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{"created":"2022-01-31T16:59:40.287921+00:00","id":"lit15123","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pilzecker, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 123-125","fulltext":[{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n123\nTiefenzeichen gerade f\u00fcr eine nativistische Behandlung des Problems zu gewinnen ist).\tCl. du Bois-Reymond.\nHerm. Schwarz. Das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkte des Physikers, des Physiologen und des Philosophen. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1892. 408 S.\nZwei Bestandteile lassen sich schon in der Ansicht des naiven Realismus, von welcher ausgehend Verfasser das Wahrnehmungsproblem verfolgt, unterscheiden: in methodologischer Hinsicht ein Verfahren, die Welt der Sinnesdata zu ordnen, in metaphysischer Hinsicht ein Versuch, die Abh\u00e4ngigkeit oder Unabh\u00e4ngigkeit der Sinnesdata vom Bewufstsein zu entscheiden. Aus jenem ersten methodologischen Bestandteil, der den Tastdatis, weil sie best\u00e4ndiger und mit lebhafteren Gef\u00fchlen verkn\u00fcpft sind, eine bevorzugte Stellung vor den Datis aller \u00fcbrigen Sinne einr\u00e4umt, sie als Dinge von ihren Eigenschaften unterscheidet und in kausale Beziehungen zu einander setzt, macht der Physiker eine Methode der Zeichenbeziehung, der \u201eZur\u00fcckf\u00fchrung der sekund\u00e4ren Sinnesereignisse auf die aus den Vorg\u00e4ngen der Tastwahrnehmung abstrahierten mechanischen Vorg\u00e4nge.\u201c Damit verkn\u00fcpft er aber zugleich eine metaphysische Behauptung, n\u00e4mlich die, dafs die Gegenst\u00e4nde der Tastwahrnehmung objektiver Natur, die sekund\u00e4ren Sinnesdata, wie Farben, T\u00f6ne u. s. w., rein subjektiv seien. Hiergegen wendet sich Schwarz mit den von Riehe (Der philosophische Kriticismus, II.) dargelegten vier Gesichtspunkten. Entweder m\u00fcsse man allen Sinnesdatis Objektivit\u00e4t zuerkennen, oder aber es komme ihnen allen nur eine mentale Existenz zu Um nun jenem realistischen Standpunkt ebenso gerecht zu werden, wie diesem idealistischen, schl\u00e4gt Schwarz vor, den unter dem Bilde von Ursache und Wirkung in der Physik gedachten Zusammenhang zwischen den mechanischen Vorg\u00e4ngen einerseits, dem Auftreten von Licht und Farben andererseits durch die Vorstellung eines methodologischen Parallelismus zu ersetzen, der in regelm\u00e4fsiger Weise zwischen den beiden Sinnesgebieten bestehe.\nAber noch in anderem Sinne wird in der Physik von Subjektivit\u00e4t geredet. Der Physiker hatte bei seinen Erkl\u00e4rungsversuchen nur auf die normalen Sinnesgeschehnisse, die ihren Ursprung aufserhalb der Organe haben, R\u00fccksicht genommen. Insofern diese als Abbildungen der \u00e4ufseren Bewegungsvorg\u00e4nge betrachtet werden k\u00f6nnen, nennt er sie objektiv im Gegensatz zu denjenigen Empfindungen, deren mechanische Korrelate im Organ selbst ihren Ursprung haben. So sind ihm die Kombinationst\u00f6ne objektiv, die Schwebungen dagegen subjektiv. Die \u00c4thertheorie weifs den negativen Nachbildern keine objektive mechanische Repr\u00e4sentation zu geben, sie werden daher f\u00fcr subjektiv erkl\u00e4rt u. a. m. Hier d\u00fcrfe man, ehe man den Sinnesorganen mechanische Leistungen zuschreibe, welche in die physikalische Erkl\u00e4rung selbst nicht hineinpafsten, und welche in der ganzen unorganischen Natur nicht ihresgleichen h\u00e4tten, eine \u00c4nderung der allerersten Prinzipien der Optik, der Akustik fordern. Die Physik \u00fcberweise aber die Ausf\u00fcllung der L\u00fccken, welche sie bei ihren Erkl\u00e4rungen offen lasse, der Physiologie.