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{"created":"2022-01-31T17:03:48.732236+00:00","id":"lit15261","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ebbinghaus, Hermann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 145-238","fulltext":[{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\nVon\nH. Ebbinghaus.1\nMit 5 Figuren im Text.\n\u201eto \u00ebv bia\u00e7epopevov avxo abrcp ^njAtpeperai \u0153cjr\u00e7p \u00e0pfiovta toS-ou re xai Aupaq.\u201c\nBekanntlich ist der Streit zwischen den beiden namhaftesten Theorien des Farbensehens, der Yo\u00fcNG-HBLMHOLTzschen und der HerinGschen, noch immer nicht entschieden. Seit einer Reihe von Jahren vielmehr ist er anscheinend fast station\u00e4r geblieben: jede der beiden Ansichten z\u00e4hlt eine Anzahl gewichtiger Autorit\u00e4ten zu ihren sozusagen eingeschworenen Vertretern, aber keine vermag die gegnerische ganz niederzuzwingen, oder auch nur erheblich an Terrain \u00fcber sie zu gewinnen.\nDennoch ist in Wahrheit auch hier der Streit der Vater der Dinge geworden. Die Erford\u00e8rnisse des theoretischen Kampfes, die Notwendigkeit, neue Argumente zu finden, um den Gegner endlich v\u00f6llig aus dem Felde zu schlagen, und die alten Argumente zu st\u00fctzen durch Verifikation ihrer Konsequenzen, haben eine F\u00fclle praktischer Untersuchungen \u00fcber die thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse unseres Farbenempfindens her-vorger\u00fcf\u00e8n. Gerade in j\u00fcngster Zeit sind eine Anzahl besonders wichtiger Beitr\u00e4ge hierzu in rascher Aufeinanderfolge ver\u00f6ffentlicht worden. Wir stehen infolgedessen gegenw\u00e4rtig auf einem ganz anderen, viel breiteren und viel genauer bekannten empirischen Boden als damals, wo die beiden Theorien ausgedacht wurden. Wenn ich mich nicht t\u00e4usche, ist es damit bereits m\u00f6glich, einen Schritt, \u00fcber sie beide hinapszu-\n1 Erweitert nach einem auf dem psychologischen K\u00f4ngr\u00e9fs zu London (August 1892) gehaltenen Vortrag. (Inhalts\u00fcbersicht am Schlufs.j \u2019\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nS. Ebbinghaus.\nkommen. Namentlich den letzten Publikationen glaube ich einigen lohnenden Ertrag abgewinnen zu k\u00f6nnen, sowohl f\u00fcr eine unbefangene Betrachtung der streitenden Lehren, wie auch vielleicht f\u00fcr eine positive Weiterbildung unserer Vorstellungen und die Verwertung, von bisher r\u00e4tselhaft gebliebenen Einzelheiten.\nIch versuche erst das eine und dann das andere.\nI. Die HELMHOLTzsche Theorie.\n1. Das lichtschwache Spektrum. Die Schwierigkeiten, die sich einer Eesthaltung der HELMHOLTZschen Hypothese sqhon l\u00e4nger entgegenstellten, haben sich seit kurzem entschieden noch vermehrt. Bisher waren es wesentlich die Eigent\u00fcmlichkeiten des peripheren Sehens und der Farbenblindheit, die sich ihr nicht recht f\u00fcgen wollten. Neuerdings sind dazugekommen die Ver\u00e4nderungen, die die Farben bei sehr starker Abschw\u00e4chung des objektiven Lichtes erleiden, \u00fcber die wir vorher zwar im allgemeinen, aber nicht genau genug unterrichtet waren.\nVor zwei Jahren machte Hering die \u00fcberraschende Mitteilung,1 dafs bei \u00e4ufserst geringer objektiver Helligkeit und nach vorangegangenem l\u00e4ngeren Aufenthalt im Dunkeln der Normalsehende das prismatische Spektrum genau ebenso sehe, wie der total Farbenblinde unter gew\u00f6hnlichen Verh\u00e4ltnissen. Beiden stellt es sich dar als ein farbloses graues Band, dessen gr\u00f6fste Helligkeit nicht wie bei dem lichtstarken Spektrum des Normalsehenden in die N\u00e4he der FRAUNHOEERSchen Linie I), sondern vielmehr in die N\u00e4he von E f\u00e4llt.2 Die Verschiebung ist nicht unbedeutend; sie betr\u00e4gt etwa 1/s der gew\u00f6hnlich sichtbaren L\u00e4nge des Spektrums und kann also keinesfalls als eine unerhebliche Kleinigkeit betrachtet werden. In Verbindung mit ihr ist \u00fcberhaupt die ganze Verteilung der Helligkeiten in dem lichtschwachen Spektrum eine andere, als in dem lichtstarken : bei geringer Intensit\u00e4t erscheinen alle langwelligen Farben im Vergleich mit den kurzwelligen dunkler, diese im\n1\tHering, Untersuchung eines total Farbenblinden. Pfl\u00fcgers Arch., Bd49, S. 563. (1891.) \"\u00dcbrigens hatte f\u00fcr Hering selbst die Sache nichts \u00dcberraschendes, da er sie auf Grund seiner Theorie vielmehr vorausgesehen hatte.\n2\tBei Sonnen- oder Tageslicht etwa auf die Wellenl\u00e4nge 520 uu, bei Gaslicht auf 535 fift.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n147\nVergleich, mit jenen dagegen heller, als bei gr\u00f6fseren Intensit\u00e4ten. Und diese andere Verteilung der Helligkeiten bei schwachem Licht ist nun eben auch im einzelnen dieselbe, wie f\u00fcr den total Farbenblinden bei gew\u00f6hnlichen Lichtst\u00e4rken.\nEine Best\u00e4tigung dieser Thatsache von anderer (und im allgemeinen gegnerischer) Seite hat nicht lange auf sich warten lassen. Aus Untersuchungen \u00fcber die subjektive Helligkeit lichtschwacher Spektren, die schon gleichzeitig mit den Hering-schen begonnen waren, kam A. K\u00f6nig1 zu demselben Resultat. Er zeigte zwar oder machte es doch wahrscheinlich,2 dafs nicht schlechthin alle total Farbenblinden das Spektrum in der eben beschriebenen Weise sehen. Bisweilen vielmehr schien ihm die Helligkeitsverteilung eine \u00e4hnliche zu sein, wie in dem gew\u00f6hnlichen lichtstarken Spektrum f\u00fcr das normale (oder auch das partiell farbenblinde) Auge. Aber in einer gewissen Anzahl von F\u00e4llen3 konnte er nur konstatieren, dafs die von Hering gefundene \u00dcbereinstimmung durchaus besteht.\nWorin liegt die Bedeutung dieses Befundes f\u00fcr die Helm-HOLTzsche Theorie? Alle Einzelheiten, die bei der Sache eine Rolle spielen, waren vorher bereits bekannt. Dafs bei Nacht\n1 A. K\u00f6nig, \u00dcber den Helligkeitswert der Spektralfarben bei verschiedener absoluter Intensit\u00e4t. In : Beitr\u00e4ge zur Psychologie u. Physiologie d. Sinnesorgane. Festschrift zu S. von Helmholtz' 70. Geburtstage. S. 309 ff. (1891.) (Auch separat erschienen.)\ns A. a. O. \u00a7 11, besonders Fall 3 u. 4.