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{"created":"2022-01-31T17:04:07.213145+00:00","id":"lit14606","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Peretti","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 416-419","fulltext":[{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416\nLitteraiurbcricht.\nBeferent m\u00f6chte diese Erkl\u00e4rung gern noch etwas anders pr\u00e4cisiert sehen. Bei der Erzeugung! der Schrift sind zwei dirigierende Faktoren zu unterscheiden: die optische Vorstellung der Schriftzeichen und die mit den Schreibbewegungen einhergehenden Bewegungsempfindungen. Bei der linksh\u00e4ndigen Spiegelschrift sind die Bewegungsempfindungen entsprechend der rechtsh\u00e4ndigen Normalschrift, die Schriftzeichen dagegen entsprechen nicht den optischen Vorstellungen. Die Innervationsfolge rollt sich hierbei unter dem Einflufs der Bewegungsempfindungen ab und erscheint abgel\u00f6st von dem dirigierenden Einflufs der optischen Vorstellungen. Letztere, welche zugleich den Sinn rmd Begriff der Schriftzeichen vermitteln, stellen im allgemeinen und bei normalen intelligenten Menschen das haupts\u00e4chlich leitende Moment dar; das Ablaufen der Innervationsfolge lediglich nach Mafsgabe der Bewegungsempfindungen repr\u00e4sentiert eine niedrigere, rein mechanische Th\u00e4tigkeit, das, was Verfassser als \u201etrieblichen Willen\u201c bezeichnet.\nDie Ausf\u00fchrlichkeit des Berichtes m\u00f6ge mit dem hohen Interesse der Sache und dem Umstande entschuldigt werden, dafs die Schrift des Verfassers an einer schwer zug\u00e4nglichen Stelle erschienen ist. Es w\u00e4re sehr w\u00fcnschenswert, dafs sie noch eine besondere Ausgabe erf\u00fchre.\nGoldscheidep. (Berlin).\nMeynert. Klinische Vorlesungen \u00fcber Psychiatrie auf wissenschaftlichen Grundlagen. Wien. Braum\u00fcller, 1890. 304 S.\nMeynert hat seine Vorlesungen aus dem Sommersemester 1889 einem weiteren Kreise zug\u00e4nglich gemacht, und in diesen Kreis will er nicht nur Studierende und Arzte, sondern auch Juristen und Psychologen einrechnen. In der That findet auch gerade der Letztere in Meynerts Buch viele Auseinandersetzungen \u00fcber den Gehirnmechanismus, die des n\u00e4heren Eingehens wert sind, zumal M. die Psychiatrie als die Lehre von den Erkrankungen des Vorderhirns in seinen Verbindungen auffafst und die wissenschaftlichen Grundlagen der Psychiatrie aus der feineren Anatomie und den Nutritions-Vorg\u00e4ngen herleitet.\nDie Vorlesungen verlangen und verdienen ein genaues Studium, ein Keferat mufs sich auf Hervorheben von einzelnen Punkten beschr\u00e4nken, wie dies auch bei Besprechung der Amentia, einem vorher schon in den Jahrb\u00fcchern f\u00fcr Psychiatrie ver\u00f6ffentlichten Abschnitt aus den Vorlesungen geschehen ist (diese Zeitschrift, Bd. I. p. 227.).\nAufser \u00fcber Amentia enth\u00e4lt das vorliegende Buch Vorlesungen \u00fcber Melancholie, Manie, Paranoia, Paralysis universalis progressiva, sekund\u00e4re Geistesst\u00f6rung, erworbenen Bl\u00f6dsinn durch Herd-Erkrankungen und \u00fcber angeborenen Bl\u00f6dsinn (Idiotismus und Imbecillit\u00e4t.)\nDen Arzt und Juristen werden in erster Linie die klar geschilderten Krankheitsbilder, illustriert durchinstruktive Krankengeschichten, fesseln, w\u00e4hrend den Psychologen mehr die Erkl\u00e4rung der Vorg\u00e4nge im Gehirn interessieren wird.\nIn letzterer Beziehung m\u00f6gen an dieser Stelle die Erscheinungen der heiteren und der traurigen Verstimmung bei der Manie und der Melan-","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n417\ncholie hervorgehoben werden, die sich dann in der Krankheitsform der zirkul\u00e4ren Geistesst\u00f6rung verbinden.