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{"created":"2022-01-31T17:00:55.732746+00:00","id":"lit15133","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Martius, G\u00f6tz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 134-136","fulltext":[{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nLitteraturbericht.\nW. Wundt. Hypnotismus und Suggestion. Leipzig. Verlag von Willi.\nEngelmann. 1892. 110 S. Thilos. Studien. Bd. VIII, Hft. 1, S. 1\u201485.\nDer erste Abschnitt (S. 15\u201423) dieser inhaltsreichen neuesten Schrift W. Wundts bespricht \u201edie Erscheinungen der Hypnose\u201c. Die Unterscheidung der bekannten drei Stadien des hypnotischen Zustandes hat nach W. nur praktischen Wert. Die leichteren Grade der Hypnose \u00e4hneln der Schlaftrunkenheit; dazu tritt die eigent\u00fcmliche Abh\u00e4ngigkeit des Hypnotisierten vom Hypnotiseur. Den h\u00f6heren Graden (somnambulisme provoqu\u00e9) sind die Zust\u00e4nde der Befehlsautomatie, der suggerierten Halluzinationen, der An\u00e4sthesie und der negativen Gesichtshalluzinationen eigent\u00fcmlich; dazu kommen die posthypnotischen Wirkungen, die als partielle Fortdauer und partielle Erneuerung der Hypnose gekennzeichnet werden. Ursache der Hypnose ist die Suggestion.\nAbschnitt II (S. 24\u201481) \u201ezur Physiologie und Psychologie der Hypnose und Suggestion\u201c giebt nach kurzer Schilderung und Kritik der bisher \u00fcber den Hypnotismus aufgestellten Theorien, die als vielfach von occultistischen Vorstellungen und Neigungen beeinflufst nachgewiesen werden, eine ersch\u00f6pfende Analyse der hypnotischen Erscheinungen nach ihrer physiologischen und psychologischen Seite. Die Hypnose bietet, das-ist das Ergebnis dieser sch\u00f6nen Untersuchung, nirgends Symptome, die nicht in wohl be kannten psychologischen oder physiologischen Thatsachen ihre Erkl\u00e4rung finden. Auszugehen war - dabei von der psychischen Seite der hypnotischen Gesamterscheinungen, als der der \u00e4ufseren und inneren Beobachtung zun\u00e4chst zug\u00e4nglichen. Dann l\u00e4fst sich die Suggestion zun\u00e4chst als eine \u201eAssoziation bezeichnen mit gleichzeitiger Verengerung des Bewufsts\u00e9ins auf die durch die Assoziation angeregten Vorstellungen\u201c (S. 48). Der Grund der eigent\u00fcmlichen Hemmungserscheinungen des hypnotischen Zustandes oder der \u201eEinengung des Bewufstseins\u201c liegt nach Analogie des Schlafes in einer verminderten allgemeinen Empfindlichkeit, mit welcher f\u00fcr die \u00fcberhaupt wirksamen Heize nach dem Prinzip der funktionellen Ausgleichung eine gesteigerte Reizbarkeit verbunden ist (S. 50\u201452). Dieses Prinzip wird so formuliert: \u201eWenn sich ein gr\u00f6fserer Teil des Centralorgans infolge hemmender Einwirkungen in einem Zustande funktioneller Latenz befindet, so ist die Erregbarkeit des funktionierenden Restes f\u00fcr die ihm zufliefsenden Reize gesteigert. Voraussichtlich wird diese Steigerung um so gr\u00f6fser sein, je weniger durch vorausgegangene Ersch\u00f6pfung die im allgemeinen im Centralorgan vorhandenen latenten Kr\u00e4fte verbraucht wurden\u201c (S. 56). Das Prinzip l\u00e4fst sich aus der neurodynamischen Wechselwirkung der Ganglienzellen, verm\u00f6ge welcher bei Aufzeichnung gr\u00f6fserer Energiemassen \u201eder an einem Punkte eintretende Kraftverbrauch eine gesteigerte Zufuhr von allen benachbarten Punkten erh\u00f6hter Spannung zur Folge hat\u201c (S. 58), sowie aus einer parallelen vasomotorischen Wechselwirkung, nach welcher die Steigerung der Funktion eines Teiles des Gehirns einen verst\u00e4rkten Blutzuflufs aus den in Funktionsruhe befindlichen bewirkt, leicht ableiten. Der Unterschied der Hypnose und des Schlafes liegt in den verschiedenen Entstehungsbedingungen; dieser ist durch einen allge-","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Litter\u00dfturbericht.