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{"created":"2022-01-31T17:03:31.269408+00:00","id":"lit15231","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"H\u00f6fler, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6: 44-58","fulltext":[{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\nBenno Kerry. \u00dcber Anschauung und ihre psychische Verarbeitung.\nVierteljahrschr. f. wissensch. Philosophie 1885\u20141891. I. Artikel 1885, S. 433-498, II. Art. 1886, S. 419-467, III. Art, 1887, S. 53-116, IV. Art, 1887, S. 249-307, V. Art. 1889, S. 71\u2014124, VI. Art. 1889, S. 392-419, VII. Art. 1890, S. 317-353, VIII. Art, 1891, S. 127-167. E. G. Husserl. Philosophie der Arithmetik. Psychologische und logische Untersuchungen. Erster Band. Halle-Saale. Pfeffer-Stricker. 1891. 324 Seiten.\nChr. v. Ehrenfels. Zur Philosophie der Mathematik. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie. 1891, S. 285\u2014347.\nIn den drei Arbeiten hat eine Beihe der schwierigsten psychologischen Fragen, gr\u00f6fstenteils Zahlvorstellungen und Zahlurteile und allgemein auch die Psychologie der Komplexionen und Belationen betreffend, eine eingehende und \u2014 was bei der in der Hauptsache gewahrten Unabh\u00e4ngigkeit der Verfasser voneinander h\u00f6chst erfreulich zu bemerken ist \u2014 der Methode nach wesentlich einheitliche, wenn auch in den Ergebnissen mehrfach abweichende Untersuchung erfahren. Der Titel der erstgenannten Beihe von Aufs\u00e4tzen verr\u00e4th zwar die Verwandtschaft ihres Inhaltes mit dem der beiden anderen Abhandlungen nicht sofort ; der nachfolgende Bericht d\u00fcrfte es aber rechtfertigen, warum wir ihn \u00fcber alle drei Schriften gleichzeitig erstrecken zu sollen glaubten. \u2014 Es liegt in der Natur der Gegenst\u00e4nde aller drei Arbeiten, dafs jede von ihrem p sycho lo gi s ch e n Ausgangspunkte aus auch in andere Gebiete der Philosophie, namentlich in Logik und Erkenntnistheorie und zum Teil auch in die Mathematik selbst \u00fcbergreift. Wenn aber ein solcher praktischer Erweis der grundlegenden Bedeutung gerade der Psychologie auch f\u00fcr jene anderen Disciplinen den Zwecken dieser Zeitschrift keineswegs fremd ist, so wollen wir uns bei der Berichterstattung doch m\u00f6glichst auf jene erste, die psychologische Seite der Arbeiten, beschr\u00e4nken.\nBeginnen wir mit Kerrys acht Aufs\u00e4tzen \u201e\u00dcber Anschauung und ihre psychische Verarbeitung\u201c als denjenigen, denen nach dem Anfang ihrer Ver\u00f6ffentlichung die Priorit\u00e4t zukommt, wenn auch das Erscheinen des letzten Artikels mit den.beiden anderen Arbeiten beinahe zusammenf\u00e4llt (der Verfasser ist am 20. Mai 1889, erst 31 Jahre alt, gestorben). Eine gewisse Formlosigkeit der Untersuchungen, welche sich aus der","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n45\nlangen Dauer ihrer Entstehung und Ver\u00f6ffentlichung erkl\u00e4rt, wird uns nicht abhalten d\u00fcrfen, den reichen Inhalt und die feinsinnigen und oftmals schwierigen Specialforschungen als f\u00fcr immer wertvoll zu w\u00fcrdigen.\nIch \u00fcbergehe, was K. I. 435\u2014443 zur Theorie des von mir vorgeschlagenen Begriffes \u201epsychische Arbeit\u201c1 beibringt, da ich auf diese Angelegenheit anderw\u00e4rts ausf\u00fchrlich zur\u00fcckzukommen hoffe.\nIm Speciellen wendet K. den Begriff psychische Arbeit vor allem an, um \u201eAnschauung\u201c negativ zu definieren: \u201eEine Vorstellung soll dann eine anschauliche oder auch eine Anschauung heifsen, -wenn ihr Inhalt, nur insoweit es dessen Existenzweise als Vorstellungsinhalt mit sich bringt, psychisch bearbeitet ist\u201c (I., S. 435). Als eines der wichtigsten Beispiele psychischer Arbeit wird (445) die Abstraktion angef\u00fchrt, \u201eaber die Abstraktion ist, was vielfach verkannt wird, nicht das einzige Werkzeug, um aus Anschauungen Begriffe zu bilden\u201c; und als Beispiel hierf\u00fcr die Zahl : \u201eNiemand wird ein Bild aufweisen k\u00f6nnen, aus dem der Begriff auch nur der kleinsten Zahl (es sollen, wo nichts anderes bemerkt wird, immer ganze Zahlen gemeint sein) als \u201eabstrahiert\u201c angesehen werden k\u00f6nnte\u201c (447). \u201eWir haben Zahlen stets nur zu denken als die Resultate gewisser Operationen (Einheits- und Relationssetzungen), die wir innerhalb enger Grenzen vollziehen k\u00f6nnen und verm\u00f6ge ihrer Gleichartigkeit als innerhalb weiterer Grenzen vollziehbar annehmen. Hierbei ist zu bemerken, dafs die Bezeichnung der Zahlen in irgend einem, z. B. dem dekadischer Zahlsysteme, symbolisch ist f\u00fcr die Zer-f\u00e4llung einer Gesamtoperation des Z\u00e4hlens in Teiloperationen, die innerhalb vertrauter Gebiete des Z\u00e4hlens vor sich gehen, so dafs schon der Anblick des Zahlzeichens als B\u00fcrgschaft erscheint daf\u00fcr, dafs der Begriff einer Zahl nichts Widersprechendes oder menschliches Fassungsverm\u00f6gen \"\u00dcbersteigendes postuliere..\u201c (448). \u201eDiese Sachlage versch\u00e4rft sich, wenn wir \u00fcbergehen zur Betrachtung der mannigfachen Begriffe von Resultaten unendlicher Processe..\u201c \u201eEin \u00fcberraschendes Analogon des Begriffes einer unendlichen Gr\u00f6fsenfolge, z. B. der irrationalen Zahl, ist die sog. Anschauung der geometrischen Figuren. Dafs diese Anschauung eine nur sogenannte sei, kann unwidersprechlich dargethan werden..\u201c \u201eIch halte es f\u00fcr angezeigt, die \u201eAnschauung\u201c einer Grenzlinie als uneigentliche, von der eigentlichen Anschauung begrenzter Fl\u00e4chen zu unterscheiden\u201c (453).\nIndem Meinongs Begriff und Theorie in di rek ter2 Vorstellungen acceptiert wird (447), wonach man ein \u201eunanschauliches Merkmal durch eine Relation desselben zu einem anschaulichen bestimmt denkt (\u2014 so hat man eine scharfe Vorstellung der Gr\u00f6fse der Erdoberfl\u00e4che, wenn man dieselbe denkt als etwas, das n-mal so grofs ist, als ein Quadratmeter \u2014)\u201c, werden verschiedene der gew\u00f6hnlichen Betrachtung etwas ferner liegende\n1\tKerry hat dieselbe noch breiter ausgef\u00fchrt in seinem posthumen \u201eSystem einer Theorie der Grenzbegrifie\u201c (Leipzig und Wien, Franz Deuticke, 1890, 198 Seiten. \u2014 Ref. hat das Buch angezeigt in der Viertel-jahrsschr. f. wissensch. Philosophie. 1892).\n2\tVergl. unten S. 55, Anm. 1.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nBesprechungen.\nArten solcher Relationen abgehandelt; so wird die Relation zwischen Begriffsinhalt und Begriffsumfang als eine Art aus der \u201egrofsen Klasse der Runktionalrelationen\u201c gekennzeichnet (468). Weitere Untersuchung\u00e8ri werden der Vorstellung des Stetigen (472), speciell der Geraden gewidmet.