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{"created":"2022-01-31T17:00:10.975660+00:00","id":"lit15103","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Brentano, Franz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 61-82","fulltext":[{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\n(Zweiter Artikel.)\nVon\nFranz Brentano\nin Wien.\n1. \u201eHabent sua fata libelli\u201c, der alte Spruch bew\u00e4hrt sich immer neu, und so auch mir wieder bei einem kleinen Aufs\u00e4tze, den j\u00fcngst die Zeitschrift vor den Leser brachte.1 Sein Problem war ein verschwindend kleiner Punkt im weiten Raum psychologischer Forschung, und, aufrichtig gesagt, besorgte ich* die Abhandlung werde darum kaum beacht\u00e9t, und so auch einem allgemeineren Interesse, das ich im Auge hatte, wenig damit gedient werden. Denn freilich war es mir um etwas mehr zu th\u00fcn, als einen vereinzelten Fall optischer T\u00e4uschung aufzuhellen; an anschaulichem Beispielw\u00fcnschte ich zu zeigen, was geordnetes psychologisches Verfahren vermag, und wie zwischen rivalisierenden Hypothesen, auf dem Gebiete\" des Geistes nicht anders als auf dem der Natur, ein experimentum crucis mit Sicherheit entscheidet.\nSo war ich denn angenehm \u00fcberrascht, als ich nun doch bemerkte, wie da und dort jemand mit eifrigerer Teilnahme der Untersuchung folgte, und zumal, als ich der freundlich eingehenden Besprechung begegnete, die schon im \u00f9nmittelbar folgenden Heft Th. Lipps der kleinen Arbeit gewidmet hat.2\n1\t\u00dcber ein optisches Paradoxon, von F. Brentano. Zeitschrift f\u00fcr Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorgane III, S. 349 ff.\n2\tZu Franz Brentanos \u201e\u00dcber ein optisches Paradoxon\u201c, Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorgane III, S. 498 ff.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nFranz Brentano.\nIndes war ich keineswegs so gl\u00fccklich gewesen, Lipps zu \u00fcberzeugen. Statt meiner Erkl\u00e4rung, die er verwirft, bef\u00fcrwortet er selbst eine wesentlich andere L\u00f6sung des B\u00e4tsels. Da m\u00f6chte es denn geschehen, dafs auch solche, die zun\u00e4chst meinem Ergebnis vertraut hatten, jetzt an mir irre werden. Ja, im Gegens\u00e4tze zu dem, was jeder Freund philosophischen Fortschritts w\u00fcnschen mufs, wird vielleicht einer achselzuckend die Bl\u00e4tter aus der Hand legen : \u201eDa haben wir wieder unsere Philosophen! der eine fafst die Sache so, der andere deutet sie anders, und des Zweifels ist kein Ende.14\nSo halte ich mich denn f\u00fcr genugsam gerechtfertigt, wenn ich das Problem, so unansehnlich es war, heute nochmals zur Sprache bringe.\nIch hoffe n\u00e4mlich in K\u00fcrze zu zeigen, einmal, dafs die von Lipps, zum Teil nicht ohne Schein, geltend gemachten Einw\u00e4nde sich ausnahmslos widerlegen; und dann (da in seinem Erkl\u00e4rungsversuch eine neue rivalisierende Hypothese auftaucht), dafs seine Auffassung, \u00e4hnlich den fr\u00fcher von mir verworfenen, nicht wahrhaft den Thatsachen entspricht.\nI.\n2. Keiner der Einw\u00e4nde von Lipps soll unbeantwortet bleiben; doch an die von ihm gew\u00e4hlte Ordnung werde ich mich nicht halten. Denn vor allem scheint es n\u00f6tig, jene Angriffe zur\u00fcckzuweisen, welche die Grundlage des ganzen Aufbaues ersch\u00fcttern wollen.\nMeine Erkl\u00e4rung des optischen Paradoxons st\u00fctzte sich auf die Thatsache, dafs kleine Winkel \u00fcbersch\u00e4tzt, grofse untersch\u00e4tzt zu werden pflegen.1 Dieses Gesetz hat Lipps2 beanstandet, und es gilt darum vor allem, zu zeigen, dafs es trotz seines Widerspruchs unzweifelhaft besteht.\nSchon in der fr\u00fcheren Er\u00f6rterung wurden mehrfache Belege von mir erbracht,3 und leicht und vielfach h\u00e4tte ich sie vermehren k\u00f6nnen; nur scheute ich mich, bei einer, wie ich glaubte, allgemein zugestandenen Thatsache allzulange zu verweilen.\n1\tA. a. O. S. 350, S. 356.\n2\tA. a. 0. No. 2f., S. 500 f.\n3\tA. a. 0. S. 356.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\t63\nSo konnte ich auf den bekannten Fall verweisen, wo von zwei einander gleichen Nebenwinkeln der eine in kleinere \"Winkel, wie etwa in neun Winkel von je 10\u00b0zerlegt wird. Die Summe dieser neunWinkel scheint dann sofort gr\u00f6fser als der ungeteilt gebliebene rechte, den man nunmehr f\u00fcr einen spitzen Winkel zu nehmen geneigt ist. (Fig. 1.) Auch darauf konnte ich mich berufen,\nFig. 1.\nwas wir erfahren, wenn eine gerade Linie von anderen geraden, die in breitem Winkel strahlenf\u00f6rmig von einem nahen Punkte ausgehen, getroffen wird. (Fig. 2.) Sie scheint dann nicht mehr gerade, sondern in jedem Ber\u00fchrungspunkte leicht gebrochen, wie ein St\u00fcck eines in eine schwach gekr\u00fcmmte Kurve gezeichneten Polygons. Die T\u00e4uschung kann hier nicht, wie bei den Z\u00f6llner-schen Figuren, darauf beruhen, dafs bei schiefen Nebenwinkeln der kleinere im Verh\u00e4ltnis zum gr\u00f6fseren \u00fcbersch\u00e4tzt wird, vielmehr erkennt man leicht, dafs die relative \u00dcbersch\u00e4tzung und Untersch\u00e4tzung, welche den Schein der Brechung erzeugen, bei dem Vergleich von je zwei an einer Dreiecksseite anliegenden Winkeln, wie zwischen <\u00a3 a und <\u00a3 \u00df, <\u00a3 y und <\u00a3 d, <\u00a3 s und <\u00a3 \u00a3 u. s. w., statthat. Und so sehen wir hier das Gesetz unter betr\u00e4chtlich ver-","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nFrans Brentano.\n\u00e4nderten Umst\u00e4nden sich bew\u00e4hren. \u00c4hnliches finden wir, wenn wir einen Strahlenb\u00fcschel nicht von einem einheitlichen Punkte ausgehend, sondern ihm zustrebend die gerade Linie treffen lassen. In Fig. 3 sind z. B. <\u00a3 a und <\u00a3 \u00df, sowie auch <\u00a3 y und < 4 ein Winkelpaar, hei welchem der kleinere Winkel im Verh\u00e4ltnis zum gr\u00f6fseren \u00fcbersch\u00e4tzt wird.