\nManie und Melancholie geh\u00f6ren zu denjenigen Vorderhirn-Erkrankungen, bei welchen eine anatomische Grundlage wohl nicht ganz auszuschliefsen ist, die aber doch bis jetzt noch zu den Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen des Vorderhirns gerechnet werden und deren Symptomenbild sich auch mit einem Erkrankungs-Mechanismus ohne anatomische Ver\u00e4nderungen deckt.\nManie und Melancholie sind nach M. pathologische F\u00e4lle von H\u00f6he und Mangel der \u201efunktionellen Hyper\u00e4mie\u201c, die eine Hemmungswirkung des Vorderhirns ist. Die Hirnrinde dient n\u00e4mlich zwei Leistungen, der kortikalen Assoziation (Gedankenbildung, Bewegungsimpuls) und der Arterien-Verengerung; ist die eine dieser Leistungen gr\u00f6fser, so wird die andere kleiner, und demnach f\u00fchrt die Funktion, welche einer h\u00f6heren Assoziationsleistung entspricht, Hyper\u00e4mie als eine Hemmungserscheinung der Gef\u00e4fsinnervation mit sich. Der durch diese funktionelle Hyper\u00e4mie herbeigef\u00fchrte ver\u00e4nderte Ern\u00e4hrungszustand der Kindenzellen wird von diesen wahrgenommen, und zwar als ein Gl\u00fccksgef\u00fchl, welches auch schon physiologisch die kortikale Funktion, die geistige Arbeit begleitet (apno\u00ebtische Atmungsphase der Kindenzellen). Umgekehrt wird bei Verringerung der Assoziationsleistung die zweite Leistung der Rinde, die Gef\u00e4fsinnervation gr\u00f6fser, die Verengerung der Arterien nimmt zu und der Mangel der funktionellen Hyper\u00e4mie wird von den Rindenzellen als gebundene und traurige Stimmung empfunden (dyspnoetische Atmungsphase). Weil nun infolge von vasomotorischen St\u00f6rungen \u201ebei der Melancholie die Arterien eng sind, weil die Leistung des Kortex als Gef\u00e4fscentrum grofs ist, wird die Assoziationsleistung und die der Bewegungsimpulse klein, und weil bei der Manie durch eine vasomotorische St\u00f6rung die Gef\u00e4fsinnervation klein ist, wird die Leistung des Assoziationsspieles und der motorischen Rindenimpulse grofs durch ein Zerrbild funktioneller Hyper\u00e4mie.\u201c\nDie Vereinigung von melancholischen und maniakalischen Krankheitsstadien zu dem Bilde der zirkul\u00e4ren Geistesst\u00f6rung erkl\u00e4rt sich nach M. nun in folgender Weise: Wenn auf Grund von (oft als Ursache genannter St\u00f6rung vorkommenden) allgemeinem Blutmangel das ganze Gehirn, also auch das Gef\u00e4fscentrum in Hirnschenkel, Pons und Medulla oblong, blutarm ist, so wird die Leistung der letzteren, die Arterien-Verengerung, nat\u00fcrlich abnehmen, die arterielle Erweiterung wird wie funktionelle Hyper\u00e4mie wirken, erleichterte Ausl\u00f6sung von Gedanken und Bewegungen anregen und so die Erscheinung des Gl\u00fccksgef\u00fchls, der Manie herbeif\u00fchren. Die Erweiterung vollzieht sich aber auch in den Arterien des Gef\u00e4fscentrums selbst, und dessen Leistung wird wie durch funktionelle Hyper\u00e4mie wiederhergestellt. Die Manie erscheint geheilt. Ein \u00fcber das Mittelmafs gehende Arterienweite im Gef\u00e4fscentrum f\u00fchrt aber auch noch zu einem \u00dcberreiz, der dann eine \u00dcberleistung des Gef\u00e4fscentrums, eine anomale Verengerung der Arterien hervorbringt, und so folgt dann die \u201edyspnoetische Atmungsphase\u201c der Rindenzellen, die traurige Verstimmung, das Gebundensein der\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IT.\t28","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418\nLi tteralurberic/i t.