\nDer II. Artikel besch\u00e4ftigt sich (424 ff.) mit der Definition der Anzahl, z. B. des Begriffes der Zahl 4: \u201eMan versteht unter der Zahl 4 das Resultat der additiven Verkn\u00fcpfung von 3 und 1..\u201c \u201eUnter einer (durch zu bezeichnenden) additiven Verkn\u00fcpfung zweier Zahlen a und h der nat\u00fcrlichen Zahlenreihe, die als ganz geschaffen hier vorausgesetzt wird, versteht man eine Verkn\u00fcpfung derselben, die so beschaffen ist, dais von ihr die Regel a + (6 + 1) = (a + 6) -f- 1 gilt, die ein specieller Fall des sog. associativen Gesetzes : a + (6 + c) = (a + b) + c ist und aus der sich leicht die anderen charakteristischen Eigenschaften der Addition ganzer Zahlen (Eindeutigkeit der Summe ; \u00c4nderung derselben, falls einer der Summanden sich \u00e4ndert; G\u00fcltigkeit des kommutativen Gesetzes: a + b = b -f- a) ableiten lassen. K. glaubt so den Begriff der Anzahl \u201eals ein durchaus in psychische Arbeit Au f zu 1 \u00f6 s en d es\u201c (II, 425) erweisen zu k\u00f6nnen. Ref. will auf eine Kritik dieser, wenn sie gelungen w\u00e4re, freilich einschneidend wichtigen Analyse aus dem eingangs angef\u00fchrten Grunde nicht eingehen.1 Es sei nur festgestellt, dass K. etwas sp\u00e4ter (430) selbst zugiebt, \u201edafs die Bedeutung der letzten Bestandteile jedes Begriffsinhaltes, eben weil diese Bestandteile als die letzten vorausgesetzt werden, durch keine Definition angegeben werden kann, sondern so zu sagen erlebt werden mufs : in dem fr\u00fcheren Beispiele des Begriffes der Zahl 4 die Begriffsbestandteile: \u201e1\u201c und \u201eVermehrung um 1\u201c; in dem Beispiele des Begriffes vom Raume der Bestandteil: \u201ePunkt\u201c\u201c. Wenn er dabei (S. 431) als Gegens\u00e4tze unterscheidet, ob \u201ediese Kenntnisnahme auf Anschauung oder auf die Leistung psychischer Arbeit oder auf das Ged\u00e4chtnisbild so geleisteter Arbeit oder endlich auf eine Kombination zweier dieser Erkenntnisquellen zur\u00fcckgehen\u201c \u2014 so d\u00fcrfte hier wohl \u00fcbersehen sein, dafs das \u201eErleben\u201c was immer f\u00fcr einer psychischen oder physischen Realit\u00e4t solange zum Haben von Begriffsinhalten nichts beitragen kann, als jene Erlebnisse eben nicht doch wieder selbst vorgestellt, also vor allem auch irgendwie \u201eangeschaut\u201c werden. \u2014 Es d\u00fcrfte eine \u00e4hnliche Verwechslung vorliegen, wie sp\u00e4ter (S. 456), wo K. behauptet, \u201eder Begriff des Begriffes \u201eBaum\u201c kann nicht mehr und nicht weniger Merkmale enthalten, wie sein Gegenstand: der Begriff \u201eBaum\u201c selbst\u201c. Wer aber an B\u00e4ume denkt, denkt nicht an Begriffe, und umgekehrt.\nIm III. Artikel werden die Versuche, aus der Psychologie die Zahlvorstellung so zu sagen zu eskamotieren, indem man sie auf andersartige Inhaltsklassen zur\u00fcckdeutet, kritisiert. Schon Kant hat hierf\u00fcr\n1 Die n\u00e4chstliegenden Bedenken gegen Kerrys \u201eDefinition\u201c von 4, nach welcher immer 4 = [(1\t1) -}- lj \u2014|\u2014 1 zu denken w\u00e4re, w\u00e4hrend\nes doch \u00fcberwiegend h\u00e4ufiger und wohl auch korrekter durch die \u201egleichschwebende Komplexion\u201c 4 = 1 + 1 -f 1 -f 1 gedacht wird, habe ich in der oben (Anm. 1) angef\u00fchrten Anzeige der \u201eGrenzbegriffe\u201c von Kerry (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie. 1892. S. 233) angedeutet.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n47\ndas nicht gute Beispiel gegeben, indem er die Zahl in Zeitanschauung auf l\u00f6ste, und Kerry macht aufmerksam (S. 55), dafs an einzelnen Stellen \u201eKant gar nicht mit der Anschauung der Zeit vorlieh nimmt, sondern Anschauung hernimmt, wo er sie findet: so ger\u00e4t er auf seine \u201e\u201esymbolische oder charakteristische Konstruktion\u201c'1, in welcher die Anschauung der Zeichen die \u00fcber das Bezeichnete gef\u00e4llten Urteile beweisen soll; so verwendet er \u201eganz entgegen der Architektonik seines Systems, als \u201e\u201ekorrespondierende Anschauung\u201c\u201c von Zahlbegriffen \\ orstellungen r\u00e4umlicher Natur\u201c. \u201eAuf allen drei zur Veranschaulichung arithmetischer Begriffe und Operationen hiermit eingeschlagenen Wegen (Veranschaulichung durch Zeit, Zeichen und Kaum) hat Kant Nachfolger gefunden. Und dennoch sind diese Wege s\u00e4mtlich Irrwege; es soll dies der Reihe nach von einem jeden nachgewiesen werden\u201c. Die zum Teil sehr eingehende Kritik besch\u00e4ftigt sich vorwiegend mit Rowan Hamilton, Schopenhauer, F. A. Lange ; gegen sie, also f\u00fcr den 4 erfasser wird angef\u00fchrt H. Grassmann, Allgemeine Formenlehre (S. 104), welche u. a. den allgemeinen Begriff der thetischen und lytischen Operationen \u2014 in Hankels Schreibweise l (a, b) und \u00bb [1 (a, b), b] \u2014 a \u2014 einf\u00fchrt. Daneben laufen in ausf\u00fchrlichen Anmerkungen allgemeine Betrachtungen \u00fcber Vergleichen, Zuordnen u. dergl. m. (S. 77 bis 85).\nDer IV. Artikel besch\u00e4ftigt sich fast ausschliefslich mit dem \u201evon Frege getragenen Unternehmen, gewisse fundamentale Begriffe und Urteile der Anzahlenlehre als \u201e\u201erein logischer Natur\u201c\u201c aufzuzeigen\u201c, aus welcher Kritik f\u00fcr unseren gegenw\u00e4rtigen Gesichtspunkt besonders die Stellen \u00fcber die \u201eAbneigung, die F. gegen psychologische Betrachtungsweisen allenthalben zur Schau tr\u00e4gt\u201c (S. 278) angemerkt seien; \u00e4hnlich S. 305.\nDer V. Artikel erweitert die bisherige Betrachtung durch Heranziehung anderer Zahlen, als der ganzen absoluten, wobei namentlich Kroneckers Versuch, alle solchen Zahlen, z. B. auch die negativen und gebrochenen, als \u201e\u201eder eigentlichen Arithmetik fremde Begriffe, die auszuscheiden sind\u201c\u201c, er\u00f6rtert wird (S. 90 ff. \u2014 hierzu in ausf\u00fchrlichen Zus\u00e4tzen S. 103\u2014111 D\u00fchrings diesbez\u00fcgliche Lehren).\nDer VI. Artikel handelt von . der Notwendigkeit, allem Z\u00e4hlen einen \u201eLeitbegriff\u201c (S. 393 ff.) zu Grunde zu legen, wobei aber gleichwohl \u201e .. . das eigentlich und unmittelbar Gez\u00e4hlte nicht diese Gegenst\u00e4nde, sondern jene Einheitssetzungen sind\u201c (S. 411).\nDer VII. Artikel dehnt die Untersuchung des VI. auf die Ordinalzahlen aus und kritisiert zun\u00e4chst Kroneckers \u201e\u00dcberordnung der Ordnungszahlen \u00fcber die Anzahlen\u201c (S. 318), wobei im weiteren Kroneckers und Helmholtz\u2019 Ansichten \u00fcber Zahl als \u201edurchaus nicht originell, sondern l\u00e4ngst mit zum Inventar des Nominalismus geh\u00f6rig\u201c (S. 329) bezeichnet werden. Vom \u00fcbrigen Inhalt des Artikels heben wir folgende Stelle als zu Fechners Messung der Unterschiedsempfindlichkeit in Analogie stehend hervor, indem sie zu zeigen geeignet ist, dafs die meist nur auf den Unterschied von Empfindungen angewendete Betrachtungsweise auch auf ganz andere Inhaltsklassen anwendbar bleibt : \u201eWenn es heilst, dafs 1 von 2 und 2 von 3 verschieden sei, so kann man sich noch damit","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nBesprechungen.