\n3 Den von K\u00f6nig (\u00a7 7 C) aufgez\u00e4hlten drei F\u00e4llen ist noch der Fall Landolt aus dem Jahre 1881 hinzuzuf\u00fcgen. (Landolt, Achromatopsie totale. Arch, d\u2019Ophtalmol. I. S. 114.) Die Beschreibung ist genau genug, um das erkennen zu lassen. Die Pr\u00fcfung mit spektralem Licht ergiebt z. B. : \u201eLe maximum de clart\u00e9 est, pour l\u2019achromatope, un peu plus du c\u00f4t\u00e9 du vert que pour nous.\u201c Vier sog. Heidelberger Papiere ordnet der Farbenblinde nach der Helligkeit in der Reihenfolge Hellgr\u00fcn, Hellgelb, Blau, Orange, w\u00e4hrend f\u00fcr Landolt die Reihenfolge Hellgelb, Hellgr\u00fcn, Orange, Blau g\u00fcltig ist. Besonders interessant ist das Folgende. Der Farbenblinde wird aufgefordert, 52 HoLMGRENSche Wollproben nach ihrer Helligkeit anzuordnen. Danach thut Landolt dasselbe, nachdem er vorher die Beleuchtung soweit herabgemindert hat, dafs er die Proben nicht mehr als farbig, sondern nur noch als verschieden hell erkennt. Die beiden Anordnungen stimmen ungef\u00e4hr \u00fcberein. Die Abweichungen erkl\u00e4rt Landolt selbst teilweise daraus, dafs er bei so geringer Helligkeit \u00fcberhaupt nicht mehr alle 52 Proben voneinander unterscheiden konnte, so dafs ihre bestimmte Einrangierung mrt vom Zufall abhing.\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nH. Ebbinghaus.\nalle Katzen grau sind, d. h. dafs bei schwachem Licht zwar noch Helligkeitsverschiedenheiten, aber keine Farben mehr \u25a0Wahrgenommen werden, weifs schon das Sprichwort. Dafs bei diesem Verschwinden der Farben eine eigent\u00fcmliche Verschiebung ihrer Helligkeiten stattfindet, dafs n\u00e4mlich die langwelligen Farben (Hot und Gelb) relativ schneller dunkeln, ais die kurzwelligen (Gr\u00fcn und Blau), wurde zuerst von Purkinje bemerkt und wird nach ihm neuerdings h\u00e4ufig als Purkinj escfies Ph\u00e4nomen bezeichnet. Auf das Vorkommen endlich der immerhin seltenen F\u00e4lle totaler Farbenblindheit war man auch schon seit einigen Jahren aufmerksam geworden und hatte die Eigen-t\u00fcnllichkeiten dieser Anomalie mehrfach n\u00e4her zu studieren Gelegenheit gehabt. Das Neue der HERiNGschen Beobachtung liegt also nicht in allen diesen Einzeldingen, sondern in der AufweisUng einer Beziehung, einer Zusammengeh\u00f6rigkeit zwischen ihnen, die bis dahin ebensoviele getrennte und zusammenhanglose Erfahrungen bildeten. Eben dadurch hat sie auch eine besondere theoretische Wichtigkeit.\nSolange n\u00e4mlich die Dinge isoliert nebeneinander standen, war es auch m\u00f6glich, sie theoretisch gleichsam isoliert zu \u00fcberwinden und ihnen durch verschiedene, untereinander nicht weiter verbundene H\u00fclfshypothesen gerecht zu werden. Das ist seitens der Dreifarbentheorie geschehen.\nDie totale Farbenblindheit hat sie einigermafsen beiseite geschoben als eine krankhafte Abnormit\u00e4t. \u201eDa man .... die monochromatischen Systeme\u201c, sagen K\u00f6nig und Dieterici im Jahre 1886, \u201ewegen der \u00fcbrigen immer gleichzeitig vorhandenen Eigenschaften des Gesichtssinnes als eine pathologische Abnormit\u00e4t zu betrachten hat, so ist der Mangel einer einfachen Beziehung zu den nicht pathologisch ver\u00e4nderten Farbensystemen ohne weiteren Belang.\u201c Das heilst mit anderen Worten: man kann die Art, wie dem total farbenblinden Auge das Spektrum erscheint, aus der Annahme von drei Grundfarben schlechterdings nicht verst\u00e4ndlich machen, aber da jenes Auge \u00fcberhaupt eine krankhafte Verbildung ist, so braucht man daran nicht weiter Anstois zu nehmen.\nDas Purkinjesche Ph\u00e4nomen, die Verschiebung der Helligkeiten bei \u00c4nderungen der Lichtst\u00e4rke, erl\u00e4uterte yoN Helmholtz durch' die Vorstellung einer verschiedenen Erregbarkeit der rot- und der violettempfindenden Elemente. Gegen\u00fcber geringen","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n149\nLichtintensit\u00e4ten sind die Violettfasern relativ leicht erregbar, die Rotfasern relativ tr\u00e4ge. Nimmt die objektive Helligkeit aber zu, so wird das Erregungsquantum jener von diesen erst eingebolt und weiterhin \u00fcberfl\u00fcgelt.\nF\u00fcr das Grauwerden der Farben endlich bei schwachem Licht erschien Fick1 die Annahme \u201edurchaus plausibel\u201c, \u201edafs bei \u00e4ufserst geringen ... Intensit\u00e4tsgraden der Strahlen die Erregbarkeitskurven der drei Fasergattungen . . .... nahe zusammenfallen.\u201c F\u00fcr andere freilich hatte diese \u00c4nderung der Erregbarkeit, wenn sie ihr n\u00e4her zu treten suchten, etwas sehr R\u00e4tselhaftes, von Kries bezeichnete sie geradezu2 als \u201ekaum denkbar\u201c, und eine andere Vorstellung, die von Helmholtz erst neuerdings entwickelt,3 ist ihr jedenfalls vorzuziehen. Jede Spektralfarbe erregt, wie er annimmt, alle drei Grundempfindungen gleichzeitig, nur jede in verschiedener relativer St\u00e4rke. Damit nun aber diese objektiv stets vorhandenen Differenzen der Erregungsst\u00e4rken uns auch zum Bewufstsein kommen und Farbenempfind\u00fcngen erzeugen, ist nicht nur erforderlich, dafs sie da sind, sondern auch, dafs sie gewisse Gr\u00f6fsen, n\u00e4mlich die hier obwaltenden Schwellenwerte, \u00fcberschreiten. Ist die objektive Lichtintensit\u00e4t sehr gering, so wird das unter Umst\u00e4nden nicht der Fall sein. Wir unterscheiden dann zwar die gesamte vorhandene Lichtmenge als etwas anderes von Dunkel, d, h. wir sehen Grau, aber die relativen Anteile der einzelnen Komponenten bleiben f\u00fcr uns wegen zu geringer absoluter Gr\u00f6fse ihrer Verschiedenheiten unter der Schwelle.\nAuf eine Diskussion dieser verschiedenen Annahmen gehe ich nicht weiter ein, denn diese ganze Art, meine ich, die Dinge isoliert und mit H\u00fclfskonstruktionen zu erkl\u00e4ren, die blofs auf das einzelne Ph\u00e4nomen zugespitzt erscheinen, ist jetzt unm\u00f6glich geworden. Die totale Farbenblindheit kann nicht beiseite geschoben werden als eine die Theorie des normalen Sehens weiter nichts angehende Abnormit\u00e4t, denn das normale Auge sieht die Farben unter Umst\u00e4nden genau wie das total farbenblinde. Das Grauwerden des Spektrums kann nicht abh\u00e4ngig gemacht werden von etwas, was ausschliefslich bei geringer Lichtintensit\u00e4t geschieht, denn der total Farben-\n1 Fick, Hermanns Handb. d. Physiol. III., 1, S. 200.\n5 v. Kries, Die Gfesichtsempfindungen und ihre Analyse, S. 84.\n8 v. Helmholtz ^Physiol. Optik, 2.Aufl.S.472und diese Zeitschr. III. S. 121.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nH. Ebbinghaus.