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nLitteraturbericht.\nAus diesem Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnis der Physiologie von der Physik ergiebt sich, dafs eine besondere physiologische Methaphysik nicht besteht. Ebensowenig sollte eine besondere physiologische Methode existieren. Nach Schwarz mufs man jedoch eine physikalische Richtung in der Physiologie von einer unphysikalischen scheiden: dort \u201ewerden als die mechanischen Korrelate der Sinnesdata allgemeine, in der Natur \u00fcberall verbreitete mechanische Leistungen auch f\u00fcr die Organteile angenommen. Im Sinne der unphysikalischen Richtung sollen es besondere, in der unbelebten Natur nirgend vorkommende mechanische Leistungen der Organteile sein, welche als das mechanische Korrelat der Sinnesdata in Anspruch genommen werden m\u00fcssen.\u201c . Dem gegen\u00fcber glaubt Verfasser, die HELMHOLTZSche Gepflogenheit, in den Kreis naturwissenschaftlicher Betrachtungen die psychologische Erkl\u00e4rung einzuf\u00fchren, mit Urteilst\u00e4uschungen und dergl. zu operieren, verteidigen zu m\u00fcssen.\nIm Gebiete der physiologischen Akustik lasse sich bis auf das Ph\u00e4nomen der Verschmelzung alles rein physikalisch erkl\u00e4ren, oder sei wenigstens eine solche Erkl\u00e4rung denkbar. Vermittelst der Helmholtz-schen Hypothese der Schneckenklaviatur w\u00fcrden die Kontinuit\u00e4t des Tonreiches, die Erh\u00f6hung ausklingender T\u00f6ne, die Schwebungst\u00f6ne v\u00f6llig verst\u00e4ndlich. In der physiologischen Optik f\u00fcgten sich die Erscheinungen, wie Verfasser an dem ScHEiNERschen Versuch, den Helm-HOLTZschen Versuchen \u00fcber die Grenzen der Unterscheidbarkeit zweier gesehener Punkte, dem subjektiven Augenschwarz (als dessen mechanisches Korrelat Schwarz eigene \u00c4therschwingungon der Netzhaut betrachtet) zeigt, im allgemeinen ohne Schwierigkeiten der \u00c4thertheorie. Anders stehe es mit dem Problem der Undeutlichkeit des indirekt Gesehenen, Da hier die physiologischen Erkl\u00e4rungsversuche nicht ausreichten, greift Schwarz zu einer psychologischen Erkl\u00e4rung; er sieht den Unterschied der Deutlichkeit zwischen direkt und indirekt Gesehenem als herausgewachsen aus den Funktionen der Aufmerksamkeit an ; eine anatomische Grundlage f\u00fcr diesen Unterschied zu denken, sei \u00fcberfl\u00fcssig. Weiter werden die Theorien der Farbenwahrnehmung einer Kritik unterzogen, wobei die YouNG-HELMHOLTZsche infolge psychologischer Bedenken, die sich an die Verh\u00e4ltnisse der Mischfarben ankn\u00fcpfen lassen, als gescheitert angesehen, \u00fcber die HERiNGSche Hypothese mit Hinweis auf Wundts Kritik derselben hinweggegangen und schliefslich an einer Besprechung der von letzterem Forscher aufgestellten Farbentheorie der Grund des Fehlschlagens aller physiologischen Farbentheorien in der umzugestaltenden \u00c4thertheorie gesucht wird. Zur Erkl\u00e4rung des simultanen Kontrastes will Schwarz einen Mittelweg zwischen der rein physiologischen Erkl\u00e4rung Herings und der rein psychologischen Helmholtzs einschlagen. Das Psychische (die falschen Urteile) soll von physiologischen Ver\u00e4nderungen begleitet sein, welche hinterher den Endeffekt (z. B. das Gr\u00fcnsehen des grauen Schnitzels im MEYERSchen Versuch) auf rein physikalische Weise beg\u00fcnstigen.\nDie zweite, die unphysikalische Richtung in der Physiologie findet ihren deutlichsten Ausdruck in der Lehre von den spezifischen Sinnes-","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Litter a turberich t.