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{"created":"2022-01-31T17:00:01.389571+00:00","id":"lit15194","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Liepmann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 4: 386-388","fulltext":[{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nLitteraturbericht.\nsache der Rechtsh\u00e4ndigkeit und teilt schliefslich Belege daf\u00fcr mit, dafs die Umkehr dieser Verh\u00e4ltnisse die linke Hand zur bevorzugten mache. Menschen, die im Besitz einer von Natur aus st\u00e4rkeren linken und durch Erziehung und Kultureinflufs herangebildeten rechten Hand sich befinden, sind folgerichtig daher, wie auch die Erfahrung lehrt, die besser ausgestatteten.\n2. Mazel h\u00e4lt, gleich Wilson, die ungleichartige Ausbildung der Hirnhemisph\u00e4ren f\u00fcr die bestimmende Ursache f\u00fcr die Auswahl nur einer Hand, jedoch nicht die oben erw\u00e4hnten, thats\u00e4chlich sehr schwankenden grob anatomischen Thatsachen. Vielmehr besteht ein innigerer Zusammenhang zwischen dem linken Hirn, dem Sitz der Sprache, und der Rechtsh\u00e4ndigkeit. Das linke Hirn ist das Zentrum f\u00fcr das Ausdrucksverm\u00f6gen, dem aufser der Sprache als zweiter, aber weit, fr\u00fcherer Diener die Geste zu Gebote steht. Das Organ der Geste soll nun insbesondere die rechte Hand sein, eine Sonderstellung geradezu organischer Art, die wohl einen-tiefen Einfiufs auf eine physiologische Scheidung beider H\u00e4nde auch auf allen anderen Gebieten auszu\u00fcben im Stande war.\tAsher (Heidelberg).\nS. Freud. Zur Auffassung der Aphasien. Eine kritische Studie. Wien, Deutike, 1891. 107 S.\nDer Standpunkt, den F. in der sehr lesenswerten Studie einnimmt, ist zwar nicht durchaus neu \u2014 zu seinem Ivern haben sich schon, wenn auch hur in kurzen Bemerkungen, Notnagel und Naunyn auf dem Wiesbadener Kongresse (1887) bekannt, und wesentliche St\u00fctzen lieferten dem Verfasser Hughlings Jacksons und Bastians Anschauungen \u25a0\u2014 indes ist er noch nie der verbreiteten gegnerischen Lehre in so bestimmter Formulierung und so eingehender Begr\u00fcndung gegen\u00fcbergestellt worden.\nSeit Wernicke wird ziemlich allgemein unterschieden zwischen St\u00f6rungen der Sprachzentren, welche als Ablagerungsst\u00e4tten von Erinnerungen gelten, und St\u00f6rungen, welche nur die zu jenen f\u00fchrenden und sie verbindenden Leitungsbahnen betreffen. Seinen sch\u00e4rfsten und anatomisch n\u00e4her bestimmten Ausdruck fand diese Unterscheidung in der bekannten Aufstellung dreier Arten von Aphasien : kortikaler, transkortikaler und subkortikaler, bei Wernicke und Lichtheim.\nGegen diese Lehre wendet sich F. Er macht den ersten Vorstofs gegen W.\u2019s. Leitungsaphasie : Sie m\u00fcfste andere Charaktere haben nach W.\u2019s. eigenem Schema, als er ihr zuschreibt und zwar solche, die nie Vorkommen, n\u00e4mlich aufgehobenes Nachsprechen bei erhaltenem Spontansprechen und Verstehen. Die \u201eZentrumsaphasieen\u201c wiederum zeigen keine anderen Charaktere, als welche auch gleichzeitige Zerst\u00f6rung mehrerer Leitungsbahnen zeigen m\u00fcfste.\nEbensowenig wie qualitativ verschiedene Symptomkomplexe f\u00fcr Zentrums- und Leitungsaphasien bestehen, lassen sich letztere beiden gesondert in Rinde und weifses Mark lokalisieren. Einige Sektionsbefunde, namentlich ein Fall Heubners,, beweisen dem Verfasser vielmehr,","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n387\ndais Lichtheims transkortikale motorische Aphasie nicht auf L\u00e4sion der weifsen Substanz, sondern der Rinde selbst eintritt. Ebenso steht es mit anderen angeblich trans- und subkortikalen Aphasien. Alle Aphasien beruhen auf Affektionen der Rinde.