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{"created":"2022-01-31T16:53:12.315190+00:00","id":"lit15042","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Gottlieb Friedrich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 79-82","fulltext":[{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n79\n(493). Wie aus obigem erhellt, steht Verfasser vorwiegend unter dem geistigen Einfl\u00fcsse Lotzes.\nStrong (Worcester. U. S.).\nE. W. Scripture. The problem of psychology. Mind, XVI (1891), S. 305 \u2014 326.\nZweck des Aufsatzes ist, eine klare Unterscheidung der Psychologie und der anderen Wissenschaften herzustellen und so die der Psychologie eigent\u00fcmliche Aufgabe zu bestimmen.\nNachdem in engem Anschlufs an Wundt (Philos. Stud. V, 1) eine allgemeine Einteilung der Wissenschaften gegeben ist, wird in drei Abschnitten das Verh\u00e4ltnis der Psychologie zu den physikalischen Wissenschaften, zu den Geisteswissenschaften und zur Philosophie der \u00dfeihe nach er\u00f6rtert.\nDer Verfasser, welcher, um sich von jeder metaphysischen Theorie frei zu machen, als \u201epsychologisches Axiom\u201c den Grundsatz aufstellt: \u201eDie geistigen Ph\u00e4nomene k\u00f6nnen die materiellen weder beeinflussen, noch von ihnen beeinflufst werden\u201c, gelangt zu den folgenden, von ihm selbst formulierten Ergebnissen :\n1.\tPsychologie ist die Wissenschaft der geistigen Prozesse und nicht der geistigen Inhalte.\n2.\tSie ist eine Geisteswissenschaft, nicht Physiologie des Gehirns.\n3.\tSie ist eine Spezialwissenschaft, nicht ein Teil der Philosophie.\n4.\tSie ist beschreibende und erkl\u00e4rende, nicht kritische Wissenschaft.\n5.\tSie ist eine unentbehrliche H\u00fclfswissenschaft f\u00fcr die physikalischen, die \u00fcbrigen Geisteswissenschaften, wie f\u00fcr die philosophischen und didaktischen Wissenschaften.\nG\u00f6tz Martius (Bonn).\nHugo M\u00fcnsterberg. \u00dcber Aufgaben und Methoden der Psychologie.\nLeipzig 1891. 182 S. 8\u00b0. Zweites Heft der \u201eSchriften der Gesellschaft f\u00fcr psychologische Forschung\u201c.\nDer Verfasser unterscheidet zun\u00e4chst mit anerkennenswerter Klarheit Psychologie und Psychophysiologie, d. h., Wissenschaft von den Bewufstseinsph\u00e4nomenen und Wissenschaft von den Beziehungen derselben zu physiologischen Ph\u00e4nomenen. Daran aber schliefst sich sofort eine Behauptung, die mir bis jetzt durch die H\u00e4ufigkeit ihrer Wiederholung nicht verst\u00e4ndlicher geworden ist. Die Psychologie soll eingeschr\u00e4nkt sein auf Beschreibung und Zerlegung der Bewufstseins-erscheinungen. Warum? \u2014 Weil der Versuch, weiter zu gehen und Bewufstseinserscheinungen zu erkl\u00e4ren, auf unbewufste Thatbest\u00e4nde f\u00fchrt und unbewufste psychische Thatbest\u00e4nde unbewufste Bewufstseinserscheinungen w\u00e4ren. Damit scheint f\u00fcr M. die Sache in allem Ernste abgethan. Dafs es einen weiteren und dennoch wohl abgegrenzten Begriff des Psychischen giebt, f\u00fcr den jene ganze Deduktion nicht gilt, ist M. sehr wohl bekannt. Warum verschweigt er es? So geschieht es, dafs M. bei Aufz\u00e4hlung der psychologischen Methoden die wichtigste \u00fcbersieht, n\u00e4mlich die psychologische.