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{"created":"2022-01-31T16:57:01.359012+00:00","id":"lit15036","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schumann, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 1-69","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem psychologischen Institut zu G\u00f6ttingen.)\n\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen.\nVon\nF. Schumann.\nMit 4 Figuren im Text.\ni.\n\u00dcber die psychologischen Grundlagen der Vergleichung kleiner Zeitgr\u00f6fsen.\n\u00a7 1.\nObwohl eine gr\u00f6fsere Anzahl von experimentellen Untersuchungen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr kleine, von einfachen Schalleindr\u00fccken begrenzte Zeitgr\u00f6fsen ausgef\u00fchrt sind, ermangeln wir doch noch vollst\u00e4ndig einer begr\u00fcndeten Theorie \u00fcber die psychologischen Grundlagen der Vergleichung solcher kleiner Zeiten. \"Werden Ton-, Licht-, Temperatur- oder Druckempfindungen miteinander verglichen, so kennen wir wenigstens die zu vergleichenden psychischen Inhalte, und die Funktion des Vergleichens ist die alleinige Unbekannte. Vergleichen wir dagegen Raumstrecken oder Zeitintervalle, so k\u00f6nnen wir auf Grund der inneren Wahrnehmung nicht einmal die psychischen Inhalte n\u00e4her bezeichnen, auf die wir uns bei der Vergleichung solcher Gr\u00f6fsen st\u00fctzen. L\u00e4fst sich daher schon bei den zuerst genannten Empfindungen infolge unserer Unbekanntschaft mit der Funktion des Vergleichens nicht mit Sicherheit angeben, welches Verfahren das zweckm\u00e4fsigste ist zur Untersuchung des Ganges der Unterschiedsempfindlichkeit, so mufs dies um so mehr der Fall sein bei den Gr\u00f6fsen der zweiten Art. Es ist daher klar, dafs alle Untersuchungen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit im Gebiete des Zeitsinnes einen\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.\n1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nF. Schumann.\nsehr hypothetischen Wert haben, so lange nicht die psychischen Inhalte n\u00e4her bestimmt sind, welche bei der Vergleichung kleiner Zeiten als Grundlage dienen. Ich werde mich daher bem\u00fchen, im Folgenden zun\u00e4chst dieser Aufgabe soweit wie m\u00f6glich gerecht zu werden.\nEinigen Aufschlufs \u00fcber die betreffenden psychischen Inhalte habe ich zuerst erhalten bei dem Versuche, die verschiedenen Schlagfolgen eines Metronoms dem subjektiven Eindr\u00fccke nach in die Kategorien: \u201esehr langsam\u201c, \u201elangsam\u201c, \u201ead\u00e4quat\u201c, \u201eschnell\u201c, \u201esehr schnell\u201c einzuordnen. Es ergiebt hierbei die Selbstbeobachtung, dafs diejenige Schlagfolge des Metronoms f\u00fcr ad\u00e4quat gehalten wird, bei welcher die Aufmerksamkeit sich nach jedem Eindr\u00fccke gerade bequem wieder auf den folgenden vorbereiten kann, und bei welcher man dementsprechend auch jeden Eindruck gerade in dem Augenblick erwartet, in welchem er eintritt. Bei langsameren Schlagfolgen zeigt sich dagegen, dafs die Aufmerksamkeit schon immer einige Zeit vor Eintritt jedes Eindrucks auf denselben vorbereitet ist. Es ist dann vor jedem Eindruck ein Nebeneindruck der Spannung der Erwartung merkbar, doch vermag ich auf Grund der inneren Wahrnehmung nicht zu entscheiden, ob es sich dabei um Spannungsempfindungen, hervorgerufen durch Muskelkontraktionen, oder um ein innerlich erzeugtes Spannungsgef\u00fchl handelt. Durch die Intensit\u00e4t dieses Nebeneindruckes sind dann die Urteile: \u201esehr langsam\u201c und \u201elangsam\u201c bedingt. Nimmt man andererseits raschere Schlagfolgen, so treten anfangs die einzelnen Eindr\u00fccke ein, bevor sich die Aufmerksamkeit auf sie vorbereitet hat; es macht sich dann ein Nebeneindruck der \u00dcberraschung geltend, der die Urteile: \u201eschnell\u201c und \u201esehr schnell\u201c veranlafst. Diesen Eindr\u00fccken hat Vierordt (Der Zeitsinn, T\u00fcbingen 1868, S. 51 f.) dadurch Ausdruck zu geben versucht, dafs er sagt: \u201eBei kurzen Takten h\u00fcpft sozusagen die Empfindung vom Beginn des ersten Taktes auf die beiden anderen Zeitpunkte ; wogegen bei l\u00e4ngeren Zeiten f\u00fcr unser subjektives Gef\u00fchl die Zeit, in unserer Vorstellung, immer mehr anzuschwellen scheint.\u201c\nDiese Nebeneindr\u00fccke sind jedoch nur bei den ersten Schl\u00e4gen einer neuen Schlagfolge subjektiv deutlich. Nach kurzer Zeit pafst sich innerhalb gewisser Grenzen die Aufmerksamkeit dem neuen Intervall an, die Spannung der Er-","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Vier die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n3\nWartung, bezw. der Nebeneindruck der \u00dcberraschung nimmt immer mehr ab, und jeder Schall wird schliefslich wieder gerade in dem Augenblicke erwartet, in welchem er eintritt. Dementsprechend geben auch die Versuchspersonen an, dafs ihnen die Zeiten anfangs gr\u00f6fser bezw. kleiner vorgekommen seien als sp\u00e4ter. Bei einer schnellen Schlagfolge ist aber eine gr\u00f6fsere Konzentration der Aufmerksamkeit erforderlich, damit dieselbe jedem Eindruck schon entgegenkommen kann. Achtet man dann l\u00e4nger auf eine derartige schnelle Schlagfolge, so macht sich leicht eine Erm\u00fcdung der Aufmerksamkeit bemerklich, welche bewirkt, dafs die einzelnen Schl\u00e4ge nicht mehr klar aufgefafst werden. Bei den langsamen Schlagfolgen macht sich dagegen eine Erschlaffung der Aufmerksamkeit bemerklich und man f\u00fchlt sich leicht gelangweilt.\nDafs die Nebeneindr\u00fccke der Spannung der Erwartung und der \u00dcberraschung wirklich diejenigen psychischen Inhalte sind, auf die wir uns beim Vergleichen kleiner Zeitgr\u00f6fsen st\u00fctzen, wird noch wahrscheinlicher durch Kontrasterscheinungen, welche sich nach einer l\u00e4ngere Zeit fortgesetzten Ein\u00fcbung auf irgend ein Intervall zeigen. Hat man z. B. bei Versuchen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit nach der Methode der mittleren Fehler l\u00e4ngere Zeit mit einer Hauptzeit von 0,7 Sek. operiert und geht dann pl\u00f6tzlich zu einer Hauptzeit von 0,8 Sek. \u00fcber, so schwillt die Erwartungsspannung vor Eintritt des das neue Intervall abschlielsenden Schalls besonders stark und rasch an, und das Intervall erscheint auffallend lang. Ebenso ist auch, wenn man nach der Ein\u00fcbung auf die Hauptzeit von 0,7 Sek. zu einer kleineren Hauptzeit \u00fcbergeht, der Nebeneindruck der \u00dcberraschung anfangs sehr stark und das neue Intervall erscheint auffallend kurz. Bei \u00f6fterer Wiederholung des neuen Intervalls nehmen dann die Neben ein dr\u00fccke bald ab, und das Intervall scheint kleiner bezw. gr\u00f6fser zu werden. So kann ein und dasselbe Intervall, z. B, 0,6 Sek., bald verh\u00e4ltnism\u00e4fsig kurz, bald verh\u00e4ltnism\u00e4fsig lang erscheinen, je nachdem eine Ein\u00fcbung auf eine l\u00e4ngere oder auf eine k\u00fcrzere Zeit vorangegangen ist.\nDie Aufmerksamkeit stellt sich aber nicht nur auf eine Reihe gleicher aufeinanderfolgender Intervalle ein, sie kann sich vielmehr auch zwei verschiedenen, unmittelbar aufeinander folgenden Intervallen anpassen. Vergleicht man n\u00e4mlich \u00f6fter","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nF. Schumann.\nhintereinander dieselben zwei unmittelbar aufeinander folgenden Zeitintervalle, von denen das zweite etwas l\u00e4nger oder k\u00fcrzer als das erste ist, so scheint, wie schon Mach (Untersuchungen \u00fcber den Zeitsinn des Ohres, Ber. d. Wiener \u00c4kad., Math.-nat. Klasse, Abt. 2, 1865, S. 143) gefunden hat und wie ich aus eigener Erfahrung best\u00e4tigen kann, der Unterschied der beiden Intervalle, auch wenn man ihn bei den ersten Versuchen deutlich wahrgenommen hat, allm\u00e4hlich kleiner zu werden und selbst (bei nicht zu grofsen Differenzen) ganz zu verschwinden. Zugleich ergiebt die innere Wahrnehmung, dafs sich anfangs vor dem dritten Signal der Nebeneindruck der Erwartungsspannung oder, wenn das zweite Intervall kleiner ist, der Nebeneindruck der \u00dcberraschung geltend macht, und dafs diese Nebeneindr\u00fccke allm\u00e4hlich schwinden.\nW\u00e4hrend die Aufmerksamkeit dem subjektiven Eindr\u00fccke nach im allgemeinen nach jedem Signale nachl\u00e4fst, um nach bestimmter Zeit von neuem wieder anzuwachsen, geschieht dies bei Intervallen, die kleiner als 0,3 Sek. sind, nicht mehr. Macht man Versuche \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit mit diesen kleinsten Intervallen, so bleibt bei jedem Versuche die Erwar-tung gespannt, bis alle drei Signale erfolgt sind. Die durch Ein\u00fcbung entstandenen Kontrasterscheinungen sind jedoch unver\u00e4ndert, und die Nebeneindr\u00fccke der Spannung der Erwartung 1 bezw. der \u00dcberraschung scheinen mir auch noch die Ursache derselben zu sein. Ebenso ist auch noch die Anpassung an zwei verschiedene, unmittelbar aufeinander folgende Intervalle vorhanden, nur scheint mir die Anpassung schwieriger zu erfolgen, wenn das zweite Intervall kleiner als wenn es gr\u00f6fser ist. Bei diesen kleinen Intervallen tritt aber noch eine andere Erscheinung ein. Hat man sich n\u00e4mlich z. B. auf eine Normalzeit von etwa 0,3 Sek. einge\u00fcbt und geht dann zu Versuchen mit einer kleineren Normalzeit von 0,2 Sec. \u00fcber, so\n1 Da einerseits die Erwartung w\u00e4hrend des ganzen Versuchs gespannt ist und andererseits im Falle des Kontrastes vor dem das Intervall abschliefsenden Signale eine besondere Erwartungsspannung ein-tritt, so ist die zweite Spannung entweder nur ein Zuwachs der ersten, oder es handelt sich in dem einen Falle um eine Spannungsempfindung, ausgel\u00f6st durch Muskelkontraktionen, und in dem anderen Falle um ein innerlich erzeugtes Spannungsgef\u00fchl. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden M\u00f6glichkeiten vermag ich nicht zu treffen.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Sch\u00e4tzung Weiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n5\nscheinen die Signale anfangs unklarer oder, wenn ich so sagen soll, verwaschener zu sein als sp\u00e4ter; auch hat man den Eindruck, als ob die Empfindungen zeitlich zusammenhingen bezw. ineinander fl\u00f6ssen, w\u00e4hrend sie nach wenigen Versuchen scharf getrennt erscheinen. Dieselben Erscheinungen treten ein, wenn die Versuchsperson auf das neue Intervall zwar schon einge\u00fcbt ist, aber die Signale zu einer Zeit erfolgen, wo ihre Aufmerksamkeit noch nicht vorbereitet ist.\nAuf der Einstellung der sinnlichen Aufmerksamkeit beruht nun unsere so feine Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr kleine Zeitgr\u00f6fsen. Vergleicht man, wie es bei der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle und bei derjenigen der Minimal\u00e4nderungen geschieht, \u00f6fter hintereinander eine konstante Normalzeit mit einer variabelen, unmittelbar darauf folgenden Vergleichszeit, so st\u00fctzt sich das Urteil bei den ersten Versuchen auf die Intensit\u00e4t jener Nebeneindr\u00fccke der Erwartung und der \u00dcberraschung. Allm\u00e4hlich stellt sich dagegen die sinnliche Aufmerksamkeit auf die Normalzeit ein, so dafs das zweite Signal gerade in dem Augenblick, wo es ert\u00f6nt, und das dritte Signal nach einem weiteren der Normalzeit gleichen Intervall erwartet wird. Tritt das dritte Signal fr\u00fcher ein und haben wir den Nebeneindruck der \u00dcberraschung, so halten wir die Vergleichszeit f\u00fcr kleiner; macht sich dagegen vor dem dritten Signal eine Spannung der Erwartung bemerkbar, so halten wir das Intervall f\u00fcr gr\u00f6fser. Nimmt man dann nach einer Eeihe von Versuchen die Normalzeit an zweiter Stelle, so m\u00fcssen sich nun die Nebeneindr\u00fccke der gespannten Erwartung bezw. der \u00dcberraschung schon beim zweiten Signale bemerkbar machen. Allerdings kann man bei Differenzen, die eben die Unterschiedsschwelle \u00fcberschreiten, durch die innere Wahrnehmung jene Nebeneinfl\u00fcsse nicht mit Sicherheit feststellen, doch werden sie schon bei Differenzen, die etwa das Doppelte der Schwelle betragen, h\u00e4ufig so deutlich, dafs man dieselben wohl auch bei den kleinsten, noch eben merkbaren Differenzen als wirksam annehmen darf. Vorausgesetzt ist bisher, dafs die Normalzeit bei einer gr\u00f6fseren Anzahl hintereinander angestellter Versuche an erster Stelle genommen wird. Geschieht dies nicht und wird etwa fortw\u00e4hrend zwischen \u201eNormalzeit zuerst\u201c und \u201eNormalzeit zuzweit\u201c gewechselt, so kann sich die Einstellung nicht so gut ausbilden, und die Nebeneindr\u00fccke treten erst bei gr\u00f6fseren Differenzen auf.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nF. Schumann.\nWenn die zu vergleichenden Intervalle nicht unmittelbar aufeinander folgen, sondern durch eine Pause getrennt sind, so ist der Vorgang ganz analog. Wird die Normalzeit wieder \u00f6fters an erster Stelle genommen, so stellt sich die Versuchsperson auf dieselbe ein. Bei der Vergleichszeit tritt daher ebenfalls die Erwartung des zweiten Schalls eine bestimmte, der Normalzeit gleiche Zeit nach dem ersten Signale ein, und die Vergleichszeit wird wieder f\u00fcr gr\u00f6fser oder kleiner gehalten, je nachdem sich dem zweiten Signal ein Nebeneindruck der Erwartungsspannung oder ein solcher der \u00dcberraschung zugesellt.\nBeobachtet man die Versuchspersonen, wenn sie auf die Schlagfolge eines Metronoms achten oder Zeitintervalle miteinander vergleichen, so bemerkt man h\u00e4ufig, dafs dieselben die einzelnen Schl\u00e4ge mit kleinen Bewegungen des Kopfes, der H\u00e4nde oder der P\u00fcfse begleiten. Es ist dies nach dem Vorigen leicht verst\u00e4ndlich, da ja mit der Erwartung die verschiedensten Innervationen einhergehen. Aus demselben Grunde ist es auch verst\u00e4ndlich, dafs wir, wie F. Maktius (Weitere Untersuchungen zur Lehre von der Herzbewegung. Zeitschrift f. l\u00e4in. Medizin, Bd. 15, S. 536 ff.) nachgewiesen hat, im allgemeinen die F\u00e4higkeit besitzen, fast gleichzeitig mit Schalleindr\u00fccken, welche sich in kleinen, konstanten Intervallen wiederholen, Registrier-bewegungen auszuf\u00fchren. Wird mir die Aufgabe gestellt, Registrierbewegungen gleichzeitig mit rhythmisch sich wiederholenden Schalleindr\u00fccken auszuf\u00fchren, so achte ich erst einige Zeit auf die Schalleindr\u00fccke, bis sich die Aufmerksamkeit an-gepafst hat, und beginne dann mit den Registrierbewegungen, die sich nun, wenn ich mich auf meine innere Wahrnehmung verlassen kann, ohne weiteres Zuthun meinerseits von selbst immer zur richtigen Zeit einfinden. Ein Spezialfall hiervon ist ferner die Aufgabe, welche bei der im Gebiete des Zeitsinns \u00fcblichen Modifikation der Methode der mittleren Fehler der Versuchsperson gew\u00f6hnlich gestellt wird: ein einem gegebenen Intervall unmittelbar folgendes und ihm m\u00f6glichst gleiches zweites Intervall durch Ausf\u00fchrung einer kleinen Taktbewegung zu begrenzen. Denn das psychische Verhalten hierbei ist dasselbe wie in dem Falle, wo drei Signale in gleichen Intervallen objektiv gegeben werden und die Aufgabe gestellt wird, m\u00f6glichst gleichzeitig mit dem dritten Schalle eine Registrier-","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n7\nbewegung auszuf\u00fchren. Ist das gegebene Intervall (die Hauptzeit) \u201ead\u00e4quat\u201c, so wird das zweite Signal in dem Augenblick eintreten, in welchem ihm die Erwartung entgegenkommt ; man kann demgem\u00e4fs die Registrierbewegung gleichzeitig mit der nach dem zweiten Signal wieder eintretenden Erwartung ausf\u00fchren. G-eh\u00f6rt dagegen die Schlagfolge in die Kategorie \u201elangsam\u201c bezw. \u201esehr langsam\u201c, so wird das zweite Signal erst eintreten, wenn die Erwartungsspannung eine gewisse Intensit\u00e4t erreicht hat; mit der Registrierbewegung wartet man daher jetzt, bis die Erwartungsspannung nach dem zweiten Signal wieder scheinbar dieselbe Intensit\u00e4t erreicht hat. Anfangs wird dann nat\u00fcrlich die reproduzierte Zeit (Fehlzeit) sehr ungenau sein, bis sich bei \u00f6fterer Wiederholung die Aufmerksamkeit dem Intervall angepafst hat und man nun gleichzeitig mit der eintretenden Erwartung reagieren kann. Bei sehr kleinen Hauptzeiten endlich wird man anfangs vom zweiten Signal \u00fcberrascht werden, so dafs die Taktierbewegung entweder ganz ausbleibt oder erst durch eine nach dem zweiten Signal wieder auftretende Erinnerung an die gestellte Aufgabe ausgel\u00f6st wird. Auch hier erm\u00f6glicht nat\u00fcrlich erst bei \u00f6fterer Wiederholung die Anpassung der Aufmerksamkeit eine genauere Reproduktion der Hauptzeit.\nDie bisherigen Auseinandersetzungen gelten \u00fcbrigens nur f\u00fcr Intervalle, welche 2 Sek. nicht wesentlich \u00fcberschreiten. Mit der Zunahme der Intervalle tritt die Einstellung der Aufmerksamkeit immer schwerer ein und die Vergleichung der Intervalle wird entsprechend unsicherer. Bei gr\u00f6fseren Zeiten wird man sich daher nach anderen Hilfsmitteln f\u00fcr die Sch\u00e4tzung Umsehen m\u00fcssen. Nun hat schon E. Leumann {Phil. Stud., V., S. 618 ff.) darauf hingewiesen und M\u00fcnsterberg hat es best\u00e4tigt, dafs die periodische Th\u00e4tigkeit des Atmens sehr gut als Mafsstab f\u00fcr die Sch\u00e4tzung gr\u00f6fserer Intervalle dienen kann, und in der That ist auch nach meinen Erfahrungen ein Einflufs derselben nicht zu verkennen. Ferner teilte mir Herr Professor Kraepelin, der ausgedehnte Versuchsreihen \u00fcber die Sch\u00e4tzung gr\u00f6fserer Intervalle angestellt hat, gelegentlich einer Besprechung mit, dafs seine Versuchspersonen noch verschiedene andere Hilfsmittel, z. B. die Gesichtsvorstellung eines \u00fcber ein Zifferblatt wanderndenZeigers benutzt h\u00e4tten. Es d\u00fcrften deshalb die mit verschiedenen Versuchspersonen angestellten","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nF. Schumann.\nUntersuchungen \u00fcber den Gang der Unterschiedsempfindlichkeit wohl kaum vergleichbar sein und aufserdem auch wenig Wert besitzen. Meines Erachtens k\u00f6nnen nur solche Untersuchungen Interesse beanspruchen, welche die beimSch\u00e4tzen dieser gr\u00f6fseren Zeiten wirksamen Faktoren nachzuweisen suchen.\nIch m\u00f6chte noch erstens hervorheben, dafs die beschriebenen Erscheinungen nicht nur von mir allein konstatiert sind, sondern dafs die verschiedensten Versuchspersonen dieselben best\u00e4tigt haben, und zweitens, dafs die Nebeneindr\u00fccke der Spannung der Erwartung und der \u00dcberraschung nur bei gr\u00f6fserer \u00dcbung die alleinige Grundlage f\u00fcr die Sch\u00e4tzung der kleineren Intervalle bilden. Bei unge\u00fcbten Versuchspersonen d\u00fcrften wohl noch verschiedene andere Faktoren wirksam sein. Viele begleiten z. B. die Schl\u00e4ge eines Metronoms mit Bewegungen des Zeigefingers, indem sie, die Hand ruhig auf dem Tische liegen lassend, mit jedem Schlage ruckweise eine Senkbewegung des Fingers ausf\u00fchren und dann denselben langsam wieder bis zu einer bestimmten H\u00f6he heben. Wenn diese nun die Bewegungen immer in m\u00f6glichst gleicher Weise wiederholen, k\u00f6nnen sie das rechzeitige Eintreffen eines Schlages nach dem Zusammentreffen mit den ruckweisen Fingerbewegungen beurteilen. Andere Versuchspersonen d\u00fcrften nat\u00fcrlich andere derartige kleine Hilfsmittel herbeiziehen, so dafs die Anstellung einiger oberfl\u00e4chlicher Versuche selbstverst\u00e4ndlich keinen Wert haben kann.\n\u00a7 2.\nBei Gelegenheit von experimentellen Untersuchungen \u00fcber das Ged\u00e4chtnis nach der Methode von H. Ebbinghaus, welche im hiesigen psychologischen Institute l\u00e4ngere Zeit hindurch angestellt wurden, habe ich nebenher einige interessante Beobachtungen gemacht \u00fcber T\u00e4uschungen in der Auffassung von Intervallen, welche ebenfalls auf die Bedeutung der Einstellung der Aufmerksamkeit f\u00fcr die Sch\u00e4tzung kleiner Zeiten hinweisen. Bei diesen Untersuchungen wurden sinnlose Silben, welche auswendig gelernt werden sollten, auf einen Papierbogen untereinander in gleichen Abst\u00e4nden geschrieben; dieses Papier wurde dann auf eine um eine horizontale Axe sich bewegende Kymo-graphiontrommel geklebt und vor die Trommel wurde ein Schirm mit einem kleinen Ausschnitte gestellt. Sobald man nun das","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"U ber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n9\nUhrwerk des Kymographions in Gang setzte, erschienen die Silben in bestimmten, konstanten Zwischenzeiten der Eeihe nach einzeln in dem Ausschnitte des Schirmes und wurden von der vor dem Schirm sitzenden Versuchsperson so lange laut vorgelesen, bis dieselben frei hergesagt werden konnten. Die Geschwindigkeit der rotierenden Trommel wurde nat\u00fcrlich fortw\u00e4hrend kontrolliert und m\u00f6glichst konstant erhalten. Bei diesen Versuchen zeigten sich nun folgende Erscheinungen:\n1.\tWaren die Versuchspersonen geistig abgespannt, so hielten sie die normale, vom Experimentator w\u00e4hrend des Lernens kontrollierte Geschwindigkeit f\u00fcr wesentlich gr\u00f6fser als sonst. Waren die Versuchspersonen dagegen geistig besonders frisch, so schien ihnen umgekehrt die Geschwindigkeit geringer als gew\u00f6hnlich zu sein.