Open Access
{"created":"2022-01-31T17:02:09.736477+00:00","id":"lit15154","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"T\u00f6nnies, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 156-158","fulltext":[{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nLitter aturbericht.\nbreitete Ansicht, dafs fast die Gesamtheit der Geisteskrankheiten auf direkte neuropathische Belastung zur\u00fcckzuf\u00fchren sei, und hebt im Gegensatz dazu die wichtige Rolle hervor, welche Umgebung und \u00e4ufsere Umst\u00e4nde in der \u00c4tiologie der Psychosen spielen. Er leugnet den Einflufs der Erblichkeit keineswegs; aber es bedarf des sch\u00e4digenden Einflusses \u00e4ufserer Umst\u00e4nde, um die angeborene psychische Anomalie zur Geisteskrankheit zu entwickeln. Andererseits kann eine verkehrte Erziehung und widrige Verh\u00e4ltnisse, auch bei heredit\u00e4r nicht belasteten Menschen, Geisteskrankheit hervorrufen.\tLiebmanx (Bonn).\nMoeli. L\u00fcge und Geistesst\u00f6rung. \u00c4llg. Zeitschr. f\u00fcr Psychiatrie. 48. Bd. 1892. S. 258.\nZu dem Kapitel der \u201epathologischen L\u00fcge\u201c1 bringt M., der schon in seinem Buche \u00fcber irre Verbrecher bei Besprechung der Simulation dem \u201eL\u00fcgen\u201c der Gewohnheitsverbrecher und Geisteskranken eine n\u00e4here Betrachtung widmete, einen neuen Beitrag in Gestalt eines Gutachtens \u00fcber einen von ihm beobachteten Pall. Die \u201eL\u00fcgen\u201c des betreffenden, mit nicht unbetr\u00e4chtlichen Kenntnissen ausgestatteten, mit lebhaftem Vorstellungsverm\u00f6gen und gutem Ged\u00e4chtnis begabten Mannes waren zum Teil Folge eines Mangels an klarer Auffassung und gen\u00fcgendem Urteile und eines gesteigerten Selbstgef\u00fchls, Folge einer Oberfl\u00e4chlichkeit des Denkens und einer Ungleichm\u00e4fsigkeit des Empfindens, wodurch je nach der augenblicklichen \u00e4ufseren Lage und Stimmung die Darlegungen, selbst \u00fcber unwichtige Dinge, sich als ganz verschiedene, in sich nicht vereinbare, aber doch ernst gemeinte Anschauungen darstellten. Zum Teil wurden aber auch Behauptungen gegen besseres Wissen vorgebracht und fr\u00fcher entstandene und bereits \u00fcberwundene krankhafte Vorstellungen wurden nachtr\u00e4glich zu \u00fcberzeugt ausgesprochenen L\u00fcgen, wie bekannter-mafsen umgekehrt infolge h\u00e4ufiger Wiederholung einer urspr\u00fcnglichen L\u00fcge das deutliche Bewufstsein f\u00fcr die Unrichtigkeit mehr und mehr schwinden kann.\tPeretti (Merzig).\nC. Lombroso. Nouvelles recherches de psychiatrie et d\u2019anthropologie criminelle. Paris, Felix Alcan, 1892. 177 S.\nDer r\u00fcstige Forscher hat hier wiederum zusammengestellt, was ihm an Untersuchungen anderer, durch die er sich best\u00e4tigt und ermutigt findet, w\u00e4hrend der letzten 18 Monate vorgekommen ist. Die Vorrede enth\u00e4lt einen siegesgewissen Ton : \u201eMan macht mir die kleine Zahl meiner Beobachtungen zum Vorwurf und weifs nicht, dafs sie sich auf mehr als 25000 beziffern.\u201c Dagegen ist er bereit nachzugeben in der Form. Der Titel soll andeuten, dafs er auf dem Begriff der kriminellen\n1 Vgl. Referat \u00fcber Delbr\u00fcck, Pie pathologische L\u00fcge und die psychisch abnormen Schwindler im II. Bd. dieser Zeitschrift. Das M.sche Gutachten ist bereits vor Erscheinen des D.sehen Buches fertiggestellt. \u2014 Es mag darauf hingewiesen werden, dafs auch Ibsen in seinem \u201ePeer Gynt\u201c in treffender Weise einen erblich belasteten Menschen schildert, den seine Phantasie zum L\u00fcgner macht. lief.)","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"J.itteratufbericht.