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{"created":"2022-01-31T16:35:25.871226+00:00","id":"lit14619","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, Carl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 2: 438-443","fulltext":[{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"Mein Schlufswort gegen Wundt.\nVon\nC. Stumpf.\nDer neuen umfangreichen Ii\u00fcck\u00e4ufserung Wundts1 gegen\u00fcber enthalte ich mich einer eingehenden Erwiderung. F\u00fcr die, welche seinen Ausspr\u00fcchen blinden Glauben schenken, w\u00e4re jedes Wort zu viel. Die aber, welche seine neue Abhandlung mit der meinigen und mit den fr\u00fcheren \u00fcberhaupt, worauf sie sich bezieht, Punkt f\u00fcr Punkt vergleichen wollen, werden darin schon selbst das n\u00e4mliche Gemisch von unwahren Behauptungen2 3 * * * *, von Verwechslungen8, Verst\u00fcmmelungen meines\n1\tPhilosophische Studien, VII, S. 298\u2014327.\n2\tSo steht, um nur Ein Beispiel anzuf\u00fchren, sogleich S. 301 die Behauptung, meine Korrektur p zur WuNDTSchen Tabelle sei nach dem ganzen Zusammenhang ebenso auf die LoRENZsche Berechnung der Empfindungsmitte zu \u00abbeziehen, in flagrantem Widerspruch mit dem Wortlaut, wonach sich jener ganze Abschnitt meiner ersten Abhandlung (S. 423\u20147) ausschliefslich mit Wundts eigener Darstellung der Versuche besch\u00e4ftigt:\n\u201eUm zu pr\u00fcfen, was Wundt einerseits berechtigte........, wollen wir\nLorenz\u2019 Versuche, obgleich dieser sie seitdem bedeutend erweitert hat, zuerst so ber\u00fccksichtigen wie sie bei Wundt I, 432 erscheinen. Hier ist die Tabelle.\u201c Lorenz\u2019 eigene, davon abweichende Tabellen werden erst im n\u00e4chsten (II.) Abschnitt, seine Berechnungsweise vollends erst im III. Abschnitt, 28 Seiten sp\u00e4ter, besprochen und die letztere vorher mit keiner Silbe auch nur erw\u00e4hnt. Der \u201eganze Zusammenhang\u201c w\u00fcrde geradewegs sinnlos durch diese Zusammenlegung, die ausschliefslich Wundts Werk ist.\n3\tNur wieder beispielsweise zu S. 304: Es handelt sich doch in dieser\nDiskussion nicht um die Grenzen nach oben und unten, sondern um die\nGenauigkeitsgrenzen innerhalb der untersuchten Region. Oder zu S. 309:\nDie gesch\u00e4tzte Mitte kann bei TMH und HMT verschieden sein, die\nEmpfindungsmitte nicht. Je sicherer aber das Urteil, um so mehr wird\ndie eine mit der anderen zusammenfallen.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"3Iein Schlu\u00dfwort gegen Wundt.\n439\nGedankenganges1, unklarem Hin- und Herreden3, haltlosen Ausfl\u00fcchten3, Beweisfehlern aller Art4 und geh\u00e4uften Yer-\n1 So l\u00e4fst Wundt S. 313 meine ausdr\u00fcckliche Motivierung daf\u00fcr, dafs heim vertieften Tritonus statt der dem mittleren Ton zun\u00e4chstliegenden die n\u00e4chsttiefere Taste bevorzugt wurde (\u201e . . . wird die kleine Terz des Grundtons als Mitte angesehen, aber eine etwas vertiefte, weil das Intervall selbst doch auch merklich vertieft ist\u201c S. 447), hinweg, w\u00e4hrend er doch gerade aus dem Mangel einer Motivierung bittere Vorw\u00fcrfe schmiedet: \u201eAlso, wenn der n\u00e4here Ton es nicht thut, thut es der fernere, der sich durch die euphemistische Wendung \u00bb\u00bbder nach der Tiefe n\u00e4chste Ton\u201c\u201c so ausnimmt, als wenn es wirklich der n\u00e4chste Ton w\u00e4re.\u201c Wer dies liest, mufs den Zusatz f\u00fcr willk\u00fcrlich eingeschmuggelt halten.