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{"created":"2022-01-31T17:04:01.227031+00:00","id":"lit14614","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Martius, G\u00f6tz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 421-423","fulltext":[{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Litter a tu rbericht.\n421\nsich hat, durch die Macht der Vererbung und Assoziation. So erkl\u00e4rt \u00dfoBERTSON die erh\u00f6hte Muskelspannung, das widerspenstige Wesen, die oft pl\u00f6tzlich hervorbrechende G-ewaltth\u00e4tigkeit vieler Melancholiker durch den Hinweis auf das mit dem Feinde k\u00e4mpfende Tier; die Rastlosigkeit der Kranken deutet auf die Flucht vor der Gefahr; die schlaffe Haltung dagegen, wie sie bei der passiven Form der Krankheit angetroffen wird, die k\u00fchle Hauttemperatur und die Schw\u00e4che der Herz, aktion leitet er von der Ersch\u00f6pfung des Tieres nach dem Kampfe ab.\nLiebmann (Bonn).\nJ. Delboeuf. L\u2019Hypnotisme appliqu\u00e9 aux alt\u00e9rations de l\u2019organe visuel.\n32 S. Paris 1890, Alcan.\nWenn es nicht Delboeuf in L\u00fcttich w\u00e4re, von dem diese Publikation herr\u00fchrt, und wenn die darin beschriebenen Experimente und Thatsachen nicht von zwei Augen\u00e4rzten, Prof. Nuel und Dr. Leplat genau kontrolliert worden w\u00e4ren \u2014 so k\u00e4me man sicher in Versuchung, die beiden mitgeteilten F\u00e4lle f\u00fcr eitel Humbug zu halten. Sind sie wahr \u2014 und daran zweifeln wir nicht \u2014, so geben sie eine staunenswerte Illustration von der Abh\u00e4ngigkeit der k\u00f6rperlichen von geistigen Zust\u00e4nden.\nFall I. Junger Mann von 20 Jahren; 4 Jahre nach syphilitischer Infektion Sehst\u00f6rungen. 7 Jahre darauf beiderseits grofses zentrales Skotom und rechts medialer Gesichtsfelddefekt, Handbewegung sieht er nicht weiter als auf 1 m Entfernung. Sehr leicht hypnotisierbar. Hypnose und die betreffenden Suggestionen alle 2\u20143 Tage. Nach einem Monat z\u00e4hlt er Finger im Abstand von 3 m. In 7 Monaten 26 Sitzungen, jede von 1 bis 2 Stunden Dauer. Auf das linke Auge konnte kein Einflufs ausge\u00fcbt werden, ein um so gr\u00f6fserer daf\u00fcr auf das rechte. Hierbei hatte man sich bez\u00fcglich der Suggestionen vorgenommen, immer nur auf zwei Halbmeridiane gleichzeitig zu wirken und ein paar nach dem andern heranzunehmen. Ganz erstaunlich ist die durch Figuren veranschaulichte Ausdehnung, welche das rechte Gesichtsfeld gewonnen hatte! \u2014 Auch das linke hatte sich mittlerweile noch etwas gebessert,\nFall II. M\u00e4dchen von 14 Jahren, fast blind durch eine interstitielle parenchymat\u00f6se Hornhautentz\u00fcndung beider Augen. Irisverwachsung, Iridektomie. Beiderseits erhebliche Gesichtsfelddefekte, die auf beiden Augen durch wiederholte Suggestionen in der Hypnose eine bedeutende Besserung erfuhren!\tSperling (Berlin).\nAugust Forel. Der Hypnotismus, seine psycho-physiologische, medizinische, strafrechtliche Bedeutung und seine Handhabung. 2. umg. u. verm. Aufl. Stuttgart, Enke, 1891. 172 S.\nDer Inhalt der Schrift ist durch den Titel vollst\u00e4ndig bezeichnet Dafs demselben eine ersch\u00f6pfende, auf eigener Erfahrung beruhende Sachkenntnis zu Grunde liegt, versteht sich bei dem auf diesem Gebiete schon l\u00e4nger r\u00fchmlich bekannten Namen des Verfassers von selbst.\nDer Standpunkt ist der der Schule von Nancy. Die Erscheinungen der Telepathie und des Hellsehens werden von ihm als zweifelhaft angesehen, die Fernwirkung von Arzneimitteln, wie sie die Pariser Schule lehrt, auf Suggestion zur\u00fcckgef\u00fchrt. In den Begriff der Suggestion hat","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nLitteraturbericht.