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{"created":"2022-01-31T17:01:02.073538+00:00","id":"lit14688","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Peretti","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 3: 78-81","fulltext":[{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nI\u00c0tteraturbericht.\ndenen Konsonantengruppen, wie gesagt, alle etwas Spezifisches aufzuweisen haben, so kann man aus der Vergleichung normaler Kurven mit solchen von Personen, die an Sprachst\u00f6rungen leiden, mancherlei Schl\u00fcsse auf die Natur der pathologischen Verh\u00e4ltnisse machen, die aus anderen Untersuchungsmethoden nicht oder nicht so gut gewonnen werden w\u00fcrden. Bez\u00fcglich der vielen Einzelheiten und der zahlreich beigegebenen Kurven mufs auf das Original verwiesen werden.\tSchaefer.\nA. Bain. Notes on Volition. Mind, XVI (1891), No. 62. S. 2B3\u2014259.\n1.\tWirken Lust und Unlust, die unbestreitbaren Motive des Willens, direkt auf diesen oder nur indirekt vermittelst einer \u201cfixed idea\u201c?\nBain spricht sich f\u00fcr die unmittelbare Wirkung aus; entscheidend scheinen ihm die Vorg\u00e4nge in den niedersten Lebensformen und den Anfangsstadien der h\u00f6heren. Hinge die Willensth\u00e4tigkeit von Vorstellungen ab, so m\u00fcfste sie, da die geistigen Vorg\u00e4nge in Beziehung auf die Vorstellungsth\u00e4tigkeit in jenen F\u00e4llen sehr unvollkommen sind, ebenfalls unvollkommen und verkr\u00fcppelt sein; was keineswegs der Fall.\n2.\tM\u00fcssen wir Schmerz, Unlust als das einzige Motiv in der Willens-\nth\u00e4tigkeit ansehen? hat die Lust folglich nur einen negativen Charakter? stimmt sie unter allen Umst\u00e4nden, direkt und mittelbar zur Buhe, eine Buhe, die nur durch irgend eine Form von Unlust gest\u00f6rt werden kann ? Eine genaue Analyse der Thatsachen l\u00e4fst Bain behaupten, dafs eine Empfindung von Lust einen positiven Antrieb bilden kann, nach noch mehr Lust zu streben, und dafs der Versuch auch dies in ein Motiv von Unlust aufzul\u00f6sen unn\u00fctz und gezwungen w\u00e4re. Zuzugeben ist, dafs die Motivkraft ihr Maximum auf der niedersten Stufe der Lust- resp. Unlustskala hat, und dafs sie je mehr wir uns dem oberen Ende der Skala n\u00e4hern, desto mehr abnimmt. Schmerz ist nothwendig der treibende Einflufs, bis der Indifferenzpunkt erreicht ist. Dar\u00fcber hinaus haben wir einen Kr\u00e4ftekonflikt, und nur eine Situation anwachsender Lust kann einen wirksamen Stimulus liefern.\tGaupp (Cannstatt).\nKoch. Die psychopathischen Minderwertigkeiten. I. Abteil. Bavensburg, Dorn, 1891. 168 S. M. 4.\u2014.\nUnter dem Ausdrucke psychopathische Minderwertigkeiten fafst K, \u201ealle, sei es angeborenen, sei es erworbenen, den Menschen in seinem Personleben beeinflussenden psychischen Begelwidrigkeiten zusammen, welche auch in schlimmen F\u00e4llen doch keine Geisteskrankheiten darstellen, welche aber die damit beschwerten Personen auch im g\u00fcnstigsten Falle nicht als im Vollbesitze geistiger Normalit\u00e4t und Leistungsf\u00e4higkeit stehend erscheinen lassen\u201c. Diese psychopathischen Minderwertigkeiten, deren Ursache immer jenseits der physiologischen Grenze liegende organische Zust\u00e4nde und Ver\u00e4nderungen sind, f\u00fchren auf der einen Seite ganz allm\u00e4hlich v\u00f6llig zu den Geisteskrankheiten hin\u00fcber, w\u00e4hrend sie auf der anderen Seite sich ganz allm\u00e4hlich in die Breite des Normalen verlieren.