\n2.\tBei den meisten Versuchsreihen betrug die konstante Zwischenzeit zwischen dem Auftauchen zweier aufeinander folgender Silben 0,t>5 Sek. Auf diese Zwischenzeit waren die Versuchspersonen so einge\u00fcbt, dafs sie verh\u00e4ltnism\u00e4fsig geringe \u00c4nderungen derselben (\u00b1 0,02 Sek.) h\u00e4ufig schon unangenehm stark empfanden.\n3.\tEine Versuchsperson gab an, dafs ihr die Geschwindigkeit der Silben bei den ersten Wiederholungen zuweilen gr\u00f6fser erschienen sei als bei den folgenden.\n4.\tBei mehreren Versuchsreihen war ich als Experimentator beteiligt und hatte als solcher die Geschwindigkeit der Trommel zu kontrollieren und dar auf zu achten, dafs die Versuchsperson beim Hersagen jede Silbe, ehe sie im Gesichtsfelde erschien, richtig aussprach. Ich hatte nun hierbei die normale Geschwindigkeit der Trommel so genau kennen gelernt, dafs ich schon gew\u00f6hnlich beim Betrachten der Trommel nach dem subjektiven Eindr\u00fccke ann\u00e4hernd richtig entscheiden konnte, ob die Geschwindigkeit normal war oder nicht. War aber bei der Kontrolle vor Beginn der Versuche die Geschwindigkeit wesentlich zu grofs gewesen und stellte ich dann durch Verminderung des treibenden Gewichtes die normale Geschwindigkeit wieder her, so hielt ich jetzt die Geschwindigkeit meistens f\u00fcr unternormal.\nDie Erkl\u00e4rung dieser Erscheinungen ergiebt sich leicht in folgender Weise. Taucht eine Silbe im Gesichtsfelde auf, so folgt die Versuchsperson derselben so lange mit der Aufmerksam-","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nF. Schumann.\nkeit, bis sie deutlich erkannt und ausgesprochen ist ; dann wendet sich die Aufmerksamkeit der n\u00e4chstfolgenden Silbe zu, folgt dieser wieder, bis sie erkannt und ausgesprochen ist u. s. w. Nun ist der Ausschnitt des Schirmes so grofs gew\u00e4hlt, dafs jede Silbe unmittelbar nach dem Verschwinden der vorangehenden im Gesichtsfelde erscheint. Bei gewissen mittleren Geschwindigkeiten, die auch im allgemeinen bei den Versuchen benutzt wurden, kann daher die Versuchsperson, indem sie jeder Silbe so lange die Aufmerksamkeit zuwendet, wie dieselbe im Gesichtsfelde sichtbar ist, gerade bequem alle Silben deutlich erkennen und aussprechen. Der Vorgang des Erkennens besteht nat\u00fcrlich einfach darin, dafs sich das Gesichtsbild der Silbe vollst\u00e4ndig entwickelt und dafs dann dieses Gesichtsbild das entsprechende Lautbild reproduziert. Bei Steigerung der Geschwindigkeit wird aber die Versuchsperson ihre Aufmerksamkeit immer mehr konzentrieren m\u00fcssen, um alle Silben deutlich erkennen und aussprechen zu k\u00f6nnen; und zwar bewirkt die gr\u00f6fsere Konzentration der Aufmerksamkeit erstens eine schnellere Entwickelung des Gesichtsbildes, zweitens eine schnellere Reproduktion des Lautbildes und eine schnellere und energischere Reproduktion des Bewegungsbildes und drittens ein schnelleres Aussprechen der Silbe. Ferner achtet die Versuchsperson bei gr\u00f6fserer Geschwindigkeit nicht mehr auf die richtige Aussprache der Silbe ; die Aufmerksamkeit wendet sich vielmehr schon, sobald das Klangbild reproduziert ist, der n\u00e4chstfolgenden Silbe zu. Wird schliefslich die Geschwindigkeit \u00fcber eine gewisse Grenze hinaus gesteigert, so gelingt es nat\u00fcrlich \u00fcberhaupt nicht mehr, alle Silben deutlich zu erkennen. Nimmt andererseits die Geschwindigkeit ab, so kann man mit der Konzentration der Aufmerksamkeit nachlassen und auf die Richtigkeit der Aussprache achten. Von einer gewissen Grenze an wird dann die Geschwindigkeit unangenehm langsam infolge der Spannung der Erwartung, welche sich vor dem Auftauchen jeder Silbe geltend macht.\nIst nun die Versuchsperson geistig abgespannt, so wird sie anfangs in der gewohnten Weise ohne besondere Anstrengung die einzelnen Silben zu erkennen suchen. W\u00e4hrend aber gew\u00f6hnlich die Versuchsperson infolge der Ein\u00fcbung gerade so viel Zeit zum deutlichen Erkennen und Aussprechen der Silben braucht, wie erforderlich ist, damit die Aufmerksamkeit","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\t11\nsich immer der folgenden Silbe gerade im Moment ihres Auftauchens zuwenden kann, haftet jetzt infolge der geistigen Erschlaffung die Aufmerksamkeit l\u00e4nger als gew\u00f6hnlich an jeder Silbe, so dafs die folgenden Silben immer schon im Gesichtsfelde auftauchen, w\u00e4hrend die Aufmerksamkeit der Versuchsperson noch den vorangegangenen zugewandt ist. Haftet dann die Aufmerksamkeit an der zweiten Silbe ebenso lange wie an der ersten, so wird die dritte Silbe in dem Momente, in welchem sich ihr die Aufmerksamkeit zuwendet, noch weiter im Gesichtsfelde vorgedrungen sein als die zweite Silbe in dem entsprechenden Momente u. s. w. Dieser Sachverhalt veranlafst dann die Versuchsperson zu einer st\u00e4rkeren Konzentration der Aufmerksamkeit, da sonst bald eine Silbe \u00fcberhaupt nicht mehr vollst\u00e4ndig erkannt werden w\u00fcrde. Die sonst nur bei einer \u00fcbernormalen Geschwindigkeit vorkommende Thatsache, dafs jede Silbe schon, bevor sie erwartet wird, im Gesichtsfelde auftaucht, bewirkt also in diesen F\u00e4llen die T\u00e4uschung des Urtheils. Ist andererseits die Versuchsperson geistig besonders frisch, so geht die Aufmerksamkeit unwillk\u00fcrlich rascher als gew\u00f6hnlich von jeder Silbe zur n\u00e4chstfolgenden \u00fcber, so dafs jede Silbe schon vor ihrem Erscheinen im Gesichtsfelde erwartet wird. Die so vor dem Eintritt jeder Silbe hervorgerufene Spannung der Erwartung bewirkt dann, dafs die Geschwindigkeit unternormal erscheint.\nDie T\u00e4uschung, dafs bei geistiger Abspannung der Versuchsperson die Geschwindigkeit \u00fcbernormal erschien, trat h\u00e4ufig auch bei den sp\u00e4teren Wiederholungen auf, wenn versucht wurde, die Reihen frei herzusagen. Da n\u00e4mlich jede Silbe, wenn sie als richtig hergesagt gelten sollte, von der Versuchsperson schon aixsgesprochen sein mufste, bevor sie im Gesichtsfelde erschien, so mufste bei gr\u00f6fserer Geschwindigkeit durch die gr\u00f6fsere Konzentration der Aufmerksamkeit auch eine schnellere Reproduktion der Silben bewirkt werden. Um Zeit zu gewinnen, suchten nun die Versuchspersonen, da zwischen der letzten und ersten Silbe jeder Reihe eine etwas gr\u00f6fsere Zwischenzeit war, mit dem Auswendighersagen gleich nach dem Aussprechen der letzten und vor dem Erscheinen der ersten Silbe zu beginnen. War aber infolge von Abspannung die Assoziationszeit verl\u00e4ngert, so wurde dadurch dieser Vorsprung bald wieder ausgeglichen, und die letzten","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nF. Schumann.\nSilben der Reihen tauchten im Gesichtsfelde auf, bevor sie reproduziert waren. Es war dann zur Bew\u00e4ltigung der Reihe eine besonders starke Konzentration der Aufmerksamkeit erforderlich, und trotzdem gelang das rechtzeitige Hersagen s\u00e4mtlicher Silben h\u00e4ufig erst nach einer aufs er ge wohnlichen Anzahl von Wiederholungen.\nGanz analog den im Vorstehenden beschriebenen Thatsachen ist die bekannte Erfahrung, dafs wir glauben, die Ausl\u00e4nder redeten in ihrer Sprache rascher als wir in der unsrigen. Diese T\u00e4uschung r\u00fchrt einerseits daher, dafs wir infolge unserer gr\u00f6fseren Unbekanntschaft mit den fremden Sprachen den Sinn der in einer solchen gesprochenen Worte nicht so rasch zu verstehen verm\u00f6gen wie den Sinn der heimatlichen Laute (verl\u00e4ngerte Assoziationszeit) ; andererseits aber auch schon daher, dafs von rasch hintereinander gesprochenen Worten sich nur dann klare Lautbilder entwickeln, wenn wir mit ihnen so vertraut sind, wie mit den Worten der Muttersprache.\nWie grofs nun die Unterschiedsempfindlichkeit bei l\u00e4ngerer Ein\u00fcbung auf eine bestimmte Geschwindigkeit werden kann, zeigt die oben an zweiter Stelle erw\u00e4hnte Thatsache, dafs \u00c4nderungen der gewohnten Geschwindigkeit um Vso schon h\u00e4ufig unangenehm stark empfunden wurden.\nDie unter 3. angef\u00fchrte Thatsache erkl\u00e4rt sich ferner leicht daraus, dafs das Erkennen der Silben bei den ersten Wiederholungen, da die Silben dann noch unbekannt sind, eine etwas l\u00e4ngere Zeit in Anspruch nimmt als sp\u00e4ter. Dafs sich dies nur bei einer Versuchsperson so deutlich gezeigt hat, liegt wohl einerseits daran, dafs die Trommel bei der ersten Umdrehung 1 noch nicht ihre volle Geschwindigkeit erreicht hatte, und andererseits ist denkbar, dafs die Versuchspersonen sich leicht daran gew\u00f6hnen, bei den ersten Wiederholungen ihre Aufmerksamkeit mehr zu konzentrieren als bei den sp\u00e4teren.\nWas endlich die unter 4. erw\u00e4hnte Kontrasterscheinung anbetrifft, so l\u00e4fst sich dieselbe ganz analog den im vorigen Paragraphen beschriebenen, bei Vergleichung kleiner, durch einfache Geh\u00f6rseindr\u00fccke begrenzter Zeiten eintretenden Kon-trasterscheinungen erkl\u00e4ren. W\u00e4hrend ich n\u00e4mlich kontrollierte,\n1 Da die Trommel nur allm\u00e4hlich ihre volle Rotationsgeschwindig-keit annahm, so liefs ich die Versuchsperson erst nach Beendigung der ersten Umdrehung mit dem Lesen beginnen. Indessen hatte die Trommel auch dann wohl noch nicht ganz das Maximum ihrer Geschwindigkeit erreicht.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n13\nob die Versuchsperson zur richtigen Zeit die einzelnen Silben hersagte, stand ich seitw\u00e4rts vom Eotationsapparate und sah von oben auf die rotierende Trommel. Die untere Grenze des Gesichtsfeldes der Versuchsperson war durch einen dicht vor der Trommel befindlichen Faden markiert, welcher sich zugleich so tief in meinem Gesichtsfelde befand, dafs ich unterhalb desselben nur noch ein kleines St\u00fcck der Trommel \u00fcbersehen konnte. Zur besseren Verdeutlichung dieser Verh\u00e4ltnisse dient die nebenstehende Figur 1. Der Kreis T stellt einen Querschnitt der rotierenden Trommel dar und das ausgezogene St\u00fcck B dieses Kreises den Querschnitt desjenigen Teiles der Trommel, welchen ich \u00fcbersehen konnte. Der Punkt F bezeichnet den Querschnitt des Fadens,\nS denjenigen des Schirmes und A den Ausschnitt des Schirmes. Bei der Kontrolle verfolgte ich nun jede Silbe mit dem Blick von ' ihrem ersten Auftreten bis zu einem Punkte oberhalb des Fadens, also etwa von a bis y. Dies that ich jedoch erst bei den letzten Wiederholungen, wenn die Versuchsperson die Reihe frei herzusagen suchte. W\u00e4hrend der ersten Wiederholungen beobachtete ich die Silben, um mir das Gesichtsbild derselben behufs leichterer Erkennung bei der Kontrolle gut einzupr\u00e4gen, auf einer bequemer gelegenen Strecke \u00df\u00f6. Dabei mufste sich dann, wie man leicht \u00fcbersehen wird, die Aufmerksamkeit wieder so einstellen, dafs die Strecke \u00df\u00f6 ann\u00e4hernd konstant und gleich dem Zwischenr\u00e4ume zwischen zwei aufeinanderfolgenden Silben war. Denn w\u00e4re z. B. die Aufmerksamkeit jeder Silbe eine l\u00e4ngere Strecke gefolgt, so h\u00e4tte sich der Punkt \u00df, bei dem sich die Aufmerksamkeit immer der neuen Silbe zuwendete, dem Endpunkte des Gesichtsfeldes n\u00e4hern m\u00fcssen, so dafs bald eine Silbe \u00fcberhaupt nicht mehr deutlich erkannt worden w\u00e4re. In derselben Weise betrachtete ich nun auch die einzelnen Stellen, wenn ich vor Beginn der Versuche die Geschwindigkeit der Trommel kontrollierte. Gen\u00fcgte dabei die gewohnte Th\u00e4tigkeit der Aufmerksamkeit, so hielt ich die Geschwindigkeit f\u00fcr normal. N\u00e4herte sich dagegen der Punkt \u00df der Grenze a bezw. \u00ab des Gesichtsfeldes, so hielt ich die Geschwindigkeit f\u00fcr unternormal bezw. \u00fcbernormal. War\n\nFig. 1.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nF. Schumann.\nnun anfangs bei der Kontrolle vor Beginn der Versnobe die Geschwindigkeit zu grofs gewesen, so hatte ich die Aufmerksamkeit mehr konzentrieren m\u00fcssen und war rascher als gew\u00f6hnlich von jeder Silbe zur n\u00e4chstfolgenden \u00fcbergegangen. Stellte ich dann die normale Geschwindigkeit wieder her, so fuhr ich unwillk\u00fcrlich noch einige Zeit fort mit derselben angestrengten Aufmerksamkeit, welche bei der gr\u00f6fseren Geschwindigkeit erforderlich war, rascher als gew\u00f6hnlich von jeder Silbe zur n\u00e4chstfolgenden \u00fcberzugehen. Infolge der so ver\u00e4nderten Einstellung der Aufmerksamkeit mufste dann nat\u00fcrlich die normale Geschwindigkeit unternormal erscheinen.\n\u00a7 3.\nIm vorigen Paragraphen ist gezeigt worden, dafs wir die Geschwindigkeit einer rotierenden Trommel, auf welcher Silben in gleichen Abst\u00e4nden geschrieben stehen, nach der Anstrengung der Aufmerksamkeit, welche erforderlich ist, um die Silben zu erkennen und auszusprechen, beurteilen k\u00f6nnen. Sind nun statt der Silben Linien auf die rotierende Trommel gezeichnet, und beobachtet man dann die Linien durch den Ausschnitt eines Vorgesetzten Schirmes, so folgen die Augen, falls die Geschwindigkeit nicht zu grofs bezw. der Abstand der Linien nicht zu klein ist, jeder Linie eine bestimmte Strecke und springen dann zur n\u00e4chstfolgenden \u00fcber. Es ist dies eine Thatsache, welche schon v. Fleische (Physiol.-optische Notizen, 2. Mittig., Berichte der Wiener \u00c4kad., math, naturw. Klasse, Abtlg. 3, 1882, S. 20) konstatiert hat und welche ich nach meinen zahlreichen Erfahrungen durchaus best\u00e4tigen mufs. Je rascher sich nun die Trommel bewegt, desto geringere Zeit darf die Aufmerksamkeit an jeder Linie haften, und bei \u00dcberschreitung einer gewissen Grenze wird es \u00fcberhaupt nicht mehr m\u00f6glich sein, jeder Linie besonders einen Augenblick die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man wird dann entweder nur jeder zweiten, dritten etc. Linie einen Augenblick mit der Aufmerksamkeit folgen, oder aber die Augen ruhig halten und mehr passiv den Wechsel der Empfindungen \u00fcber sich ergehen lassen. Es ist demnach zu vermuten, dafs auch die Rotationsgeschwindigkeit der mit Linien versehenen Trommel beurteilt wird nach der Anstrengung der Aufmerksamkeit, welche man anwenden mufs, um allen Linien einen Moment mit den Augen zu folgen. In","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Vier die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n15\nder That wird nun diese Vermutung best\u00e4tigt durch die folgenden Erscheinungen :\n1.\tSpannt man auf eine Kymographiontrommel einen Bogen Papier, auf dessen rechter H\u00e4lfte \u00e4quidistante Linien in z. B. 1 cm Entfernung, auf dessen linker H\u00e4lfte dagegen solche Linien in wesentlich gr\u00f6fseren Abst\u00e4nden gezogen sind, und l\u00e4fst man nun einmal durch den Ausschnitt eines Vorgesetzten Schirmes die Linien der linken H\u00e4lfte beobachten, w\u00e4hrend zugleich die rechte H\u00e4lfte verdeckt ist, und dann die Linien der rechten H\u00e4lfte bei verdeckter linken, so scheinen im letzteren Falle die Linien sich wesentlich rascher zu bewegen.\n2.\tEine Trommel, auf welche ein Bogen Papier mit Linien in allm\u00e4hlich sich vergr\u00f6fsernden Abst\u00e4nden geklebt ist, scheint sich mit ungleichm\u00e4fsiger Geschwindigkeit zu bewegen. Die in gr\u00f6fseren Abst\u00e4nden gezogenen Linien scheinen sich langsamer zu bewegen, als diejenigen, welche dichter nebeneinander stehen.\n3.\tHat man einige Zeit die Bewegung von Linien durch den Ausschnitt eines Schirmes beobachtet, so scheint ihre Geschwindigkeit zuzunehmen, wenigstens wenn die Geschwindigkeit so grofs ist, dafs die Einzelbeobachtung jeder Linie einige Anstrengung der Aufmerksamkeit erfordert.\nDie ersten beiden Thatsachen lassen sich offenbar nur durch die obige Annahme erkl\u00e4ren, da die beiden F\u00e4lle der wirklich gr\u00f6fseren Rotationsgeschwindigkeit und der gr\u00f6fseren Anzahl von Linien in kleineren Abst\u00e4nden nur den Umstand gemeinsam haben, dafs die Aufmerksamkeit mehr angestrengt werden mufs, um allen Linien einen Augenblick zu folgen. Durch dieselbe Annahme erkl\u00e4rt sich dann auch leicht die dritte Thatsache, da die bei den rasch aufeinanderfolgenden Augenbewegungen bald eintretende Erm\u00fcdung der Muskeln bezw. der motorischen Zentralorgane bewirkt, dafs die Augen sp\u00e4ter unwillk\u00fcrlich an jeder Linie etwas l\u00e4nger haften als anfangs. Hierbei wird aber aufser der Nerv-Muskelerm\u00fcdung auch noch eine Erschlaffung der Aufmerksamkeit in Frage kommen ; wenigstens deutet die folgende vierteVersuchsthatsache darauf hin.\n4.\tMan ziehe auf beide H\u00e4lften der Trommel Linien in denselben Abst\u00e4nden und lasse dann eine Versuchsperson einige Zeit die Linien der einen H\u00e4lfte bei Verdeckung der anderen beobachten, bis die Linien sich infolge von Erm\u00fcdung rascher","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nF. Schumann.\nzu bewegen scheinen. Darauf \u00f6ffne man pl\u00f6tzlich die Verdeckung der zweiten H\u00e4lfte bei gleichzeitiger Zudeckung der ersten H\u00e4lfte, dann scheinen anfangs die Linien der zweiten H\u00e4lfte sich langsamer zu bewegen als die der ersten H\u00e4lfte.\nDa man nun nicht gut annehmen kann, dafs durch den \u00dcbergang des Blicks von der einen H\u00e4lfte der Trommel zur anderen die Erm\u00fcdung des Zentralorganes bezw. der Muskeln wesentlich gemildert wird, so mufs man wohl zur Erkl\u00e4rung die Annahme machen, dafs in dem betreffenden Momente die erschlaffte Aufmerksamkeit vom Beobachter wieder mehr konzentriert wird.\nDa ich die vorstehenden Beobachtungen bei einer gr\u00f6fseren Anzahl von Versuchspersonen best\u00e4tigt gefunden habe, so glaube ich ihnen eine allgemeinere Geltung zuschreiben zu d\u00fcrfen. Nur bei einer Versuchsperson ergaben sich etwas andere Erscheinungen, welche sich jedoch leicht durch anormale Verh\u00e4ltnisse erkl\u00e4ren lassen. Der Betreffende hatte sich n\u00e4mlich zweimal einer Operation an den Augenmuskeln unterworfen, wovon die Folge war, dafs er den Fixationspunkt nur langsam ver\u00e4ndern konnte. Die obigen Erscheinungen traten daher erst bei sehr langsamen Geschwindigkeiten ein. Bei den mittleren Geschwindigkeiten gab er an, dafs er, nachdem er einer Linie eine kurze Zeit mit den Augen gefolgt sei, die folgende bezw. mehrere folgende \u00fcberspringe und erst wieder der dritten, vierten etc. seine Aufmerksamkeit einen Augenblick zuwende. Hatte er nun einige Zeit in dieser Weise etwa nur die linke H\u00e4lfte des Ausschnittes beobachtet bei verdeckter rechter H\u00e4lfte und ging er dann mit dem Blick zu der rechten H\u00e4lfte \u00fcber (bei Verdeckung der linken), so dauerte es erst eine kurze Zeit, bis er sich wieder auf das \u00dcberspringen der Linien in der richtigen Weise eingestellt hatte, und die Ge. schwindigkeit erschien ihm demgem\u00e4fs in der Zwischenzeit gr\u00f6fser.\nWenn im vorstehenden versucht ist nachzuweisen, dafs die Anstrengung der Aufmerksamkeit, welche erforderlich ist, um allen Linien einen Moment mit den Augen zu folgen, eine Grundlage bildet f\u00fcr die Beurteilung der Geschwindigkeit bewegter Linien dem unmittelbaren Eindr\u00fccke nach, so soll doch damit keineswegs behauptet sein, dafs sie auch die einzige Grundlage bilde. Zahlreiche Erfahrungen des gew\u00f6hnlichen","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n17\nLebens, auf welche n\u00e4her einzugehen hier nicht der Ort ist, beweisen vielmehr, dafs im allgemeinen ein Objekt sich um so rascher zu bewegen scheint, je schneller sich sein Bild auf der Netzhaut verschiebt. Auf diesen Satz l\u00e4fst sich z. B. auch die Thatsache zur\u00fcckf\u00fchren, \u201edafs die Geschwindigkeit eines sich am Auge vor\u00fcberbewegenden Punktes f\u00fcr gr\u00f6fser gehalten wird, wenn das Auge ihm nicht nachfolgt, als wenn es ihm folgt\u201c (v. Fleischl, a. a. 0. S. 22).\n\u00a7 4.\nDie Frage nach der psychophysischen Natur der Aufmerksamkeit ist gegenw\u00e4rtig wohl noch nicht spruchreif. Wenigstens sind die verschiedenen Versuche, den psychophysischen Mechanismus der Aufmerksamkeit klar zu legen, kaum ernsthaft zu nehmen. Die Theorie der willk\u00fcrlichen sinnlichen Aufmerksamkeit von G. E. M\u00fcller, wie sie neuerdings gem\u00e4fs den modernen psychophysischen Anschauungenmodifiziert ist (vgl. A. Pilzecker, Die Lehre von der sinnlichen Aufmerksamkeit, G\u00f6ttinger-Diss., 1889, S. 30 ff.), vermag die Vorg\u00e4nge, welche stattfinden, wenn wir willk\u00fcrlich unsere Aufmerksamkeit einem sinnlichen Eindr\u00fccke zuwenden, wenigstens so weit zu analysieren, dafs sich eine gr\u00f6fsere Anzahl von Erscheinungen durch dieselbe erkl\u00e4ren l\u00e4fst. Eine ersch\u00f6pfende Darstellung des betreffenden psychophysischen Mechanismus vermag sie dagegen auch nicht zu geben. Nach dieser Theorie geht dann, wenn wir etwas erwarten, in den betreffenden zentrosensorischen Partien des Gehirns ein psychophysischer Prozefs vor sich, welcher der Vorstellung des Erwarteten entspricht. Dieser Prozefs erstreckt sich bis auf niedere Gehirnzentren und ruft dort assoziierte Innervationen hervor, welche eine Adaptation des betreffenden Sinnesorgans etc. bewirken. Wissen wir nun, wie es bei den \u00a7 1 geschilderten Versuchen der Fall ist, dafs mehrere Schalleindr\u00fccke aufeinander folgen werden, so ist es nat\u00fcrlich, dafs nach jedem Schlage ein Vorstellungsbild eines neuen Schlages auftaucht und so die Erwartung desselben eintritt. Die durch die assoziierten Innervationen hervorgerufene Spannungs-empfindung w\u00fcrde dann jener Nebeneindruck sein, auf dessen Intensit\u00e4t wir uns nach S. 2 ff. bei Abgabe des Urteils \u201elangsam\u201c bezw. \u201esehr langsam\u201c st\u00fctzen. \u00dcber die Entstehung des Nebeneindrucks der \u00dcberraschung, welcher\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nF. Schumann.