\nbegn\u00fcgen, dieses Urteil dahin auszulegen, dafs ich es unterscheiden k\u00f6nne, ob ich eine oder zwei, zwei oder drei Einheitsetzungen vollzogen habe. Aber bei h\u00f6heren Anzahlen h\u00e4lt diese Auslegung nicht mehr Stich: die mit 5631 und 5632 bezeichneten Anzahlen sind voneinander ebensowohl verschieden, wie 1 von 2, wiewohl weder ich, noch ein Anderer die entsprechenden Einheitsetzungen noch so voneinander unterscheiden kann, wie dies bei zwei und drei Einheitsetzungen anging. Man kann freilich geltend machen, dafs ich 5631 und 5632 doch wenigstens indirekt, etwa verm\u00f6ge der Verschiedenheit ihrer Bezeichnung im Positionssystem, unterscheiden k\u00f6nne; dies ist ganz richtig: aber die Verschiedenheit jener Anzahlen kann nicht auf diesem meinem Unter-scheiden-K\u00f6nnen beruhen. Denn die Evidenz der Unter schei dbar keit von Anzahlen nimmt, wie wir geh\u00f6rt haben, rapid ab, sowie man zu etwas gr\u00f6fseren Anzahlen \u00fcbergeht; die Evidenz ihrer Verschiedenheit ist aber f\u00fcr beliebig grofse Anzahlen dieselbe, wie f\u00fcr eins und zwei. Auch wird die letztere Evidenz durch alle die Irrt\u00fcmer nicht afficiert, welchen jene indirekte Unterscheidung von Anzahlen stets ausgesetzt ist. Man sieht sich hierdurch gen\u00f6tigt, eine Distinktion zu machen zwischen Anzahlen an sich und blofs vorgestellten Anzahlen: n und (n -f-1) als Anzahlen an sich sind verschieden, und immer gleich verschieden, wie grofs auch n sei, hingegen die Unterscheidbarkeit derselben, als blofs vorgestellter Anzahlen, mit wachsendem n auch wachsenden Schwierigkeiten unterliegt\u201c (S. 353).\nDer VIII. Artikel verfolgt diese Gegen\u00fcberstellung von vorgestellten und Anzahlen an sich und illustriert sie an Bolzanos analogen Konzeptionen von Vorstellungen an sich, S\u00e4tzen an sich u. s. w. Sie f\u00fchrt auf das Problem (S. 141): \u201ewie man wissen k\u00f6nne, dafs die auf Vorrat ausarbeitbaren indirekten Anzahlvorstellungen Gegenst\u00e4ndlichkeit besitzen, und nicht etwa, von irgend einer angefangen, so beschaffen sind, dafs der Ausf\u00fchrung der durch sie geforderten psychischen Arbeiten wesentliche Hindernisse im Wege stehen.\u201c Von seiner L\u00f6sung des Problems sagt Kerry: Ich m\u00f6chte nicht den Anschein erwecken, als ob ich hiermit einen schulgerechten Beweis f\u00fcr die Unbegrenztheit der Anzahlenreihe h\u00e4tte beibringen wollen ... Was zu einem solchen Beweise fehlt ist: dafs dasjenige, wovon ich oben letztlich geltend machte, es sei nicht zu leugnen, ein Satz war, der nicht \u2014 wie sonst Axiome pflegen \u2014 \u00fcber Beziehungen zwischen Vorstellungsinhalten, als vielmehr \u00fcber das Bestehen gewisser psychischer F\u00e4higkeiten etwas aussagte .. . Mit der Unendlichkeit einer geraden Linie und der Zeit steht es ganz analog, wie mit derjenigen der Anzahlenreihe ... In jedem Falle wird es sein Bewenden dabei haben m\u00fcssen, dafs man sich sowohl bez\u00fcglich der Unbegrenztheit der Anzahlenreihe, als auch bez\u00fcglich der Verschiedenheit aller ihrer Glieder auf unsere unmittelbaren Vergleichungsurteile als auf ein letztes Datum beruft.\u201c\nDen Schlufs der ganzen Artikelreihe bildet eine zweckm\u00e4fsig zusammenfassende \u00dcbersicht \u00fcber ihren, wie gesagt, zum Teil etwas bunten Inhalt. \u00dcber ihre specielle Haltung zur Psychologie sagt der Verfasser (S. 162): \u201eWenn die vorliegende Abhandlung als speciell f\u00fcr","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n49\ndie Psychologie und Logik der Arithmetik nutzbringend befunden werden sollte, so w\u00e4re ich weit davon entfernt, diese Wertsch\u00e4tzung gering anzuschlagen ; denn ich halte es f\u00fcr eine Aufgabe philosophischer Forschung, die Grundlage aller wissenschaftlichen Disciplinen, in d\u00eanen das menschliche Denken charakteristische Wege wandelt, zu durchleuchten; und als eine solche Disciplin, als eine der hervorragendsten dieser Art, hat sich die Arithmetik, man kann wohl sagen seit Jahrtausenden, bew\u00e4hrt. Hieraus folgt aber, dafs, was nur erst aus dem \u201eschweren Gesch\u00e4fte\u201c, wie es Kant nannte, des PhilosophierenS \u00fcber die Mathematik f\u00fcr die Psychologie und Logik dieser selbst, hier insbesondere der Arithmetik, als unzweifelhafter Nutzen sich ergiebt, dann auch sicherlich f\u00fcr die allgemeine Psychologie und Logik, und , endlich auch f\u00fcr . . die Erkenntnistheorie nicht gleichg\u00fcltig sein kann.\u201c \u2014 Dafs Kerry, f\u00fcr dasjenige gleichwol nicht unempfindlich war, was an der h\u00e4ufig ostentativ bekundeten Abneigung namentlich mancher Kantianer gegen eine psychologische Grundlegung der Erkenntnistheorie berechtigt ist, zeigen manche gelegentliche Stellen, so namentlich zum Schlufs auch die Stelle aus Leibnitz, welche alle angeht, die es mit den Aufgaben der deskriptiven Psychologie leicht nehmen zu d\u00fcrfen meinen aus Neugier auf \u201egenetische\u201c Psychologie: La question de Torigine de nos id\u00e9es et des nos maximes n\u2019est pas pr\u00e9liminaire en Philosophie (S 166).--\nEs war nicht wohl m\u00f6glich, von dem, was Kerrys Untersuchung eigentlich wertvoll macht, durch vorstehende Andeutung einiger der, untersuchten Fragen ein einigermafsen anschauliches Bild zu geben: ohnedies wird nur, wer sich ganz ex professo mit diesen Fr\u00e4gen besch\u00e4ftigt, auf Kerry's Arbeit einzugehen sich veranlafst sehen. Dann aber wird er den acht Artikeln \u2014 die zusammen die stattliche Zahl von 385 Seiten repr\u00e4sentieren \u2014 eine h\u00f6chst willkommene Quelle von Anregungen und, was als eine Specialit\u00e4t Kerrys zu Y^erzeichnen ist, n\u00fctzliche Hinweise auf eine ausgebreitete und weit zur\u00fcckreichende Litteratur (zum Teil, yvo sie sclvwerer zug\u00e4nglich ist, auch in l\u00e4ngeren Ausz\u00fcgen) zu danken haben.\nVon vielfacher, Anregung durch die Arbeiten (bezw. Vorarbeiten') Kerry's zeugt schon das zYY'eite der angef\u00fchrten Werke, Husserls Philosophie der Arithmetik. Die Vorrede (S. VII.) sagt : \u201eDer hier Y'orliegende I. Band1 behandelt in dem ersten seiner beiden Teile die der Hauptsache nach psychologischen Fragen, Yvelche mit der Analyse der Begriffe Y'on Vielheit, Einheit und Anzahl, soweit sie uns eigentlich und nicht durch indirekte Symbolisierung gegeben sind, Zusammenh\u00e4ngen. Der zweite Teil betrachtet dann die symbolischen Vorstellungen von Vielheit und Anzahl, und versucht zu zeigen, Yvie die Thatsache, dafs Yvir fast\n1 Bez\u00fcglich des II. Bandes, dessen Erscheinen in der Vorrede f\u00fcr 1892 in Aussicht gestellt Yvar, hat der Herr Verfasser mir k\u00fcrzlich auf briefliche Anfrage mitzuteilen die Freundlichkeit gehabt, dafs sich die Fertigstellung YY'ohl noch bis \u00fcber 1893 Y'erz\u00f6gern d\u00fcrfte. \u2014 Dieser Umstand mag auch zum Teil als Entschuldigung f\u00fcr das Y\u2019ersp\u00e4tete Erscheinen vorliegender Anzeige gelten.