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{"created":"2022-01-31T17:03:46.361602+00:00","id":"lit14608","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Brie","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 419-420","fulltext":[{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n419\nDie Paranoia ist keine rein funktionelle St\u00f6rung, wenn schon sich die Natur des anatomischen Prozesses bis jetzt noch nicht bestimmen l\u00e4fst; ihr klinisches Wesen besteht darin, dafs nicht nur alle wirklichen Wahrnehmungen in Beziehung zu bestimmten Zielvorstellungen, zun\u00e4chst immer zum eigenen Ich, treten, sondern auch Beizerscheinungen in den subkortikalen Hirnbezirken (Hypochondrie, Halluzinationen) zur Bildung von Wahnideen, Yerfolgungs- und Gr\u00f6fsenwahn, verwertet werden, wobei die Assoziationen sehr intensiv zur Zielvorstellung hinleiten und keine Lockerung der Assoziation, keine Verworrenheit zustande kommt.\nDer progressiven Paralyse liegt ein bekannter anatomischer Prozefs, bei dem aber nicht alle Elemente einer einzelnen Bindenstelle zerst\u00f6rt werden, vielmehr f\u00fcr alle Assoziationen noch Bahnen und Zellen erhalten bleiben; infolgedessen wird die Leistung nicht, wie bei Herd-Erkrankungen, in zirkumskripter Weise zerst\u00f6rt, sondern nur erschwert, die komplizierteren psychischen Koordinationen, welche die Pers\u00f6nlichkeit, den Charakter darstellen, zerfallen, w\u00e4hrend einfachere noch bleiben, und in gleicher Weise ist die paralytische Bewegungst\u00f6rung nicht L\u00e4hmung, sondern St\u00f6rung der verwickelteren Bewegungen, kortikale Ataxie. Mit dem zunehmenden Untergang von Bindenelementen zerfallen die Assoziationen immer mehr, das Verschwinden der Nebenvorstellungen erkl\u00e4rt den bl\u00f6dsinnigen Zug in den Wahnideen der Paralytiker, dem zunehmenden Bl\u00f6dsinn geht die Steigerung der kortikalen Bewegungsst\u00f6rungen im allgemeinen parallel, bis im Endstadium jede motorische Initiative darniederliegt.\nMeynerts Buch liest sich nicht leicht, aber f\u00fcr die M\u00fche des Einarbeitens in die Anschauungen der Verfassers findet man sich dann auf jeder Seite belohnt.\tPeretti (Merzig).\nL Adame. La folie du doute et le d\u00e9lire du toucher. Annales m\u00e9dico-psych. 1890. Novbr. Dezbr. S. 368\u2014386.\nVerfasser hebt zun\u00e4chst die verschiedenen Auffassungen der Autoren bei der Klassifizierung der \u201eZweifelsucht\u201c und \u201eBer\u00fchrungsfurcht\u201c hervor: Bald werden sie als Symptome der verschiedenartigsten Geistesst\u00f6rungen betrachtet, bald als psychopathische Erscheinung der heredit\u00e4ren Entartung, bald als einfache, elementare St\u00f6rung. Es folgt eine zusammenfassende Darstellung der geschichtlichen Entwickelung der Lehre von den genannten, krankhaften Zust\u00e4nden. Die ersten Beobachtungen, in welchen solche Zust\u00e4nde von Folie du toucher geschildert werden, stammen von Esquirol ; nach ihm teilten Brierre de Boismont u. A. \u00e4hnliche F\u00e4lle mit; den Namen f\u00fchrte Jules Falret (1866) ein. Griesinger beschrieb dann 1868 die \u201eGr\u00fcbel- und krankhafte Fragesucht\u201c als eigenartigen psychopathischen Zustand. Morel trennte F\u00e4lle von Ber\u00fchrungsfurcht zuerst als \u201ed\u00e9lire \u00e9motif\u201c von der Gruppe des heredit\u00e4ten Irreseins, von der Hypochondrie und dem systematisierten Wahn ab. \u2014 In seiner bekannten Abhandlung \u201e\u00dcber Zwangsvorstellungen\u201c hat Westphal (1877) erst den Unterschied dieser von den Wahnideen gekennzeichnet, indem er hervorhob : 1. Aus Zwangsvorstellungen werden nie Wahnideen, 2. die Zwangsvorstellungen bleiben dem Kranken stets etwas\n28*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nLitter aturbericht.