\ndadurch hervorgerufen wird, dafs der Schallreiz eintritt, bevor er erwartet wird, d\u00fcrften sich dagegen bei dem gegenw\u00e4rtigen Stande der Wissenschaft nur Vermutungen aufstellen lassen, welche nicht eingehender begr\u00fcndet werden k\u00f6nnen. Die sinnliche \u00dcberraschung unterscheidet sich von dem Erschrecken wohl nur durch die geringere Intensit\u00e4t. Bei den st\u00e4rkeren Graden zeigt sich der inneren Wahrnehmung eine pl\u00f6tzliche Leere des Bewufstseins, und \u00e4ufserlich giebt sich ein \u00fcber den ganzen K\u00f6rper verbreitetes Auftreten von Muskelzuckungen zu erkennen. Dafs diese Erscheinungen bei starken Beizen auf-treten k\u00f6nnen, ist ja ziemlich plausibel, weshalb sie aber auch schon bei schwachen unerwarteten Beizen eintreten, das h\u00fcllt sich vorl\u00e4ufig wohl noch in Dunkel.\nWas dann die Erkl\u00e4rung der Einstellungserscheinungen anbetrifft, so w\u00fcrden wir vermuten k\u00f6nnen, dafs das akustische Sinneszentrum, nachdem es \u00f6fter in denselben Intervallen erregt ist, eine Tendenz zu einer automatischen Th\u00e4tigkeit in diesen Intervallen behalten kann und dafs es demgem\u00e4fs dem erregenden Beize in dem Momente seines Entstehens durch Erzeugung einer gleichen psychophysischen Erregung entgegenkommt. Schon bei den Gewichtsversuchen, welche ich gemeinschaftlich mit Herrn Professor M\u00fcller ausf\u00fchrte (vgl. Pfl\u00fcg er\u2019s Arch., 45, S. 37 ff.), zeigte sich gelegentlich, dafs die motorischen Zentralorgane nach l\u00e4ngerer Th\u00e4tigkeit in bestimmten Intervallen eine Tendenz zu einer automatischen Th\u00e4tigkeit in diesen Intervallen annehmen. Waren n\u00e4mlich die Gewichte w\u00e4hrend einer Versuchsreihe z. B. im Takte von 0,7 Sek. gehoben, und gingen wir dann zu einem gr\u00f6fseren Intervall, etwa 1,2 Sek., \u00fcber, so mufste die Versuchsperson sich anfangs besondere M\u00fche geben, um in dem neuen Takte zu heben, da sich unwillk\u00fcrlich die Impulse in dem alten Intervall einstellten. Dafs dann in gleicher Weise auch dem akustischen Zentrum eine Tendenz zu einer automatischen Th\u00e4tigkeit eingepr\u00e4gt werden kann, beweisen die Erscheinungen des Sinnenged\u00e4chtnisses, welche Eechner nach mehrst\u00fcndigem Beachten der Schl\u00e4ge einer Sekundenuhr bei Gelegenheit von erdmagnetischen Beobachtungen hatte. Derselbe sagt hier\u00fcber (El. d. Psychoph., 2. Aufl., IL, S. 500): \u201eWenn ich nach einer solchen Beobachtungsreihe abends im Bette lag, und selbst noch am anderen Morgen, wenn alles ganz still war, h\u00f6rte ich auf","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n19\ndas allerdeutlichste (fortgehends) den Schlag des Sekundenz\u00e4hlers mit seinem eigent\u00fcmlichen Takte, etwa so, als wenn eine Pendeluhr im Nebenzimmer ginge, so dafs ich mich besonders \u00fcberzeugen mufste, dafs keine derartige \u00e4ufsere Ursache wirklich vorhanden sei.\u201c Dieselbe Erscheinung des Sinnenged\u00e4chtnisses zeigte sich auch bei einer meiner Versuchspersonen, mit der ich vorl\u00e4ufige Versuche, und zwar gew\u00f6hnlich mittags, \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit des Zeitsinnes anstellte. Derselbe gab an, dafs er die Telephonger\u00e4usche, welche die zu vergleichenden Zeitintervalle begrenzten, \u00f6fter nachmittags, wenn er geistig nicht weiter besch\u00e4ftigt sei, mit sinnlicher Deutlichkeit zu h\u00f6ren glaube. Da also nach diesen Thatsachen wohl nicht zweifelhaft ist, dafs den sensorischen Zentren eine Tendenz zu einer automatischen Th\u00e4tigkeit in bestimmten Intervallen eingepr\u00e4gt werden kann, so d\u00fcrfen wir dieselbe auch wohl als wirksam bei den obigen Einstellungserscheinungen voraussetzen. Zur Erkl\u00e4rung des Umstandes, dafs die Intensit\u00e4t der Erwartungsspannung schon bei ver-h\u00e4ltnism\u00e4fsig geringer Vergr\u00f6fserung des einge\u00fcbten Intervalls zu maximaler Intensit\u00e4t anschwillt, w\u00fcrde etwa anzunehmen sein, dafs auch der vorbereitende psychophysische Prozefs in dem betreffenden Ealle rascher seine volle Intensit\u00e4t erreicht, und mit ihm die assoziierte Innervation. Allerdings m\u00f6chte ich es dahingestellt sein lassen, ob es sich bei der Erwartungsspannung nicht doch vielleicht um ein innerlich erzeugtes Spannungsgef\u00fchl handelt. Hierf\u00fcr w\u00fcrde wenigstens die That-sache sprechen, dafs bei den minimalen Zeiten von ca. 0,3 Sek. ebenfalls vor dem dritten Signale, wenn es etwas sp\u00e4ter als gew\u00f6hnlich eintritt, eine Spannung der Erwartung sich geltend macht, obwohl die Aufmerksamkeit im Verlaufe des ganzen Versuchs gespannt bleibt und demgem\u00e4fs Spannungsempfindungen fortw\u00e4hrend vorhanden sind.\nAuf eine Ein\u00fcbung der nerv\u00f6sen Zentren, nat\u00fcrlich komplizierterer Art, deuten dann die Erscheinungen des zweiten Paragraphen hin.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nF. Schumann.\nII.\n\u00dcbersicht \u00fcber die Ergebnisse der fr\u00fcheren Untersuchungen.\n\u00a7 5.\nMach und Vierordt.\nWenn die Er\u00f6rterungen des vorigen Abschnittes auch keine vollst\u00e4ndige L\u00f6sung des behandelten Problems gebracht haben, so gen\u00fcgen doch die erhaltenen Resultate, um einen grofsen Teil der Verschiedenheiten, welche sich unter den von den verschiedenen Forschern bei ihren experimentellen Untersuchungen erhaltenen Resultaten ergeben haben, zu erkl\u00e4ren. Vor allem d\u00fcrfte nach dem Vorangegangenen klar sein, dafs nur solche Untersuchungen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr kleine Zeitgr\u00f6fsen miteinander vergleichbar sind und \u00fcberhaupt Wert haben, bei welchen eine maximale Ein\u00fcbung auf die einzelnen Intervalle stattgefunden hat. Denn da die Einstellung der Aufmerksamkeit sich bei den verschiedenen Intervallen verschieden rasch vollzieht, so d\u00fcrfte je nach dem Grade der \u00dcbung auch der Gang der Unterschiedsempfindlichkeit ein verschiedener sein. Nun entsprechen die meisten Untersuchungen dieser Anforderung nicht, so dafs sie schon deshalb bedeutend an Wert verlieren. Doch ist dies, wie wir gleich sehen werden, weder der einzige noch der haupts\u00e4chlichste Fehler von denen, welche den verschiedenen Untersuchungen anhaften.\nW\u00e4hrend Czermak in einer Mitteilung ( Wiener Berichte, math.-nat. Klasse, XXIV, S. 231 ff.) zuerst auf die Wichtigkeit von experimentellen Untersuchungen \u00fcber den Zeitsinn aufmerksam gemacht hat, waren Mach und Vierordt die ersten, welche ann\u00e4hernd gleichzeitig experimentelle Untersuchungen ausf\u00fchrten. Mach ( Wiener Ber., math.-nat. Klasse, 51, Abtlg. 2) suchte nur die Frage nach der G\u00fcltigkeit des WEBERschen Gesetzes im Gebiete des Zeitsinnes zu entscheiden. Obwohl nun sowohl die benutzten Apparate zur Untersuchung unserer so feinen Unterschiedsempfindlichkeit in diesem Gebiete bei weitem nicht genau genug waren, als auch die angewandte Methode der eben merklichen Unterschiede wesentliche M\u00e4ngel hatte, so ergab sich doch ein Resultat, welches durch meine unten","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n21\nangef\u00fchrten Versuche durchaus best\u00e4tigt wird: Die relative Unterschiedsempfindlichkeit besitzt bei 0,3 bis 0,4 Sek. ein Maximum und nimmt nach beiden Seiten hin regelm\u00e4fsig ab. Aufserdem fand schon Mach die f\u00fcr die Theorie der Zeitsch\u00e4tzung, wie wir oben gesehen haben, so wichtige, sp\u00e4ter aber vollst\u00e4ndig vernachl\u00e4ssigte Thatsache, dafs das Ohr sich an zwei unmittelbar aufeinanderfolgende ungleiche Pausen, nachdem dieselben \u00f6fter aufeinander gefolgt sind, so sehr gew\u00f6hnen kann, dafs es dieselben f\u00fcr gleich h\u00e4lt. Interessant sind ferner noch die sich anschliefsenden theoretischen Betrachtungen, welche der oben entwickelten Anschauung in mancher Beziehung sehr nahe kommen. Aus der Thatsache, dafs wir an zwei vollst\u00e4ndig verschiedenen Melodien von gleichem Rhythmus die Gleichheit des Rhythmus erkennen k\u00f6nnen und dafs wir schon bekannte Melodien zu erraten verm\u00f6gen, wenn ihr Rhythmus durch Klopfen angegeben wird, schliefst Mach, dafs zu jeder Tonempfindung noch eine andere Empfindung, welche durch das zwis\u00e7hen dieser Tonempfindung und der vorangegangenen liegende Intervall bestimmt sei, hinzukommen m\u00fcsse und dafs demgem\u00e4fs bei verschiedenen Melodien von gleichem Rhythmus die Reihe dieser Nebenempfindungen gleich sei. Die Entstehung dieser Neben empfindungen sucht dann Mach, ebenso wie es oben geschehen ist, auf die sinnliche Aufmerksamkeit zur\u00fcckzuf\u00fchren, entwickelt dabei aber eine Theorie derselben, welche unhaltbar ist, da sie die Aufmerksamkeit als eine rein motorische Erscheinung betrachtet, und welche auch sp\u00e4ter von ihm selbst (Beitr\u00e4ge zur Analyse der Simesempfindungen, S. 105 ff.) verlassen ist.\nDer n\u00e4chste Experimentator, Vierordt (Der Zeitsinn, T\u00fcbingen 1868), den seine beiden Sch\u00fcler, Cambrer und H\u00f6ring, unterst\u00fctzten, stellte sich nicht nur die Aufgabe, die G\u00fcltigkeit des WEBERschen Gesetzes im Gebiete des Zeitsinnes zu untersuchen, sondern suchte auch die mannigfaltigen Leistungen des Zeitsinnes zu verfolgen, wie sie sich in den wichtigsten Sinnesgebieten, sowie in der blofsen Vorstellung von Zeitgr\u00f6lsen kundgeben. Die Versuchsanordnung bei den meisten Versuchen war die folgende : Der eine Arm eines doppelarmigen, um eine wagerechte Axe drehbaren Hebels war \u201ean seinem freien Ende mit einer nach abw\u00e4rts gerichteten Stahlspitze versehen, welche beim Aufschlagen auf eine unterliegende Glasplatte einen","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nF. Schumann.\nmomentanen Ton verursachte\u201c. Der andere Arm des Hebels markierte die Momente des Aufschlagens der Stahlspitze auf eine rotierende Kymographiontrommel. Der Experimentator gab dann durch zweimaliges Anschl\u00e4gen der Glasplatte mit der Stahlspitze die Hauptzeit an, w\u00e4hrend die Versuchsperson bei den unmittelbar aufeinanderfolgenden Intervallen durch einen dritten Anschlag mit demselben Hebel und bei zeitlich getrennten Intervallen nach einer Pause durch zweimaliges Anschl\u00e4gen eine der Hauptzeit gleiche Fehlzeit herzustellen suchte. Vierordt glaubte nun in der so reproduzierten Zeit ein Mafs f\u00fcr den \u201eentsprechenden zeitlichen Empfindungsinhalt\u201c und in dem mittleren variabelen Fehler ein Mafs f\u00fcr die Unterschiedsempfindlichkeit zu erhalten. Beide Annahmen sind aber unhaltbar. F\u00fcr die erstere ergiebt sich dies z. B. schon aus dem auf S. 7 erw\u00e4hnten Falle. Werden vom Experimentator einige Male hintereinander etwas gr\u00f6fsere Intervalle (z. B. 1,0 Sek.) angegeben, w\u00e4hrend die Versuchsperson sich jedesmal bem\u00fcht, ein unmittelbar darauffolgendes gleiches Intervall durch einen dritten Anschlag herzustellen, und geht dann der Experimentator zu einem wesentlich kleineren Intervall (z. B. 0,5 Sek.) \u00fcber, so wird die Versuchsperson jetzt von dem zweiten Anschlag so \u00fcberrascht, dafs sie die Bewegung entweder gar nicht oder doch viel zu sp\u00e4t ausf\u00fchrt. Was ferner die zweite Annahme anbetrifft, so w\u00fcrde, selbst wenn man davon absehen wollte, dafs die Methode der mittleren Fehler aus den von Gl. E. M\u00fcller geltend gemachten Gr\u00fcnden zu einem genauen Mafse der Unterschiedsempfindlichkeit \u00fcberhaupt nicht f\u00fchren kann, doch noch zu bedenken sein, dafs die Versuchsweise Vierordts in einem wesentlichen Punkte von derjenigen abweicht, welche Fechner schon in den \u201eElementen\u201c als die zweckentsprechende bezeichnet hat, und welche er f\u00fcr Gewichtsversuche dort mit folgenden Worten beschreibt (2. Aufl., I., S. 72): \u201eHat man sich blofs das Gewicht des einen Gef\u00e4fses als Hormalgewicht mittelst der Wage gegeben, so kann man versuchen, das andere, das Fehlgewicht, nach dem blofsen Urteile der Empfindung jenem gleich zu machen. Hierbei wird man im allgemeinen einen gewissen Irrtum, Fehler begehen, den man findet, wenn man das zweite Gef\u00e4fs, nachdem man es dem ersten als gleich taxiert hat, nachwiegt.\u201c Wollte Vierordt bei seinen Versuchen in analoger Weise verfahren,","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n23\nso mufste der Experimentator sowohl Normal- wie Vergleichszeit angeben, lind die Versuchsperson ohne aktives Eingreifen sich nur darauf beschr\u00e4nken, die beiden Intervalle miteinander zu vergleichen. Es w\u00e4ren dann diejenigen Vergleichszeiten, welche von der Versuchsperson der Hauptzeit gleichgesch\u00e4tzt w\u00e4ren, als Fehlzeiten zu betrachten gewesen. Dadurch, dafs sich die Versuchsperson nicht ganz dem Vergleichen widmen konnte, sondern selbst die Eehlzeit hersteilen mufste, wurde ein Moment eingef\u00fchrt, welches besonders bei den kleinen Zeiten, bei denen der Nebeneindruck der \u00dcberraschung die Reproduktion st\u00f6rt, verh\u00e4ltnism\u00e4fsig grofse und variable Fehlzeiten bewirken mufste.1 W\u00fcrde jemand Versuche \u00fcber das Augen-mafs in der Weise ausf\u00fchren, dafs er der Versuchsperson neben einer Hauptdistanz eine kontinuierlich sich vergr\u00f6fsernde Vergleichsdistanz darb\u00f6te und ihr die Aufgabe stellte, in dem Augenblicke, in welchem ihr die Vergleichsdistanz der Hauptdistanz gleich zu sein scheine, durch irgend eine kleine Manipulation der Vergr\u00f6fserung Einhalt zu thun, so d\u00fcrften sich wohl auch wesentlich andere Resultate ergeben als bei den in der \u00fcblichen Weise angestellten Versuchen. Wir brauchen uns deshalb nicht zu wundern, dafs die nach der Reproduktionsmethode erhaltenen Resultate nicht mit den von Mach erhaltenen \u00fcbereinstimmen, zumal da die einzige Versuchsreihe, welche Vierordt nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle ausgef\u00fchrt hat und welche allein mit den Versuchen Machs vergleichbar ist, auch ein vollst\u00e4ndig \u00fcbereinstimmendes Resultat zeigt.2\nWenn nun aber auch der mittlere variable Fehler nicht als Mafs der Unterschiedsempfindlichkeit dienen kann, so k\u00f6nnen geeignet angestellte Untersuchungen nach der Vierordt-schen Methode nat\u00fcrlich trotzdem ihren Wert haben. Nur geh\u00f6rt dazu, wie sich leicht aus den Er\u00f6rterungen des \u00a7 1 ergiebt, dafs viele Versuche hintereinander mit derselben Normalzeit gemacht werden. Leider ist dies nun bei den zahl-\nIn einer sp\u00e4teren Mitteilung (Zeitschr. f. Biologie, XVIII, 1882, S. 397 ff.) verteidigt Vierordt seine Versuchsweise gegen die Angriffe Wdndts, giebt aber selbst die M\u00f6glichkeit von St\u00f6rungen bei den kleinen Zeiten zu.\n2 Die Reproduktionsmethode wird durch meine in \u00a7 10 angef\u00fchrten Versuche noch n\u00e4her beleuchtet.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nF. Schumann.\nreichen Versuchen Vierordts, welche er \u00fcber die Reproduktion verschiedener, teils durch Geh\u00f6r-, teils durch Licht-, teils durch Tasteindr\u00fccke begrenzter Intervalle gemacht hat, nicht der Fall, so dafs sich aus ihnen gar wenig schliefsen l\u00e4fst. Hervorzuheben w\u00e4re nur noch, dafs Vierordt zuerst eine Versuchsreihe angestellt hat, bei welcher der Versuchsperson die Aufgabe gestellt wurde, die in regelloser Abwechslung dargebotenen Schlagfolgen eines Metronoms dem subjektiven Eindr\u00fccke nach in die Kategorien \u201esehr langsam\u201c, \u201elangsam\u201c etc. einzuordnen. \u00dcber die diese Urteile bedingenden Faktoren ist in \u00a7 1 das N\u00e4here auseinandergesetzt.\nIndem ich jetzt zur Besprechung der Untersuchungen neuerer Autoren \u00fcbergehe, m\u00f6chte ich noch bemerken, dafs Vierordts Schrift trotz der hier hervorgehobenen M\u00e4ngel seiner Versuche durchaus als eine verdienstvolle bezeichnet werden mufs und dafs ihre Lekt\u00fcre auf jeden, der sich der experimentellen psychologischen Forschung widmen will, anregend wirken wird.\n\u00a7 6-\nDie Untersuchungen aus dem Leipziger Laboratorium.\nEine der oben entwickelten \u00e4hnliche Anschauung \u00fcber die Vergleichung kleiner Zeiten vertritt Wundt in seiner vPhys. Psych.\u201c (3. Aufl. II., S. 348). Nach ihm beruht das Vergleichen von kleinen Intervallen darauf, dafs die Zeit, welche zwischen dem Auftauchen der Erinnerungsbilder einer Reihe unmittelbar aufeinander folgender Sinneseindr\u00fccke liegt, sich mehr oder weniger genau richtet nach dem Intervalle, welches die Eindr\u00fccke voneinander trennt. Irgend ein Grund f\u00fcr diese Annahme ist nicht beigebracht. Dies ist um so verwunderlicher, da Wundt an anderer Stelle (Phys. Psych. IL, S. 315) annimmt, dafs die Schnelligkeit, mit der eine Vorstellung eine assoziierte ins Bewufstsein nachzieht, haupts\u00e4chlich von der St\u00e4rke der zwischen beiden Vorstellungen bestehenden Assoziation ab h\u00e4ngt.\nUnter Wundts Leitung ist dann eine Reihe von experimentellen Arbeiten ausgef\u00fchrt. Nach den Untersuchungen von Mach und Vierordt, welche mehr den Zweck einer vorl\u00e4ufigen Orientierung hatten, konnten offenbar nur solche Untersuchungen","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n25\ndie Wissenschaft f\u00f6rdern, welche entweder, soweit sie auf die Bestimmung der Unterschiedsempfindlichkeit gerichtet waren, in methodischer Hinsicht gegen\u00fcber den bisherigen Untersuchungen einen wesentlichen Fortschritt enthielten oder aber zur Erforschung der psychologischen Grundlagen der Vergleichung kleiner Zeiten beitrugen. Leider erf\u00fcllen die Arbeiten der W\u00fcNDTschen Schule keine von beiden Anforderungen, die ersten drei sind vielmehr vollst\u00e4ndig wertlos.\nUm diesen Ausspruch n\u00e4her begr\u00fcnden zu k\u00f6nnen, mufs ich zun\u00e4chst die bei den Versuchen benutzten Apparate einer kritischen Betrachtung unterziehen. W\u00e4hrend der erste Experimentator mit dem Metronom operierte, hat Wundt f\u00fcr die folgenden einen besonderen Zeitsinnapparat konstruiert. Derselbe \u201ebesteht aus einem metallischen Drehrad K, welches durch ein Uhrwerk in gleichf\u00f6rmige Botation versetzt wird. Durch Windfl\u00fcgel sowie durch die Schwere des angeh\u00e4ngten Gewichts kann die Geschwindigkeit der Drehung innerhalb ziemlich weiter Grenzen variiert werden, w\u00e4hrend doch die Bewegung eine ausreichend konstante bleibt. Mittelst eines in das Kronrad eingreifenden Hebels kann ferner das Uhrwerk in jedem Augenblick pl\u00f6tzlich arretiert werden. An dem Drehrad befindet sich ein ebenfalls metallischer Stift s, welcher sich frei auf einer Kreisteilung bewegt, die auf einem fest an den Tisch des Uhrwerks angeschraubten Holzring angebracht ist. An diesem Holzring k\u00f6nnen endlich mehrere kleine Ausl\u00f6sungsapparate in jeder Stellung festgeschraubt werden.\u201c Einen schematischen Grundrifs dieser Ausl\u00f6sungsapparate zeigt die nebenstehende Figur 2. BAG ist ein um A jj drehbarer doppelarmiger Hebel, dessen mit einer Platinplatte versehener Arm A C durch die Feder f gegen eine Platinspitze gedr\u00fcckt wird, welche sich an einer verstellbaren Schraube S befindet. St\u00f6fst nun der Stift s bei der flotation gegen den Hebel eines solchen Ausl\u00f6sungsapparates, so wird dadurch ein Strom geschlossen, jedoch nur auf kurze Zeit, da die Feder f den Hebel, sobald er durch den Stift s\tMg. 2.\nnur etwas aus seiner Iluhelage entfernt ist, ganz wegschnellt. Durch den so bewirkten Schlufs des Stromes wird ein kurzer Schlag eines elektromagnetischen Hammers ausgel\u00f6st.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nF. Schumann.