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VI.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nBesprechungen.\ndurchgehends auf' symbolische Zahlbegriffe eingeschr\u00e4nkt sind, den Sinn und Zweck der Anzahlenarithmetik bestimmt.\u201c\nDas erste Kapitel, \u201eDie Entstehung des Begriffes Vielheit vermittelst desjenigen der kollektiven Verbindung\u201c, zeigt, dafs man nicht sagen d\u00fcrfe, \u201edie Inbegriffe best\u00e4nden blofs aus den Einzelinhalten. Wie leicht man es auch \u00fcbersieht, so ist doch \u00fcber die Einzelinhalte hinaus etwas da, was bemerkt werden kann und was in allen F\u00e4llen, wo wir von einem Inbegriff oder einer Vielheit sprechen, notwendig vorhanden ist: die Verbindung der einzelnen Elemente zu d\u00e9ni G-anzen\u201c (S. 13).\u2014 \u00dcbrigens sei es \u201enicht auf eine Definition des Begriffes Vielheit, sondern auf eine psychologische Cha r ak t e ri s t i k der Ph\u00e4nomene abgesehen . ., auf welchen die Abstraktion dieses Begriffes beruht.\u201c\nDas zweite Kapitel, \u201eKritische Entwicklungen\u201c, widerlegt neben einer Reihe anderer Theorien besonders auch die von Lange und Baumann. Sehr interessant ist die vom Verfasser gegebene n\u00e4here Ausgestaltung der Versuche von Jevons, Sigwaet und Schuppe, die Vorstellung der Zahl rein auf die der Verschiedenheit zur\u00fcckzuf\u00fchren. Jevons : \u201e\u201eNumber is but another name for diversity. Exact identity is unity, an with difference arises plurality . . Plurality arises when and only when we detect difference.\u201c\u201c Um die \u201ereinen\u201c Vorstellungen der Zahlen 2, 3, 4.. zu haben, h\u00e4tten wir uns der durch die ^ symbolisierten Verschiedenheitsrelationen erster, zweiter.. Ordnung in den \u201eFormen\u201c\n* f\u00fcr 2: AB, f\u00fcr 3: ABC, f\u00fcr 4: AB CD u. s. f. in abstracto bewufst zu werden. \u201eSo w\u00fcrde z. B. die aufserordentlich rasch steigende Komplikation jener Formen uns verst\u00e4ndlich machen, warum wir nur von den kleineren Zahlen eigentliche Vorstellungen erlangen, w\u00e4hrend wir die gr\u00f6fseren blofs symbolisch, gewissermafsen auf Umwegen zu denken verm\u00f6gen.\u201c (S. 55.) So ausgestaltet sei die Theorie konsequent. Trotz ihrer Konsequenz und ihrer sonstigen Vorz\u00fcge sei aber auch die so vervollkommnete Theorie von der Zur\u00fcckf\u00fchrung der Zahlen auf die Verschiedenheitsvorstellung nicht haltbar; denn: \u201eEs ist wichtig, dafs man auseinander halte: zwei verschiedene Inhalte bemerken und: zwei Inhalte als voneinander verschiedene bemerken. Im ersten Falle haben wir, vorausgesetzt, dafs die Inhalte zugleich einheitlich zusammen-getafst werden, eine Inbegriffsvorstellung, im zweiten eine Unterschiedsvorstellung. Nur dies ist richtig : wo eine Mehrheit von Gegenst\u00e4nden wahrgenommen wird, da sind wir stets berechtigt, auf Grund der einzelnen Inhalte evidente Urteile zu f\u00e4llen, welche besagen, dafs ein jeder der Inhalte von jedem anderen verschieden sei; aber unrichtig ist es, dafs wir diese Urteile f\u00e4llen m\u00fcssen\u201c. \u2014 Nach diesen Abweisungen wird als \u201epsychologische Natur der kollektiven Verbindung\u201c im 3. Kapitel (S. 79) Angegeben : \u201eEin Inbegriff entsteht, indem ein einheitliches Interesse und in und mit ihm zugleich ein einheitliches Bemerken1 verschiedene Inhalte f\u00fcr sich heraushebt und umfafst. Es kann also die kollektive Verbindung auch nur erfafst-\n1 Vergl. zu dieser Doppelbestimmung (Interesse und Bemerken) das Bedenken von Hili.ebrand (Gotting. gel. Am. 1893. No. 4, S. 180).","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n51\nwerden durch Reflexion auf den psychischen Akt, durch welchen der Inbegriff zu st\u00e4nde kommt. \u2014 Die vollste Best\u00e4tigung f\u00fcr tinsere Auffassung bietet wieder die innere Erfahrung. Fragen wir, worin die Verbindung bestehe, wenn wir z. B. eine Mehrheit so disparater Dinge wie die R\u00f6te, der Mond und Napoleon denken, so erhalten wir die Antwort, sie bestehe blofs1 darin, dafs wir diese Inhalte zusammen denken, in einem Akte denken\u201c. (S. 79).\nDas vierte Kapitel stellt schliefslich das \u201eVerh\u00e4ltnis der Begriffe Anzahl und Vielheit\u201c fest, indem der unbestimmtere \u201eVielheitsbegriff alsbald in eine Mannigfaltigkeit von bestimmten, auf das Sch\u00e4rfste gegeneinander abgegrenzten Begriffen, den Zahlen, zerf\u00e4llt. Es entstehen Begriffe wie: Eins und Eins; Eins, Eins und Eins; Eins, Eins, Eins und Eins u. s. f., welche verm\u00f6ge ihres h\u00f6chst primitiven Charakters und ihrer praktischen Wichtigkeit wenigstens in beschr\u00e4nktem Umfange \u2014 soweit n\u00e4mlich ihre leichte Unterscheidbarkeit reicht \u2014 schon auf den untersten Stufen der menschlichen Geistesentwickelung gebildet wurden, so dafs deren Namen Zwei, Drei, Vier u. s. w. zu den fr\u00fchesten Sch\u00f6pfungen aller Sprachen geh\u00f6ren\u201c. (S. 87.) \u2014 Es folgen von hier bis zum Schl\u00fcsse des ersten Teiles (S. 198) grofsenteils kritische Er\u00f6rterungen, so als \u201eAnhang\u201c wie bei Kkrry die Widerlegung der \u201enominalistischen Versuche von Helmholtz und Kronecker.\u201c\nReferent ist seinerseits in der angenehmen Lage, den bisher angedeuteten Untersuchungen zum allergr\u00f6fsten Teile, sowohl was den Inhalt, als \u2014 und dies scheint ihm in gewissem Sinne sogar noch wichtiger \u2014 was die Methode betrifft, zuzustimmen; und dies nicht unter dem immerhin fl\u00fcchtigen Eindruck einer blofs durch das Buch selbst angeregten Besch\u00e4ftigung mit den oft subtilen Fragen, sondern weil Referent seit vielen Jahren gerade dem Kreise des hier behandelten Problems mit Vorliebe sich zugewendet hatte und zu L\u00f6sungen gelangt war, welche den nunmehr vorliegenden durchweg nahe stehen. \u2014 So m\u00f6gen denn auch die wesentlichsten Differenzen hier nicht unerw\u00e4hnt bleiben: Die eine betrifft im allgemeinen, was der Verfasser in dem Paragraph \u201eZur Relationstheorie\u201c (S. 70) bringt: \u201eDa ich nicht in der Lage bin, mich auf eine festbegr\u00fcndete und anerkannte Relationstheorie zu st\u00fctzen, so sehe ich mich gen\u00f6tigt, an dieser Stelle einige allgemeine Bemerkungen, welche dieses sehr dunkle Kapitel der beschreibenden Psychologie betreffen, einzuf\u00fcgen.\u201c Wenn Verfasser die Antwort, welche J. St. Mill auf die Frage: \u201eWas ist Relation?