\nSo bew\u00e4hrt sich, was ich sagte; es stand mir frei, die best\u00e4tigenden Erfahrungen beliebig zu vermehren.\nFig. 3. '\n3. Und kr\u00e4ftiger noch als durch die H\u00e4ufung solcher Beispiele konnte ich meine .Behauptung sichern, wenn ich mich darauf einliefs, den tieferen Grund, auf welchem das Gesetz beruht, namhaft zu machen. Man kann n\u00e4mlich zeigen, dafs es eine notwendige Konsequenz des Satzes ist, dafs bei ungleichen Gr\u00f6fsen, wenn sie gleiche Zuw\u00fcchse erfahren, das Wachstum der kleineren merklicher ist.\nWenn z. B. eine Linie von 1 Zoll und eine andere von 30 Schuh L\u00e4nge um je einen Zoll vergr\u00f6fsert werden,.so pflegt die Ver\u00e4nderung bei jener ungleich mehr als bei dieser in die Augen zu fallen. Gewifs hat jeder tausendfach solche Er-","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Uber ein optisches Paradoxon.\n65\nfahrungen gemacht und wird ohne neuen Versuch dem Gesagten zustimmen. Ganz so mufs es sich nun auch bei Winkelgr\u00f6fsen verhalten. Wenn z. B. ein Winkel von 5 Grad zehnmal nacheinander um weitere 5 Grad vergr\u00f6fsert, und so schliefslich in einen Winkel von 55 Grad verwandelt wird, so wird d\u00e4mm jeder folgende Zuwachs minder merklich sein, als der vorhergehende; und auch der erste schon minder merklich, als die urspr\u00fcnglich gegebene Gr\u00f6fse von 5 Grad, wenn wir, was ja anstandslos zu gestatten ist, diese wie einen Zuwachs zu einem Winkel von 0 Grad betrachten. Ein Zuwachs, der merklicher ist als ein anderer, wird nun begreiflicherweise f\u00fcr gr\u00f6fser gehalten (glaubten doch Fechner und j\u00fcngst noch W\u00fcndt,1 gleichmerkliche Gr\u00f6fsen einfach als gleich betrachten zu d\u00fcrfen). Und so ist denn die relative Untersch\u00e4tzung der grofsen und die \u00dcbersch\u00e4tzung der kleinen Winkel etwas, was von vornherein erwartet werden mufste.\n4. Von alledem habe ich in meiner ersten Abhandlung, da ich, wie gesagt, es nicht f\u00fcr n\u00f6tig hielt, der K\u00fcrze halber nicht gesprochen. Und ebensowenig verweilte ich dabei, auf die Ausnahmen aufmerksam zu machen, die allerdings unleugbar f\u00fcr das Gesetz bestehen und sich grofsenteils aus seinem eben dargelegten Erkl\u00e4rungsgrunde selbst ergeben.\nSo erkennt man z. B. leicht, dafs das Gesetz nur innerhalb gewisser Grenzen Geltung hat. Winkel k\u00f6nnen ja unmerklich kleine Gr\u00f6fsen sein, und ebenso die ersten Zuw\u00fcchse zu einem Winkel. Hebt nun ein abermaliger Zuwachs, an sich nicht gr\u00f6fser als einer der fr\u00fcheren, wie man zu sagen pflegt, die Winkelgr\u00f6fse \u00fcber die Schwelle, so ist es klar, dafs er in Ansehung seiner Merklichkeit nicht hinter den fr\u00fcheren gleichen Zuw\u00fcchsen zur\u00fccksteht, sondern sie \u00fcbertrifft.\nFerner ist es unleugbar, dafs ein gr\u00f6fser Winkel, durch Zwischenlinien in kleinere zerlegt, nicht aufh\u00f6rt, derselbe grofse Winkel zu bleiben, wohl aber mag er auf h\u00f6ren, im Vergleich zu einem kleineren untersch\u00e4tzt zu werden, er wird jetzt vielleicht sogar \u00fcbersch\u00e4tzt. Indem die Zwischenlinien die Gr\u00f6fse seiner Teile merklicher machen, bringen sie nat\u00fcrlich auch die Gr\u00f6fse des Ganzen mehr zur Geltung.\n1 In der ersten Auflage seiner Physiol. Psychol. S. 295. Ygl. dagegen meine Psychologie vom empir. Standpunkte I. S, 9. f.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nFranz Brentano.\nEndlich wird \u00e4hnliches auch dann eintreten, wenn solche Zwischenlinien zwar nicht objektiv gegeben sind, aber besondere Umst\u00e4nde es mit sich bringen, dafs sie subjektiv, in unserer Einbildungskraft, mit Notwendigkeit oder doch mit vorz\u00fcglicher Leichtigkeit und ganz spontan gezogen werden. Unausbleiblich werden sie dann \u00e4hnlich wie im fr\u00fcheren Falle wirken.\nSchon die zuletzt besprochenen beiden Ausnahmen k\u00f6nnte man als F\u00e4lle von indirekter Sch\u00e4tzung bezeichnen, es ist aber leicht ersichtlich, dafs eine solche auch noch in vielfach anderer Weise statthaben und dann zu abweichenden Resultaten f\u00fchren kann. Vergleichen wir z. B. bei zwei Paaren schiefer Nebenwinkel die stumpfen Winkel miteinander, so werden wir unvermeidlich zugleich einen Vergleich der zugeh\u00f6rigen spitzen Winkel vollziehen, und dieser wird unsere relative Sch\u00e4tzung der stumpfen zu einander mitbestimmen. Nun k\u00f6nnte einer allerdings zun\u00e4chst meinen, dafs dies f\u00fcr das Resultat v\u00f6llig gleichg\u00fcltig sein werde. Aber eine n\u00e4here Untersuchung zeigt, dafs dies keineswegs der Pall ist; und die Folgen davon treten vielfach, und so z. B. auch bei den Z\u00f6LLNERschen Figuren,, deutlich hervor. Bekanntlich ist der Grad der T\u00e4uschung hier nicht immer gleich und h\u00e4ngt, wie schon ihr Erfinder dar-gethan hat, insbesondere auch von dem Mafse der schiefen Winkel ab. Ein gewisser mittlerer Fall, den Z\u00f6llner empirisch bestimmt,1 ergiebt das Maximum der T\u00e4uschung. Vergleichen wir nun zwei Systeme, deren eines dieses Maximum verwirklicht, w\u00e4hrend bei dem anderen die stumpfen Winkel gr\u00f6fser, die spitzen kleiner als in dem der T\u00e4uschung g\u00fcnstigsten Falle sind, so ist es aus dem verschiedenen Grad scheinbarer Ablenkung der Parallelen offenbar, dafs die kleineren stumpfen im Verh\u00e4ltnis zu den gr\u00f6fseren nicht \u00fcbersch\u00e4tzt, sondern untersch\u00e4tzt werden, was, wie man bei einigem Nachdenken finden wird, auf die indirekte Sch\u00e4tzung unter Vermittelung der spitzen Nebenwinkel zur\u00fcckzuf\u00fchren ist.2\n1\tEs ist der, wo die spitzen Winkel 30\u00b0 betragen.