\nLassen wir den Streit \u00fcber das Wort \u201epsychisch\u201c. Die Frage, auf","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nLitteraturbericht\ndie es einzig ankommt, ist die: Kann der Psychologe aus den Bewufst-seinspli\u00e4nomenen solche jenseits des Bewufstseins liegende Thatbest\u00e4nde erschliefsen, die geeignet sind, die kausalen L\u00fccken zwischen den Be-wufstseinsph\u00e4nomenen auszuf\u00fcllen und so das Dasein, Kommen und Gehen der Bewufstseinsinhalte \u2014 gleichg\u00fcltig, in welchem Mafse oder innerhalb welcher Grenzen \u2014 verst\u00e4ndlicher zu machen? Mufs die Frage bejaht werden, dann giebt es eine Psychologie, die mehr ist als Beschreibung und Zerlegung. Es hat aber Psychologen gegeben, die Schl\u00fcsse der bezeichneten Art gezogen und damit f\u00fcr die Existenz einer solchen Psychologie den Thatsachenbeweis geliefert haben. Ich nehme mir die Freiheit, mich zu ihnen zu rechnen. Man entkr\u00e4fte diesen Thatsachenbeweis oder unterlasse es, immer und immer wieder in jenen leeren Redewendungen sich zu ergehen. Wissenschaftliche Leistungen negiert man weder durch Machtspr\u00fcche noch dadurch, dafs man sie ignoriert und, ohne auf Gr\u00fcnde sich einzulassen, bei seinen Vorurteilen beharrt. M. fordert am Schlufs seines Buches regelm\u00e4fsig wiederkehrende nationale Psychologenkongresse. Dies setzt Psychologen voraus, die bereit sind, zu lernen und auf Gr\u00fcnde zu h\u00f6ren.\nIndessen ist M\u00fcnsterbergs Behauptung gewifs nicht allzu ernst gemeint. Sie ist ein Paradepferd, auf dem sich M\u00fcnsterberg im Ernstfall, ebenso wie andere Psychologen, zu reiten h\u00fctet. Die Physiologie soll das seelische Leben erkl\u00e4ren. Aber M. weifs recht wohl, dafs die Physiologie in diesem Erkl\u00e4rungsgesch\u00e4ft genau soweit auf gutem Wege zu sein pflegt, als sie von einer gesunden Psychologie geleitet wird. Wie sollte es auch anders sein! Jedem Bewufstseinsvorgang, sagt man, entspreche ein physiologischer Thatbestand ; dagegen behauptet niemand dasUmgekehrte. Also kann man aus Psychischem auf Physisches schliefsen, nicht umgekehrt. Angenommen nun, man w\u00fcfste bereits, wie die physiologischen Thatbest\u00e4nde aussehen, die bestimmten Bewufstseinserschei-nungen entsprechen, dann gewifs k\u00f6nnte man versuchen, f\u00fcr jene physiologischen und damit indirekt auch f\u00fcr die Bewufstseinserseheinungen die Mittelglieder auf rein physiologischem Wege zu suchen. So lange aber jene Voraussetzung nicht erf\u00fcllt ist, wird man gut thun, zun\u00e4chst die Frage zu stellen, welche Mittelglieder vom psychologischen Standpunkt aus gefordert sind, wie dieselben beschaffen sein m\u00fcssen, wenn aus ihnen das Dasein und der Wechsel der Bewufstseinsinhalte begreiflich werden soll. Ist diese Frage, soweit es n\u00e4mlich angeht, beantwortet, also der Zusammenhang des seelischen Lebens, soweit es psychologisch m\u00f6glich ist, bestimmt, dann kann die Psychophysiologie dazu \u00fcbergehen, nun auch die physiologische Bestimmung zu versuchen. \u2014 Ist, so frage ich, das Ged\u00e4chtnis eine physiologische Entdeckung, oder sucht die Physiologie nach seiner physiologischen Bestimmung, weil schon die allerpopul\u00e4rste Psychologie \u2014 und schon seit Jahrtausenden \u2014 diese Annahme hat machen m\u00fcssen?