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{"created":"2022-01-31T16:56:11.493090+00:00","id":"lit15073","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, Carl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 117-119","fulltext":[{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"L\u00fcteraturbericht.\n117\nwordenen Kurven von gesungenen Vokalen der Eigenton der Mundh\u00f6hle sich dem Klange nicht beigesellt. Bl\u00e4st man durch eine nichtt\u00f6nende Pfeife einen auf diese gesetzten Resonator an, so ert\u00f6nt dessen Eigenton rein und deutlich. Bringt man darauf die Pfeife seihst, zum T\u00f6nen, so schweigt alsbald der Resonator, und nur die Pfeife wird geh\u00f6rt. Es besteht hier also dasselbe Verh\u00e4ltnis wie zwischen Stimme und Mundh\u00f6hle. Verschiedenste Versuchsvariationen f\u00fchrten zu demselben Resultat. Man kann jedoch den Versuch auch so einrichten, dafs Pfeife und Resonator zugleich t\u00f6nen. Nimmt man aber auch dazu die verschiedenen Resonatoren, die die Vokalresonanz der Mundh\u00f6hle geben, so tritt doch nichts hervor, was mit einem Vokalklang \u00c4hnlichkeit h\u00e4tte.\nSchaefer.\nG. Engel, Die Bedeutung der Zahlenverh\u00e4ltnisse f\u00fcr die Tonempfindung.\nDresden, R. Bertling, 1892, 59 S.\nVerfasser f\u00fcgt hier seine in dieser Zeitschrift II 361 f. mitgeteilten Beobachtungen \u00fcber Tondistanzen in einen gr\u00f6fseren, dortnurangedeuteten, theoretischen Zusammenhang ein. Ihm erscheint bereits vom Standpunkt der \u201eZahlenlogik\u201c die geometrische, nicht die arithmetische, Tonmitte als die wahre. Obschon er bei seinen Versuchen an vorz\u00fcglichen Musikern gefunden, dafs eine Neigung vorhanden ist, die Mitte etwas \u00fcber der geometrischen anzunehmen, und obschon er selbst sie bei gr\u00f6fseren Distanzen nach seiner Empfindung um 1\u20143 Halbt\u00f6ne h\u00f6her legt, m\u00f6chte er aus apriorischen Erw\u00e4gungen dieses Ergebnis immer noch einer Tr\u00fcbung des Urteils durch gewisse Nebenumst\u00e4nde, namentlich durch die (bis zur 3-gestrichenen Oktave) zunehmende Unterschiedsempfindlichkeit, zuschreiben. Wenn es indessen richtig ist, dafs die Unterschiedsempfindlichkeit und die Distanzsch\u00e4tzung integrierend zusammenh\u00e4ngen-bezw. die letzte von der ersten abh\u00e4ngt (s. m. Tonpsychol. I 60 f., 130, 250), so haben wir es hier vielmehr mit einem mafsgebenden Hauptumstand zu thun, von dem das Urteil nicht gest\u00f6rt wird, sondern auf dem es beruht. Ich m\u00f6chte daher dem Beobachtungsergebnis des Verfassers mehr reelle Bedeutung zuschreiben als er selbst.\nDagegen in den apriorischen Deduktionen werden wir dem Verfasser nicht folgen k\u00f6nnen. Ihm gegen\u00fcber m\u00f6chte ich sagen : Zahlen beweisen nicht. Rein zahlenm\u00e4fsig gibt es noch andere Mittelwerte, z. B. den harmonischen oder den quadratischen. Aber die Empfindungsmitte, die, wie die Empfindung selbst, das reale Produkt sehr komplizierter physiologischer Faktoren ist, hat keine Verpflichtung, mit irgend einem noch so hochwohlgeborenen Produkt der Zahlenlogik zusammenzufallen, Solche Koinzidenz w\u00e4re vielmehr a priori eher unwahrscheinlich. Wohl k\u00f6nnen wir unter Umst\u00e4nden aus deduktiven Erw\u00e4gungen vermuten, dafs ein Sinnesurteil, das anscheinend nur auf den bez\u00fcglichen Empfindungen gr\u00fcndet, falsch und zwar subjektiv falsch sei, dafs es nicht den Empfindungen entspreche. Gerade die Musik bietet vielf\u00e4ltige Gelegenheit, dieses Verh\u00e4ltnis von \u201eSinn und Vernunft\u201c, dem bereits Ptolemaetjs in der Harmonik eingehende Betrachtungen widmete, an interessanten Beispielen zu verfolgen. Aber die deduktiven Erw\u00e4gungen","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nLitter a turberieh t.