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{"created":"2022-01-31T16:59:23.030185+00:00","id":"lit14651","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ziehen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 3: 59-61","fulltext":[{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n59\nwelche allgemein interessante naturwissenschaftliche Probleme f\u00fcr ein gebildetes Publikum bearbeiten. Ein erster Teil wendet sich namentlich gegen einen Aufsatz H. Spencers und versucht dessen Argumente einzeln zu widerlegen ; in einem zweiten Teil werden Argumente Darwins geltend gemacht, welche, auf selektionstheoretischer Basis stehend, die Erblichkeit erworbener Eigenschaften bestreiten. Fast mehr als alle Einw\u00e4nde, welche gegen diese Lehre vorgebracht werden, ist dasjenige Kapitel des Verfassers, welches die Konsequenzen der unbedingten Vererbung erworbener Eigenschaften ins praktische Leben \u00fcbertr\u00e4gt, geeignet, von der Richtigkeit der entgegengesetzten Ansicht zu \u00fcberzeugen. Wenn man aber bedenkt, wie stark die Selektionstheorie ersch\u00fcttert ist, so d\u00fcrften wohl die vorgebrachten Beispiele kaum im st\u00e4nde sein, die h\u00f6chst komplizierte Vererbungsfrage zu l\u00f6sen. Obschon diese L\u00f6sung unseres Erachtens auch dem Verfasser nicht gelungen ist, m\u00f6chten wir das anziehend und leicht geschriebene B\u00fcchlein demjenigen Leserkreise empfehlen, an den es sich richtet.\tBurckhardt (Berlin).\nTh. Meynbrt. Das Zusammenwirken der Gehirnteile. Verhandl. d. 10. Intern.\nMed. Kongresses, Bd. I (1891). S. 173\u2014190.\nM. geht in seinen Darlegungen von einem Satze aus, dem wir in etwas verschiedener Form schon \u00f6fter in seinen Abhandlungen begegnet sind. Das Gehirn ist, sagt er, einer Kolonie durch F\u00fchlf\u00e4den und Fangarme sich des Weltbildes bem\u00e4chtigender, lebender, bewufstseinsf\u00e4higer Wesen vergleichbar, und dies ist mehr als ein blofser Vergleich. Nur das Bewufstsein der Hirnrinde f\u00e4llt beim Menschen in die Aufmerksamkeit und durch die allseitigen protoplasmatischen und markhaltigen Verbindungen der Elementarwesen der Rinde, durch ihre Associationsvorg\u00e4nge erscheint sie sich als ein einziges Wesen. Das Bewufstsein der Hirnrinde scheint dem Menschen deshalb das einzig F\u00fchlbare zu sein, weil es das intensivste ist. Das Bewufstsein der Nervenzellen und die Dinge sind untrennbar; noch niemals waren Dinge, ohne dafs Gehirne da waren, aber auch nie gab es ein Bewufstsein, in dem nicht die Dinge lagen. Die Dinge bestehen im Bewufstsein in zweierlei Art, erstens als Sinnesempfindungen, zweitens als Erinnerungen, Vorstellungen oder Gedankeng\u00e4nge. Der innere Zustand der Nervenzelle ist Empfindungsf\u00e4higkeit, welche Ern\u00e4hrung und \u00e4ufsere Reize zur Empfindung gestalten.\nDie sich hier anschliefsende Frage, ob allen einfachen Nervenzellen die gleiche Empfindungsf\u00e4higkeit zukommt oder ob Unterschiede im Sinne einer spezifischen Energie Vorkommen, entscheidet M. in l\u00e4ngerer Auseinandersetzung im Sinne einer empiristischen Auffassung: aller spezifischer Charakter der Eindr\u00fccke ist in der spezifischen Beschaffenheit der die differenten Reize aufnehmenden peripheren Sinnesorgane zu suchen. \u201eAngeborenes Licht als Funktion des Gehirns und andere spezifische Energien giebt es nicht.\u201c Weil die Leitung vom optischen Aufnahmeorgan zur Rinde unz\u00e4hlige Male durch Licht angesprochen","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nLitteraturbericht.