\n2\tWenn ein Winkel von 10\u00b0 mit einem Winkel von 5\" verglichen\u2019 und relativ untersch\u00e4tzt wird, so scheint er weniger als zweimal so grofs. Aber hiermit w\u00e4re es wohl vereinbar, wenn der eine f\u00fcr einen Winkel von 12\u00b0, der andere f\u00fcr einen Winkel von 6V20 gehalten w\u00fcrde. Nehmen wir nun an, dies sei der Fall, so w\u00fcrde dann der Nebenwinkeides ersten\n168\nauf l\u00f6S\u201d, der des zweiten auf 173|\u00b0 gesch\u00e4tzt, d. h. der eine f\u00fcr\nliOn.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber ein optisches Paradoxon.\n67\nNoch in mannigfach anderer Weise kann unser Urteil \u00fcber das Verh\u00e4ltnis von Winkelgr\u00f6fsen durch indirekte Sch\u00e4tzung beeinflufst werden. Ich mache, als auf einen bekannten und weitgreifenden Fall, hier nur noch auf die Thatsache aufmerksam, dafs die Gewohnheit perspektivischer Deutung uns bei der Winkelsch\u00e4tzung mitzubestimmen pflegt; ist es doch f\u00fcr den Maler eine oft schwierige Aufgabe, sich von ihrer Herrschaft zu befreien.\n5. Was ist also das Ergebnis unserer Untersuchung? besteht oder besteht nicht ein Gesetz, wonach grofse Winkel untersch\u00e4tzt, kleine \u00fcbersch\u00e4tzt zu werden pflegen, wie ich es bei meiner Erkl\u00e4rung des optischen Paradoxons zum Ausgangspunkte genommen habe? Ich glaube, die eben gef\u00fchrten Er\u00f6rterungen entheben uns hier\u00fcber allen Zweifels. Wir haben in direkter Induktion die verschiedenartigsten Belege daf\u00fcr gegeben, und wir haben es aus tieferliegenden Prinzipien abgeleitet. Freilich haben wir dann gefunden, dafs es nur innerhalb gewisser Grenzen gilt, ja dafs es auch hier nicht ausschliefslich bestimmend ist, insofern die Sch\u00e4tzung von Winkelgr\u00f6fsen gleichzeitig von anderen Umst\u00e4nden beeinflufst werden kann. Aber hierin liegt nichts, was den befremden k\u00f6nnte, der da weifs, dafs alle Gesetze der genetischen Psychologie wegen der Komplikation der Verh\u00e4ltnisse und der Unm\u00f6glichkeit einer bis zu den letzten Prinzipien zur\u00fcckgehenden Analyse an \u00e4hnlicher Unbestimmtheit leiden. So z. B. die sog. Gesetze der Ideenassoziation, die darum doch nicht aufh\u00f6ren, f\u00fcr die psychologische Erkl\u00e4rung von h\u00f6chster Wichtigkeit zu sein. Wir sollten, dieser Inexaktheit Rechnung tragend, eigentlich nicht sagen: \u201eunter diesen Bedingungen geschieht\u201c, sondern: \u201eunter diesen Bedingungen pflegt zu geschehen\u201c. Doch eben weil diese beschr\u00e4nkende Formel eigentlich allgemein\ndes anderen gehalten werden, w\u00e4hrend er thats\u00e4chlich\tbetr\u00e4gt.\nJenes ist =\tdieses =\t; somit w\u00fcrde der kleinere stumpfe\ndem gr\u00f6fseren gegen\u00fcber hier untersch\u00e4tzt, im Gegens\u00e4tze zu dem, was einer auf Grund des Gesetzes der relativen \u00dcbersch\u00e4tzung des kleineren Winkels erwarten m\u00f6chte. Und doch w\u00fcrde dies so wenig gegen das Gesetz Zeugnis geben, dafs vielmehr, wer den Zusammenhang begreift, den Fall als einen solchen erkennt, wo dasselbe sich wesentlich mafsgebend erwiesen h\u00e4tte.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nFrans Brentano.\nn\u00f6tig w\u00e4re, erscheint sie, als selbstverst\u00e4ndlich, nirgend mehr im einzelnen Falle geboten.\n6.\tWenn nun das Gesetz zu Recht besteht, wie widerlegen sich die Einw\u00e4nde, die Lipps dagegen geltend macht?\nEs sind deren vier:\nErstens beruft er sich1 auf seine \u201e\u00c4sthetischen Faktoren der Raumanschauung\u201c, worin er gezeigt habe, es sei \u201eein Irrtum, zu meinen, spitze Winkel w\u00fcrden als solche \u00fcbersch\u00e4tzt, stumpfe untersch\u00e4tzt.\u201c\nAber wie immer es mit der Yerl\u00e4ssigkeit jener Ausf\u00fchrungen sich verhalten m\u00f6ge, eines ist offenbar, dafs er hier den von mir angerufenen Satz weder dem Wortlaute noch auch dem Sinne nach getreu wiedergiebt. Er identifiziert meine Termini \u201egrofs\u201c und \u201eklein\u201c mit den Begriffen \u201estumpf\u201c und \u201espitz\u201c, was durchaus nicht angeht und den Sinn des Gesetzes wesentlich ver\u00e4ndert. Denn wenn in einem Fall zwei stumpfe, in einem anderen zwei spitze Winkel von verschiedener Gr\u00f6fse in Vergleich gebracht werden, so ist in dem ersten nicht blofs der grofse, sondern auch der kleine Winkel stumpf, in dem zweiten nicht blofs der kleine, sondern auch der grofse Winkel spitz. Wie \u201eUntersch\u00e4tzung\u201c und \u201e\u00dcbersch\u00e4tzung\u201c relative Begriffe sind, so waren auch die Ausdr\u00fccke \u201egrofs\u201c und \u201eklein\u201c in relativem Sinne zu nehmen, was wir denn auch in unserer ganzen obigen Er\u00f6rterung gethan haben.2\n7.\tDie Aufkl\u00e4rung dieses Mifsverst\u00e4ndnisses entledigt uns aber nicht blofs des ersten Einwandes, welcher in der gegen mich polemisierenden Abhandlung nicht weiter ausgef\u00fchrt wird, sondern sie entkr\u00e4ftet auch einen zweiten Vorwurf. Lipps meint n\u00e4mlich, meine Lehre f\u00fchre zu der ungereimten Folgerung, dafs rechte Winkel gar nicht anders als richtig gesch\u00e4tzt\n1\tA. a. 0., No. 2, S. 500.\n2\tNat\u00fcrlich sind, wo es sich um den Vergleich von spitzen mit stumpfen Winkeln handelt, die stumpfen die grofsen, die spitzen die kleinen. Und so konnte es geschehen, dafs ich, w\u00e4hrend ich, den Satz allgemein formulierend, nie von \u201estumpfen\u201c und \u201espitzen\u201c, sondern immer nur von \u201egrofsen\u201c und \u201ekleinen\u201c Winkeln sprach, da, wo ich (a. a. O. S. 356) speziell von den Z\u00f6LLNERschen Figuren handelte, sagte, die ver\u00e4nderte Beurteilung der Richtungen finde hier \u201eim Sinne der \"\u00dcbersch\u00e4tzung der spitzen und Untersch\u00e4tzung der stumpfen Winkel\u201c statt. Zu meinem Bedauern scheint diese Stelle das Mifsverst\u00e4ndnis beg\u00fcnstigt zu haben.