\nm\u00fcssen dann aus der sonst bekannten Natur des Sinnes hergenommen sein oder doch auf irgend eine Weise einen durchsichtigen Zusammenhang zwischen den Pr\u00e4missen und dem Schlufssatz aufweisen, den ich in diesem Falle, offen gesagt, nicht finden kann.\nIn der Kritik der LoKENZschen Versuche schliefst sich Engel meinen Ausstellungen an und f\u00fchrt sie in einzelnen Punkten weiter aus. Positiv w\u00fcnscht auch er ein musikalisch geschultes G-eh\u00f6r der Beobachter. Verwendung einfacher T\u00f6ne, Mitber\u00fccksichtigung gr\u00f6fserer Tondistanzen, und bei den kleineren eine feinere Ver\u00e4nderlichkeit des Mitteltons durch abstimmbare Gabeln. Nur auf einen Punkt legt er meines Erachtens noch zu wenig Gewicht, obschon er ihn erw\u00e4hnt. Der Beobachter mufs auch psychologisch ad hoc einge\u00fcbt sein (diese Zsch. I 457). So sieht auch ein sonst sehr ge\u00fcbtes Auge an mikroskopischen Pr\u00e4paraten doch nicht sogleich das, worauf es ankommt. Daraus folgt, dafs gelegentliche Aussagen feinh\u00f6riger Musiker in dieser Sache doch nicht ohne weiteres entscheiden.\nZur Erl\u00e4uterung hierf\u00fcr diene sogleich die Behauptung von Engels Musikern, dafs die Distanz e\u2014d entschieden gr\u00f6fser sei als d\u2014e. Ich habe bereits in fr\u00fcheren Jahren \u00f6fters Musikern die Frage vorgelegt und die umgekehrte Antwort erhalten (vgl. diese Z. 1461). Lorenz und seine Mitarbeiter endlich fanden die beiden Distanzen gleich (das. 334\u20145, d,). Woher nun die drei verschiedenen und alle drei ungew\u00f6hnlich bestimmt abgegebenen Antworten?\nMeiner Meinung nach ist keine von ihnen Ausdruck eines reinen Distanzurteils. Obschon nat\u00fcrlich eine darunter wahr sein mufs, d\u00fcrfte sie doch nur zuf\u00e4llig wahr sein. Die Distanzen gleich zu sch\u00e4tzen, liegt denen am n\u00e4chsten, die ohne feinere musikalische Bildung einfach durch den aus dem Leben jedem bekannten musikalisch-mittleren Ton bestimmt werden. Unter den Musikern werden solche, die in keiner Weise durch ein musik - theoretisches Wissen beeinflufst sind, geneigt sein, den Schritt d\u2014e, der zum charakteristischen Ton der Leiter f\u00fchrt, als den f\u00fcr das Gef\u00fchl wichtigeren auch f\u00fcr den gr\u00f6fseren zu halten; schon der Kontrast mit der Mollterz dr\u00e4ngt zu solcher \u00dcbersch\u00e4tzung. Solche aber, die vom \u201egrofsen und kleinen Ganzton\u201c (so genannt wegen der Zahlenverh\u00e4ltnisse 8:9 und 9 :10) vieles geh\u00f6rt und vielleicht sogar dar\u00fcber zu dozieren haben, werden leicht durch diese Assoziation bestimmt werden, d\u2014e kleiner zu sch\u00e4tzen. In allen drei F\u00e4llen sind dann aber nur eben Assoziationen mafsgebend. Und gerade darum kann in einem so schwierigen Fall ein so bestimmtes Urteil abgegeben werden. Denn bei so kleinen Distanzen m\u00fcssen ja auch die Unterschiede der wahren und der scheinbaren Mitte so gering sein, dafs das reine Distanzurteil sich nicht so leicht festsetzen w\u00fcrde.