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{"created":"2022-01-31T14:37:20.468996+00:00","id":"lit14808","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 3: 249-252","fulltext":[{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturlericht.\n249\nden \u201eZwang\u201c. Allerdings k\u00f6nnen die Wahnvorstellungen im Beginn der Paranoia zeitweise zur\u00fccktreten, und w\u00e4hrend dieser Zeit mag auch hier eine richtige Beurteilung von seiten des Kranken stattfinden. Mercklin schl\u00e4gt vor, die Wahnvorstellungen in diesem Stadium als \u201emobile\u201c zu bezeichnen.\nNur in seltenen F\u00e4llen wird die Paranoia durch ein Stadium eingeleitet, welches durch Zwangsvorstellungen charakterisiert ist ; einen \u00dcbergang derselben in Wahnvorstellungen hat Mercklin bei der Paranoia niemals beobachtet. Auch bei der ausgebildeten Paranoia lassen sich manchmal neben den Zwangsvorstellungen auch Wahnvorstellungen nach-weisen, ohne dafs ein innerer Zusammenhang derselben mit der Haupterkrankung erkennbar ist.\tLiebmann (Bonn).\nO. Klinke. \u00dcber Zwangsreden. Allg. Zeitschr. f\u00fcr Psychiatrie. Bd. 48,\nHeft 1\u20142 (1891) S. 91\u2014108.\nVerfasser giebt in vorliegendem Aufsatze eine kurze \u00dcbersicht \u00fcber die bisher mitgeteilten Anschauungen \u00fcber Zwangsreden, wobei er insbe-sonders der Verbigeration (Kahlbaum) gedenkt. Er berichtet dann ausf\u00fchrlich \u00fcber einen von ihm beobachteten Fall von akutem halluzinatorischem Irresein, der neben dem Zwangsreden noch die Symptome des Gedankenlautwerdens sowie die der Zwangsstellung und Zwangsbewegung darbot ; die Mitteilung gewinnt dadurch besonders an Interesse, dafs sie uns die \u00c4ufserungen der Patientin wortgetreu nach Stenogrammen wiedergiebt. Bei seinen epikritischen Betrachtungen gelangt Verf. zu dem Schluss, dafs von allen bisher aufgestellten Hypothesen die CRAMERSche noch am annehmbarsten erscheint, welche das Zwangsreden und Gedankenlautwerden auf eine halluzinatorische Erregung im Bereich des Muskelsinns des Sprechapparats zur\u00fcckf\u00fchrt. (A. Cramer, Die Halluzinationen im Muskelsinn, 1889).\nEs wird hierbei unter Muskelsinn diejenige centripetal verlaufende Sinnesbahn verstanden, deren Aufnahme-Station in dem betreffenden Muskel gelegen ist und deren spezifische Energie darin besteht, dafs sie Bewegungs-Empfindungen nach der Hirnrinde transportiert, die dort zu Vorstellungen von der betreffendeu Bewegung umgesetzt und als solche deponiert werden. Wird nun diese Sinnesbahn halluzinatorisch erregt, so wird naturgem\u00e4fs das Bewufstsein Nachricht erhalten \u00fcber eine Bewegung, welche in Wirklichkeit nicht ausgef\u00fchrt worden ist; dies hat dann nach Cramer wiederum zur Folge, dafs eine jene vorget\u00e4uschte Bewegung korrigieren sollende Bewegung erfolgt, oder dafs, falls der Heiz st\u00e4rker ist, die betreffende Bewegung nun wirklich ausgef\u00fchrt wird.\tE. Schultze (Bonn).\nJohn Macpherson. Mania and Melancholia. Joarn. of ment, science.\nBd. 37. No. 157. (April 1891.) S. 212-225.