\nAssoziationen, d. h. die Melancholie mit ihrem Kleinheitswahn. Dieser \u00dcberreizung des G-ef\u00e4fscentrums mufs dessen Ersch\u00f6pfung folgen, die dann zu einem Durchgangsstadium normaler arterieller Ern\u00e4hrung der Hirnrinde, also einem zweiten Stadium der Heilung in dem zirkul\u00e4ren viergliedrigen Turnus f\u00fchrt. Weil aber bei dem Mangel eines dauernden Gleichgewichtes in der Gef\u00e4fsinnervation die Erm\u00fcdung der arteriellen Muskulatur \u00fcber die Normalweite des arteriellen Strombettes hinaus eine zweite anomale Durchflutung der Hemisph\u00e4ren zur Folge hat, beginnt der Turnus nun wieder mit einer abermaligen Manie u. s. w. \u2014\nDas Zustandekommen des Gr\u00f6fsenwahns in der Manie und des Kleinheitswahns in der Melancholie erkl\u00e4rt sich aus einem krankhaften R\u00fcckschlufs aus der Stimmung auf die Thatsache. Weil n\u00e4mlich der Manische ein hohes Gl\u00fccksgef\u00fchl empfindet, und weil im allgemeinen Leben, allerdings infolge eines Fehlschlusses, dem Reichen, Herrschenden und Ber\u00fchmten die dauernde Gem\u00fctslage eines Gl\u00fccksgef\u00fchls zugeschrieben wird, so schliefst der Manische, dafs seiner Euphorie Reichtum, Macht, Ber\u00fchmtheit oder alles zusammen zu Grunde liege. In gleicher Weise entsteht beim Melancholischen das Selbstanklage-Delirium, indem die \u00e4ngstliche Grundstimmung durch Fehlschlufs als Folge von Vergehen erkl\u00e4rt wird, in Umkehrung der gew\u00f6hnlichen Anschauung, dafs der Verbrecher sich aus Furcht vor der Strafe in \u00e4ngstlicher Stimmung befinde. Dem Manischen erscheinen infolge seines Gr\u00f6fsenwahns die anderen Menschen niedriger, dem Melancholischen in seinem Kleinheitswahn nat\u00fcrlich im selben Verh\u00e4ltnisse h\u00f6her \u2014 eine rein psychologische Konsequenz.\nDie Reizerscheinungen der Melancholie, die traurige Verstimmung, das Selbstanklage-Delirium, der Kleinheitswahn sind kortikale Symptome schon deshalb, weil die Ver\u00e4nderung, die der Melancholische im Gegensatz zum fr\u00fcheren gesunden Zustande empfindet, nur als eine Ver\u00e4nderung des Ich empfunden wird, w\u00e4hrend alle auf Einfl\u00fcsse der Aufsen-welt bezogene Wahnideen den Stempel subkortikaler Reize an sich tragen. Das Wesen der Melancholie besteht in der Wahrnehmung der ver\u00e4nderten Nutritionsphase des kortikalen Organes und in der Leitungshemmung der Assoziationen.\nAuch die Manie ist ein kortikaler Reizzustand, der sich in einer funktionellen Erleichterung im Gedankenablauf und in einer funktionellen Erleichterung in der Einwirkung der Willensimpulse auf die motorischen Nerven \u00e4ufsert; der kortikalen Erregung entspricht eine subkortikale Hemmung; deshalb sind Halluzinationen, hypochondrische Gef\u00fchle, Kr\u00e4mpfe selten.\nAm reichhaltigsten ist das Kapitel \u00fcber die Paranoia; es enth\u00e4lt aufser Schilderungen der verschiedenen Formen dieser Krankheit Abhandlungen \u00fcber Zwangsvorstellungen, Hypochondrie, Hysterie, Neurasthenie und Hypnose, die sich der M\u00f6glichkeit eines kurzen Referates entziehen. Bemerkenswert ist, wie unumwunden sich M. gegen die Anwendung der Hypnose ausspricht, die er als eine psychisehe Seuche, analog der Tanzwut und anderen Seuchen des Mittelalters, bezeichnet, und der entgegenzutreten er f\u00fcr die Pflicht eines jeden gewissenhaften Menschen erkl\u00e4rt.","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n419\nDie Paranoia ist keine rein funktionelle St\u00f6rung, wenn schon sich die Natur des anatomischen Prozesses bis jetzt noch nicht bestimmen l\u00e4fst; ihr klinisches Wesen besteht darin, dafs nicht nur alle wirklichen Wahrnehmungen in Beziehung zu bestimmten Zielvorstellungen, zun\u00e4chst immer zum eigenen Ich, treten, sondern auch Reizerscheinungen in den subkortikalen Hirnbezirken (Hypochondrie, Halluzinationen) zur Bildung von Wahnideen, Yerfolgungs- und Gr\u00f6fsenwahn, verwertet werden, wobei die Assoziationen sehr intensiv zur Zielvorstellung hinleiten und keine Lockerung der Assoziation, keine Verworrenheit zustande kommt.