\t135\nmeinen Erm\u00fcdungszustand des Nervensystems bedingt, jene beruht auf der durch die Suggestion hervorgebrachten Einengung des Bewufstseins auf einen herrschenden Vorstellungskomplex (S. 61). Die oben aufgef\u00fchrten Allgemeinerscheinungen des hypnotischen Zustandes erkl\u00e4ren sich nun leicht (S. 62). Die Befehlsautomatie entsteht durch die suggerierte Vorstellung, die kataleptische Starre durch die notwendige St\u00e4rke der einseitigen Erregung bestimmter centraler Elemente, die Halluzinationen aus der mangelnden Gegenwirkung anderer Vorstellungen gegen die suggerierten. Die negativen Halluzinationen sind eine Folge der durch Suggestion bewirkten Nichtbeachtung der betreffenden Wahrnehmungen, die aber doch vorhanden sind (S. 64). Die Aufmerksamkeit ist bei dem Hypnotisierten rein passiver Art, die Willenshandlungen haben den Charakter von Triebhandlungen; \u201enicht der Wille selbst, sondern die Willk\u00fcr, nicht die Aufmerksamkeit \u00fcberhaupt, sondern die aktive oder willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit ist. gehemmt\u201c (S. 68). Auch die Eigenschaft der Erinnerungslosigkeit findet sich beim Schlafe, wie auch bei dem periodischen Irresein (S. 73).\nDer Abschnitt III (S. 82\u201495) bespricht die Frage, inwieweit der Suggestion die Bedeutung einer experimentellen psychologischen Methode zugesprochen werden kann, eine Frage, die f\u00fcr die Beurteilung, des wissenschaftlichen Wertes der von \u201epsychologischen Gesellschaften\u201c oder anderen Freunden des Hypnotismus ausgehenden Bestrebungen, der Suggestionspraxis Verbreitung zu verschaffen, entscheidend ist.- Ein psychologisches Experiment im eigentlichen Sinne ist das Suggerieren nicht; denn es fehlt bei dem Vorg\u00e4nge die M\u00f6glichkeit der f\u00fcr die psychologischen Experimente wesentlichen inneren Beobachtung, sowie die der vollen willk\u00fcrlichen Beherrschung des Versuchsgegenstandes. \u201eWer nicht durch eine von einem exakten experimentellen Verfahren geleitete Selbstbeobachtung \u00fcber die Grunderscheinungen des seelischen Lebens bereits aufgekl\u00e4rt ist, wird aus der Beobachtung der Lethargischen und Somnambulen und aus - deren Angaben schwerlich Aufschl\u00fcsse gewinnen\u201c (S. 93).\nDie praktische Bedeutung der Hypnose endlich (Abschnitt IV, S. 95 ff.) mufs auf die nicht zu leugnende Anwendbarkeit in der Therapie beschr\u00e4nkt werden. Nur dem Arzte sollte das Hypnotisieren gestattet sein. Dafs eine Sch\u00e4digung der ohne Grund Hypnotisierten nicht zweifelhaft ist, folgt schon aus der schnellen Zunahme der Erleichterung und Verst\u00e4rkung der suggerierten Einwirkungen, wie aus der M\u00f6glichkeit der Herausbildung einer Suggestibilit\u00e4t im wachen Zustande.\nDer Inhalt der Schrift wird gewifs in weiten Kreisen Interesse erregen und nicht wenig zu einer ruhigen Beurteilung der Thatsachen der Hypnose beitragen. Der Psychologe wird in ihr vor allen Dingen ein Musterst\u00fcck der Methode bewundern. Dafs die Psychologie in ihrer, heutigen Gestalt bereits eine derartige Anwendung, wie sie hier vorliegt, erlaubt, ist gewifs der beste Beweis, dafs . sie sich auf richtigem Wege befindet. Daran -wird auch nichts ge\u00e4ndert, wenn noch nicht jeder Punkt gekl\u00e4rt sein oder einzelne Punkte andere Auffassungen zulassen sollten. So scheint mir die Frage, wie die Suggestion oder die Assoziation, in","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nI\u00c0tteraiurberichi.