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{"created":"2022-01-31T16:57:11.414636+00:00","id":"lit14801","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 3: 243-244","fulltext":[{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"LitteraturbericJit.\n243\nEgoist, oft boshaft, selbst gegen die, welche es gut mit ihm meinen. Beim Idioten erreicht man mehr durch Milde, beim Imbecillen mehr durch Furcht. Jener ist sch\u00fcchtern, dieser anmafsend; jener arbeitsam, dieser ein verstockter Faulenzer ; jener ist gutm\u00fctig, dieser b\u00f6sartig. Bei jenem ist das Urteil schwach, bei diesem falsch; hei jenem der Wille schwach, bei diesem unbest\u00e4ndig. Der Idiot ist f\u00fcr die Suggestion kaum, der Imbecille sehr zug\u00e4nglich.\u201c\nMan mufs die Idioten, meint S., pflegen, wie die mit chronischen Krankheiten Behafteten, w\u00e4hrend man die Imbecillen als sch\u00e4dliche und gef\u00e4hrliche Gesch\u00f6pfe unsch\u00e4dlich machen mufs !\nMeistens wird man S. bei seinen Deduktionen Becht geben m\u00fcssen, auch in seinem Bedauern, dafs f\u00fcr die Imbecillen die rechtliche Verantwortlichkeit nicht besteht, und dafs viele Imbecillen besser in Besserungsanstalten als in Krankenanstalten untergebracht w\u00e4ren. \u2014\nBRiE-Bonn sind wir zu Danke verpflichtet, dafs er durch seine wohlgelungene \u00dcbersetzung Sollier uns n\u00e4her ger\u00fcckt hat.\nUmpfenbach (Bonn).\nV. Magnan. Psychiatrische Vorlesungen. I. Heft. \u00dcber das \u201ed\u00e9lire chronique \u00e0 \u00e9volution syst\u00e9matique (Paranoia chronica mit systematischer Entwickelung oder Paranoia compl\u00e9ta). Deutsch von P. J. M\u00f6bius. Leipzig, Thieme, 1891. 63 S. M. 1.20.\nDie Ansichten des franz\u00f6sischen Psychiaters \u00fcber diejenige Form von Geistesst\u00f6rung, die wir auf deutsch Paranoia nennen, sind bekannt, und sie verdienen unsere volle Beachtung, wenn sie auch nicht von allen geteilt werden.\nNach Magnan hat die Paranoia, wie sie sich bei Entarteten zeigt, nichts mit jener, in Entwickelung und Verlauf streng systematischen Form gemein, hier System und Unheilbarkeit, dort Systemlosigkeit hei besserer Prognose.\nDie Paranoia compl\u00e9ta, wie sie M\u00f6bius nennen m\u00f6chte, ist eine Erkrankung des reiferen Alters und des r\u00fcstigen Gehirns, also nicht des entarteten. Sie zeigt eine lange Dauer, manchmal 50 Jahre und mehr, und ihr methodischer, stetig fortschreitender Verlauf l\u00e4fst deutlich 4 Abschnitte erkennen.\n1.\tPeriode der Vorbereitung; Illusionen, wahnhafte Auslegungen und stetig zunehmende Unruhe. Die Vorstellungen von Beeintr\u00e4chtigung und Verfolgung sind noch unbestimmt und treten mehr als Verdacht auf.\n2.\tPeriode der Verfolgung, Halluzinationen verschiedener Sinne, meist des Geh\u00f6rs. Der Kranke h\u00f6rt Zischeln, einzelne Worte, dann ganze S\u00e4tze und endlich vollst\u00e4ndige Dialoge.\n3.\tPeriode der Gr\u00f6fsenvorstellungen. Der \u00dcbergang geschieht entweder auf dem Wege der \u00dcberlegung oder ganz instinktiv durch Halluzinationen. Der Wahn ist verschieden und je nach Zeit und Bildungsstufe gef\u00e4rbt.\n4.\tDie Periode des Schwachsinnes.\nMit der fortschreitenden Erkrankung entzieht sich die erste Schl\u00e4fenwindung der Herrschaft des Vorderhirns, sie wird selbst\u00e4ndig, die in ihr zur\u00fcckbehaltenen Klangbilder der Worte gewinnen Leben und Laute,\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nLitteraturbericht.