\nEs geht aber auch nicht an, aus dem Parallelimus des Physischen und Psychischen ohne Beweis eine allgemein g\u00fcltige Thatsache zu machen. Es w\u00e4re beispielsweise wohl denkbar, dafs alle Empfindungen und Reproduktionen von solchen ihre physiologische Basis h\u00e4tten, die","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n81\nGef\u00fchle aber, die nur unter gewissen Umst\u00e4nden sich einstellende Begleiterscheinungen derselben sind, einer besonderen physiologischen Basis entbehrten. F\u00fcr M. steht das Gegenteil ohne Beweis fest. Freilich l\u00e4fst er die Gef\u00fchle in k\u00f6rperliche Empfindungen sich aufl\u00f6sen. Aber darin, wie in der ganzen Art M\u00fcnsterbergs mit k\u00f6rperlichen Empfindungen, vor allem Muskelempfindungen alles zu machen, steckt wiederum ein Dogma, und zwar ein solches, das mir nur aus dem Interesse, nach M\u00f6glichkeit dem physiologischen Gebiete sich zu n\u00e4hern, verst\u00e4ndlich wird. Gewifs war M. im Zusammenhang der vorliegenden Schrift nicht verpflichtet, sich mit den Gr\u00fcnden und Thatsachen, die gegen jene Theorie vorgehracht worden sind, abzufinden. Er war aber auch nicht berechtigt, sie ohne Versuch der Bechtfertigung wie etwas Selbstverst\u00e4ndliches auszusprechen und so der Psychologie nicht blofs ihre Methode, sondern zugleich ihren Inhalt vorschreiben zu wollen. Methoden sind nicht Ergebnisse, und Behauptungen sind keines von beidem.\nNoch weiter geht mein Widerspruch. Das Beden von einem Parallelismus des Physischen und des Psychischen ist ein unw\u00fcrdiges Versteckspiel, wenn man damit der kausalen Beziehung zwischen beidem entgehen will: Steht es fest, dafs bestimmte Bewufstseinserscheinungen unweigerlich da sind, wenn bestimmte physiologische Thatbest\u00e4nde da sind, und dafs sie nicht da w\u00e4ren, wenn die physiologischen Thatbest\u00e4nde nicht da w\u00e4ren, dann ist Psychisches durch Physisches \u201ehervorgebracht\u201c oder \u201eerzeugt\u201c ; denn das \u201eHervorbringen\u201c oder \u201eErzeugen\u201c hat nirgends einen anderen Sinn. Steht dies aber fest, dann ist man verpflichtet, sich au fragen, ob man den Gedanken, der physiologische Zusammenhang erkl\u00e4re sich trotz der begleitenden psychischen Ph\u00e4nomene vollst\u00e4ndig nach den sonst \u00fcblichen physiologischen Gesetzen, vor seinem logischen Gewissen verantworten kann. Physiologische Erkl\u00e4rung ist mechanische Erkl\u00e4rung. Dafs aber aus mechanischen Bedingungen nach bestimmten mechanischen Gesetzen bis zu einem gewissen Punkte nur mechanische Folgen, jenseits dieses Punktes nach denselben mechanischen Gesetzen aufser den durch sie vorgeschriebenen mechanischen Folgen noch etwas anderes, n\u00e4mlich ein Psychisches, sich ergeben solle, ist f\u00fcr mich immer noch, trotz gegenteiliger Versicherungen, ein Widerspruch, gleichbedeutend mit Aufhebung des Kausalgesetzes. Und eine solche kann selbst der Psychophysiologie nicht gestattet werden. Mit dieser h\u00f6chst trivialen Bemerkung will ich nicht etwa irgend welcher metaphysischen Annahme das Wort reden, sondern nur an die, wie f\u00fcr alle Wissenschaft, so auch f\u00fcr die Psychophysiologie notwendige, jetzt aber bei letzterer etwas aus der Mode gekommene Tugend der Vorsicht erinnern. Gewifs darf die Physiologie nur mechanisch erkl\u00e4ren. Aber sie darf nicht im voraus bestimmen, wieweit sie damit kommt. Auch in dieser Vorausbestimmung liegt eine Verwechselung von Methode und Dogma.\nUm es kurz zu sagen, so ist meine Meinung die: Sehe jeder, der an den Aufgaben der Psychologie mit arbeiten will, wieweit er auf seinem Wege komme; und hemesse jeder den Wert seiner Methode nach den vorliegenden Leistungen, nicht nach irgend welcher a priori feststehenden Meinung. Methoden sind wertvoll wegen ihrer Ergebnisse ; nicht umgekehrt.\n6\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nLitteraturbericht.