\nDie Hauptfehlerquellen dieser Versuchsanordnung sind nun die folgenden. Erstens w\u00fcrde es als eine entschiedene Verbesserung zu betrachten gewesen sein, wenn auch an den Stellen, wo sich A B und der Stift s ber\u00fchrten, Platin verwandt worden w\u00e4re. Zweitens ist zu bedenken, dafs ein Strom verh\u00e4ltnism\u00e4fsig lange geschlossen sein mufs, um einen Schlag eines elektromagnetischen Hammers hervorzurufen. (Bei Versuchen, die ich im Leipziger Laboratorium in den Herbstferien 1889 anstellte, mufste ein von 12 Meidinger Elementen gelieferter Strom wenigstens 0,11 Sek. geschlossen sein, um regelm\u00e4fsig Hammerschl\u00e4ge auszul\u00f6sen.) Dazu ist aber erforderlich, dafs die Feder f der Drehung des Hebels einen nicht unwesentlichen Widerstand entgegensetzt, wodurch die Gleichf\u00f6rmigkeit der Bewegung des Drehrades gest\u00f6rt wird. Drittens verursacht der elektromagnetische Hammer bei kleinen Zeiten eine wesentliche Fehlerquelle. Denn da der Hammer, nachdem der Magnetismus aufgeh\u00f6rt hat, durch Federkraft abgerissen wird, so ger\u00e4t er in Schwingungen und wird dem-gem\u00e4fs beim zweiten Stromschlufs langsamer oder rascher angezogen werden, je nachdem er gerade beim Beginn der Anziehung mehr oder weniger weit vom Elektromagneten entfernt war. Nehmen wir nun schliefslich noch hinzu, dafs auch die Konstanz der Hotationsgeschwindigkeit nicht allzu grofs gewesen sein d\u00fcrfte, so werden wir wohl berechtigt sein zu ver-muthen, dafs Fehler von mehreren Hundertsteln einer Sekunde nicht selten gewesen sind. Noch gr\u00f6fser werden die Fehler bei den Versuchen von Glass nach der Methode der mittleren Fehler gewesen sein, bei denen der Autor so verfuhr, dafs er durch die Ausl\u00f6sungsapparate zwei Signale ausl\u00f6sen liefs und dann nach einer Zeit, welche ihm der zwischen den beiden Signalen liegenden Zeit gleich zu sein schien, durch den Arretierungshebel das Uhrwerk hemmte. Diese Hemmungsvorrichtung zeigt die nebenstehende Figur 3 schematisch. An der rasch rotierenden Axe der Windfl\u00fcgel A befindet sich eine kleine Hervorragung /, gegen welche der um m drehbare Hebel H st\u00f6fst, sobald sein Griff G nach rechts gedreht wird. Es m\u00f6ge nun der punktierte Kreis den Weg, welchen der \u00e4ufserste Punkt des Fortsatzes f bei der Rotation macht, bezeichnen und a den Punkt, in welchem die Linie, welche die \u00e4ufserste Spitze des Hebels bei der Bewegung nach links beschreibt, den Kreis","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n27\nschneidet. Hat der Fortsatz f den Punkt a im Augenblicke, wo die Hebelspitze in diesem Punkte anlangt, gerade eben passiert, so wird die Axe fast noch eine volle Umdrehung machen k\u00f6nnen, w\u00e4hrend sie dann, wenn die Hebelspitze und f zu gleicher Zeit in a anlangen, augenblicklich gehemmt wird-Hierdurch entsteht aber, selbst wenn die Axe 50 Umdrehungen in der Sekunde macht, doch immer noch eine Differenz von 0,02 Sek., die nat\u00fcrlich bei kleinen Zeiten nicht vernachl\u00e4ssigt werden darf. Zu diesem variabelen Fehler kommt dann schliefslich noch ein nicht unerheblicher konstanter Fehler. Zur Berechnung der einzelnen Zeiten wurden n\u00e4mlich aufser der Rotationsdauer noch die Stellungen des Metallstiftes, welche er bei leiser Ber\u00fchrung der Hebel der beiden Ausl\u00f6sungsapparate\nbezw. nach der von der Versuchsperson bewirkten Arretierung einnahm, mit H\u00fclfe der unter ihm befindlichen Kreisteilung bestimmt. Da nun aber der Hammerschlag erst einige Zeit nach der Ber\u00fchrung von Stift und Hebel eintreten konnte, so ist klar, dafs die wirkliche Fehlzeit jedenfalls kleiner war, als die aus der Berechnung erhaltene.\nNachdem ich so dem Leser ein Bild von der Genauigkeit der benutzten Apparate gegeben habe, wende ich mich zu den Untersuchungen selbst. Der erste Experimentator, Kollert, (Phil. Stud., I., S. 78 ff.) suchte die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Zeiten von 0,4\u20141,5 Sek. nach der Methode der Minimal\u00e4nderungen mit H\u00fclfe zweier zuvor sorgf\u00e4ltig graduierter Metronome zu bestimmen und zwar liefs er immer zwischen Normalzeit und Vergleichszeit eine der Normalzeit gleiche Pause. Aus den Versuchen soll nach Kollert folgen, dafs f\u00fcr die kleineren von den untersuchten Zeiten der konstante Zeitfehler positiv, f\u00fcr die gr\u00f6fseren dagegen negativ ist, und dafs der Indifferenzpunkt etwa bei 0,75 Sek. liegt. Ferner soll bei diesem Indifferenzpunkt auch die Unterschiedsempfindlichkeit am\nFi'j. 3.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nF. Schumann.\ngr\u00f6bsten sein. Da indessen erstens Metronome mit verh\u00e4ltnis-m\u00e4fsig grofsen Fehlerquellen behaftet sind und nicht gen\u00fcgend kleine Abstufungen zulassen, da zweitens an 7 Versuchspersonen im ganzen nur 125 Versuche angestellt sind, und da drittens der Verfasser diejenigen Versuche, welche das obige Gesetz nicht befolgten, einfach als anomale bezeichnet und bei d er Berechnung desMittels weggelassen hat, so kann wohl von einem wirklichen Resultate dieser Untersuchungen \u00fcberhaupt keine Rede sein.\nEbenso wenig haben auch die dann folgenden Untersuchungen von Estel (Phil. Stud., II., S. 37 ff.), welcher mit H\u00fclfe des neu konstruierten Zeitsinnapparates Zeiten von 1,5\u20148,0 Sek. unter-suchte, zu ber\u00fccksichtigende Resultate ergeben. Auf eine ausf\u00fchrliche Besprechung dieser Arbeit brauche ich mich um so weniger einzulassen, da ihr schon Fechner (\u00dcber die Frage des WEBERschen Gesetzes etc., Abhandlg. d. S\u00e4chs. Ges. d. Wiss. XIII) durch eine lange Kritik zu viel Ehre angethan hat. Ich beschr\u00e4nke mich hier auf die Hervorhebung eines Punktes, welcher wohl gen\u00fcgen wird, um den mit psychophysischen Versuchen vertrauten Leser \u00fcber den Wert der Arbeit aufzukl\u00e4ren. Aus den f\u00fcr den konstanten Fehler erhaltenen Werten soll n\u00e4mlich folgen, dafs die Werte dieses im allgemeinen mit der Gr\u00f6fse der Intervalle zunehmenden Fehlers bei den Vielfachen der von Kollert erhaltenen Indifferenzzeit relative Minima seien. Die hier folgende Tabelle enth\u00e4lt nun z. B. die Mittelwerte aus den mit einer Versuchsperson Tr. angestellten Versuchen, und zwar ist in der mit t bezeichneten Reihe die Gr\u00f6fse der Hauptzeit in Sekunden, in der mit A \u00fcberschriebenen Kolumne die Gr\u00f6fse des entsprechenden konstanten (negativen) Fehlers und in der dritten Reihe (n) die Anzahl der Versuche angegeben.\nt\tA\tn\n1,50\t0,058\t4\n2,00\t0,068\t7\n2,50\t0,079\t6\n3,00\t0,131\t4\n3,50\t0,175\t5\n3,75\t0,137\t2\n4,00\t0,187\t6\n5,00\t0,362\t2","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen.\n29\nWer nur einigermafsen mit psychophysischen Versuchsresultaten umzugehen versteht, wird aus dieser Tabelle nur herauslesen k\u00f6nnen, dafs der konstante Fehler im allgemeinen mit der Zunahme der Hauptzeit w\u00e4chst, und wird die geringen Abweichungen von dem regelm\u00e4fsigen Anwachsen, welche sich etwa bei Zeichnung einer Kurve f\u00fcr den konstanten Fehler ergeben, auf Rechnung der so geringen Anzahl von Versuchen und der Ungenauigkeit des benutzten Apparates setzen. Nach Estel sollen aber die Werte des konstanten Fehlers bei den Vielfachen von 0,75 Sek. relative Minima sein. Sehen wir uns nun einmal diese Vielfachen an. Das erste ist die Hauptzeit 1,50 Sek. Bei dieser kann von einem relativen Minimum schon deshalb gar keine Rede sein, weil eine kleinere Zeit \u00fcberhaupt nicht untersucht ist. Dann folgt die Hauptzeit 2,25 Sek. Da f\u00fcr diese keine normalen Versuche vorliegen, so benutzt hier Estel das in oberfl\u00e4chlicher Weise korrigierte Mittel aus denjenigen Versuchen, welche nach seinen eigenen Angaben durch Kontrast gest\u00f6rt sind und welche er sonst nicht mit ber\u00fccksichtigt hat. Bei dem dritten Vielfachen 3,0 Sek. ist, wie schon aus der Tabelle hervorgeht, keine Spur von einem Minimum vorhanden. Die Hauptzeit 3,75 Sek. hat dann endlich ein wirkliches relatives Minimum. Dies w\u00fcrde sich jedoch wohl schon leicht aus der Ungenauigkeit der Apparate und aus dem Umstande erkl\u00e4ren, dafs f\u00fcr diese Hauptzeit nur zwei Versuche, f\u00fcr die benachbarten Hauptzeiten dagegen doch wenigstens 5 bezw. 6 angestellt sind. F\u00fcr das letzte Vielfache 4,25 Sek. endlich sind wieder keine normalen Versuche vorhanden, und wieder sind die durch Kontrast gest\u00f6rten Versuche zur Berechnung herangezogen. Ein Kommentar hierzu ist wohl \u00fcberfl\u00fcssig.\nAuf Grund von Fechners Kritik der EsTELschen Arbeit wurden die Untersuchungen dann von Mehner (Phil. Stud. II., S. 546 ff.) mit demselben Apparate und nach derselben Methode der Minimal\u00e4nderungen von neuem aufgenommen, und zwar wurden Zeiten von 0,7\u201412,1 Sek. untersucht. W\u00e4hrend Estel f\u00fcr die einzelnen Hauptzeiten bald 10 Versuche, bald nur einen gemacht hatte, machte Mehner wenigstens f\u00fcr alle Hauptzeiten 10 Versuche, aber nur an sich selbst. Ich gebe die erhaltenen Resultate in der folgenden Tabelle wieder. In der ersten Kolumne stehen die Hauptzeiten, in der zweiten die mitt-","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nF. Schumann.\nFehler.\nliedsschwelle und in\t\tder\t\tdritten\nHauptzeit\tU.-S.\t\t\tk. F.\n0,70 .\t. . 0,036 .\t\t\t+ 0,004\n0,75 .\t. . 0,047 .\t\t\t\u2014 0,010\n1,00 .\t. . 0,076 .\t\t\t\u2014 0,011\n1,50 .\t. . 0,123 .\t\t\t\u2014 0,016\n2,00 .\t. . 0,127 .\t\t\t\u2014 0,010\n2,10 .\t. . 0,101 .\t\t\t\u2014 0,004\n2,15 .\t. . 0,099 .\t\t\t+ 0,001\n2,50 .\t. . 0,180 .\t\t\t\u2014 0,035\n2,80 .\t. . 0,225 .\t\t\t\u2014 0,040\n3,00 .\t. . 0,229 .\t\t\t- 0,031\n3,50 .\t. . 0,262 .\t\t\t\u2014 0,007\n3,55 .\t. . 0,201 .\t\t\t+ 0,004\n4,00 .\t. . 0,375 .\t\t\t\u2014 0,035\n4,20 .\t. . 0,457 .\t\t\t\u2014 0,040\n4,50 .\t. . 0,407 .\t\t\t\u2014 0,015\n5,00 ,.\t. . 0,349 .\t\t\t+ 0,004\n5,40 .\t. . 0,420 .\t\t\t+ 0,004\n5,70 .\t. . 0,590 .\t\t\t+ 0,015\n6,00 .\t. . 0,646 .\t\t\t+ 0,031\n6,40 .\t. . 0,439 .\t\t\t+ 0,026\n7,10 .\t. . 0,980 .\t\t\t+ 0,148\n7,80 .\t. . 1,115 .\t\t\t+ 0,055\n8,55 .\t. . 1,115 .\t\t\t+ 0,133\n9,30 .\t. . 1,219 .\t\t\t+ 0,071\n10,00 .\t. . 1,406 .\t\t\t+ 0,127\n10,65 .\t. . 1,537 .\t\t\t+ 0,109\n11,40 .\t. . 1,624 .\t\t\t+ 0,139\n12,10 .\t. . 1,715 .\t\t\t+ 0,175\nAus diesen Resultaten schliefst nun Mehneb, dafs der constante Fehler bei den ungeraden Vielfachen der Indifferenzzeit 0,71 Sek. teils absolute, teils relative Minima, bei den geraden Vielfachen dagegen relative Maxima erreiche. Entsprechend soll dann die relative Unterschiedsempfindlichkeit bei den ungeraden Vielfachen relative Maxima besitzen. Wie man aus der Tabelle ersieht, ist dieses Periodizit\u00e4tsgesetz in den Zahlen","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n31\njedenfalls besser begr\u00fcndet als das von Estel aufgestellte. Indessen erheben sich auch gegen dieses Gesetz eine Reihe von schweren Bedenken, von denen ich hier nur die wichtigsten ber\u00fchren werde. Zun\u00e4chst kann nach den Resultaten nicht behauptet werden, dafs bei der Hauptzeit 0,71 Sek. die Unterschiedsempfindlichkeit ein relatives Maximum besitze. Denn erstens sind kleinere Zeiten als 0,70 Sek. von Mehner gar nicht untersucht, und zweitens war bei diesen kleinen Zeiten die minimale \u00c4nderung (0,05 Sek.), welche sich mit H\u00fclfe des Apparates herstellen liefs, gr\u00f6fser als die Unterschiedsschwelle, so dafs den f\u00fcr diese Zeiten erhaltenen Werten \u00fcberhaupt keine Bedeutung beizumessen ist. Ebenso vermag ich auch das scheinbare Maximum der relativen Unterschiedsempfindlichkeit in der Gegend der Hauptzeit 2,1 Sek. nicht als ein wirklich konstatiertes anzuerkennen. Denn einerseits ist auch hier die minimale \u00c4nderung noch viel zu grofs, um eine genaue Bestimmung der Schwelle erm\u00f6glichen zu k\u00f6nnen, und andererseits ist zu bedenken, dafs gerade an dieser Stelle drei Hauptzeiten dicht nebeneinander liegen (2,0 Sek., 2,10 Sek., 2,15 Sek.). Da n\u00e4mlich Mehner f\u00fcr jede der Hauptzeiten bis 5,0 Sek. einen Versuch an jedem Versuchstage machte und dabei die verschiedenen Zeiten teils in aufsteigender, teils in absteigender Reihenfolge vornahm, so mufste eine Hauptzeit, welcher eine fast gleiche vorangegangen war, einen entschiedenen Vorzug besitzen. Was dann das Periodizit\u00e4tsgesetz f\u00fcr den konstanten Fehler anbetrifft, so nimmt allerdings nach den Zahlen der Tabelle dieser Fehler mit aufserordentlicher Regelm\u00e4fsigkeit zu und ab. Allein gerade diese aufserordentliche Regelm\u00e4fsigkeit kommt mir verd\u00e4chtig vor. Denn da der konstante Fehler bis zur Hauptzeit 2,15 Sek. den Wert 0,02 Sek. und bis zur Hauptzeit 6,40 Sek. den Wert 0,04 Sek. nicht \u00fcberschreitet, so k\u00f6nnte sich, selbst wenn wirklich in den Grundlagen der Zeitsch\u00e4tzung eine Periodizit\u00e4t des konstanten Fehlers begr\u00fcndet w\u00e4re, diese Periodizit\u00e4t doch nur durch einen fabelhaften Zufall in den minimalen Variationen des konstanten Fehlers mit solcher Regelm\u00e4fsigkeit gezeigt haben. Dazu w\u00fcrden denn doch neben einer ganz aufsergew\u00f6hnlichen Pr\u00e4zision in der Zeitsch\u00e4tzung viel zahlreichere Versuche und eine von physikalischen Fehlerquellen freiere Versuchsanordnung erforderlich gewesen sein. (Ich habe besonders in R\u00fccksicht auf diesen Fall die Fehlerquellen des","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nF. Schumann.\nApparates oben so genau durchgenommen.) Da also die Genauigkeit in dem Auf- und Absteigen des konstanten Fehlers in keinem Verh\u00e4ltnis zu den bei solchen Versuchen obwaltenden Fehlerquellen steht, so mufs die gefundene Periodizit\u00e4t entweder einem ganz aufsergew\u00f6hnlichen Zufalle ihre Existenz verdanken, oder Herr Mehner, welcher nach dem wissentlichen Verfahren experimentirte, ist eine im h\u00f6chsten Grade beeinflufste Versuchsperson gewesen. F\u00fcr die letztere Annahme w\u00fcrde man aber noch einen weiteren Umstand ins Feld f\u00fchren k\u00f6nnen. Bei den Versuchen wurde n\u00e4mlich von einer der Hauptzeit gleichen Vergleichszeit ausgegangen, diese allm\u00e4hlich vergr\u00f6fsert, bis der Unterschied erkannt wurde, dann durch Verkleinerung der Vergleichszeit der eben unmerkliche Unterschied bestimmt u. s. w. Nun ergaben nach Mehners Tabellen je 10 verschiedene mit den Hauptzeiten 5,0 Sek. und 12,1 Sek. angestellte Versuche folgende Werte f\u00fcr die eben merklich gr\u00f6fsere (f0), eben nicht mehr merklich gr\u00f6fsere (t\"0), eben merklich kleinere (t'a) und eben nicht mehr merklich kleinere Vergleichszeit (\u00a3\"\u201e).\nHauptzeit 5,00 Sek.\n^ 0\tt\",0\tt\u2018 u\tt\" \u201e\n5,40\t5,35\t4,60\t4,60\n5,40\t5,25\t4,60\t4,70\n5,30\t5,30\t4,65\t4,65\n5,40\t5,35\t4,65\t4,70\n5,45\t5,35\t4,60\t4,70\n5,40\t5,35\t4,65\t4,65\n5,35\t5,30\t4,65\t4,70\n5,35\t5,30\t4,65\t4,65\n5,35\t5,30\t4,65\t4,75\n5,45\t5,35\t4,60\t4,70\nHauptzeit 12,1 Sek.\n14,20\t14,00\t10,50\t10,60\n14,00\t13,90\t10,30\t10,50\n14,00\t13,90\t10,60\t10,80\n14,00\t14,00\t10,30\t10,40\n14,10\t14,00\t10,40\t10,60\n14,00\t13,80\t10,40\t10,90\n14,00\t13,80\t10,50\t10,80\n14,10\t14,00\t10,50\t10,70\n14,10\t14,00\t10,30\t10,70\n14,00\t13,90\t10,70\t10,70","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\nDa alle anderen Experimentatoren \u00fcber die Unsicherheit der Sch\u00e4tzung bei Zeiten von dieser Gr\u00f6fse klagen,1 so mufs es im h\u00f6chsten Grade auffallend erscheinen, dafs hier die aus verschiedenen Versuchen (welche hei der Hauptzeit 5,0 Sek. sogar auch an verschiedenen Tagen angestellt sind) gewonnenen Werte so unnat\u00fcrlich genau \u00fcbereinstimmen. Kommt doch bei der Hauptzeit 12,1 Sek. unter den 10 Werten f\u00fcr die eben merklich gr\u00f6fsere Vergleichszeit nicht weniger als 6 mal der Wert 14,00 Sek. vor. Dabei habe ich noch nicht einmal diese Hauptzeiten als besonders auffallende Beispiele aus den \u00fcbrigen ausgesondert, es sind vielmehr die einzigen gr\u00f6fseren Zeiten, f\u00fcr welche der Verfasser so ausf\u00fchrliche Daten giebt. Doch mag nun Herr Mehner als Versuchsperson im h\u00f6chsten Grade voreingenommen gewesen sein, oder mag ein aufsergew\u00f6hnlicher Zufall obgewaltet haben, Wert haben seine Resultate in keinem Falle.\nAnspruch auf Beachtung kann demnach nur die letzte der aus dem Leipziger Institute hervorgegangenen Arbeiten machen, welche von Glass (Phil. Stud., IV., S. 423 ff.) herr\u00fchrt. Dafs der Verfasser den n\u00f6tigen wissenschaftlichen Ernst bei seinen Untersuchungen hatte, daf\u00fcr zeugt schon der Umstand, dafs er f\u00fcr Zeiten von 0,7\u201415,0 Sek. zur Bestimmung des Ganges der Unterschiedsempfindlichkeit und des konstanten Fehlers nur bei unmittelbar aufeinanderfolgenden Intervallen ca. 10000 Versuche angestellt hat.2 Zu Schl\u00fcssen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit sind seine Versuche allerdings nicht verwertbar, da er dieselben nach der ViERORDTschen Reproduktionsmethode angestellt hat. Indessen hat ja auch die Bestimmung des Ganges der Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr die gr\u00f6fseren (2 Sek. wesent-\n1 Wundt selbst sagt (Phys. Psych., II, S. 351): \u201eDazu kommt, dafs die Methode der Minimal\u00e4nderungen in der Anwendung auf das Problem des Zeitsinns grofse Schwierigkeiten hat, da die Entscheidung \u00fcber eben paerkliche Zeitunterschiede im allgemeinen unsicher und bei l\u00e4ngeren Versuchsreihen sehr erm\u00fcdend ist.\u201c\n* Wegen der anscheinenden Zuverl\u00e4ssigkeit des Verfassers, und weil Versuche, welche bei einem Kursus f\u00fcr Anf\u00e4nger im Leipziger Institute gelegentlich ausgef\u00fchrt wurden, seine Kesultate (nach einer m\u00fcndlichen Mitteilung des Herrn Dr. K\u00fclpe) best\u00e4tigt haben, so will ich auf den Umstand, dafs Glass Experimentator und Versuchsperson in einer Person war und demgem\u00e4fs von dem Ausfall der Versuche immer unterrichtet war, kein grofses Gewicht legen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nF. Schumann.\nlieh \u00fcberschreitenden) Intervalle einen problematischen Wert, so lange nicht die Grundlagen f\u00fcr die Sch\u00e4tzung solcher Zeiten nachgewiesen sind. Zu diesem letzteren Zwecke k\u00f6nnen aber Versuche, welche nach der Reproduktionsmethode in geeigneter Weise angestellt werden, unter Umst\u00e4nden recht gut dienen, zumal wenn die verschiedenen Versuche f\u00fcr dieselbe Hauptzeit unmittelbar auf einanderfolgen, was ja auch bei Glass der Fall war. Denn dann h\u00e4ngen die Resultate infolge der Ein\u00fcbung weniger von den zahlreichen Zuf\u00e4lligkeiten ab. Aus den vorliegenden Resultaten scheint nun einerseits, ebenso wie aus denjenigen Vierordts, ein Untersch\u00e4tzen gr\u00f6fserer Zeiten und andererseits ein wirkliches periodisches Verhalten des konstanten Fehlers herv\u00f6rzugehen. Glass glaubt aufserdem, aus seinen Resultaten auch noch eine \u00dcbersch\u00e4tzung kleiner Zeiten folgern zu k\u00f6nnen. Indessen stimmen hinsichtlich dieses Punktes die drei von Glass zu verschiedenen Zeiten angestellten Versuchsreihen nicht ganz \u00fcberein, indem die erste nur ein ganz minimales \u00dcbersch\u00e4tzen der kleinsten untersuchten Hauptzeit 0,7 Sek. zeigt. Da ich nun aufserdem oben bei Besprechung des WuNDTschen Zeitsinnapparates die Wahrscheinlichkeit eines konstanten, die reproduzierte Zeit vergr\u00f6fsernden Fehlers der Versuchsanordnung nachgewiesen habe, so scheint mir die Annahme der \u00dcbersch\u00e4tzung kleiner Zeiten aus dem vorliegenden Material nicht mit Sicherheit hervorzugehen. Was dann den periodischen Gang des konstanten Fehlers anbetrifft, so hat derselbe nach Glass relative Minima bei den Hauptzeiten 2,5; 3,75; 5,0; 6,25; 7,5; 8,75 Sek., also bei den Vielfachen der Zeit 1,25 Sek. Zu bemerken ist jedoch, dafs diese Periodizit\u00e4t erst in der dritten und letzten Versuchsreihe ganz klar hervortritt. Zur Erkl\u00e4rung derselben hat man, wie schon oben erw\u00e4hnt, einen Einflufs der Atmung auf die Zeitsch\u00e4tzung vermutet, und in in der That ist ja auch ein solcher bei den Zeiten \u00fcber 2 Sek. schon a priori als h\u00f6chst wahrscheinlich anzunehmen. Merkw\u00fcrdig ist allerdings, dafs der mittlere variabele Fehler ein gleiches periodisches Verhalten nicht zeigt. Bei k\u00fcnftigen Untersuchungen \u00fcber diese gr\u00f6fseren Zeiten hat man demnach immer auch die Athmungscurve der Versuchsperson w\u00e4hrend der Versuche zu registriren. Sollte sich dann zeigen, dafs wirklich die Periodizit\u00e4t von der Athmung herr\u00fchrt, so w\u00fcrde die Untersuchung der gr\u00f6fseren Zeiten nat\u00fcrlich bedeutend an Interesse verlieren.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n35\n\u00a7 7.\nM\u00dcNSTERBERG.\nKurz nachdem ich meine vorl\u00e4ufige Mitteilung \u201e \u00dcber Kontrasterscheinungen infolge von Einstellung\u201c (Nachr. von der Kgl. Ges\u00e9Usch. d. Wiss. zu G\u00f6ttingen, 1889, Ko. 20), in welcher ich schon die Grundz\u00fcge meiner Theorie andeutete, bei der hiesigen Gesellschaft der Wissenschaften eingereicht hatte, erschien das zweite Heft der M\u00fcNSTERBERGschen \u201eBeitr\u00e4ge zur experimentellen Psychologie\u201c, welches ebenfalls eine Theorie der Vergleichung kleiner Zeiten enth\u00e4lt. M\u00fcnsterberg hebt darin mit Recht hervor, dafs das n\u00e4chste Ziel der Untersuchung die Feststellung der H\u00fclfsmittel sein mufs, auf Grund welcher wir Zeitintervalle bez\u00fcglich ihrer Gr\u00f6fse beurteilen, dafs dagegen das Anh\u00e4ufen von Zahlen, von denen man nicht weifs, wof\u00fcr sie ein Mafs sind, durchaus zwecklos erscheint. Auf Grund von Selbstbeobachtung bei zahlreichen Zeitsinnversuchen glaubt nun M\u00fcnsterberg folgende Theorie aufstellen zu k\u00f6nnen:\nDie Grundlage f\u00fcr alles Zeitsch\u00e4tzen bilden Spannungsempfindungen, welche in den Muskeln der verschiedensten Organe dadurch hervorgerufen werden, dafs sich die Aufmerksamkeit den das Zeitintervall begrenzenden Eindr\u00fccken zuwendet. Wenn einer Versuchsperson eine Reihe von Eindr\u00fccken in unregelm\u00e4fsigen Intervallen gegeben wird, so ruft jeder Eindruck reflektorisch Muskelkontraktionen hervor, welche eine Adaptation des Sinnesorganes und dadurch ein Deutlicherwerden der Empfindung und eine Emporhebung derselben \u00fcber den sonstigen Vorstellungsinhalt des Momentes bewirken. Der Eintritt der so entstehenden Spannungsempfindungen und des Deutlicherwerdens der Empfindung ist die Aufmerksamkeit1 selbst. Wenn nun noch w\u00e4hrend des Vorhandenseins der vom ersten Eindr\u00fccke ausgel\u00f6sten kontinuierlich abnehmenden Spannungsempfindung der zweite, das Intervall begrenzende Eindruck eintritt, so hat man an der im Momente der Einwirkung des zweiten Reizes vorhandenen Intensit\u00e4t der Spannungsempfindung ein Mafs f\u00fcr\n1 Von einer Widerlegung dieser Aufmerksamkeitstheorie sehe ich im folgenden ah, da dieselbe wohl kein urteilsf\u00e4higer Leser ernsthaft genommen hat.