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{"created":"2022-01-31T17:01:32.747838+00:00","id":"lit15108","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 92-94","fulltext":[{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nLitteraturbericht.\ndie \u201e'carta biografica\u201c beim Eintritt in die Schulzeit bewirkt und alsdann bis zum Ende derselben weitergef\u00fchrt wird. Geschieht dies in sorgf\u00e4ltiger Weise, dann mufs die Psychologie der Individualit\u00e4t binnen kurzer Zeit grofse Fortschritte machen, und nicht die P\u00e4dagogik allein wird aus diesem Fortschritte Nutzen ziehen.\nUfer (Altenburg).\nL. Wilser. Die Vererbung der geistigen Eigenschaften. Festschrift zur Feier des 50j\u00e4hrigen Jubil\u00e4ums der Anstalt lllenau. Heidelberg 1892.\nDer aufserordentlich interessante Aufsatz hat leider den Fehler, dafs- er zu kurz ist und eine ganze Anzahl von Fragen mehr angeregt als erledigt werden. Der Verfasser wendet sich mit aller Sch\u00e4rfe gegen gewisse Nachfolger Darwins, die p\u00e4pstlicher als der Papst vermeinen, den alten Meister verbessern zu m\u00fcssen. An der Spitze dieser Neudarwinisten in Deutschland, die jede Vererbung erworbener Eigenschaften in Abrede stellen und alles mit der \u201eAuslese\u201c allein erkl\u00e4ren wollen, steht Weismann, und gegen ihn und seine Lehre richten sich die Angriffe WlLSERS.\nDafs die geistigen Eigenschaften des Menschen denselben Vererbungsgesetzen unterworfen sind, wie die des Leibes, wird kein Naturforscher bezweifeln, aber hier wie dort kommt man ohne die Erblichkeit nicht aus, und wie sich z. B. Weismann ohne die Annahme der erblichen \u00dcbertragung einer w\u00e4hrend des Lebens erworbenen F\u00e4higkeit die Entstehung der Instinkte erkl\u00e4ren will, ist nicht recht ersichtlich.\nDie Vererbung der Anpassungen ist eben ein unentbehrliches Fundament der Descendenztheorie,- mit ihr steht oder f\u00e4llt die Lehre von der stufenweise aufsteigenden Entwickelung unserer tierischen und menschlichen Ahnenreihe.\nWilser hat die Gesetze der Vererbung in den folgenden 12 S\u00e4tzen zusammengefafst :\n1.\tDie Eigenschaften werden um so sicherer \u00fcbertragen, sind um so befestigter, je l\u00e4nger sie schon vererbt sind, je weiter sie im Stammbaum hinaufreichen.\n2.\tVerst\u00fcmmelungen, die durch eine zuf\u00e4llig einwirkende Gewalt entstehen, werden daher nur in den seltensten F\u00e4llen \u00fcbertragen, meist nur dann, wenn sie Krankheiten, besonders Entz\u00fcndungen trophischer Nerven zur Folge gehabt haben.\n3.\tAlle Ver\u00e4nderungen jedoch, die eine lange und tiefgehende Einwirkung auf den Organismus ausge\u00fcbt haben oder auf einer St\u00f6rung der Keimesentwickelung beruhen, haben neben den befestigten Eigenschaften die gr\u00f6fste Neigung, sich zu vererben. Hierher geh\u00f6ren Krankheiten, Krankheitsanlagen und Mifsbildungen.\n4.\tJeder Elternteil mufs etwas von seinen Eigenschaften auf die Nachkommen \u00fcbertragen; das Verh\u00e4ltnis ist jedoch kein bestimmtes, sondern es \u00fcberwiegt h\u00e4ufig der Einflufs einer Seite. Die Vererbungskraft von v\u00e4terlicher Seite kann so grofs sein, dafs sie den m\u00fctterlichen Organismus umstimmt und auf sp\u00e4tere, von einem anderen Vater erzeugte Fr\u00fcchte sich erstreckt.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n93\n5.\tDie Vererbungskraft kann \u201elatent\u201c sein, d. h. eine oder mehrere Generationen \u00fcberspringen.