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{"created":"2022-01-31T17:03:32.010163+00:00","id":"lit15185","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Fuchs, Sigmund","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 351-378","fulltext":[{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber einige neuere Fortschritte in der Anatomie und Physiologie der Arthropodenaugen.\nVon\nDr. Sigmund Fuchs,\nAssistenten am physiologischen Institute der Universit\u00e4t Wien.\nDas Sehorgan der Arthropoden hat seit den Untersuchungen Johannes M\u00fcllers, die in dessen tiefsinnigem Buche ..Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes\u201c1 niedergelegt sind, immer eine grofse Anziehung auf die Forscher im weiten Gebiete der vergleichenden Anatomie und Physiologie ausge\u00fcbt. Und in der That war auch der Umstand, dafs an ein und demselben Individuum zweierlei Organe nebeneinander bestehen, die zweifellos derselben Funktion dienen, im anatomischen Baue aber eine so fundamentale Verschiedenheit zeigen, wie die am Kopfe einer ganzen Reihe von Arthropoden gleichzeitig und in n\u00e4chster N\u00e4he voneinander vorhandenen einfachen und zusammengesetzten Augen, wohl danach angethan, das Nachdenken der Beobachter anzuregen. M\u00fcller selbst hatte die morphologischen Beziehungen der beiden Augentypen zu einander nur sehr kurz behandelt. Er sagt dar\u00fcber: \u201e Der \u00dcbergang der einfachen Augen in zusammengesetzte ist in den zu einem scheinbar zusammengesetzten Auge geh\u00e4uften einzelnen k\u00f6rnigen Augen der Asseln und Polypoden nicht zu verkennen.\u201c Der Schwerpunkt der von ihm aus der F\u00fclle seiner anatomischen Befunde gezogenen Deduktionen lag vielmehr auf physiologischem Gebiete, in der von ihm aufgestellten \u201eTheorie des musivischen Sehens\u201c mittelst der zu-\nLeipzig 1826.","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"Sigmund Fuchs.\n352\nsammengesetzten Augen und der Lehre von dem durch dieselben entworfenen aufrechten Netzhautbilde. Die Schicksale dieser Theorie waren, wie Grenacher in seinem grofsen Werke1 mit un\u00fcbertrefflicher Genauigkeit geschildert hat, sehr wechselvolle. Anfangs allgemein anerkannt, fand sie bald von den verschiedensten Seiten her Widerspruch, und es hatte schliefslich den Anschein, als ob ihr Urheber selbst sie endg\u00fcltig verlassen h\u00e4tte. Von morphologischer Seite her wurde in der Folge erst durch Grenacher ein grofser Fortschritt angebahnt. Er konnte auf Grund seiner ausgedehnten und erfolgreichen Untersuchungen \u00fcber die einfachen und zusammengesetzten Augen der Arthropoden zeigen, dafs das Stemma der Insektenimagines einer Einzelfazette des zusammengesetzten Auges homolog ist, oder dafs, phylogenetisch ausgedr\u00fcckt, Vermehrung der Zahl der Einzelaugen, n\u00e4here Aggregierung derselben unter leichter Umformung der Elemente zum Fazettenauge hin\u00fcberleite. Aber auch die physiologischen Konsequenzen seiner anatomischen Untersuchungen hat Grenacher in eingehender Weise gezogen. Aus denselben hatte sich als eines der wichtigsten Resultate ergeben, dafs das konstanteste Element des eigentlich nerv\u00f6sen, lichtperzipierenden Apparates in den verschiedenen Formen des Arthropodenauges durch die St\u00e4bchenbildungen repr\u00e4sentiert werde. Mit R\u00fccksicht auf die Lage der letzteren war er dann zu der \u00dcberzeugung gelangt, dafs die von Gottsche zuerst aufgestellte Theorie von den durch das Fazettenauge entworfenen zahlreichen umgekehrten Einzelbildchen unhaltbar sei, und dafs die anatomischen Verh\u00e4ltnisse durchaus f\u00fcr die M\u00fcLLERsche Theorie spr\u00e4chen. Fast gleichzeitig mit ihm war Sigm. Exner2 auf Grund einer eingehenden optischen Untersuchung des Hydrophilusauges ebenfalls zur M\u00fcLLERschen Theorie zur\u00fcckgekehrt. Aber noch immer war die Funktionsweise des dioptrischen Apparates dieser fazettierten Augen nicht v\u00f6llig klar. Da wurde vor mehreren Jahren\n1\tGrenacher. Untersuchungen \u00fcber das Sehorgan der Arthropoden, insbesondere der Spinnen, Insekten und Krustaceen, G\u00f6ttingen 1879; dieser ausf\u00fchrlichen Publikation waren in den Jahren 1874 und 1877 zwei k\u00fcrzere Mitteilungen vorausgegangen.\n2\tS. Exner, \u00dcber das Sehen von Bewegungen und die Theorie des zusammengesetzten Auges. Sitzungsber. d. Wien. \u00c4kad. LXXIL, 3. Abtl. 1875.","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschrille in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropoden \u00e4ugen. 353\nwieder Exner1 zuerst auf die Thatsache gef\u00fchrt, dafs ein Zylinder, dessen Brechungsindex von der Axe nach der Peripherie hin zu- oder abnimmt, trotz seiner ebenen Endfl\u00e4chen f\u00fcr ein der Axe paralleles Strahlenb\u00fcndel wie eine Linse wirkt. Er hat solche Gebilde deshalb auch als \u201eLinsenzylinder\u201c bezeichnet. In seiner grundlegenden Abhandlung \u201eDas Netzhautbild des Insektenauges\u201c2 konnte er dann zeigen, dafs solche Linsenzylinder, und zwar jene, bei welchen der Brechungsindex mit zunehmender Entfernung von der Axe kontinuierlich abnimmt, im Fazettenauge eine grofse Bolle spielen und gewisse optische Effekte bedingen, welche durch Linsen nicht zu erzielen w\u00e4ren. Auf Grund dieser Ergebnisse gelang es ihm jetzt, die Dioptrik des Auges von L ampyris splendidula v\u00f6llig einwurfsfrei zu begr\u00fcnden. Im darauf folgenden Jahre hat er dann seine Untersuchungen auf eine grofse Beihe anderer Insekten und Krebse ausgedehnt und die Ergebnisse derselben, die in einer reichen F\u00fclle neuer Thatsachen bestanden, in einer Monographie3 niedergelegt, mit deren Inhalte wir uns zun\u00e4chst besch\u00e4ftigen wollen.\nDie zusammengesetzten Augen lassen sich nach E.s Erfahrungen bez\u00fcglich ihrer optischen Wirkung in drei Typen teilen; alle entwerfen ein aufrechtes Netzhautbild, aber in verschiedener Weise; zwei dieser Typen wirken dioptrisch, eine haupts\u00e4chlich katoptrisch. Die Netzhautbilder der beiden ersten Typen, von denen zun\u00e4chst die Bede sein soll, werden ihrer Entstehungsweise nach als Appositionsbild und als Superpositionsbild unterschieden. Zum Studium des ersten dioptrischen Typus w\u00e4hlte Verfasser das Auge eines Krebses, des Schwertschwanzes (Limulus). Der lichtbrechende Apparat besteht hier aus wenig gew\u00f6lbten Kornealfazetten, von welchen nach r\u00fcckw\u00e4rts zahlreiche mit diesen innig verwachsene Zapfen aus Chitinsubstanz in die Tiefe ragen ; diese letzteren entsprechen jedenfalls funktionell, wenn auch nicht morphologisch, den Krystallkegeln vieler anderer Arthropodenaugen. Kornea und Krystallkegel werden von E. als Fazettenglied bezeichnet.\n1\tS. Exner, \u00dcber Zylinder, welche optische Bilder entwerfen. Pfl\u00fcgers Arch. XXXVIII., S. 274 und Nachtrag XXXIX., S. 244.\n2\tS. Exner, Sitzungsber. d. Wien. Akad. XCVIIL, 3. Abtl. 1889.\n3\tS. Exxer, Die Physiologie der fazettierten Augen von Krebsen und Insekten. Leipzig und Wien. Franz Deuticke. 1891.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.\n23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nSigmund Fuchs.\nJeder solche Kegel ist r\u00fcckw\u00e4rts abgestutzt, manchmal sogar mit einer leicht konkaven Endfl\u00e4che versehen. Das Ganze besteht, wie schon Grenacher abbildet, aus Lamellen, welche sich aufsen der \u00e4ufseren Oberfl\u00e4che, in der Tiefe aber mehr und mehr der inneren, zapfenbildenden Oberfl\u00e4che anschliefsen. Dabei heben sich gewisse Schichten durch ihr optisches Verhalten von ihrer Umgebung ab, eine oberfl\u00e4chliche, welche aber schon deutliche Zapfen zeigt, und eine wahrscheinlich in jedem Kegel enthaltene, aber nicht \u00fcberall gleich distinkte, mit den Chitinlamellen nicht parallele Schichte, welche einen Kegelmantel von dem Kegelinnern trennt. Die Axen der Kegel stehen nur in der Gegend des vorderen Augenpoles senkrecht zur Hornhautoberfl\u00e4che; periplieriew\u00e4rts gewinnen sie eine immer st\u00e4rkere Neigung, so dafs der Winkel zwischen Kegelaxe und Hornhaut von einem Rechten bis um 40\u00b0 und noch mehr abweichen kann. Der Kegel ist, abgesehen von seiner Spitzenfl\u00e4che, v\u00f6llig in schwarzes Pigment geh\u00fcllt; der letzteren gegen\u00fcber befindet sich in einer Entfernung von etwa 0,04 mm das Netzhautelement, die Retinula, mit dem am Querschnitte sternf\u00f6rmigen Rhabdom. Auch die Retinula ist noch von Pigment umgeben, welches fast kontinuierlich in jenes der Kegel \u00fcbergeht. Die dioptrische Wirkung dieses Apparates ergab sich nun in folgender AVeise. Wurde die vordere Fl\u00e4che desselben mit Luft in Ber\u00fchrung gelassen, w\u00e4hrend die Mantelfl\u00e4che der Kegel und deren Spitzenfl\u00e4che in Glyzerin vom Brechungsindex des K\u00e4ferblutes (n = 1,34b) lag, so ergab sich bei mikroskopischer Betrachtung, dafs das Bild \u00e4ufserer Objekte, deren Strahlen parallel waren, in der Spitzenfl\u00e4che der Kegel oder etwas hinter derselben lag; nat\u00fcrlich gilt dies nur f\u00fcr jene Kegel, deren Axen nahezu parallel der Mikroskopaxe waren; an den Mantelfl\u00e4chen dieser Kegel trat nirgends Licht aus. Anders verhielt es sich mit jenen Kegeln, welche schief standen ; an diesen sah man eine in der Mantelfl\u00e4che oder in deren N\u00e4he gelegene Brennlinie. Aus alledem ergiebt sich, dafs ein Kegel des Limulusauges, von der Kornealoberfl\u00e4che bis an die Spitzenfl\u00e4che gerechnet, ein dioptrischer Apparat ist, der haupts\u00e4chlich als Linsenzylinder von der L\u00e4nge seiner Brennweite wirkt. Das von ihm entworfene Bild eines 150 cm vom Auge entfernten, 22 cm messenden Objektes ist 0,043 mm grofs. Von Bedeutung ist noch, dafs die von zwei diskreten","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodenaugen. 