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{"created":"2022-01-31T17:01:54.392777+00:00","id":"lit15140","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 140-141","fulltext":[{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nLitteraturbericht.\nLaufbahn \u00fcberantwortet seien, hierzu will sich Kien nicht verstehen. Er unterzieht die Ansichten der positiven italienischen Schule, wie sie sich nach dem Yorbilde Lombrosos ausgebildet hat, einer eingehenden Pr\u00fcfung und kommt dabei zu dem entgegengesetzten Schl\u00fcsse, dem n\u00e4mlich, dafs von einem einheitlichen Yerbrechertypus keine Rede sein k\u00f6nne.\nWohl giebt es unter den Gewohnheitsverbrechern zahlreiche Abweichungen von der Norm, weit zahlreicher, als sie sich unter der nicht verbrecherischen Bev\u00f6lkerung befinden, aber sie sind nur zum Teil angeboren, zum Teil sp\u00e4ter erworben, und ebenso entsprechen sie durchaus nicht einem einheitlichen, einem bestimmten Krankheitsbilde. Ein krankhafter Verbrechertypus, wie ihn die italienische Schule gezeichnet hat, besteht demnach nicht, und damit werden auch alle die Schl\u00fcsse hinf\u00e4llig, die sich an diese Voraussetzung kn\u00fcpfen.\nTrotzdem kann die diesem Gebiete zugewandte geistige Arbeit nicht als verloren bezeichnet werden. Sie hat wenigstens so viel aufgedeckt, dafs sich unter den Insassen der Zucht- und Arbeitsh\u00e4user zahlreiche geistig unentwickelte und herabgekommene Individuen befinden, deren Geisteszustand in die Reihe der geistigen Schw\u00e4chezust\u00e4nde eingereiht werden mufs, Zust\u00e4nde, die sowohl vor Gericht als im Zuchthause besondere Ber\u00fccksichtigung verlangen.\nKiens Ansichten werden diesseits der Alpen auf mehr Zustimmung zu rechnen haben, als ihnen jenseits derselben zu teil werden d\u00fcrfte-Allein in einer so eminent praktischen Frage ist es mit dem Enthusiasmus allein nicht gethan, und dafs die Ergebnisse der Verbrecher-Anthropologie zur Zeit nicht ausreichen, um die weitestgehenden Schlufsfolgerungen f\u00fcr Strafrechtspflege und Strafvollzug zu rechtfertigen, dar\u00fcber d\u00fcrfte ein Zweifel bei uns wenigstens nicht bestehen. \u201eDie wissenschaftliche Anthropologie wird noch eine gute Weile weiter forschen und arbeiten m\u00fcssen, um allm\u00e4hlich noch mehr Licht in dieses noch im Halbdunkel liegende Gebiet zu bringen.\u201c\tC. Pelman.\nC. C. Hartmann. Der jugendliche Verbrecher im Strafhause. Deutsche Zeit- und Streitfragen, Heft 99. Hamburg. Verlagsanstalt u. Druckerei A.-G. 1892. 55 S.\nDafs der von dem Verfasser behandelte Gegenstand zu den Zeitfragen geh\u00f6rt, wird ihm niemand bestreiten und ebenso kann man ihm zugestehen, dafs er ihn in einer ruhigen und n\u00fcchternen Weise behandelt hat, die ein richtiges Bild von den Sch\u00e4den der bestehenden Regelung entwirft und die Mittel zu ihrer Besserung kennen lehrt. Vielleicht etwas zu n\u00fcchtern und einseitig, da Hartmann der Er\u00f6rterung anthropologischer Streitfragen, wie sie, durch die Schule Lombrosos angeregt, zur Zeit im Brennpunkte der Verhandlungen stehen, anscheinend geflissentlich aus dem Wege geht, so dafs wir von dem Seelenleben des jugendlichen Verbrechers nicht viel erfahren.