\nder sie nach ihrer psychologischen Seite besteht, die Einengung des Bewufstseins bewirkt, noch immer offen zu sein. Eine L\u00f6sung wird freilich wohl nicht von der Psychologie, sondern von der Pathologie erwartet werden m\u00fcssen.\tGoetz Martius (Bonn).\nAscher. \u00dcber Aphasie bei allgemeiner Paralyse. Allgem. Ztschr. f. Psychiatrie, Bd. 49, S. 256.\nEin Paralytiker hot w\u00e4hrend der letzten zehn Monate seines Lebens die Symptome einer transkortikalen Aphasie dar, bei welcher eine St\u00f6rung in beiden transkortikalen Sprachbahnen, der motorischen, wie der sensorischen, vorlag, in der ersteren jedoch in weit h\u00f6herem Grade. Bei der Sektion fand sich, dafs der diffuse pathologische Prozefs, der das ganze Hirn betroffen hatte, seinen h\u00f6chsten Grad in der ersten linken Schl\u00e4fenwindung erreicht und dort Schwund und Entartung der Zellen, Degeneration im Mark und Schrumpfung der ganzen Binde herbeigef\u00fchrt hatte. Aufserdem war das linke Ganglion geniculatum internum degeneriert.\tLiebmann (Bonn).\nK\u00f6lle. \u00dcber die Variabilit\u00e4t der Wahnvorstellungen und Sinnest\u00e4uschungen. Ally. Ztschr. f. Psychiatrie, Bd. 49, S. 186.\nBekannt ist die allm\u00e4hliche Ausbreitung des Wahns chronisch Verr\u00fcckter \u00fcber immer weitere Vorstellungsgebiete, sowie die Bildung neuer Wahnideen zur Erkl\u00e4rung fr\u00fcher vorhandener, z. B. eines Gr\u00f6fsenwahns zur Erkl\u00e4rung eines Verfolgungswahns. Aber auch die scheinbar ganz stabilen Wahnvorstellungen, die sogenannten \u201efixen Ideen\u201c zeigen eine gewisse Variabilit\u00e4t. K\u00f6lle unterscheidet nach Koch drei Arten der Variation: die Steigerung des Wahns, den Wechsel desselben und das Variieren im engeren Sinne, d. h. das Variieren der Details gewisser Wahnvorstellungen. K\u00f6lle illustriert diese Verh\u00e4ltnisse durch ausf\u00fchrliche Krankengeschichten und betont zum Schl\u00fcsse mit Becht, dafs die Variabilit\u00e4t der Wahnvorstellungen bei den einzelnen Kranken mit Abnahme der Intelligenz zunehme.\tLiebmann (Bonn).\nCharcot und Magnan. \u00dcber Onomatomanie. Arch, de Neurol. 1892. Juli/November.\nDas Unbehagen, was einen ergreift, wenn man ein Wort oder einen Kamen sucht und nicht finden kann, kennt mehr oder weniger jeder, und ebenso das Gef\u00fchl der Behemmung und Behinderung, das auf unserem Gedankengange solange lastet, als jenes Wort nicht gefunden ist.\nBei erblich Entarteten kann sich diese Empfindung bis zur Unertr\u00e4glichkeit steigern, und die Verfasser erz\u00e4hlen von einem Manne, wo die ganze Familie einen Teil der Nacht hindurch das Lexikon durchsuchen mufste, um der Angst des Kranken ein Ende zu machen. Bei anderen dr\u00e4ngt sich ein bestimmtes Wort so in den Vordergrund, dafs es eine pl\u00f6tzliche Entladung des Sprachcentrums hervorruft, das, selber \u00fcberreizt und der Herrschaft des Vorderhirns entzogen, das Wort reflektorisch ausst\u00f6fst. Auf diese Weise k\u00f6nnen einzelne Worte oder ganze S\u00e4tze trotz allen Widerstrebens zwangsm\u00e4fsig hervorgebracht werden, wider besseres","page":136}],"identifier":"lit15133","issued":"1893","language":"de","pages":"134-136","startpages":"134","title":"W. Wundt: Hypnotismus und Suggestion. Leipzig, Verlag v. Wilh. Engelmann, 1892, Philos. Studien, Bd. VIII, Hft. 1, S. 1\u201385","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:00:55.732752+00:00"}