Open Access
{"created":"2022-01-31T17:00:52.692326+00:00","id":"lit14771","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Peretti","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 3: 230-232","fulltext":[{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nLitteraturbericht.\nBei der Verschmelzung zweier oder mehrerer Eindr\u00fccke ist die Phantasie nicht th\u00e4tig, sie verschmelzen vielmehr von selbst, weil die Urteilskraft sie nicht auf die Dauer auseinander h\u00e4lt. Dagegen ist die Phantasie bei denjenigen Traumscenen, welche reicher sind an Handlung, ohne Zweifel wirksam. Von den psychischen Funktionen schl\u00e4ft der Wille zuerst ein, hierauf das Urteil, sodann die Phantasie: das Ged\u00e4chtnis bleibt zuletzt \u00fcbrig zusammen mit der Empfindung.\nDen Ausgangspunkt der Abhandlung bildet die Thatsache, dafs wichtige Lebensereignisse, wie Todesf\u00e4lle, Verlobungen, Ungl\u00fccksf\u00e4lle, welche den Geist vollst\u00e4ndig beherrschen, w\u00e4hrend dieser Zeit kein darauf bez\u00fcgliches Traumbild hervorrufen. Aus dieser Thatsache, welche richtig ist, aber auch noch auf andere Weise erkl\u00e4rt werden kann, hat der Verfasser zwei Folgerungen abgeleitet, eine Erweiterung und einen Schlufs auf das Gegenteil, welche zwar beide logisch mit der gegebenen Erkl\u00e4rung der zu Grunde gelegten Thatsache zusammenstimmen, aber der Erfahrung nicht entsprechen. Die Ideen, welche den Geist am Tage nacheinander beherrscht d. h. ihn mit Ausschlufs heterogener Vorstellungskreise einige Zeit hindurch besch\u00e4ftigt haben, sollen im Traume im allgemeinen nicht wiederkehren! Gerade sie bilden in Verbindung mit den ihnen assoziierten bei mindestens der H\u00e4lfte der F\u00e4lle die psychische Basis, aus welcher die Traumideen hervorgehen. Ferner soll ein weniger bewufst erfolgter Einzeleindruck die gr\u00f6bsten M\u00f6glichkeiten haben, einen Traum hervorzurufen! Auch diese Behauptung erscheint mir unhaltbar. Bei meinen Tr\u00e4umen wenigstens hat es sich herausgestellt, dafs, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, solche Einzeleindr\u00fccke bewufst und in aller Ruhe vom Geiste am Tage aufgenommen worden waren, worauf letzterer, ohne eine gewaltsame Ablenkung erfahren zu haben, sich anderen Eindr\u00fccken oder Vorstellungen \u00fcberlassen hatte.\nOb man ferner h\u00e4ufiger von traurigen als von freudigen Ereignissen tr\u00e4umt, das h\u00e4ngt meiner Ansicht nach von k\u00f6rperlichen Zust\u00e4nden ab, namentlich von der Art des Verdauungsvorganges. Dafs man endlich auf die oben angegebene Weise Tr\u00e4ume von bestimmter Art willk\u00fcrlich erzeugen kann, glaube ich nicht recht, da der Traum ein zu gewissenhafter Interpret der wirklich vorhandenen psychischen Dispositionen ist.\nIm \u00fcbrigen stimme ich mit den erw\u00e4hnten Ausf\u00fchrungen des Verfassers \u00fcberein. Namentlich haben mich die drei zuletzt aufgestellten Gesetze \u00fcberrascht, in denen der Verfasser eine feine Beobachtungsgabe bekundet.\tMax Giessler (Erfurt).\nvon Fbankl-Hochwart. Ueber den Verlust des musikalischen Ausdrucksverm\u00f6gens. Deutsche Zeitschrift f\u00fcr Nervenheilkunde. Bd. I., Heft 3 u. 4. S. 283.\nMan hat beobachtet, dafs es Kinder giebt, die fr\u00fcher singen als sprechen lernen und dafs zuweilen bei angeborenem oder erworbenem Idiotismus der Sinn f\u00fcr Musik, ein gutes musikalisches Geh\u00f6r und Ged\u00e4chtnis f\u00fcr Melodien selbst da, wo die Sprache fehlt, vorhanden ist. Bekanntlich k\u00f6nnen V\u00f6gel (z. B. Gimpel), die nie sprechen lernen, doch","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"L\u00fcteraturbericht.