\nDer progressiven Paralyse liegt ein bekannter anatomischer Prozefs, bei dem aber nicht alle Elemente einer einzelnen Rindenstelle zerst\u00f6rt werden, vielmehr f\u00fcr alle Assoziationen noch Bahnen und Zellen erhalten bleiben; infolgedessen wird die Leistung nicht, wie bei Herd-Erkrankungen, in zirkumskripter Weise zerst\u00f6rt, sondern nur erschwert, die komplizierteren psychischen Koordinationen, welche die Pers\u00f6nlichkeit, den Charakter darstellen, zerfallen, w\u00e4hrend einfachere noch bleiben, und in gleicher Weise ist die paralytische Bewegungst\u00f6rung nicht L\u00e4hmung, sondern St\u00f6rung der verwickelteren Bewegungen, kortikale Ataxie. Mit dem zunehmenden Untergang von Rindenelementen zerfallen die Assoziationen immer mehr, das Verschwinden der Nebenvorstellungen erkl\u00e4rt den bl\u00f6dsinnigen Zug in den Wahnideen der Paralytiker, dem zunehmenden Bl\u00f6dsinn geht die Steigerung der kortikalen Bewegungsst\u00f6rungen im allgemeinen parallel, bis im Endstadium jede motorische Initiative darniederliegt.\nMeynerts Buch liest sich nicht leicht, aber f\u00fcr die M\u00fche des Einarbeitens in die Anschauungen der Verfassers findet man sich dann auf jeder Seite belohnt.\tPeretti (Merzig).\nL Adame. La folie du doute et le d\u00e9lire du toucher. Annales m\u00e9dico-psych. 1890. Novbr. Dezbr. S. 368\u2014386.\nVerfasser hebt zun\u00e4chst die verschiedenen Auffassungen der Autoren bei der Klassifizierung der \u201eZweifelsucht\u201c und \u201eBer\u00fchrungsfurcht\u201c hervor : Bald werden sie als Symptome der verschiedenartigsten Geistesst\u00f6rungen betrachtet, bald als psychopathische Erscheinung der heredit\u00e4ren Entartung, bald als einfache, elementare St\u00f6rung. Es folgt eine zusammenfassende Darstellung der geschichtlichen Entwickelung der Lehre von den genannten, krankhaften Zust\u00e4nden. Die ersten Beobachtungen, in welchen solche Zust\u00e4nde von Folie du toucher geschildert werden, stammen von Esquirol; nach ihm teilten Brierre de Boismont u. A. \u00e4hnliche F\u00e4lle mit; den Namen f\u00fchrte Jules Falret (1866) ein. Griesinger beschrieb dann 1868 die \u201eGr\u00fcbel- und krankhafte Fragesucht\u201c als eigenartigen psychopathischen Zustand. Morel trennte F\u00e4lle von Ber\u00fchrungsfurcht zuerst als \u201ed\u00e9lire \u00e9motif\u201c von der Gruppe des heredit\u00e4ten Irreseins, von der Hypochondrie und dem systematisierten Wahn ab. \u2014 In seiner bekannten Abhandlung \u201e\u00dcber Zwangsvorstellungen11 hat Westphal (1877) erst den Unterschied dieser von den Wahnideen gekennzeichnet, indem er hervorhob : 1. Aus Zwangsvorstellungen werden nie Wahnideen, 2. die Zwangsvorstellungen bleiben dem Kranken stets etwas\n28*","page":419}],"identifier":"lit14606","issued":"1891","language":"de","pages":"416-419","startpages":"416","title":"Meynert: Klinische Vorlesungen \u00fcber Psychiatrie auf wissenschaftlichen Grundlagen. Wien, Braum\u00fcller, 1890, 304 S.","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:04:07.213150+00:00"}