\nblinde siebt das Spektrum genau mit derselben Verteilung der Helligkeit bei beliebigen Intensit\u00e4ten. Das Furie inj esche Ph\u00e4nomen endlich kann schwerlich darauf beruhen, dafs die Erregungsgr\u00f6fsen der Grundempfindungen bei Verminderung der Lichtintensit\u00e4t mit verschiedener Schnelligkeit abnehmen. Denn der total Farbenblinde, dem die Grrundempfindungen doch nicht fehlen d\u00fcrfen, sieht das Spektrum bei ganz verschiedenen Intensit\u00e4ten sozusagen mit maximalem Purkinjeschen Ph\u00e4nomen. Dieser ganze Komplex von Erfahrungen geh\u00f6rt durchaus enge zusammen; er mufs daher auch im Zusammenh\u00e4nge behandelt und von einheitlichen Gesichtspunkten aus verst\u00e4ndlich gemacht werden.\nDie Auffindung dieser Gesichtspunkte aber bildet nun eben die Schwierigkeit, von der ich eingangs sagte, dafs sie zu den f\u00fcr die YouNG-HELMHOLTZsche Theorie schon bestehenden neuerdings hinzugekommen sei.\n2. Erkl\u00e4rungsversuch. In welcher Weise k\u00f6nnte wohl im Sinne der Dreifarbentheorie eine \u00dcberwindung dieser neuen Schwierigkeit versucht werden? Das ist einigermafsen vorgezeichnet. Als die n\u00e4here Kenntnis der Eigent\u00fcmlichkeiten des peripheren Sehens die n\u00e4chstliegende Annahme von dem peripheren Ausfall einer oder zweier Faserarten unm\u00f6glich machte, bildete u. a. Fick folgende, seither auch von v. Helmholtz acceptierte Vorstellung aus. Die spezifisch verschieden empfindenden drei Faserarten (oder drei photochemischen Substanzen) sind \u00fcberall gleichm\u00e4fsig vorhanden, aber die Art, wie sie durch Licht verschiedener Wellenl\u00e4nge erregt werden, ist verschieden auf den verschiedenen Zonen der Eetina. Nach der Peripherie hin werden die Erregbarkeitsverh\u00e4ltnisse der drei Faserarten einander immer \u00e4hnlicher, bis schliefslich alle Unterschiede verschwinden und sie durch Licht jeder Wellenl\u00e4nge gleich stark erregt werden. Oder mit anderen Worten: die Kurven, welche die Erregung der Grundempfindungen durch die spektralen Lichter darstellen, n\u00e4hern sich f\u00fcr die peripheren Zonen der Netzhaut einander und fallen schliefslich zusammen.\nEine \u00e4hnliche Annahme nun k\u00f6nnte f\u00fcr den gegenw\u00e4rtigen Fall gemacht werden. In der That ist das nach dem Vorg\u00e4nge von Fick selbst bereits geschehen. In der Arbeit, in der, wie oben erw\u00e4hnt, A. K\u00f6nig die HERiNGsche Entdeckung im wesentlichen","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Iheorie des Farbensehens.\n151\nbest\u00e4tigt, gesteht er zu, dafs die HELMHOLTZsche Theorie dieser Thatsache gegen\u00fcber so lange einen schweren Stand hat, \u201eals sie an der Unver\u00e4nderlichkeit der Intensit\u00e4tskurven f\u00fcr die Grundempfindungen festh\u00e4lt. \u201c1 Es erscheint ihm aber zweifellos, dafs dies fernerhin nicht mehr m\u00f6glich ist, dafs die Theorie vielmehr \u201edie Form der Grundempfindungskurven als Variable der Helligkeit ansehen mufs.\u201c2 Die Grundempfindungskurven sollen wir uns also jetzt als zwiefach variabel denken; sie sind erstens verschieden auf den verschiedenen Zonen der Retina, und sie sind zweitens abermals verschieden f\u00fcr die verschiedenen objektiven Lichtst\u00e4rken. Mit dieser Erweiterung der Theorie aber findet K\u00f6nig \u201edie Hebung des scheinbar vorhandenen Widerspruches nicht schwierig: die Zersetzbarkeit der drei photochemischen Substanzen......, welche\nf\u00fcr mittlere Helligkeiten . . . [gewissen] . . . monochromatischen Farbensystemen zukommt, ist gleich derjenigen, welche f\u00fcr die \u00fcbrigen Farbensysteme bei sehr niedriger Helligkeit besteht.\u201c3\nIch versuche, diese Hypothese etwas konkreter zu gestalten und zu zeigen, was jene Intensit\u00e4tskurven mit ihrer erstaunlichen Variabilit\u00e4t angesichts der im Auge m\u00f6glichen Stoffe oder Prozesse wohl f\u00fcr einen Sinn haben k\u00f6nnen.\nDie Tr\u00e4ger der von Helmholtz angenommenen drei Grundempfindungen, seien es verschiedene Faserarten oder photochemische Substanzen, m\u00fcssen in gewisser Hinsicht, n\u00e4mlich den Nerven gegen\u00fcber, als unver\u00e4nderlich gedacht werden, da sie ja die Empfindungen Rot, Gr\u00fcn und Violett in stets gleicher spezifischer Verschiedenheit vermitteln sollen. Wenn sie nun doch in anderer Hinsicht, n\u00e4mlich in ihrer Erregbarkeit durch das Licht, ver\u00e4nderlich sein sollen, so wird man diese beiden widerstreitenden Forderungen wohl nicht einfacher vereinigen k\u00f6nnen, als indem man annimmt, jene Empfindungstr\u00e4ger seien noch mit anderen lichtempfindlichen Stoffen verbunden, die von Hause aus eine andere Lichtabsorption haben, als sie, und diese je nach Umst\u00e4nden mehr oder weniger auf sie \u00fcbertragen. Die Sache w\u00e4re ganz \u00e4hnlich wie in der neueren Photographie, wo man die Empfindlichkeit der Silbersalze f\u00fcr die verschie-\n1\tA. K\u00f6nig, \u00dcber den Helligkeitswert der Spektralfarben etc. Helmholtz-Festschrift, S. 356. (Sep.-Ausg. S. 52.)\n2\tEbenda, S. 387. (Sep.-Ausg. S. 83.)\ns Ebenda, S. 356. (Sep.-Ausg. S. 52.)","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nH. Ebbinghaus.\ndenen Strahlen des Spektrums durch Zusatz von Fluoresce'in-verhindtmgen und anderen Stoffen (sogenannten Sensibilisatoren) nach Belieben \u00e4ndert.1 Man denke sich also, um etwas mehr ins einzelne einzutreten, die eigentlichen Bot-, Gr\u00fcn- und Violettsubstanzen (oder Fasern) seien alle drei in ganz derselben Weise durch Licht erregbar, sie h\u00e4tten dieselben Erregungskurven. Das Maximum ihrer Erregbarkeit f\u00fcr Sonnenlicht liege da, wo bei geringster Lichtintensit\u00e4t oder bei totaler Farbenblindheit die gr\u00f6fste Helligkeit des Spektrums gesehen wird (520^). Aufserdem aber sei jede dieser Substanzen noch mit einer anderen Substanz, einem Sensibilisator, vermischt und k\u00f6nne durch dessen andersartige Lichtabsorption \u00e4hnlich beeinflufst werden wie die Silbersalze der photographischen Platte. Der Sensibilisator der Botsubstanz sei vorwiegend f\u00fcr langwelliges Licht empfindlich, der der Gr\u00fcnsubstanz vorwiegend f\u00fcr mittelwelliges (der Gegend 550 (i[i) und der der Violettsubstanz vorwiegend f\u00fcr kurzwelliges Licht. Endlich nehme man noch an, dafs diese Sensibilisatoren weniger - leicht zersetzlich seien, als die eigentlichen Sehstoffe, dafs also- bei wachsender Lichtintensit\u00e4t erst n\u00fcr diese letzteren und dann allm\u00e4hlich wachsende Mengen jener ersteren affiziert werden. Dann lassen sich eine ganze Anzahl von Erfahrungen ungezwungen erkl\u00e4ren.