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{"created":"2022-01-31T17:02:11.024390+00:00","id":"lit14715","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schaefer, Karl L.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 3: 185-192","fulltext":[{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Psychologie.\nVon\nKarl L. Schaefer.\nI.\nDas Verhalten wirbelloser Tiere auf der Drehscheibe.\nAn der Spitze einer gr\u00f6fseren Keil)e vergleichend psychologischer Untersuchungen, die in erster Linie die Keaktion wirbelloser Tiere auf passive Kotationsbewegungen zum Gegenst\u00e4nde haben werden, m\u00f6ge hier einiges aus einer fr\u00fcheren Untersuchung: \u201e\u00dcber die Wahrnehmung eigener passiver Bewegungen durch den Muskelsinn\u201c1 Platz finden ; zun\u00e4chst eine kurze Zusammenfassung der Erscheinungen, welche Menschen w\u00e4hrend und unmittelbar nach dem Aufh\u00f6ren passiver Bewegungen darbieten. 1. Bei einer passiven progressiven, d. h. geradlinigen Bewegung ist man auch unter Ausschlufs aller etwaigen H\u00fclfs-mittel, wie Augen, Tastempfindungen, Luftstr\u00f6mungen u. s. w., im st\u00e4nde, ganz genau den Moment des Beginns, die Dichtung und ungef\u00e4hre Geschwindigkeit einer Bewegung anzugeben. 2. Von Kotationsbewegungen gilt ganz das N\u00e4mliche. 3. Man h\u00e4lt bei Kotationsbewegungen die Dichtung der resultierenden Massenbeschleunigung f\u00fcr die Vertikale. 4. Die meisten aktiven Bewegungen sind w\u00e4hrend der Dotation sehr erschwert, einige unm\u00f6glich. 5. Man empfindet bei allen passiven Bewegungen nur die positive oder negative Beschleunigung, nicht die Geschwindigkeit. 6. Positive und negative Beschleunigung wird bei progressiven Bewegungen weniger gut empfunden, als bei Kreisbewegungen. 7. Es ist noch streitig, ob eine konstant gegen den Beobachter dieselbe Richtung einhaltende Beschleunigung schliefslich auf h\u00f6rt, empfunden zu werden, oder\n1 Pfl\u00fcgers Archiv f. d. ges. Physiol,, Bd. XLI, S. 566 ff.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nKarl L. Schaefer.\nnicht. 8. Man hat bei Verminderung der Geschwindigkeit einer Rotationsbewegung und in noch h\u00f6herem Grade bei pl\u00f6tzlicher Arretierung das Gef\u00fchl, in entgegengesetztem Sinne gedreht zu werden. 9. Bei diesem Gef\u00fchl von Gegendrehung hat man die Empfindung, dieselbe gesch\u00e4he unter einem gewissen Widerstande. 10. Beim Aufh\u00f6ren einer Progressivbewegung fehlt ein analoges Gef\u00fchl von R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung. 11. Alle scheinbaren Bewegungen lassen sich durch wirkliche von entgegengesetztem Sinne kompensieren. [Mach.]\nDie analogen Tierexperimente, welche von anderen und in vervollst\u00e4ndigender Weise ivon mir auf Vertreter so ziemlich aller mit drei Halbzirkelkan\u00e4len jederseits versehenen Vertebratengruppen ausgedehnt wurden, ergeben folgende gemeinsamen Resultate. Auf progressive Bewegungen findet eine sichtbare Reaktion nicht statt. Sobald aber eine Rotation auf der horizontalen Drehscheibe beginnt, verdreht das Tier den Kopf in dem der Rotation entgegengesetzten Sinne. Diese Erscheinung tritt regelm\u00e4fsig ein und bleibt w\u00e4hrend der ganzen Rotation bestehen, wenn nicht \u2014 was bei nur irgend g\u00fcnstigen Versuchsbedingungen mit Vorliebe geschieht \u2014 der Kopfdrehung ein Umwenden des ganzen Leibes folgt und das Tier alsdann anf\u00e4ngt, immer gegen die Drehung am Rande der Centrifuge entlang zu laufen. Im Momente des Aufh\u00f6rens der Rotation beginnen die Tiere meist st\u00fcrmisch dieselbe aktiv fortzusetzen und ein getreues Abbild der passiven zu produzieren. Hatten