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\n69\nwerden k\u00f6nnten.1 Dies ist so wenig der Fall, dafs wir oben2 zur Erl\u00e4uterung des Gesetzes uns des Beispiels der Untersch\u00e4tzung eines rechten Winkels bedienten. \u00dcbrigens w\u00e4re auch aus anderem Grund, n\u00e4mlich wegen des Einflusses fremdartiger Momente, welche die Sch\u00e4tzung beeinflussen k\u00f6nnen,3 die Folgerung nicht stichhaltig.\n8. Interessanter sind zwei weitere Argumente, die Lipps unter No. 3 seiner Abhandlung geltend macht. \u201eEs befinden sich\u201c, sagt er,\n\u201eauch unter den BuENTANOschen F\u00e4llen solche, bei denen zweifellos nicht die von Brentano vorausgesetzte, sondern die entgegengesetzte Winkelsch\u00e4tzung stattfindet.\u201c Und er bringt dann die Zeichnung einer Figur, die als Fragment der Z\u00f6LLNERschen Figur angesehen werden kann, bei der aber merkw\u00fcrdigerweise die parallelen Linien in der entgegengesetzten Sichtung, als bei Z\u00f6llner, abgelenkt scheinen. Ich gebe sie hier unver\u00e4ndert, nur an einigen Punkten mit Buchstaben bezeichnet, wieder. (Fig.4 vgl. Lipps, a. a. O. Fig. I, S. 500.)\n-Die einander parallelen Linien a b und c d scheinen sich nach a und c hin voneinander zu entfernen, c d und die n\u00e4chstfolgende Parallele sich nach dieser Seite zu n\u00e4hern, und so geht es weiter und weiter in fortw\u00e4hrendem Wechsel, wobei, wie gesagt, der Gegensatz zu der Z\u00f6LLNERschen Figur frappiert. Wenn sich nun bei der Z\u00f6LLNERschen Figur die T\u00e4uschung aus einer Untersch\u00e4tzung der stumpfen und \u00dcbersch\u00e4tzung der spitzen Winkel erkl\u00e4rte, so scheint Lipps hier mit Recht die T\u00e4uschung auf eine \u00dcbersch\u00e4tzung der\nFig. 4.\n1 Ebenda. S. 502, No. 5.\n* Vgl. No. 3.\n3 Vgl. oben No. 4 und 5.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nFranz Brentano.\nstumpfen Winkel (den einzigen, die in der Zeichnung Vorkommen) zur\u00fcckzuf\u00fchren ; und daraufhin erkl\u00e4rt er mein Prinzip f\u00fcr widerlegt.\nAber dennoch ist er im Irrtum. Vor allem k\u00f6nnte ich wiederum zu meiner Verteidigung geltend machen, dafs mein Prinzip nicht erheische, dafs stumpfe Winkel schlechtweg, sondern nur, dafs stumpfe Winkel im Vergleiche mit kleineren, also insbesondere mit spitzen, untersch\u00e4tzt w\u00fcrden ; in dem Fragment der Z\u00f6LLNERschen Figur, das Lipps giebt, seien aber die spitzen entfallen. Aufser den stumpfen Winkeln seien in seiner Zeichnung nur noch jene erhabenen Winkel da, welche die stumpfen Winkel zu vier rechten erg\u00e4nzten. Diesen gegen\u00fcber seien die stumpfen Winkel kleine Winkel; also sei es nicht meinem Prinzip entgegen, sondern ihm entsprechend, wenn nunmehr die stumpfen Winkel f\u00fcr gr\u00f6fser gehalten w\u00fcrden, als sie sind. Doch das w\u00e4re wohl ein gutes argumentum ad hominem, aber keineswegs eine dem wahren That-bestand entsprechende Antwort. Der Fall ist n\u00e4mlich einer von denen, wo, wie wir oben sagten, die. Einbildungskraft getrieben wird, gewisse Linien zu ziehen. Unwillk\u00fcrlich verl\u00e4ngert sie z. B. die beiden senkrechten Teile der zweiten gebrochenen Linie \u00fcber c und \u00fcber d hinaus. Aber freilich nicht in der Vollkommenheit, dafs sie die genau senkrechte Richtung einhielte, welche nach a, beziehungsweise g, f\u00fchren w\u00fcrde, vielmehr weicht sie \u00fcber c hinausgehend nach links, \u00fcber d hinausgehend nach rechts von der senkrechten Richtung ab. Es entstehen so in der Einbildung spitze Winkel, und diese haben zur Folge, dafs nun die objektiv gegebenen stumpfen nicht \u00fcbersch\u00e4tzt, sondern untersch\u00e4tzt werden. Die besprochenen Abirrungen nach links und rechts sind hierf\u00fcr selbst ein sprechender Beweis. Lipps scheint sie, so auff\u00e4llig sie sind, nicht bemerkt zu haben, sonst h\u00e4tte er sich hier, trotz des Mifsverst\u00e4ndnisses meines Prinzips, von der Nichtigkeit seines Arguments \u00fcberzeugen m\u00fcssen.\nFragt man mich, wie ich nun unter den obwaltenden Umst\u00e4nden die T\u00e4uschung begreiflich machen wolle, so antworte ich, dafs hier zwei Momente in Betracht kommen, von welchen, je nach der G\u00fcte des Beobachters, das eine oder andere oder auch beide bestimmend werden. Dem minder vorsichtigen Beobachter mag es begegnen, dafs er aufser dem Abstand der","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"liber ein optisches Paradoxon.\n71\nTeile zwischen a f und e d auch den Abstand von Teilen der beiden gebrochenen Linien, die diesseits oder jenseits dieser Punkte liegen, mit einbezieht, und die dort bestehende Divergenz und Konvergenz irrt\u00fcmlich den Linien a b und c d zuschreibt. Der vorsichtigere dagegen wird, um \u00fcber die relativen Richtungen von a b und cd zu urteilen, besonders die Abst\u00e4nde a e und f d in Y ergleich bringen. Indem er nun diese Punkte im Gleiste sozusagen durch Linien verbindet, mul's \u00abr aus den in meiner fr\u00fcheren Abhandlung dargelegten Gr\u00fcnden, weil an se aufser drei rechten ein stumpfer, an fd aufser drei rechten ein spitzer Winkel anliegt, die Linie ae etwas gr\u00f6fser als fd zu sch\u00e4tzen geneigt sein, und so, wenn auch in geringerem Mafse, derselben T\u00e4uschung verfallen.1\nAuch dieser Angriff liefs also im Grunde eine leichte Abwehr zu.\n9. Verf\u00e4nglicher ist ein viertes Argument, welches unser scharfsinniger Gegner bringt; und vielleicht hat er, um in einer Art von logischem Klimax die Reihe zu ordnen, ihm die letzte Stelle angewiesen. Hier (durch seine zweite Figur)2 scheint n\u00e4mlich der Nachweis erbracht, dafs zwei stumpfe Winkel von je 135\u00b0 einem rechten gegen\u00fcber, der mit ihnen in die 360\u00b0 der Winkelebene sich teilt, \u00fcbersch\u00e4tzt werden.