355\nLichtpunkten herkommenden Strahlenkegel nach der Brechung meist konvergent waren, manchmal parallel zu sein schienen, nie aber divergierten. Weiter ergab sich, dafs von den aus verschiedenen Bichtungen auf die Kornealfl\u00e4che eines Kegels auffallenden Lichtstrahlen nur jener Teil die Spitzenfl\u00e4che passierte, welcher vor dem Eintritte in das Auge einen Lichtkegel gebildet hatte, dessen in der Eintrittsstelle gelegener Spitzenwinkel n\u00e4herungsweise 8 Winkelgrade hatte; ferner zeigte sich unter Ber\u00fccksichtigung der Gr\u00f6fse des Kr\u00fcmmungsradius der vorderen Hornhautfl\u00e4che (= 7,4 mm) und der Entfernung der Kegelbasen voneinander (= 0,28 mm), dafs ein Punkt des Gegenstandes sein Licht zugleich in mehrere Kegel so entsendet, dafs es optisch verwertet werden kann. Damit stimmte auch die direkte Beobachtung \u00fcberein.\nDie Schiefstellung der Kegel hat eine wesentliche Erweiterung des Sehfeldes zur Folge, welche nicht unbetr\u00e4chtlich \u00fcber das Mafs hinausgeht, welches zu erzielen w\u00e4re, wenn die Kegel alle ihre Richtung beibehielten und die Kornealoberfl\u00e4che infolge st\u00e4rkerer Kr\u00fcmmung \u00fcberall auf den Kegelaxen senkrecht st\u00fcnde. Diese Erweiterung betr\u00e4gt nach rechts und links, sowie nach unten etwa 80 Grade; \u2014 nach oben steht eine Lamelle des K\u00f6rperschildes vor. \u2014 Da eine st\u00e4rkere W\u00f6lbung der Hornhautoberfl\u00e4che bei der Lebensweise der Tiere \u2014 sie graben sich n\u00e4mlich in Sand ein, wobei das gew\u00f6lbte K\u00f6rperschild, in welches die g\u00e4nzlich unbeweglichen Augen eingesetzt sind, die steinigen Massen bei Seite schieben mul's \u2014 nur eine leichtere Yerletzbarkeit des Auges zur Folge h\u00e4tte, so ergiebt sich, wie gl\u00fccklich die Natur das Problem gel\u00f6st hat, ein durch seine Form vor Insulten m\u00f6glichst gesch\u00fctztes Auge mit grofsem Sehfelde herzustellen.\nDurch die oben geschilderte optische Trennung des Kegelkerns vom Kegelmantel wird erstens einmal vermieden, dafs fremdes, von entlegenen Stellen kommendes Licht das Bild st\u00f6rt, dann aber auch, dafs zwischen Strahlen, welche verm\u00f6ge ihrer Einfallsrichtung die stark brechende Mantelschicht nicht erreichen, sondern durch die Spitzenfl\u00e4che austreten, und jenen, welche die Mantelschicht durchsetzt haben, keine Mittelstufen vorhanden sind. Die ersteren werden in ihrem ganzen Verlaufe der Kegelaxe zugelenkt, die letzteren schlagen fr\u00fcher oder sp\u00e4ter, aber niemals erst in der N\u00e4he der Spitzenfl\u00e4che,","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356\nSigmund Fuchs.\neine ganz andere Richtung ein. Es treten also unter den entsprechenden Beleuchtungsverh\u00e4ltnissen \u00fcberall an der Mantelfl\u00e4che des Kegels die sch\u00e4dlichen Strahlen aus, nur nicht in n\u00e4chster N\u00e4he der Spitzenfl\u00e4che. \u2014 Nach diesen Auseinder-setzungen \u00fcber die optische Wirkung der einzelnen Krystall-kegel ist es nun auch m\u00f6glich, die Art ihres Zusammenwirkens, d. h. das durch sie entworfene Netzhautbild zu bestimmen. Nimmt man an, dafs die Lichtempfindung erst da stattfindet, wo die St\u00e4bchenbildungen beginnen, welche nach den Ergebnissen Grenachers das konstanteste Element im Auge s\u00e4mtlicher Tiere sind, so ergiebt sich, dafs infolge der Konvergenz der Hauptstrahlen hinter der Spitzenfl\u00e4che alle diese und damit auch zum grofsen Teile die Strahlen der zugeh\u00f6rigen Zerstreuungskreise dem Rhabdom zugeleitet werden. Ist die empfindliche Schicht nicht unendlich d\u00fcnn und gerade da gelegen, wo sich die Zerstreuungskreise aller Punkte des Elementarsehfeldes decken, oder liegt nicht bei dickerer empfindlicher Schichte die Ebene dieses Zusammenfallens gerade in der Mitte der Dicke, so wird der Axenpunkt jedesmal das Maximum der Erregung erleiden. Das Netzhautbild des Limulus-auges ist sonach aufrecht und dadurch entstanden, dafs die je einem Fazettengliede angeh\u00f6rigen Lichtmassen neben einander die Ebene der Netzhaut treffen (Appositionsbild); die untere Grenze seiner Sch\u00e4rfe ist dadurch gegeben, dafs ein Gitter, dessen St\u00e4be 13 cm dick und ebenso weit voneinander entfernt sind, in einer Entfernung von 1 m noch als Gitter erkannt wird, wobei aber die Grenzen der St\u00e4be nicht mehr scharf erscheinen. Nun zu den Augen mit Superpositionsbildern, als deren Typus das Auge von Lampyris splendidul a gelten kann. Die konvexe vordere Korneafl\u00e4che tr\u00e4gt entsprechend je einem Krystallkegel, welche gleichfalls s\u00e4mtlich mit der Hornhaut verwachsen sind, eine gekr\u00fcmmte Fazette, deren Kr\u00fcmmungshalbmesser zwischen 0,09 bis 0,02 mm schwankt. Die Krystallkegel sind auch hier dicht von Pigment umh\u00fcllt, mit Ausnahme ihres hinteren Endes, das frei in die sich ihnen anschliefsende Zellenmasse hineinragt. Die Retina liegt nicht, unmittelbar hinter den Spitzenfl\u00e4chen, sondern in betr\u00e4chlicherem Abstande von denselben, der etwa das Drei-bis Vierfache der L\u00e4nge eines Krystallkegels betr\u00e4gt. Werden als abzubildender Gegenstand zwei Lichtpunkte gew\u00e4hlt und","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodenaugen. 357\nclas Auge in korrekter Montierung (s. o.) unter das Mikroskop gebracht, so sieht man bei Einstellung auf die Ebene des Netzhautbildes nat\u00fcrlich zwei Lichtpunkte. N\u00e4hert man jetzt die Eokalebene des Mikroskopes der Kornea, so zeigen sich die optischen Querschnitte der Strahlenb\u00fcndel, welche bei ihrer Vereinigung die beiden Bildpunkte gaben; und zwar geh\u00f6rt jedem Punkte eine Schar von Strahlen an; jeder dieser Strahlen kommt aus einem Krystallkegel. Bei passender Entfernung der beiden Lichtpunkte sieht man, dafs aus der Mehrzahl der beleuchteten Krystallkegel je zwei Strahlen hervorgehen, deren einer dem einen Bildpunkte, der andere dem anderen Bildpunkte zustrebt. Und zwar wird ein vom rechten Objektpunkte in den Krystallkegel eindringender Strahl dem rechten Bildpunkte, ein vom linken Objektpunkte eindringender Strahl in demselben Krystallkegel dem linken Bildpunkte zugelenkt. Diese eigent\u00fcmliche dioptrische Wirkung des Krystallkegels beruht nun nicht etwa auf Reflexion, sondern auf seiner Linsenzylinderwirkung, welche im grofsen und ganzen der eines astronomischen Fernrohres entspricht, dessen beide Linsen um die Summe ihrer Brennweiten voneinander abstehen. Weiter ergiebt sich, dafs der Bildpunkt nicht blofs von dem einen (zentrierten) Krystallkegel entworfen wird, sondern dafs etwa 30 benachbarte genau an derselben Stelle ein Bild des leuchtenden Punktes entwerfen. So entsteht jenes Bild, welches E. Superpositionsbild genannt hat; es ist lichtstarker und sch\u00e4rfer als das Appositionsbild. Nach dem Typus des ersteren entstehen die Netzhautbilder zahlreicher K\u00e4fer, Krebse und Schmetterlinge; wenigstens bei den letzteren handelt es sich ausschliefslich um Nachttiere; Netzhautbilder nach dem Typus des Appositionsbildes, wie wir es bei Limulus kennen gelernt haben, entstehen in den Augen anderer Krebse und vieler Insekten, z. B. der Hummeln, Fliegen und Libellen, welche s\u00e4mtlich Tagtiere sind.\nJedes dioptrisch wirkende Fazettenauge zeigt zwei wohlcharakterisierte Lagen von Pigment; die vordere derselben liegt innerhalb oder in der N\u00e4he des dioptrischen Apparates und wird von E. als Irispigment bezeichnet, w\u00e4hrend die hintere Lage an oder zwischen den Elementen der Netzhaut, wohl auch hinter derselben liegt und als Retinapigment bezeichnet","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358\nSigmund Fuchs.