\nDas Grauwerden des Spektrums bei schw\u00e4chstem Licht und die damit verbundene Verschiebung seines Helligkeitsmaximums, wovon wir ausgingen, w\u00fcrde darauf beruhen, dafs bei sehr geringen Lichtst\u00e4rken die Sensibilisatoren noch gar nicht zersetzt werden, sondern nur die Sehstoffe selbst, und zwar alle drei in gleicher St\u00e4rke. Die \u00dcbereinstimmung dieses Spektrums mit dem der total Farbenblinden k\u00e4me dadurch zu st\u00e4nde, dafs bei diesen die Sensibilisatoren \u00fcberhaupt fehlen und also der Effekt derselbe sein mufs, wie wenn sie nicht erregt werden. Zur Erkl\u00e4rung der gew\u00f6hnlichen partiellen Farbenblindheit k\u00f6nnte man annehmen, dafs hier durch eine Art Versehen der .Natur ein und derselbe Sensibilisator an zwei Empfindungsstoffe geraten sei.2 Sind die Bot- und Gr\u00fcn-\n1\tvon Helmholtz deutet einen solchen Gedanken bereits an in der neuen Aufl. der Physiol. Optik, S. 369.\n2\tIch entlehne diese Vorstellung Hrn. A. K\u00f6nig, der sie gespr\u00e4chsweise einmal andeutete. Nat\u00fcrlich denke ich nicht daran, ihn f\u00fcr die","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n153\nSubstanz beide mit dem Rot-Sensibilisator ausgestattet, so findet die Rot- und Gr\u00fcnerregung immer nur gleichzeitig und in gleicher St\u00e4rke statt (es wird also nach Helmholtz Gelb empfunden), zugleich ist das rote Spektralende relativ hell ; das w\u00e4re der Rail sogenannter Gr\u00fcnblindheit. Haben die beiden Substanzen dagegen beide den Gr\u00fcn-Sensibilisator, so wird gleichfalls Rot und Gr\u00fcn immer in gleicher St\u00e4rke und also als Gelb empfunden, das rote Spektralende ist aber jetzt relativ dunkel ; das w\u00e4re die sogenannte Rotblindheit. Das periphere Farbensehen endlich liefse sich wohl darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs das Quantum der den Sehstoffen beigemischten Sensibilisatoren vom Centrum nach der Peripherie der Netzhaut hin allm\u00e4hlich abn\u00e4hme. Die durch sie bedingte verschiedene Erregung der drei Empfindungssubstanzen m\u00fcfste dadurch mehr und mehr zur\u00fccktreten und einer gleichzeitigen Erregung mehrerer dieser Substanzen Platz machen. Zun\u00e4chst w\u00fcrden also mehr und mehr nur die bin\u00e4ren Mischfarben Gelb und Blau empfunden werden, weiterhin nur die allgemeine Mischfarbe Weifs, wie es ja thats\u00e4chlich beim Fortschreiten vom Centrum der Netzhaut nach ihrer Peripherie der Fall ist.\n3. Neue Schwierigkeiten. Jedoch, trotz aller dieser Erkl\u00e4rungsm\u00f6glichkeiten \u2014 haben die dazu erforderlichen H\u00fclfs-annahmen die Dreifarbentheorie im ganzen ansprechender und annehmbarer gemacht? Wie mir scheint, nein. Die urspr\u00fcngliche HELMHOLTzsche Theorie hatte die starken Wurzeln ihrer Kraft in der frappanten Einfachheit und Sparsamkeit, mit der sie aus einem Minimum von Grundvoraussetzungen so komplizierte Dinge, wie z. B. die Erscheinungen der Farbenmischung, soweit sie damals bekannt waren, abzuleiten vermochte. Den Vorzug einer besonderen Sparsamkeit b\u00fcfst sie jetzt ein, wenn durch die Einf\u00fchrung der doch unumg\u00e4nglichen Sensibilisatoren die Zahl der Grundstoffe direkt verdoppelt wird; mit 6 oder vielmehr mit 5 Variablen, wenn , man sie so nennen will, leistet die HERiNGsche Theorie alle Erkl\u00e4rungen auch. Und die Einfachheit? Die alten Rot-, Gr\u00fcn- und Violettfasern, die ihre spezifisch verschiedene Wirkung f\u00fcr das Bewufstsein mit\ngegenw\u00e4rtige Verwendung dieser Andeutung, wie \u00fcberhaupt f\u00fcr die obigen Spezialisierungen etwa verantwortlich zu machen.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nH. Ebbinghaus.\neinem spezifisch verschiedenen Verhalten gegen\u00fcber den Lichtstrahlen verbanden, waren an sich ganz plausibele Gebilde. Dagegen die oben angenommenen Fasern oder Sehstoffe, die f\u00fcr das Bewufstsein zwar auch sehr Verschiedenes leisten, aber dem Licht gegen\u00fcber sich ganz identisch verhalten (damit das Grauwerden der Farben unter den einfachsten Umst\u00e4nden begreiflich werde), haben etwas K\u00fcnstliches und Gezwungenes, sie stellen das naturgem\u00e4fs zu erwartende Verhalten gleichsam auf den Kopf. Die Vorstellung ferner einer gelegentlich vorkommenden Verwechselung bei der Kombinierung der Sensibilisatoren und Sehstoffe (behufs Erkl\u00e4rung der Farbenblindheit) ist \u00fcberaus unnat\u00fcrlich und, ich m\u00f6chte sagen, dem Organismus unangemessen. Will man sie aber einmal zulassen, so wird es wieder schlechthin r\u00e4tselhaft, weshalb von den gesamten \u00fcberhaupt m\u00f6glichen 26 Kombinationen, die durch ein solches Platzverwechseln der Sensibilisatoren entstehen k\u00f6nnten, nicht mehr als nur einige wenige erfahrungsm\u00e4fsig zu belegen sind.\nAber abgesehen von solchen mehr formalen Bedenken bestehen direkte Schwierigkeiten seitens der Thatsachen, oder doch mindestens seitens einer Thatsache. Ihr Widerspruch erscheint mir besonders schlagend, obwohl sie, infolge isolierter Betrachtung, bisher gerade f\u00fcr eine St\u00fctze der HELMHOLTZschen Theorie gegolten hat.\nDas Grauwerden der Farben bei geringsten Lichtintensit\u00e4ten mufs darauf beruhen, wie wir sahen, dafs hier die Grundempfindungsstoffe alle drei gleichzeitig und in gleicher St\u00e4rke zersetzt werden. Nimmt die Lichtst\u00e4rke zu, so werden mehr und mehr auch die Sensibilisatoren affiziert ; durch ihre verschiedenartige Lichtempfindlichkeit wird die Erregung der Sehstoffe zunehmend differenziert, und die von diesen verursachten Grundempfindungen Kot, Gr\u00fcn und Violett machen sich mehr und mehr gesondert geltend. Nat\u00fcrlich mufs man sich denken, dafs alles dies allm\u00e4hlich und in kontinuierlichen \u00dcberg\u00e4ngen geschieht. Man mufs also erwarten, dafs bei allm\u00e4hlicher Steigerung der objektiven Helligkeit das Spektrum nach dem ersten Stadium des grauen Bandes zun\u00e4chst die (in HELMHOLTZschem Sinne) minder differenzierten Mischfarben Gelb und Blau zeige und darnach erst, in allm\u00e4hlicher Verbreiterung auf Kosten jener beiden, die Grundfarben Kot, Gr\u00fcn und Violett. Bei dem Fortschreiten von der Peripherie","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n155\nder Netzhaut zu ihrem Centrum, wobei nach unseren Annahmen gleichfalls das Quantum und die Erregung der Sensibilisatoren allm\u00e4hlich wachsen sollte, verh\u00e4lt es sich ja in der That ganz in dieser \"Weise.