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{"created":"2022-01-31T16:58:24.419746+00:00","id":"lit15050","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"St\u00f6hr","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 90-92","fulltext":[{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nLitteraturberichi.\nJ. WiESNER. Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanz. Wien, Holder, 1892. 283 S.\nDas vorliegende Werk eines Spezialisten der Pflanzenphysiologie enth\u00e4lt eine F\u00fclle von anregenden und neuen Vorstellungen \u00fcber die wesentlichen Eigenschaften und die letzten noch lebenden Einheiten der organischen Materie. Es wird daher auch f\u00fcr die Leser dieser Zeitschrift von Interesse sein, wenn wir auf seine Hauptergebnisse kurz aufmerksam machen.\nDie Organe der Organismen sind bekanntlich aus Geweben zusammengesetzt und diese aus Zellen. Innerhalb der Zellen k\u00f6nnen wir viele lebende Teile sichtbar machen. Soweit wir nun derzeit sehen k\u00f6nnen, sehen wir alles Lebende in Teilung begriffen. Die Organismen teilen sich bei geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung, die Gewebebildung im Organismus erfolgt durch Teilung der Zellen; Man blieb in fr\u00fcheren Zeiten bei der Zelle als einem letzten sich teilenden K\u00f6rper (Teilungsk\u00f6rper oder Teilk\u00f6rper) stehen. Vor mehreren Jahren wurde f\u00fcr tierische und pflanzliche Zellen der Nachweis geliefert, dafs innerhalb der Zelle der Zellkern selbst auch ein Teilk\u00f6rper sei, weil dieser wiederum aus Zellkernen und aus diesen nur durch Teilung entsteht. Auch da konnte man nicht stehen bleiben. Innerhalb des Kernes fand man die Kernf\u00e4den, welche sich teilen. Auch innerhalb des Protoplasmas hat man wiederum K\u00f6rper gefunden, die sich selbstst\u00e4ndig teilen, die Chromatophoren und die Plastiden. Da erhebt sich die Frage: Giebt es \u00fcberhaupt eine Grenze der Teilungsf\u00e4higkeit der lebenden Materie, und wo ist diese zu suchen? Eine Grenze mufs wohl angenommen werden, soferne man \u00fcberhaupt den atomistischen Standpunkt nicht verlassen will. Aber wo ist diese Grenze zu suchen? Diese Grenze liegt jedenfalls \u00fcber dem Molekularen. Das Molek\u00fcl kann der letzte Teilk\u00f6rper nicht sein, weil es sich nicht nach Art der lebenden Materie teilt; die letztere Teilung liefert immer Teilungsprodukte der gleichen Organisationsart, welche den Typus des urspr\u00fcnglich Einen fortsetzen. Ein Molek\u00fcl Oxals\u00e4ure hingegen teilt sich nicht wiederum in Oxals\u00e4ure, sondern in Kohlens\u00e4ure, Kohlenoxyd und Wasser. \u00dcberdies, wenn ein Molek\u00fcl sich teilt, so ist dies nicht die Folge von Assimilation und Wachstum wie bei der lebenden Materie. Der letzte Teilk\u00f6rper ist also viel h\u00f6her zu suchen; aber auch nicht zu hoch. Es ist n\u00e4mlich zun\u00e4chst kein Grund vorhanden, die Teilungsf\u00e4higkeit dort aufh\u00f6ren zu lassen, wo sie nach dem augenblicklichen Stande der Forschung aufh\u00f6rt sichtbar gemacht werden zu k\u00f6nnen. Es ist aber andererseits in dem sichtlich sehr heterogenen Resultate der in raschem Gange befindlichen Forschung ein Grund vorhanden, die Grenze des organischen Teilungsvorganges tief nach unten zu verlegen. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dafs die Teilung des ganzen Protoplasmak\u00f6rpers auf innerer Teilung beruht und von Teilungsk\u00f6rpern ausgeht, welche in der Teilungszone des Protoplasmas liegen. Es werden Thatsachen vorgef\u00fchrt, welche darauf hinweisen, dafs auch Chromatophoren und Plastiden nicht letzte Teilk\u00f6rper sind. In gewissen F\u00e4llen ist auch die Zellhaut als selbst\u00e4ndiger Teilungsk\u00f6rper zu betrachten. Irgendwo mufs es also","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n91\nletzte Gebilde geben, welche zwar selbst noch teilungsf\u00e4hig sind, aber nicht aus Gebilden zusammengesetzt sind, welche wiederum die F\u00e4higkeit organischer Selbstteilung h\u00e4tten. Ein letztes Gebilde dieser Art, welches noch die organische Teilungsf\u00e4higkeit besitzt, nennt Wiesner ein Plasom. Die Selbstteilungen der Organismen und der h\u00f6heren Gebilde innerhalb der Organismen sind nun nichts anderes als Summen von Plasomteilungen. Die Eigenschaften des Plasoms ergeben sich logischerweise aus der Eigenschaft der Selbstteilungsf\u00e4higkeit im Sinne organischer Teilung. Sollen die Plasomen immer und immer sich teilen, ohne jemals auf Molek\u00fcle reduziert zu werden, so m\u00fcssen sie zwischen den Zeitpunkten der vollendeten Teilungen wachsen; sollen sie wachsen k\u00f6nnen, so m\u00fcssen sie assimilieren; soll das Plasom dabei ein gleich organisierter K\u00f6rper bleiben, so mufs es die assimilierte Substanz im Sinne der Fortsetzung seiner Organisation aggregieren; eine blofse Ver-gr\u00f6fserung der Teile eines elementaren Organismus verbunden mit best\u00e4ndig wieder kehrenden Teilungen m\u00fcfste die Reduzierung des Organismus auf eine Molek\u00fclgruppe, also die Vernichtung der Organisation zur Folge haben.\nEine andere Eigenschaft der lebenden Materie ist die, dafs gewisse Gebilde untereinander verwachsen und dabei eine Organisation von neuer Individualit\u00e4t ergeben. Ein Beispiel hierf\u00fcr ist das Verwachsen von Geschlechtsprodukten. Es mufs daher angenommen werden, dafs auch die \"V erwachsungen im letzten Grunde die Verwachsungen von Plasomen sind, wobei nach der Verwachsung eine Organisation neuer Individualit\u00e4t vorhanden ist, welche von der Organisation der verwachsenden elementaren Organismen abh\u00e4ngt. Von da aus sind selbst solche Erscheinungen plausibel wie die Gallenbildung durch Einf\u00fchrung eines Insekteneies; in solchen und vielen anderen F\u00e4llen entsteht ein eigenartiger Organisationscharakter nach Analogie einer organischen Spezies, der sich imgezwungen kaum anders als durch Verwachsung der Pla-some der Symbionten verst\u00e4ndlich machen l\u00e4fst.\nDiese Vorstellung der Elementarorganismen ist dem sinnlichen Eindr\u00fccke der lebenden Materie entnommen. Dadurch ist der Gegensatz dieser Plasomentheorie zur Micellartheorie N\u00e4gelis bezeichnet. Das Micell hat ein der toten Materie entnommenes Vorbild, den Krystall. Der Krystall w\u00e4chst durch molekulare Apposition; die TRAUBEsche k\u00fcnstliche Zelle w\u00e4chst durch molekulare Intussusception. Niemals aber hat sich ein Krystall infolge der molekularen Apposition und wiederholt geteilt. Niemals hat sich eine Niederschlagsmembran infolge der molekularen Intussusception in zwei k\u00fcnstliche Zellen teilen k\u00f6nnen, die das Wachstum fortsetzen und selbst\u00e4ndig infolge ihres Wachstums die Teilung wiederholen. Niemals verw\u00e4chst ein Krystall mit einem zweiten zu einem einheitlich neuen Krystalle resultierender Form.\nDie weittragenden Konsequenzen der Plasomentheorie f\u00fcr die Hypothese der Generatio spontanea sind klar. Das Plasom entsteht nicht wie der Krystall gewissermafsen spontan aus einer L\u00f6sung, ohne Mitwirkung der bereits organisierten Materie. Die Plasomtheorie macht auch die Erscheinungen der Vererbung verst\u00e4ndlicher und verbreitet","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nLitter a turbericht.