\nwird. Das Irispigment, welches uns zun\u00e4chst besch\u00e4ftigen soll, zeigt nun eine verschiedene Lage im Auge eines Tieres, welches nach l\u00e4ngerem Verweilen im Dunkeln get\u00f6tet worden ist, und im Auge eines anderen, welches an der Sonne gesessen hat und da get\u00f6tet worden ist. Im Lichtauge des Leuchtk\u00e4ferchens liegt das Irispigment der Hauptmasse nach hinter einer Ebene, welche die Spitzen der Krystallkegel ber\u00fchrt; zwischen den Kegeln sind nur sp\u00e4rliche Reste desselben zur\u00fcckgeblieben; im Dunkelauge dagegen erf\u00fcllt das Irispigment den Zwischenraum zwischen den einzelnen Krystallkegeln. Durch das in Lichtstellung befindliche Pigment wird ein grofser Teil der Strahlen, welche im Dunkelauge den Bildpunkt erzeugen, abgeblendet und so die Helligkeit des Netzhautbildes verkleinert, in eben derselben Weise, wie es die Iris des Wirbeltierauges bei fortschreitender Verengerung thut. Nur scheint in dieser Beziehung das Fazettenauge dem Wirbeltierauge noch \u00fcberlegen zu sein, da es wahrscheinlich ist, dafs im ersteren der einfallende Lichtkegel durch das Irispigment vielleicht bis auf den Strahl eines einzigen Fazettengliedes reduziert werden kann. Dieser Effekt des Irispigmentes ist nat\u00fcrlich nur m\u00f6glich bei Augen mit Superpositionsbild, in welchen zwischen dem lichtbrechenden Apparate und der lichtempfindlichen Schicht ein namhafter Zwischenraum sich erstreckt. Denn bei einem Auge, welches, wie jenes von Limulus, kein Superpositionsbild hat, w\u00e4re eine derartige Pigmentverschiebung sinnlos. Interessant ist die Thatsache, dafs diese photomechanische Reaktion des Irispigmentes mit nicht einer unzweifelhaften Ausnahme nur bei Nachttieren zu beobachten ist, d. h. bei solchen, die ihre Augen sowohl bei Tage als auch bei Nacht zu benutzen haben.\nAus einer Anzahl von Thatsachen ergab sich, dafs es Augen geben m\u00fcsse, welche eine doppelte Funktionsweise haben, d. h. welche im Dunkeln mit einem Superpositionsbilde, am Tage dagegen mit einem Appositions bilde sehen. Es ist ja eigentlich schon das Bild im Lampyrisauge bei hellem Sonnenschein ein Appositionsbild, wenn wir nur annehmen, dafs die Pigmentscheide, die sich vom Krystallkegel gegen die Retina gezogen hat, enge genug ist, um das durch sie hindurchgehende Licht nur auf ein Netzhautelement gelangen zu lassen. Nun hat Lampyris (und auch Hydrophilus) Seh-","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodenaugen. 359\nst\u00e4be, die in einer bedeutenden Entfernung hinter dem diop-trischen Apparate liegen; die reinen Tagtiere dagegen, z. B. die Fliegen, haben fast ausschliefslich Sehst\u00e4be, welche sich unmittelbar an den dioptrischen Apparat anschliefsen. Es giebt aber, wie l\u00e4ngst bekannt, eine grofse Anzahl von Fazetten-augen, welche gleichsam eine Vermittelung dieser beiden Typen repr\u00e4sentieren, in denen namentlich der Selistab in zwei Abteilungen zerf\u00e4llt, eine dicke, wohl ausgebildete, welche in Vereinigung mit ihren Nachbaren der Retina von Lampyris oder Hydrophilus \u00e4quivalent ist, und eine schmale vordere, welche als gewissermafsen rudiment\u00e4res Organ jene spindelf\u00f6rmige Anschwellung zu dem langen Sehstab der Fliege erg\u00e4nzt. Dieser vordere Abschnitt variiert nun in sehr betr\u00e4chtlichem Grade an M\u00e4chtigkeit und Ausbildung, und es ist sehr gut m\u00f6glich, dafs er bei einem gewissen Grade seiner Entwickelung noch funktionsf\u00e4hig ist. Ber\u00fccksichtigt man weiter, dafs diese Differenzierung des Sehstabes in zwei Abteilungen nur in solchen Augen sich findet, welche eine photomechanische Wirkung des Irispigmentes zeigen, so gewinnt diese Auffassung eine neue St\u00fctze. Ist das Irispigment in Lichtstellung, so entsteht ein Appositionsbild, welches von dem vordersten Ende des Sehstabes perzipiert wird; in der Dunkelstellung dagegen entsteht ein Superpositionsbild, das in der Ebene der Anschwellung der Sehst\u00e4be liegt. Tiere, deren Auge diese doppelte Funktionsweise besitzt, sind in erster Linie die Nacht- und D\u00e4mmerungsfalter und ein grofser Teil der kurzschw\u00e4nzigen Krebse.\nIm zusammengesetzten Auge findet sich ebenso wie im AVirbeltier\u00e4uge oft ein Tapetum; dasselbe kommt in zweierlei Formen vor ; das eine Mal ist es aus zahlreichen Tracheen gebildet (Insekten), das andere Mal besteht es aus einer k\u00f6rnigen, das Licht stark reflektierenden Masse, die wahrscheinlich in Zellen eingelagert ist (Krebse). Aufser dieser Tapetumschicht am hinteren Ende der Sehst\u00e4be und jenen bei manchen Krebsen und Insekten vorkommenden, stark das Licht reflektierenden k\u00f6rnigen Massen, welche der vorderen Schicht des Irispigmentes aufgelagert sind, die Verschiebungen desselben bei Belichtung mitmachen und von E. als Iristapetum bezeichnet werden, findet sich bei vielen Krebsen (z. B. Palaemon) noch eine zweite Tapetumlage, welche schon aufserhalb des eigentlichen","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nSigmund Fuchs.\nAuges, im Ganglion opticum, zu liegen pflegt ; doch sind diese beiden Schichten nicht strenge gesondert, sondern h\u00e4iifig durch unregelm\u00e4fsige Verbindungsz\u00fcge miteinander verkn\u00fcpft. Endlich giebt es, wie bei Wirbeltieren, eine Reihe von Augen, welche kein Tapetum besitzen. Das Fazettenauge enth\u00e4lt aber noch eine Pigmentlage, welche als hintere Pigmentanh\u00e4ufung lange bekannt ist und von E. als Retinapigment bezeichnet wird. Bei allen Augen, die als typische Tagaugen aufzufassen sind, d. h. bei jenen mit Appositionsbild, ist eine scharfe Grenze zwischen Irispigment und Retinapigment nicht vorhanden, bei den Augen mit Superpositionsbild dagegen, den typischen Nachtaugen, sind die beiden Pigmentlagen v\u00f6llig voneinander getrennt. Dieses Retinapigment zeigt nun bei Krebsen \u2014 bei Insekten gelang es nicht, eine mechanische Wirkung des Lichtes auf dasselbe nachzuweisen \u2014 eine sehr deutliche Ortsver\u00e4nderung bei Belichtung.\nDer Vorgang gestaltet sich bei jenen Krebsen, welche diese Pigmentverschiebung am exquisitesten zeigen (z. B. Palaemon) folgendermafsen: Im Dunkelauge gewahrt man die zwei beschriebenen Schichten des Tapetum, und in ihrer Mitte, also gleich hinter der Membrana fenestrata, das Lager schwarzen Retinalpigmentes. Im Lichtauge dagegen sieht man die Sehst\u00e4be in ihrer ganzen L\u00e4nge reichlich von Pigment umh\u00fcllt, w\u00e4hrend die Zone hinter der Membrana fenestrata, welche urspr\u00fcnglich das Pigment enthielt, nur mehr sp\u00e4rliche Reste desselben beherbergt; daf\u00fcr sieht man jetzt in ihr reichlichere Massen von Tapetum, die mit der dahinterliegenden Tapetumschichte verschmelzen, so dafs diese letztere nach vorne allm\u00e4hlich auszuklingen scheint. Durch diese Verschiebung des Retinapigmentes vor die Tapetumlage, die ja mit der bereits geschilderten Wanderung des Irispigmentes nach r\u00fcckw\u00e4rts gleichzeitig stattfindet, wird bewirkt, dafs, w\u00e4hrend im Dunkelauge das durch den Sehstab nach hinten gelangte Licht auf das Tapetum stiefs, also reflektiert wurde und so die Netzhauterreguug vergr\u00f6fserte, nach Belichtung eine derartige Reflexion verhindert wird. Aber auch wo dies nicht geschieht, lagert sich die gr\u00f6fste Masse des Pigmentes an die vorderen Enden der Sehst\u00e4be, diese einh\u00fcllend und von ihnen das Licht abblendend. In der Regel kommt dieses Pigment aus den vordersten Lagen des Ganglion opticum.","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Nettere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodmumgen. 