\nNun ist aber von dem, was man so nach den allgemeinen Voraussetzungen und nach der Analogie der verschiedenen Netzhautzonen bei den Helligkeits\u00e4nderungen des Spektrums erwarten sollte, das genaue G egenteil der Fall. Wird ein Spektrum mittlerer Helligkeit allm\u00e4hlich verdunkelt, so verbreitern sich zun\u00e4chst die Farben Hot, Gr\u00fcn und Blauviolett auf Kosten des Gelb und des reinen Blau, sowie ihrer Nachbarfarben Orange, Gelbgr\u00fcn und Blaugr\u00fcn. Mehr und mehr fallen die zuerst eingeengten Farbent\u00f6ne v\u00f6llig aus, und nur die drei Farben Bot, Gr\u00fcn und Blauviolett bleiben, unmittelbar nebeneinanderstehend, \u00fcbrig.1 Schreitet die Verdunkelung noch weiter fort, so verliert zuerst das Gr\u00fcn seine Farbe und verwandelt sich, ohne durch eine andere Farbe hindurchzugehen, in Grau. Die Gegenden des fr\u00fcheren Blau und Gelb folgen; nur das Bot beh\u00e4lt seine Farbe sehr lange und verliert sie erst bei den st\u00e4rksten Graden der Verdunkelung; dann aber auch, ohne erst den Ton einer der Farben anzunehmen, die nach der HELMHOLTZschen Theorie als Mischfarben betrachtet werden m\u00fcfsten. Umgekehrt, wird die Lichtintensit\u00e4t eines mittelhellen Spektrums noch weiter gesteigert, so zeigen seine verschiedenen Farben die zunehmende Tendenz, sich auf Gelb und Blau zu reduzieren, die allm\u00e4hlich \u00fcber die Gebiete der anderen Farben hin\u00fcbergreifen und an deren Stelle treten. Zugleich verlieren diese Farben an S\u00e4ttigung, das Spektrum wird weifslicher, ganz wie es auch bei geringen Lichtintensit\u00e4ten der Fall war.\nGeht man also von einem Spektrum geringster Helligkeit allm\u00e4hlich \u00fcber zu lichtst\u00e4rkeren Spektren, so m\u00fcfsten die nach den K\u00f6Nieschen Vorstellungen mit der Helligkeit variabelen Intensit\u00e4tskurven der Grundempfindungen erst v\u00f6llig zusammenfallen, dann pl\u00f6tzlich scharf abgesetzt auseinander und nebeneinander treten und endlich sich wieder alle gegeneinander verbreitern und dem Zusammenfallen n\u00e4hern. Ich \u00fcbersehe nicht\n1 W. y. Bezold, Poggend. Ann., Bd. 150, S. 237 (1873); E. Br\u00fccke, Wiener Sitzungsber., Math.-Nat.-Kl., Bd. 77, III, S. 39\u201471 (1878). Auch von Helmholtz, Physiol. Optik (2. Aufl.), S. 469 u. 471.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nH. Ebbinghaus.\nob es m\u00f6glich ist, durch eine neue H\u00fclfshypothese diese Kurvenwanderungen zu beseitigen oder doch ihrer v\u00f6lligen Unglaub-lichkeit abzuhelfen. Einstweilen aber, bis ein entsprechender Versuch vorliegt, beweisen sie f\u00fcr mich \u2022\u2014 was denn also das Resultat dieser ersten kritischen Betrachtung sein w\u00fcrde \u2014, dafs eine die K\u00f6NiGschen Andeutungen konkret ausgestaltende Erg\u00e4nzung der HELMHOLTZsehen Theorie der bestehenden Schwierigkeiten nicht Herr zu werden vermag.\n4. Die Farbenmischungen. Die neuen Schwierigkeiten also bleiben, aber bisherige St\u00fctzen der Theorie bleiben nicht ; eben, - w\u00e4hrend ich das Obige niederschrieb, ist die beste von allen ins Wanken geraten.\nIm Jahre 1886 ver\u00f6ffentlichten A. K\u00f6nig und C. Dieterici eine vorl\u00e4ufige Mitteilung \u00fcber sehr zahlreiche und sehr genaue Earbengleichungen, die sie mit spektralen Lichtern hergestellt hatten.1 Ihre wesenthchsten Resultate waren diese :\nBei Farbenblinden lassen sich s\u00e4mtliche Mischungsergebnisse durch zwei Kurven darstellen, die ich hier Blau- und Gelbkurve nennen will. Die Blaukurven sind f\u00fcr alle Farbenblinden dieselben, abgesehen nat\u00fcrlich von solchen Abweichungen, die man zwanglos als Beobachtungsfehler und kleine individuelle Verschiedenheiten auffassen kann. F\u00fcr die Gelbkurven dagegen ergeben sich zwei Formen, die sich namentlich dadurch unterscheiden, dafs ihre Maxima an Stellen von etwa 25 (ip Differenz der Wellenl\u00e4ngen liegen. Alle Farbenblinden scheinen ausnahmslos einem dieser beiden Typen anzugeh\u00f6ren.\nBei Farbent\u00fcchtigen sind zur Darstellung der Mischungsergebnisse drei Kurven notwendig und hinreichend; sie m\u00f6gen hier als Rot-, Gr\u00fcn- und Blaukurve bezeichnet werden. Von diesen stimmt eine, die Blaukurve, ohne weiteres mit der Blaukurve der Farbenblinden \u00fcberein. Bei den beiden anderen Kurven kann man durch eine gewisse rechnerische Transformation, auf die es hier nicht ankommt, eine Beziehung zu der Gelbkurve der Farbenblinden herstellen. Und zwar zeigt sich daim, dafs die Gelbkurve des einen Typus der Farben-\n1 A. K\u00f6nigs und C. Dieterici, Die Grundempfindungen und ihre Intensit\u00e4tsverteilung im Spektrum. Sitzungsber. der Berl. Akademie vom 29. Juli 1886.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n157\nblinden zusammenf\u00e4llt mit der Rotkurve, die des anderen Typus mit der Gr\u00fcnkurve der Farbent\u00fcchtigen. Die Farbenempfindungen des normalen Auges lassen sich also in der That, wie die HELMHOLTzsche Theorie will, aus drei Elementen ableiten. Die \u00e4rmere Farbenmannigfaltigkeit des Farbenblinden aber kann man sich dadurch aus jener reicheren entstanden denken, dafs je ein Element beiderseits \u00fcbereinstimmt, w\u00e4hrend von den beiden anderen Elementen des Normalsehenden dem Farbenblinden je eines abgeht oder mit dem anderen zusammenf\u00e4llt.\nDiese Ergebnisse bildeten ohne Zweifel eine wertvolle St\u00fctze der Dreifarbentheorie. Man mufste sich zwar sagen, dafs Verh\u00e4ltnisse, die der Mensch durch drei Kurven, d. h. drei Variable, rechnerisch nachbilden und doch immer nur ann\u00e4hernd nachbilden kann, deshalb nicht no t wendig von der Natur mit derselben Sparsamkeit vorgebildet zu sein brauchten. Wie sie dem Auge sechs Muskeln giebt, w\u00e4hrend zur Not und bei einem etwas unzweckm\u00e4fsigeren Charakter der Augenbewegungen am Ende auch vier gereicht h\u00e4tten, so k\u00f6nnte sie das Farbenseh\u00e8n auf vier oder mehr Grundelemente basieren und damit vielleicht gewisse Nebenzwecke erreichen, ohne dafs gerade die Farbenmischungen zun\u00e4chst etwas davon verrieten. Allein immerhin enthielt jene Dreizahl einen starken Hinweis auf die Helm-HOLTZschen Anschauungen, den man nicht aus den Augen lassen durfte und dem man sich Vorbehalten mufste, nach Vorlegung der thats\u00e4chlichen Beobachtungsunterlagen der K\u00f6NiG-DiETERicischen Folgerungen n\u00e4her auf den Grund zu gehen.