\nneues Licht \u00fcber den Generationswechsel, unter welchen Gesichtspunkt der Verfasser auch Adventivbildungen phanerogamer Pflanzen bringt, wenn diese Bildungen in den normalen Entwickelungskreis eintreten.\nReferent ist der Ansicht, dafs die Plasomtheorie auch f\u00fcr die Auffassung sinnesphysiologischer Prozesse von grofser Bedeutung ist. Es geht nicht gut an, die Empfindungsinhalte den chemischen und physikalischen Prozessen direkt zugeordnet zu denken, so dafs auch jedem Prozesse an toter Materie Empfindung zugeordnet w\u00e4re. Es ist auch befremdend, die Empfindungen bestimmten chemischen Individuen bei deren Zersetzung zugeordnet sein zu lassen. Viel ungezwungener ist die Auffassung, dafs die molekularen Prozesse im Nervensysteme die Lebensvorg\u00e4nge in den Plasomen ver\u00e4ndern, und dafs gewissen Lebensvorg\u00e4ngen bestimmte Empfindungen zugeordnet seien. Es kann ja vorl\u00e4ufig dahingestellt bleiben, ob es sich in dieser Beziehung zun\u00e4chst um Teilung oder um Assimilation oder um Sekretion oder auch um Kontraktion handelt. Es soll dabei nicht die Zuordnung von Empfindungsinhalt an Lebensvorg\u00e4nge der Plasome oder eines sich selbst bauenden Plasomengeb\u00e4udes in toto als solche erkl\u00e4rt werden, sondern nur jene unbegriffen bleibende Zuordnung gew\u00e4hlt sein, welche den Thatsachen am besten gerecht wird, insoferne sie die Thatsachen am ungezwungensten ordnen hilft.\tSt\u00f6hr (Wien).\nH. H. Donaldson. Anatomical Observations on the Brain and Sense-organs of the blind deaf-mute, Laura Bridgman. (2. Mitteilung,) Amer. Journal of Psychology. Bd. IV, S. 248\u2014294. (Dezember 1891.)\nDie Ergebnisse, welche D. in seinem ersten Artikel \u00fcber das Gehirn Laura Bridgmans mitteilte (vgl. Zeitschr. f. Psych., I., Heft 6, S. 503), lassen sich kurz zusammenfassen, wie folgt: Der gyrus opercularis des linken Stirnlappens war unentwickelt und unter die Oberfl\u00e4che gesunken; die Insula war auf beiden Seiten blofsgelegt, doch links dreimal soviel als rechts; beide Schl\u00e4fenlappen waren klein; der rechte Hinterhauptslappen, und besonders der cuneus, war sehr verk\u00fcmmert.\nGegenw\u00e4rtige Mitteilung bezieht sich auf die Befunde bei Rinde und Sinnesorganen. Erstere untersuchte D., indem er ihre Tiefe an 14 verschiedenen Stellen bei L. B., sowie bei 9 Kontrollgehirnen (6 m\u00e4nnlichen, 3 weiblichen) bestimmte. Aus diesen Messungen zieht er folgende Schl\u00fcsse: a) Personen mit erworbenem Defekt des Centralnervensystems haben eine d\u00fcnnere Hirnrinde als normale Individuen; b) die weibliche Rinde ist ein wenig d\u00fcnner als die m\u00e4nnliche, doch betr\u00e4gt der Unterschied weniger als 1 % ; c) die Rinde der rechten Hemisph\u00e4re ist bis zu 7 \u00b0/o d\u00fcnner als die der linken.\nDie durchschnittliche Rindentiefe der Kontrollgehirne betrug 2,91 mm, die des B.\u2019sehen Gehirnes 2,59 mm, also nur 89 % des Normal-mafses. Doch f\u00e4llt diese Abweichung mehr den Gebieten der verlorenen Sinne als den motorischen Rindenfeldern zur Last. Im einzelnen war die Rinde der Insula links d\u00fcnn, rechts normal ; die des gyrus opercularis (motorisches Spracheentrum) auf beiden Seiten gut entwickelt; die des gyrus hippocampi (Geruch und Geschmack) auf beiden Seiten","page":92}],"identifier":"lit15050","issued":"1893","language":"de","pages":"90-92","startpages":"90","title":"J. Wiesner: Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanzen. Wien, H\u00f6lder, 1892","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:58:24.419752+00:00"}