361\nDie bisherigen Mitteilungen bezogen sich fast aus-schliefslich auf die Augen der Insekten und Dekapoden. Von den Augen der \u00fcbrigen Krustaceen verdienen nun noch die von Squilla, Phronima und Copilia besonderer Erw\u00e4hnung. Squilla mantis steht, was den Bau der einzelnen Fazettenglieder betrifft, den halb- und kurzschw\u00e4nzigen Krebsen sehr nahe; der Strahlenverlauf ist durchaus analog dem im Limulusauge; das Tier sieht mit einem Appositionsbilde. Absonderlich ist die Gestalt des Auges, welches einer an beiden Enden abgerundeten Walze gleicht, die in ihrer Mitte eine ringf\u00f6rmige Einschn\u00fcrung hat. Fassen wir zun\u00e4chst die eine H\u00e4lfte des Organes ins Auge, also eine H\u00e4lfte der Walze, welche vom Ende bis zur Einschn\u00fcrung reicht. Steht die Walze horizontal, so ist der Kr\u00fcmmungsradius in der Horizontalen weit gr\u00f6fser als in der Vertikalen. Das Netzhautbild eines mit einer Seite horizontal stehenden Quadrates mufs also die Gestalt eines langgestreckten Rechteckes haben, dessen horizontal stehende Seite die lange ist. Es w\u00fcrde also das Netzhautbild einer Squilla z. B. ein System paralleler Linien noch als solches erkennen lassen, wenn die Linien vertikal sind, und w\u00fcrde die Linien nicht mehr aufl\u00f6sen k\u00f6nnen, wenn sie horizontal stehen. Die eigent\u00fcmliche Form des Auges w\u00e4re also unter der Voraussetzung zu erkl\u00e4ren, dafs es f\u00fcr das Tier wichtig ist, Details, die in einer gewissen Richtung angeordnet sind, genau zu unterscheiden. Die ringf\u00f6rmige Furche mufs zur Folge haben, dafs ein Objekt, welches n\u00e4herungsweise in der Ebene dieser Furche liegt, zwei Netzhautbilder in demselben Auge entwirft. Squilla sieht also mit einem Auge binokular und vermag so mit einem Auge Entfernungen sicher zu sch\u00e4tzen. Allerdings w\u00e4re einer horizontalen Linie gegen\u00fcber die Einschn\u00fcrung des Squillaauges bedeutungslos, geradeso wie unser binokul\u00e4res Sehen uns horizontalen Linien gegen\u00fcber im Stiche l\u00e4fst; dagegen mufs es in der Senkrechten Entfernungen am besten sch\u00e4tzen. Es ist also diejenige Richtung, welche ein Liniensystem haben mufs, um im Squillaauge das deutlichste Netzhautbild zu entwerfen, dieselbe, welche es haben mufs, damit seine Entfernung am deutlichsten erkannt werde. Ein Zusammentreffen, welches wohl kaum als ein zuf\u00e4lliges aufgefafst werden kann.\nDie Phronimiden, eine andere Krebsart, haben Augen,","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"Sigmund Fuchs.\n362\nderen jedes in zwei Teile zerf\u00e4llt ; so entstehen zwei Seiten-augen, deren Sehfeld die gew\u00f6hnliche Lage und Ausdehnung hat, und zwei Scheitelaugen, deren Sehfeld ausschliefslich nach oben liegt, wenn man sich das Tier mit seiner K\u00f6rperaxe horizontal sitzend denkt; dementsprechend sind auch vier Retinae vorhanden. Schwierigkeiten f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis des dioptrischen Vorganges erwachsen nun aus dem Umstande, dafs am Seitenauge die Krystallkegel so in die Netzhaut hineinragen, dafs ihre sehr kleine, aber ebene Endfl\u00e4che hart an das vordere Ende des Rhabdomes st\u00f6fst. Um ein Superpositionsbild kann es sich also nicht bandeln, aber auch ein Appositionsbild nach dem bisher beschriebenen Typus erscheint ausgeschlossen ; denn dazu ist n\u00f6tig, dafs in der N\u00e4he der Spitze jedes Krystallkegels ein wenn auch unvollkommenes dioptrisches Bild der \u00e4ufseren Objekte entworfen werde. Dazu ist aber der Bau der Kegel ein viel zu unregelm\u00e4fsiger, und beim Scheitelauge schliefst schon die ungeheuere L\u00e4nge und D\u00fcnnheit der Krystallkegel, welche im allgemeinen die Form einer Stecknadel haben, den Gedanken an ein gew\u00f6hnliches dioptrisches Bild v\u00f6llig aus. F\u00fcr Phronima gilt nun noch immer die erste von Exner (18 <5) \u00fcber die Funktionsweise des zusammengesetzten Auges aufgestellte Theorie, nach welcher jedes Fazettenglied des zusammengesetzten Auges Lichtstrahlen, die n\u00e4herungsweise in der Richtung seiner Axe auffallen, teils durch Brechung, teils durch totale Reflexion an die Spitze des Krystallkegels leitet. Allerdings kommt dazu noch die seither erkannte Linsenzylinderwirkung, verm\u00f6ge welcher das ganze von einem Lichtpunkte kommende Lichtb\u00fcndel, dessen Breite der Breite des Kegelendes entspricht, den fadenf\u00f6rmigen Teil des Krystallkegels erreicht. Phronima sieht also gleichfalls mit einem aufrechten Netzhautbilde, welches dem Appositionsbilde verwandt ist.\nCopilia endlich, ein wenige Millimeter grofser Kopepode, besitzt Augen, deren dioptrischer Apparat nur aus einer auffallend sch\u00f6nen Linse besteht, deren vordere konvexe Fl\u00e4che an Wasser grenzt, deren hintere dem Inneren des fast ganz durchsichtigen K\u00f6rpers zugewendet ist. Das von dieser Linse entworfene umgekehrte Bild liegt nach E.\u2019s Messungen etwa 1 mm hinter der Linse. Etwa in der halben L\u00e4nge des K\u00f6rpers befindet sich hinter der Linse ein stark lichtbrechender krystall-","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Artliropodenuugen. 363\nkegelartiger K\u00f6rper, welcher auf einem knief\u00f6rmig umgebogenen gelben Stabe aufsitzt; der letztere enth\u00e4lt in seinem Inneren die Analoga der Retinulazellen und der Rhabdorne und steht, mit dem Sehnerven in Verbindung; aufserdem setzt sich ein quergestreifter Muskel an ihn an. Nach E.\u2019s Ermittelungen ist dieser gelbe Sehstab beweglich und h\u00e4lt bei den (am lebenden Tiere beobachteten) Bewegungen stets den gleichen Abstand von der Linse ein; er tastet also gewissermafsen das dioptrisclie Bild eines \u00e4ufseren Gegenstandes ab. Der psychische Prozefs, verm\u00f6ge dessen die Bilder verwertet werden, ist wesentlich jener, der uns zum Erkennen von Formen f\u00fchrt, wenn wir, mit einem Finger tastend, den Kanten und Fl\u00e4chen des Objektes entlang fahren und uns so aus dem Nacheinander der Empfindungen die Gestalt konstruieren; dieses Sehen hat eine gewisse Analogie mit unserem Sehen bei bewegtem Blicke.\nAm Fazettenauge ist weiterhin noch eine Reihe gesetz-m\u00e4fsig auftretender optischer Ph\u00e4nomene zu beobachten, die sich nicht auf seine Funktion als Sehorgan beziehen. Hierher geh\u00f6rt das Augenleuchten und das Ph\u00e4nomen der Pseudopupillen. Wird ein Fazettenauge mit dem Augenspiegel untersucht, so zeigt fast jedes die F\u00e4higkeit, zu leuchten, d. h. das eingedrungene Licht nach bestimmten Gesetzen zur\u00fcckzuwerfen und aus dem Auge wieder austreten zu lassen. Dieses Augenleuchten steht in weitgehender Analogie mit dem der Wirbeltiere. Wie bei diesen die Pupille aufleuchtet, so beschr\u00e4nkt sich auch bei den Fazettenaugen das Leuchten auf ein kreisf\u00f6rmiges St\u00fcck derselben, welches ganz oder nahezu identisch ist mit dem Sitz jener optischen Erscheinung, die wir noch als Pseudopupille kennen lernen werden. Ein wesentlicher Unterschied aber zwischen dem Leuchten der beiden Augenarten zeigt sich sofort, wenn man das Fazettenauge dreht, w\u00e4hrend die Richtung des Beobachters und die Stellung seines Auges dieselbe bleibt. Auch dann n\u00e4mlich beh\u00e4lt die leuchtende Stelle des Auges dem Beobachter gegen\u00fcber dieselbe Lage, d. h. w\u00e4hrend der Drehung des zusammengesetzten Auges wechselt die leuchtend erscheinende Gruppe von Fazetten. Ist die Beleuchtung des Auges eine m\u00f6glichst vollkommene, so erscheint dem Beobachter jene Fazette leuchtend, deren optische Axe in der Richtung seiner eigenen Augenaxe liegt,","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nSigmund Fuchs.\nund deren kreisf\u00f6rmig begrenzte Umgebung. Die Gr\u00f6fse dieses leuchtenden Kreises h\u00e4ngt vom feineren Baue des Auges, sowie von der Stellung der beiden Pigmentlagen ab; er kann, wie dies bei Nachtschmetterlingen und Dunkelstellung des Pigmentes der Fall ist, mehrere Millimeter messen, er kann aber auch, und so verh\u00e4lt es sich normalerweise bei Tagschmetterlingen, so klein sein, dafs er nur unter besonders g\u00fcnstigen Verh\u00e4ltnissen \u00fcberhaupt, und da fast nur bei Lupenvergr\u00f6fserung, wahrgenommen wird. Die Erkl\u00e4rung des Augenleuchtens ist vollst\u00e4ndig dieselbe, wie am Wirbeltierauge.\nDas Verschwinden des Augenleuchtens infolge von Lichteinwirkung ist bei Nachttieren eine ganz allgemeine Erscheinung; bedingt ist dieses Verschwinden durch die bereits beschriebene Pigmentverschiebung infolge der Belichtung. Geht das Pigment aus der Dunkel- in die Lichtstellung \u00fcber, so verliert zim\u00e4chst einmal das Netzhautbild betr\u00e4chtlich an Helligkeit; infolgedessen wird auch das vom Augenhintergrunde zur\u00fcckkehrende Licht vermindert; ebenso mufs aber auch der Durchmesser der leuchtenden Kreisscheibe mit zunehmender Lichtstellung fortw\u00e4hrend abnehmen und endlich Null werden. Das Leuchten ist jetzt verschwunden. Man kann sich sonach jederzeit mit dem Augenspiegel von dem Zustande des Irispigmentes am lebenden Tiere \u00fcberzeugen.\nDie Lichtwirkung auf das Irispigment ist weiter \u2014 und darin liegt gleichfalls ein Unterschied gegen\u00fcber dem Wirbeltierauge \u2014 eine lokale; w\u00e4hrend die Pupille des letzteren bei Belichtung sich im ganzen kontrahiert, kann die leuchtende Pseudopupille verschiedene Gestalten annehmen, indem auf einen Teil des Auges Licht eingewirkt hat, auf einen anderen keines, oder doch weniger.\nDie Beobachtimg mit dem Augenspiegel giebt uns eine volle Best\u00e4tigung der durch dioptrische Untersuchung gewonnenen Resultate; sie zeigt, dafs aus jedem Fazettengliede nur in einer sehr bestimmt eingehaltenen Richtung Licht zur\u00fcckkehrt, welches jedoch sehr intensiv ist; wesentlich dieselben Verh\u00e4ltnisse m\u00fcssen demnach auch f\u00fcr das eindringende Licht obwalten. Die Kleinheit des leuchtenden Anteiles in der Pseudopupille giebt ein Mals f\u00fcr die Sch\u00e4rfe des Netzhautbildes, ja man kann den Lichtpunkt geradezu als das von aufsen gesehene Netzhautbild der Sonne auffassen.","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodenaugen. 