\n8 So hin nicht ich allein, sondern auch ein anderer Psycholog, dem W\u00fcndt vielleicht mehr Urteil Zutrauen w\u00fcrde, wenn er auch nicht seiner Schule entstammt, aufser st\u00e4nde, der weitl\u00e4ufigen Ehtwickelung S. 303 irgend einen Sinn abzugewinnen; es scheint uns nach wie vor, dafs Lorenz gerade das abgefragt hat, was W\u00fcndt f\u00fcr durchaus unvern\u00fcnftig erkl\u00e4rt. Die Fragestellung allerdings, welche W\u00fcndt jetzt mir zuzuschieben Lust zeigt: \u201ewelches zu m die gleich grofse h\u00f6here oder tiefereStrecke sei,\u201c w\u00fcrde wahrscheinlich Lorenz selbst ebenso wie ich f\u00fcr einen vollendeten Unsinn erkl\u00e4ren, der denn auch Niemand vorher je eingefallen ist. Denn man kann nicht zu einem Ton eine ihm gleiche Tondistanz suchen. Meine wirkliche Frage: \u201eoh t von m so weit abstehe wie nt von h, ob die Distanzen tm und mh einander gleich schienen\u201c (S. 272), besagt doch in der That v\u00f6llig dasselbe wie die: \u201eoh m unter der Mitte, \u00fcber der Mitte oder in der Mitte (zwischen t und h) liegend empfunden werde (W\u00fcndt S. 303). Dafs die eine vern\u00fcnftig, die andere unvern\u00fcnftig sein soll, erinnert bedenklich an die beiden identischen Gleichungen, von denen die eine richtig und die andere \u201eganz unbedingt falsch\u201c sein sollte. W\u00fcndt sucht zuletzt den Unterschied darin, dafs nach mir der mittlere Ton vom Urteilenden gefunden, nach Lorenz aber ein gegebener als mittlerer bestimmt werden solle. Ein Blick auf den fraglichen Passus (S. 272 meines vorigen Artikels) lehrt die Irrt\u00fcmlichkeit dieser Behauptung, gegen die ich mich dort ausdr\u00fccklich im voraus verwahrt hatte.\ns Beispielshalber lehnt W\u00fcndt S. 304 die Frage, ob der Ton 1056 etwa die Mitte zwischen 64 und 2048 bilde, f\u00fcr sich und seine Sch\u00fcler ah, da die einzuteilende Distanz zu grofs sei. Ich habe selbst hervorgehoben, dafs die wirkliche Mitte wohl schwer zu bestimmen sei. Aber zu erkennen, dafs jedenfalls der Ton 1056 nicht die Mitte bildet, ist das Leichteste von der Welt; und dies Negative gen\u00fcgt, wie ich wiederhole und wie auch G. Engel inzwischen (im vorigen Hefte) ausgef\u00fchrt hat, um die Unm\u00f6glichkeit des W\u00fcNDTSchen Gesetzes einzusehen.\n4 Z. B. zu S. 311: Dafs die beiden Kr\u00e4fte in gleichem Sinne wirken, w\u00e4re ja eben der zu beweisende Punkt. Aufserdem f\u00fchrt der Vergleich der Urteile mit Kr\u00e4ften irre: ein durch andere Motive bereits festgelegtes Urteil ist stets eine St\u00f6rung.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440\nC. Stumpf.\nSicherungen \u00fcber Unf\u00e4higkeit und Unwissenheit des Gegners wiederfinden, wie im vorigen Artikel. An einer einzigen Stelle findet Wundt eine Entschuldigung n\u00f6tig, freilich auch da nicht ohne Seitenhieb wegen des angeblichen \u201egrofsen L\u00e4rms der Entr\u00fcstung\u201c, da er mich doch blofs das Gegenteil von dem, was ich gesagt, bezw. einen Unsinn hatte sagen lassen. Man wird mir nicht zumuten, einem Gegner von solchen Kampfesgewohnheiten weiter Kede zu stehen. Selbst \u00fcber das Mein und Dein scheint ihm jetzt alle Klarheit geschwunden zu sein. Sagt er doch auf der zweiten Seite: \u201eNun habe ich in meinem vorigen Aufsatze ausf\u00fchrlich nachgewiesen, dafs selbstverst\u00e4ndlich Teilungen nach harmonischen Intervallen nicht zu mafsgebenden Folgerungen \u00fcber reine Distanzurteile herangezogen werden k\u00f6nnen, weil hier musikalische Gewohnheiten jedenfalls bei musikalischen, m\u00f6glicherweise aber auch in geringerem Grade bei unmusikalischen Beobachtern Einflufs gewinnen\u201c \u2014 als wenn nicht eben dies der Punkt w\u00e4re, auf welchen ich (nach G. E. M\u00fcller) l\u00e4ngst hingewiesen, den