sie sich im Radius der Scheibe befunden, und war der Kopf dem Centrum zugewandt oder im Centrum selbst gewesen, so erfolgt die sogenannte Uhrzeigerbewegung, d. h. das Tier steht mit den Vorderbeinen fest auf dem Boden, und die Hinterf\u00fcfse f\u00fchren den K\u00f6rper im Kreise um diese als Axe herum. Waren die Hinterf\u00fcfse im Centrum gewesen, so bleiben diese in Ruhe, und die Vorderextremit\u00e4ten besorgen die Rotation. Hatte man das Versuchsobjekt in die Peripherie gestellt, so l\u00e4uft es nachher fortw\u00e4hrend im Kreise um eine imagin\u00e4re Axe \u2014 dies die sogenannte Man\u00e8gebewegung. Auch ist es gleich, um welche Axe des Tieres die Drehung stattfand: sie wird immer um diese weiter fortgesetzt; war z. B. das Tier um seine L\u00e4ngsaxe oder um eine dieser Parallelen gedreht, so w\u00e4lzt es sich nachher fortw\u00e4hrend um seine L\u00e4ngsaxe: Rollbewegung. Diese Zwangsbewegungen kommen allerdings nicht immer mit","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Psychologie.\n187\nvollkommener Deutlichkeit zum Ausdruck, da hierzu eine bestimmte Dauer und Intensit\u00e4t der Dotation n\u00f6tig ist. Stets aber bildet den Schlufs der Reaktion auf die passive Drehung ein Hin- und Herpendeln des Kopfes, welches noch eine Weile von nystagmischen Augenbewegungen im entgegengesetzten Sinne der Rotation \u00fcberdauert zu werden pflegt.\nDen Beobachtungen \u00fcber das Verhalten Wirbelloser auf der Drehscheibe wurde nun anfangs der Plan zu Grunde gelegt, so systematisch als m\u00f6glich alle Ordnungen und Gruppen der Evertebraten zu durchmustern. Es stellte sich jedoch bald heraus, dafs wahrscheinlich nicht die Verwandtschaft der Tiere, wie sie im zoologischen System Ausdruck findet, sondern viel eher die \u00c4hnlichkeit der \u00e4ufseren K\u00f6rperform, insofern sie auch einen \u00e4hnlichen Lokomotionsmodus bedingt, ein gleichartiges Reagieren gegen passive Rotationen zur Folge hat. So zeigen Schnecken, als deren Vertreter H. nemoralis gew\u00e4hlt wurde, und Raupen \u2022\u2014 P. brassicae \u2014 ein relativ \u00fcbereinstimmendes Verhalten; beide bilden zusammen gewissermafsen eine Gruppe, der man eine zweite spezifisch reagierende, bestehend aus: Ameisen, Stubenfliegen, (K\u00e4fern:) Geotrupes silva-ticus und Ohrw\u00fcrmern gegen\u00fcberstellen kann.\nWas nun zun\u00e4chst die Versuche mit H. nemoralis anlangt, so war weder bei Progressivbewegungen noch nach Drehver-suchen eine Reaktion auf die passive Bewegung wahrzunehmen. Anders w\u00e4hrend der Reaktion. Hier\u00fcber habe ich bereits fr\u00fcher a. and. O.1 folgendes berichten k\u00f6nnen. Die zuerst gew\u00e4hlte Versuchsanordnung war folgende. Der Radius der kleinen Drehscheibe betrug etwa 10 cm. Die Position der etwa in die Mitte zwischen Peripherie und Centrum aufgesetzten Schnecken war die, dafs jedesmal der Leib vor der Rotation eine genau gerade Linie bildete und seine L\u00e4ngsaxe mit einem Radius zusammenfiel. Der Kopf war der Peripherie zugewandt. / Bei jedem Versuche kam ein frisches Exemplar zur Verwendung, das immer nur wenigen langsamen Drehungen, und zwar im Sinne des Uhrzeigers, ausgesetzt wurde. Von 100 so Behandelten drehten 84 den Kopf gegen die Drehrichtung; von dem Reste wurden 3 gar nicht\n1 \u00dcber den Drebsehwindel bei Tieren. Naturw. Wochenschr. Bd. YI, No. 25.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nKarl L. Schaefer.