\n231\neinige Melodien singen; Betrunkene, die nicht mehr sprechen k\u00f6nnen, h\u00f6rt man oft noch singen. Es giebt also ein musikalisches Ausdrucksverm\u00f6gen hei Sprachlosen; es giebt Leute, welche die Sprache verloren und doch ihr musikalisches K\u00f6nnen behalten haben. Andererseits giebt es aber auch Leute, die mit dem Verlust der Sprache auch das musikalische Ausdrucksverm\u00f6gen g\u00e4nzlich oder doch gr\u00f6fstenteils eingeb\u00fcfst haben, wof\u00fcr Verf. aufser mehreren der Litteratur entnommenen F\u00e4llen 5 eigene Beobachtungen anf\u00fchrt. Verlust des musikalischen Ausdrucksverm\u00f6gens allein ohne Sprachst\u00f6rung ist bisher noch nicht konstatiert worden. (Ob die von Ribot in seinem Buche \u00fcber das Ged\u00e4chtnis erw\u00e4hnte Beobachtung Carpenters, wo ein Kind nach einer Kopfverletzung alle seine musikalischen Kenntnisse, sonst aber nichts verloren hatte, ein derartiger Fall ist, l\u00e4fst sich bei der K\u00fcrze der Notiz nicht ersehen. Ref.) Ebensowenig beobachtete man bei einer Erkrankung der rechten Hirnhemisph\u00e4re Verlust des musikalischen Ausdrucksverm\u00f6gens. Warum dasselbe bei der Aphasie das eine Mal erhalten bleibt, das andere Mal verloren geht, versucht Verf. durch folgende Hypothese zu erkl\u00e4ren. Zum Verst\u00e4ndnis der T\u00f6ne kommt man nach Strickers Ansicht dadurch, dafs der akustische Eindruck sofort eine Muskelinnervation im Kehlkopf oder den Lippen ausl\u00f6st, welche f\u00fcr gew\u00f6hnlich, wenn man ein Tonst\u00fcck anh\u00f6rt, so wenig intensiv ist, dafs sie von dem akustischen Eindruck, von der Klangfarbe des Geh\u00f6rten gedeckt wird und daher unbemerkt bleibt. Beide aber, der akustische Eindruck und die Muskelinnervation, hinterlassen im potentiellen Wissen Residuen des wahrgenommenen Tonst\u00fcckes, welche bei der Erinnerung an dieses Tonst\u00fcck beide zugleich in das lebendige Wissen treten. In der Erinnerung ist jedoch das akustische Bild nicht mehr so vorherrschend, wie beim direkten Anh\u00f6ren, und man f\u00fchlt, wenn man darauf achtet, bei der Vorstellung der Melodie eine Innervation des Kehlkopfes oder der Lippen. Da es auch Menschen giebt, die bei der Vorstellung weder im Kehlkopf noch in den Lippen etwas versp\u00fcren, stellte Stricker sp\u00e4ter selbst die Vermutung auf, dafs die Innervation eines Muskels im Ohr, des Tensor tympani, die Vorstellung vermitteln k\u00f6nne, eine Vermutung, die durch die Beobachtung Pollaks, dafs dieser Muskel beim Hunde auf T\u00f6ne reagiert und dafs je nach der H\u00f6he derselben der Ausschlag ein ganz verschiedener ist, bekr\u00e4ftigt wird. Es scheint auch, dafs bei manchen Musikern1 die Instrumente spielen, die Bewegung der Finger ein Mittel ist, sich ohne Benutzung des Instrumentes bei Durchlesen der Noten oder auch ohne Noten ein Tonst\u00fcck wieder ins Ged\u00e4chtnis zur\u00fcckzurufen.\nBei vielen Leuten beruht also, wie fast allgemein angenommen wird, die Musikvorstellung auf Kehlkopf-Lippeninnervation, es giebt aber auch Leute, bei denen sie noch auf andere Weise zu st\u00e4nde kommt.\n\u201eWir haben Grund anzunehmen, dafs Sprache und Musikvorstellungen bei vielen Leuten auf identischen oder nahe benachbarten Centren beruhen; denn oft verliert sich das musikalische Ausdrucksverm\u00f6gen mit der Sprache, und meistens entwickelt sich (einzelne Ausnahmen abgerechnet) beim Kinde beides gleichzeitig. In anderen F\u00e4llen erh\u00e4lt es sieh trotz d\u00e8s Verlustes der Sprache. Dann haben wir vielleicht Leute","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nLitteraturbericht.