360\nDas Augenleuchten ist eine unter den Insekten weit verbreitete Erscheinung, nur den K\u00e4fern fehlt sie. Bemerkenswert sind die Verh\u00e4ltnisse im Libellenauge; bei manchen Gattungen der Libellulinen (z. B. Cordulegaster, Libel-lula de pr\u00e8s sa) sieht man schon beim Anblicke des lebenden Tieres, dafs sich der nach oben gewendete Anteil des Auges anders verh\u00e4lt, als der seitliche und untere. Kr\u00fcmmungsradius, Farbe und Zeichnung sind in beiden Abteilungen wesentlich verschieden; dem oberen Teile fehlt die Pseudopupille. Bei mikroskopischer Untersuchung zeigt sich, dafs jedes Fazetten-glied im unteren Abschnitte des Auges in allen Anteilen kleiner ist, als im oberen, dafs es relativ l\u00e4nger ist, und dafs seine hinteren Anteile, sowie die ganzen Sehst\u00e4be schwarz pigmentiert sind, w\u00e4hrend im oberen Anteile nur farbiges Pigment vorkommt. Bei der Beobachtung mit dem Augenspiegel ergiebt sich nun, dafs bei Drehungen des Tieres die leuchtende Pseudopupille in der oberen Augenh\u00e4lfte weit rascher wandert, als in der unteren. Wenn man nun ber\u00fccksichtigt, dafs die untere Kornealh\u00e4lfte verm\u00f6ge ihrer feineren Fazettierung auch sch\u00e4rfere Netzhautbilder zu entwerfen vermag, so wird die Annahme kaum von der Hand zu weisen sein, dafs der obere Teil des Libellenauges wesentlich dem Sehen von , Bewegungen, der untere dem Erkennen von Formen dient.\nDer \u00dcbergang des Pigmentes von der Dunkel- zur Lichtstellung geschieht immer viel schneller, als der entgegengesetzte. Eine Reihe von Versuchen spricht daf\u00fcr, dafs es sich bei dieser Pigmentverschiebung nicht um direkte Lichtwirkung, sondern um reflektorisch ausgel\u00f6ste Pigmentbewegungen handle.\nIm vorstehenden wurde bereits der Pseudopupille Erw\u00e4hnung gethan; f\u00fcr das Auftreten dieses Ph\u00e4nomens l\u00e4fst sich als Hegel aufstellen, dafs alle jene zusammengesetzten Augen, die zwischen den vorderen Anteilen der Kr y stallkegel eine Licht reflektierende Sub stanz (Iris-tapetum) haben, eine Pseudopupille zeigen. Dieselbe hat die Eigenschaft, mit dem Beschauer den Ort zu \u00e4ndern, indem sie im allgemeinen da erscheint, wo das Fazettenauge von der Gesichtslinie des Beobachters senkrecht getroffen wird; sie ist durchaus nicht immer kreisrund, sondern entsprechend der Form der Kornealoberfl\u00e4che, resp. der Fazetten, bald oval, bald unregelm\u00e4fsig polygonal. Aufser dieser Haupt-","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nSigmund Fuchs.\npseudopupille, die bisher als unter gewissen Umst\u00e4nden leuchtend beschrieben worden ist, sieht man aber bei sehr vielen Tieren noch andere schwarze Flecke am Auge, welche zwar weniger dunkel und weniger scharf begrenzt sind, als jene, aber sich vor allem auch verschieben, wenn sich die Stellung des Beobachters \u00e4ndert. Bei Tieren mit sechseckigen Fazetten liegt um die Hauptpseudopupille, durch einen hellen Bing von ihr getrennt, ein Kranz von sechs dunklen Flecken (Nebenpupillen erster Ordnung) und weiter nach aufsen ein Kranz noch weniger scharf begrenzter Flecke, deren zw\u00f6lf zu sein scheinen (Nebenpupillen zweiter Ordnung). Oft findet sich noch ein weiterer Kranz solcher Flecke (Nebenpupillen dritter Ordnung). Ein auffallender Unterschied zwischen der Hauptpupille und den Nebenpupillen erster Ordnung einerseits, den Nebenpupillen zweiter und dritter Ordnung andererseits besteht darin, dafs die Lage der ersteren nur von der Stellung des beobachtenden Auges, die Lage der letzteren aber aufserdem noch von der Bichtung der Beleuchtung abh\u00e4ngig ist. Die Erkl\u00e4rung dieses Ph\u00e4nomens ist vom Verfasser f\u00fcr die Hauptpseudopupille und f\u00fcr die Nebenpupillen erster Ordnung vollst\u00e4ndig gegeben worden. Wir wollen, um diese Erkl\u00e4rung zu skizzieren, mit E. ein vollkommen regelm\u00e4fsig gebautes (z. B. kugelig gekr\u00fcmmtes, mit senkrecht aufsitzenden Krystallkegeln versehenes etc.) Insektenauge voraussetzen. Das Ph\u00e4nomen hat ein Zentrum, um das es angeordnet ist, die Mitte der Hauptpupille, welche, wie schon erw\u00e4hnt ist, dadurch charakterisiert wird, dafs in ihr die Gesichtslinie des Beschauers das Fazettenauge senkrecht trifft; diese Linie werde die Axe des Ph\u00e4nomens genannt, welches unter den eben genannten Voraussetzungen dann aus der die Axe umgebenden Hauptpupille und sechs von der Axe gleichweit entfernten, im Sechseck gestellten Nebenpupillen besteht. Es seien A und B in der nebenstehenden Figur zwei Fazettenglieder, und es bef\u00e4nde sich das Auge des Beobachters, welches wir uns als leuchtenden Punkt vorstellen wollen, in der Verl\u00e4ngerung von b a, also in der Axe des Ph\u00e4nomens, dann dringt Licht durch das Fazetten-glied B und beleuchtet eine in der Axe gelegene Stelle der Betina. Vermag diese Stelle eine gen\u00fcgende Menge Licht zur\u00fcckzuwerfen, so dringt dieses in der Bichtung b a in das Auge des Beobachters, welches also, wie dies f\u00fcr Tagschmetter-","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodemugen. 367\nlinge, Libellen und manche Krebse gilt, das Zentrum der Hauptpupille leuchtend sieht. Fehlt eine solche reflektierende Schicht, so erscheint \u2014 bei K\u00e4fern, Krebsen, deren Augen sich in Lichtstellung befinden, etc. \u2014 das Zentrum der Hauptpupille schwarz. F\u00e4llt aber aus dem Auge des Beobachters ein Strahl unter einer gewissen Neigung, z. B. in der Richtung c o, auf eine Fazette \u2014 dieselbe st\u00fcnde dann in einiger Entfernung von der Axe des Ph\u00e4nomens \u2014 so gelangt er verm\u00f6ge der Linsenzylinderwirkung desFazetten-gliedes irgendwo an die Mantelfl\u00e4che desselben, etwa nach m, und wird, wenn sich daselbst schwarzes Pigment befindet, absorbiert. Es gelangt somit kein Strahl in das Auge des Beobachters; er sieht das schwarze Pigment, welches die Krystall-kegel umh\u00fcllt, in Form eines schwarzen Ringes um die leuchtende Hauptpupille, oder wenn an der Retina kein Licht reflektiert wird, als \u00e4ufserste Zone des schwarzen Fleckes, welcher in diesem Falle das Zentrum der Hauptpupille ist. Ist die Neigung eines Strahles noch gr\u00f6fser, z. B. d o, so gelangt dieser nach einem Punkte, der weiter nach vorne an der Mantelfl\u00e4che des Fazettengliedes liegt, etwa nach n. In vielen Augen befindet sich aber vor dem Irispigment ein lichteres, h\u00e4ufig sch\u00f6n gef\u00e4rbtes Pigment, das Iristapetum. Dieses reflektiert Licht von seiner eigenen Farbe, wodurch die \u00e4ufsere Grenze der Haupt-","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368\nSigmund Fuchs.\npupille und zugleich die Ursache des hellen Hofes um dieselbe gegeben ist.\nWie entstehen nun die Nebenpupillen erster Ordnung? Wird das Lampyrisauge abgepinselt und in korrekter Montierung unter das Mikroskop gebracht, so gewahrt man unter g\u00fcnstigen Verh\u00e4ltnissen rings um das normale Netzhautbild herum sechs weitere aufrechte Bildchen, welche dem Hauptbilde in allen wesentlichen Eigent\u00fcmlichkeiten gleichen und nur von merklich geringerer Sch\u00e4rfe sind. Diese Nebenbilder zeigen dieselbe Anordnung, wie an anderen Augen die Pseudopupillen erster Ordnung ; ihre Lage ist definiert durch die sechs Linien, die, vom Zentrum des Hauptbildes ausgehend gedacht, die Seiten der sechseckigen Eazetten senkrecht schneiden. \u201eHat man bei Lampvris ein Nebenbild unter dem Mikroskope eingestellt und als Objekt einen Lichtpunkt verwendet, so gewahrt man bei Ann\u00e4herung des Tubus an das Objekt, ganz \u00e4hnlich wie beim Hauptbilde, dafs die Strahlenb\u00fcndel \u2014 die freilich lange nicht so scharf begrenzt, sondern stark verzerrt sind \u2014 auseinanderweichen und jedes derselben in das Bild eines schief gesehenen Krystallkegels \u00fcbergeht, wenn man den Focus des Mikroskopes bis an den dioptrischen Apparat herangeschoben hat. Es erscheint eine rundlich begrenzte Gruppe von Kegeln, ungef\u00e4hr von derselben Anzahl, wie jene in der Verk\u00fcrzung gesehenen des Hauptbildes, hell erleuchtet. Hier \u00fcberzeugt man sich nun, dafs alles Licht, das das Nebenbild zusammensetzt, aus der Mantelfl\u00e4che der Kegel austritt. Diese Mantelfl\u00e4che ist aber im Leben von Irispigment \u00fcberkleidet, absorbiert also das ganze Nebenbild. Deshalb ist dieses f\u00fcr das Sehen des Tieres bedeutungslos.