\n\u00dcber den Wert oder Unwert der Hypothesen in der medizinischen Wissenschaft ist schon viel gestritten worden. So viel d\u00fcrfte indes feststehen, dafs uns eine gute Hypothese zuweilen weiter gebracht hat, als die langwierigsten Untersuchungen, und dafs wir die Hypothesen in der Psychiatrie wenigstens nicht entbehren k\u00f6nnen. In England nun","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nI\u00c0tteraturbericht.\nbeherrscht zur Zeit H. Spencer, den wissenschaftlichen Markt, und SpENCEBSche Ansichten sind es denn auch, von denen aus Macpherson die Manie und Melancholie einer spekulativen Betrachtung unterzieht.\nI. Zun\u00e4chst vom psychologischen Standpunkte aus. Der Unterschied zwischen beiden ist Freude und Schmerz, der Schmerz aber entsteht aus Unth\u00e4tigkeit oder \u00dcberth\u00e4tigkeit, Freude durch einen Zwischenzustand, der keines von beiden ist. So erzeugt z. B. intensive Hitze ebensogut Schmerz wie intensive K\u00e4lte, m\u00e4fsige W\u00e4rme dagegen ergiebt das Gef\u00fchl der Behaglichkeit; Unth\u00e4tigkeit und Leere des Magens rufen den Hunger hervor, eine schmerzhafte Empfindung, aber auch die \u00dcberf\u00fcllung des Magens, seine \u00dcberth\u00e4tigkeit, ist mit einem unbehaglichen Gef\u00fchle verbunden.\nWir haben somit einen positiven und einen negativen Schmerz, und zwischen beiden das weite Gebiet der Behaglichkeit.\nDer negative Schmerz f\u00fchrt Abnahme der Nervenenergie mit sich, der positive ein zu schnelles oder zu heftiges Anschwellen derselben.\nZwischen beiden Endpunkten liegt die m\u00e4fsige Nervenenergie, deren Begleiter Zust\u00e4nde der Behaglichkeit oder indifferenten Empfindens sind. Eine gleiche Mannigfaltigkeit wie f\u00fcr die Empfindungen besteht bei den Gem\u00fctsbewegungen nicht, da es im wesentlichen nur zwei Arten von Gem\u00fctsbewegungen giebt \u2014 Vergn\u00fcgen und Schmerz, innerhalb welchen nur eine Unterscheidung nach Graden stattfindet. Welchem Sinneseindrucke sie auch ihre Entstehung verdanken, ob \u00e4ufseren oder ob inneren, organischen Ursprunges, sie sind ihrer Natur nach nicht zu unterscheiden.\nUm diese Verh\u00e4ltnisse ihrem ganzen Werte nach klar zu legen, m\u00fcssen wir uns die Th\u00e4tigkeit des Gehirnes als eine Art der Bewegung vorstellen, die sich in immer vollkommeneren Bahnen vollzieht, je weitere Fortschritte die geistige Entwickelung macht. Die urspr\u00fcnglich willk\u00fcrlichen Bewegungen gehen untereinander immer engere Verbindungen ein, bis sie nach und nach zu mehr unbewufsten Handlungen werden, \u00fcber denen sich stets neue und h\u00f6here Centren entwickeln.\nDas Bewufstsein ist die Summe aller Anregungen, die das Gehirn in jedem Augenblicke von jedem Teile des Organismus und der ihn umgebenden Aufsenwelt durch die Sinnesorgane empf\u00e4ngt, und sein Sitz ist das Vorderhirn.\nDas Nervensystem erscheint somit im Lichte eines Mechanismus f\u00fcr die \u00dcbertragung molekularer Bewegungen auf bestimmte Bahnen und unter bestimmten Bedingungen, und diese Bedingungen bestehen in der best\u00e4ndigen Einf\u00fcgung neuer Kontrollbogen, deren Spitze in das Bewufstsein ausl\u00e4uft.\nIn den unz\u00e4hligen Bogen findet ein ewiges Gehen und Kommen von Nervenstr\u00f6men statt, und indem jeder von ihnen einen kleinen Teil seines Ganzen nach oben zum Bewufstsein sendet, bildet sich der Gem\u00fctszustand aus.