\u201c giebt \u201everst\u00e4ndlich und in der Hauptsache ausreichend\u201c findet, so mufs ich f\u00fcrchten, dafs auch des Verfassers Beitrag zur Relationstheorie nicht\n1 Gegen dieses \u201eblofs\u201c bemerkt Ernest Lindenthal in einer Anzeige von Husserls Buch in der Zeitsehr. f. das Bealschulwescn (Wien 1893, XVIII. Jahrg, II. Heft, S. 105: \u201eDadurch, dafs wir Dinge in einem Akte denken, denken wir noch nicht eine Mehrheit. Mein Freund, seine Ordnungsliebe und Unerm\u00fcdlichkeit erwecken auch dann nicht den Begriff drei, wenn ich sie gleichzeitig denke.\u201c \u2014 Indem ich auf die sonst wohl leicht zu \u00fcbersehende scharfsinnige Anzeige aufmerksam mache, glaube ich ihre \u00fcbrigen Einw\u00fcrfe, auch insoweit ich sie f\u00fcr zutreffend halte, im Obigen nicht wiederholen zu sollen.\n4:","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nBesprechungen.\n\u201efestbegr\u00fcndet\u201c sei und \u201eanerkannt\u201c zu werden hoffen k\u00f6nne, indem Verfasser selbst sogleich zugestehen mufs, \u201edafs Mill selbst in seiner Terminologie schwankt\u201c, und dafs z. B. auch Verfasser, der, solange er sich an Mill h\u00e4lt, vom \u201eFundament\u201c und \u201eder Grundlage\u201c im Singular gesprochen hatte, alsbald, wo er dem eigenen Sprachgef\u00fchl folgt, von \u201eden Fundamenten\u201c zu sprechen sich veranlalst sieht (S. 71). Ebenso f\u00fchlt Verfasser, dafs \u201ees etwas Inkonvenientes hat, eine \u00c4hnlichkeit, Steigerung u. dgl. als physisches Ph\u00e4nomen zu bezeichnen\u201c (S. 74), ohne sich doch darum von der durch diesen Terminus ad\u00e4quat bezeichneten Auflassung selbst freizumachen. \u2014 Die Verst\u00e4ndigung zwischen den an der \u201eRelationstheorie\u201c beteiligten Forschern w\u00e4re jedenfalls wirksamer gef\u00f6rdert worden, wenn angekn\u00fcpft worden w\u00e4re \u2014 sei es auch nur polemisch \u2014 an die erste und bisher einzige ausf\u00fchrliche Publikation \u201eZur Relationstheorie\u201c, Meikongs Humestudien II/ in welchem Buche meines Wissens ja auch der Ausdruck \u201eRelationstheorie\u201c selbst \u00fcberhaupt zum erstenmale vorgekommen ist.\nEin zweites Bedenken betrifft die grundverschiedene Behandlung, welche der Verfasser den zwei, wie man meinen sollte, einfach koordinierten Momenten im Zustandekommen der Mehrheits-, speciell der Zahlvorstellung, dem Analysieren und dem Kolligieren, angedeihen l\u00e4fst. Von letzterem wurde, wie wir sahen, nachdr\u00fccklich betont, dafs es ein \u201epsychischer Akt\u201c1 2 sei, von ersterem \u2014 dem Analysieren und unter Einem auch vom Vergleichen \u2014 wird es ebenso nachdr\u00fccklich geleugnet. Wir erlauben uns wegen der prinzipiellen Wichtigkeit dieser negativen These etwas eingehender bei ihr zu verweilen. Zun\u00e4chst lesen wir S. 42: \u201eDie ganze, bei Lange wie bei Kant zu Grunde liegende Anschauung, wonach ein Relationsinhalt Resultat eines Relationsaktes sei, ist psychologisch unhaltbar. Die innere Erfahrung \u2014 und diese\n1\tDafs Verfasser das Buch kennt, geht aus einer Anf\u00fchrung an anderer Stelle, S. 216, Anm., hervor, welches Oitat aber nicht die \u201eRelationstheorie\u201c im allgemeinen, sondern den Begriff der \u201eindirekten Vorstellungen\u201c betrifft (vergl. S. 55, Anm. 1).\n2\tEs w\u00e4re zu w\u00fcnschen, dafs wir betreffs dieser \u201eAkte des Kolligierens\u201c erf\u00fchren, in welche psychische Klassen wir sie einzureihen haben. (Vergl. die oben, S. 50, Anm. 1 erw\u00e4hnte Anzeige von Hillebrand.) Da der Verfasser durchaus auf dem Boden der BRENTANoschen Psychologie steht, so w\u00e4re f\u00fcr ihn in erster Linie wohl nur die Wahl zwischen Vorstellungen und Urteilen. Oder sollen wir an eine Mitwirkung der \u201ePh\u00e4nomene der Liebe und des Hasses\u201c an der Arithmetik glauben ? Oder aber giebt es aufser Vorstellen und Urteilen doch noch andere intellektuelle \u201eTh\u00e4tigkeiten\u201c ? Meines Wissens hat \u00f6ffentlich zuerst Zindlkr (\u201eBeitr\u00e4ge zur Theorie der mathematischen Erkenntnis\u201c. Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissensch. Wien, 1889 ; vergl. meine Anzeige dieser Schrift in der Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos., 1890, S. 502) hingewiesen auf \u201egewisse Th\u00e4tigkeiten, welche keine Urteile sind, aber auch mehr als blofse Vorstellungskomplexionen, z. B. die \u201eZusammenfassung\u201c, \u201edie elementare Denkoperation des Verschmelzens der Einheiten zweier ganzer Zahlen zu einer einzigen Zahl\u201c, \u201edas Zuordnen von Zahl- und Raumgebilden\u201c u. dgl. m. \u2014 Nebenbei bemerkt wird auch schon bei Zindi.er (a. a. O., II. Kap., \u00a7 10) hingewiesen auf \u201eRelationen mit mehr als zwei Fundamenten\u201c, deren der Verfasser S. 71 Erw\u00e4hnung thut.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n53\nallein ist hier entscheidend \u2014 lehrt nichts von solchen sch\u00f6pferischen Processen.' Unsere Geistesth\u00e4tigkeit macht nicht die Relationen; sie sind einfach da Und werden bei geh\u00f6riger Richtung des Interesses bemerkt so gut, als irgend welche andere Inhalte. [Verfasser citiert hier Stumpf, Tonpsychologie I, S. 104 u. f.] Im eigentlichen Sinne sch\u00f6pferische Akte, Welche als ein von ihnen verschiedenes Resultat irgend einen neuen Inhalt schaffen, sind psychologische Undinge. Freilich unterscheidet' man ganz allgemein die beziehende Geistesth\u00e4higkeit von der Beziehung selbst (das Vergleichen von der Gleichheit u. s. f.). Aber wo man solcher Art von beziehender Th\u00e4tigkeit spricht, versteht man darunter entweder das Auffassen\tdes\tRelationsinhaltes;\toder das\tdie\nBeziehungspunkte heraushebende\tund\tumfassende Interesse, die\tun-\nerl\u00e4fslic.he Vorbedingung daf\u00fcr,\tdafs\tdie jene Inhalte\tverbindenden\nRelationen bemerkbar w\u00fcrden.\tAber\twie auch immer,\tman wird\tnie\nbehaupten k\u00f6nnen, dafs der betreffende Akt seinen Inhalt sch\u00f6pferisch erzeuge.\u201c \u2014 Weiter heifst es dann S. 66: Das Analysieren ist \u00fcberhaupt keine psychische Th\u00e4tigkeit in dem eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. eine solche, die in den Bereich der Reflexion fiele. Man unterscheide zwischen einem psychischen Geschehen und einem psychischen Akte. Psychische Akte sind das Vorstellen, Bejahen, Verneinen, Lieben, Hassen, Wollen u. s. w., von welchen uns die innere Wahrnehmung (Lockes reflection) Kunde giebt. Ganz anders verh\u00e4lt es sich mit dem Analysieren. Niemand kann eine analysierende Th\u00e4tigkeit innerlich .wahrnehmen. Wir k\u00f6nnen die Erfahrung machen, dafs ein zuerst un-analysierter Inhalt dann zu einem analysierten wird; wo fr\u00fcher Ein Inhalt war, wird jetzt eine Vielheit bemerkt. Mehr aber als dieses post hoc ist innerlich nicht zu konstatieren. Von einer psychischen Th\u00e4tigkeit, durch welche aus der unanalysierten Einheit die Vielheit erst wird, lehrt die innere Wahrnehmung nichts. Das Faktum aber der eingetretenen Analyse kommt zu unserer Kenntnis, indem wir die Erinnerungsvorstellung des unanalysierten Ganzen mit dem gegenw\u00e4rtigen des analysierten vergleichen.