\nFremdartiges und 3. werden sie nie durch einen Gem\u00fcts- oder Affektzustand hervorgebracht, k\u00f6nnen aber von sekund\u00e4ren Angstzust\u00e4nden gefolgt sein. Dem letzten Punkte widersprachen andere Autoren, wie Sander, Krafft-Ebing, Morel, Wille, Legrand du Saulle u. A., welche annahmen, dafs die Zwangsvorstellungen auch eine emotive Grundlage haben k\u00f6nnen. Wille ist sogar der Meinung, dafs sie nicht immer einfache, station\u00e4re Symptome bleiben, sondern sich \u00f6fter, als man glaub-ausdehnen und zu wirklicher Geistesst\u00f6rung f\u00fchren k\u00f6nnen. Allgemein wurde die Eolle, welche der Erblichkeit f\u00fcr die Entstehung der Zwangsvorstellungen zukommt, betont. Magnan betrachtet sie neuerdings als direktes und unmittelbares Zeichen der heredit\u00e4ren Belastung.\nLadame meint nun, man m\u00fcsse die Folie du doute und d\u00e9lire du toucher als zwei besondere Formen ansehen, die sich wohl \u00f6fters verbinden k\u00f6nnen, h\u00e4ufiger jedoch einzeln f\u00fcr sich bestehen, wie dies die zwei F\u00e4lle, die er mitteilt, zeigen sollen. Zur Behandlung hat L. die statische Elektrizit\u00e4t und die hypnotische Suggestion angewendet und empfiehlt sie f\u00fcr die F\u00e4lle, wo die Zwangsvorstellungen als Symptom der Neurasthenie bei erblich Disponierten auftreten. Brie (Bonn).\nG. Robertson. Melancholia, from the Physiological and Evolutionary Points of View. Joum. of Ment, science XXXVI. (1890). S. 53\u201467.\nDarwin hat gezeigt, dafs die Art und Weise, wie der Mensch seine Gem\u00fctsbewegungen \u00e4ufsert, vielfach nur eine Modifikation des Ausdrucks \u00e4hnlicher Gem\u00fctsbewegungen bei Tieren darstellt. Setzt man nun voraus, dafs unter Umst\u00e4nden eine R\u00fcckbildung zu einem \u00e4lteren und niedrigeren Typus Vorkommen kann, so l\u00e4fst sich vermuten, dafs unter dem Einfl\u00fcsse einer Geisteskrankheit die \u00c4hnlichkeit von Mensch und Tier in dieser Beziehung noch gr\u00f6fser wird. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet Robertson die Melancholie.\nEr unterscheidet mit Savage eine passive, eine aktive und eine stupor\u00f6se Form der Melancholie je nach dem Verhalten des motorischen Systems, und weist nach, dafs depressive Gem\u00fctsbewegungen auch bei Gesunden \u00e4hnliche, wenn auch weniger intensive und schneller vor\u00fcbergehende Erscheinungen bewirken. \u2014 Die so \u00e4ufserst mannigfachen Krankheitsbilder, welche die Melancholie dar bietet, glaubt er vom Standpunkte der Evolutionslehre einheitlich erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen. Er geht von dem bekannten DARWiNschen Prinzip aus: \u201eZweckm\u00e4fsige Handlungen werden gewohnheitsm\u00e4fsig mit gewissen Seelenzust\u00e4nden assoziiert und werden ausgef\u00fchrt, m\u00f6gen sie in jedem besonderen Falle von Nutzen sein oder nicht.\u201c Der Seelenzustand der Melancholiker wird von den Gef\u00fchlen der Angst, des Schreckens, der Verzweiflung beherrscht. Angst, Schrecken und Verzweiflung aber haben unsere Vorfahren, die primitiven Menschen und die Tiere, durch zahllose Generationen hindurch haupts\u00e4chlich empfunden in Gegenwart eines \u00fcberm\u00e4chtigen Feindes. Die Bewegungen, die sie machten, die Stellungen, die sie einnahmen, um sich des Gegners zu erwehren oder ihm zu entkommen, wiederholt der Nachkomme, wenn er von den n\u00e4mlichen Gef\u00fchlen beherrscht wird, also namentlich in der Melancholie, auch ohne dafs er einen Feind vor","page":420}],"identifier":"lit14608","issued":"1891","language":"de","pages":"419-420","startpages":"419","title":"Ladame: La folie du doute et le d\u00e9lire du toucher. Annales m\u00e9dico-psych. 1890., Novbr. Dezbr., S. 368-386","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:46.361608+00:00"}