\nSoeben ist das gesamte Thatsachenmaterial in dieser Zeitschrift ver\u00f6ffentlicht worden.1 Meine \u00dcberraschung, als ich es zuerst in die H\u00e4nde bekam, war nicht gering : die behauptete \u00dcbereinstimmung zwischen den Kurven der Farbenblinden und der Farben t\u00fcchtigen besteht gar nicht; gerade in dem Falle, wo sie ohne rechnerische Transformationen vorhanden sein sollte, n\u00e4mlich be der Blaukurve, widersprechen ihr die Mischungsgleichungen, auf denen sie doch beruhen sollte. Selbst-\n1 A. K\u00f6nig Und C. Dietehici, Die Grundempfind\u00fcngen in normalen und anomalen Farbensystemen und ihre Intensit\u00e4tsverteilung im Spektrum. Diese Zeitschr. IV, S. 241 ff.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nH. Ebbinghaus.\nverst\u00e4ndlich haben K\u00f6nig und Dieterici das auch gesehen-Wenn sie nun doch jene \u00dcbereinstimmung behaupteten, um einerseits auf nur drei Kurven hinauszukommen, andererseits die Beziehung zu den Farbenblinden nicht zu verlieren, so haben sie daf\u00fcr eine Erkl\u00e4rung. Auf diese komme ich sogleich ; zun\u00e4chst die Thatsache selbst.\nIch erl\u00e4utere sie in Bezug auf das Interferenz-Spektrum des Gaslichtes.1 Die experimentell gefundenen Mischungsgleichungen, auf die es hier ankommt, f\u00fcge ich, umgerechnet f\u00fcr ein solches Spektrum, unten bei, und zwar w\u00e4hle ich die Gleichungen f\u00fcr K\u00f6nig.2 Die Ordinaten der nach diesen Beobachtungen von K\u00f6nig - Dieterici konstruierten Kurven\n1\tK\u00f6nig und Dieterici geben ihre Mischungsgleichungen so, wie sie sie gefunden haben, n\u00e4mlich bezogen auf ein Dispersions-Spektrum des Gaslichtes. Die Ordinaten der nach diesen Gleichungen konstruierten Empfindungskurven geben sie in verschiedenen Formen. Zun\u00e4chst gleichfalls f\u00fcr das Dispersions-Spektrum des Gaslichtes, wodurch eine Vergleichung jeder Kurve mit den zugeh\u00f6rigen Gleichungen erm\u00f6glicht wird. Die Mafsst\u00e4be der einzelnen Kurven sind hier willk\u00fcrlich und haben keine Beziehung zu einander, so dafs eine Vergleichung dieser Kurven untereinander und f\u00fcr verschiedene Individuen keinen Sinn hat. Aufserdem geben sie dieselben Kurven umgerechnet f\u00fcr die Interferenz-Spektren von Gaslicht sowohl wie Sonnenlicht, und haben hier zugleich zweckm\u00e4fsigerweise die Mafsst\u00e4be der Ordinaten so gew\u00e4hlt, dafs die von einer Kurve und der Abscissenaxe umschlossenen Fl\u00e4chen s\u00e4mtlich gleichen Inhalt haben. Man kann auf diese Weise alle Kurven untereinander vergleichen. Will man nun aber nicht nur die Kurven, sondern sowohl sie, wie die zu Grunde liegenden Gleichungen durchweg zu einander in Beziehung setzen, so ist allemal eine Umrechnung n\u00f6tig. Nimmt man die Gleichungen so wie sie vorliegen, also bezogen auf das Dispersions-Spektrum des Gaslichtes, so mufs man die hierzu geh\u00f6rigen Kurven auf gleiche Fl\u00e4chen bringen. Benutzt man die bereits auf gleiche Fl\u00e4che gebrachten Kurven f\u00fcr eins der Interferenz-Spektren, so mufs man die Mischungsgleichungen auf ein solches Spektrum umrechnen. Was man thut, ist sachlich v\u00f6llig gleichg\u00fcltig ; es handelt sich gar nicht um materielle \u00c4nderungen, sondern immer nur darum, die Dinge auf irgend einen beliebigen Generalnenner zu bringen, damit eine durchg\u00e4ngige Vergleichung m\u00f6glich werde. Ich mufs das ausdr\u00fccklich betonen, um das Mifsverst\u00e4ndnis abzuwehren, als h\u00e4tten meine gelegentlichen \u00c4nderungen der von K\u00f6nig-Dieterici gegebenen Zahlen irgend etwas mit meiner Theorie zu thun.\n2\tEs sind die Gleichungen II und IV (f\u00fcr K.) der Tabelle XII bei K\u00f6nig-Dieterici. F\u00fcr die Umrechnung geben die Autoren in Tabelle II die erforderlichen Daten.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n159\n(die ich fortfahre, als Rot-, Gr\u00fcn- und Blaukurve zu bezeichnen) finden sich in ihrer Tabelle XVI in den mittleren Kolumnen R, G, V.\nNach dieser Tabelle ist der Blauwert des Lichtes von 536 fifi Wellenl\u00e4nge f\u00fcr K\u00f6nig in einer gewissen Einheit \u2014 2,786. Nach den Gleichungen IV kann man aus dem Licht von 536 /*/* und dem von 590 /*/* das Licht aller zwischenliegenden Stellen durch Mischung gewinnen; es fand sich z. B. experimentell\n\u25a0^568.5 = 0,288 Zr590 -f- 1,161 L53g.\n(L = Licht. Die Einheit ist eine bestimmte Spaltbreite eines bestimmten Spektrums.) '\nDie Stelle 563,5/*/* hat hiernach einen etwas gr\u00f6fseren Blaugehalt als 536////. ; aufserdem aber kann f\u00fcr 590//,/* die Blau-Ordinate noch nicht einmal als Null betrachtet werden. Denn nach den Gleichungen II fand sich durch Beobachtung die weitere Relation\nL590 + 0,061 i478 = 2,517 L610 + 0,722 i563 5.\nDer kleine Blauzusatz, der hier auf der monochromatischen Seite n\u00f6tig ist, um den sonst gegen die Mischung bestehenden S\u00e4ttigungsunterschied auszugleichen, mufs (nach Tabelle XVI) auf 0,769 der gew\u00e4hlten Einheit veranschlagt werden. Bezeichnet man nun den Blauwert von 590 /*/* mit x, ber\u00fccksichtigt, dafs f\u00fcr 670/*/* eine Blau-Ordinate nicht mehr vorhanden ist, und zieht die beiden Gleichungen zusammen, so folgt \u00ab + 0,769 = 0,722 (0,288 x + 1,161.2,786)\nund daraus\nx \u2014 1,979.\nII.\tIV.\nL\\ \u2014- a. Le7o + b. L663.5\tc. Ly\tL\\ = a. Ltm -f- b. Ls36\nl\ta\tb\t1\u2018\tc\t1\ta\tb\n670 /*/*\tl.\u2014\t0.\u2014\t\u2014\t\u2014\t590 uu\tl.\u2014\t0.\u2014\n590\t\u201e\t2.517\t0.722\t478 [ifi\t0.0608\t577\t\u201e\t0.6070\t0.6951\n570 \u201e\t1.091\t0.911\t471.5 \u201e\t0.0021\t563.5 \u201e\t0.2879\t1.161\n563.5 \u201e\t0.\u2014\t1.\u2014 I\t\u2014\t\u2014\t555\t\u201e\t0.1742\t1.194\n\t\t\t\t\t545\t\u201e\t0.0556\t1.156\n\t\t\t\t\t536\t\u201e\t0.-\t1.\u2014","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nH. Ebbinghaus.