\u201c Es treten solcher Art Akte des Vergleichens und Unterscheidens auf, welche jedoch die vollzogene Analyse voraussetzen.\u201c Referent gesteht, die in den vorstehenden S\u00e4tzen aufgestellten Behauptungen (\u2014 Begr\u00fcndungen sollen es ja nicht sein \u2014) \u00fcber Finden oder Nichtfinden psychischer Thatbest\u00e4nde durch seine eigene innere Erfahrung keineswegs ohne weiteres best\u00e4tigt zu finden. \u201eNiemand kann eine analysierende Th\u00e4tigkeit innerlich wahrnehmen.\u201c Wer h\u00e4tte aber bisher nicht geglaubt, das Analysieren mindestens ebensogut innerlich wahrnehmen zu k\u00f6nnen als etwa das Vorstellen? \u201eWo fr\u00fcher Ein Inhalt war, wird jetzt eine Vielheit bemerkt.\u201c \u201eWa r\u201c \u2014 ist also nach dem Bemerken nicht mehr der Eine Inhalt? Und doch soll man wieder nicht sagen d\u00fcrfen, dafs aus der analysierenden Einheit die Vielheit erst wird\u201c. . . In der vom Verfasser als Beleg f\u00fcr seine negative These citierten Stelle aus Stumpfs Tonpsychologie (I. Bd. S. 104 ff.) wird gelehrt, dafs Analysieren und Vergleichen nicht mehr Anspruch haben, Th\u00e4tigkeiten (im Gegensatz zu \u201epassiven Ereignissen in der Seele\u201c) genannt zu werden, als etwa das Empfinden ; und auch","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nBesprechungen.\ndemgegen\u00fcber kann Referent vorl\u00e4ufig nur bekennen, dafs ihn die hier bek\u00e4mpfte Lehre Lotzes von einem aktiven Verhalten auch schon bei jenen intellektuellen Leistungen als solchen1 mehr angesprochen hat, als Stumpfs Versuche zur Einschr\u00e4nkung des Begriffes \u201epsychischer Th\u00e4tigkeit\u201c auf das jene Leistung blofs vorbereitende Eingreifen des \u201cWillens. Doch sei bereitwilligst zugestanden, dafs dieses Kapitel von der psychischen Th\u00e4tigkeit (trotz der oben erw\u00e4hnten Beitr\u00e4ge Kerrys zur Ausgestaltung des Begriffes \u201epsychischer Arbeit\u201c) vorl\u00e4ufig selbst viel zu wenig \u201ebearbeitet\u201c ist, als dafs hier nicht \u00fcberall die Gefahr blofser Wortstreitigkeiten nur zu nahe l\u00e4ge. Eben deshalb erlauben wir uns, dem Herrn Verfasser, der ja gerade in dieser Sache noch \u201eam Werk\u201c und durch das schon Geleistete zur weiteren Kl\u00e4rung auch jener Dunkelheiten vor Anderen berufen ist, auf eine Reihe von Stellen seines vorliegenden I. Bandes aufmerksam zu machen, welche wenigstens den Schein erwecken, als habe sich ihm zeitweilig doch auch selbst das \u201eAnalysieren\u201c (und das \u201eVergleichen\u201c) als eine \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c dargestellt. Wir heben die Termini, welche in uns diesen Eindruck insbesondere hervorgerufen haben, durch Kursivdruck hervor:\nS. 77. Vergleichen wir . . . den Inbegriff mit irgend einem prim\u00e4ren Vorstellungsinhalte. Um bei einem solchen die verbindenden Relationen zu bemerken, ist Analyse n\u00f6tig. Handelt es sich z. B. um das Vorstellungsganze, das wir Rose nennen, dann erhalten wir durch Analyse successive die verschiedenen Teile derselben: die Bl\u00e4tter, den Stengel u. s. w. (die physischen Teile); dann die Earbe, deren Intensit\u00e4t, den Geruch u. s. w. (die Eigenschaften). Jeder Teil wird durch ein besonderes Bemerken herausgehoben und mit den bereits ausgeschiedenen zusammen festgehalten. Als n\u00e4chster Erfolg der Analyse resultiert, wie wir sehen, ein Inbegriff, n\u00e4mlich der Inbegriff der f\u00fcr sich bemerkten Teile des Ganzen.\nS. 80. \u201eF\u00fcr die Auff'asstmg eines jeden der kolligierten Inhalte bedarf es eines besonderen psychischen Aktes ; ihre Zusammenfassung erfordert dann einen neuen, der jene gliedernden Akte offenbar in sich schliefst, also einen psychischen Akt zweiter Ordnung bildet.\u201c\nS. 96. \u201eNur dies ist g\u00fcltig, dafs die urspr\u00fcnglich ungeschiedene Einheit eines zusammengesetzten Ph\u00e4nomens in eine Mehrheit \u00fcbergeht, zu deren Heraushebung eine Mehrheit von Denkakten erforderlich ist.\u201c\nS. 99.\t\u201e. . . dafs die einzelnen Inhalte durch besondere Akte heraus-\ngehoben und dann erst durch einen gemeinsamen, einen alle einigenden Akt umfafst werden.\u201c\nS. 162. Das Vergleichen und Unterscheiden, das Kolligieren (die Einigung von konkreten Inhalten zu Inbegriffen), sowie das Z\u00e4hlen (die Abstraktion der allgemeinen Inbegriffsformen) sind wohlunterschiedene Geistesth\u00e4tig-keiten, welche auseinandergehalten werden m\u00fcssen.\n1 Nach einer Bemerkung Meinongs d\u00fcrfte gerade der von Stumpf (I. S. 33) strikt erbrachte Beweis einer von der \u201eEmpfindungsschwelle\u201c auch bei h\u00f6chster Aufmerksamkeit noch verschiedenen \u201eUrteilsschwelle\u201c (S. 34) f\u00fcr die Annahme besonderer, nicht auf Vorstellungs- und Willensdispositionen zur\u00fcckf\u00fchrbarer Urteilsdispositionen sprechen. Die Aktualisierung einer solchen Disposition (Verwendung potentieller psychischer Energie zu psychischer Arbeit) w\u00fcrde dann wohl auch besonderen Anspruch auf den Namen einer \u201egeistigen Th\u00e4tigkeit\u201c haben.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n55\nS. 218: \u201eIndessen in der n\u00e4mlichen Menge sind die Teile eben nicht in der Weise von Eigenschaften, sondern in der Weise f\u00fcr sich gesonderter Teilanschauungen enthalten, und zwar sind diese von der Art, dafs sie unter den gegebenen Umst\u00e4nden ein vorwaltendes und einheitliches Interesse auf sich lenken. Eben darum geht unsere urspr\u00fcngliche Intention auf die Bildung einer Inbegriffsvorstellung, welche jede dieser Teilanschauungen f\u00fcr sich auffa\u00dft und mit den anderen einheitlich zusammen-begreift. Darauf geht unsere Intention, aber ihr vollauf zu gen\u00fcgen, fehlt es bei erheblicheren Mengen an einer entsprechenden Leistungsf\u00e4higkeit unseres Geistes. Wohl ist noch die successive Einzelauffassung der Mengenglieder m\u00f6glich, aber nicht mehr ihre zusammenfassende Kollektion ...\u201c S. 219: Zur wirklichen Mengenvorstellung brauchen wir nach den fr\u00fcheren Analysen einen psychischen Akt, welcher jedes einzelne Glied der Menge f\u00fcr sich und zusammen mit allen anderen voi'Stellt; also ebensoviele psychische Akte, als Inhalte da sind, geeinigt durch einen psychischen Akt zweiter Ordnung.