\nEngel handelt in einem 2. Teil der Schrift \u00fcber die Begr\u00fcndung der Musiktheorie. Er schreibt, wie schon in fr\u00fcheren Arbeiten, den Schwebungen (die er mit 128 in der Sekunde noch sehr kr\u00e4ftig findet) eine nur untergeordnete Bedeutung zu, und f\u00fchrt die Bedeutung der Obert\u00f6ne darauf zur\u00fcck, dafs sie mit den einfachsten Schwingungsverh\u00e4ltnissen Zusammentreffen, welche letzteren Engel (Euler und Haupt-","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n119\nmann verbindend) f\u00fcr direkt mafsgebend ansieht. Die Schwingungsrhythmen sollen sich beim Zusammenklang in unserem Bewufstsein geltend machen. Wie dies geschehen kann, ist mir mit Helmholtz nicht verst\u00e4ndlich. Dafs \u00fcbrigens das Prinzip der geometrischen Mitte auch hierbei, in der Leiterkonstruktion, trotz seiner apriorischen Vortrefflichkeit nicht durchf\u00fchrbar ist, hebt Engel selbst hervor. F\u00e4llt ja schon die erste Abteilung innerhalb der Oktave, die Quinte, nicht in die geometrische Mitte (die zwischen fis und ges l\u00e4ge), sondern gerade in die arithmetische. Aber das heifst nun auch wieder nicht so viel, als dafs dieses Intervall durch ein Distanzurteil gefunden w\u00fcrde, worin gleiche Unterschiede der Schwingungszahlen als gleiche Tondistanzen gesch\u00e4tzt w\u00fcrden (sonst liefse sich ja das Intervall auch nicht auf die n\u00e4chst h\u00f6here oder tiefere Oktave \u00fcbertragen). Vielmehr hat das blofse Distanzurteil f\u00fcr die Feststellung der Grundintervalle offenbar gar keine Bedeutung, mag es \u00fcbrigens mit der arithmetischen oder geometrischen oder sonst irgend einer beliebigen Zahlenmitte zusammenfallen.\nF\u00fcr lehrreiche Einzelbemerkungen haben wir Engel, wie immer, auch hier zu danken; so namentlich f\u00fcr die Bemerkungen \u00fcber Intonation.\nC. Stumpf.\nA. Kreidl. Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes auf Grund von\nVersuchen an Taubstummen. Pfl\u00fcgers Archiv f. d. ges. Physiologie.\nBd. LI. S. 119\u2014150.\nNach einer viel vertretenen Ansicht sind die halbzirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le ein sensibles Organ f\u00fcr die Wahrnehmung von Drehbewegungen und die reflektorische Ausl\u00f6sung der dabei typisch auftretenden kompensatorischen Augenbewegungen, w\u00e4hrend der Otolithenapparat nach Breuer ein Sinnesorgan zur Perzeption unserer Lage im Baum darstellt (vgl. d. Beferat: J. Breuer, \u00dcber die Funktion der Otolithenapparate. Bd. II. S. 232 dieser Zeitschrift). Sind diese Theorien richtig, so d\u00fcrfen Taubstumme, von denen erwiesenermafsen mehr als die H\u00e4lfte ein funktionsf\u00e4higes Ohrlabyrinth nicht besitzt, erstens keine oder keine normalen Augenablenkungen -w\u00e4hrend einer passiven Botation auf der Drehscheibe zeigen. K. wies in der That durch Selbstkontrollieren w\u00e4hrend des Versuches nach, dafs von 109 Untersuchten ca. 50 \u00b0/o keine Augenbewegungen machten. Zweitens d\u00fcrften Taubstumme bei passiven Dotationen sich keiner oder nur einer geringeren T\u00e4uschung \u00fcber die Bichtung der Schwerkraftlinie hingeben, als normale Versuchspersonen. Diese glauben n\u00e4mlich, w\u00e4hrend des Versuches gegen die Drehungsaxe mit dem Kopfe nach aufsen geneigt zu sein, glauben also die Vertikale um ebensoviel nach innen geneigt und markieren dies auch in den Vorversuchen K.\u2019s an einem Zeiger, welchen sie w\u00e4hrend der Drehung in die ihrer Ansicht nach vertikale Bichtung zu stellen angewiesen waren. Von 62 gedrehten Taubstummen stellten nun 13 den Zeiger wirklich so gut wie vertikal, die anderen wenigstens weniger falsch als die Gesunden. Jene 13 hatten auch keine Augenablenkungen gezeigt. Verfasser erblickt in diesen Ergebnissen eine St\u00fctze der genannten Theorien, worin er noch best\u00e4rkt wird durch den ungeschickten Gang der meisten seiner Taub-","page":119}],"identifier":"lit15073","issued":"1893","language":"de","pages":"117-119","startpages":"117","title":"G. Engel: Die Bedeutung der Zahlenverh\u00e4ltnisse f\u00fcr die Tonempfindung. Dresden, R. Bertling, 1892","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:56:11.493095+00:00"}