\naffiziert, die \u00fcbrigen drehten den Kopf mit der Drehrichtung. Als aber von den letzteren die meisten noch einmal gepr\u00fcft wurden, wandte der gr\u00f6fste Teil nunmehr den Kopf ebenfalls nach links zur\u00fcck. \u2014 Von 100 anderen, umgekehrt wie der Uhrzeiger Gedrehten, wandten 74 den Kopf gegen die Drehrichtung; nur 2 blieben unbeeinflufst; der Best wandte den Kopf im Sinne der Drehung; er entging aus \u00e4ufserlichen Gr\u00fcnden einer zweiten Pr\u00fcfung.\nDie Frage, wie die Schnecken sich verhalten w\u00fcrden bei einer unter sonst gleichen Bedingungen mehrere Minuten lang fortgesetzten Rotation fand folgende L\u00f6sung. Von 40 daraufhin Gepr\u00fcften erschienen 2 ganz unbeeinflufst. Die Mehrzahl indessen kehrte sich v\u00f6llig um \u2014 der Kopf war also auch hier anfangs nach der Peripherie gerichtet \u2014 kroch auf das Centrum zu, wand sich an dem daselbst zur Fixation der Drehscheibe angebrachten Schraubenknopf in die H\u00f6he und fing dann an, diesen der Drehung entgegen fortgesetzt zu umkreisen. Andere begaben sich nicht nach dem Centrum, sondern krochen in der der Potation entgegengesetzten Richtung an der Peripherie entlang. Ein dritter Teil endlich kombinierte gewissermafsen beide Bewegungsarten und n\u00e4herte sich in einer Spirale langsam dem Centrum. Im Sinne der Drehung aber bewegte sich keine.\nIm ganzen betrachtet ist hiernach die Reaktion der Schnecken im Gegensatz zu der der Vertebraten auf den Beginn und die Dauer des Drehversuches beschr\u00e4nkt, aber auch da kaum eine streng gesetzm\u00e4fsige zu nennen.\nV\u00f6llig negativ fielen ihrerseits die Experimente, an den Raupen aus. Die Rotationsversuche an denselben begannen meist, w\u00e4hrend sie sich vom Centrum geradlinig zur Peripherie bewegten. Als Resultat der Versuche ergab sich: Gerade ruhende Tiere wurden durch die Drehung zu einer Lokomotion nicht veranlafst. Von den schon in Bewegung begriffenen krochen die meisten w\u00e4hrend der Drehung unbeirrt weiter und wichen von der geraden Lauflinie gar nicht oder nur ein wenig \u2014 bald mit, bald gegen die Drehung \u2014 ab ; wobei ihr Leib in der Regel selbst eine gerade Linie bildete, gelegentlich aber auch unregelm\u00e4fsig schl\u00e4ngelnd fortbewegt ward. Einige Raupen gaben die gerade Richtung auf und beschrieben Bogenlinien, mit der Konkavit\u00e4t dem Centrum zu, dabei aber ebenso oft mit der Drehung wie gegen dieselbe kriechend. Zuweilen kamen im","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Psychologie.\n189\nBeginn der Rotation Wendungen des Kopfes und der vorderen Segmente gegen die Drehung, aber auch im Sinne derselben vor. Eine Nachwirkung der Drehung, also Drehschwindel, wurde nicht bemerkt.\nWas nun die andere Gruppe anlangt, so wurden die Ameisen und Fliegen, welche sich in allen Punkten v\u00f6llig \u00fcbereinstimmend zeigen, in einem parallelepipedonischen Glaskasten gedreht, dessen Gr\u00f6fse ihnen gen\u00fcgenden Spielraum bot. Fast immer in lebhafter Spontanbewegung begriffen, werden sie, falls auf dem Boden oder an der Innenseite des Deckels entlang laufend, durch alle Arten der Drehung \u2014 rechts herum, links herum, rasch oder langsam \u2014 zu einer Gegendrehung veranlafst d. h. sie beginnen alsbald in dem der Drehung entgegengesetzten Sinne eine Spirale, eine Ellipse oder einen Kreis, immer von sehr kleinem Radius, um den im Beginn des Versuchs innegehabten Platz als Centrum abzulaufen. Diese Gegendrehung tritt so maschinenm\u00e4fsig prompt ein, dafs man jederzeit im st\u00e4nde ist, das Tier durch entsprechende Rechtsund Linksschwenkungen der Scheibe genau nach einem vorherbestimmten Punkte zu dirigieren. \u2014 Nach dem Aufh\u00f6ren des Drehversuches wird die Laufrichtung meist momentan wieder geradlinig: Drehschwindel besteht mithin jedenfalls nicht.