\u201c\nS. 221:\t\u201e. . . in denen vielmehr von den eigentlich erforderlichen\npsychischen Beth\u00e4tigungen geleistet wird, was \u00fcberhaupt zu leisten ist, n\u00e4mlich die successive Auffassung (wenn auch nicht die einheitliche Zusammenfassung) aller Mengenglieder . ..\u201c\nS. 231: \u201e... eine Folge der Verschmelzung [ist es].., dafs mit ihren h\u00f6heren Graden der Gesamteindruck sich unter sonst gleichen Umst\u00e4nden dem einer wirklich einfachen Qualit\u00e4t n\u00e4hert und immer schwerer analysiert wird.\u201c U. s. f.\nGenug der Beispiele von Stellen, welche mehr oder minder jener von S. 66 zu widersprechen scheinen; die letztangef\u00fchrte scheint sogar Gr\u00f6fsen-unterschiede in der beim Analysieren zu bietenden \u201epsychischen Arbeit\u201c gelten zu lassen. Ohne Zweifel wird es dem Herrn Verfasser bei einigen der Stellen gelingen, den Schein des Widerspruches zu beseitigen, vielleicht durch noch sch\u00e4rfere Formulierungen; schwerlich aber bei allen. \u2014 Der zweite Teil, \u201eDie symbolischen Zahlbegriffe und die logischen Quellen der Anz\u00e4hlen-Arithmetik\u201c, nennt als \u201eGrundbeth\u00e4tigungen, welche wir an allen Zahlen \u00fcben und durch welche allein wir aus gegebenen Zahlen neue bilden k\u00f6nnen, Addition und Teilung\u201c. (Letzterer Ausdruck ist nicht gemeint im Sinn der Arithmetik, welche eine Division als Teilung unterscheidet von der Division als Messung; sondern im Sinn von Zerteilung, so dafs obige Termini den allgemeinen Begriffen n\u00e4her stehen, f\u00fcr welche die Termini thetische \u2014 besser synthetische \u2014 und lytische Operationen gebr\u00e4uchlich sind [vgl. oben S. 47]).\nIm elften Kapitel wird \u201ezun\u00e4chst mit wenigen Worten der f\u00fcr alle weiteren Darlegungen fundamentale Unterschied zwischen symbolischen und eigentlichen Vorstellungen\u201c erl\u00e4utert. \u201eEine symbolische oder uneigentliche1 Vorstellung ist, wie schon der Name besagt, eine Vorstellung\n1 Wiewohl Verfasser f\u00fcr diese Unterscheidung sich auf die Vorlesungen Brentanos beruft, weicht er doch sowohl bez\u00fcglich der Definition \u2014 vgl. S. 215, Anm. \u2014 wie in der Terminologie selbst von ihm ab, indem er eben nicht von \u201euneigentlichen\u201c, sondern von symbolischen Vorstellungen spricht; und diese wieder definiert er in obigem Wortlaut durch den MmNONGSchen Terminus \u201eindirect\u201c (auf welchen sich","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nBesprechungen.\ndurch Zeichen. Ist uns ein Inhalt nicht direkt gegeben als das, was er ist, sondern nur indirekt durch.Zeichen, die ihn eindeutig charakterisieren, dann haben wir von ihm, statt einer eigentlichen, eine symbolische Vorstellung\u201c (S. 215). Sach Besprechung verschiedener \u201eVersuche zur Erkl\u00e4rung momentaner Mengenauffassungen\u201c (S. 219\u2014227) werden u. a. die flguralen Momente (S. 227) und im zw\u00f6lften Kapitel \u201edie symbolischen Zahlvorstellungen\u201c (S. 250\u2014290) behandelt. Letztere Darstellung h\u00e4tte sich in minder breiter Form geben lassen, wenn der Verfasser statt allm\u00e4hlich auf Grund immer neuer und feinerer logischer Postulate das indische Positionssystem zu konstruieren, dies als etwas bekanntes \u2014 was es ja f\u00fcr. jedermann doch ist \u2014 vorausgesetzt und rasch seine einzelnen logischen Vorz\u00fcge nacheinander- aufgez\u00e4hlt h\u00e4tte. \u2014 Auf das dreizehnte (letzte) Kapitel, die logischen Quellen der Arithmetik, kommen wir vielleicht besser seinerzeit nach dem Erscheinen des zweiten Bandes zur\u00fcck und d\u00fcrfen wohl bis dahin auch unser Gesamturteil \u00fcber das grofs. angelegte und \u00fcberaus gr\u00fcndlich in Angriff genommene \"Werk verschieben, von dem heute schon feststeht, dafs es das weitaus umfassendste ist,. welches die Philosophie der Arithmetik bisher besitzt.\nBei aller K\u00fcrze und Leichtigkeit d\u00e9r Darstellung \u00fcberaus inhaltsreich ist Ehrenfels\u2019 Aufsatz \u201eZur Philosophie der Mathematik\u201c. 'Verfasser sagt eingangs: \u201eDie Einsicht, dafs die Feststellung der erkenntnistheoretischen Grundlage der Mathematik eine psychologische Bearbeitung ihres Gedankeninhaltes als Vorarbeit verlange, scheint sich neuerer Zeit bei Mathematikern und Philosophen immer mehr Bahn zu brechen \u2014 ebenso wie das Bewufstsein, dafs der k\u00fchne Entwickelungsgang, welchen jene Wissenschaft seit den Tagen eines Newtox und Leibniz genommen, diesbez\u00fcglich viel, sehr viel zu thun \u00fcbrig liefs. Die vorliegenden Ausf\u00fchrungen sollen einen Beitrag zu dieser Erkenntnis liefern, indem sie die Schwierigkeiten aufzudecken und auch teilweise zu \u00fcberwinden suchen, welche sich, gleichsam schon ah der Th\u00fcrschwelle des wissenschaftlichen Hochbaues, einer klaren philosophischen Einsicht in die allereinfachsten arithmetischen Grundoperationen entgegenstellen. In dem ersten Abschnitte soll eine psychologische Charakterisierung der gebr\u00e4uchlichsten Zahlenvorstellungen versucht, in' dem zweiten eine erkenntnistheoretische Verwertung der in dem ersten gewonnenen Ergebnisse geboten werden.\u201c (S. 285.) \u2014 \u201eDie psychologische Analyse h\u00e4tte sich vor allem mit der Frage nach der Herkunft des Einheitsbegriffes zu befassen.\u201c Kerrys Behauptung, dafs er aus einem urspr\u00fcnglichen, nicht weiter zu definierenden psychischen Akte, dem \u201eals Eins setzen,\u201c \u201ein Eins fassen\u201c. stamme, wird als \u201egef\u00e4hrliche Hypothese ad hoc\u201c bezeichnet. Dann wird gezeigt,, dafs \u201edie Zahlvorstellung aus der \u00e4ufseren Wahrnehmung nicht herausgelesen, sondern in dieselbe hineingetragen\ndas oben S. 52, Anm. 1 angef\u00fchrte Cit\u00e2t bezieht). Ich selbst habe in meiner Logik den MEiNOXGSchen Terminus \u201eindirekte Vorstellungen\u201c vorgezogen, da mir in der Sache selbst, n\u00e4mlich bez\u00fcglich des Anteiles, den gerade die Relationen am Inhalte solcher Vorstellungen haben, Meinongs Analysen die grundlegenden schienen.