\nUnd doch ist auch hier seine Beweisf\u00fchrung mangelhaft. Um ihre Schw\u00e4che darzuthun, erinnere ich daran, dafs es hinsichtlich der objektiv gegebenen Linien und Winkel eine doppelte Art von optischer T\u00e4uschung giebt. Die eine beruht darauf, dafs unsere Ph\u00e4nomene dem objektiv Gegebenen nicht entsprechen; wie z.B. wenn ein Stab, ins Wasser getaucht, gebrochen, eine Zeichnung,\n1\tAusschliefslich aus dieser Quelle d\u00fcrfte die schwache Versuchung zur T\u00e4uschung entspringen, welche f\u00fcr uns \u00fcbrig bleibt, wenn wir die von Lirrs gegebene Figur durch ver\u00e4nderte Nebeneinanderstellung der Parallelen in die folgende (Fig. 5) verwandeln.\n2\tA. a. O. S. 501.\nFig. 5 .","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nFranz Brentano.\nauf einer Kugel oder einem Konus sich spiegelnd, verzerrt erscheint. Die andere dagegen, f\u00fcr die der Name \u201eUrteilst\u00e4uschungen\u201c im engeren Sinne \u00fcblich geworden ist, entspringt aus einer falschen Beurteilung ph\u00e4nomenal gegebener Verh\u00e4ltnisse, wie sie sich z. B. mit auffallender Kraft bei dem Z\u00f6LLNERschen Figuren uns aufdr\u00e4ngt.\nDas Gesetz der \u00dcbersch\u00e4tzung kleiner und Untersch\u00e4tzung grofser Winkel will nun ein Gesetz f\u00fcr T\u00e4uschungen dieser zweiten Klasse sein. Und so ist es denn auch Lipps nicht eingefallen, gegen das Gesetz einen von den zahlreichen F\u00e4llen anzurufen, wo infolge perspektivischer Verschiebung oder auch der Vermittelung von geschliffenen Gl\u00e4sern ein objektiv gegebener rechter oder selbst spitzer Winkel einem stumpfen gegen\u00fcber untersch\u00e4tzt wird. Er f\u00fchrt ein Beispiel vor, das er selbst, und das mit ihm wohl die meisten f\u00fcr einen Fall von Urteilst\u00e4uschung im engeren Sinn halten d\u00fcrften.\nNichtsdestoweniger ist eine hohe Wahrscheinlichkeit vorhanden, dafs auch dieser Fall vielmehr der ersten Klasse optischer T\u00e4uschung zuzurechnen sei. Die Zeichnung von Lipps zeigt uns n\u00e4mlich die rechten Winkel in zwei Lagen, in welchen wir, auch wenn keine stumpfen Winkel neben ihnen w\u00e4ren, sie f\u00fcr spitz zu halten geneigt sein w\u00fcrden, indem sie den einen mit symmetrisch gehobenen Schenkeln auf die Spitze stellt, den anderen mit symmetrisch sinkenden Schenkeln mit der Spitze nach oben kehrt. Das Urteil \u00e4ndert sich darum sofort, wenn wir die Zeichnung drehen. Ja es schl\u00e4gt, wenn wir sie um einen rechten Winkel drehen, ganz unverkennbar in sein Gegenteil um; die fr\u00fcher f\u00fcr spitz gehaltenen rechten scheinen nun stumpf.\nDiese \u00c4nderung des Urteils \u00fcber die Winkelgr\u00f6fse steht in Zusammenhang mit der bekannten Thatsache, dafs von zwei gleichen geraden Linien, von denen die eine senkrecht, die andere horizontal verl\u00e4uft,\u2019 die senkrechte f\u00fcr gr\u00f6fser gehalten wird als die horizontale. Ein objektiv gegebenes Quadrat, auf eine seiner Seiten senkrecht gestellt und ohne perspektivische Verschiebung dem Auge dargeboten, erscheint darum h\u00f6her als breit. Eben darum scheinen aber dann bei einem symmetrisch auf eine seiner Winkelspitzen gestellten Quadrat die Scheitel des oberen und unteren Winkels weiter voneinander entfernt, als die der beiden seitlich liegenden; mit anderen","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcher ein optisches Paradoxon.\n73\nWorten, das Quadrat scheint hier \u00e4hnlich einem Rhombus, worin die senkrecht stehende Diagonale die l\u00e4ngere ist. Hiermit ist gesagt, dafs der obere und untere Winkel kleiner, die seitlich liegenden gr\u00f6fser als ein rechter zu sein scheinen.\nFragen wir nun nach dem Grunde dieser T\u00e4uschung, so ist eine der m\u00f6glichen Annahmen, und vielleicht die wahrscheinlichste unter allen, die, dafs sie auf einem Unterschied zwischen den ph\u00e4nomenalen und objektiven Verh\u00e4ltnissen beruhe.1 Dann aber geh\u00f6rt die T\u00e4uschung nicht hierher. Lipps hat also hier einen Fall geltend gemacht, den er noch stark bearbeiten m\u00fcfste, um zu beweisen, dafs er uns auch nur im geringsten etwas angehe.2\nSo bleibt denn, wenigstens was unser Prinzip betrifft, nicht ein einziger der von Lipps erbrachten Einw\u00e4nde bestehen.\nII.\n10. Doch Lipps hat nicht blofs unser Prinzip bestritten, er versucht auch noch des weiteren zu zeigen, dafs aus dem Gesetz, angenommen es best\u00e4nde wirklich, die in unserem Falle gegebene Urteilst\u00e4uschung sich nicht begreiflich machen liefse. Auch hierf\u00fcr bringt er mehrere Argumente, die wir, eines um das andere, zu pr\u00fcfen haben.\nDas erste unter ihnen ist das, womit er die ganze Abhandlung er\u00f6ffnet.3 Er behauptet hier, dafs, die \u00dcbersch\u00e4tzung und Untersch\u00e4tzung der Winkel in den von mir besprochenen F\u00e4llen zugestanden, die \u00dcbersch\u00e4tzung und Untersch\u00e4tzung der Distanzen sich nicht aus ihr ableiten lassen w\u00fcrde.\n1 Dafs in diesem Fall nicht auch das Bild auf der Netzhaut, verglichen mit dem aufser dem Auge gegebenen Objekt, der H\u00f6he nach unverh\u00e4ltnism\u00e4fsig gestreckt sein m\u00fcfste, braucht kaum ausdr\u00fccklich bemerkt zu werden und wird besonders deutlich ersichtlich, wenn man an die identischen Netzhautstellen und an die ph\u00e4nomenale Umkehr der Netzhautbilder denkt. Freilich haben manche, aber mit allzugrofser K\u00fchnheit, auch diese auf blofse Urteilst\u00e4uschungen zur\u00fcekf\u00fchren wollen.\n8 Lipps sagt (a. a. O., S. 501), indem er von dem Falle handelt: \u201e\u00dcbrigens thut man gut, die Figur von vers\u00f6hiedenen Seiten zu betrachten . . . Der Eindruck wird dann, obgleich die Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse sich scheinbar verschieben, deutlicher.\u201c Diese Worte haben mich seltsam ber\u00fchrt. Lipps glaubt, sein Argument zu kr\u00e4ftigen, und leitet zu einem Versuche an, der gerade die Schw\u00e4che desselben erkennen l\u00e4fst.\n3 A. a. 0. No. 1, S. 499 f.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nFranz Brentano.