\nder Begriff des Hypnotismus aufzugehen (S. 27). Die Suggestionserscheinungen selbst werden durch den Hypnotiseur nur veranlafst, sind aber in dem physisch-psychischen Mechanismus des Hypnotisierten allein begr\u00fcndet. Die Suggestion ist nichts als ein Eingriff in die associative Dynamik der Seele (S. 91). Sie ist einerseits eine Dissociationserschei-nung, insofern durch sie einzelne psychische Elemente ausschliefslich zur Geltung gelangen, andererseits eine Hemmungserscheinung, da die sonstigen psychischen \u201eDynamismen\u201c aufser Kraft gesetzt sind. Die Heilwirkung der Suggestion schl\u00e4gt Forel besonders hoch an; er verkennt aber auch nicht die Gefahren, welche in dem Mifsbrauch der Hypnose gegeben sind.\nAuch Beferent glaubt, dafs die hier vorliegende Auffassung des Hypnotismus am ehesten den Forderungen einer psychologischen Erkl\u00e4rung gerecht wird. Nur scheint mir Eorel viel zu weit zu gehen, wenn er den hypnotischen Erscheinungen den Charakter des Pathologischen abzusprechen sucht; dieser ist durch die Hemmung (L\u00e4hmung) des normalen Bewufstseinslebens unmittelbar gegeben. Die suggerierte Teilerscheinung braucht darum an sich nichts Krankhaftes zu besitzen-\nEinspruch zu erheben ist gegen die nicht weiter begr\u00fcndete Ansicht des Verfassers, dafs nur der \u201eMonismus\u201c mit seiner Erkl\u00e4rung des Hypnotismus zu vereinigen ist. \u00dcberhaupt sind die allgemeinen philosophischen und psychologischen Vorstellungen des Verfassers nicht \u00fcberall einwurfsfrei. Dafs die subkortikalen Centren bewufste Th\u00e4tigkeit besitzen, ist unbeweisbar oder wenigstens unbewiesen. Von diesem \u201eUnterbewufst-sein\u201c denkt sich der Verfasser das menschliche (Ober- oder Grofshirn-) Bewufstsein nur durch eine gewisse \u201eBewufstseinsbeleuchtung\u201c unterschieden. Das heifst nichts anderes, als mit dem Begriff Bewufstsein sein Spiel treiben und in den \u201eNervenprozessen\u201c den eigentlich und allein wesentlichen Vorgang sehen, also einen \u201eMonismus\u201c vertreten, der im eigentlichen Sinne Materialismus ist. Ebenso, wenn es auch richtig ist, dafs der Unterschied zwischen blos Vorgestelltem und wirklich Erlebtem ein rein qualitativer ist, so folgt daraus doch nicht, dafs dieser Unterschied nur \u201ein der mehr oder minder qualitativen und quantitativen Differenzierung beider Th\u00e4tigkeiten im Gehirn\u201c liegt (S. 12). Denn wenn es keinen entsprechenden subjektiven (Bewufstseins-) Unterschied g\u00e4be, so w\u00fcrde der ganze Unterschied uns jedenfalls unbekannt bleiben und wir w\u00fcrden Erlebtes und Erdachtes nirgends auseinanderhalten. Darauf ob die \u201eIdentifikation oder Nichtidentifikation mehr oder weniger bewufst ist,\u201c kommt es freilich nicht an. Denn nur der reflektierende Mensch besitzt eine derartige mehr oder weniger bewufste Identifikation. Und wenn Eorel fortf\u00e4hrt, \u201edie st\u00e4rkere oder schw\u00e4chere Bewufstseinsbeleuchtung des Unterschiedes ist vielmehr nur eine Folge des Intensit\u00e4tsgrades der Unterschiedsverh\u00e4ltnisse seihst,\u201c so ist dies wieder richtig, so weit es die Intensit\u00e4ten angeht, beweist aber nichts gegen die Notwendigkeit des Vorhandenseins eines Unterschiedes auch im Bewufstsein. Als ob nicht dieser subjektive Unterschied der urspr\u00fcnglich gegebene w\u00e4re! \u2014 Auch die in naturwissenschaftlichen Kreisen immer noch vorwaltende Neigung, den eigentlichen","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Li tteraturberich t.