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n57\nwird, allerdings oft unbeabsichtigt und unbemerkt, so dais der Schein aufkommt, als w\u00e4re sie in derselben eo ipso enthalten. Woher stammt also der Begriff von Einheit und Vielheit? \u2014 Zwei Auswege scheinen sich da mit Beziehung auf anderweits bekannte Ph\u00e4nomene zun\u00e4chst darzubieten: Die Koncentrierung der Aufmerksamkeit und das \u201eIn Relation setzen\u201c. (Sf 287.) Nach kurzer Er\u00f6rterung heilst es: \u201eEs ist leicht abzusehen, dafs zu einer endg\u00fcltigen Entscheidung der Frage unsere Psychologie noch nicht gen\u00fcgend ausgebildet, die Begriffe des Auf-merkens, des Unterscheidens, der Einheit des Bewufstseins noch nicht hinreichend bearbeitet und pr\u00e4cisiert sind. Der Unbefangene wird am besten thun, mit dem Hinblick auf alle m\u00f6glichen L\u00f6sungsversuche sein Urteil vorl\u00e4ufig zu suspendieren\u201c (S. 289). Aber: \u201eWenn man die klarste und deutlichste Zahlenvorstellung, diejenige, welche die meisten Menschen nur bis vier oder f\u00fcnf zu fassen verm\u00f6gen, die \u201edirekte\u201c Zahlenvorstellung als psychologisches Faktum unanalysiert hinnimmt: (das Recht hierzu giebt die Empirie in unzweifelhafter'Weise) und sein Augenmerk lediglich auf die verschiedenen Arten hinlenkt, wie diese Vorstellung umschrieben wird und Zahlen \u201eindirekt\u201c zum Bewufstsein gelangen, so er\u00f6ffnet sich ohne bedeutende Schwierigkeit eine Reihe wohlverb\u00fcrgter fruchtbarer Erkenntnisse\u201c (S. 290.) Als solche indirekte Zahlenvorstellungen werden der Reihe nach in musterhaft klarer Weise beschrieben die Z\u00e4hlvorstellung (S. 292), von welcher gezeigt wird, dafs sie nicht durch Vergleichungsrelation vermittelt wird, sondern dafs sie eine \u201eprogressive Erzeugungsvorste 11 ung ist, zugeh\u00f6rig zu der Kategorie der indirekten oder durch fundierte Inhalte vermittelten Vorstellungen.\u201c (S. 295. \u2014 Die Definitionen dieser Termini wollen a. a. O. nachgesehen werden; mit dem Ausdrucke fundierte Inhalte an Stelle von \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c nimmt Ehrexfels den von Meixoxg in dieser Zeitschrift II. S. 245, gemachten Vorschlag an.) Ferner die Wort-und Schriftvorstellungen von Zahlen (S. 296), die bildlichen Zahlvorstellungen (S. 299, z. B. \u201eZahl gleich der Anzahl der Ecken eines Quadrates\u201c), sodann, nach dem Nachweis, dafs die Zahl mit noch anderen Inhalten der gemeinsamen Klasse der Gr\u00f6fsen angeh\u00f6rt (S. 300): die Gr \u00f6f s en vors tellungen von Zahlen, die Summierungs- und als deren specielle F\u00e4lle die Produkt- und Potenz vor st eil ungen ; w\u00e4hrend diese in der Regel zu progressiven Erzeugungsvorstellungen von Zahlen verwendet werden, sind die Differenz- und Quotientenvorstellungen teils regressive, teils aber doch auch progressive Vorstellungen besonderer Art. \u201eJeder f\u00fchlt deutlich, dafs die Angabe \u201e\u201eZahl, welche man zu Vier hinzuf\u00fcgen mufs, um Sieben zu erhalten\u201c\u201c, nicht der Vorstellung entspricht, welche sich ihm nat\u00fcrlich bei dem Symbol 7\u20144 aufdr\u00e4ngt, Vielmehr stellt jeder Unbefangene hier die Differenz drei als \u201ediejenige Zahl\u201c vor, \u201ewelche \u00fcbrig bl\u00e9ibt, wenn man von sieben vier wegnimmt\u201c. Das Symbol der Subtraktion, etwa 7\u20144, ist somit zwar eindeutig bestimmt bez\u00fcglich der Zahl, welche \u201eherauskommt\u201c, zweideutig aber bez\u00fcglich der Art, wie jene Zahl zur Vorstellung gebracht wird. Es folgt \u201enoch eine kurze Betrachtung der gebrochenen Zahlen, der negativen Zahlenreihe und der algebraischen Zahlen\u201c. (S. 308.)","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nBesprechungen.\nDer erste, psychologische Abschnitt schliefst mit den Worten: \u201eDerartige Kombinationen indirekter Zahlenvorstellungen zu indirekten Vorstellungen h\u00f6herer Ordnung k\u00f6nnen einen solchen Umfang annehmen, dafs unsere Kraft selbst nicht mehr zur distinkten und doch zusammenfassenden Vorstellung ihrer Elemente ausreicht; Wort und Schrift werden herangezogen, um die Art und Weise der Verkn\u00fcpfung indirekter Vorstellungen zu solcher h\u00f6heren Ordnung selbst wieder indirekt zur Vorstellung zu bringen. Nur auf solchen Umwegen vermag der Geist dem Bechenstift zu folgen, welcher m\u00fchelos Zahlenzeichen zu beliebigen Mengen anh\u00e4uft.\u201c (S. 311.)\nAus dem zweiten erkenntnistheoretischen Abschnitt f\u00fchren wir nur das auf Grund sehr eingehender Analysen eines speciellen arithmetischen Beispieles gewonnene Ergebnis an, \u201edafs die Grundlage der mathematischen Erkenntnis sich aus einer unbegrenzten Zahl apriorischer sowohl als aposteriorischer Urteile zusammensetzt. Gleichwohl bleibt im Sinne der hierbei entwickelten Auffassung der apriorische Charakter der Wissenschaft im grofsen Ganzen gewahrt\u201c. (S. 339.)\nWie der haupts\u00e4chlich auf einzelne charakteristiche Proben aus den drei Arbeiten sioh beschr\u00e4nkende Bericht gezeigt haben d\u00fcrfte, stellen die in ihnen behandelten psychischen Thatsachen eine Art Extrem zu demjenigen Problemengebiete dar, welches sonst den vorwiegenden Inhalt der Untersuchung und Berichterstattung dieser Zeitschrift lieferte. Unser Denken in Zahlen, schon das 1 + 1 = 2, stellt sich Jedem sogleich als eine so vergeistigte psychische Leistung dar, dafs derlei inneren Thatsachen gegen\u00fcber der gew\u00f6hnliche Apparat von Analysen in Empfindung, Erinnerung, Association und allenfalls noch \u201eApperzeption\u201c in einer der vielen Bedeutungen dieses Wortes von vornherein versagt. Dafs man nicht nur kein Scholastiker in psychologischen Dingen zu sein braucht, um sich in derlei Untersuchungen einzulassen, sondern dafs gerade auf ihrem Wege im Augenblick vielleicht am meisten f\u00fcr Psychologie im eigentlichsten Sinne zu holen ist, m\u00f6gen folgende Worte Fechners belegen, zu denen Stumpf (Tonpsychologie I. S. 104) Stellung nimmt: ..Die Erinnerungen geben das Material zu Vergleichungen, Unterscheidungen, Begriffen, h\u00f6heren Gedankenoperationen \u00fcberhaupt. Das Material wird dazu kombiniert, zerlegt, umgeschaffen, in neue Formen gebracht, worin h\u00f6here Beziehungen hervortreten. Wird die Psycho-physik dem allem mit ihren Bepr\u00e4sentationen nachkommen k\u00f6nnen?\u201c \u2014 Auf diese Frage Fechners antwortet Stumpf :\t\u201e .. . Ich bin nach dem\nallem der Meinung, dafs die ganze von Fechner sogenannte \u201e\u201einnere Psychophysik\u201c\u201c vorl\u00e4ufig nicht eine einzige Thatsache, geschweige ein Gesetz ihr eigen nennen kann.\u201c Die rein psychischen Thatsachen selbst aber, jene \u201eh\u00f6heren Gedankenoperationen\u201c, zu denen auch die in den drei Abhandlungen bearbeiteten ganz vorzugsweise z\u00e4hlen, nennt Stumpf sehr mit Beeilt \u201efundamentale Eigenheiten des psychischen Lebens\u201c; und so d\u00fcrfen wir es auch fundamentale Beitr\u00e4ge, zun\u00e4chst zur deskriptiven Psychologie nennen, was wir den drei Arbeiten verdanken.\nA. H\u00f6fleh (Wien).","page":58}],"identifier":"lit15231","issued":"1894","language":"de","pages":"44-58","startpages":"44","title":"Benno Kerry: \u00dcber Anschauung und ihre psychische Verarbeitung. Vierteljahresschrift f. wissensch. Philosophie, 1885-1891, E. G. Husserl: Philosophie der Arithmetik. Psychologische und logische Untersuchungen, Erster Band, Halle-Saale, Pfeffer-Stricker, 1891, Chr. v. Ehrenfels: Zur Philosophie der Mathematik. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie, 1891","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:31.269413+00:00"}