\nDas heilst also: hat die K\u00d6NiGsche Blaukurve zufolge gewisser Beobachtungen bei 536 jap den Wert 2,786, so hat sie zufolge anderer Beobachtungen bei 590 den Wert 1,979. Ihren Verlauf f\u00fcr die zwischenliegenden Stellen des Spektrums kann man nun aus den Gleichungen IV berechnen. Es ergeben sich dann insgesamt folgende Werte der Ordinaten:\nTabelle I.\nWellenl\u00e4ngen\tBlaukurve des Farbent\u00fcchtigen\n536 |ufJ,\t2,786\n545 .\u201e\t3,331\n555 \u201e .\t3,672\n563,5 \u201e\t3,806\n-\t577 \u201e\t3,137\n590 \u201e\t1,979\nWie verh\u00e4lt sich hierzu die Blaukurve der Farbenblinden? Dar\u00fcber m\u00f6gen die Tabellen V b und VI b bei K\u00f6nig-Dieterici Auskunft geben, die eine getreue Wiedergabe der zugeh\u00f6rigen Beobachtungen sind.1 Wenn man die Blauordinaten aus beiden Tabellen (mittlere Kolumne K) zu Durchschnittswerten zu-zusammenzieht, so findet man durch graphische Interpolation f\u00fcr die eben benutzten Wellenl\u00e4ngen folgende Zahlen:\nTabelle II.\nWellenl\u00e4ngen\tBlaukurve des Farbenblinden\n536 ,u,u\t1,70\n545 \u201e\t1,20\n555 \u201e\t0,90\n563,5 \u201e\t0,76\n.\t577 \u201e\t0,62\n590 , \u201e\t0,45\n1 Die Tabellen beziehen sich auf zwei Individuen vom Typus der sogenannten Gr\u00fcnblinden. Die sogenannten feotblinden haben \u00e4hnliche Zahlen, allenfalls noch eine Spur g\u00fcnstiger f\u00fcr meine Argumentation.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n161\nDie beiden Kurven verlaufen darnach, so verschieden 'Wie m\u00f6glich. Sie fall\u00e8n zwar ztin\u00e4chst von ihrem gemeinsamen Maximum bei ca. 470 /*/* gleichm\u00e4fsig steil nach dem langwelligen Ende des Spektrums hin ab. Aber w\u00e4hrend bei den Farbenblinden dieser Abfall so schnell geschieht, dafs die Kurve nur noch mit kleinen Werten im G-r\u00fcn, anlangt und mit ganz geringf\u00fcgigen durch das Gelbgr\u00fcn zieht, hat er sich bei dem Farbent\u00fcchtigen in der Gegend von 536/*/* schon etwas verlangsamt. Seine Blaukurve verl\u00e4uft hier erheblich h\u00f6her, als die des Farbenblinden, und statt nun gleichm\u00e4fsig weiter zu fallen, steigt sie. vielmehr von hier aus nochmal an, erreicht bei 560 /*/* ein zweites kleineres Maximum und ist bei 590 /*/* erst wieder so weit gefallen, wie die Blaukurve des Farbenblinden bei 536 /*/*. Und doch sollten diese beiden Kurven miteinander \u00fcbereinstimmen.\nWie erkl\u00e4ren nun K\u00f6nig undDiETERici diesen Sachverhalt? Sie machen wiederholt darauf aufmerksam, dafs in der Gegend von Orange bis Gelbgr\u00fcn den f\u00fcr das normale Auge g\u00fcltigen Gleichungen auf einer Seite \u201enoch eine betr\u00e4chtliche Menge blauen Lichtes\u201c zugemischt werden kann, ohne dafs die Gleichheit gest\u00f6rt wird, dafs also in dieser Gegend die beobachteten Mischungsgleichungen in Bezug auf das Blau ungenau sind und zu einer Konstruktion der Blaukurven hier nicht benutzt werden k\u00f6nnen.1 Man h\u00e4tte sich demnach nach ihrer Auffassung folgendes zu denken. Wenn man aus Licht von 590 und 536/*/* z. B. dasjenige von 560/1/* mischt, so bekommt man, um den richtigen Farbenton zwischen Gelb und Gr\u00fcn zu treffen, relativ viel von dem bei 536 noch vorhandenen Blau in die Mischung. In dem homogenen Licht von 560/*/* ist laut Aussage der Gleichungen von Farbenblinden thats\u00e4chlich sehr wenig Blau enthalten. Dennoch k\u00f6nnen die beiden Gelbgr\u00fcn, das monochromatische und das gemischte, f\u00fcr das normale Auge gleich aussehen, denn es ist f\u00fcr den st\u00e4rkeren Blaugehalt, d. h. die gr\u00f6fsere Weifslichkeit der gemischten Farbe, unempfindlich, es \u00fcbersieht diesen Unterschied.\nUm die Erkl\u00e4rung zureichend beurteilen zu k\u00f6nnen, m\u00fcfste man wissen, wie grofs ungef\u00e4hr jene Menge Blau ist, die man einer schon stimmenden Gleichung im Gelb einseitig noch\n1 A. a. O. S. 294, 299, 328. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nH. Ebbinghaus.\nheimischen darf, ohne sie zu st\u00f6ren; ob sie auch zureicht, die in Frage stehenden Differenzen ihrer numerischen Gr\u00f6fse nach zu erkl\u00e4ren. Es handelt sich n\u00e4mlich hier um ganz bedeutende Betr\u00e4ge. Die Einheiten der K\u00f6uiG-DiETERicischen Tabellen sind zweckm\u00e4fsigerweise so gew\u00e4hlt, dafs gleiche Werte der Rot-, Gr\u00fcn- und Blaukurve zusammen gerade Weifs geben. Beziffert man den Blauwert des Lichtes von 536 fifi wie oben mit 2,786, dagegen den von 590 fip nach dem Befund an Farbenblinden nur mit 0,45, so berechnet sichz. B. f\u00fcr 563,5 p/j, der \u00dcberschufs an Blau in dem gemischten Gelbgr\u00fcn \u00fcber den Gehalt des monochromatischen zu 2,62. Nun betr\u00e4gt bei 563,5 fip der Wert der K\u00f6Ni\u00f6schen Rotkurve (K\u00f6nig-Dieterici Tab. XVI) 7,301, derjenige der Gr\u00fcnkurve 12,717. Damit das gemischte Licht dem homogenen gleich aussehe, mufs es nat\u00fcrlich die gleichen Mengen Rot und Gr\u00fcn enthalten. Von diesen Gr\u00f6fsen wird aber durch das in die Mischung eingehende Blau der ebengenannte Teilbetrag von 2,62 zu Weifs neutralisiert, d. h. von dem ganzen vorhandenen Rot werden 36 %, von dem vorhandenen Gr\u00fcn 21 % dazu verbraucht, die S\u00e4ttigung der Mischfarbe zu verringern. Erlaubt man sich, die beiden Zahlen zusammenzuziehen, so kann man sagen: nach der K\u00f6NiG-DiETERicischen Erkl\u00e4rung sollen dem normalen Auge zwei Gelbgr\u00fcn gleich erscheinen, von denen die Gesamtfarbigkeit des einen um 28% geringer ist, als die des anderen. F\u00fcr 555 y,[i findet man durch eine gleiche Rechnung gar eine Differenz von 30%.\nLeider haben die Autoren unterlassen, in dieser Beziehung eine thats\u00e4chliche Angabe zu machen und mitzuteilen, dafs sie sich wenigstens sch\u00e4tzungsweise \u00fcber eine solche Tragweite des von ihnen angezogenen Moments vergewissert haben. Man ist also einstweilen auf Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten angewiesen, und da mufs ich sagen, dafs mir die Annahme einer so bedeutenden Unempfindlichkeit des Auges gegen S\u00e4ttigungsunterschiede bedenklich erscheint; jedenfalls d\u00fcrfte mit den genannten Zahlen die \u00e4ufserste Grenze des Zul\u00e4ssigen erreicht sein. Nun hat aber die Erkl\u00e4rung noch einen kleinen, bisher weggelassenen Zusatz, durch den meine Bedenken geradezu un\u00fcberwindlich werden.