zwilchen die beiden S\u00e4cke der Hoden zur\u00fcckgezogen. Die Vorhaut ift ebenfalls fehr kurz, bedeckt die Eichel nicht, und umgiebt diefelbe nur oben und an beiden Seiten, nach unten ift diefelbe gleichfalls verwifcht und in die Haut der oben angegebenen Furche ver-ftrichen. An der Spitze hat die Eichel keine Oeff-nung, An der Stelle, wo diele fielt finden f\u00fcllte, f\u00e4ngt eine Rinne an, welche dadurch entbanden ift dafs die Harnr\u00f6hre in einer L\u00e4nge von etwa zwei Zollen auigeielditzt iit, oder vielmehr, dafs in diefer","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nStrecke die \u00e4ufsere H\u00e4lfte des die Harnr\u00f6hre bildenden Kanals fehlt. Die Rinne l\u00e4uft in der Richtung des hier ebenfalls fehlenden B\u00e4ndchens der Vorhaut gegen das Mittelfieifcli, und, wie gef\u00fcgt, ungef\u00e4hr zwei Zoll lang fort, und da, wo fie lieh endist, ift die Harnr\u00f6hre nat\u00fcrlich gebildet, und fieht mit einer runden M\u00fcndung offen; dies mag etwa einen Zoll unter der Vereinigung der Schambeine Statt haben. Bei dem Uriniren mufs lieh der Harrt zwilchen den beiden S\u00e4cken der Hoden durchprcffen, wie hei dem weiblichen Gefehlechte zwilchen den Scbarniipnen. Die eben befchriebene Rinne, weiche den vordem Theil der Harnr\u00f6hre vorftellt, ift zu beiden Seiten mit einem erhabenen Rande eingefafst, der in der Gegend, wo fielt das R\u00e4ndelten der Vorhaut befinden- feilte, etwas ft raff ungezogen ift, fo dafs durch diele Spannung die Eichel naoU unten und hinten lurabgezogert wird, und fielt nicht in gerader Richtung mit der Ruthe bringen Kifst, wenn man lie in die H\u00f6he hebt. Zieht inan die beiden S\u00e4cke der Hoden weiter auseinander, fo bemerkt man , dafs die durch das Zulammenfciihnfsett derfclben bewirkte grofse Furche mit einer fuhr zarten gegl\u00e4tteten, etwas r\u00f6thern Haut ausgekieidet ift, gerade wie der Raum zwilchen eien grofsen Schamlippen tier weiblichen Geichlechtstheile, wenn diele auseinander geltracht wer len. In diefer Lage haben wirklich die Gofchlechtsiheile der unter luchten Perfon ungemein viel Aehniichkeit mit einer vulva, und man bemerkt deutlich, dais die Natur bei Bildung dieier Organe ira Begriffe war, ein weibliches Gefchieebtsorgan zugleich Itinzubilden , was aber auf Koften der Ausbildung des m\u00e4nnlichen geicltabe1 ). Ute grofse Aehniichkeit wird\ni) Da lieh keine Spur von Mehr fach werden findet, fo darf man wohl aus der \u00dfpfehreibnng nur folgern, dafs die m\u00e4nnlichen \u00e4nlserii Zengnngsthei.e auf dev fr\u00fchem Bildungsftufe heliarrti u , und daher weiblich blieben.\nIf.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"139\nnoch dadurch vermehrt, dafs zwei Hati(falten, weiche Zur Seite der Eichel entfpringen, auf der gegl\u00e4tteten Haut fchief herabiteigen, und fich nach unten erweitern, ganz die Lage und Form haben, wie die inncrn Schamlippen eines Frauenzimmers, welches noch nicht geboren uncl noch nicht oft den Beifchlaf gepflogen hat, dann durch die Lage tier Oeflnung der Harnr\u00f6hre, welche ungef\u00e4hr an der feilten Stelle wie bei dem weiblichen Gefchlecht Statt findet. Der Schamberg und die Sache der Hoden