\nund der Kranke h\u00f6rt seine Gedanken, als wenn sie ihm von aufsen her zugesproohen w\u00fcrden. Aufserhalb des Gedankenganges entstehen Worte, S\u00e4tze, Monologe, und w\u00e4hrend er an ganz andere Dinge denkt, h\u00f6rt er sich von seinen Feinden interpelliert. Indem er darauf antwortet, bildet sich ein Zwiegespr\u00e4ch zwischen dem Kranken, der den (erkrankten) Stirnlappen darstellt, und dem Gegner, der im Schl\u00e4fenlappen sitzt. Im zunehmenden Verlaufe der Erkrankung wird die Unabh\u00e4ngigkeit der Bindenzentren noch gr\u00f6fser, sie werden automatisch th\u00e4tig und der Kranke steht ihnen wie ein Fremder gegen\u00fcber. Es ist eine Verdoppelung der Pers\u00f6nlichkeit. Diese Halluzinationen fehlen bei der P. compl\u00e9ta nie, w\u00e4hrend man sie hei den Entarteten vergeblich suchen w\u00fcrde. Ebensowenig finden wir hier eine systematische Entwickelung und bestimmt voneinander geschiedene Perioden.\nMeist schon fr\u00fch (zuweilen mit 10\u201412 Jahren) entwickelt sich hei dem Entarteten die Geistesst\u00f6rung aus dem Charakter heraus, und der Wahn ist oft nur das Zerrbild des Charakters. Die Lehensgeschichte des Kranken ist seine Krankheitsgeschichte, die meisten dieser Kranken sind entwickelungsunf\u00e4hig, und die fixen Ideen entstehen prim\u00e4r. Kommt es \u00fcberhaupt zu ihrer Begr\u00fcndung, so ist diese sp\u00e4ter entstanden.\nDer Mangel an innerem Gleichgewicht, der allen diesen Entarteten gemeinsam ist, nimmt im Laufe der Jahre immer mehr zu und l\u00e4fst endlich an der Krankheit nicht mehr zweifeln. Bis dahin aber war eine bestimmte Diagnose oft schwer genug, und mancher dieser Entarteten mufs vor Gericht seine erbliche Belastung als Schuld und Verbrechen schwer b\u00fcfsen. Hierzu geh\u00f6ren die verfolgten Verfolger, die Querulanten die an moralischem Irrsinn Leidenden u. a. m.\nMagnaus Schreibweise ist durchsichtig und klar und sie verliert durch die \u00dcbersetzung nicht an diesen Vorz\u00fcgen, was bei einem franz\u00f6sischen Buche viel besagen will.\nEine Beihe (32) gut ausgew\u00e4hlter Krankengeschichten dient den Ausf\u00fchrungen Magnans zur weiteren St\u00fctze.\nDem Anscheine nach sollen dem I. nach andere Hefte folgen, was wir in diesem Falle mit Freuden begr\u00fcfsen w\u00fcrden.\tPelman.\nChr. Ufer. Geistesst\u00f6rungen in der Schule. Ein Vortrag nebst dreizehn Krankenbildern. Wiesbaden, Bergmann, 1891.\t50 S. it. 1,20.\nUfer hat seine Bef\u00e4higung zu derartigen Untersuchungen bereits in einer anderen Schrift nachgewiesen, die den Titel tr\u00e4gt: \u201eNervosit\u00e4t und M\u00e4dchenerziehung in Schule und Haus\u201c, und wir k\u00f6nnen die Arbeiten des praktischen P\u00e4dagogen nur willkommen heifsen.\nSo wichtig die Beachtung der Eigent\u00fcmlichkeiten in der Entwickelung des kindlichen Seelenlebens unbestritten ist, so wenig Aufmerksamkeit wird diesen Eigent\u00fcmlichkeiten in Wirklichkeit geschenkt, und nicht am wenigsten in der Schule. Hieraus den Lehrern einen Vorwurf machen zu wollen, w\u00e4re ungerecht, man m\u00fcfste denn ein Mafs psychiatrischer Ausbildung bei ihnen voraussetzen, das zur Zeit selbst den Medizinern fehlt. Um so freudiger aber m\u00fcssen wir jeden Versuch begr\u00fcfsen, diese mangelnde Kenntnis auszuf\u00fcllen und die Lehrer anzuregen,","page":244}],"identifier":"lit14801","issued":"1892","language":"de","pages":"243-244","startpages":"243","title":"V. Magnan: Psychiatrische Vorlesungen, I. Heft: \u00dcber das d\u00e9lire chronique \u00e0 \u00e9volution syst\u00e9matique (Paranoia chronica mit systematischer Entwicklung oder paranoia completa). Deutsch von P. J. M\u00f6bius. Leipzig, Thieme, 1891","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:57:11.414641+00:00"}