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nF. Schumann.\ndie Gr\u00f6fse der Zwischenzeit. Da man ferner voraus weifs, dafs auf den ersten Eindruck ein das Intervall abschliefsender zweiter Eindruck folgt, so ruft das Vorstellungsbild dieses Eindruckes eine vorbereitende Muskelspannung hervor, die beginnt, sobald die vom ersten Eindr\u00fccke herr\u00fchrende Spannung verschwunden ist. Die Intensit\u00e4t, welche diese Spannungsempfindung in dem Momente erreicht hat, in welchem der zweite Eindruck eintritt, dient dann als Grundlage f\u00fcr die Sch\u00e4tzung etwas gr\u00f6fserer Zeiten. Dabei ist jedoch noch zu bemerken, dafs die Kurven f\u00fcr das Abklingen der Spannung und das Wieder an wachsen derselben auch bei gleichen Intervallen nicht immer dieselben sind, dafs vielmehr sowohl das Wachsen wie das Abnehmen der Spannung willk\u00fcrlich forciert oder verlangsamt werden kann. So vermag z. B. bei einem Intervall von 1 Sekunde einerseits das Abklingen der vom ersten Beize hervorgerufenen Spannung den ganzen Zeitraum in Anspruch zu nehmen, andererseits kann aber auch die Entspannungszeit ann\u00e4hernd gleich Null werden und daf\u00fcr der ganze Zeitraum durch die langsam anwachsende vorbereitende Spannung f\u00fcr den zweiten Beiz ausgef\u00fcllt werden, und schliefslich k\u00f6nnen auch alle \u00dcberg\u00e4nge zwischen diesen beiden Extremen stattfinden. Wenn man aber zwei Intervalle miteinander vergleicht, so l\u00e4fst man beim zweiten Intervalle genau denselben Beschleunigungsanstofs auf die Entspannung wirken wie beim ersten Intervall und \u00fcbt auch dieselbe verz\u00f6gernde Hemmung auf die neue Spannung aus, so dafs die Vergleichbarkeit der Intervalle nicht leidet. Dem \u00dcbelstande, der durch die zeitliche Grenze der Zunahme der vorbereitenden Spannung entsteht, hilft dann die Atmung ab. Mit jeder Exspiration l\u00e4fst die Spannungsempfindung nach, mit jeder Inspiration nimmt sie wieder zu, so dafs auch gr\u00f6fsere Zeitr\u00e4ume durch die periodisch zu- und abnehmenden Spannungsempfindungen ausgef\u00fcllt sind. Allerdings werden zwei Zeiten erst dann miteinander vergleichbar, wenn beide Anfangssignale in dieselbe Atmungsphase fallen. Diese Bedingung wird aber auch erf\u00fcllt durch den Umstand, dafs im allgemeinen jeder m\u00e4fsig starke Beiz von einer schnellen Einatmung begleitet ist. Ferner ist noch zu bedenken, dafs die Atmung beobachtet wird und dafs sie deshalb gegen\u00fcber der achtlos vollzogenen einige Modifikationen aufweist Erstens ist n\u00e4mlich das Tempo ein verlangsamtes ; zweitens f\u00e4llt die Pause zwischen dem Ende","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n37\nder Ausatmung und dem Anf\u00e4nge der Einatmung weg; drittens wird der Mafsstab dadurch verbessert, dafs jetzt Einatmung und Ausatmung dieselbe Zeit in Anspruch nehmen ; viertens kommt es zuweilen vor, dafs auch die Exspiration von einer protahierten Spannungszunahme begleitet ist, der dann beim Beginn der neuen Atmungsphase eine sehr schnelle Entspannung wie ein Auftakt vorangeht ; f\u00fcnftens wird h\u00e4ufig sowohl die Einatmung wie die Ausatmung durch stofsartiges Absetzen und Wiederansetzen in zwei, drei oder vier Abteilungen zerlegt, deren jede mit einem forcierten Muskelstofs beginnt und mit der Fixierung des Brustkorbes in bestimmter Stellung endigt. Dabei werden aber weder die Zahl der Atemz\u00fcge noch diejenigen ihrer Unterabteilungen gez\u00e4hlt. \u201eAuch sie ordnen sich vielmehr einer rhythmischen Gliederung unter; ist die Zeit von vier Atemz\u00fcgen ausgef\u00fcllt, so erh\u00e4lt der Inspirationsdruck des ersten und dritten noch einen kleinen stofsartigen, besonderen Accent, der beim ersten wieder st\u00e4rker als beim dritten ist. Es ordnet sich dadurch eine beliebige, nicht zu grofse Zahl von Atemz\u00fcgen wie die Teile eines Taktes an, so dafs sie ohne begleitende Zahlvorstellung als Ganzes aufgenommen und als Ganzes reproduziert werden.\u201c Ein besonderes H\u00fclfsmittel ist schliefslich noch f\u00fcr die ganz kleinen Zeiten unter Vs Sek. vorhanden. Bei diesen ist n\u00e4mlich das Intervall zu kurz, um die Konstatierung einer merkbaren Entspannung zu erm\u00f6glichen. Wenn auf einen isolierten Keiz ein reizloses Intervall folgt, so bleibt ein centrales Nachbild, ein schwaches Erinnerungsbild der Empfindung, das mit der zeitlichen Entfernung vom Heize abnimmt. Auf die Intensit\u00e4t, welche dieses Erinnerungsbild beim Eintreten des zweiten Schalles besitzt, st\u00fctzt sich die Sch\u00e4tzung dieser minimalen Zeiten.\nSoweit die Resultate von M\u00fcnsterbergs Selbstbeobachtung, welche von den Resultaten meiner inneren Wahrnehmung wesentlich abweichen. \u00dcbereinstimmung ist darin vorhanden, dafs Spannungsempfindungen der Erwartung und (bei gr\u00f6fseren Zeiten) die Atmungsth\u00e4tigkeit eine Rolle beim Zeitsch\u00e4tzen spielen, w\u00e4hrend die Angaben im einzelnen verschieden lauten. Zur Erkl\u00e4rung der abweichenden Angaben kann man einerseits an individuelle Verschiedenheiten denken, andererseits ist aber auch zu beachten, dafs sich, wie M\u00fcnsterberg selbst hervorhebt, \u201eniemand ganz der Gefahr entzieht, das psychologische","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nF. Schumann.\nErinnerungsbild unabsichtlich den vorgefafsten Anschauungen anzupassen.\u201c Wenn mir nun bei psychologischen Experimenten eine Versuchsperson innere Wahrnehmungen mitteilt, so pr\u00fcfe ich, ehe ich diesen Mitteilungen Glauben schenke, erstens die Vertrauensw\u00fcrdigkeit der Versuchsperson, sodann sehe ich zu, ob auch noch andere Versuchspersonen dasselbe auszusagen verm\u00f6gen, und drittens untersuche ich, ob die Angaben der Versuchsperson unerkl\u00e4rte Tliatsachen aufzuhellen verm\u00f6gen, und ob nicht andere Versuchsthatsachen den Angaben direkt widersprechen. Was den ersten Punkt anbelangt, so kommt dabei die Frage, ob der Versuchsperson zuzutrauen ist, dafs sie mit vollem Bewufstsein falsche Aussagen macht, wenig in Betracht, da nat\u00fcrlich nur zuverl\u00e4ssige Versuchspersonen benutzt werden d\u00fcrfen ; es handelt sich vielmehr nur darum, ob die Versuchsperson \u00dcbung in der Selbstbeobachtung hat und ob sie im allgemeinen ruhig und besonnen ist. Wenn man nun aber gesehen hat, wie rasch M\u00fcnsterberg in seinen \u201eBeitr\u00e4gen\u201c mit ganz unbegr\u00fcndeten und unhaltbaren Hypothesen bei der Hand ist, so mufs man bedenklich werden. Da aufser-dem die zahlreichen Einzelheiten, welche M\u00fcnsterberg \u00fcber die \u00c4nderung der Atmungsth\u00e4tigkeit beim Sch\u00e4tzen von Zeiten angegeben hat, schon einem jeden, der die Schwierigkeit innerer Wahrnehmungen kennt, verd\u00e4chtig Vorkommen m\u00fcssen, so d\u00fcrfte ein Mifstrauen gegen seine Angaben nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen. Hierzu kommt dann noch zweitens, dafs die Angaben von niemandem best\u00e4tigt sind, und drittens, dafs M\u00fcnsterberg zwar versucht hat, eine Reihe von That-sachen aus seiner Theorie zu erkl\u00e4ren, dafs aber gerade die Erkl\u00e4rung der wichtigsten Versuchsthatsachen, wie ich jetzt zeigen werde, durchaus falsch ist.\nDie erste dieser Thatsachen ist das von Estel, Mehner und Glass gefundene Periodizit\u00e4tsgesetz, welches M\u00fcnsterberg auf die Periodizit\u00e4t des Atmens zur\u00fcckzuf\u00fchren sucht. Er nimmt an, dafs derjenige, welcher Multipla von 1,5 Sek. am genauesten sch\u00e4tzen konnte, bei ruhigem Sitzen 20 Atemz\u00fcge in der Minute gemacht habe, und dafs demgem\u00e4fs ein halber Atemzug bei diesem die Einheit des Mafsstabes gewesen sei. Derjenige, welcher Multipla von 0,75 Sek. am genauesten sch\u00e4tzen konnte, soll bei derselben Atemfrequenz Exspiration und Inspiration noch willk\u00fcrlich in zwei Abteilungen zerlegt","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n39\nhaben, w\u00e4hrend durch eine andere Atemfrequenz des Dritten die Multiplen von 1,25 Sek. bevorzugt seien. Bei oberfl\u00e4chlichem Durchlesen wird diese Erkl\u00e4rung vielleicht manchem gefallen haben, thats\u00e4chlich zeugt sie aber nur f\u00fcr die aufser-ordentliche Fl\u00fcchtigkeit des Autors. Denn selbst wenn man davon absehen will, dafs die Periodizit\u00e4tsgesetze von Estel und Mehner gar nicht als konstatiert gelten k\u00f6nnen, so ist doch noch erstens einzuwenden, dafs \u00fcberhaupt niemand die Multiplen von 1,5 Sek. am genauesten gesch\u00e4tzt hat. Meiiner, welcher hier offenbar gemeint ist, hat n\u00e4mlich die Vielfachen von 1,5 Sek. (oder genauer, 1,42 Sek.) im Gegenteil gerade am ungenauesten gesch\u00e4tzt, am genauesten dagegen die ungeraden Vielfachen von 0,7.1 Sek. Diese Periodizit\u00e4t d\u00fcrfte sich aber kaum durch die Atmungsth\u00e4tigkeit erkl\u00e4ren lassen. Ein zweiter Umstand, welcher gegen M\u00fcnsterbergs Annahme spricht, ist dann die Thatsache, dafs nach den Resultaten von Glass der mittlere variabele Fehler nicht die Periodizit\u00e4t des konstanten Fehlers zeigt.\nEine weitere Thatsache, welche M\u00fcnsterberg f\u00fcr seine Theorie ins Feld f\u00fchrt, ist der zuerst von Vierordt gefundene Kontrast. Die Erkl\u00e4rung desselben wird in folgender Weise versucht: \u201eWar die gegebene Hauptzeit gr\u00f6fser, als wir erwartet, so werden wir beim Beginn der Vergleichszeit die vorbereitende Muskelspannung von vornherein st\u00e4rker innervieren, der Mafstab wird dadurch unwillk\u00fcrlich vergr\u00f6fsert, die kleinere Zeit, an demselben gemessen, wird somit noch kleiner erscheinen. War umgekehrt die Hauptzeit wider Erwarten kurz, so spannen wir bei der Vergleichszeit schw\u00e4cher an, Spannung und Entspannung dauert k\u00fcrzer, die l\u00e4ngere Zeit wird dadurch noch l\u00e4nger erscheinen.\u201c Ich konstatiere zun\u00e4chst, dafs diese Erkl\u00e4rung im Widerspruch mit einer anderen Aussage M\u00fcnster-Bergs steht: \u201eNur das eine war ausnahmslos, dafs wenn ich zwei gegebene Zeiten verglich oder eine zweite Zeit der ersten gegebenen gleichmachen wollte, dafs ich dann beim zweiten Intervall aufs genaueste unwillk\u00fcrlich dieselben Respirationsverh\u00e4ltnisse, dieselben Spannungsverh\u00e4ltnisse, \u00fcberhaupt alle subjektiven Bedingungen genau so herstellte, wie beim ersten Intervall.\u201c Sieht man aber auch von diesem Widerspruch ab, so ist doch noch zweitens zu bemerken, dafs die Kontrasterscheinungen nicht richtig beschrieben sind. Tritt eine Haupt-","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nF. Schumann.\nzeit ein, welche gr\u00f6fser ist, als wir erwartet haben, so erscheint nicht die nachfolgende Vergleichszeit auffallend klein, sondern die Hauptzeit selbst erscheint auffallend grofs. Dieselbe Hauptzeit erscheint dagegen auffallend klein, wenn ihr eine Reihe gr\u00f6fserer Hauptzeiten vorangegangen ist. Nun l\u00e4fst sich allerdings auch dieser Fall durch M\u00fcnsterbergs Theorie erkl\u00e4ren. Man kann n\u00e4mlich sagen: Bei Versuchen mit gr\u00f6fseren Hauptzeiten gew\u00f6hnen wir uns langsam zu entspannen und wieder zu spannen, dagegen lassen wir bei kleineren Zeiten die Kurven steiler fallen und wieder anwachsen. Folgt nun auf eine Reihe gr\u00f6fserer Hauptzeiten pl\u00f6tzlich eine kleinere, so tritt das zweite Signal in einem Spannungsstadium ein, in welchem es bei Vorbereitung auf kleinere Zeiten nur bei besonders kleinen Zeiten eintritt, und ebenso tritt das zweite Signal bei einer unerwartet grofsen Zeit in einem Spannungsstadium ein, in welchem es bei Vorbereitung auf gr\u00f6fsere Zeiten sonst nur bei einem besonders grofsen Intervall eintritt. Indessen w\u00fcrde nach dieser Theorie der Umstand unerkl\u00e4rlich sein, dafs die Kontrasterscheinung sich schon bei so geringen Differenzen zwischen den aufeinanderfolgenden Hauptzeiten (z. B. 0,7 und 0,8 Sek.) zeigt, wenn eine Ein\u00fcbung auf die vorangegangene stattgefunden hat, da nach M\u00fcnsterberg die Spannungszunahme in 0,1 Sek. nur unwesentlich ist.\nSchliefslich sei noch eine dritte Thatsache erw\u00e4hnt, welche f\u00fcr die Theorie sprechen soll. Nach einer gelegentlichen Beobachtung von Mehner soll n\u00e4mlich von zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Zeiten die zweite verk\u00fcrzt erscheinen, wenn das dritte Signal schw\u00e4cher ist als gew\u00f6hnlich und ebenso verl\u00e4ngert bei einem st\u00e4rkeren Signale. M\u00fcnsterberg glaubt nun diese Erscheinung folgendermafsen erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen : \u201eOffenbar ruft der zweite und dritte Schlag am Schlufs des ersten und des zweiten Intervalls eine von der Intensit\u00e4t des Schlages abh\u00e4ngige Spannung reflektorisch hervor, die sich mit der Erwartungsspannung summiert; ist durch die Schw\u00e4che des dritten Schlages die Summe am Ende des zweiten Intervalls kleiner als die Summe am Schlufs des ersten, so erscheint das zweite Intervall k\u00fcrzer; genau derselbe Effekt n\u00e4mlich w\u00e4re dann eingetreten, wenn das Intervall wirklich k\u00fcrzer gewesen w\u00e4re, da dann die erwartende Spannung beim Eintreffen des dritten Reizes noch nicht die H\u00f6he erreicht h\u00e4tte, die sie beim","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen.\t41\nzweiten Reiz hatte. Umgekehrt mufs, wenn die Schlulssumme gr\u00f6fser ist, das Intervall vergr\u00f6sfert erscheinen.\u201c Diese Erkl\u00e4rung scheint sehr sch\u00f6n zu stimmen, nur ist die zu erkl\u00e4rende Thatsache falsch. Genau das Umgekehrte findet n\u00e4mlich statt. Ein Intervall erscheint verk\u00fcrzt, wenn das abschliefsende Signal st\u00e4rker als gew\u00f6hnlich ist. Da mir dies die verschiedenen Yersuchspersonen von selbst angegeben haben, so glaube ich die abweichende Angabe Mehners als auf einem Versehen beruhend betrachten zu k\u00f6nnen. Wie sehr aber gerade diese Thatsache f\u00fcr die Rolle des Nebeneindruckes der \u00dcberraschung spricht, davon wird weiter unten die Rede sein.\nAufser den angef\u00fchrten Versuchsthatsachen hat M\u00fcnsterberg noch eine Reihe von gelegentlichen Bemerkungen der verschiedenen Experimentatoren durch seine Theorie zu erkl\u00e4ren gesucht. Da dieselben indessen erstens zum gr\u00f6bsten Teil nicht als sichergestellt betrachtet werden k\u00f6nnen, da dieselben ferner zweitens so beschaffen sind, dafs sie event, durch die verschiedensten Theorien erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen, bezw. gar nicht mit der wirklichen Theorie in Zusammenhang zu stehen brauchen, und da endlich drittens ein Teil derselben sich nur auf die gr\u00f6fseren Intervalle von mehreren Sekunden, welche uns hier weniger interessieren, bezieht, so sehe ich von einer n\u00e4heren Besprechung derselben ab. Zu erw\u00e4hnen sind nur noch einige nach der Methode der mittleren Fehler an-gestellte Versuchsreihen, welche den Einfiufs der von den Atemz\u00fcgen abh\u00e4ngigen Spannungen und Entspannungen auf unsere Zeitsch\u00e4tzung beweisen sollen. Es ergab sich bei zwei parallelen Versuchsreihen mit Zeiten von 6\u201460 Sek., bei deren einer das zweite Signal vom Assistenten immer so angegeben wurde, dafs es in derselben Atmungsphase ein trat wie das erste, w\u00e4hrend bei der anderen vom Assistenten keine R\u00fccksicht auf die Atmung der Versuchsperson genommen wurde, dafs bei der ersteren der mittlere Fehler wesentlich geringer war. Bewiesen wird durch diese Versuche nat\u00fcrlich nur, dafs man sich beim Sch\u00e4tzen gr\u00f6fserer Zeiten auf die Atmung st\u00fctzen kann. Es bleibt dagegen dahingestellt, ob nicht noch andere Grundlagen, welche in psychologischer Hinsicht wesentlich interessanter sind, f\u00fcr die Sch\u00e4tzung dieser Zeiten existieren.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nF. Schumann.\n\u00a7 8.\nKleinere Beitr\u00e4ge.\nEine B, ei he von kleineren experimentellen Beitr\u00e4gen zu dem vorliegenden Problem haben noch verschiedene Forscher geliefert. Zun\u00e4chst ist Exner zu erw\u00e4hnen (Exper. Untersuch, der einfachsten psych. Prozesse, Pfl\u00fcg. Arch., VIL, S. 639). Derselbe machte bei Gelegenheit von Keaktionsversuchen die Bemerkung, dafs man subjektiv sehr genau sch\u00e4tzen kann, ob eine [Reaktionszeit den mittleren Werth \u00fcbertroffen bezw. nicht erreicht hat. Da in diesen F\u00e4llen die zu sch\u00e4tzenden Zeiten zum Teil von Eindr\u00fccken verschiedener Sinnesorgane begrenzt sind, w\u00fcrden sich vielleicht bei einer Untersuchung \u00fcber die Grundlagen solcher Sch\u00e4tzungen interessante Resultate ergeben k\u00f6nnen.\nBuccola (La Legge del Tempo nei Fenomeni del pensiero, Milano 1883, S. 374 ff.) hat eine Versuchsreihe nach der Methode der mittleren Fehler ausgef\u00fchrt. Da er in der Weise Vierordts operierte, kann ich seine Versuche hier wohl aus den bei Besprechung der Resultate jenes Forschers geltend gemachten Gr\u00fcnden \u00fcbergehen.\nStanley Hall und Jastrow (Studies of Rhythm, Mind XI, S. 62) untersuchten, ob (analog der bekannten optischen T\u00e4uschung bei Vergleichung einer geteilten Linie mit einer ungeteilten) Intervalle, in welche zwischen Anfangs- und Endsignal noch andere gleiche Signale eingeschaltet sind, gr\u00f6fser erscheinen als gleich grofse leere Intervalle. Es ergab sich, dafs diese T\u00e4uschung bei Intervallen von 1\u20142 Sek., welche durch eine Pause voneinander getrennt sind, dann eintritt, wenn das volle Intervall vorangeht. Am deutlichsten erwies sich die T\u00e4uschung einerseits bei grofsen Pausen von mehreren Sekunden und andererseits bei solchen Pausen, die kleiner als 3A Sek. waren. Ich habe diese Versuche mit Intervallen von 2 Sek. und mit ca. 8 eingeschalteten Signalen wiederholt und kann die Resultate im allgemeinen best\u00e4tigen. Kur mufs ich hervorheben, dafs die T\u00e4uschung bei den gr\u00f6fseren Pausen gar nichts mit der Vergleichung von vollen und leeren Intervallen zu thun hat. Denn auch von zwei leeren, durch eine Pause voneinander getrennten Intervallen erscheint das zweite um so k\u00fcrzer, je gr\u00f6fser die Pause ist. Die T\u00e4uschung d\u00fcrfte demnach auf","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n43\nRechnung des beim Vergleichen wirksamen konstanten Zeitfehlers zu setzen sein, dessen Erkl\u00e4rung in \u00a711 erfolgen wird. Bei Pausen von ca. 1 Sek. war dagegen bei mir die T\u00e4uschung teils gar nicht, teils nur in sehr geringem Mafse vorhanden. Die Urteile fielen in diesen F\u00e4llen immer sehr unsicher aus, und ich hatte nach keinem Versuche den Eindruck, die beiden Intervalle ordentlich miteinander verglichen zu haben. Es lag dieses wohl zum Teil daran, dafs ich das Endsignal des vollen Intervalls, w\u00e4hrend es ert\u00f6nte, nicht als Endsignal erkennen konnte, weil ich die eingeschalteten Signale nicht z\u00e4hlte. Infolgedessen wartete ich noch nach dem Eintritt des Endsignals einige Zeit auf das Eintreten weiterer Signale, wodurch nat\u00fcrlich die Sch\u00e4tzung des vollen Intervalls erschwert wurde. Aufserdem wurden die beiden Intervalle auch noch dadurch unvergleichbar, dafs die Aufmerksamkeit w\u00e4hrend des vollen Intervalls unwillk\u00fcrlich gespannt blieb, w\u00e4hrend des leeren dagegen nicht. Was endlich die Zunahme der T\u00e4uschung bei Pausen, welche kleiner als 3A Sek. sind, anbetrifft, so folgen hier Endsignal des ersten Intervalls und Anfangssignal des zweiten Intervalls so rasch aufeinander, dafs die Pause in der Auffassung kaum von dem vollen Intervalle zu trennen ist. Das volle Intervall wird daher \u00fcbersch\u00e4tzt.