\nAber ich habe in dem fr\u00fcheren Aufsatze 1 diese Ableitung wirklich gegeben, und der Zusammenhang scheint mir so klar und einfach, dafs ich kaum glauben kann, dafs der Widerspruch von Lipps hier bei jemandem ernste Zweifel zu erwecken verm\u00f6ge. Ich kann Lipps schlechterdings nicht zugeben, dafs, wenn in der folgenden Figur (Fig. 6, mit welcher ich Fig. 17 meines ersten Aufsatzes zu vergleichen bitte) der Punkt a und die beiden Endpunkte der Linie bc ein stumpfwinkeliges Dreieck bilden, und der stumpfe <\u00a3 b untersch\u00e4tzt, der spitze <\u00a3 c aber \u00fcbersch\u00e4tzt wird, dies auf die Sch\u00e4tzung der Distanzen von a und b, und von a und c ohne Einflufs bleiben werde. Lipps will der Folgerung durch die an und f\u00fcr sich richtige Bemerkung entgehen, dafs die Linie bc bei b und bei c etwas gekr\u00fcmmt scheine, in der Art wie es unsere Figur (nur wesentlich verst\u00e4rkt) in den punktierten Linien andeutet. Wie er aber glauben kann, dadurch mich widerlegt zu haben, ist mir unerfindlich. Vielmehr ist es offenbar, dafs ohne diese von mir behauptete Distanzverschiebung die von b und die von c ausgehende krumme Linie nicht, wie es doch augenscheinlich der Fall ist, ein und dieselbe Linie sein k\u00f6nnten.2\n/c 11. Scheinbarer ist wohl ein anderes Argument, worin Lipps zu erweisen sucht, dafs gewisse F\u00e4lle, die offenbar derselben Klasse optischer T\u00e4uschung an-^\tgeh\u00f6ren, wie die von mir erkl\u00e4rten, sich nicht meinem\nPrinzip unterordnen liefsen.\nZu dem Behuf \u00e4ndert er3 Fig. 2 meines fr\u00fcheren Aufsatzes in der Art ab, dafs er eine gerade Linie erh\u00e4lt, mit welcher an jedem der beiden Endpunkte zwei andere gerade Linien unter Winkeln von je 120\u00b0 Zusammentreffen, wodurch also bei jedem Endpunkte drei einander gleiche Winkel entstehen. Hier, meint er, k\u00f6nne von einer Untersch\u00e4tzung der stumpfen Winkel nicht mehr die Rede sein, und nichtsdestoweniger bestehe immer noch\na\nFi;/. 6.\n1\tA. a. O, 8. 356 f.\n2\tMan vergleiche hierzu die zweite Figur dieser Abhandlung, wo sich sogar unter erheblich erschwerenden Bedingungen mit der falschen Beurteilung der Winkel eine falsche Beurteilung der Distanzen verkn\u00fcpft, ohne welche ja die scheinbare polygonale Brechung der geraden Linie undenkbar w\u00e4re.\n8 A. a. 0. No. 5, S. 502.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\n75\neine gewisse Neigung, die Distanz der Endpunkte f\u00fcr gr\u00f6fser zu halten, als die von zwei ebensoweit voneinander entfernten isolierten Punkten, die man damit in Vergleich bringe.\nDie letzte Bemerkung ruht auf einer richtigen Beobachtung. Und auch darin hat Lipps recht, dafs die hier bestehende schw\u00e4chere T\u00e4uschung aus demselben Prinzip mit der bei meiner Fig. 2 bestehenden st\u00e4rkeren begriffen werden m\u00fcsse. Er irrt aber darin, dafs mein Prinzip dies nicht auch wirklich zu leisten verm\u00f6ge. Wenn wir behaupten, grofse Winkel w\u00fcrden untersch\u00e4tzt, so besagt dies nach der oben gegebenen Erkl\u00e4rung allerdings nicht, dafs stumpfe Winkel unter allen Umst\u00e4nden \u00fcbersch\u00e4tzt werden, vielmehr wird die \u00dcbersch\u00e4tzung nur da auftreten, wo kleinere Winkel damit in Vergleich kommen. Und zun\u00e4chst scheint darum die Meinung von Lipps, da in der Figur keine anderen Winkel als die sechs stumpfen von je 120\u00b0 sichtbar sind, vollkommen begr\u00fcndet. Allein man braucht nur auf unsere obige Fig. 6 zu achten (anderer, die meine fr\u00fchere Abhandlung brachte,1 gar nicht zu gedenken), so erkennt man, dafs, wie wir auch fr\u00fcher bemerkten, objektiv nicht gezogene Linien, durch die Einbildungskraft ersetzt, oft \u00e4hnlich wirksam sind, als wenn sie in \u00e4ufserer Wirklichkeit gezogen w\u00e4ren. Und indem dies auch hier der Fall ist, kommt es zur Bildung spitzer Winkel, denen gegen\u00fcber die Untersch\u00e4tzung der stumpfen als grofser Winkel unserem Gesetz entsprechend stattfindet und dann auch zur falschen Sch\u00e4tzung der Distanzen f\u00fchrt. Die folgende Figur (Fig. 7), in welcher die punktierten Linien zwei blofs subjektiv gezogene Linien andeuten solleii,' wird gen\u00fcgen, dies anschaulich zu machen.\n12. Doch Lipps bringt noch einige weitere Instanzen,2 durch welche meine Erkl\u00e4rung zu nichte werden soll, und merkw\u00fcrdigerweise dienen ihm dazu F\u00e4lle, welche ich selbst zur Unterst\u00fctzung meiner These vorgef\u00fchrt hatte, n\u00e4mlich Figg. 7, 8, 23, 24\n1\tWie z. B. a. a. O. S. 352, Figg. 5 und 6, S. 354, Figg. 10 und 15, und die Figuren auf S. 357.\n2\tA. a. O. No. 4, S. 501 f.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nFranz Brentano.\nmeines ersten Aufsatzes, und auch Fig. 4, \u201ewenn man\u201c, sagt er, \u201ehier die Bogen so zeichnet, dafs die vertikale Linie zur gemeinsamen Tangente derselben wird\u201c. In Bezug auf diese also noch ein kurzes \"Wort.\nWas Fig. 4, in der von Lipps versuchten Modifikation, und Fig. 23 anlangt, so ist die T\u00e4usohung, welche besteht, aber freilich auch die relative Schw\u00e4che der T\u00e4uschung, aus meinem Prinzip vollkommen begreiflich. Im ersteren Falle kommt Lipps von selbst der Zweifel, ob dies nicht der Fall sein m\u00f6ge; im letzteren d\u00fcrften die soeben (No. 11) gef\u00fchrten Er\u00f6rterungen, die sich leicht darauf \u00fcbertragen lassen, ihn wecken. Was Fig. 24 anlangt, so kann ich auf Grund erneuerter Versuche mit verschiedenen Beobachtern nur das wiederholen, was ich S. 357 f. meines ersten Aufsatzes gesagt habe. Bei einiger Sorgsamkeit erkannte man sofort, dafs sowohl an den oberen als unteren Ecken, und somit auch f\u00fcr die ganzen vertikalen Linien, links und rechts der Abstand gleich sei. Dagegen zeigte sich allerdings, dafs in Fig. 7 und 8 die T\u00e4uschung m\u00e4chtiger auftrete, als es bei den von mir urspr\u00fcnglich entworfenen Zeichnungen der Fall war, auf welche sich der von mir gegebene Bericht1 bezieht: \u201eich fand, dafs selbst wenig ge\u00fcbte Beobachter bei einiger Aufmerksamkeit der T\u00e4uschung nicht mehr erliegen, sondern alsbald f\u00fcr die Gleichheit der Linien sich aussprechen.