\nWie erkl\u00e4rt Sich aber dann die Verschiedenheit der klinischen Bilder? Hierzu adoptiert F. Bastians Aufstellung dreier Grade von Funktionsherabsetzung. Danach ist ein Zentrum entweder v\u00f6llig unerregbar, oder noch auf sensiblen Reiz, aber nicht mehr assoziativ, oder noch assoziativ, aber nicht mehr \u201ewillk\u00fcrlich\u201c erregbar.\nDamit wird eine Sprachst\u00f6rung, statt durch Bahnunterbrechung, durch Ver\u00e4nderung des funktionellen Zustandes erkl\u00e4rt. Und zwar ist hier die Funktionsst\u00f6rung, entgegen ihrer \u00fcblichen Gegen\u00fcberstellung gegen organische L\u00e4sion, gerade durch L\u00e4sion bedingt. F. spricht die Vermutung aus, dafs der Sprachapparat in seinen Teilen auf unvollst\u00e4ndige L\u00e4sion nicht durch Ausfall einzelner Leistungen, sondern durch solidarische Reaktion des ganzen Teiles antwortet. Nicht Teile einer Funktion fallen ganz aus, sondern die ganze Funktion ist im Grad herabgesetzt, was sonst nur nicht-materiellen Sch\u00e4digungen zugeschrieben wird\nEbensowenig wie die pathologischen Erscheinungen, n\u00f6tigt die physiologisch-psychologische Betrachtung zur Unterscheidung von Zentren und Leitungsbahnen der Sprache. Die Annahme, dafs bestimmte Rindenbezirke in ihren Zellen Wortvorstellungen als Reste fr\u00fcherer Empfindungen enthalten, ist unzul\u00e4ssig. Das Korrelat der Vorstellung kann nichts Ruhendes, sondern mufs ein Vorgang sein, der weit \u00fcber die Rinde verl\u00e4uft. Auch ist es nicht ang\u00e4ngig, Vorstellungen und Assoziationen an verschiedene Elemente zu bannen, sie gehen an denselben Teilen vor sich.\nDas Sprachgebiet ist \u2014 und damit beginnt der positive Teil der F.\u2019sehen Darlegungen \u2014\u2022 als ein zusammenh\u00e4ngender Rindenbezirk aufzufassen, der sich in der linken Hemisph\u00e4re zwischen den Endigungen des Acusticus, Opticus und der motorischen Sprach- und Armfasern ausdehnt; dasselbe besteht in nichts anderem, als den Verbindungsfasern dieser allgemein sensorischen und motorischen Zentren. Alle St\u00f6rungen der Sprache sind St\u00f6rungen dieser Bahnen. Es giebt also nur Leitangs-aphasieen.\nWie entsteht aber der Anschein von Zentren? F. nimmt an, dafs die den obengenannten Rindenfeldern des Acusticus, Opticus u. s. w. an stofsenden St\u00fccke der Rinde, also die \u00e4ufsersten Bezirke des Sprach-1 feldes, wenn auch nicht im Sinne der physiologischen Funktion, so doch in dem der pathologischen Anatomie, die Bedeutung von Sprachzentren erhalten, weil ihre L\u00e4sion eines der Elemente der Sprachassozia-: tion von der Verkn\u00fcpfung mit den anderen ausschliefst. Eine L\u00e4sion dagegen, die mehr im Inneren des Assoziationsfeldes liegt, wird nicht alle Assoziationsm\u00f6glichkeiten einer Art vernichten, sondern nur einen unbestimmten Effekt haben. Auf diese Weise entsteht die verschiedene Dignit\u00e4t verschiedener Teile des Sprachfeldes. F\u00fcr seine Auffassung mufs aber F. die Hypothese machen, \u201edafs die gekreuzten Verbindungen von den Rindenfeldern der anderen Hemisph\u00e4re\n25*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nLi it\u00e9ra t ur bericht-\nan derselben Stelle, n\u00e4mlich an der Peripherie des Sprachfeldes, hinzukommen, wo auch die Verbindung mit dem gleichseitigen Zentrum besteht.