\n\u2022vor uns, die mit Ohrvorstellung (nach Stricker mit dem Tensor tympani) arbeiteten, so dafs sich dieses Centrum erhielt, w\u00e4hrend das der Sprach\u00bb Vorstellung zu Grunde ging. Es kann auch Leute geben, die doppelte Vorstellungsmodalit\u00e4ten haben und bei Verlust der einen doch mit der anderen (vielleicht \u00f6fters nur teilweise) Vikariieren.\u201c\nPeretti (Merzig).\nJ. Mark Baldwin. (Toronto). Suggestion in infancy. Science (New-York), XVII. No. 421, 27. Febr. 1891.\nAuf Grund von Beoachtungen am eigenen Kinde kommt B. zu folgender Einteilung der Arten der Suggestion. Physiologische Suggestion ist das Bestreben eines BefLexes oder eines automatischen Vorganges,, mit einem anderen Empfindungs- oder Vorstellungsprozesse sich zu verkn\u00fcpfen und von ihm beeinflufst zu werden. Sensori-motorische Suggestion ist das Bestreben aller nerv\u00f6sen Reaktionen sekund\u00e4r automatisch und reflektorisch zu werden. Deliberative Suggestion ist das Bestreben verschiedener, im \u201cWettstreit befindlicher sensorischer Vorg\u00e4nge, in eine einzige motorische Reaktion auszugehen. Persistente imitative Suggestion ist das Bestreben eines sensorischen Vorganges, sich durch eine solche Anpassung seiner Reaktionen zu behaupten, dafs sie ihrerseits neue Reize abgeben. Von seiten des Bewufstseins ist Suggestion im allgemeinen die Neigung eines Empfindungs- oder Vorstellungszustandes, von einem motorischen Zustand gefolgt zu werden.\nAsher (Heidelberg).\nvan Deventer. Die Rolle der Suggestion in wachem Zustande, vom forensischen Standpunkte aus beleuchtet. Centralblatt f\u00fcr Nervenheilkunde und Psychiatrie. September 1891. S. 385.\nSicherlich hat man die Bedeutung der Suggestion in der Hypnose f\u00fcr die M\u00f6glichkeit, jemandem das Begehen einer mit seiner ganzen Pers\u00f6nlichkeit in Widerspruch stehenden Strafthat zu suggerieren, \u00fcbersch\u00e4tzt, aber es giebt doch unzweifelhaft F\u00e4lle, in denen der Hypnotisierte gegen seinen Willen strafbare Handlungen begeht. Unter gewissen Umst\u00e4nden kann die Suggestibilit\u00e4t auch im wachen Zustande ebenso stark sein, wie in der Hypnose; so kommt es vor, dafs ein eindrucksf\u00e4higes Individium vor dem Untersuchungsrichter infolge unbe-wufster Suggestion, indem es dem Gedankengange des Inquirenten folgt, in gutem Glauben ein falsches Zeugnis abgiebt, ebenso wie es auch m\u00f6glich ist, dafs unter dem doppelten Einflufs von Suggestion und psychischer Emotion von einem neuropathisch veranlagten Menschen Handlungen begangen werden k\u00f6nnen, die mit seiner Pers\u00f6nlichkeit in vollem Widerspruch stehen.\nZum Beweise, welchen nachteiligen Einflufs eine inkorrekte Untersuchungsf\u00fchrung auf eine Person von unbescholtenem Betragen aus\u00fcben kann, erz\u00e4hlt v. D. ausf\u00fchrlich einen Fall, in welchem ein in seinem Wesen unselbst\u00e4ndiger, leicht deprimierter und affektierter Postbeamter, der mit 12 Jahren an einer L\u00e4hmung der Nackenmuskulatur und der Extremit\u00e4ten gelitten und sp\u00e4ter einmal nach einer Aufregung einen Krampfanfall gehabt hatte, infolge der ihm in heftigster Weise vorgeworfenen (falschen) Beschuldigung, er habe einen Brief wider-","page":232}],"identifier":"lit14771","issued":"1892","language":"de","pages":"230-232","startpages":"230","title":"Frankl-Hochwart v.: Ueber den Verlust des musikalischen Ausdrucksverm\u00f6gens. Deutsche Zeitschrift f\u00fcr Nervenheilkunde, Bd. I, Heft 3 u. 4, S. 283","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:00:52.692332+00:00"}