\nDieser Str\u00f6me giebt es zwei Klassen, schmerzliche und freudige, und je nachdem der eine oder der andere vorwiegt, entwickelt sich der entsprechende Gem\u00fctszustand. Die gew\u00f6hnliche Gem\u00fctsstimmung ist neutral,","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Li ttera turbericht.\n251\nwie etwa das weifse Licht, das alle anderen Farben in sich schliefst. Ist die schmerzliche Empfindung stark genug, um das Bewulstsein in Mitleidenschaft zu ziehen, so verursacht sie hier eine schmerzliche Verstimmung, die vag und unbestimmbar ist, aber wie jede molekulare Nervenenergie die Neigung hat, auf verwandte Nebenbahnen \u00fcberzugehen und \u00e4hnliche Stimmungen hervorzurufen. So verbindet sich mit dem Schmerze leicht das Gef\u00fchl der Angst und der Furcht, mit der Freude die verwandte Empfindung der Selbst\u00fcbersch\u00e4tzung.\nBeide, sowohl die schmerzlichen wie die freudigen Gem\u00fctsbewegungen erh\u00f6hen das subjektive Bewufstsein auf Kosten des objektiven, indem die ersteren die vorhandene Nervenkraft zum Zwecke der Selbsterhaltung zu verwenden suchen, die letzteren dadurch, dafs sie die Nervenkraft in andere Bahnen ableiten und die dadurch hervorgerufenen, verwandten Gem\u00fctsbewegungen zu einer Wichtigkeit aufbauschen, die ihnen thats\u00e4chlich nicht zukommt.\nDaher st\u00f6rt jede Gem\u00fctsbewegung das Urteil, und dies um so mehr, je st\u00e4rker sie ist. Es entspricht dies der Erfahrung, wonach der Beginn aller Geistesst\u00f6rungen durch m\u00e4chtige Gem\u00fctsbewegungen charakterisiert ist.\nII.\tVom physiologischen Standpunkte aus.\nDie physischen Symptome, die einer schmerzlichen Gem\u00fctsbewegung folgen, sind :\n1.\tdiffuse Entladung von Nervenenergie nach allen Teilen des K\u00f6rpers,\n2.\tKontraktion der Blutgef\u00e4fse, mit Ausnahme der Organe des Unterleibes,\n3.\tHemmung der Herzth\u00e4tigkeit,\n4.\tSt\u00f6rungen in der Ausscheidung der Zersetzungsprodukte in den Hirnzellen und in der Erneuerung der Nervenelemente,\n5.\tL\u00e4hmung der Schliefsmuskeln durch Hemmung ihrer Innerva tionscentren.\nDiesen St\u00f6rungen stehen die physischen Symptome der Freude meist schroff gegen\u00fcber :\n1.\tErweiterung des arteriellen Blutsystemes,\n2.\tVermehrung der Herzth\u00e4tigkeit,\n3.\tErleichterung in der Ausscheidung der Zersetzungsprodukte und in der Neubereitung von Nervenkraft, daher erh\u00f6hte Energie und Muskeltonus, gutes Aussehen, blitzende Augen u. s. w.\nIII.\tVom pathologischen Standpunkte aus gilt eine Gem\u00fctsbewegung als Krankheit, wenn sie\n1.\taufserordentlich intensiv ist oder\n2.\tohne entsprechende Ursache entsteht, oder\n3.\tsich in das Unbegrenzte hinauszieht.\nMacpherson glaubt, dafs dem Blute weit h\u00e4ufiger toxische Eigenschaften beiwohnten, und dafs hierin die Ursachen depressiver Empfindungen zu suchen seien. Bestimmte Mittel bringen durch ihre Einf\u00fchrung in das Blut sofort eine Herabsetzung der Gem\u00fctsstimmung hervor, wie z. B. Hyoscyamus, dasselbe thut eine Blutvergiftung und besonders die Gelbsucht.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nLitteraturbericht.