\nwurde, schliefst dieBinde aus Erregungen innerhalbder ganzen Leitungs-bahn stets auf einen Lichteindruck. Ebenso wie das Baumbild nach Helmholtz durch Schlufsprozesse erworben wird, w\u00fcrde nach M. auch f\u00fcr den Erwerb der spezifischen Sinnesenergien des Bewufstseins an Schlufsprozesse zu denken sein. Speziell sucht M. dies f\u00fcr die optischen Empfindungen im einzelnen nachzuweisen. Es existiert also nur eine tierische Empfindung, welche erst durch Beizunterschiede und deren Aufnahmeorgane verschieden wird.\nDemgem\u00e4fs erkl\u00e4rt M. auch die Hallucination f\u00fcr einen \u201eSchlufs\u201c, der von der Erregung einer Station innerhalb der subkortikalen Zuleitung der Sinneshilder angesponnen wird und dem die Binde gem\u00e4fs ihren im Bewufstsein stehenden Gedanken und Affekten eine Ausdeutung als Wahrnehmung giebt. Der Hirnrinde kommt kein bleibender sinnlicher Inhalt zu, sie kann nicht sinnlich lebhaft reproduzieren. Zu letzterem bedarf es suhkortikaler Nervenzellenkolonien, ja die Abschw\u00e4chung der Bindenth\u00e4tigkeit beg\u00fcnstigt sogar das Auftreten subkortikaler Phantasmen. Das abnorme Zusammenwirken der Hirnteile in der Hypnose, in der hallucinatorischen Verwirrtheit und auch im Schlaf geh\u00f6rt hierher. In sehr interessanter Weise sucht M. diese St\u00f6rungen zu der Verschiedenheit des Modus der Blutversorgung von Binde und Hirnstamm in Beziehung zu setzen.\nWeiterhin streift M. kurz die Frage, wie das Ph\u00e4nomen des \u201eIch\u201c entsteht. Die hier vorgetragene Auffassung Meynerts ist von ihm bereits ausf\u00fchrlicher in einem fr\u00fcheren Vortrag \u00fcber \u201eGehirn und Gesittung\u201c auseinandergesetzt worden. In dem ungleichen Umfang des \u201eIch\u201c, das bei dem Kinde auf die einfachsten Empfindungen des eigenen K\u00f6rpers beschr\u00e4nkt ist und allm\u00e4hlich immer mehr Gegenst\u00e4nde und Personen n sich aufnimmt, und andererseits bei gewissen Erkrankungen, wie z. B. bei der Melancholie sich einengt und durch Erschwerung der Associationsleitung auseinanderf\u00e4llt, sieht M. einen zwingenden Beweis f\u00fcr die soziale, zusammengesetzte Natur des \u201eGehirnstaates\u201c.\nAngeborene Hirnfunktionen, ein angeborenes Wissen von der Erscheinungswelt bestreitet M. durchaus. Angeboren ist nur eine gewisse, h\u00f6chst verwickelte anatomische und chemische Beschaffenheit. Die Funktionen selbst aber, Licht, Schall und Baumbild und Bewegungsmotive sind Gegenst\u00e4nde des Erlernens.\nDer Vortrag Meynerts enth\u00fcllt uns in grofsen Z\u00fcgen das Bild des Gehirnlebens, wie es sich dem grofsen Hirnanatomen und Psychiater darstellt. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, dafs es sich bei einem so umfassenden Problem zuweilen nur um ein geniales Ahnen handeln kann; manche k\u00fchne Br\u00fccke wird geschlagen, deren Sicherheit und Festigkeit die langsamer nachschreitende Wissenschaft im einzelnen noch lange wird pr\u00fcfen m\u00fcssen. Zuweilen reiht sich eine geistvolle, anregende Hypothese an die andere. Auch Meynerts grundlegende hirnanatomische Arbeit ging von mehreren hypothetischen S\u00e4tzen aus; zahlreiche, ja die Mehrzahl der von ihm aufgestellten Faserverbindungen im Centralnervensystem hat hei Nachpr\u00fcfungen korrigiert oder abgelehnt werden m\u00fcssen, und doch verdanken wir dem durch Meynert aufgestellten Standpunkte fast","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n61\nalle neueren Fortschritte der Hirnanatomie. Diesen neuesten Vortr\u00e4gen M.