\n6.\tJe verschiedener die Eltern sind, desto schwerer werden sich ihre Eigenschaften zu einem harmonischen Ganzen vereinigen k\u00f6nnen. Die L\u00fccken werden durch R\u00fcckschl\u00e4ge ausgef\u00fcllt, die um so weiter zur\u00fcckgreifen, je weiter der Stammbaum der Eltern auseinandergeht. Bei zu grofser Verschiedenheit tritt Unfruchtbarkeit ein.\n7.\tInzucht kann gute und schlechte Eigenschaften steigern. Edle Rassen k\u00f6nnen bei sorgf\u00e4ltiger Zuchtwahl durch sie noch bedeutend veredelt werden. Bei zu langer Fortsetzung tritt jedoch auch dann eine Schw\u00e4chung der Widerstandskraft ein.\n8.\tAlter und Kr\u00e4ftezustand der Erzeuger sind von Einflufs auf die Nachkommen, vielleicht sogar Gem\u00fctsstimmung und gewisse vor\u00fcbergehende Zust\u00e4nde des Nervensystems, wie z. B. Alkoholvergiftung.\n9.\tGewohnheiten, k\u00f6rperliche und geistige Fertigkeiten werden um so leichter vererbt, je ausgebildeter sie sind.\n10.\tDurch Gebrauch oder Nichtgebrauch hervorgerufene Vergr\u00f6fse-rung oder Verkleinerung von Organen wird vererbt.\n11.\tTeile, die durch ver\u00e4nderte Lebensbedingungen gleichg\u00fcltig oder sch\u00e4dlich geworden sind, schwinden allm\u00e4hlich, werden rudiment\u00e4r, um so langsamer, je l\u00e4nger sie schon vererbt sind, um so schneller, je mehr die Auslese eingreifen kann.\n12.\tDurch die nat\u00fcrliche Auslese k\u00f6nnen nur n\u00fctzliche Eigenschaften gesteigert werden, durch ung\u00fcnstige \u00e4ufsere Verh\u00e4ltnisse auch sch\u00e4dliche, durch k\u00fcnstliche Zuchtwahl beliebige.\nDiese Gesetze gelten wie f\u00fcr Tiere und Pflanzen so auch f\u00fcr den Menschen, und zwar nicht minder f\u00fcr dessen geistige Eigenschaften als f\u00fcr die leiblichen, und wir m\u00fcssen den wichtigen Trieb der Erhaltung als die Wurzel aller seelischen Anlagen betrachten.\nWilsek f\u00fchrt in knappen Strichen aus, wie sich nur in dem best\u00e4ndigen Kampfe ums Dasein Denkverm\u00f6gen und Denkkraft entwickeln konnten. Lediglich durch Kampf und Not arbeiteten sich die Bewohner des europ\u00e4ischen Bodens empor, w\u00e4hrend die g\u00fcnstig gestellten Asiaten verkamen. Auch heute noch steht der Volksstamm am h\u00f6chsten, der das alte Arierblut am reinsten in seinen Adern f\u00fchrt. Das sind n\u00e4chst den Skandinaven die Deutschen, und auch hier wieder die Dolichocephalen die in den h\u00f6heren St\u00e4nden noch \u00fcberwiegen, in einer gemischten Bev\u00f6lkerung aber mit der Zeit immer seltener werden, \u201eda sie kraft ihrer ererbten Eigenschaften in allen K\u00e4mpfen, sei es mit dem Schwerte oder mit den Waffen 'des Geistes, im Vordertreffen stehen und sich f\u00fcr ihre Ideale, di eWahrheit und das Vaterland, aufreiben, inserviendo consumuntur. \u201c\nSchon jetzt sucht der Staat die schwersten Verbrecher durch Todesstrafe und Einsperrung an der Fortpflanzung ihrer gemeingef\u00e4hrlichen Triebe zu verhindern. Vielleicht dr\u00e4ngt sich auch, wenn einmal die naturwissenschaftliche Naturanschauung Gemeingut sein wird, den Staatslenkern die \u00dcberzeugung auf, dafs der Gesetzgeber die Pflicht hat, zum Wohle der Allgemeinheit Gewohnheitsverbrechern und unheilbar Kranken, die. Eheschliefsung zu verbieten (pag. 185).","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nLitteraturbericht.