\nDa es sich somit um die sogenannten psychischen Grenzzust\u00e4nde","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n79\nhandelt, die naturgem\u00e4fs nicht allein den Psychiater interessieren, so mag auf die Anschauungen des Verfassers etwas n\u00e4her eingegangen werden.\nDie psychopathischen Minderwertigkeiten sind andauernde oder fl\u00fcchtige, angeborene oder erworbene; die angeborenen andauernden psychopathischen Minderwertigkeiten, die K. in der bis jetzt erschienenen ersten Abteilung seines \"Werkes schildert, zerfallen in die psychopathische Disposition, die psychopathische Belastung und die psychopathische Degeneration, sie haben ihre Ursache zumeist in der Ererbung einer Sch\u00e4digung des Nervensystems, die sich sehr gew\u00f6hnlich auch k\u00f6rperlicherseits durch anatomische und funktionelle Degenerationszeichen ausspricht.\nDie angeborene psychopathische Disposition l\u00e4fst sich trennen in eine latente, bei der die geringere Widerstandskraft des Nervensystems f\u00fcr sich selbst nicht zu erkennen ist und nur angenommen werden kaun, wenn ein von neuro- oder psychopathischen oder von geschw\u00e4chten Menschen abstammendes Individuum zufolge von Gelegenheitsursachen, deren Wirkung sonst unverst\u00e4ndlich w\u00e4re, geisteskrank wird oder die Merkmale einer manifesten psychopathischen Minderwertigkeit annimmt \u2014 und in eine manifeste, die sich im wesentlichen als eine f\u00fcr sich erkennbare psychische Zartheit (gesteigerte Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr Eindr\u00fccke, Empfindlichkeit, Verletzlichkeit und Mangel an Thatkraft) darstellt.\nDie angeborene psychopathische Belastung ist gekennzeichnet durch Anomalien in der Erregbarkeit (Steigerung oder Verminderung der Erregbarkeit oder reizbare Schw\u00e4che), Mangel an Eben-mafs im psychischen Gebiete, ein ungeb\u00fchrlich in den Mittelpunkt ger\u00fccktes, verschrobenes und widerspruchsvolles Ich, durch Seltsamkeiten und Verkehrtheiten (l\u00e4cherliche Gewohnheiten, Perversit\u00e4ten in Em-pfindungs- und Gef\u00fchlsleben) primordialinstinktiven Regungen und Ausbr\u00fcchen und durch etwas Periodisches in Stimmungen und Neigungen. Diese wesentlichsten Z\u00fcge und Bestandteile der Bilder angeborener psychopathischer Belastung gehen aber zumeist nicht abgetrennt voneinander und selbst\u00e4ndig nebeneinander her, sondern sie beeinflussen sich gegenseitig mannigfach und pr\u00e4gen sich in vielen Sondererscheinungen gleichzeitig miteinander aus.\nUnter diesen Belasteten stofsen dem Beobachter vielfach gewisse typische Gestalten auf, deren psychisches Leben durch besonders hervorstechende Merkmale der einen oder anderen Art gekennzeichnet ist. \u201eDa trifft man psychopathisch faule und schlingelhafte oder gegenteils zart gewissenhafte und eifrige, vielleicht auch vielversprechende Kinder und Sch\u00fcler. Da begegnet man \u00e4lteren psychopathischen Personen, welche man unterscheiden kann als die zartbesaiteten Seelen, die weinerlichen Gem\u00fctsmenschen, die Tr\u00e4umer und Phantasten, die Menschenscheuen, die M\u00fchseligen, die Gewissensmenschen, die Empfindlichen und die \u00dcbelnehmerischen, die Launenhaften, die Exaltierten und die Excentrischen, die Gerechtigkeitsmenschen, die Stadt- und Weltverbesserer, die Eigensinnigen und Rechthaberischen, die Hochm\u00fctigen,","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nl\u00c0tteraturbericht.\ndie Taktlosen, die Sp\u00f6ttischen, die Eitlen und die Gecken, die Bummler und die Neuigkeitskr\u00e4mer, die Unruhigen, die B\u00f6sewichte, die Sonderlinge, die Sammler und die Erfinder, die mifsratenen und die nicht mifs-ratenen Genies u. s. w.