\nUnter der Leitung von S. Hall haben dann noch 2 Sch\u00fcler desselben Untersuchungen ausgef\u00fchrt. Der erste, Stevens (Om the time-sense, Mind XI, S. 393 ff.), machte Versuche folgender Art. Der Versuchsperson wurde aufgegeben, m\u00f6glichst gleichzeitig mit den Schl\u00e4gen eines Metronoms kleine Markierbewegungen auszuf\u00fchren und hiermit auch noch nach dem Aufh\u00f6ren der Metronomschl\u00e4ge fortzufahren. Nachdem dann die Versuchsperson sich auf das Intervall einge\u00fcbt hatte, bewirkte der Experimentator, dafs die Momente der Markierbewegungen auf einer rotierenden Trommel, auf welcher zugleich eine Stimmgabel schrieb, registriert wurden, und hielt nach einer bestimmten Anzahl weiterer Schl\u00e4ge das Metronom an. Es ergab sich, dafs der Mittelwert aus den w\u00e4hrend der Th\u00e4tig-keit des Metronoms bewirkten Reproduktionen mit dem Mittelwerte der sp\u00e4teren Reproduktionen nur bei einem bestimmten Intervalle, welches bei den verschiedenen Versuchspersonen zwischen 0,53 und 0,87 Sek. variierte, \u00fcbereinstimmte. Bei kleineren Intervallen erwies sich der letztere Mittelwert als","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nF. Schumann.\nkleiner und bei gr\u00f6fseren Intervallen entsprechend als gr\u00f6fser. Die Intervalle, welche von den verschiedenen Versuchspersonen auch noch nach dem Aufh\u00f6ren der Metronomschl\u00e4ge ann\u00e4hernd unver\u00e4ndert reproduziert wurden, geh\u00f6ren zu den \u201ead\u00e4quaten\u201c Intervallen. Dafs diese bevorzugt sind, ist nach meiner Theorie leicht verst\u00e4ndlich. Auch begreift sich leicht, dafs die kleineren Intervalle nach dem Fortfall des regulierenden Einflusses der Metronomschl\u00e4ge durchschnittlich abnehmen, da nach dem Aufh\u00f6ren der Metronomschl\u00e4ge die vorher geteilte Aufmerksamkeit sich ausschliefslich den Markierbewegungen zuwendet. Weshalb dagegen die gr\u00f6fseren Intervalle durchschnittlich zunehmen, vermag ich gegenw\u00e4rtig nicht anzugeben.\nNeuerdings hat dann ein zweiter Sch\u00fcler von Hall, II. Nichols (The psychology of time, American Journ. of Psych., Bd. Ill, S. 453\u2014529, Bd. IV, S. 60\u2014112), Resultate erhalten, welche geeignet sind meine Anschauungen zu best\u00e4tigen. Die Versuchsanordnung war derjenigen von Stevens \u00e4hnlich. Der Versuchsperson wurden 6 Signale (Schalleindr\u00fccke) in gleichen Intervallen gegeben und ihr die Aufgabe gestellt, auf die Signale zu achten und zugleich die Intervalle vom dritten Signale an w\u00e4hrend zweier Minuten ununterbrochen durch Niederdr\u00fccken einer Taste zu reproduzieren. Nachdem dann nach kurzer Pause 6 neue Signale in einem gr\u00f6fseren bezw. kleineren Intervalle angegeben waren, und die Versuchsperson sich ebenfalls w\u00e4hrend einiger Minuten bem\u00fcht hatte, dieses neue Intervall ununterbrochen zu reproduzieren, wurde der erste Versuch wiederholt und zugesehen, wie die reproduzierten Zeiten sich durch die Ein\u00fcbung auf das eingeschobene Intervall ge\u00e4ndert hatten. Es ergab sich aus zahlreichen und sorgf\u00e4ltig angestellten Versuchen, dafs dieselben im allgemeinen durch Einschiebung eines gr\u00f6fseren Intervalls vergr\u00f6fsert und durch Einschiebung eines kleineren verkleinert werden. Um dann nachzuweisen, dafs dieses Resultat nicht durch eine Ein\u00fcbung der Muskeln hervorgerufen war, f\u00fchrte Nichols noch parallele Versuchsreihen aus, bei welchen das eingeschobene Intervall nicht durch Geh\u00f6rseindr\u00fccke, sondern durch Eindr\u00fccke des Tastsinnes begrenzt war, und die Versuchsperson nur auf das Intervall achtete, ohne es zu reproduzieren. Da auch in diesem Falle derselbe Einflufs des eingeschobenen Intervalls sich \u00e4ufserte, f\u00fchrt Nichols das Resultat mit Recht auf eine Ein-","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n45\nStellung der nerv\u00f6sen Centren zur\u00fcck. Die \u00c4hnlichkeit dieses Resultats mit den in meiner vorl\u00e4ufigen Mitteilung schon er-erw\u00e4hnten Erscheinungen hebt Nichols ferner selbst hervor, polemisiert aber zugleich gegen meine dort nur kurz angedeutete Erkl\u00e4rung. Er sagt n\u00e4mlich, \u201eto say, that the sensory centre after adjustement \u201eexpects\u201c a certain rate of excitation is vague in the extreme.\u201c Da ich aber den Ausdruck \u201edas sensorische Centrum erwartet\u201c in meiner vorl\u00e4ufigen Mitteilung gar nicht gebraucht habe, kann der Einwand nur auf einem Mifsverst\u00e4ndnisse beruhen.\nEinen kleinen, aber wichtigen Beitrag lieferte F. Martius (Zeitschr. f. Min. Medizin, XV., S. 536 ff.), indem er nachwies, dafs wir fast isochron mit rhythmisch sich wiederholenden Schalleindr\u00fccken kleine Markierbewegungen auszuf\u00fchren verm\u00f6gen. Die Versuchsanordnung war derart, \u201edafs die eine Versuchsperson m\u00f6glichst rhythmisch durch Klopfen aus freier Hand akustische, sich selbst registrierende Signale erzeugte, welche die andere Versuchsperson auskultierte und, ohne hinzusehen, m\u00f6glichst isochron durch eine mechanische Vorrichtung auf dieselbe Trommel des Kymographions \u00fcbertrug.\u201c Das Resultat war, dafs im Durchschnitt der Fehler der Registrierungen 0,03 Sek. nicht \u00fcberstieg, und dafs zugleich auch die Schwankungen des prim\u00e4ren Rhythmus im Durchschnitt nicht gr\u00f6fser als 0,03 Sek. waren. Es ergab sich ferner aus den Versuchen, dafs Differenzen \u00fcber 0,06 Sek. zwischen dem prim\u00e4ren und dem sekund\u00e4ren Schlag immer deutlich erkannt wurden, Differenzen unter 0,04 Sek. dagegen nicht mehr. Was nun den bei dem Registrieren solcher rhythmischen Schlagfolgen stattfindenden psychischen Vorgang anbetrifft, so h\u00e4lt Martius durch seine Versuche mit Recht f\u00fcr erwiesen, dafs es sich dabei nicht um abgek\u00fcrzte Reaktionen handelt. Auch der Ansicht Kr\u00e4pelins (Zur Methodik der Herztonregistrierung, Deutsche Med. Wochenschrift, 1888, No. 33), welcher meint, dafs die Zeitsch\u00e4tzung in Frage kommt, und dafs ein Unterschied mit den GrLASsschen Versuchen nur darin zu suchen ist, \u201edafs bei letzteren das Hauptintervall nur einmal bei jedem Versuche angegeben wurde, w\u00e4hrend bei Marttus das rhythmische Ger\u00e4usch mehrmals hintereinander wiederkehrte und somit einen immer von neuem regulierenden Einftufs auf die Gr\u00f6fse des Sch\u00e4tzungsfehlers aus\u00fcben mufste\u201c, glaubt Martius auf Grund der Resultate seiner","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nF. Schumann.\nSelbstbeobachtung widersprechen zu m\u00fcssen. Es soll nach ihm ein besonderer psychischer Vorgang stattfinden, welchen er mit folgenden Worten beschreibt : \u201eNun folgen bei der gew\u00e4hlten Versuchsanordnung die zu markierenden Geh\u00f6rseindr\u00fccke in gleichen Zeitintervallen aufeinander. Es ist nicht schwer, diesen Rhythmus sich genau einzupr\u00e4gen und in demselben Rhythmus, in dem die sensiblen Eindr\u00fccke anlangen, die motorischen Impulse der markierenden Fingerbewegung sich folgen zu lassen. Um isochron zu markieren, ist dann weiter nichts mehr n\u00f6tig, als beide Reihen rhythmischer psychischer Akte gewissermafsen zur Deckung zu bringen. Das geschieht rein empirisch durch ein einfaches Probieren. Ich klopfe n\u00e4mlich \u2014 zun\u00e4chst gewissermafsen blind \u2014 in dem einmal erfafsten Rhythmus, mich fortw\u00e4hrend korrigierend, so lange mit, bis ich mit H\u00fclfe der direkten sinnlichen Kontrolle zwischen den in gleichen Zeitintervallen sich folgenden Geh\u00f6rseindr\u00fccken und den Tasteindr\u00fccken beim Markieren keine zeitliche Differenz mehr empfinde.\u201c Bei dieser Erkl\u00e4rung wird vorausgesetzt, dafs wir uns einen Rhythmus genau einpr\u00e4gen k\u00f6nnen. Ist dies aber der Fall, so d\u00fcrfte doch wohl auch die Sch\u00e4tzung kleiner Zeiten auf dieser F\u00e4higkeit beruhen. Die Polemik von Martius gegen die Ansicht Kr\u00e4pelins , welche mit meiner auf S. 6 \u00a3 gegebenen Erkl\u00e4rung \u00fcbereinstimmt, scheint mir daher schon durch seine eigenen Angaben widerlegt zu sein. Was dann weiter die Behauptung von Martius anbetrifft, dais wir anfangs gleichsam blind mitklopfen und erst allm\u00e4hlich die Reihe der Schalleindr\u00fccke mit den Bewegungen zur Koincidenz bringen, so kann ich dieselbe nach den Resultaten meiner inneren Wahrnehmung nicht best\u00e4tigen. Mir scheint es vielmehr, dafs die Bewegungen sich gleich zur richtigen Zeit einstellen, vorausgesetzt, dafs man sich vor Beginn derselben erst auf das Intervall eingestellt hat, und dafs man die Gedanken nicht abschweifen l\u00e4fst. Sobald allerdings die Aufmerksamkeit irgendwie abgelenkt wird, kommt es leicht vor, dafs die Bewegungen sich nicht zur richtigen Zeit einstellen.\nAls letzter Experimentator ist schliefslich noch Paneth zu erw\u00e4hnen, dessen Resultate (nach seinem Tode) Exner mitgeteilt hat (Versuche \u00fcber den zeitlichen Verlauf des Ged\u00e4chtnisbildes, Centralblatt f\u00fcr Physiol., IV., S. 81 ff.). Untersucht wurde die \u00c4nderung der reproduzierten Zeitintervalle mit der Gr\u00f6fse","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen.\n47\nder Zwischenzeit zwischen Auffassung und Reproduktion. Der Versuchsperson wurde durch ein zweimaliges Niederdr\u00fccken einer Taste die Hauptzeit, welche zwischen Bruchteilen einer Sekunde und mehreren Sekunden schwankte, angegeben und ihr die Aufgabe gestellt, nach einer Pause, deren Gr\u00f6fse \u201evon einem nicht mehr bestimmbaren Bruchteile einer Sekunde bis zu 5 Minuten variierte\u201c, m\u00f6glichst genau zu reproduzieren. \u201eDie Messungen wurden dadurch erm\u00f6glicht, dafs an dem Taster ein Elektromagnet befestigt war, der die Schwingungen einer Stimmgabel auf das Kymographion zeichnete ; die entstehende Wellenlinie verlief h\u00f6her oder tiefer, je nachdem der Taster niedergedr\u00fcckt war oder nicht.\u201c Es ergab sich, dafs eine Abnahme der Genauigkeit der Reproduktion mit der Gr\u00f6fse der Pause durch die benutzten H\u00fclfsmittel nicht konstatiert werden konnte. Ferner erw\u00e4hnt Exner noch, dafs analoge Versuche, welche von R. Wahle auf seine Veranlassung mit weifsen Kreisen auf schwarzem Grunde und mit wenig verschiedenen Helligkeiten angestellt, aber nicht publiziert seien, ebenfalls ein negatives Resultat in Beziehung auf die Abnahme \u201eder Sch\u00e4rfe des Ged\u00e4chtnis bildes\u201c w\u00e4hrend der ersten Minuten ergeben h\u00e4tten. Durch diese Untersuchungen sollen nun fr\u00fchere Angaben von E. H. Weber, welcher bei der Vergleichung von successiv dargebotenen Linien eine Abnahme der Unterschiedsempfindlichkeit mit der Gr\u00f6fse der Zwischenpause konstatiert zu haben glaubte, widerlegt sein, da die bei den neueren Untersuchungen angewandten Methoden derjenigen Webers jedenfalls \u00fcberlegen gewesen w\u00e4ren. Diese Schlufsfolgerung ist aber, soweit sie sich auf die Zeitsinnversuche st\u00fctzt \u2014 \u00fcber die anderen Versuche vermag ich nichtzu urteilen, da jegliche Angabe \u00fcber die benutzte Methode fehlt \u2014 jedenfalls falsch. Denn da man, wie oben auseinandergesetzt, durch Versuche nach der Reproduktionsmethode \u00fcberhaupt keinen Aufschlufs \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit erhalten kann, sind auch die nach dieser Methode angestellten Untersuchungen \u00fcber die Abnahme der Unterschiedsempfindlichkeit mit der Gr\u00f6fse der Zwischenpause durchaus unzuverl\u00e4ssig. Werden die Versuche, wie es bei den m Rede stehenden geschehen zu sein scheint, in der Weise angestellt, dafs fortw\u00e4hrend mit der Hauptzeit gewechselt wird, so m\u00fcssen sich infolge der zahlreichen Fehlerquellen, wie die","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nF. Schumann.\nVersuche von Vieroedt 1 beweisen, sehr ungenaue Reproduktionen ergeben. Eine etwaige Wirkung der Zwischenpause kann daher durch die sonstigen Fehlerquellen leicht verdeckt werden.1 2\nIII.\nBericht \u00fcber eigene Versuche.\n\u00a7 9.\nVersuche \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit nach der Methode der r- und /\"-F\u00e4lle.\nDa von den Untersuchungen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr kleine Zeitgr\u00f6fsen nur diejenigen von Mach und eine Versuchsreihe von Vierordt, wie wir im vorigen Abschnitte gesehen haben, \u00fcberhaupt in Frage kommen k\u00f6nnen, und da diese, soweit sie die interessanteren kleineren Zeiten betreffen, in methodischer und technischer Beziehung noch viel zu w\u00fcnschen \u00fcbrig lassen, beschlofs ich neue Untersuchungen anzustellen mit m\u00f6glichst verbesserten H\u00fclfsmitteln. Von den Mafsmethoden w\u00e4hlte ich diejenige der richtigen und falschen F\u00e4lle aus. Die Methode der Minimal\u00e4nderungen d\u00fcrfte bei den kleinen (2 Sek. nicht wesentlich \u00fcberschreitenden) Zeiten schon deshalb unbrauchbar sein, weil bei der grofsen Unterschiedsempfindlichkeit die erforderlichen minimalen \u00c4nderungen sich nicht mit gen\u00fcgender Genauigkeit hersteilen lassen.3\n1\tBei diesen Versuchen ergab sich neben dem konstanten Fehler noch ein mittlerer variabeler Fehler von mehr als 10%.\n2\tDie Abhandlung von Ejnek (Experimentelle Studien \u00fcber den Zeitsinn, Inaug.-Diss., Dorpat 1889) habe ich unerw\u00e4hnt gelassen, weil das kleinste der dort ber\u00fccksichtigten Intervalle Vs Minute betr\u00e4gt.\n3\tMerkw\u00fcrdigerweise hat Wundt (\u00dcber psych. Methoden, Phil. Stud. I. S. 13 und 35 ff.) die Methode der r- und /-F\u00e4lle f\u00fcr unbrauchbar erkl\u00e4rt, weil man bei der Feinheit der Unterschiedsempflndlichkeit \u201eden Apparaten eine sehr grofse Genauigkeit geben m\u00fcfste, um den Anspr\u00fcchen der Methode zu gen\u00fcgen\u201c, und daf\u00fcr die Methode der Minimal\u00e4nderungen empfohlen. Das Irrt\u00fcmliche dieser Angabe erkennt man leicht, wenn man bedenkt, dafs bei der Methode der Minimal\u00e4nderungen Unterschiede hergestellt werden m\u00fcssen, von denen die Unterschiedsschwelle noch ein Vielfaches ist, w\u00e4hrend die bei der Methode der r- und /-F\u00e4lle zu benutzende Differenz doch wenigstens gleich der Unterschiedsschwelle sein kann.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcbei- die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n49\nAufserdem w\u00fcrde aber auch noch zu bedenken sein, dafs zwei unmittelbar aufeinander folgende ungleiche Intervalle nach \u00f6fterer Wiederholung einander gleich zu werden scheinen, auch wenn ihre Differenz anfangs subjektiv deutlich merkbar ist, und dafs daher die Methode der Minimal\u00e4nderungen den Wert der TJnterschiedsschwelle in vergr\u00f6fsertem Mafsstabe wiedergeben d\u00fcrfte. Dieselbe Thatsache bedingt nat\u00fcrlich auch, dafs bei den Versuchen nach der Methode der r- und /\"-F\u00e4lle fortw\u00e4hrend mit gr\u00f6fseren und kleineren Vergleichszeiten gewechselt werden mufs.\nDa sich schon durch die fr\u00fcheren Untersuchungen f\u00fcr die kleineren Zeiten eine verh\u00e4ltnism\u00e4fsig grofse Unterschiedsempfindlichkeit ergeben hatte, war die Benutzung genauer und sorgf\u00e4ltig kontrollierter Apparate durchaus erforderlich. Nach langer \u00dcberlegung entschlofs ich mich zu der folgenden Versuchsanordnung, von der der nebenstehende schematische Grundrifs ein Bild giebt, und welche gl\u00fccklicherweise selbst dann noch ann\u00e4hernd gen\u00fcgte, als die Versuche eine ganz unerwartet feine Unterschiedsempfindlichkeit bei den minimalen Zeiten ergaben. Ein von dem bekannten Mechaniker G. Baltzar in Leipzig angefertigtes Uhrwerk, welches durch Gewichte getrieben wird, versetzt eine in horizontaler Lage befindliche Axe dB in Rotation. Auf der Axe befinden sich drei sorgf\u00e4ltig abgedrehte Metallringe Bv \u00fc2, Ji3, an deren Peripherie Platinspitzen in beliebig variierbaren Abst\u00e4nden befestigt werden k\u00f6nnen. Diese Abst\u00e4nde lassen sich mit H\u00fclfe einer auf die Axe neben die Ringe zu schiebenden, mit Kreisteilung versehenen Scheibe genau bestimmen. Die Platinspitzen, welche genau gleich lang sind, streifen bei der Rotation eine Quecksilberkuppe, und zwar ist f\u00fcr jeden Ring eine besondere von den anderen isolierte Quecksilberkuppe (Qv Q2l Q3) vorhanden, deren Durchmesser durch eine geeignete Vorrichtung innerhalb bestimmter Grenzen variiert werden kann. Jede dieser Kuppen steht in leitender Verbindung mit einem der Quecksilbern\u00e4pfe Mv M\u201e M3. In jeden dieser letzteren kann durch einen kleinen Druck auf eine Feder eine Platinspitze eingetaucht werden, welche ihrerseits mit dem Quecksilbernapfe N in leitender Verbindung steht. Von der Batterie E geht nun die Stromleitung erst zu einem Kommutator, von dort einerseits durch das Telephon T zu dem Quecksilbernapfe N und andererseits nach\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nF. Schumann.\nder Axe A B. Streift demnach eine Platinspitze bei der Rotation der Ringe die entsprechende Quecksilberkuppe und ist die Verbindung bei M1 bezw. M2, Mz hergestellt, so entsteht in dem Telephon, welches die Versuchsperson an das Ohr h\u00e4lt, ein kurzes Ger\u00e4usch, und zwar erreichte ich durch Ver\u00e4nderung der Dauer des Stromschlusses immer, dafs die beiden Ger\u00e4usche, welche durch \u00d6ffnung und Schliefsung des Stromes entstehen,\nFig. 4.\nsich zu einem einzigen, angenehm klingenden, knallartigen Ger\u00e4usche vereinigten. Indem ich dann an dem einen Ringe drei Platinspitzen in gleichen Abst\u00e4nden, an jedem der beiden anderen Ringe aber nur die ersten beiden Spitzen in demselben Abstande, die dritte dagegen in einem gr\u00f6fseren bezw. kleineren Abstande befestigte, konnte ich durch einen kleinen Fingerdruck auf eine der drei Federn im Telephon nach Belieben Ger\u00e4usche in gleichen oder in verschiedenen Intervallen aus-l\u00f6sen. Da die Platinspitzen und die kleinen Apparate, mit deren H\u00fclfe die Spitzen an den Ringen befestigt wurden, die Centrierung des Ringes wesentlich st\u00f6rten, mufsten auf der","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"tiler die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n51\ndiametral gegen\u00fcberliegenden Seite desselben ebenfalls drei Spitzen befestigt werden, und zwar geschah dies hier in der Weise, dafs das Intervall zwischen der zweiten und dritten Spitze bei allen drei Eingen gleich war, dasjenige zwischen der ersten und zweiten Spitze dagegen verschieden. Es wurden die drei Spitzengruppen der ersten oder diejenigen der zweiten Art benutzt, je nachdem die Hauptzeit (Normalzeit) an erster oder an zweiter Stelle genommen werden sollte.\nUm die Gleichm\u00e4fsigkeit der Rotation genau kontrollieren zu k\u00f6nnen, benutzte ich einen f\u00fcr das hiesige psychologische Institut nach meinen Angaben vom Mechaniker C. Diederichs in exaktester Weise angefertigten Chronographen. Derselbe unterscheidet sich von dem von Wundt konstruierten Chronographen (vergl. Phil. Stud., IV., S. 457 ff.) nur in zwei wesentlichen Punkten. Eine erhebliche Verminderung der Kosten erreichte ich dadurch, dafs ich zum Treiben der berufsten Trommel statt des teuren Uhrwerks einfach ein durch Treten in Bewegung zu setzendes Schwungrad benutzte. Nach geringer \u00dcbung ist man durchaus im st\u00e4nde, vor dem Apparate sitzend, das Schwungrad durch Treten in Bewegung zu erhalten und zu gleicher Zeit mit den H\u00e4nden alle erforderlichen Manipulationen auszuf\u00fchren. Zweitens habe ich den von Wundt benutzten Zeitmarkierer durch den PFEiuschen Zeitmarkierer ersetzt, welcher mir handlicher und auch genauer zu sein scheint. Der auf berufstem Papier schreibende Hebel dieses Zeitmarkierers zeichnet bei der \u00d6ffnung des Stromes eine scharfe Ecke auf, so dafs eine Bestimmung der Momente der Strom\u00f6ffnungen mit grofser Genauigkeit geschehen kann. Da die von mir zur Zeitmessung benutzte Stimmgabel 250 Doppelschwingungen in der Sekunde macht und da man XA Schwingung noch gen\u00fcgend genau nach dem Augenmafs sch\u00e4tzen kann, so konnte ich bequem die Gr\u00f6fse der Intervalle bis auf 0,001 Sek. bestimmen. Sollte bei anderen Untersuchungen eine wesentlich gr\u00f6fsere Genauigkeit erforderlich sein, so w\u00fcrde sich auch diese bei Benutzung einer Stimmgabel mit gr\u00f6fserer Schwingungszahl leicht mit meinem Chronographen erzielen lassen, da die Latenzzeit des PPEiLschen Zeitmarkierers nach den Untersuchungen von Tiserstedt {Arch. f. [Amt. und] Physiol., Suppl.-Bd., 1885, S. 133 und 137 f.) bei der Strom\u00f6ffnung 0,001 Sek. nicht erreicht und da der Fehler bei der Bestimmung des Inter-\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nF. Schumann.\nvalls zwischen zwei Strom\u00f6ffnungen nur durch die Differenz der beiden Latenzzeiten bedingt ist. Mit diesem Apparate habe ich nun die Gr\u00f6fsen der physikalischen Fehlerquellen meiner Yersuchsanordnung zu bestimmen gesucht. Indem ich sorgf\u00e4ltig auf die Gleichm\u00e4fsigkeit der Temperatur des Versuchszimmers achtete und indem ich \u00f6fter mit H\u00fclfe einer F\u00fcnftelsekundenuhr die f\u00fcr 10 Umdrehungen erforderliche Zeit bestimmte und dem Ausfall dieser Kontrolle entsprechend eine etwaige kleine \u00c4nderung durch Vermehrung oder Verminderung des treibenden Gewichtes ausglich, erreichte ich es z. B., dafs bei drei, innerhalb zweier Stunden mit dem Chronographen ausgef\u00fchrten Pr\u00fcfungsreihen \u00fcber die Konstanz eines Intervalls von 0,3 Sek. sich nur eine mittlere Variation von 0,003 Sek. zeigte. Dabei umfafste jede Pr\u00fcfungsreihe ca. 10 Einzelpr\u00fcfungen. Allerdings konnte nur die Konstanz der zwischen den Strom\u00f6ffnungen liegenden Intervalle gemessen werden, nicht diejenige der durch die entsprechenden Telephonger\u00e4usche begrenzten Intervalle, indessen d\u00fcrfte das Telephon (Patent von Siemens und Halsice) den Fehler nur wenig vermehrt haben. Bei gr\u00f6fseren Intervallen zeigte sich eine entsprechend gr\u00f6fsere mittlere Variation, jedoch \u00fcberstieg dieselbe nie den hundertsten Teil des Intervalls. Die Kontrollierungen mit dem Chronographen wurden wegen des sehr zeitraubenden Charakters derselben nur von Zeit zu Zeit vorgenommen, diejenigen mit der F\u00fcnftelsekundenuhr dagegen vor und nach jeder, nur wenige (h\u00f6chstens f\u00fcnt) Minuten dauernden Versuchsreihe.