\u201c Der Unterschied der Wirkung ist offenbar auf die Ab\u00e4nderung zur\u00fcckzuf\u00fchren, die beim Drucke vorgenommen worden ist. Die beiden Figuren wurden sehr nahe aneinanderger\u00fcckt. Infolge davon d\u00fcrften jetzt die meisten den Vergleich in einer betr\u00e4chtlich anderen Weise vornehmen, als es bei meiner Zeichnung geschehen, indem sie ihre Augen, oder wenigstens ihre Aufmerksamkeit, sowohl oben als unten quer\u00fcber streifen lassen, bei diesem Prozesse aber \u00fcber die Vorspr\u00fcnge sozusagen mit dem Blicke stolpern, unbewufst von der horizontalen Richtung abkommen und dann, die Abweichung wieder ausgleichend, mit Bewufstsein ihm heben und senken. Bezeichnend daf\u00fcr ist es, dafs die T\u00e4uschuug abnimmt, wenn man abwechselnd die eine oder andere Figur verdeckt; ja sogar wenn man die Lage der Figuren ver\u00e4ndert. Blickt man sie in schiefer Lage an, so ist\nA. a. 0. No. 4, S. 353.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\n77\nin dieser, den T\u00e4uschungen sonst vorz\u00fcglich g\u00fcnstigen Stellung die Versuchung geringer. Und was so zun\u00e4chst verwundern mag, wird dem Nachdenkenden als Folge der eben gegebenen Erkl\u00e4rung verst\u00e4ndlich werden.1\nIII.\n18. Ich habe im Anf\u00e4nge des Aufsatzes versprochen, nicht blofs dafs ich die zum Teile so wohl erdachten Einw\u00e4nde von Lipps widerlegen, sondern auch dafs ich seine eigene Erkl\u00e4rung des optischen Paradoxons als mit den Thatsachen unvereinbar erweisen werde.\nIn der That, wer seine Streitschrift liest, erkennt sofort, dafs dies schon darum unerl\u00e4fslich erscheinen mufste, weil Lipps diesen seinen Versuch in gewisser \"Weise als einen letzten und vielleicht nicht gerade schw\u00e4chsten Einwurf geltend machen will. Er behauptet n\u00e4mlich,2 dafs sein Erkl\u00e4rungsprinzip, selbst wenn das m einige sonst unanfechtbar w\u00e4re, das vor ihm voraushabe, dafs es mit den von mir beachteten Erscheinungen einheitlich auch solche, auf welche mein Prinzip unanwendbar sei, begreife. Auf Grund dieser bereits feststehend und alle meine F\u00e4lle miterkl\u00e4rend, mache es \u201eBrentanos Erkl\u00e4rungsprinzip gegenstandslos\u201c.3\n1\tIch ben\u00fctze die Gelegenheit, auf einige andere Fehler, die beim Abdrucke meiner ersten Abhandlung sich eingescblichen, aufmerksam zu machen.\nS. 350, Z. 12 v. oh., und Z. 2 v. unt., sowie S. 352, Z. \u00df v. ob., lies Stricke (st. Striche);\nS. 356, Z. 7 v. ob., ist vor ab g das Winkelzeichen ausgehliehen;\nS. 354 ist Fig. 13 eine nutzlose Wiederholung von Fig. 12 geworden ; hei meiner, nicht mehr in meinen H\u00e4nden befindlichen, Zeichnung war wohl einer der geradlinigen Ans\u00e4tze auf der entgegengesetzten Seite angebracht ;\nbei Fig. 21 sollten die ineinanderliegenden Winkel den Scheitelpunkt gemein haben, und bei dieser sowohl als hei der folgenden Fig. 22 die Abst\u00e4nde genau gleich sein, w\u00e4hrend sie, hier die durch die T\u00e4uschung bewirkte Sch\u00e4tzung erh\u00f6hend, dort sie herabsetzend, beidemal aber st\u00f6rend, nicht unbetr\u00e4chtlich sich unterscheiden.\nEndlich ist bei der Z\u00e4hlung der Figuren No. 11 \u00fcbersprungen.\n2\tA. a. 0. No. 6, S. 502.\n3\tA. a. 0. No. 6, S. 502; womit der am Ende (No.8) ausgesprochene Tadel, dafs es \u201eein gef\u00e4hrliches Unternehmen\u201c sei, wenn man, so wie","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nFranz Brentano.\n\"Wir wollen jetzt unser Wort auch in diesem Punkte einl\u00f6sen.\nDer Grundgedanke von Lipps, wie er von ihm a. a. O. S. 305 ausgesprochen wird, ist folgender: Jede Linie, meint er, repr\u00e4sentiert eine Bewegung. Erscheint eine gerade Linie an den Enden in derselben Richtung oder wenigstens ohne allzustarke Abweichung von ihr fortgesetzt, so scheint die Bewegung \u201efrei und siegreich aus sich herausstrebend\u201c ; andernfalls, wie wenn sie sich an den Enden gar nicht oder in sehr starker Abweichung von der fr\u00fcheren Richtung, z. B. in einem spitzen Winkel, fortsetzt, scheint sie \u201eabgeschnitten, angehalten, gehemmt\u201c. Die \u201esiegreich aus sich herausgehende\u201c Bewegung wird nun \u00fcberall hinsichtlich der Weite des Weges, den sie durchmessen, \u00fcbersch\u00e4tzt, die \u201egehemmte\u201c untersch\u00e4tzt. Lipps erl\u00e4utert diesen Gedanken durch Hinweis auf die optische T\u00e4uschung, verm\u00f6ge deren uns ein Quadrat, wenn man zwei parallele Seiten \u00fcber die Ecken hinaus verl\u00e4ngert, in der betreffenden Richtung gestreckt erscheint. Er verwertet ihn aber f\u00fcr unseren Fall, indem er sagt, \u201eaus hier nicht anzuf\u00fchrenden Gr\u00fcnden\u201c unterl\u00e4gen wir in allen von mir aufgef\u00fchrten Beispielen \u201ein besonderem Mafse dem Eindruck einer frei aus sich heraus oder in die Weite gehenden, von einer Mitte fortstrebenden\u201c, in allen Beispielen der Untersch\u00e4tzung \u201edem einer in sich zur\u00fcckkehrenden, einer Mitte zustrebenden Bewegung\u201c.\nEs ist nun wohl hier nicht der Ort, die Anschauung von Lipps in ihrer Allgemeinheit zu w\u00fcrdigen. Hinsichtlich des Thats\u00e4chlichen aber, das er erbringt, wird man nicht umhin\nk\u00f6nnen, zuzugestehen, dafs die Be-|\t* hauptung von der scheinbaren Ver-\nl\u00e4ngerung des Quadrats in der Richtung der verl\u00e4ngerten Parallelen richtig ist. Auch wird, wer die beifolgende Figur.(Fig. 8) ins Auge fafstj bemerken, dafs wir geneigt sind, den r\t* Abstand zwischen den beiden kleinen\ngeraden Linien f\u00fcr gr\u00f6fser zu halten, F\"J' 8'\tals den ihm gleichen Abstand zwischen\nich es gethan, versuche, \u201eeinzelne optische T\u00e4uschungen oder Gruppen von solchen f\u00fcr sich zu erkl\u00e4ren\u201c, ohne Zweifel in Zusammenhang zu bringen ist.