\u201c Wird nun wieder das Auge des Beobachters als leuchtender Punkt vorgestellt, so ergiebt sich, dafs die von ihm ausgehenden Strahlen an jenen sechs Gruppen von Krystallkegeln, und zwar an der der Axe des Pupillenph\u00e4nomens abgewendeten Seite derselben, durch das Irispigment absorbiert werden m\u00fcssen, w\u00e4hrend vorl\u00e4ufig keinerlei Grund zu der Annahme besteht, dafs eine \u00e4hnliche Absorption f\u00fcr die Zwischenr\u00e4ume zwischen jenen sechs Gruppen stattfindet. Es erscheinen somit aufser der Hauptpupille auch jene sechs Stellen am Auge schwarz : die sechs Nebenpupillen erster Ordnung. Die Existenz der Nebenpupillen steht sonach mit der der Nebenbilder in innigstem Konnexe,","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie \u00e4. Arthrmodenaugen. 369\nund die physikalische Erkl\u00e4rung beider Ph\u00e4nomene ist die gleiche. Im Detail w\u00e4re noch kurz folgendes zu erw\u00e4hnen : Ist der einfallende Strahl (siehe Figur auf S. 367) noch st\u00e4rker geneigt, etwa wie g o, so dringt er auch nicht mehr in das lichte Pigment des Auges, sondern passiert die Trennungslinie zweier Kornea-fazetten, bei h, und gelangt so in den benachbarten Krystall-kegel, in welchem er verm\u00f6ge dessen Linsenzylinderwirkung die Richtung li l einschl\u00e4gt. Da aber bei Tt Irispigment liegt, so ist klar, dafs die Fazetten der betreffenden Anteile des Auges dem Beobachter schwarz erscheinen werden. \u201eMan k\u00f6nnte also einen schwarzen Ring erwarten, da eine ringf\u00f6rmige Zone Fazettenglieder die supponierte Neigung gegen die Axe des Ph\u00e4nomens hat.\u201c Gewisse Tiere (Epinephele z. B.) zeigen auch unzweifelhafte Andeutungen dieses Ringes. In der Regel aber zerf\u00e4llt derselbe in sechs St\u00fccke, die Pseudopupillen, resp. Nebenbilder, und zwar augenscheinlich infolge der Wirkung der Korneafazetten. Die periphere Grenze des Ph\u00e4nomens ergiebt sich leicht aus folgendem. F\u00e4llt ein noch st\u00e4rker geneigter Strahl, etwa in der Richtung g o, aufs Auge, so wird es innerhalb desselben den Weg or st zur\u00fccklegen; bei s liegt aber wieder helles Pigment, so dafs von hier aus wieder Licht in das Auge des Beobachters gelangen kann.\nWas die Sch\u00e4rfe des dioptrischen Netzhautbildes betrifft, so hat Exnek eine sichere Angabe derselben nur f\u00fcr Lampyris geben k\u00f6nnen; aus der Photographie des Titelbildes zeigt sich, dafs dieses Tier, sofern es sich nur um das Netzhautbild handelte, wohl im st\u00e4nde w\u00e4re, Schilderschrift in der Entfernung von einigen Metern zu lesen. [In dem konventionellen SsELLENschen Mafse ausgedr\u00fcckt, w\u00e4re seine Sehsch\u00e4rfe\t\u2014^8(j]. Ei11 Gitter, dessen St\u00e4be 4,9 cm breit\nw\u00e4ren, w\u00fcrde es noch in einer Entfernung von 225 cm als Gitter erkennen, d. h., in der Entfernung von 1 cm unterscheidet es noch die St\u00e4be eines Gitters, wenn diese nur 0,22 mm breit sind. Diese Leistung des dioptrischen Apparates ist gewifs sehr bemerkenswert, und doch ist kaum zu bezweifeln, dafs andere Insekten und Krebse mit Superpositionsbild noch viel sch\u00e4rfere Netzhautbilder haben.\nEine besondere Beachtung verdient der Umstand, dafs das Netzhautbild des Fazettenauges h\u00e4ufig, vielleicht in der Mehrzahl der F\u00e4lle, der Projektion des Objektes nicht geometrisch\n24\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IV.","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370\nSiymund Fuchs.\n\u00e4hnlich ist; allerdings hat sich gezeigt, dafs diese Verzerrungen der Netzhaut bilder mit Erweiterungen des Sehfeldes einhergehen. Dafs diese geometrische Un\u00e4hnlichkeit des Netzhautbildes mit dem Sehfelde eine schwere Sch\u00e4digung des Sehens bedinge, ist aber vom physiologischen Standpunkte kaum zu erwarten. Denn der Wert aller Sinnesorgane bei der Wahrnehmung der Aufsenwelt beruht ja darauf, dafs unter gleichen \u00e4ufseren Bedingungen gleiche Nervenerregungen dem Zentralorgane zugeleitet werden. Aus der Verschiedenheit der Nachrichten, die dahin gelangen, wird ceteris paribus eine Verschiedenheit in den Verh\u00e4ltnissen der Aufsenwelt erkannt. Diese eben diskutierte Sch\u00e4rfe des Netzhautbildes ist aber keineswegs ein Mafs f\u00fcr die Sch\u00e4rfe des Sehens \u00fcberhaupt. F\u00fcr das letztere kommt es sehr wesentlich auf die Leistungsf\u00e4higkeit der Netzhaut an, sowie auf die ganze Art ihrer Funktion. Nun ist aber die Netzhaut des Fazettenauges im Vergleich zu der des Wirbeltierauges enorm dick, und das Bild k\u00f6nnte nur dann in seiner vollen Sch\u00e4rfe perzipiert werden, wenn wir annehmen wollten, dafs nur eine d\u00fcnne Schicht dieser Netzhaut lichtempfindlich w\u00e4re. Eine solche ist aber durch die anatomische Untersuchung nirgends nachzuweisen; zudem ist die Schicht der Sehst\u00e4be, eben diese Netzhaut, bei vielen Augen best\u00e4ndig, bei anderen wenigstens in der Dunkelstellung des Pigments, noch bei anderen allerdings wohl gar nicht oder nur in geringem Mafse f\u00fcr solches Licht durchg\u00e4ngig, welches nicht genau in der Axe des Fazettengliedes eindringt. Damit ist aber auch sofort die M\u00f6glichkeit gegeben, dafs das von einem hellen Punkte ausgehende Licht nicht nur einen Sehstab, sondern, wenn auch in geringerem Grade, die benachbarten reizt. Deshalb wird ein heller Punkt, auch wenn sein Netzhautbild scharf w\u00e4re, in der Empfindung immer noch von einem Hofe umgeben erscheinen, der an Intensit\u00e4t nach seiner Peripherie hin rasch abnimmt. Denken wir uns jetzt den hellen Punkt nur um so wenig verschoben, dafs sein Bild auf der Netzhaut um den Durchmesser eines Sehstabes wandert, dann mufs sich auch der Erregungsgrad aller dem Zerstreuungskreise angeh\u00f6rigen Sehst\u00e4be ge\u00e4ndert haben. Es ist klar, dafs diese Erregungs\u00e4nderung in einer grofsen Anzahl von Nervenendigungen in hohem Grade geeignet ist, aufzufallen, d. h. ein Bemerken der stattgehabten Bewegung, sowie ihrer Richtung","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodenaugen. 371\nzu veranlassen, ebenso dafs jede Ver\u00e4nderung, z. B. das pl\u00f6tzliche Auftreten eines bisher unsichtbar gewesenen Objektes (es ist ein solches ohne sehr merkliche Bewegung m\u00f6glich) eine \u00e4hnlich starke Sinnesreizung veranlassen mufs. Der Zerstreuungskreis eines korrekt gebauten Wirbeltierauges w\u00fcrde nicht in gleicher Weise wirken, weil er durchaus von derselben Helligkeit ist. Es treten im selben Falle dann Ver\u00e4nderungen im Erregungszust\u00e4nde nur in der relativ geringen Anzahl von Netzhautelementen ein, welche die Peripherie des Zerstreuungskreises bilden. Die beiden Typen der Zerstreuungskreise verhalten sich also recht verschieden, und die physiologische Wirkung gleicher Verschiebungen gleich grofser Zerstreuungskreise d\u00fcrfte sich verhalten wie die Peripherie zum Fl\u00e4cheninhalt. Aus dieser Differenz l\u00e4fst sich aber ein sehr bemerkenswerter Unterschied in der Funktionsweise der beiden Augentypen erschliefsen : des Wirbeltierauges mit seinem Linsensystem und dem verkehrten Bilde und des Fazettenauges mit Hunderten solcher Systeme und dem aufrechten Bilde. Nach Exneks Anschauung, die er schon im Beginne seiner physiologischoptischen Arbeiten ausgesprochen hat, ist das Wirbeltierauge in vollkommenerer Weise dazu geeignet, das Erkennen der Formen \u00e4ufserer Objekte, das Fazettenauge in vollkommenerer Weise, das Erkennen von Ver\u00e4nderungen an den Objekten zu vermitteln. Diese Wahrnehmung von Ver\u00e4nderungen, insbesondere von Bewegungen \u00e4ufserer Objekte, spielt aber im Leben der Tiere eine grofse Rolle. Es steht das im Zusammenh\u00e4nge mit den lebendigen Feinden, vor denen sie sich zu h\u00fcten, oder mit der lebendigen Beute, die sie zu erjagen haben. In dieser Beziehung funktioniert das Fazettenauge \u00e4hnlich wie die Netzhautperipherie des Menschen, f\u00fcr welche nach E.\u2019s fr\u00fcheren Untersuchungen eine relative Uberempfindlichkeit f\u00fcr Bewegungen bei Unterempfindlichkeit f\u00fcr r\u00e4umliche Auffassung besteht. \u2014 Ein Accommodationsapparat fehlt dem Fazettenauge; er wird wohl durch die grofse Dicke der Netzhaut ersetzt, welche es m\u00f6glich macht, dafs das Bild, auch wenn es etwas nach vorne oder nach r\u00fcckw\u00e4rts r\u00fcckt, immer noch im Inneren der lichtempfindlichen Schicht bleibt; aufserdem kommt aber noch ein Umstand in Betracht, der \u00fcbrigens auch das Wirbeltierauge betrifft. Je kleiner n\u00e4mlich die Dimensionen eines Auges werden, desto entbehrlicher wird die\n24*","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372\nSigmund Fuchs.\nAccommodation unter der im grofsen und ganzen zutreffenden Voraussetzung, dafs die empfindliche Schicht der Netzhaut eine absolut gleichbleibende Dicke hat. Denn die Gir\u00f6fse der Verschiebung des Netzhautbildes ist, gleichen Bau der Augen vorausgesetzt, proportional den linearen Dimensionen des Auges, f\u00fcr \u2022welche die hintere Brennweite ein Mafs abgiebt. In dieser Beziehung verhalten sich Insekten und Krebse mit Superpositionsbild ebenso, wie kleine S\u00e4uger.