\u201c Die \u201eSprachzentren\u201c sind also nur durch ihre Lage zu den allgemeinen Zentren besonders ausgezeichnete Knotenpunkte von Assoziationsbahnen. Besondere zu- und abf\u00fchrende Bahnen f\u00fcr die Sprache giebt es nicht.\nDie Wortvorstellung ist mit ihrem sensiblen Ende (vermittelst der Klangbilder) an die Objektvorstellungen gekn\u00fcpft. Es wird also \u00fcber die Klangbilder gesprochen. Ist jede Aphasie eine Bahnunterbrechung, so kann diese erstens nur Verbindung der Wortelemente untereinander betreffen: verbale Aphasie oder zweitens die Verbindung von Wort-und Objektvorstellung: asymbolische Aphasie. Daneben bezeichnet F. als agnostische Aphasie diejenige, welche auf St\u00f6rungen in Erkennen von Gegenst\u00e4nden beruht.\nF\u00fcr die Einwirkung von L\u00e4sionen handelt es sich darum, ob die L\u00e4sion im Innern oder an der Peripherie des Sprachfeldes gelegen und ob sie vollst\u00e4ndig oder unvollst\u00e4ndig destruktiv ist. Sitzt sie an der Peripherie, so wirkt sie topisch; je nachdem sie vollst\u00e4ndig oder unvollst\u00e4ndig destruktiv ist, ergiebt sie v\u00f6lligen Ausfall eines Elementes der Sprachassoziation, oder setzt sie nur die Funktion herab. Sitzt sie zentral, so erleidet der ganze Apparat Funktionsst\u00f6rungen.\nVerfasser bespricht letztere noch im einzelnen. Hierf\u00fcr, wie f\u00fcr die n\u00e4here Begr\u00fcndung der aufgef\u00fchrten S\u00e4tze m\u00fcssen wir auf die Arbeit selbst verweisen. \u2014\nVerfasser gesteht selbst mit anerkennenswerter Objektivit\u00e4t, dafs seine Auseinandersetzungen noch nicht durchaus befriedigen k\u00f6nnen. In der That werden sich manche der Schl\u00e4ge, die er gegen seine Gegner f\u00fchrt, parieren lassen. In einzelnen Punkten ger\u00e4t F. (so namentlich gegen\u00fcber der subkortikalen, sensorischen Aphasie Lichtheims) auf un\u00fcberwindliche Schwierigkeiten. Andererseits mufs er zu anatomisch nichtverifizierten Annahmen greifen und gelangt selbst damit nicht zur Kl\u00e4rung aller Erscheinungen. Indes ist dies nicht die Schuld des Autors, sondern liegt in der Natur des Gegenstandes. Es fehlt noch so aufser-ordentlich viel in anatomischer wie klinischer Hinsicht, um auf dem Aphasiegebiete zu zwingenden Argumenten und abschliefsenden Ergebnissen zu gelangen, dafs es schon als Verdienst anzusehen ist, M\u00f6glichkeiten zu erw\u00e4gen, sie zu Wahrscheinlichkeiten zu erheben und in ihren einzelnen Folgen auszudenken. Zur Erbringung eines ganz \u00fcberzeugenden anatomisch-klinischen Beweismaterials f\u00fcr die Lehre des Verfassers wird also noch manches geschehen m\u00fcssen. Was aber von vornherein f\u00fcr dieselben einnimmt, ist ihre \u00dcberlegenheit in psychologischer Hinsicht \u00fcber die der Gegner. Zweifellos ist den Forderungen, welche eine tiefergehende psychologische Analyse stellen mufs, in der Darstellung des Sprachapparates, wie sie F. giebt, weit mehr Rechnung getragen, als in jenen Lehren, welche unter anderem ganze Erinnerungsbilder in Zellen sitzen lassen und Vorstellungen, wie Dinge behandeln. Daher der Psychologe in der Arbeit einen wirklichen Fortschritt erkennen wird.\tLiepmann (Berlin).","page":388}],"identifier":"lit15194","issued":"1893","language":"de","pages":"386-388","startpages":"386","title":"S. Freud: Zur Auffassung der Aphasien, Eine kritische Studie. Wien, Deutike, 1891","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:00:01.389576+00:00"}