\n157\n\u201eAnthropologie\u201c nicht bestehe; in der That habe es sich ihm immer nur gehandelt um eine vollendete klinische Demonstration, dessen, was mau in der alten (?) Psychiatrie moralische Verr\u00fccktheit nannte und larvierte Epilepsie. Kapitel 1 berichtet aufs neue \u00fcber morphologische, 2 und 3 \u00fcber physiognomische Anomalien von Verbrechern, Prostituierten und Normalen, welche nach der bekannten Methode, zumeist in Lombrosos Laboratorien, studiert worden sind. Resultat: der kriminelle \u201eTypus\u201c werde praktisch sogar von solchen zugegeben, die ihn theoretisch und a pr. leugnen ; wof\u00fcr insonderheit Laurent angef\u00fchrt wird. Ebenso Joly und Magnan, welche als Leugner des Typus sich selber durch mitgeteilte Portr\u00e4ts und Beschreibungen widerlegen. Als neue Typen (Kap. 4) werden der geborene Vagabond (nach Benedikt ; wer wollte an dessen Existenz zweifeln? ich erinnere an die poetische Erz\u00e4hlung M. Solitaires \u201eMicha\u201c von einem Zigeunerspr\u00f6fsling, abgedruckt in den fr\u00fcheren Auflagen von Theodor Storms Hausbuch aus deutschen Dichtern); der weibische Verbrecher (nach Brouardel), der geborene Spion, der verbrecherische Schriftsteller (nach Havelock Ellis) geschildert. Kapitel 5 behandelt Tattu-ierung bei Prostituierten (nach dem D\u00e4nen Bergh)1, 6 funktionelle Anomalien ; sehr interessant ist hier das R\u00e9sum\u00e9 \u00fcber Forschungen Ottolenghis, welche ergeben haben, dafs das Gesichtsfeld bei Epileptischen und in \u00e4hnlicher Weise bei Verbrechern ausgezeichnet ist durch unregel-m\u00e4fsige, meist sehr enge Begrenzung, durch Einbuchtungen der Peripherie, durch partielle vertikale Hemiopie. L. giebt sodann einen Auszug aus seiner eigenen Schrift \u00fcber 1229 \u201e Palimpseste \u201c von Verbrechern (Wand- und Buchbeschreibungen). Kapitel 7 geht noch auf heredit\u00e4re \u00c4tiologie ein; hier werden auch Sich arts, in der Z. f\u00fcr Strafrechtswissenschaft mitgeteilte Beobachtungen verwertet, und nach einem italienischen jungen Juristen \u201eeine Stadt von geborenen Verbrechern\u201c (Artena) geschildert. Daran schliefsen sich soziologische Betrachtungen \u00fcber die Ursachen von Revolutionen, und (nach 26 Beobachtungen Grimaldis!) \u00fcber die \u00c4tiologie der Prostitution. Das vorletzte Kapitel handelt noch \u00fcber verbrecherischen Wahnsinn, das letzte \u00fcber Epileptische und Verbrecher\u201c. Dafs Epileptische in besonders hohem Mafse degenerative Merkmale aufweisen, ist an sich selbst h\u00f6chst wahrscheinlich und wird wohl durch alle Erfahrung best\u00e4tigt werden. Eine gewisse Verwandtschaft vieler verbrecherischer Naturen zu epileptischen Gehirnzust\u00e4nden darf als gewifs gelten; die Art dieser Verwandtschaft ist aber durch L. und seine Schule keineswegs festgestellt. \u2014 Eine allgemeine Anmerkung zum Beschlufs. Ich glaube, dafs der geehrte Verfasser \u00fcber einen Teil seiner Kritik er sich im Irrtum befindet. Es giebt n\u00e4mlich Forscher, die nicht seine Grundgedanken, auch nicht die Wahrscheinlichkeit seiner Ergebnisse, geschweige denn, wie er von manchen meint, diese Ergebnisse wegen ihrer Cons\u00e9quences lointaines anfechten,\n1 \u00dcber diesen Gegenstand fand ich bei den Neueren noch nicht benutzt, was Parent-Ddchalet mitteilt: \u201eDe l\u2019habitude qu\u2019ont certaines prostitu\u00e9es de s\u2019imprimer sur le corps des figures et des inscriptions.\u201c La prostitution dans la ville de Paris Ch. II. \u00a7 5.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nLitteraturbericht.