\nIn den letzten Jahren hat C. Claus in einer Reihe bedeutsamer Arbeiten1 das dem Typus der einfachen Augen zugeh\u00f6rende dreiteilige Medianauge der Krustaceen, dessen Kenntnis bis dahin noch recht unsicher war, einer eingehenden Untersuchung unterworfen. Schon 1890 war er gelegentlich des Studiums des Stirnauges von Cypris auf die \u00fcberraschende Thatsache gestofsen, dals der Nerv von der Aufsenseite zu den Sehzellen herantritt und die Enden derselben dem Pigmentk\u00f6rper zugewendet sind, dafs also das Cyprisauge ein inverses Becherauge ist. Es lag die Vermutung nahe, dafs dieses Verhalten ein allgemeing\u00fcltiges sei und sich am Medianauge aller Entomostraken wiederholen m\u00f6chte, eine Vermutung, die, wie die folgenden Darlegungen ergeben werden, sich auch v\u00f6llig best\u00e4tigte.\nDas Medianauge der Ostrakoden ist, wie Claus schon fr\u00fcher erkannt hatte, dreiteilig und besteht aus einem ventralen vorderen und zwei mehr dorsalen seitlichen untereinander und mit jenem gleichwertigen Abschnitten; jeder der drei median zusammenstofsenden Pigmentbecher baut sich bei Cypris und Verwandten aus dicht zusammengelagerten rotbraunen bis gelblichen Pigmentk\u00f6rnchen auf, deren Gr\u00f6fse innerhalb gewisser Grenzen variiert. Nach innen zu folgt eine metallisch gl\u00e4nzende Schicht von ansehnlicher Dicke, die den Pigmentbecher von innen auskleidet. Dieselbe erscheint aus kleinen gl\u00e4nzenden F\u00fcttern zusammengesetzt, welche in ihrer Aneinanderf\u00fcgung den Anschein einer welligen L\u00e4ngsfaserschicht erzeugen und die Bedeutung eines das Licht reflektierenden\n1 Claus , Das Medianauge der Krustaceen. Arb. aus dem Zoolog. Inst, der TJniv. Wien. Bd. IX., 1891, S. 225.\nDerselbe, \u00dcber die Gattung Miracia Dana mit besonderer Ber\u00fccksichtigung ihres Augen-Baues. Ibidem, S. 267.\nDerselbe, \u00dcber den feineren Bau der Pontellidenaugen. Wien 1891.","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodemugen. 373\nTapetums haben. Die helle lichtbrechende F\u00fcllungsmasse jedes Augenbechers wird von einer Lage hoher Sehzellen und der diesen aufliegenden Linse gebildet. Auf Schnitten \u00fcberzeugt man sich alsbald, dafs der Nerv von der \u00e4ufseren, dem Pigmente abgewendeten Seite unter der Linse in das Auge ein-tritt, und dafs demgem\u00e4fs seine Fasern in die Distalenden der scharf abgegrenzten zylindrischen Zellen der Retina \u00fcbergehen. Der entgegengesetzte, dem Tapetum zugekehrte Abschnitt der Sinneszelle enth\u00e4lt die f\u00fcr die Lichtperzeption so wichtige St\u00e4bchenausscheidung, welche morphologisch und physiologisch als Kriterium der Sehzelle gelten mufs. Die Zahl der st\u00e4bchenhaltigen Sehzellen betr\u00e4gt zwischen 24 und 30 in jedem Auge, so dafs die Gesamtzahl der perzipierenden Elemente in dem dreiteiligen Medianauge auf 70 bis 90 gesch\u00e4tzt werden kann. Als \u00e4ufserer aus dem Pigmentbecher hervorragender Teil des lichtbrechenden K\u00f6rpers pr\u00e4sentiert sich eine scharf begrenzte, vorne kugelig vorgew\u00f6lbte, nach der Retina zu etwas abgeflachte Linse von ziemlich fl\u00fcssiger Substanz und verh\u00e4ltnis-m\u00e4fsig schwacher Lichtbrechung. \u201eDie Art der Einlagerung gestattet sehr wohl den Vergleich der \u00d6ffnung eines Pigmentk\u00f6rpers mit einer Pupille, und schon W. Zenker bemerkt ganz richtig, dafs die Weite derselben nicht \u00fcberall dieselbe und besonders eng bei Cypris monacha sei.\u201c Bei Notodromas sind die einander zugewendeten Partien der Pigmentbecher durch lange Stiele miteinander verbunden, ihre distalen Abschnitte dagegen liegen als erweiterte, die Retinazellen und die Linse umschliefsende Becher in weitem Abstande voneinander entfernt. Das Medianauge der Cypridiniden, dessen drei Pigmentbecher wieder mit ihren konvexen Seiten dicht zusammengedr\u00e4ngt sind, zeigt dieselbe Form und Struktur, nur fehlt trotz des viel bedeutenderen Umfanges und der betr\u00e4chtlich vermehrten Zahl von Retinazellen eine Linse. Die flach vorgew\u00f6lbten lichtbrechenden K\u00f6rper entsprechen lediglich dem Stratum der hohen Retinazellen, in deren peripheren ver-breitesten, den Kern enthaltenden Teil die Nervenfaser eintritt, w\u00e4hrend der entgegengesetzte verj\u00fcngte Abschnitt das stark lichtbrechende gl\u00e4nzende St\u00e4bchen tr\u00e4gt. Von besonders m\u00e4chtiger Ausbildung ist das am Grunde des Pigmentbechers gelegene, fast schalenf\u00f6rmig differenzierte Tapetum; am Querschnitte von faseriger Struktur zeigt es sich an Fl\u00e4chenschnitten","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374\nSigmund Fuchs.\naus ganz ansehnlichen messinggelb gl\u00e4nzenden Sch\u00fcppchen zusammengesetzt. Die dem Tapetum aufliegende schwarze Pigmentschichte besteht aus kleineren und gr\u00f6fseren, dicht zusammengedr\u00e4ngten rotbraunen Pigmentk\u00fcgelchen. Eine aufser-ordentliche Gtr\u00f6fse erreicht das Medianauge in der Gattung Eumonopia; sein Volum \u00fcbertrifft das des Medianauges der G'ypridina mediterrane a um mehr als das Zwanzigfache, w\u00e4hrend der dreiteilige Bau und die Struktur im wesentlichen \u00fcbereinstimmen.\nAus der Ordnung der Branchiopoden hat Claus schon vor Jahren1 bei Branchipus eine Darstellung des Augenbaues gegeben. Durch seine neueren Untersuchungen wurde festgestellt, dafs auch hier die Nervenfasern der seitlichen Augenh\u00e4lften von der Peripherie aus in die Selizellen eintreten, deren Kerne ebenfalls peripher liegen, w\u00e4hrend sie ihre freien Enden dem Pigmente zukehren, an dessen Innenseite sich jedoch keine besonders differenzierte Tapetumlage vorfindet. Dem Auge von Branchipus schliefst sich das von Apus (A. cancri-f or mis) bez\u00fcglich seines feineren Baues in allen wesentlichen Punkten an. Von aufserordentlicher Gr\u00f6fse ist das Medianauge der besch\u00e4lten Branchiopoden, von denen Estheria Siciniensis und Limnetis brachyura untersucht wurden. Bei Estheria erscheint das Medianauge bei seitlicher Betrachtung des Tieres als grofser dreiseitiger Pigmentfleck, dessen nach hinten gerichtete Spitze durch eine fadenf\u00f6rmige, mit Pigmentk\u00f6rnchen erf\u00fcllte Verl\u00e4ngerung bis zur Einst\u00fclpungs\u00f6ffnung der dorsalen Augenkapsel sich fortsetzt und hier durch mehrere Ausl\u00e4ufer am Integumente fixiert wird ; die letzteren erweisen sich als sehnige F\u00e4den, denen vielleicht auch muskul\u00f6se Elemente eingelagert sind, durch welche das Auge in der Medianebene um eine Queraxe etwas gedreht werden k\u00f6nnte. Die Zahl der Sehzellen d\u00fcrfte sich in jedem Augen-abschnitte auf etwa 70 belaufen; der Eintritt der Nervenfasern in die periphere Schicht der letzteren, sowie die l\u00e4ngsstreifige Struktur des Protoplasmas derselben ist mit grofser Deutlichkeit zu beobachten. An Quer- und Frontalschnitten zeigt sich weiter, dafs die seitlichen Augenh\u00e4lften, deren Sehzellenstratum\n1 C. Claus, Zur Kenntnis des Baues und der Entwickelung von Branchipus stagnalis und Apus cancriformis. G\u00f6ttingen 1873.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Arthropodenaugen. 375\nin Form eines Kugelsegmentes aus der Pigmentscliale hervor-tritt, starke seitliche Vorw\u00f6lbungen der Stirnplatten veranlassen, sowie dafs das ganze Medianauge in einem Blutsinus suspendiert ist. Das verh\u00e4ltnism\u00e4fsig noch viel gr\u00f6fsere Medianauge von Limnetis ist durch eine betr\u00e4chtliche Reduktion der Zahl der Retinazellen ausgezeichnet. Die vordere H\u00e4lfte jedes Seitenabschnittes, welche einen verh\u00e4ltnism\u00e4fsig grofsen Becher formiert, enth\u00e4lt die bei weitem gr\u00f6fste Anzahl der Sehzellen, etwa 16 bis 20; in dem nach vorne gerichteten ventralen Becher fanden sich nur zwei Paare derselben, von denen das vordere einen aufserordentlichen Umfang erreicht; und auch die hinteren Sehzellen des Seitenauges, von denen nur zwei Paare dem flachen hinteren Teil der Pigmentschale angeh\u00f6ren, treten wie die des ventralen Auges durch ihren Umfang hervor.\nDas grofse Medianauge von Argulus foliaceus aus der Ordnung der Arguliden schliefst sich in Gestalt und feinerem Bau ganz dem der Brancliiopoden an. Jeder Pigmentbecher besteht, wie Claus schon vor Jahren gezeigt hat, aus zwei Seitenh\u00e4lften, deren innerstes als Tapetum differenziertes Pigmentstratum bei auffallendem Lichte einen gold gl\u00e4nzenden Reflex erzeugt.\nDie drei Augen von Sapphirina, Corycaeus und Copilia aus der Ordnung der Kopepoden sind dem Medianauge homolog. Das Dorsalauge der Pontelliden ist, wie Claus in einer besonderen Publikation ausgef\u00fchrt hat, mit dem zusammengesetzten Fazettenauge der Arthropoden zu homolo-gisieren.