\nIm \u00fcbrigen bin ich weit entfernt, dem M\u00fcNSTERBERGschen Buche seinen Wert abzusprechen. Die Unterscheidung der Methoden ist lichtvoll und die Abgrenzung der Aufgaben, soweit nicht M\u00fcnsterbergs Liebhaberei f\u00fcr Bewegungsempfindungen u. dgl. st\u00f6rend eingreift, anerkennenswert vorurteilsfrei. Vor allem hebe ich hervor die ausdr\u00fcckliche Betonung der Selbstverst\u00e4ndlichkeit, dafs alle psychologische Einsicht schliefslich direkt oder indirekt auf der vielfach schief aufgefafsten und dann mit scheinbarem Rechte geschm\u00e4hten \u201einneren\u201c Beobachtung beruht. Freilich versteht hier M. unter \u201eBeobachtung\u201c nicht ganz das, was man sonst darunter versteht. Die wissenschaftlich wertvolle innere Beobachtung ist ihm diejenige, die mit dem Beobachtungsobjekt gleich die Vorstellung seiner Bedingungen verbindet, und unter diesen Bedingungen versteht M. im wesentlichen die anatomisch - physiologischen Bedingungen. Ich meine, Beobachten heifse Beobachten, und nicht, wirkliche oder vermeintliche Kenntnisse, am wenigsten physiologische oder psychophysiologische Theorien in das zu Beobachtende einmengen. Thut man dies, dann ist es kein Wunder, wenn die Beobachtungen die vorher feststehenden Theorien best\u00e4tigen. In der That wird M. auf solche Weise \u201ebeobachtet\u201c haben, dafs alle Gef\u00fchle, Triebe, Willensakte etc. aus k\u00f6rperlichen Empfindungen sich zusammensetzen.\nSchliefslich bin ich auch mit M\u00fcnsterbergs Schlufsbemerkung durchaus einverstanden. Besondere psychologische Lehrst\u00fchle sind ein Erfordernis, und auch mir will es scheinen, dafs kein Mediziner oder Jurist, kein Theologe oder P\u00e4dagoge in seinen Beruf eintreten sollte ohne gr\u00fcndliche psychologische Kenntnis. Mit welchem Rechte M\u00fcnsterberg Psychologie und Philosophie trennt und letztere mit der Erkenntnislehre identifiziert, verstehe ich freilich nicht. Ich sehe in der Erkenntnislehre, da sie nun doch einmal mit der Erkenntnis zu thun hat, ebenso wie in der Ethik und \u00c4sthetik eine psychologische und damit philosophische Disziplin. Dies hindert doch nicht, dafs die psychologische Forschung als die Grundlage aller sonstigen philosophischen Arbeit besonderen H\u00e4nden anvertraut werde.\tLipps (Breslau).\nE. Krapelin. Zur Kenntnis der psychophysischen Methoden. Philos.\nStudien VI, (1891). S. 493 \u2014 513.\nKrapelin unterscheidet direkte und indirekte Methoden. Die ersteren teilt er wieder in zwei Gruppen, in Grenzmethoden und Differenzmethoden.\nGrenzmethoden sind die Methode der e. m. Unterschiede und die Methode der mittleren Fehler. Bei ihnen werden Grenzwerte gesucht und entweder festgestellt, \u201ewie grofs der Unterschied zweier Reize sein mufs, damit sie als ungleich aufgefafst werden\u201c, oder es wird die Reizdifferenz bestimmt, \u201ebei welcher noch die Empfindung der Gleichheit bestehen kann\u201c (S. 494).\nDie Methode der r. u. f. F\u00e4lle will Krapelin in ihrer hergebrachten Form nicht bestehen lassen. Sie vereinigt verschiedene Sch\u00e4tzungsprinzipien, wie sich in der Schwierigkeit der Behandlung der Gleichheitsf\u00e4lle zeigt. Die scheinbaren Gleichheitsf\u00e4lle d\u00fcrfen nicht als \u201efalsche\u201c","page":82}],"identifier":"lit15042","issued":"1893","language":"de","pages":"79-82","startpages":"79","title":"Hugo M\u00fcnsterberg: \u00dcber Aufgaben und Methoden der Psychologie. Leipzig, 1891, Zweites Heft der \"Schriften der Gesellschaft f\u00fcr psychologische Forschung\"","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:53:12.315196+00:00"}