\u2019s gegen\u00fcber d\u00fcrfte ein \u00e4hnliches Urteil am Platze sein. Einzelne Einw\u00e4nde gegen einzelne Glieder der neuen grofsartigen Konstruktion des Verfassers erscheinen daher ganz zwecklos, und erlaubt sich Referent nur den einen Hinweis, dafs die Hirnrinde, als deren \u201eLeistung\u201c M. so gerne die \u00e4ufsere Welt und das Ich hinstellt, doch selbst zu dieser \u00e4ufseren Welt geh\u00f6rt und uns auch nur aus Gesichtsempfindungen bekannt ist; eine eingehendere Kritik \u2014 namentlich des philosophischen Teiles der MEYNBRTSchen Anschauungen \u2014 h\u00e4tte hier einzusetzen.\nZiehen (Jena).\nH. Munk. \u00dcber die Funktionen der Grofshirnrinde. Gesammelte Mitteilungen mit Anmerkungen. Zweite vermehrte Auflage. Berlin, Hirschwald, 1890.\nDas vorliegende Buch enth\u00e4lt die im Jahre 1880 erschienenen Mitteilungen, vermehrt um neun weitere. Wenn auch der Inhalt der ersten Auflage im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt werden mufs, so m\u00f6ge doch, um eine W\u00fcrdigung des neu hinzugekommenen zu erm\u00f6glichen, eine Skizze des Standpunkts, den Munk in der ersten Auflage einnahm, vorausgeschickt werden.\nF\u00fcr Munk war, als er an die Untersuchung der Grofshirnrinde ging, die Lokalisation der Funktionen ein physiologisches Postulat. Er vermochte nicht zu glauben: \u201edafs, wo in den niederen Centralorganen die gr\u00f6fste Ordnung herrsche, in den oberen alle F\u00e4den bunt durchein-andergew\u00fcrfelt seien\u201c. Seine ersten Versuche f\u00fchrten ihn zu der Aufstellung zweier grofser, funktionell differenter Bezirke auf der Grofshirnrinde. Eine Linie senkrecht vom Ende der Fissura Sylvii gegen die Falx gezogen, scheidet den vorderen Abschnitt, dessen Verst\u00fcmmelung Bewegungsst\u00f6rungen zur Folge hat, von einer hinteren, \u201esensoriellen Sph\u00e4re\u201c. Im n\u00e4heren charakterisieren sich die St\u00f6rungen nach teil weiser Abtragung dieser letzteren dahin, dafs beispielsweise die Wegnahme eines St\u00fccks der Sehsph\u00e4re, die am Hinterhauptslappen liegt, \u201eSeelenblindheit\u201c, ihre totale Zerst\u00f6rung \u201eRindenblindheit\u201c, d. h. v\u00f6llige Blindheit erzeugt. Die Seelenblindheit wird definiert als \u201edas Fehlen der Gesichtsvorstellungen, der Erinnerungsbilder der Gesichtswahrnehmungen\u201c. Diese St\u00f6rung ist aber keine dauernde, da die \u00fcbriggebliebenen Teile der Sehsph\u00e4re mit neuen Erinnerungsbildern besetzt werden k\u00f6nnen; das Tier lernt nun sehen, wie in fr\u00fchester Jugend. Der Bezirk, dessen Abtragung Seelenblindheit erzeugt, ist in der Mitte der Sehsph\u00e4re gelegen, und es kann gelingen bei unvollkommenen Exstirpationen, einzelne Erinnerungsbilder zu erhalten, so in einem Falle das des Eimers, aus dem der Hund zu trinken gewohnt war. Die ganze Sehsph\u00e4re stellt sich Munk als eine Projektion der Retina auf die Hirnrinde vor. Beim Hund entspricht der lateralste Abschnitt der Netzhaut dem lateralsten Abschnitt der gleichseitigen Sehsph\u00e4re, die Macula lutea dem Centrum der gegenseitigen, der mediale Teil der Retina der medialen Partie ebenfalls der gegenseitigen Sehsph\u00e4re. Die einfache Untersuchung -des Gesichtsfeldes des operierten Tieres f\u00fchrt zu diesem Resultat.\nDie Projektion der Macula lutea ist zugleich die Stelle, deren","page":61}],"identifier":"lit14651","issued":"1892","language":"de","pages":"59-61","startpages":"59","title":"Th. Meynert: Das Zusammenwirken der Gehirnteile. Verhandl. d. 10. Intern. Med. Kongresses, Bd. I, 1891, S. 173-190","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:59:23.030191+00:00"}