\u201c Man mufs sich aber h\u00fcten, aus einer der genannten Erscheinungen gleich auf psychopathische Belastung zu schliefsen, keine psychopathische Belastung spricht sich hlofs in einer einzigen Erscheinung aus, pathologische und physiologische Charaktereigenschaften sind voneinander zu unterscheiden.\nAusf\u00fchrlich bespricht K. das hei den Zust\u00e4nden psychopatischer Belastung vorkommende und oft vorherrschende Zwangsdenken, das -er in folgende Gattungen einteilt: Zwangsempfindungen, Zwangsgef\u00fchle und Zwangsaffekte, Zwangsimpulse, Zwangshandlungen, Zwangshemmungen und Zwangsunterlassungen, Zwangsvorstellungen im engeren Sinne. Solche Zwangsgedanken, deren Gattungen einzeln und selbst\u00e4ndig oder, was h\u00e4ufiger ist, in Verbindungen untereinander auftreten, sind die mafsgebende Erscheinung in den \u201eZust\u00e4nden angeborener psychopathischer Belastung mit vorherrschendem Zwangsdenken\u201c, aber es finden sich in diesen Zust\u00e4nden auch noch andere Erscheinungen psychopathischer Minderwertigkeit. Zwangsdenken kommt nicht blofs bei angeboren psychopathisch Belasteten, sondern auch bei manchen anderen psychopathisch Minderwertigen, bei Geisteskranken und auch hei sonst psychisch Gesunden in transitorischer psychopathischer Minderwertigkeit oder auch einmal als vereinzelte selbst\u00e4ndige elementare psychische Anomalie vor. Die Zwangsgedanken sind dadurch gekennzeichnet, dafs sie pathologisch bedingt sind, primordial hervorquellen, mit pathologischem Zwange sich aufdr\u00e4ngen und zwischen das \u00fcbrige Denken eindr\u00e4ngen, so dafs sich der davon Betroffene nicht willk\u00fcrlich (v\u00f6llig) von ihnen losmachen kann, dafs sie aber dabei als etwas Fremdes, Aufgedrungenes und beziehungsweise Unzutreffendes erkannt werden.\nBei der angeborenen psychopathischen Degeneration besteht neben den sonst vorhandenen psychischen Anomalien eine habituelle geistige Schw\u00e4che, entweder vorwiegend auf dem intellektuellen oder vorwiegend auf dem moralischen oder ann\u00e4hernd gleich stark auf dem intellektuellen wie auf dem moralischen Gebiete, wonach sich die Einteilung der angeborenen psychopathischen Degeneration in eine intellektuelle, eine moralische und eine allgemeine ergiebt.\nWenn es sich auch bei der angeborenen psychopathischen Degeneration nie um einen psychopathischen Grad von Schw\u00e4che, also nie um eine f\u00fcr sich allein die freie Willensbestimmung v\u00f6llig ausschliefsende Schw\u00e4che handeln kann, so bedingt doch jede deutlich ausgesprochene angeborene psychopathische Degeneration an sich seihst jedenfalls einige, unter Umst\u00e4nden eine weitgehende Verminderung der Zurechnungsf\u00e4higkeit. K. spricht sich mit Entschiedenheit daf\u00fcr aus, dafs der Begriff der verminderten Zurechnungsf\u00e4higkeit in die deutsche Strafgesetzgebung eingef\u00fchrt werde, und er h\u00e4lt es f\u00fcr w\u00fcnschenswert, dafs f\u00fcr die angeboren psychopathisch Degenerierten, namentlich f\u00fcr die in h\u00f6herem Grade angeboren psychopathisch Degenerierten besondere Anstalten eingerichtet werden, in welche als in Bewahr-, Schutz- und","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"L\u00fcteratm bericht.\n81\nBesserungsanstalten die Betreffenden nicht auf eine bestimmte Zeit, sondern so lange untergebracht w\u00fcrden, als es ihr eigenes Interesse und die R\u00fccksicht auf die \u00f6ffentliche Sicherheit, Sittlichkeit und Ordnung erfordern w\u00fcrden.