\nAn uns aber ergeht aus diesen Anschauungen heraus die gebieterische Forderung, dafs wir unsere k\u00f6rperlichen und geistigen F\u00e4higkeiten durch stete \u00dcbung bis zur m\u00f6glichen Vollendung entwickeln und so unseren Nachkommen die M\u00f6glichkeit eines weiteren Fortschrittes geben.\tC. Pelman.\nF. Brentano. Das Genie. Vortrag. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1892.\n38 S.\nIn der Bestimmung des Begriffes \u201eGenie\u201c sieht man sich vor die Fundamentalfrage gestellt, ob es sich von dem Talente nur dem Grade oder auch der Art nach unterscheide. Auch Brentano geht an die Untersuchung dieses Problems. Es ist einleuchtend, dafs der geniale Schachspieler, wenn er einen Zug thut, sich von ganz \u00e4hnlichen Erw\u00e4gungen leiten l\u00e4fst wie der blofse Kenner; nur dafs er in h\u00f6herem Mafse als jener die F\u00e4higkeit besitzt, das Eigent\u00fcmliche der jeweiligen Situation zu durchschauen und die m\u00f6glichen Konsequenzen jedes Schrittes im voraus zu \u00fcberblicken. \u00c4hnlich verh\u00e4lt es sich auch mit der Genialit\u00e4t auf wissenschaftlichem Gebiete, indem sich zeigen l\u00e4fst, dafs etwa Archimedes oder Newton, als sie ihre hervorragendsten Entdeckungen machten, unter dem Banne der n\u00e4mlichen Denkgesetze verfuhren, welchen auch der Vorstellungsverlauf des gew\u00f6hnlichen Sterblichen unterworfen ist.\nIn dem Bereiche der sch\u00f6nen K\u00fcnste dagegen ist die gleiche Beziehung zwischen Genie und Talent nicht so leicht darzuthun; sprechen sich doch die genialsten K\u00fcnstler, die man in unserem Falle zweifelsohne als zuverl\u00e4ssige Gew\u00e4hrsm\u00e4nner gelten lassen mufs, dahin aus, sie seien zu ihren Sch\u00f6pfungen durch jenen geheimnisvollen Einflufs angeregt worden, den man gew\u00f6hnlich Inspiration nennt und zu dem das Seelenleben des Normalmenschen kein Analogon darbietet. Dieses Zeugnis gewinnt noch dadurch an Bedeutsamkeit, dafs M\u00e4nner von v\u00f6llig entgegengesetzter Geistesrichtung wie Goethe und Jean Paul darin \u00fcbereinstimmen und dafs auch aus dem Altertume die gleichen Erscheinungen mehrfach berichtet werden. Auch der Umstand, dafs das Genie meist nur auf eine einzelne Kunst oder gar Kunstgattung beschr\u00e4nkt ist, dafs es, mit der Gewalt eines Naturinstinktes auftretend, alles \u00dfegel-zwanges spottet und dennoch viel korrekter arbeitende Talente weitaus \u00fcberfl\u00fcgelt, scheint daf\u00fcr zu sprechen, dafs es vom Talente spezifisch verschieden sei.\nGleichwohl macht Brentano den Versuch, das Ungew\u00f6hnliche durch ein bekanntes Naturgesetz zu erkl\u00e4ren; und zu diesem Behufe teilt er die K\u00fcnste zun\u00e4chst in solche, welche die Natur unmittelbar nachahuaeJi, wie die Malerei, und in solche, die nur den von ihr dargebotenen Stoff sch\u00f6pferisch ausgestalten, wie die Dichtkunst. An der ersten Gruppe wird es leicht ersichtlich, wie der nicht geniale K\u00fcnstler, um sich \u00fcber die Natur seiner Aufgabe klar zu werden, erst unsicher tastend experimentiert, dann an einer aus anerkannten Meisterwerken abstrahierten Regel seine St\u00fctze sucht und sich schliefslich an ein grofses Verbild anlehnt. F\u00fcr das Genie nun liegt die Sache keineswegs so, dafs","page":94}],"identifier":"lit15108","issued":"1893","language":"de","pages":"92-94","startpages":"92","title":"L. Wilser: Die Vererbung der geistigen Eigenschaften, Festschrift zur Feier des 50j\u00e4hrigen Jubil\u00e4ums der Anstalt Illenau. Heidelberg, 1892","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:01:32.747843+00:00"}