\nDie Augen der Cirripedienlarven zeigen eine v\u00f6llige \u00dcbereinstimmung mit dem des Raupliusauges der Kopepoden und der \u00fcbrigen Entomostraken. Auch das Medianauge des Cirripediennauplius ist dreiteilig, wenn auch der ventrale unpaare Abschnitt weniger deutlich hervortritt. Mit der weiteren Entwickelung der Larve tritt dann die Anlage des zusammengesetzten Augenpaares auf, und im Metanauplius-stadium \u00fcbertreffen die mit Pigment erf\u00fcllten Seitenaugen mit ihren nach aufsen gewendeten Krystallkegeln das kleinere Medianauge an Umfang schon sehr betr\u00e4chtlich. Im Cypris-stadium ist das grofse kegelf\u00f6rmige, mit einer geringen Zahl (10\u201412) verschieden grofser Krystallkegel ausgestattete Seiten-","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376\nSigmund Fuchs.\nauge in voller Funktion und best\u00e4ndiger vibrierender Bewegung; aber auch das Medianauge hat sich erhalten und zu ansehnlicher Gr\u00f6fse, jedoch im Vergleiche zur Naupliuslarve etwas ver\u00e4nderter Form entwickelt. Beim \u00dcbergange in das festsitzende Cirriped werden, wie dies zuerst Leidy f\u00fcr Bal anus und Darwin f\u00fcr Lepas gezeigt haben, die grofsen zusammengesetzten Seitenaugen abgeworfen, w\u00e4hrend das Medianauge in dem noch zu bedeutender Gr\u00f6fse heran-wachsenden Geschlechtstiere persistiert. Diese Thatsache hat zu der Frage Veranlassung gegeben, ob im erwachsenen Tiere das Auge seiner Form und Struktur nach unver\u00e4ndert geblieben ist und noch als lichtempfindliches Organ fungiert, oder blofs ein funktionsloses Rudiment darstellt. Dar\u00fcber konnte nur die Untersuchung der Nerven und Retinazellen Aufschlufs geben. Nach den Angaben Darwins, sowie P. P. C. Hoeks und M. Nussbaums schien die erste Alternative zutreffend, doch hat sich Claus bei erneuter Untersuchung \u00fcberzeugt, dafs, abgesehen von dem vollst\u00e4ndigen Fehlen eines ventralen Augenabschnittes, die beiden Medialnerven zum Auge in gar keiner Beziehung stehen, sondern unter Ramifikationen \u00fcber dasselbe hinaus verlaufen. \u201eAber auch die lateralen st\u00e4rkeren Nerven-st\u00e4mine geben von den .... mehrere Ganglienzellen um-schliefsenden Anschwellungen aus einen Seitenzweig ab, welcher sich \u00fcber das Auge hinaus erstreckt. Der st\u00e4rkere Stamm tritt dann, bogenf\u00f6rmig umbiegend, in die Retina des Pigmentk\u00f6rpers ein. An den letzteren nimmt man an j\u00fcngeren Exemplaren .... aufser zahlreichen kleinen, dem Anscheine nach in R\u00fcckbildung begriffenen Zellen, welche den Retinazellen des Puppenauges entsprechen, eine gr\u00f6fsere, einen oder mehrere Nukleolen enthaltende Kernblase war, die sich auch an adulten Exemplaren erh\u00e4lt.\u201c Nach alledem erscheint es wahrscheinlich, dafs mit dem \u00dcbergange der Larve in die Cirripedienform das Auge noch funktionsf\u00e4hig ist, mit fortschreitendem Wachstum des Tieres jedoch immer mehr und mehr r\u00fcckgebildet wird.\nVon besonderem Interesse ist noch das Auge von Miracia Dana, einer der Gattung Setella verwandten Harpacticide. Unmittelbar hinter zwei m\u00e4chtigen, median verbundenen Frontallinsen, welche als stark lichtbrechende Cuticulargebilde mit stark konvexen Fl\u00e4chen nach vorn und hinten vorragen, liegt die grofse Augenkugel, welche das Medianauge repr\u00e4-","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Neuere Fortschritte in der Anatomie u. Physiologie d. Artliropo\u00e4enauyen. 377\nsentiert. Schon bei seitlicher Betrachtung des Tieres zeigen sich im Inneren derselben drei gl\u00e4nzende prismatische K\u00f6rper und bei tiefer Einstellung noch eine zweite Gruppe derselben, welche der abgewendeten H\u00e4lfte angeh\u00f6rt. Bei Untersuchung an Schnittserien ergiebt sich zur Evidenz, dafs die beiden Seitenh\u00e4lften der Augenkugel mit den drei gl\u00e4nzenden St\u00e4bchen im Innern jeder den beiden Seitenbechern entsprechen, w\u00e4hrend der zwischen jenen eingeschaltete ventrale Abschnitt, wie auch vielleicht eine mehr seitlich folgende Partie, in welcher zwei kleinere gl\u00e4nzende Gebilde eingelagert sind, auf den ventralen Augenbecher zu beziehen ist. Es ist also die grofse Augenkugel von Miracia trotz ihrer dorsalen Lage ein Medianauge.\nNach den im vorstehenden gegebenen Schilderungen bestellt zwischen den Formen des Medianauges, welche in den zahlreichen Krustaceentypen auftreten und insbesondere bei den Kopepoden bis zu den merkw\u00fcrdigen Extremen des Sapphirinen- und Pontellidenauges eine reiche Mannigfaltigkeit von Variationen bieten, jedenfalls ein gesetzm\u00e4fsiger Zusammenhang.\nDie funktionelle Bedeutung des Medianauges d\u00fcrfte wohl nicht allzu hoch zu veranschlagen sein. In seiner urspr\u00fcnglichen und einfachsten Form ist dasselbe wohl lediglich im st\u00e4nde, diffuses Licht zu perzipieren, welches den Organismus \u00fcber die Richtung der Lichtquelle orientiert, und dieser gem\u00e4fs reflektorisch zu bestimmt gerichteten Bewegungen veranlafst. F\u00fcr diese Auffassung sprechen auch die Versuche, welche Loeb und Groom \u00fcber den Heliotropismus der Nauplien von Baianus perfor\u00e2tus ver\u00f6ffentlicht haben.\nDurch diese Versuche wurde der Beweis gef\u00fchrt, dafs die Nauplien, \u00e4hnlich wie die Stahlnadel vom Magneten, von dem Lichtstrahl angezogen oder abgestofsen werden, in der Weise, dafs sie ihre Medianebene in die Richtung der Lichtstrahlen stellen und in dieser ihnen durch das Licht aufgezwungenen Richtung sich bewegen m\u00fcssen, und zwar entweder geradlinig der Lichtquelle mit dem Vorderende des K\u00f6rpers zugewendet (positiver Heliotropismus) oder umgekehrt, wie vom Lichte abgestofsen von derselben angewendet (negativer Heliotropismus). Es ist aber weiterhin von hohem Interesse, dafs beide einander entgegengesetzte Bewegungen in regelm\u00e4fsigemWechsel mit einander alternieren, indem die positiv heliotropen Nauplien,","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nSigmund Fuchs.\nwenn clas Licht einige Zeit auf sie eingewirkt hat, negativ heliotrop werden und dem Dunklen zustreben, in welchem sie wieder nach einiger Zeit positiv heliotrop werden. Es steht wohl zu erwarten und wird von sp\u00e4teren Untersuchungen festzustellen sein, dafs auch die Nauplien vieler Kopepoden ein \u00e4hnliches Verh\u00e4ltnis zeigen, wenn auch voraussichtlich unter mannigfachen Modifikationen, besonders wohl mit Bezug auf die Zeit und Intensit\u00e4t der Lichteinwirkung. Vielleicht schreitet f\u00fcr viele und auch f\u00fcr die Medianaugen ausgebildeter Ento-mostraken der Wechsel von Tag- und Nachtzeit jenem Wechsel ziemlich parallel, so dafs die Abwesenheit des Sonnenlichtes ausreicht, den zur Ruhe gelangten positiven Heliotropismus wiederherzustellen. Auch d\u00fcrften die Lichtintensit\u00e4ten verschiedener Tiefen als Regulatoren in Betracht kommen. Es fragt sich aber, ob nicht aus dieser einfachsten Form des Medianauges bei fortschreitender Gfr\u00f6fsenzunahme und Komplikation seines Baues ein zu dem Gebrauche als Bildauge bef\u00e4higter Apparat sich entwickelt, ob das urspr\u00fcnglich aus-schliefsliche Richtungsauge nicht auch zur schwachen Bildperzeption tauglich werden kann. Bei den h\u00f6chst differenzierten Formen von Medianaugen, welche vor der Retina, wie die von Cypris, den Pontelliden und Corycaeiden, einen besonderen lichtbrechenden Apparat besitzen, welcher sogar aus mehrfachen hintereinander folgenden Linsen von bedeutender Gr\u00f6fse (Copilia) zusammengesetzt sein kann, erscheint die F\u00e4higkeit einer beschr\u00e4nkten Bildperzeption von vorne-lierein \u00fcberaus wahrscheinlich.\u201c\nF\u00fcr Copilia hat ja auch schon S. Exner (s. o. S. 362) die M\u00f6glichkeit einer solchen eingehend begr\u00fcndet. Selbst die durch Muskeln beweglichen Medianaugen vieler Kala-niden d\u00fcrften zu einer der Bildperzeption analogen Wahrnehmung bef\u00e4higt sein; f\u00fcr sie hat wohl die linsenf\u00f6rmig vorgew\u00f6lbte Retina die Bedeutung einer dioptrischen Vorrichtung, welche die Einwirkung des Lichtes auf die St\u00e4bchen in den Enden der Sinneszellen verst\u00e4rkt.\nGenetisch ist das Medianauge, ebenso wie das Stemma der Insekten eine ectodermale Bildung; das Gleiche gilt vom paarigen Dorsalauge, dessen Entwickelungsweise von Claus bei Branchipus n\u00e4her studiert worden ist.","page":378}],"identifier":"lit15185","issued":"1893","language":"de","pages":"351-378","startpages":"351","title":"\u00dcber einige neuere Fortschritte in der Anatomie und Physiologie der Arthropodenaugen","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:32.010169+00:00"}