\nAuf Reinhaltung der Quecksilberkuppen und der Platinspitzen wurde sorgf\u00e4ltig geachtet, da durch die geringste St\u00f6rung in der Funktionierung des Kontaktes lei\u00e7ht unangenehm kratzende Ger\u00e4usche im Telephon entstanden. Die Quecksilberkuppen wurden daher nicht nur an jedem Versuchstage, sondern auch ein bis zweimal im Laufe der Versuche erneuert, obwohl der sehr schwache Strom im allgemeinen keinen sichtbaren Offnungsfunken hervorrief.\nDa eine meiner Versuchspersonen sich gegen das ziemlich konstante, von den \"Vindfl\u00fcgeln des Rotationsapparates herr\u00fchrende Ger\u00e4usch empfindlich erwies, brachte ich dieselbe mit dem Telephon in das Nebenzimmer, in welchem man dieses Ger\u00e4usch nur bei besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit eben noch wahrnahm.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n53\nDa die Einstellung der Aufmerksamkeit sich bei den verschiedenen Intervallen verschieden rasch vollzieht, k\u00f6nnen offenbar nur die bei ann\u00e4hernd maximaler Ein\u00fcbung auf die einzelnen Intervalle erhaltenen Resultate Wert haben. Bei den Versuchen nach der Methode der r- und /\u2019-F\u00e4lle wurde daher, eine Reihe von Tagen immer mit derselben Hauptzeit (Normalzeit) operiert, bis sich keine merkliche \u00dcbung in den Resultaten mehr zeigte. An jedem Tage wurden mit derselben Versuchsperson 120 auf 4 Reihen gleichm\u00e4fsig verteilte Einzelversuche vorgenommen. Zwischen den einzelnen Versuchen einer Reihe wurden nur kleine Pausen von wenigen (2\u20144) Sekunden gemacht, welche f\u00fcr dieselbe Hauptzeit konstant blieben. Hierdurch wurde erstens erreicht, dafs die Versuche nur wenig erm\u00fcdend und anstrengend waren, und zweitens, dafs die Versuchsperson sich auf die konstante Pause einiiben konnte und infolge dessen immer wieder zur richtigen Zeit auf den neuen Versuch vorbereitet war. Zwischen den einzelnen Versuchsreihen lag eine Pause von ca. 2 Minuten, die allerdings nicht allzu \u00e4ngstlich eingehalten wurde, da die Kontrollierung der Gleichm\u00e4fsigkeit der Rotationsgeschwindigkeit und andere Umst\u00e4nde h\u00e4ufig eine etwas gr\u00f6fsere Pause erforderlich machten. Bei den ersten Versuchen wurde nach jeder Reihe mit der Zeitlage der Normalzeit gewechselt, sp\u00e4ter nahm ich jedoch aus weiter unten anzuf\u00fchrenden Gr\u00fcnden die Normalzeit immer an erster Stelle.\nWie oben erw\u00e4hnt, standen mir drei verschiedene Vergleichszeiten zu Gebote, von denen die erste um ein bestimmtes Intervall gr\u00f6fser war als die Normalzeit, die zweite um dasselbe Intervall kleiner, w\u00e4hrend die dritte der Normalzeit gleich war. Da die Differenzen im allgemeinen so klein genommen wurden, dafs eine gleiche Vergleichszeit h\u00e4ufig mit einer gr\u00f6fseren oder kleineren verwechselt wurde und umgekehrt eine gr\u00f6fsere oder kleinere Vergleichszeit mit einer gleichen, so konnte ich der Bequemlichkeit halber ganz regelm\u00e4fsig mit den verschiedenen Vergleichszeiten wechseln, ohne dafs die Versuchsperson es merkte, und zwar geschah dies zuerst in folgender Reihenfolge :\ngr\u00f6fser, gleich, kleiner | kl. gl. gr. | gr. gl. kl. ] kl. Als\njedoch eine Versuchsperson, welche eine aufserordentlich feine Unterschiedsempfindlichkeit zeigte, bei den kleinsten untersuchten Intervallen, bei denen ich aus R\u00fccksicht auf physi-","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nF. Schumann.\nkalische Fehlerquellen die Differenzen verh\u00e4ltnism\u00e4fsig grofs nehmen mnfste, gemerkt hatte, dafs immer ein allm\u00e4hlicher Wechsel von einer gr\u00f6fseren Yergleichszeit durch eine gleiche zu einer kleineren stattfand und umgekehrt, dagegen nie ein Sprung von einer gr\u00f6fseren Yergleichszeit zu einer kleineren, so f\u00fchrte ich auch diese Spr\u00fcnge ein, wenn auch in regel-m\u00e4fsiger Weise. Ich richtete n\u00e4mlich die Reihe folgendermafsen\nein: gr. gl. kl. | kl. gl. gr. I | kl. gl. gr. | gr. gl. kl. | | gr.,\noder ich begann auch die Reihe mit einer der Hauptzeit gleichen Yergleichszeit und fuhr dann fort | gr. gr. gl. kl. kl. J\nj gr. gl. kl. | kl. gl. gr. | | kl... Diese Reihenfolge hat\nkeine Versuchsperson gemerkt. Ein solcher regelm\u00e4fsiger Wechsel in der Reihenfolge war erforderlich, weil ich hei den kleinen Zwischenpausen zwischen den einzelnen Versuchen nicht im st\u00e4nde war, die Reihenfolge der Vergleichszeiten und die Urteile zu notieren, indem meine Aufmerksamkeit vollst\u00e4ndig durch die Bedienung des Apparates gefesselt war. Ich bestimmte daher die Reihenfolge vor Beginn der Versuche und liefs nur die Versuchsperson ihre Urteile in abgek\u00fcrzter Form aufs ehr eiben.\nDa der Fall, dafs die gr\u00f6fsere bezw. kleinere Vergleichszeit f\u00fcr kleiner bezw. gr\u00f6fser als die Hauptzeit gehalten wurde, nur sehr selten vorkam, so konnte ich nicht f\u00fcr jedes I) (Differenz) die Unterschiedsschwelle besonders berechnen, sondern mufste mit H\u00fclfe der f\u00fcr das positive D erhaltenen richtigen F\u00e4lle und derjenigen F\u00e4lle, in welchen die der Hauptzeit gleiche Vergleichszeit gr\u00f6fser als erstere erschien, die obere Unterschiedsschwelle, und andererseits aus den f\u00fcr die kleinere Vergleichszeit erhaltenen richtigen F\u00e4llen und denjenigen F\u00e4llen, in welchen die der Hauptzeit gleiche Vergleichszeit kleiner als die Hauptzeit erschien, die untere Unterschiedsschwelle berechnen. Die Berechnung geschah nach den von Gr. E. M\u00fcller aufgestellten Formeln.\nIch f\u00fchre zun\u00e4chst eine mit vier verschiedenen Hauptzeiten ausgef\u00fchrte Versuchsreihe an (Versuchsperson: cand. theol. Schl.). In der Tabelle findet sich unter N die Normalzeit; unter D die positive bezw. negative Differenz, um welche sich die Vergleichszeiten von der Normalzeit unterschieden; unter S0 die obere, unter Sn die untere, unter S die mittlere Unterschiedsschwelle; unter H\u201e bezw. Hn die bei Berechnung","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Heiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n55\nder oberen bezw. unteren Unterschiedsscbwelle erhaltenen Werte des Pr\u00e4zisionsmafses, unter H das Mittel aus beiden ; S/N giebt endlich den relativen Wert der Unterschiedsschwelle an. Als Zeiteinheit ist Iff =0,001 Sek. genommen.\nVersuchsreihe A.\nN\tH\tSo\t\tSu\tS\tHu\tHu\tH\tS/N\n400 a\t30 a\t14,4\ta\t22,3 a\t18,3 <r\t0,0501\t0,0621\t0,0561\tVs 1,5\n600 \u201e\t30 \u201e\t22,4\t\u00bb\t24,7 \u201e\t23,5 \u201e\t0,0295\t\t1\t0,0295\t1/25,5\n1000 \u201e\t33 \u201e\t23,0\t\u00bb\t29,2 \u201e\t26,1 \u201e\t0,0273\t0,0294\t0,0283\t1J3S,3\n2000 \u201e\t67 \u201e\t83,8\t77\t62,3 \u201e\t73,0 \u201e\t0,0052\t0,0064\t0,0058\tV27 j5\n400 a\t30 er\t15,9\t(1\t30,0 ff\t23,0 ff\t0,0300\t0,0286\t0,0293\tVl7,4\n600 \u201e\t30 \u201e\t19,1\t77\t32,2 \u201e\t25,6 \u201e\t0,0364\t0,0194\t0,0279\t7>m\n1000 \u201e\t33 \u201e\t31,9\t77\t29,2 \u201e\t30,5 \u201e\t0,0197\t0,0173\t0,0185\t732,8\nHauptzeit immer an erster Stelle.\nHauptzeit immer zuweit.\nWird die Yergleichszeit \u00f6fter hintereinander an zweiter Stelle genommen, so wird nach meiner Theorie das Urteil im allgemeinen nur davon abh\u00e4ngen, ob das dritte Signal fr\u00fcher oder sp\u00e4ter als erwartet oder aber zur richtigen Zeit eintritt, und entsprechend ist das Urteil in dem Falle, wo die Normalzeit an zweiter Stelle genommen wird, haupts\u00e4chlich nur durch den bei Eintritt des zweiten Signals sich geltend machenden Nebeneindruck bedingt. Wie nun aber eine Versuchsperson im allgemeinen die Differenzen wohl leichter erkennen d\u00fcrfte, wenn ihr 4 Signale statt der 3 gegeben w\u00fcrden und zwar in Intervallen, von denen die beiden ersten gleich w\u00e4ren, das dritte dagegen gr\u00f6fser oder kleiner, so ist auch a priori zu vermuten, dafs die Nebeneindr\u00fccke sich beim dritten Signale leichter geltend machen als beim zweiten. In der That wird diese Vermutung durch den Ausfall der obigen Versuche best\u00e4tigt, da die F\u00e4lle, in welchen die Hauptzeit an zweiter Stelle genommen wurde, sowohl eine geringere Unterschiedsempfindlichkeit als auch ein geringeres Pr\u00e4zisionsmafs ergeben haben als die F\u00e4lle, in welchen die Hauptzeit an erster Stelle ge-\n1 Ha liefs sich hier nicht berechnen, weil kein einziges Mal die der Normalzeit gleiche Vergleichszeit f\u00fcr kleiner als die Normalzeit gehalten wurde. Sa ist mit H\u00fclfe der Annahme Ha = Ho berechnet.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nF. Schumann.\nnommen wurde. Da die beiden F\u00e4lle demnach wesentlich verschieden sind, scheint es mir wenig angebracht, dieselben zur Eliminierung des konstanten Zeitfehlers in einen Topf zu werfen. Aufserdem ist auch nach den obigen Resultaten der Zeitfehler im zweiten Falle wesentlich gr\u00f6fser als im ersten, so dafs eine vollst\u00e4ndige Elimination doch nicht zu erzielen sein w\u00fcrde.\nObwohl nun f\u00fcr jede Normalzeit der obigen Versuchsreihe wenigstens 480 Einzelversuche gemacht sind, so wagte ich doch nicht die obigen Resultate als endg\u00fcltige zu betrachten. H\u00e4tte ich in der naiven Weise von Kollert und Estel schliefsen wollen, so h\u00e4tte ich als neues Gesetz aufstellen k\u00f6nnen, dafs die relative Unterschiedsempfindlichkeit bei ca. 1 Sek. am gr\u00f6bsten sei und nach beiden Seiten hin abnehme. Ich h\u00e4tte dabei, und wohl nicht ganz mit Unrecht, darauf hinweisen k\u00f6nnen, dafs die physikalischen Fehlerquellen bei meinen Versuchen wesentlich geringer gewesen seien als bei denen meiner Vorg\u00e4nger, und dafs ihre abweichenden Resultate wohl durch diesen Umstand erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnten. Allein ich begn\u00fcgte mich mit dieser Annahme nicht, sondern vermutete, dafs verschiedene unbekannte Umst\u00e4nde Einflufs auf die Resultate gehabt haben k\u00f6nnten. Zun\u00e4chst stellte ich eine weitere Versuchsreihe mit derselben Versuchsperson an, um zu untersuchen, ob etwa im Laufe der Versuche sich eine merkliche \u00dcbung eingestellt hatte und ob durch diese bewirkt war, dafs die Unterschiedsempfindlichkeit bei den gr\u00f6fseren Zeiten (ich hatte die einzelnen Hauptzeiten in der in der Tabelle angegebenen Reihenfolge vorgenommen) so grofs geworden war. Es ergaben sich die folgenden Resultate.\nVersuchsreihe B (Hauptzeit immer zuerst).\nN\tB\t\tSo\tSn\tS\tH0\tHn\tH\tSIN\n1000 a\t33\ta\t32,7 g\t31,3 ff\t32,0 ff\t0,0209\t0,0219\t0,0214\tVsi,2\n600 \u201e\t30\t\t24,3 \u201e\t18,2 \u201e\t21,2 \u201e\t0,0372\t0,0560\t0,0466\tV28,3\n400 \u201e\t20\t\u00ee?\t16,0 \u201e\t10,9 \u201e\t13,4 \u201e\t0,0866\t0,0996\t0,0931\tV 29,7\n400 \u201e\t13,3\t\u00bb\t9,2 \u201e\t8,2 \u201e\t8,7 \u201e\t0,1103\t0,1047\t0,1075\tVie\n400 \u201e\t10\t\u00eej\t22,4,,\t8,8 \u201e\t15,6 \u201e\t0,0201\t0,0572\t0,0387\t\n300 \u201e\t10\t\u00bb\t6,8 \u201e\t7,0 \u201e\t6,9 \u201e\t0,1111\t0,1521\t0,1316\tVlS,5\nBei der Normalzeit 1000 er zeigt sich eine Verminderung der Unterschiedsempfindlichkeit, auch ist die Pr\u00e4zision der Be-","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\t57\nobachtungen geringer. Dies deutet schon darauf hin, dafs der geringe Wert der relativen Unterschiedsschwelle, welcher sich f\u00fcr diese Normalzeit bei der ersten Versuchsreihe ergeben hat, zum Teil auf eine besonders gute Disposition der Versuchsperson an den entsprechenden Versuchstagen zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Bei 600 <r zeigt sich dagegen schon einiger Einflufs der \u00dcbung und besonders eine wesentliche Erh\u00f6hung des Pr\u00e4zisions-mafses. Noch mehr zeigt sich aber beides bei der ersten mit der Normalzeit 400 a unter Benutzung einer Differenz von 20 a angestellten Versuchsreihe. Der Umstand, dafs hier das starke Wachstum der Unterschiedsempfindlichkeit mit einer Verkleinerung der Differenz (bei der ersten Versuchsreihe war eine Differenz von 30 o' benutzt) zusammenfiel, legte die Vermutung nahe, dafs die Abh\u00e4ngigkeit der Unterschiedsempfindlichkeit von der Gfr\u00f6fse der bei den Versuchen benutzten Differenz beim Zeitsinn eine besonders grofse sei. Da nun die neue Differenz immer noch wesentlich gr\u00f6fser war als die Unterschiedsschwelle, so machte ich, um diese Vermutung zu pr\u00fcfen, weitere Versuche mit einer Differenz von 13,3 o, welche der aus der vorangegangenen Versuchsreihe berechneten mittleren Unterschiedsschwelle ann\u00e4hernd gleich kam. In der That best\u00e4tigte sich die Vermutung in ganz \u00fcberraschenderweise, da der relative Wert der Unterschiedsschwelle auf 746 sank. Eine weitere k\u00fcrzere Versuchsreihe (240 Versuche) mit der Differenz 10 a zeigte wieder eine starke Abnahme der Unterschiedsempfindlichkeit, doch wurde sie an Tagen ausgef\u00fchrt, an denen die Versuchsperson ihrer Aussage nach schlecht disponiert war, so dafs sie nur beweist, wie sehr bei kleinen Zeiten die Unterschiedsempfindlichkeit von der geistigen Disposition abh\u00e4ngt. Durch die Abh\u00e4ngigkeit der Unterschiedsschwelle von der Grofse der benutzten Differenz erkl\u00e4rt sich nun auch das in der ersten Versuchsreihe bei der Normalzeit 1000 o erhaltene Maximum der relativen Unterschiedsempfindlichkeit. Bei den kleineren Zeiten war n\u00e4mlich die Differenz (30 er) viel zu grofs genommen, w\u00e4hrend sie bei der Normalzeit 1000 er verh\u00e4ltnis-m\u00e4fsig am g\u00fcnstigsten war.\nDurchaus best\u00e4tigt wird die grofse Abh\u00e4ngigkeit der aus den Versuchen sich ergebenden Werte f\u00fcr die Unterschiedsempfindlichkeit von der Grofse der benutzten Differenz durch eine dritte Versuchsreihe (Versuchsperson: P.).","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nF. Schumann.\nVersuchsreihe C (Hauptzeit immer zuerst).\nN\tB\tSo\tSo\tS\t\tH\tH\tSIN\n400 a\t22 or\t26,3 a\t10,4 a\t21,3 a\t0,0502\t0,0424\t0,0463\tVlS,8\n300 \u201e\t20 \u201e\t17,0 \u201e\t14 4\t15,7 \u201e\t0,0620\t0,0665\t0,0643\t1/l9,l.\n300 \u201e\t10 \u201e\t10,4 \u201e\t8,3 \u201e\t9,4 \u201e\t0,0718\t0,0461\t0,0589\tV 32,S\n200 \u201e\t10 \u201e\t10,4 \u201e\t5,6 \u201e\t8,0 \u201e\t0,0718\t0,0913\t0,0816\t025\n150 \u201e\t10 \u201e\t10,6 \u201e\t2,1 \u201e\t6,3 \u201e\t0,1100\t0,0845\t0,0971\tV23,8\nDa also auch bei dieser zweiten Versuchsperson sich eine so starke Abnahme der Unterschiedsschwelle mit der Verkleinerung von B (bei der Hauptzeit 300 o) ergeben hat, so d\u00fcrfte die Thatsache wohl sicher gestellt sein. Was nun ihre Erkl\u00e4rung anbetrifft, so kann man zun\u00e4chst daran denken, dafs die Versuchspersonen bei den kleinen Differenzen anfangs keine Unterschiede erkennen konnten und dafs sie infolgedessen ihre Aufmerksamkeit in besonders hohem Grade anspannen mufsten. Aufserdem scheint mir aber auch noch eine zweite Erkl\u00e4rung m\u00f6glich zu sein. Bei den kleinen Zeiten, bei denen diese Thatsache konstatiert ist, sind n\u00e4mlich nach meinen Erfahrungen zwei verschiedene Verfah-rungsweisen f\u00fcr die Versuchsperson vorhanden. Dieselbe kann entweder mit der Erwartungsspannung nach jedem Schlage etwas nachlassen und bei dem folgenden wieder von neuem anspannen, oder sie kann die Aufmerksamkeit gespannt halten, bis alle drei Schl\u00e4ge vor\u00fcber sind. Beobachtet man in der letzteren Weise, so scheint sich die sensorische Einstellung pr\u00e4ziser auszubilden. Es w\u00e4re nun denkbar, dafs die Versuchspersonen bei den kleinen Differenzen, weil sie anfangs keine Unterschiede bemerken konnten, ganz besonders stark ihre Aufmerksamkeit angestrengt h\u00e4tten und dabei unwillk\u00fcrlich von dem ersten Verfahren zum zweiten \u00fcbergegangen w\u00e4ren. Der grofse Unterschied in der Unterschiedsempfindlichkeit, welcher nach den Versuchsreihen JB und C zwischen den beiden Versuchspersonen bei der Normalzeit 400 a existiert, w\u00fcrde sich dann vielleicht dadurch erkl\u00e4ren lassen, dafs die erste schon bei dieser Normalzeit die Spannung w\u00e4hrend jedes Versuchs aufrecht erhielt, und dafs die zweite Versuchsperson dies erst bei der Normalzeit 300 o' that.\nDie Versuchsreihe G habe ich einerseits unternommen, um das starke Wachstum der Unterschiedsempfindlichkeit bei den","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n59\nNormalzeiten 400 und 300 c, wie es sich aus der Versuchsreihe B ergiebt, zu kontrollieren und andererseits, um das Verhalten der Unterschiedsempfindlichkeit hei den kleineren Zeiten zu untersuchen. In Beziehung auf den ersten Punkt kann ich noch hinzuf\u00fcgen, dafs ich auch an mir Versuche mit Hauptzeiten von 300 und 400 c habe anstellen lassen, bei denen in regelloser Weise mit den verschiedenen Vergleichszeiten gewechselt wurde. Es ergab sich, dafs ich Differenzen, welche gleich dem dreifsigsten Teile der Hauptzeit waren, mit wenigen Ausnahmen richtig erkennen konnte. Was ferner das Verhalten der relativen Unterschiedsempfindlichkeit bei den kleineren Zeiten anbetrifft, so scheint dieselbe nach Versuchsreihe C abzunehmen. Indessen vermag ich dies noch nicht als konstatiert zu betrachten, da die bei den kleineren Hauptzeiten benutzte Differenz (10c) verh\u00e4ltnism\u00e4fsig zu grofs ist. Es ist sehr wohl m\u00f6glich, dafs Versuche mit kleineren Differenzen auch kleinere Werte f\u00fcr die Unterschiedsschwelle ergeben h\u00e4tten, indessen liefsen sich kleinere Differenzen mit meinen Apparaten nicht gen\u00fcgend genau herstellen.\nEs er\u00fcbrigt noch eine Betrachtung des konstanten Zeitfehlers. Nach den Versuchsreihen B und G ist derselbe bei Zeiten 600 o' (nach Fechners Bezeichnung) positiv. Diese Thatsache kann einerseits darauf beruhen, dafs der Nebeneindruck der \u00dcberraschung sich schon bei kleineren Differenzen geltend macht als der Nebeneindruck der gespannten Erwartung. Zweitens liegt aber auch noch ein anderer Gesichtspunkt sehr nahe. Wir haben n\u00e4mlich oben (S. 3) gesehen, dafs man sich beim Beobachten der Schl\u00e4ge eines Metronoms, wenn dieselben in Intervallen, welche kleiner als 0,6 Sek. sind, aufeinander-folgen, anstrengen mufs, um jedem Schlage zur richtigen Zeit mit der Aufmerksamkeit entgegen zu kommen, und wir haben ferner (S. 4) gesehen, dafs bei diesen kleinen Zeiten die Einstellung auf zwei verschiedene, unmittelbar aufeinander folgende Intervalle leichter geschieht, wenn das zweite Intervall gr\u00f6fser als wenn es kleiner ist. Diese Umst\u00e4nde legen die Vermutung nahe, dafs der Zeitfehler darin seinen Grund hat, dafs man leicht infolge einer Tr\u00e4gheit der Aufmerksamkeit auf das dritte Signal nicht fr\u00fchzeitig genug vorbereitet ist. Allerdings mufs dann auch das zweite Signal leicht eintreten, ohne dafs man auf dasselbe vorbereitet ist, indessen achtet man auf das-","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nF. Schumann.\nselbe wenig, wenn die Hauptzeit immer zuerst kommt. Ganz in \u00dcbereinstimmung hiermit w\u00fcrde stehen, dafs sich aus Versuchsreihe A ein negativer Zeitfehler ergeben hat. Denn da bei dieser mit der Zeitlage der Hauptzeit gewechselt wurde, konntedieVersuchsperson das zweite Signal nicht vernachl\u00e4ssigen. Es w\u00fcrde ferner hierdurch der Umstand seine Erkl\u00e4rung finden, dafs schlechtes Befinden den Zeitfehler wesentlich vergr\u00f6fserte, wie die Versuche mit der Hauptzeit 400 o' und einer Differenz von 10 a (Versuchsreihe JB) beweisen, da diese s\u00e4mtlich an einem Tage gemacht wurden, an welchem die Versuchsperson sich nach ihrer Aussage schlechter als sonst befand. Drittens w\u00fcrde sich dann noch auf die obige Annahme die Thatsache zur\u00fcckf\u00fchren lassen, dafs bei der zweiten Versuchsperson (P), bevor die maximale Ein\u00fcbung auf die Normalzeit 400 a erzielt war, ein auffallend grofser positiver Zeitfehler vorhanden war, welcher mit der Zunahme der \u00dcbung nachliefs.1\nNach dem Vorangegangenen d\u00fcrfte klar sein, dafs feinere Untersuchungen \u00fcber den Gang der Unterschiedsempfindlichkeit auf aufserordentlich grofse Hindernisse stofsen, zu deren \u00dcberwindung eminent viel Zeit geh\u00f6rt.\n\u00a7 io.\nVersuche nach der Bepr oduktionsmethode.