\nEs war dem Verfasser vor allem um den Nachweis zu thun, dafs das vorhandene Strafsystem durch zu lange Freiheitstrafen s\u00fcndige, und dafs der jugendliche Gefangene durch die allzulange Dauer der","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n141\nFreiheitsentziehung aufser Stand gesetzt werde, sich seinen Lebenslauf zu suchen. Er wird dadurch immer untauglicher f\u00fcr das \u00f6ffentliche Leben, ein immer sicherer Kandidat des Zuchthauses werden, das er als seine eigentliche Heimat betrachten lernt, und so verliert die Strafe f\u00fcr ihn jeden Zweck und jeden Sinn.\nSoll sie dies wieder gewinnen, so mufs sie m\u00f6glichst kurz und m\u00f6glichst strenge sein, wobei nat\u00fcrlich mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten ist, dafs die jugendlichen Gefangenen nicht mit den \u00e4lteren Verbrechern Zusammenkommen.\n\"Was Hartmakn sonst noch f\u00fcr Forderungen stellt und was er von der Disciplin des Gef\u00e4ngnisses sagt, wird man im Original nachlesen m\u00fcssen. Es zeugt \u00fcberall von dem praktischen Verst\u00e4ndnisse des Verfassers, und wenn er dabei zu dem Schl\u00fcsse kommt, dafs selbst die Pr\u00fcgelstrafe ihren Nutzen und ihre Berechtigung habe, so wird man ihm auch darin beizustimmen haben. Tr\u00f6stet sich doch auch die Mutter in Hebels pr\u00e4chtigem Gedichte, als sie die Rute an den Weihnachtsbaum h\u00e4ngt und dabei ihrer k\u00fcnftigen Bestimmung gedenkt, mit der Erw\u00e4gung : \u201ees mufs ja nicht sein, wenn du nicht willst\u201c, und volenti non fit injuria.\nSehr zu beachten sind die Bedenken, die Verfasser gegen die Polizeiaufsicht \u00e4ufsert, und er ber\u00fchrt damit einen sehr verbesserungsf\u00e4higen Punkt unserer Strafrechtspflege. Wenn wir daher der kleinen Schrift auch gerne etwas mehr Vertiefung gew\u00fcnscht h\u00e4tten, so wird sie doch den Zweck erf\u00fcllen, eine Frage aufs neue angeregt zu haben, die ihrer endlichen L\u00f6sung mit Sehnsucht entgegensieht.\tC. Pelman.\nMax Nordau. Entartung. I. Band. Berlin, C. Duncker. 1892. 374 S.\nNordau wendet sich mit einer kurzen Widmung an C. Lombroso, der es ihm mit seinen Forschungen angethan. Wie Lombroso die Verbrecher, so will Nordau Kunst und Schrifttum einer Untersuchung unterziehen und die Moderichtungen auf die Entartung der Auktoren hin pr\u00fcfen.\nMan mufs ihm das Zugest\u00e4ndnis machen, dafs er sich dieser Aufgabe mit grofser Gewandtheit hingegeben hat und dafs er den Gegenstand, den er sich erw\u00e4hlt, nach jeder Richtung hin beherrscht.\nDie Sache macht ihm offenbar Spafs, gewaltig geht er mit den armen S\u00fcndern ins Gericht, und es kommt ihm auf einen derben Ausdruck mehr oder weniger nicht an. \u00dcberall aber ist er der Parteig\u00e4nger des gesunden Menschenverstandes, stets trifft er den Nagel auf den Kopf, und da seine Beweise meist unwiderlegbar und seine Vergleiche durchweg vorz\u00fcglich sind, hat er die Lacher auf seiner Seite.\nDafs er sich dabei hin und wieder des Kunstgriffes bedient, das eine oder andere als eine bekannte Thatsache, eine feststehende klinische Behauptung u. s. w. hinzustellen, was nichts weniger als bekannt oder gar feststehend ist, [wollen wir dem gewandten Polemiker nicht allzu hoch anrechnen. Recht hat er trotz alledem, und man wird durch ihn auf manches hingeleitet und \u00fcber vielerlei klar, das man bis dahin nur dunkel herausgef\u00fchlt und peinlich empfunden hatte.","page":141}],"identifier":"lit15140","issued":"1893","language":"de","pages":"140-141","startpages":"140","title":"C. C. Hartmann: Der jugendliche Verbrecher im Strafhause. Deutsche Zeit- und Streitfragen, Heft 99, Hamburg, Verlagsanstalt u. Druckerei A.-G., 1892","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:01:54.392783+00:00"}