\n125\nenergien. Schwabz geht dem Ursprung des Reizbegriffes aus den Untersuchungen am motorischen Nerven nach, wo eine qualitative Verschiedenheit der Reizgattungen nicht vorhanden sei, vielmehr das grofse Grundgesetz der Erhaltung mechanischer Kraft gelte. Dies treffe f\u00fcr den sensorischen Nerven nicht zu, man k\u00f6nne mit dem Bewufstsein nicht operieren, wie mit der Zuckung der Muskelfaser. Weiter bek\u00e4mpft Verfasser die Annahme spezifischer Sinnesenergien in den drei von Lotze versuchten Interpretationen desselben, -wonach man darunter eine spezifisch verschiedene Stimmung der verschiedenen Nervenfasern verstehen oder den Sitz der spezifischen Energien in den centralen Ganglien suchen oder endlich eine Anpassung der Nerven an die \u00e4ufseren Reize darunter sich denken sollte. Selbst in der von Helmholtz versuchten erweiterten Fassung, durch welche Stumpf zur Unterscheidung zweier Klassen spezifischer Energien, der qualitativen und der topogenen, gedr\u00e4ngt worden sei, versage das Gesetz, wie Verfasser f\u00fcr den Tonsinn zu zeigen sucht. Ebenso spr\u00e4chen die BLix-GoLDscHEiDERSchen Versuche \u00fcber den Hautsinn nur scheinbar daf\u00fcr, vielmehr h\u00e4tten die Gr\u00fcnde, welche Lotze gegen das Gesetz spezifischer Sinnesenergien anf\u00fchrte, durch die Untersuchungen von Kiesblbach, Pollak, Wreden, Ubban-tschitsch u. a. neue Best\u00e4tigungen erfahren.\nIm dritten, das Wahrnehmungsproblem vom philosophischen Standpunkt aus behandelnden Teil giebt Verfasser, wie er selbst erkl\u00e4rt, wesentlich eine zusammenfassende Darstellung der von Uphues u. a. beigebrachten Gesichtspunkte. Es mag' daher gen\u00fcgen, darauf hinzuweisen, dafs auch die philosophische Analyse den Verfasser nicht n\u00f6tigt, von dem Endresultat seiner bisherigen Betrachtungen abzugehen. Die Naturwissenschaft hatte, wie gezeigt, es nicht vermocht, die drei methodologischen Dogmen des naiven Realismus zu \u00fcberwinden: Die Bevorzugung der Tastdata war in der physikalischen Zeichenmethode stehen geblieben, die Bevorzugung der anormalen vor den normalen Sinnesdatis war in der Physik wieder aufgetaucht, das Prinzip einer durchgef\u00fchrten Wechselwirkung der Dinge, welches die Naturwissenschaft im Gegensatz zur gew\u00f6hnlichen Ansicht betonte, durchbrach sie selbst wieder, indem sie eine Wirkung auf das Bewufstsein annahm, die ohne Gegenwirkung bleibt. Da ferner die Philosophie nichts \u00fcber die Frage nach der Abh\u00e4ngigkeit oder Unabh\u00e4ngigkeit der Sinnesdata vom Bewufstsein zu entscheiden vermag, so kann auch die metaphysische Anschauung des naiven Realismus bestehen bleiben, ja sie darf sogar nicht als eine unwissenschaftliche bezeichnet werden. A. Pilzecker (G\u00f6ttingen).\nP. Weisengr\u00fcn. Das Problem, Grundz\u00fcge einer Analyse des Realen.\nLeipzig, C. G. Naumann, 1892, 196 S.\nEs ist sehr schwer, von einer gedankenreichen Schrift einen kurzen Bericht ihres Inhalts zu geben; ebenso schwer aber ist es aus einem inhaltsleeren, weitschweifigen und gespreizten Gerede einige leitende Gedanken herauszufischen. Zur letzteren Gattung geh\u00f6rt das oben genannte \u201eWerk\u201c. Wenn es hier dennoch Erw\u00e4hnung findet, so geschieht es nur der Vollst\u00e4ndigkeit wegen, nach der diese Zeitschrift strebt.","page":125}],"identifier":"lit15123","issued":"1893","language":"de","pages":"123-125","startpages":"123","title":"Herm. Schwarz: Das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkte des Physikers, des Physiologen und des Philosophen. Leipzig, Duncker u. Humlot, 1892","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:59:40.287929+00:00"}