\nBevor ich die im vorigen Paragraphen beschriebenen Untersuchungen unternahm, hatte ich zur ersten Orientierung \u00fcber Zeitsinnversuche eineVersuchsreihenach der Beproduktions-methode mit Zeiten von 0,6\u20145,0 Sek. angestellt. Ausgef\u00fchrt wurde dieselbe im Leipziger Institute w\u00e4hrend der Herbstferien 1889. Zu dem Zwecke hatte mir Herr Geheimrat Wundt mit grofser Bereitwilligkeit einen neueren, nach dem Muster des \u00e4lteren konstruierten Zeitsinnapparat zur Verf\u00fcgung gestellt. Die Versuche f\u00fchrte ich ganz in der Weise von Glass aus, indem ich die Versuche f\u00fcr dieselbe Hauptzeit auch an demselben Tage hintereinander ausf\u00fchrte und zwischen denselben nur so\n1 Sollte sich sp\u00e4ter bei Zeiten, welche grofser sind als die ad\u00e4quate, ein negativer konstanter Zeitfehler ergeben, so w\u00fcrde sich derselbe in ganz analoger Weise durch die Annahme erkl\u00e4ren lassen, dafs bei den gr\u00f6fseren Zeiten die Erwartung leichter etwas zu fr\u00fch als zu sp\u00e4t eintritt.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n61\nviel Pause machte, wie zur Aufzeichnung des Eesultates und zum Aufziehen des Apparates erforderlich war. Nach jeder Gruppe von 20 Versuchen machte ich dagegen eine etwas gr\u00f6fsere Pause von einigen Minuten, in welcher ich die Rotationsgeschwindigkeit des Rades mit einer F\u00fcnftelsekundenuhr kontrollierte. So habe ich f\u00fcr jede der unten angegebenen Hauptzeiten 80 Einzelversuche gemacht, indem ich jedesmal nach der Ingangsetzung des Uhrwerks, zwischen Daumen und Zeigefinger den arretierenden Hebel haltend, mit den Augen den Zeiger verfolgte, bis er sich den Ausl\u00f6sungsapparaten gen\u00e4hert hatte, und dann die Augen schlofs. Den Eintrittsmoment des ersten Signals konnte ich daher ziemlich genau vorhersehen. In der folgenden Tabelle sind die Resultate dieser Versuchsreihe enthalten und zwar stehen in der ersten Kolumne die Hauptzeiten, in der zweiten die konstanten Fehler und in der dritten die mittleren variabelen Fehler. Der konstante Fehler ist als positiv bezeichnet, wenn die Fehlzeit gr\u00f6fser war als die Hauptzeit.\nVersuchsreihe D.\nN\tc\tm\n0,64\t+ 0,000\t0,032\n0,83\t+ 0,007\t0,048\n0,99\t+ 0,030\t0,048\n1,25\t-f 0,070\t0,057\n1,50\t+ 0,007\t0,052\n1,75\t\u2014 0,007\t0,068\n2,00\t+ 0,015\t0,091\n2,25\t+ 0,023\t0,113\n2,50\t-f- 0,016\t0,113\n2,75\t\u2014 0,135\t0,094\n3,00\t\u2014 0,057\t0,165\n3,25\t\u2014 0,047\t0,133\n3,50\t\u2014 0,030\t0,173\n3,75\t+ 0,017\t0,159\n4,00\t+ 0,060\t0,290\n5,00\t+ 0,015\t0,293\nIch lege nicht viel Wert auf diese Versuchsreihe, weil ich Experimentator und Versuchsperson zugleich war und","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nF. Schumann.\ndaher immer \u00fcber den Ausfall der einzelnen Versuche unterrichtet war. Aufserdem sind die f\u00fcr die kleineren Zeiten erhaltenen Werte durch die Fehlerquellen der Versuchsanordnung zu sehr gest\u00f6rt und die f\u00fcr die gr\u00f6fseren Zeiten erhaltenen leiden unter dem Umstande, dafs ich keine unbeeinflufste Versuchsperson war. W\u00e4hrend ich n\u00e4mlich bei den kleineren Zeiten den Atem unwillk\u00fcrlich angehalten hatte, bis der Versuch beendet war, wurde dies bei Zeiten \u00fcber 2 Sek. sehr unbequem. Diese Unbequemlichkeit machte mich dann auf die Bedeutung der Atmungsth\u00e4tigkeit aufmerksam, so dafs ich von der Zeit an nicht mehr unbefangen war und mich absichtlich auf die periodische Th\u00e4tigkeit des Atmens st\u00fctzte. Die Versuche haben daher nicht mehr Wert wie die oben angef\u00fchrten Versuche von M\u00fcnsterberg.\nWas den konstanten Zeitfehler anbetrilft, so zeigt derselbe bei den kleineren Zeiten (in \u00dcbereinstimmung mit den Resultaten von Glass) eine Neigung zu positiven Werten. Ich habe nun schon oben (S. 34) bei Besprechung der GLASSschen Versuche daraufhingewiesen, dafs der positive konstante Fehler bei den kleineren Zeiten leicht in physikalischen Fehlerquellen der Versuchsanordnung seinen Grund haben kann, und dafs demgem\u00e4fs f\u00fcr den Fall des l\u00e4ngeren Operierens mit derselben Normalzeit eine \u00dcbersch\u00e4tzung kleiner Zeiten durchaus noch nicht bewiesen sei. Ich habe daher die Versuche sp\u00e4ter mit meinen verbesserten Apparaten nochmals aufgenommen. Mit H\u00fclfe des beschriebenen Rotationsapparates wurden der im Nebenzimmer sitzenden Versuchsperson zwei die Hauptzeit begrenzende Telephonsignale gegeben, und es wurde ihr die Aufgabe gestellt, durch Niederdr\u00fccken eines Reaktionstasters ein drittes die Fehlzeit begrenzendes Ger\u00e4usch zu erzeugen. Zwischen den Einzelversuchen lag dabei eine ganz kurze konstante Pause von wenigen Sekunden, so dafs die Versuchsperson sich immer gerade bequem wieder auf das erste Signal des n\u00e4chsten Versuchs vorbereiten konnte. Die Zwischenzeit zwischen dem ersten und dem zweiten Signal und diejenige zwischen dem zweiten Signal und dem Schlufs des Tasters wurden mit H\u00fclfe des Chronographen bestimmt. Allerdings konnten dabei nicht genau die Momente, in denen die Telephonsignale ert\u00f6nten, bestimmt werden, sondern nur die Momente, in denen der durch das Telephon gehende Strom geschlossen","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n63\nund ge\u00f6ffnet wurde, w\u00e4hrend der Beginn des dritten Signals sehr genau durch den Schlufs des durch den Taster gehenden Stromes markiert war. Da man nun bei einer genauen Vergleichung von Haupt- und Eehlzeit die Intervalle zwischen den Entstehungsmomenten der drei die Zeiten begrenzenden Ger\u00e4usche zu messen hat, so liefs sich zwar die Bestimmung der Hauptzeit sehr genau ausf\u00fchren, indem man die Stimmgabelschwingungen zwischen den beiden Strom\u00f6ffnungen z\u00e4hlte (da diese von dem Entstehungsmomente durch ein f\u00fcr meine Zwecke gen\u00fcgend konstantes Intervall getrennt sind), dagegen liefs sich die Vergleichszeit nicht so genau bestimmen, weil dazu der Entstehungsmoment des zweiten Signals h\u00e4tte bekannt sein m\u00fcssen. Ich habe daher das Intervall zwischen der zweiten Strom\u00f6ffnung und der dritten Stromschliefsung gemessen mit dem Bewufstsein, einen Fehler von wenigen Hundertsteln einer Sekunde zu begehen. Bei jeder Versuchsreihe liefs ich erst die Versuchsperson eine gr\u00f6fsere Reihe von Ein\u00fcbungsversuchen machen, ehe ich die Resultate durch den Chronographen fixierte. In den folgenden Tabellen stehen unter N die Hauptzeiten, unter m v die mittleren Variationen derselben, unter F die Eehlzeiten, unter m1 w1 ihre mittleren Variationen, unter c der konstante Zeitfehler und unter n die Anzahl der durch den Chronographen fixierten Einzelversuche.\nVersuchsreihe E (Versuchsperson P.)\nN\tmv\tF\tm, v-,\t\tc\tn\n755 a\t15 ff\t699 <r\t23 ff\t\u2014\t56 ff\tii\n734 \u201e\t7 \u201e\t703 \u201e\t27,\t\u2014\t31 *\t12\n517 \u201e\t7\u201e\t528 \u201e\t20,\t+\tH \u201e\t12\n495 \u201e\t5 \u201e\t485 \u201e\t21 \u201e\t\u2014\t10 \u201e\t11\n368 \u201e\t3 n\t339 \u201e\t26 \u201e\t\u2014\t29 \u201e\t15\n364 \u201e\t7 \u201e\t312 t\t21 n\t\u2014\t52 \u201e\t13\n321 ,,\t5 \u201e\t316 \u201e\t24,\t\u2014\t5 \u201e\t11\n311 \u201e\t5 \u00bb\t225 \u201e\tH *\t\u2014\t86 \u201e\t17\nVersuchsreihe F.\t\t\t(Versuchspers\t\ton Sch.)\t\nN\tmv\tF\tm, r.\t\tc\tn\n765 g\t5 G\t665 <r\t26 ff\t\u2014\t100 ff\t10\n509 \u201e\t6\t442 \u201e\t52 \u201e\t\u2014\t67 \u201e\t11\n363 \u201e\tV,\t291 \u201e\t26 \u201e\t\u2014\t72 \u201e\t16\n315 \u201e\t3 \u00bb\t302 \u201e\t36 \u201e\t\u2014\t13 \u201e\t16\n303 \u201e\t4 \u201e\t320 \u201e\t25 \u201e\t+\t17 \u201e\t15","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nF. Schumann.\nDa der Strom bei den gr\u00f6fseren der untersuchten Intervalle \u00fcberhaupt nur 0,07 und bei den kleineren 0,04 Sek. lang geschlossen -war, d\u00fcrfte 60 bezw. 30 <r das Maximum des bei der Berechnung begangenen Fehlers sein. Selbst wenn aber der Fehler diese Gr\u00f6fse gehabt haben sollte, w\u00fcrde doch von einer \u00dcbersch\u00e4tzung kleiner Zeiten keine Rede sein k\u00f6nnen. Soweit die stark variierenden Resultate \u00fcberhaupt ein Urteil erlauben, scheint eher eine Neigung zur Untersch\u00e4tzung kleiner Zeiten m\u00f6glich zu sein.\nJedenfalls geht aber aus den obigen Versuchsreihen hervor, dafs, wie ich schon oben aus anderen Gr\u00fcnden hervorgehoben habe, der mittlere Fehler nicht als ein Mafstab f\u00fcr die Unterschiedsempfindlichkeit betrachtet werden kann. Denn wenn auch die Anzahl der Versuche und die \u00dcbung der Versuchspersonen zu gering sind, um genaue AVerte liefern zu k\u00f6nnen, so kann man doch mit Sicherheit schliefsen, dafs die relative Unterschiedsempfindlichkeit von 0,7\u20140,3 Sek. eher abnehmen als zunehmen m\u00fcfste, wenn der mittlere Fehler wirklich als Mafs der Unterschiedsempfindlichkeit dienen k\u00f6nnte, w\u00e4hrend sie doch thats\u00e4chlich nach den fr\u00fcheren Versuchen aufser-ordentlich zunimmt. Es steht dieses Resultat ganz im Einklang mit dem, was oben (S. 7) \u00fcber die beim Reproduzieren und beim Vergleichen kleiner Zeiten stattfindenden psychischen Vorg\u00e4nge gesagt ist. Es ist dort hervorgehoben, dafs die durch Ein\u00fcbung hervorgerufene verh\u00e4ltnism\u00e4fsig genaue Reproduktion von Intervallen darauf beruht, dafs die von Innervationen begleitete Erwartung nach jedem Signale nachl\u00e4fst und zur richtigen Zeit sich wieder einstellt. Da nun aber bei den Zeiten unter 0,4 Sek. eine Erwartungsspannung w\u00e4hrend des ganzen Versuchs bleibt, so m\u00fcssen nat\u00fcrlich bei diesen Zeiten die Reproduktionen verh\u00e4ltnism\u00e4fsig ungenau ausfallen.\nDer Nachweis, dafs kleine Zeiten nicht durch Reproduktion \u00fcbersch\u00e4tzt werden, bezog sich nat\u00fcrlich nur auf den Fall, dafs eine gr\u00f6fsere Reihe von Versuchen hindurch mit derselben Hauptzeit operiert wird. AVird dagegen, wie es bei den Versuchen Vierordts geschah, fortw\u00e4hrend die Hauptzeit ge\u00e4ndert, und ist die Pause zwischen den einzelnen Versuchen nicht klein und konstant (bezw. wird nicht vor Beginn eines jeden Versuchs ein Zeichen gegeben), so liegen die Verh\u00e4ltnisse wesentlich anders. Dann kann sich die Versuchsperson nicht","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen.\n65\nauf die Hauptzeit einstellen und wird, gem\u00e4fs dem oben (S. 7) Bemerkten, bei den kleinen Zeiten leicht vom zweiten Signale \u00fcberrascht, so dafs die Bewegung zu sp\u00e4t eintritt. Ferner kommt bei gr\u00f6fseren Zeiten von 1\u20142 Sek. in Betracht, dafs man sich h\u00e4ufig sehr unsicher f\u00fchlt \u00fcber den Moment, in welchem die Bewegung auszuf\u00fchren ist, und infolgedessen zu lange mit der Bewegung z\u00f6gert. Was dann schliefslich die Thatsache anbetrifft, dafs der Zeitfehler nach den Versuchen Vierokdts bei gr\u00f6fseren Zeiten negativ wird, so d\u00fcrfte dieselbe wohl zum grofsen Teil in einer Eigent\u00fcmlichkeit der Reproduktions-methode ihren Grund haben. Die Reproduktionsversuche sind n\u00e4mlich offenbar ganz analog solchen Versuchen nach der Methode der Minimal\u00e4nderungen, bei welchen immer nur ein deutlich kleinerer Reiz allm\u00e4hlich vergr\u00f6fsert wird, bis er dem Hauptreize gleich erscheint, nie dagegen ein gr\u00f6fserer Reiz verkleinert wird. Wie bei solchen Versuchen der Durchschnitt der f\u00fcr eben gleich gehaltenen Vergleichsreize kleiner als der Hauptreiz sein wird, ebenso mufs auch die Fehlzeit bei den Reproduktionsversuchen kleiner als die Hauptzeit ausfallen.\n\u00a7 H-\nWeitere die Theorie best\u00e4tigende Versuchsthatsachen.\nIm Verlaufe der Versuche \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit haben die Versuchspersonen noch einige Angaben gemacht, welche als weitere Best\u00e4tigungen meiner Theorie betrachtet werden k\u00f6nnen. So erkl\u00e4rte bei den Versuchen \u00fcber die Hauptzeit 2,0 Sek., die Versuchsperson (Schl.), dafs ihr die Pause zwischen den Einzelversuchen, welche hier ebenfalls 2,0 Sek. betrug, kleiner als die Hauptzeit erscheine. Es erkl\u00e4rt sich dies leicht, wenn man bedenkt, dafs die Versuchsperson w\u00e4hrend der Pause ihr Urteil niederschreiben mufste (wenn auch nur mit 2 Buchstaben), und dafs deshalb eine Spannung der Erwartung vor dem ersten Signal des neuen Versuchs sich nicht leicht geltend machen konnte. Ebenso weist auf die Bedeutung der Spannungsempfindungen die weitere Angabe derselben Versuchsperson hin, dafs ihr das Intervall kleiner vorkomme, wenn\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nF. Schumann.\nsie mehr apathisch zuh\u00f6re, als dann, -wenn sie besser aufpasse.1 Besonders interessant ist aber drittens, dafs beide Versuchspersonen von selbst angaben, sie w\u00fcfsten h\u00e4ufig nicht, ob das dritte Signal fr\u00fcher als gew\u00f6hnlich eingetreten, oder ob es st\u00e4rker als gew\u00f6hnlich gewesen sei. Da diese Thatsache in Widerspruch mit der oben erw\u00e4hnten Angabe Mehners steht, habe ich, um ganz sicher zu gehen, noch besondere Versuche mit drei weiteren Versuchspersonen in der Weise angestellt, dafs ich in eine Reihe gleich starker und durch gleiche Intervalle voneinander getrennter Telephonger\u00e4usche pl\u00f6tzlich ein st\u00e4rkeres Signal einschaltete. S\u00e4mtliche Versuchspersonen erkl\u00e4rten, dafs das st\u00e4rkere Signal eine \u00dcberraschung hervorrufe, und dafs ihnen das dem st\u00e4rkeren Signale vorangehende Intervall deutlich kleiner als die \u00fcbrigen erscheine. Da nun nach meiner Theorie auch das fr\u00fcher als gew\u00f6hnlich eintretende Signal von einem Nebeneindruck der \u00dcberraschung begleitet ist, so ist dieser Nebeneindruck offenbar die Ursache der T\u00e4uschung.\nS. Hall hat, wie oben (S. 42) erw\u00e4hnt, konstatiert, dafs bei der Vergleichung eines mit Ger\u00e4uschen angef\u00fcllten Intervalls (von 1\u20142 Sek.) mit einem gleichen leeren Intervalle das letztere kleiner erscheint, wenn es dem vollen nachfolgt und von ihm durch eine Pause getrennt ist. Da die T\u00e4uschung nicht bei der umgekehrten Zeitlage der beiden zu vergleichenden Intervalle eintritt und aufserdem nur bei gr\u00f6fseren Pausen von mehreren Sekunden, liegt die Vermutung nahe, dafs sie durch den konstanten Zeitfehler hervorgerufen ist und dafs sie nichts mit der Vergleichung von vollen und leeren Intervallen zu thun hat. Um diese Vermutung zu pr\u00fcfen, setzte ich an die Stelle des vollen Intervalls auch ein leeres, und es zeigte sich in der That, dafs die T\u00e4uschung in unver\u00e4nderter Weise fortbestand. Die Ursache derselben d\u00fcrfte daher in folgenden Verh\u00e4ltnissen liegen. Nachdem die beiden das erste Intervall begrenzenden Signale vor\u00fcber sind, wartet die Versuchsperson gespannt auf das dritte Signal. Ist nun die Pause zwischen den beiden Intervallen ziemlich grofs, so tritt infolge der so lange dauernden gespannten Erwartung eine Erm\u00fcdung der Aufmerksamkeit ein, welche bewirkt, dafs die Versuchs-\n1 Dieselbe Angabe machte auch noch eine andere Versuchsperson bei Gelegenheit von Probeversuchen.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen.\n67\nperson nach dem dritten Signale nicht fr\u00fchzeitig genug auf das die zweite Zeit abgrenzende Signal vorbereitet ist und demgem\u00e4fs von demselben \u00fcberrascht wird. Die Dichtigkeit dieser Erkl\u00e4rung ergiebt sich daraus, dafs die T\u00e4uschung nach-l\u00e4fst, wenn der Versuchsperson vor Beginn des zweiten Intervalls ein vorbereitendes Zeichen gegeben und ihr zugleich aufgetragen wird, sich w\u00e4hrend der Pause zu zerstreuen und nicht so lebhaft den Eintritt des dritten Signals zu erwarten.\nEndlich m\u00f6chte ich noch Versuche erw\u00e4hnen, welche ich angestellt habe, um weiteres Material zur Begr\u00fcndung meiner Theorie anzusammeln, welche aber teils nur wenig, teils gar keinen Erfolg gehabt haben. Einmal suchte ich festzustellen, in welchem Verh\u00e4ltnisse zwei unmittelbar aufeinanderfolgende gleiche Intervalle erscheinen, wenn die beiden ersten Signale dem einen Ohre gegeben werden, das dritte aber dem anderen Ohre. Ich benutzte zu dem Zweck zwei gleiche Telephone, welche die Versuchsperson an die Ohren hielt. Mir selbst erschien unter diesen Umst\u00e4nden bei Intervallen von 1\u20142 Sek. das zweite im allgemeinen gr\u00f6fser zu sein. Der Grund hierf\u00fcr d\u00fcrfte, wenn ich mich auf die innere Wahrnehmung verlassen kann, darin liegen, dafs infolge der ungewohnten Versuchsanordnung meine Erwartung auf das dritte Signal besonders gespannt war. Ich betrachtete unwillk\u00fcrlich die beiden ersten Signale gleichsam nur als vorbereitende Zeichen f\u00fcr das dritte Signal, welches dadurch, dafs es ungew\u00f6hnlicherweise dem anderen Ohre dargeboten wurde, olfenbar mein besonderes Interesse erregte. Bei kleineren Intervallen modifizierte ich den Versuch noch in der Weise, dafs erst die drei Signale demselben Ohre dargeboten wurden, und dafs dann unerwartet bei einem weiteren Versuche das dritte Signal vor dem anderen Ohre eintrat. War meine Aufmerksamkeit in diesem Falle ganz auf dasjenige Ohr konzentriert, vor welchem die ersten Signale ert\u00f6nten, so wurde durch das dritte Signal der Nebeneindruck der \u00dcberraschung wachgerufen, und das zweite Intervall erschien demgem\u00e4fs k\u00fcrzer. War die Aufmerksamkeit weniger auf das eine Ohr konzentriert, so schienen die Intervalle ziemlich gleich zu sein. Eine zweite Versuchsperson zeigte indessen ein anderes Verhalten. Dieselbe hatte, wenn das dritte Signal vor dem zweiten Ohre ert\u00f6nte, den optischen Nebeneindruck (Vorstellungsbild), dafs sich ein Objekt von dem\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nF. Schumann.\neinen Ohre zum anderen um den Kopf herum bewegte. Das zweite Intervall erschien ihr infolgedessen l\u00e4nger. Bei weiteren Versuchen konnte ich dann auch an mir dasselbe Verhalten konstatieren.\nVollst\u00e4ndig ohne Erfolg waren andere Versuche, auf welche mich die folgende \u00dcberlegung f\u00fchrte: L\u00e4fst man eine Versuchsperson auf eine Reihe von einfachen, in gleichen Intervallen sich wiederholenden Schallreizen achten, so wird nach erfolgter Einstellung der Aufmerksamkeit die Reizschwelle in den Momenten, in welchen die Reize entstehen, vielleicht kleiner sein als in den zwischenliegenden Intervallen. Um dies zu pr\u00fcfen, schaltete ich in eine Reihe von Telephonger\u00e4uschen pl\u00f6tzlich ein nahe der Reizschwelle liegendes Ger\u00e4usch ein und stellte fest, ob dieses letztere, wenn es in dem gewohnten Intervalle eintrat, unter einer gr\u00f6fseren Anzahl von F\u00e4llen \u00f6fter erkannt wurde als bei fr\u00fcherem Eintritte. Trotz sorgf\u00e4ltiger Anordnung des Versuchsverfahrens ergab sich kein Unterschied in beiden F\u00e4llen. Dieses negative Resultat beweist jedoch nichts zu Ungunsten der oben entwickelten Anschauung, denn es ist zu bedenken, dafs sich die sinnliche Aufmerksamkeit auch der Intensit\u00e4t eines Sinneseindruckes anpafst und dafs hierdurch m\u00f6glicherweise eine Erh\u00f6hung der Reizschwelle verursacht werden kann.\nNur geringe Ausbeute lieferten schliefslich noch Versuche, bei welchen ich die Atmungskurve der Versuchsperson mit H\u00fclfe eines MAREYschen Pneumographen neuester Konstruktion (vgl. E. Cyon, Methodik der physiologischen Experimente, Giefsen 1876, S. 210) und zugleich die Momente, in welchen die Signale eintraten, mit H\u00fclfe eines PFEiLschen Zeitmarkierers auf einer berufsten Trommel registrierte. Ich versuchte zun\u00e4chst, der Versuchsperson das Aufschreiben der Atmungskurve zu verheimlichen, indem ich ihr vor Beginn der Versuche die Augen verband und dann erst den Pneumographen auf ihrer Brust befestigte. Als dieselbe jedoch dabei von selbst den Zweck meiner Manipulationen erriet, machte ich kein Geheimnis mehr aus meinen Absichten, sch\u00e4rfte ihr aber dringend ein, dafs sie sich nicht absichtlich auf die Atmungsth\u00e4tigkeit st\u00fctzen d\u00fcrfe, dafs sie vielmehr die Aufmerksamkeit m\u00f6glichst von der Atmung abzulenken habe. Trotzdem scheint die Atmung nicht ganz ohne Einflufs auf die Zeitsch\u00e4tzung gewesen zu sein,","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung Meiner Zeitgr\u00f6fsen.\n69\nwenigstens deutet darauf hin die Thatsache, dafs die Anzahl der Atemz\u00fcge in der Minute bei Versuchen mit einer Hauptzeit von 3 Sek. ca. 20 betrug, hei Versuchen mit einer Hauptzeit von 5 Sek. dagegen nur ca. 12. Auch waren die Differenzen, welche durchschnittlich richtig erkannt wurden, so grofs, dafs die Urteile hei Beachtung der Atmungsth\u00e4tigkeit im allgemeinen wohl ebenso richtig ausgefallen w\u00e4ren; indessen kamen auch F\u00e4lle vor, in denen auf Grund der Atmungskurve ein entgegengesetztes Urteil erwartet werden mufste. Von den zahlreichen Einzelheiten, welche M\u00fcnsterberg \u00fcber die \u00c4nderung seiner Atmungsth\u00e4tigkeit beim Zeitsch\u00e4tzen angegeben hat, war dagegen nichts zu bemerken ; auch zeigte sich in den F\u00e4llen, in welchen infolge Kontrastes die Spannung der Erwartung besonders stark angewachsen war, keine \u00c4nderung der Atmungskurve. Sonst war aus den Kurven nur zu ersehen, dafs die Atemz\u00fcge w\u00e4hrend der Versuche weniger tief waren als gew\u00f6hnlich.","page":69}],"identifier":"lit15036","issued":"1893","language":"de","pages":"1-69","startpages":"1","title":"\u00dcber die Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6\u00dfen","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:57:01.359018+00:00"}