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\n79\nden zwei vereinzelten Punkten. Und es ist kein Zweifel, dafs sich, diese T\u00e4uschung als Folge des von Lipps vertretenen Grundgedankens erkl\u00e4ren w\u00fcrde, w\u00e4hrend sie auf mein Prinzip der Untersch\u00e4tzung grofser und \u00dcbersch\u00e4tzung kleiner Winkel nicht zur\u00fcckf\u00fchrbar erscheint.\nNun k\u00f6nnte einer zwar sagen, die Begrenzung durch einen Punkt sei scharf, die durch eine Linie sozusagen verwaschen, und hierauf ruhe die relative \u00dcbersch\u00e4tzung. Aber, wenn sich dies auch an und f\u00fcr sich recht wohl h\u00f6ren l\u00e4fst,1 so bleibt doch Lipps unzweifelhaft im Vorteil, wenn er diese Erscheinung mit tausend anderen, und insbesondere auch mit den von mir betrachteten paradoxen F\u00e4llen wirklich einheitlich zu erkl\u00e4ren vermag.\nDoch gerade dies ist, wie ich jetzt darzuthun hoffe, wenigstens was meine F\u00e4lle betrilft unm\u00f6glich. Meine Gr\u00fcnde daf\u00fcr sind folgende:\n1. Wenn Lipps behauptet, dafs wir in den von mir an. gef\u00fchrten Beispielen der \u00dcbersch\u00e4tzung dem Eindruck einer \u201evon einer Mitte fortstrebenden\u201c, in denen der Untersch\u00e4tzung dem einer \u201eder Mitte zustrebenden\u201c Bewegung unterl\u00e4gen, so vermag ich ihm, soweit seine Aussage ihn selbst betrifft, nat\u00fcrlich nicht zu widersprechen, in betreff meiner und der allermeisten stelle ich aber das, was er sagt, auf das entschiedenste in Abrede. Ja f\u00fcr Figg. 5 und 6 meines ersten Aufsatzes, wo doch die T\u00e4uschung hochgradig besteht, wage ich getrost das gerade Gegenteil zu behaupten. Die einander zugekehrten Winkelspitzen machen mir den Eindruck, als strebten sie \u201eeiner Mitte zu\u201c, die voneinander abgekehrten, als strebten sie \u201evon einer Mitte fort\u201c, und zwar wohl deshalb, weil sie mich an Pfeile erinnern, die in der Richtung der Spitze die Luft durchschneiden.2\nSollte dies bei irgendwem weniger der Fall sein, so d\u00fcrfte die Wirkung doch unausbleiblich auch f\u00fcr ihn eintreten, wenn er statt blofser Spitzen ganze Pfeile zeichnet, wie ich es in den folgenden Figuren (Figg. 9 u. 10) thue. Aber die T\u00e4uschung wird auch dann noch ungeschw\u00e4cht f\u00fcr ihn bestehen.\n1\tVergl. meine fr\u00fchere Abhandlung, No. 4, S. 352 f., u. No. 5, Anm. 1, S. 354.\n2\tDasselbe gilt f\u00fcr Figg. 10, 21 und 22.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nFranz Brentano.\n2. Wenn wir Figg. 1 und 2 meines fr\u00fcheren Aufsatzes in der Art ab\u00e4ndern, dafs wir die zu vergleichenden geraden Linien beide nach oben und unten verl\u00e4ngern, so besteht, wie\n\u00a5\n\nA\n\u00a5\nFig. 9.\nA\n\u00a5\nV\nFig. 10.\n%\ndie folgende Figur (Fig. 11) zeigt, die T\u00e4uschung ungeschw\u00e4cht, ja, f\u00fcr mich wenigstens, sogar etwas verst\u00e4rkt fort. Nach Lipps aber m\u00fcfste sie, da nun auch die scheinbar verk\u00fcrzte Linie \u201esiegreich aus sich herausstrebt\u201c, gar nicht mehr oder doch jedenfalls geschw\u00e4cht bestehen, da das M\u00e4chtigerwerden einer schon gegebenen freien Bewegung nach aufsen nicht so auff\u00e4llig sein kann, als der Umschlag der Bewegung in ihr","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber ein optisches Paradoxon.\t81\nGegenteil beim Sieg \u00fcber die vorher zur\u00fcckdr\u00e4ngenden Hemmnisse.\nFig. 11.\n3. Endlich, wenn ich zugebe, dafs der durch zwei kleine gerade Linien, wie in Eig. 8, abgegrenzte Abstand gr\u00f6fser scheint, als der durch zwei vereinzelte Punkte abgegienzte, so kann ich doch keineswegs zugestehen, dafs dies in dem Mafse der Pall sei, wie es der Fall sein m\u00fcfste, wenn hier, in der Weise wie Lipps den Zusammenhang erkl\u00e4rt, dieselbe Ursache wie in den von mir betrachteten F\u00e4llen wirksam w\u00e4re. Wir h\u00e4tten dann, da es sich um geradlinige Fortsetzungen handelt, den der T\u00e4uschung g\u00fcnstigsten Fall vor uns, sie m\u00fcfste also hier in vorz\u00fcglicher Kraft sich offenbaren, w\u00e4hrend sie vielmehr ungleich schw\u00e4cher auftritt.\nIn den folgenden Figuren (Figg. 12\u201414) habe ich ein Mittel gefunden, die hier und die in meinen F\u00e4llen wirkende\nI\nFig. 12.\tFig. 13.\tFig. 14.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nFranz Brentano.\nKraft sich im Kampfe messen zu lassen. Und da zeigt denn der Erfolg, dafs man es bei den letzteren mit einem anderen, weil ungleich m\u00e4chtigeren Prinzip zu thun hat. Weder gleichgerichtete Fortsetzungen, noch verdoppelte Fortsetzungen, von denen die eine gleichgerichtet ist, w\u00e4hrend die andere in ihrer Richtung sehr wenig von der Richtung der zu vergleichenden Linien abweicht, verm\u00f6gen es zu verhindern, dafs die Ans\u00e4tze kleiner gerader Linien unter spitzen Winkeln von 30\u00b0 und stumpfen von 150\u00b0 in durchschlagender Weise ihre Tendenz; zur T\u00e4uschung zu Geltung bringen.\nDas ist, was ich gegen Lipps zur Verteidigung meines fr\u00fcheren Ergebnisses zu sagen hatte. Indem ich dieselbe abschliefse, kann ich nicht umhin, nochmals meiner Freude Ausdruck zu geben, dafs mein unscheinbarer kleiner Aufsatz den gewissenhaft eifrigen Forscher zu so mannigfaltigen Erw\u00e4gungen anregen konnte. Unzweifelhaft bleiben seine Einw\u00e4nde, selbst wenn meine Antwort sie als nicht unwiderleglich erwiesen haben sollte, etwas, was das Verst\u00e4ndnis der Frage wahrhaft f\u00f6rdert.","page":82}],"identifier":"lit15103","issued":"1893","language":"de","pages":"61-82","startpages":"61","title":"\u00dcber ein optisches Paradoxon (Zweiter Artikel)","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:00:10.975666+00:00"}