find, wie gew\u00f6hnlich bei dem m\u00e4nnlichen Gefchlecht, mit Haaren bewachten. Auf die Frage \u00fcber den Gefchlechtstrieh erkl\u00e4rte die unterluchte Perfon, fie f\u00fchle Neigung z\u00fcrn weiblichen Geichlechte, und habe fchon h\u00e4ufig n\u00e4chtliche Samen-ergjefsungeu gehabt. \u2014 Manu, ;etzt fcirhael, wurde nach (liefern unterfucht. Diefer Menfcli hat mit dem andern Zwillinge auffallende Aehnlichkeit; K\u00f6rperbau, Gr\u00fcfse, Stimme und Bart, find ganz diefklben, und bei der Unterfucbung der Gefchleclrtstheile fand fich auch, dafs der Bau clerfelben bis auf einige kleine Abweichungen g\u00e4nzlich iibemnftirnmt; eine gewifs h\u00f6chft leltene und merkw\u00fcrdige Erl'cheinung, Ein Hodenfack ift eben fo vorhanden, und eben fo in zwei abgefonclerte S\u00e4cke getheilt ; Hoden , Nebenhoden und Samenftrang find, fo wie die m\u00e4nnliche Ruthe, die Eichel und die Vorhaut genau fo gebildet; die Harnr\u00f6hre ift eben fo aufgcfpalfen, und ihre nat\u00fcrliche Bildung mit der runden M\u00fcndung f\u00e4ngt an clerfelben Stelle an. Entfernt man die beiden S\u00e4cke der Hoden von einander, fo findet lieb dieieibe Aehnlichkeit rnit einer vulva, der Raum zwifchen beiden ift mit clerfelben zarten Haut ausgekieidet, nur fehlt hier die Hautfalte, welche die inncrn Schamlippen eines Weibes d\u00fcrfte! lt, g\u00e4nzlich, und nach unten h\u00e4ngen beide S\u00e4cke der Hoden durch eine lchlafte n\u00fctzliche Haut etwas","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nzufammen, fo dafs, wenn man die beiden S\u00e4cke aus-einander bringt, lieh diefe Haut anfpannt, unr! dadurch am Ende derbreiten Furche eine Grube veranl\u00e4sst. Dadurch entfteht eine Aehnlichkeit mit dem Schamb\u00e4nd-chen, und der hinter demfelben befindlichen Grube der weiblichen Gefchleditstheile. Auch diefe Perfon f\u00fchlt Neigung zum weiblichen Gefchlechte, und hat h\u00e4ufig n\u00e4chtliche Samenergiefsungen gehabt. Aus der oben gegebenen Befchreihung der Gefchlechtstheile :lie-fes Zwillingspaares l\u00e4i'-l fielt erkl\u00e4ren , warum daffelbe bei der Geburt f\u00fcr M\u00e4dchen gehalten wurde. Bei neugehornen M\u00e4dchen ift die Clitoris gew\u00f6hnlich ver-' \\i\u00e4\\ttnl\">matsig teW grots, chm kie inen Penis hielt man f\u00fcr eine grofse Clitoris, und die beiden S\u00e4cke der Hoden fahe man f\u00fcr die grofsen Schamlippen an, um fo mehr, da die Hoden bei neugehornen Knaben noch fehr klein, und wenig bemerkbar, auch oft noch im Unterleibe und gar nicht im Hodenfack enthalten find. Die M\u00fcndung der Harnr\u00f6hre an der Stelle, wo fie bei dem weiblichen Gefchlechte befindlich ift, vermehrte die T\u00e4tifchung. Aus der obigen Befchreihung erhellet aber weiter, dafs beide Zwillinge wirklich M\u00e4nner find, an welchen nur die m\u00e4nnliche Rutha mifsbildet ift. Sie befitzen vollst\u00e4ndige Hoden und .len ganzen Apparat zur m\u00e4nnlichen Samenerzeugung.1'","page":140}],"identifier":"lit14601","issued":"1819","language":"de","pages":"136-140","startpages":"136","title":"Beschreibung eines Falles von Zwitterbildung bei einem Zwillingspaar","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:04:11.779512+00:00"}