\nDa wir ferner wissen, dafs eine Menge von Mitteln durch Zersetzung der Eiweifsverbindungen wirkt, so schliefst der Verf., dafs auch eine Selbstvergiftung des Gehirns durch mangelhafte Entfernung seiner Zersetzungsprodukte stattfinden k\u00f6nne.\nEr haut auf dieser Hypothese eine besondere Therapie auf, die zumeist in der Enthaltung von Fleischnahrung besteht, um der Natur Zeit zu gehen, die stickstoffhaltigen Zersetzungsprodukte aus ihrem Haushalte zu entfernen und so normale Verh\u00e4ltnisse wiederherzustellen.\nPelman (Bonn).\nJ. Boedeker. Ein forensischer Fall von induciertem Irresein. Charit\u00e9-Ann., XVI. (1891). S. 479-512.\nEingehender Bericht \u00fcber einen relativ seltenen und interessanten Fall. Ein an chronischer Verr\u00fccktheit leidender junger Mensch \u00fcbertr\u00e4gt durch unabl\u00e4ssiges und eindringliches Zureden seine Wahnideen auf einen anderen jungen Menschen von geringer geistiger Selbst\u00e4ndigkeit, mit dem er berufsm\u00e4fsig mehrere Monate in t\u00e4glichem Verkehr steht. Der letztere nimmt die falschen Vorstellungen und Deutungen der Wirklichkeit nicht blofs passiv von dem Kranken an, sondern er macht allm\u00e4hlich auch eigene best\u00e4tigende Wahrnehmungen und b\u00fcfst daneben noch in anderer Beziehung, in seinen Handlungen n\u00e4mlich, den geistigen Halt ein. Er acquiriert also thats\u00e4chlich gleichsam durch \u00dcbertragung eine leichte Psychose und verliert diese erst allm\u00e4hlich im Verlauf einiger Wochen nach der Trennung der Beiden.\nEbbinghaus.\nG. Mallery. Salutations par gestes. Revue scientifique, Bd. 47 (1891), No. 13, S. 387-394.\nWie die Zeichensprache der Lautsprache zeitlich vorangeht, so gehen nach dem Verf. die durch Gesten vermittelten Grufsformen den m\u00fcndlichen voraus, und ein Studium der heute gebr\u00e4uchlichen Grufs-weisen setzt daher eine Erforschung der mimischen Sprache voraus, wie wir sie heute noch bei Taubstummen und vielen V\u00f6lkerschaften finden. Die mimische Sprache setzt zum Zweck des Grufses insbesondere 3 Sinne in Th\u00e4tigkeit : 1. den Tastsinn, 2. den Geruch- und 3. den Geschmacksinn.\nAd 1 behandelt Verf. alle leiblichen Ber\u00fchrungen (Streicheln, Keiben, Lecken, Beklopfen von Kopf, Brust und Bauch), alles sehr alte und weit verbreitete Grufsformen, meist nur allgemeiner Ausdruck eines Wohlwollens, das sich durch die Absicht, eine angenehme Empfindung zu bereiten, kundgieht.\nAd 2 bespricht Verfasser insbesondere den sehr alten und weit gebrauchten Nasengrufs, dessen Wesen ihm ein gegenseitiges Beschn\u00fcffeln zu sein scheint.\nAd 3 wird der Grufs behandelt, der ihm als Handkufs und Kufs als einfacher Grufs ziemlich alt zu sein scheint. Wogegen der Lippenkufs unter Personen verschiedenen Geschlechts erst neueren Datums ist, als unvertr\u00e4glich mit der niederen Stellung der Frau bei primitiven V\u00f6lkern. \u00dcberall st\u00fctzt der Verf. seine Ausf\u00fchrungen durch Analogien aus dem","page":252}],"identifier":"lit14808","issued":"1892","language":"de","pages":"249-252","startpages":"249","title":"John Macpherson: Mania und Melancholia. Journ. of ment. science, Bd. 37, No. 157, April 1891, S. 212-225","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:37:20.469001+00:00"}