\nZum Schlufs bespricht K. noch die Beziehungen der angeborenen psychopathischen Minderwertigkeiten zu den Psychosen und kommt zu dem Resultate, dafs die angeboren psychopathisch Minderwertigen leichter und h\u00e4ufiger als die in ihrem Nervensystem unversehrten Menschen von interkurrenten Psychosen und psychotischen Zust\u00e4nden heimg'esuclit werden, dafs manche psychotische St\u00f6rungen, die bei angeboren psychopathisch Minderwertigen interkurriren, mit Vorliebe, manche auch ausschliefslich bei angeboren psychopathisch Minderwertigen auftreten und dafs zwar viele psychopathisch Minderwerthige dauernd geisteskrank werden, viel h\u00e4ufiger aber die angeborene psychopathische Minderwertigkeit nicht in Psychose \u00fcbergeht.\tPeretti (Merzig).\nDelbr\u00fcck. Die pathologische L\u00fcge und die psychisch abnormen Schwindler.\nEine Untersuchung \u00fcber den allm\u00e4hlichen \u00dcbergang eines normalen psychologischen Vorgangs in ein pathologisches Symptom f\u00fcr Arzte und Juristen. Stuttgart, Enke, 1891.\t131 S.\nWie uns gar nicht selten im gew\u00f6hnlichen Leben Menschen begegnen, die sich in harmlosen Prahlereien, Erz\u00e4hlungen von schliefslich zum Teil selbst geglaubten M\u00fcnchhausiaden und Jagdgeschichten gefallen oder als Charlatane in ihrer Berufst\u00e4tigkeit nicht nur Andere, sondern auch sich selbst betr\u00fcgen, wie sogar jeder geistig Gesunde bei genauer Selbstbeobachtung sich gelegentlich bei den sogenannten Not-und Affektl\u00fcgen auf einer Vereinigung von L\u00fcge und Selbstbetrug ertappen kann, so giebt es auch F\u00e4lle, wo die Mischung von L\u00fcge und Irrtum eine pathologische H\u00f6he erreicht, wo man dann eher von einem Gemisch von L\u00fcge und Wahnidee oder Erinnerungsf\u00e4lschung sprechen kann. Dieses Symptom, von welchem sich treffende Schilderungen in Daudets \u201eTartarin de Tarasconu, in Gottfried Kellers \u201eGr\u00fcner Heinrich\u201c und in G\u00f6thes \u201eDichtung und Wahrheit\u201c, II. Buch, finden, hat D. zum Gegenstand seines Studiums gemacht und schl\u00e4gt f\u00fcr dasselbe den Namen \u201ePseudologia phantastica\u201c vor. Das genannte Symptom kann bei allen Arten von Geisteskranken Vorkommen, besonders hervortretend ist es bei den Hysterischen und den sogenannten moralisch Irren, aber auch gelegentlich vorhanden bei Paralytikern, Maniakalischen und Paranoikern.\nF\u00fcnf interessante F\u00e4lle werden von D. vorgef\u00fchrt und in eingehender Weise deren psychologische Erkl\u00e4rung versucht; er ist der Ansicht, dafs bei diesen Personen, deren \u00c4ufserungen und Handlungen einem Gemisch von Phantasie, Prahlerei, L\u00fcge, Betrug und Wahn zuzuschreiben sind, zwei scheinbar einander widersprechende Bewufstseinszust\u00e4nde gleichzeitig nebeneinander bestehen, das Bewufstsein von der Unwahrheit des Gesagten und gleichzeitig das \u00dcberzeugtsein von der Realit\u00e4t der Aussagen. Dafs ein derartiges gleichzeitiges Bestehen zweier verschiedener Bewufstseinszust\u00e4nde Vorkommen kann, l\u00e4fst sich durch ein hypnotisches Experiment beweisen, das Forel anstellte, indem er einer\nZeitseh,itt lUt Psychologie ill.\t6","page":81}],"identifier":"lit14688","issued":"1892","language":"de","pages":"78-81","startpages":"78","title":"Koch: Die psychopathischen Minderwertigkeiten, I. Abteilung. Ravensburg, Dorn 1891","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:01:02.073543+00:00"}