\nW\u00e4hrend also in aktiver Bewegung begriffene Ameisen oder Fliegen im Augenblicke des Beginns der Drehung auch schon auf diese reagieren, ist dies nicht der Fall, wenn das Tier ruhig sitzend, etwa die F\u00fchler resp. Fl\u00fcgel putzend, von der Drehung \u00fcberrascht wird. Es l\u00e4fst dann die passive Bewegung ungest\u00f6rt \u00fcber sich ergehen. Genau dieselbe Beobachtung wurde sp\u00e4ter auch .an den K\u00e4fern und Ohrw\u00fcrmern gemacht \u2014 auch die Raupen zeigten, wie wir gesehen, dasselbe Verhalten. Es scheint sich hier also um eine konstante Erscheinung zu handeln, und vielleicht waren auch die oben mehrfach angef\u00fchrten, von der Drehung ganz un-beeinflufst gebliebenen Schnecken solche, welche w\u00e4hrend des Versuches ruhten, worauf seinerzeit allerdings noch nicht besonders geachtet wurde.\nEin anderer Punkt von Wichtigkeit ist das Verhalten derjenigen Ameisen und Fliegen, die sich w\u00e4hrend des Versuches an den vertikalen Seitenw\u00e4nden bewegen. Die Kastenform bringt es mit sich, dafs die Gr\u00f6fse der Schwungkraft in der","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nKarl L. Schaefer.\nvertikalen Mittellinie der Seitenw\u00e4nde ihr Minimum hat. Es wurden nun die Versuche stets so eingerichtet, dafs das Versuchsobjekt hei einem etwaigen Gegenlaufen gegen die Drehung sich der Mittellinie n\u00e4hern mufste, also mit anderen Worten gerade bei dieser Bewegungsrichtung die g\u00fcnstigsten Chancen f\u00fcr ein etwa angestrebtes Paralysieren der passiven Bewegung gefunden h\u00e4tte. Indessen zeigte sich diese Sichtung durchaus nicht bevorzugt. Die Tiere liefen vielmehr viel h\u00e4ufiger direkt aufw\u00e4rts bez\u00fcglich abw\u00e4rts, oder der n\u00e4chsten Kante zu, oder gar mit der Drehung, oder r\u00fchrten sich, in eine Ecke verkrochen, \u00fcberhaupt nicht.\nDies giebt den Anlafs zu folgender \u00dcberlegung. Entsprechend. der bisher von anderen den Eesultaten der Drehversuche an Vertebraten gegebenen Auslegung w\u00fcrde die Gegendrehung als eine beabsichtigte, \u00fcberlegte Handlung, die Kompensation der unangenehm empfundenen Sotation bezweckend, anzusehen sein. Wenn aber \u00fcberhaupt, so kann die Drehung nur durch die Verschiebung gewisser K\u00f6rperteile gegeneinander, welche sie im Gefolge hat, zur Wahrnehmung kommen und mufs daher von den ruhenden wie von den an den Seitenw\u00e4nden umherlaufenden Tieren percipiert werden. Warum reagieren denn diese nicht auch mit Gegendrehung? Sollte man ferner nicht annehmen, dafs Fliegen, wenn die passive Sotation sie zur Flucht triebe, an Stelle des andauernden Kreislaufes eher von dem bequemeren und gewohnteren Hiilfs-mittel des Wegfliegens Gebrauch machen w\u00fcrden? Fortfliegen wurde aber nur, und auch dann nicht regelm\u00e4fsig, bei pl\u00f6tzlichem, ruckendem Beginn rascher Drehung beobachtet, wobei die Fliege auch einfach durch die Schwungkraft abgeschleudert sein kann. Langsamer, sozusagen einschleichender Beginn der Drehung hat nie Wegfliegen zur Folge. Schliefslich w\u00e4re noch das zu bedenken, dafs ein fortdauernder Anreiz zur Flucht doch auch eine ununterbrochene Eeaktion hervorrufen m\u00fcfste. Diesen Charakter tr\u00e4gt aber die Gegendrehung der Fliegen keineswegs immer. Nicht selten macht eine Fliege \u00f6fter Halt, um die Fl\u00fcgel erst zu putzen. Andere laufen \u00fcberhaupt nur in Abs\u00e4tzen, ebenso wie man es an ihnen so oft in der Freiheit sieht: Es wird eine kleine Strecke durchlaufen, dann pl\u00f6tzlich inne gehalten, mit dem E\u00fcssel rekognosziert, eilfertig weiter gelaufen, wieder pausiert u. s. f. Kurz es machen alles in allem","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Psychologie.