Wundt \u00fcbersehen, dessen ausf\u00fchrlicher Nachweis den Gegenstand meiner ersten Abhandlung gebildet h\u00e4tte. Sachlich kann es mich ja nur freuen, wenn Wundt sich so sehr dazu bekennt, dafs er sich sogar f\u00fcr den Urheber dieser Nachweisungen ansieht1. Freilich, wenn die Sache selbstverst\u00e4ndlich war, so h\u00e4tte sie, sollte man denken, \u00fcberhaupt keiner \u201eausf\u00fchrlichen Nacljweisungen\u201c bedurft und wird die Anstellung der 45 000 Y ersuche, aus denen nun gar selbstverst\u00e4ndlich keine mafsgebenden Folgerungen \u00fcber das Yersuchsthema gezogen werden k\u00f6nnen, immer r\u00e4tselhafter.\nNur auf die vier numerierten Punkte am Schl\u00fcsse des WuNDTschen Artikels m\u00f6chte ich noch kurz im besonderen antworten, da ihr Wortlaut Zweifel an der Gewissenhaftigkeit meiner Anf\u00fchrungen erwecken k\u00f6nnte.\n1 Dafs es noch immer nicht ohne R\u00fcckfall abgeht, zeigt S. 311, wo er meint, die Mitte (Distanzmitte) zwischen c und e1 m\u00fcsse sicherer getroffen werden als die zwischen c und es, \u201eweil sie auch jedem an musikalische Intervalle gew\u00f6hnten Ohr als Quinte bekannt ist\u201c, und nicht zugeben will, dafs das Distanzurteil durch das Konsonanzurteil gest\u00f6rt wird.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Mein Schlu\u00dfwort gegen Wundt.\n441\nAd 1. Wenn man untersucht, welche Erscheinungen hei zunehmender Zahl der Schwebungen eintreten, so versteht es sich von selbst, dafs man vom Einklang ausgeht. Das ist keine besonders zu erw\u00e4hnende Versuchsbedingung. Genau so, wie Wundt seihst die Behauptung ausgesprochen hat und wieder ausspricht, ist sie falsch und von jedem geh\u00f6rbegabten Kind zu widerlegen. \u00dcbrigens liegt in der Stelle schon darum eine Absurdit\u00e4t, weil ja die Auffassung der Tonh\u00f6he der schwebenden T\u00f6ne bei Vermehrung der Schwebungszahl (d. h. bei wachsendem Abstand der T\u00f6ne) immer deutlicher wird. Nur die St\u00f6fse werden undeutlicher. Hier bringt auch die Beseitigung des ber\u00fchmten Druckfehlers1 keine Kettung, und darum nannte ich (Tonpsych. II, 473) die Konfusion eine unheilbare.\t\u00bb\nAd 2 reduziert sich Wundts Erkl\u00e4rung darauf, dafs er die Verwechslung, deren er Helmholtz zeiht, nicht als eine \u201egrobe\u201c ansehen will. Dar\u00fcber l\u00e4fst sich nicht streiten. Das Epitheton (ohne Anf\u00fchrungszeichen gebraucht) sollte meine Auffassung dieses Vorwurfs ausdr\u00fccken, was ich hiermit gerne richtigstelle, falls es anders verstanden worden ist. Was aber die Sache betrifft, so ist zweifellos nicht Helmholtz, sondern Wundt derjenige, der hier falsch oder unbegreiflich l\u00fcckenhaft beobachtet hat.\nAd 3. Wenn unter den angegebenen Umst\u00e4nden die \u201eVorstellung eines Zusammenstimmens mehrerer T\u00f6ne augenblicklich ganz aufh\u00f6rt\u201c, so weifs ich nicht, was anderes dies heifsen soll, als dafs man statt mehrerer nur Einen Ton zu h\u00f6ren glaubt. Aus der Erw\u00e4hnung der \u201esehr vollen Klangfarbe\u201c folgt nur, dafs dieser als Ein Ton aufgefafste Klang Obert\u00f6ne enth\u00e4lt, aber nicht, dafs man sie als solche unterscheidet. Dafs die Wahrnehmung einer Klangfarbe Unterscheidung der bez\u00fcglichen Obert\u00f6ne voraussetze, ist ja eine noch gr\u00f6fsere akustische Ungeheuerlichkeit, als die, gegen welche sich Wundt damit verteidigen will.\nAd 4. Hier beklagt sich Wundt \u00fcber eine arge Mifs-handlung. \u201eStumpf l\u00e4fst mich behaupten, dafs man niemals mit\n1 Den Schlafs, den mir Wundt S. 325 Anm. zuschreibt, hatte ich nicht gezogen.","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442\nC. Stumpf.