\nsondern allein seine Methode. Sie erachten, dafs auf einem, vielleicht schmaleren Wege man zu exakteren und besser gesicherten Auf l\u00f6sungen der Probleme gelangen k\u00f6nne.\tF. T\u00f6nkies (Kiel).\nEmile Laurent. L\u2019anthropologie criminelle et les nouvelles th\u00e9ories du crime. Avec 11 portraits hors texte de criminologistes fran\u00e7ais et \u00e9trangers. Paris, Soci\u00e9t\u00e9 cr\u00e9ditions scientifiques, 1891. 156 S.\nL. will in unparteiischer Weise die neue Wissenschaft vulgarisieren. Die italienische und die Lyoner Schule (Lacassagne) werden nebeneinander gestellt. Angeschlossen die Kriminal-Anthropologie in England, in \u00d6sterreich (Benedikt), in Rufsland (Pauline Tarnowski und Dr. Drill), in Spanien (Alvarez Taladriz); dann \u00fcber die beiden Kongresse 1885 und 1889. Folgen Mitteilungen \u00fcber die verschiedenen Klassifikationen und Theorien sozialer und physischer \"Ursachen. Der kriminelle Typus wird Kapitel 7\u201410 behandelt, ohne dafs es v\u00f6llig klar wird, ob Verfasser ihn verwirft oder gelten l\u00e4fst; ein Vorwurf, der auch sein fr\u00fcher angezeigtes Buch Les Habitu\u00e9s etc. trifft. Kapitel 11 handelt \u00fcber das Weib und 12 \u00fcber das kriminelle Kind; 13 \u00fcber die Arten des Verbrechens und den Selbstmord, 14 \u00fcber das politische Verbrechen, 15 \u00fcber moralische und strafrechtliche Verantwortung, 16 \u00fcber Strafen, 17 \u00fcber die Identifikation durch anthropometrische Signalements. Den Schlufs bildet eine Wiedergabe der Rede, mit welcher Professor Brouardel den Pariser Kongrefs 1889 geschlossen hat. \u2014 Das Buch ist recht verdienstlich. Hie und da ein wenig oberfl\u00e4chlich, entsch\u00e4digt es durch die Menge des in K\u00fcrze Mitgeteilten, und dieses ist durchaus zuverl\u00e4ssig.\nF. T\u00f6nnies (Kiel).\nW. D. Morrison (H. M. Prison, Wandsworth). Crime and its causes.\nLondon, Swan Sonnenschein & Co. 1891. 236 S.\nDiese Schrift bildet den 27. Band der Social Science Series, welche manche interessante Werke, besonders auch der sozialistischen Litteratur, enth\u00e4lt. Morrisons Beitrag ermangelt auch nicht einer gewissen freundschaftlichen Neigung nach dieser Seite hin, verr\u00e4t aber zugleich den unabh\u00e4ngigen Denker in seinem ganzen Verlaufe. Aus der Vorrede: Das Verbrechen ist schrecklicher als der Pauperismus und fast ebenso kostspielig. Es ist ein komplizierteres Ph\u00e4nomen, als gemeinhin angenommen wird. Strafe kann es nicht vertilgen, weil sie nicht die Ursachen trifft, welche den Verbrecher machen. \u00d6konomische Prosperit\u00e4t, wenn auch noch so verbreitet, wird das Verbrechen nicht ausl\u00f6schen (dieser von ihm selbst als paradox ausgegebene Satz wird vom Verfasser mit Vorliebe behandelt, im Texte sind ihm Kap. 4 und 5 gewidmet, nachdem 1. \u00fcber Kriminal-Statistik, 2. \u00fcber Klima und Verbrechen, 3. \u00fcber Jahreszeiten und Verbrechen gehandelt hat). Im ganzen sind dieiReichen ebensosehr zum Verbrechen geneigt als die Armen. Civilisation hat bisher nur die Form ver\u00e4ndert, in der das Verbrechen auftritt; dem Wesen nach bleibt es dasselbe. Auch die Volksschule vermag nicht viel zu seiner Ausrottung : die blofs intellektuelle Abrichtung, welche sie zu leisten pflegt, hat wenig heilsamen Einflufs auf das Betragen ; dafs dieses */* des Lebens","page":158}],"identifier":"lit15154","issued":"1893","language":"de","pages":"156-158","startpages":"156","title":"C. Lombroso: Nouvelles recherches de psychiatrie et d'anthropologie criminelle. Paris, Felix Alcan, 1892","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:02:09.736483+00:00"}