\n191\ndiese Gegendrehungen \u2014 ebenso wie die gleich zu erw\u00e4hnenden der K\u00e4fer und Ohrw\u00fcrmer \u2014 viel mehr den Eindruck von Reflexvorg\u00e4ngen als den einer zweckbewufsten Handlung.\nDie K\u00e4fer wurden auf einer rotierenden Pappscheibe untersucht. Die Drehung war auch hier bei jedem Exemplar eine vierfache, rechts- und linksherum, rasch und langsam. Aufser-dem wurden aber auch noch Versuche angestellt, bei denen die Scheibe, statt wie sonst horizontal gestellt zu sein, etwa 45\u00b0 gegen den Horizont geneigt war. Das Resultat war immer dasselbe: v\u00f6lliger Mangel von Drehschwindel nach dem Versuch und Gegendrehung \u2014 ganz konform derjenigen der Ameisen und Fliegen \u2014 w\u00e4hrend desselben. Wurde die Rotations-geschwindigkeit so gesteigert, dafs von den einzelnen Konturen des Tieres nichts mehr zu unterscheiden war, so h\u00f6rte die Gegendrehung und \u00fcberhaupt alle spontane Lokomotion auf, die K\u00e4fer verharrten regungslos am Platze. Zum Schl\u00fcsse wurden allen K\u00e4fern beide F\u00fchler amputiert und alsdann die Versuche wiederholt. Dies geschah in Anbetracht der M\u00f6glichkeit, dafs die F\u00fchler etwa durch Vermittelung der Perception von Luftstr\u00f6mungen, hier verursacht durch die Drehung, oder sonst irgendwie an der Wahrnehmung der Lage und ihrer \u00c4nderung im Raum \u2014 falls eine solche \u00fcberhaupt statthaben sollte \u2014 beteiligt sein k\u00f6nnten. Es ergab sich jedoch, dafs an den beschriebenen Versuchsresultaten der Mangel der F\u00fchler nichts \u00e4ndert.\nDie Drehversuche an den Ohrw\u00fcrmern gesondert zu besprechen, hiefse nur Bekanntes wiederholen. Ihr Verhalten weicht in keiner Weise von dem beschriebenen Typus ab. Bemerkenswert ist aber, dafs dekapitierte Ohrw\u00fcrmer bei Drehversuchen stets regunglos bleiben, w\u00e4hrend sie im \u00fcbrigen eine nicht unbetr\u00e4chtliche Reflexerregbarkeit zeigen. So haben z. B. Versuche, das Tier auf den R\u00fccken zu legen, Anklammern an das Instrument bez\u00fcglich sofortiges Wiederumdrehen zur Folge. Kitzelnde Ber\u00fchrung des Hinterleibes l\u00f6st eine Fluchtbewegung nach vorn aus, oder es wird die Stelle mit dem letzten Bein derselben Seite abgewischt ; ganz wie ein kopfloser Frosch gegen einen S\u00e4uretropfen verf\u00e4hrt. Seitliche Ber\u00fchrung des Thorax zwischen dem zweiten und dritten Bein f\u00fchrt zu einem Ausweichen nach der entgegengesetzten Seite und Abwischen der Stelle mit dem zweiten Bein. Auf Druck gegen die Amputa-","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nKarl L. Schaefer.\ntionswunde l\u00e4uft das Tier regelrecht eine Strecke r\u00fcckw\u00e4rts. Ber\u00fchren der Fufsspitzen ist stets von promptem Anziehen des betreffenden Beines gefolgt.\nAus den im Vorstehenden mitgeteilten Einzelheiten ergiebt sich nun folgendes\nGesamtresultat der Untersuchung.\n1.\tIm Beginn und w\u00e4hrend der Drehung auf horizontaler Ebene findet Gegendrehung statt; jedoch nicht ausnahmslos: n\u00e4mlich\na)\tbei Kohlweifslingr aup en \u00fcberhaupt nicht, bei Helix nemoralis nicht durchweg und\nb)\tbei Mistk\u00e4fern, Ameisen, Stubenfliegen und Ohrw\u00fcrmern nur dann, wenn sie gerade in aktiver Lokomotion begriffen sind.\n2.\tEine Nachwirkung der Drehung findet nicht statt. Einem Drehschwindel, wie die Vertebraten, unterliegen also die bisher gepr\u00fcften Wirbellosen nicht.","page":192}],"identifier":"lit14715","issued":"1892","language":"de","pages":"185-192","startpages":"185","title":"Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Psychologie","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:02:11.024395+00:00"}