\nfreiem Ohr ohne Einf\u00fchrung besonderer Versuchsbedingungen Obert\u00f6ne wahrnehmen k\u00f6nne.\u201c Er citiert dagegen seine Physiol. Psychologie und schliefst mit gesperrtem Druck: \u201eDer ganze oben abgedruckte Angriff besteht also von Anfang bis zu Ende aus nichts als Entstellungen und Erdichtungen.\u201c\nAber jene Behauptung steht w\u00f6rtlich in seiner Logik, und nicht an nebens\u00e4chlicher Stelle, sondern da, wo ex professo von der Unterscheidbarkeit gleichzeitiger Vorstellungen die Bede ist (I, S. 14) : \u201eSo ist in einem Klang der tiefste Ton das herrschende Element, weil er die gr\u00f6fste Intensit\u00e4t besitzt, die Obert\u00f6ne werden aber nicht blofs schw\u00e4cher empfunden, sondern sie werden als gesonderte Tonh\u00f6hen \u00fcberhaupt erst infolge der Einf\u00fchrung besonderer Versuchsbedingungen empfunden.\u201c Diese Behauptung ist in meiner Tonpsychologie (II, S. 231) bereits citiert, und auf diese Stelle ist in meinem ersten Aufsatz verwiesen. Danach h\u00e4tte Wundt seine eigene Behauptung wiederauffinden k\u00f6nnen, wenn er sie vergessen hatte, was ich wohl glauben will. Liegt darin ein Widerspruch mit der Physiol. Psychologie, so ist dies nicht meine Schuld.\nSoviel also nur, um Lesern, die nicht selbst alles nachschlagen, die ihnen nahegelegten Zweifel an der thats\u00e4chlichen Begr\u00fcndung meiner akustischen Anklagepunkte zu benehmen. Anderen wird ohnedies die einfache Vergleichung der Aktenst\u00fccke in diesen und allen \u00fcbrigen Punkten zur Orientierung gen\u00fcgen.1 Denn die Sache ist \u00fcberreif zum Spruche. So viel mufs, denke ich, selbst einem fl\u00fcchtigeren Leser einleuchten, dafs der Kern meiner polemischen Ausf\u00fchrungen auch jetzt wieder von Wundt nur einfach anerkannt ist. Dafs sie auch in anderen Kreisen sachlich gewirkt haben, daf\u00fcr liefert mir nicht blofs die interessante Abhandlung von Gr. Engel im letzten Heft (wenn-\n1 Die Anmerkung S. 321 bei Wundt bezieht sich auf die inzwischen gedruckte \u201eBemerkung\u201c im vorigen Heft. Ich habe selbst in der Voraussicht, dafs der Ausdruck \u201edoppelt vorgestellt\u201c Bedenken erregen w\u00fcrde, daf\u00fcr eingesetzt: \u201ein doppelter Beziehung aufgefafst.\u201c Das Heft der \u201eZeitschr. f. Psychol.\u201c erschien gleichzeitig mit dem WcNDTSchen Artikel, die Sonderabz\u00fcge einige Tage sp\u00e4ter, weshalb ich Wundt nicht mehr rechtzeitig damit bekannt machen konnte. So erkl\u00e4rt sich, dafs er gegen einen Ausdruck polemisiert, der sich in der gedruckten \u201eBemerkung\u201c nicht vorfindet.","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Mein Schlufswort gegen Wundt.\n443\ngleich, ich ihr nicht in allen einzelnen Punkten zustimmen m\u00f6chte), sondern auch die Mitteilung eines der begabtesten j\u00fcngeren Psychophysiker aus Wundts Schule den Beweis, wonach derselbe seine bereits gef\u00fchrten und auszugsweise ver\u00f6ffentlichten Untersuchungen \u00fcber Tondistanzen auf Grund meiner kritischen Aufs\u00e4tze zur\u00fcckgelegt hat, um seine Versuche auf vollkommen neuer Grundlage anzufangen. Und so glaube ich vorl\u00e4ufig \u2014 jedenfalls aber Wundt gegen\u00fcber \u2014 auf weitere Erl\u00e4uterungen meinerseits verzichten zu d\u00fcrfen.\nZeitschrift fiir Pavelmloo-io TT\nQA","page":443}],"identifier":"lit14619","issued":"1891","language":"de","pages":"438-443","startpages":"438","title":"Mein Schlu\u00dfwort gegen Wundt","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:25.871232+00:00"}