\n423\nBewufstseinsvorgang als etwas Nebens\u00e4chliches anzusehen, ist der von Forel so \u00fcberaus drastisch gekennzeichneten Macht des Vorurteils zu danken.\tG\u00f6tz Martius (Bonn).\nG. Simmel. \u00dcber soziale Differenzierung, soziologische und psychologische Untersuchungen. Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, herausg. von Gustav Schmoli.er, Bd. X., Heft 1. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1890. 147 S.\nDiese Schrift behandelt zun\u00e4chst die erkenntnistheoretische Frage nach dem eigentlichen Objekt der Soziologie als Wissenschaft, dann verschiedene einzelne Seiten der sozialen Entwickelung. Es ist bedauerlich, dafs sie dabei weder auf grofse noch kleinere Vorarbeiten R\u00fccksicht nimmt. Die Theorien von Mill, Spencer, Sch\u00e4ffle, denen jetzt die Franzosen Le Bon, De Roberty, De Greef nachzueifern scheinen, die ungen\u00fcgend begr\u00fcndete aber viele blendende Theorie von Gum-plowicz, Monographien wie die von T\u00f6nnies und G\u00fcyau, die Forschungen von Maine, Morgan, Maclennan, alles dies, obgleich sich mit seinen Thematen vielfach ber\u00fchrend, scheint f\u00fcr Simmel nicht vorhanden zu sein. Solche Nichtbeachtung der Vorg\u00e4nger ist doch auf keinem sonstigen Gebiete der Wissenschaft \u00fcblich, dem Fortschritt einer werdenden Wissenschaft aber am allerwenigsten f\u00f6rderlich.\nIm ersten Kapitel wird zun\u00e4chst die Behauptung aufgestellt, dafs die Soziologie in erkenntnistheoretischer Beziehung neben die Metaphysik und die Psychologie zu stellen sei, \u201ediese beiden haben n\u00e4mlich das Eigent\u00fcmliche, dafs durchaus entgegengesetzte S\u00e4tze in ihnen das gleiche Mafs von Wahrscheinlichkeit und Beweisbarkeit aufzeigen\u201c (S. 4). Eine wahrhaft erschreckende Behauptung! \u2014 F\u00fcr die Metaphysik mag sie noch gelten, da es viele dergleichen Versuche, nicht eine Metaphysik giebt, f\u00fcr die Psychologie aber ist diese Behauptung ein fundamentaler Irrtum. Die angef\u00fchrten Beispiele beziehen sich auch alle auf die individuelle Verkn\u00fcpfung seelischer Vorg\u00e4nge, die freilich wegen der steten Wechselwirkungund grofsenKompliziertheit derselben oft schwer festzustellen ist, und einen demjenigen, den man annimmt, entgegengesetzten Verlauf nehmen oder entfernte Gebiete des Bewufstseins-inhalts, die scheinbar weit abliegen, dennoch durch ungeahnte Verkettung aufregen kann. Aber diese Unsicherheit der individuellen Verkn\u00fcpfung ber\u00fchrt die Gesetze der Psychologie ebensowenig, als die Unsicherheit der Meteorologie die Gesetze der Physik ber\u00fchrt. Wie ein Blitzschlag entsteht, wissen wir; ob im einzelnen Falle die Bedingungen da sind, wissen wir nicht. Dafs der Gef\u00fchlston Einflufs \u00fcbt auf die Verbindung der Vorstellungen, ist ein psychologisches Gesetz; seine Wirkung kann aber im einzelnen Falle durch eine entgegengesetzte Kraft, den Einflufs des objektiven Inhalts, aufgehoben werden. Freilich hat die eigentliche Psychologie meist qualitative, nicht quantitative Gesetze, aber dies berechtigt nicht sie der Metaphysik gleich zu setzen. Psychologen wie Wundt, Lipps u. A. werden sich jedenfalls f\u00fcr diese Gleichsetzung bedanken. Der Wert der psychologischen Aufstellungen ist doch ein h\u00f6herer als","page":423}],"identifier":"lit14614","issued":"1891","language":"de","pages":"421-423","startpages":"421","title":"August Forel: Der Hypnotismus, seine psycho-physiologische, medizinische, strafrechtliche Bedeutung und seine Handhabung. 2. umg. u. verm. Aufl. Stuttgart, Enke 1891, 172 S.","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:04:01.227036+00:00"}