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n163\nIn einer der Formulierungen ihrer Auskunft1 sagen K\u00f6nig und Dieterici ausdr\u00fccklich, dafs (in der Nachbarschaft des Gelb) eine betr\u00e4chtliche Menge blauen Lichts auf einer beliebigen der beiden Seiten der Farbangleichungen beigemischt werden kann, ohne die Gleichheit zu st\u00f6ren. Sie haben also nicht nur dem homogenen Gelbgr\u00fcn, sondern auch dem durch Mischung gewonnenen, dem, um die Theorie zu halten, schon 25\u201430% S\u00e4ttigungsdifferenz gegen das andere zugeschrieben werden m\u00fcssen, noch \u201ebetr\u00e4chtliche\u201c Mengen Blau zumischen k\u00f6nnen, ohne dafs ein Unterschied gegen das blauarme homogene Licht aufgefallen w\u00e4re. Die S\u00e4ttigungs-Verschiedenheit der beiden Farben m\u00fcfste dadurch unter Umst\u00e4nden wohl auf 40 und mehr Prozent gestiegen und doch der Empfindung nicht bemerklich geworden sein. W\u00e4re das wirklich der Fall, nun, so k\u00f6nnte man die ganzen Gleichungen aus der Gegend des Gelb ruhig streichen und wieder von vorne anfangen. Sind sie bis zu solchem Grade ungenau, kann man ihnen Zus\u00e4tze von solchem Betrage nach Bedarf machen oder auch nicht machen, so kann man nat\u00fcrlich alles M\u00f6gliche aus ihnen herauskonstruieren und eben damit nichts Bestimmtes. Um nur die drei Grundempfindungen zu retten, durchschneiden die Autoren den ganzen Ast, auf dem sie sitzen, und erwecken indirekt lieber Mifstrauen gegen ihre \u00fcberaus m\u00fchevollen und dankenswerten experimentellen Forschungen, als dafs sie einmal versuchen, vielmehr die Theorie nach jenen zurechtzubiegen.\nMir scheint die Voraussetzung einer so weit gehenden Ungenauigkeit der Versuche ungerechtfertigt. Sie machen mir im Gegenteil, ganz abgesehen von ihrer sicheren physikalischen Fundierung, durch ihr oft vortreffliches gegenseitiges Zusammentreffen durchaus den Eindruck der Zuverl\u00e4ssigkeit. Die mehrbesprochene und thats\u00e4chliche Unempfindlichkeit des Auges gegen S\u00e4ttigungsunterschiede im Gelb und Gelbgr\u00fcn wird freilich bei der Beurteilung der Gleichungen dieser Gegend in Betracht zu ziehen sein, aber sie kann entfernt nicht die Rolle spielen, die K\u00f6nig und Dieterici ihr zuweisen m\u00f6chten. Was hier eine Rolle spielt, ist vielmehr etwas ganz Anderes.\nLassen wir einmal jene Unempfindlichkeit gegen S\u00e4ttigungs-\n1 A. a. O., S. 328.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nH. Ebbinghaus,\ndiffer enz en in ihrer Beziehung zu etwaigen Folgen bei Seite und fassen sie hinsichtlich ihrer Ursachen ins Auge. Woran mag diese Eigent\u00fcmlichkeit des Auges wohl liegen? Sie besteht nicht durchweg, sondern nur bei dem normalen Auge. Die Farbenblinden sind in dieser Beziehung bei weitem empfindlicher. Das geht mit gen\u00fcgender Sicherheit aus den K\u00f6NiG-DiETERicrschen Mischungsgleichungen f\u00fcr Farbenblinde hervor. Aufserdem auch aus der ausdr\u00fccklichen Bemerkung/ dafs ein sog. Rotblinder in dem Intervall von 590 bis 550 pp S\u00e4ttigungsunterschiede wahrnahm, ohne dafs es gelang, die zu ihrer Hervorbringung erforderlichen geringen Betr\u00e4ge Blau numerisch zu bestimmen. Nach der HELMHOLTZschen Theorie haben die Farbenblinden zu diesem Vorzug eigentlich keine Berechtigung. In dem farbent\u00fcchtigen Auge findet nach ihr durch Lichtstrahlen aus der Gegend von 590 pp gleichzeitige Erregung eines Rotprozesses und eines Gr\u00fcnprozesses statt; nur sind die beiden Prozesse f\u00fcr verschiedene Wellenl\u00e4ngen von verschiedener relativer St\u00e4rke. In dem farbenblinden Auge findet ganz dasselbe statt; nur sind die beiden Prozesse f\u00fcr Licht jeder Wellenl\u00e4nge von gleicher relativer St\u00e4rke. Kommt nun bei den Farbenblinden eine geringe Blauerregung hinzu, so bemerken sie ein Weifslichwerden der Farbe. Geschieht bei den Farbent\u00fcchtigen dasselbe, so bemerken sie nichts; erst bei erheblich st\u00e4rkeren Blauzus\u00e4tzen sehen sie eine S\u00e4ttigungsverminderung. Woher dieser Unterschied?\nMan k\u00f6nnte an den Einflufs der \u00dcbung denken. Durch die Bed\u00fcrfnisse des praktischen Lebens wird der Farbenblinde zu einer sch\u00e4rferen Unterscheidung von Helligkeitsstufen und S\u00e4ttigungsgraden erzogen und erwirbt so eine feinere Empfindlichkeit f\u00fcr diese Dinge, auch wenn es sich nicht gerade um praktisch Brauchbares handelt. Ich bin der Ansicht, dafs diese Sch\u00e4rfung der Unterscheidungsf\u00e4higkeit durch das praktische Bed\u00fcrfnis ganz \u00fcberwiegend ein Ph\u00e4nomen der Aufmerksamkeit ist. Der Farbenblinde lernt auf gewisse schwer erkennbare Merkmale der Dinge besser achten, auf die der Normalsehende deshalb nicht zu achten braucht, weil er andere leicht erkennbare Merkmale hat, die jenem abgehen. Aber die gr\u00f6fsere Empfindlichkeit, die er dadurch erlangt, ist nicht\n1 A. a. O., S. 264.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n165\nsowohl eine solche des sinnlichen, als vielmehr \u00fcberwiegend eine solche des geistigen Auges, des Gehirns. Veranlafst man den Normalsehenden, seine Aufmerksamkeit zusammenzunehmen und einmal ausnahmsweise auch auf die Momente ordentlich zu achten, auf die der Farbenblinde gewohnheitsm\u00e4fsig achtet, so unterscheidet er, nach einem schnell durchlaufenen Prodromalstadium wachsender Sicherheit, bald, wenn auch vielleicht nicht ganz so scharf, so doch sehr ann\u00e4hernd so scharf, wie der Farbenblinde. Zum Beweise berufe ich mich auf vergleichende Beobachtungen, die A. K\u00f6nig und E. Brodhun einmal \u00fcber ihre Empfindlichkeit gegen Helligkeitsunterschiede im Spektrum angestellt haben.1 Die Empfindlichkeit des Farbenblinden (B.) verhielt sich zu der des Farbent\u00fcchtigen (K.) etwa wie 11 :10, d. h. sie war nicht nennenswert von dieser verschieden. In dem gegenw\u00e4rtigen Falle der S\u00e4ttigungsunterschiede verhalten sich die beiderseitigen Empfindlichkeiten, soviel ich mit einem summarischen Experiment einmal feststellen konnte, mindestens wie 3 :1. Diese Verh\u00e4ltnisse gestatten also gar keinen Vergleich.\nAuf die aufgeworfene Frage nach der Ursache unserer Unempfindlichkeit f\u00fcr S\u00e4ttigungsdifferenzen im Gelb giebt es nur eine m\u00f6gliche Antwort, die zugleich aus allen diesen Schwierigkeiten herausf\u00fchrt. Die Farbent\u00fcchtigen sind relativ unempfindlich f\u00fcr das Weifslichwerden der gelben Farbent\u00f6ne, weil diese Farbent\u00f6ne bei ihnen von Hause aus schon relativ weifslich sind. Und die Farbenblinden sind viel empfindlicher in dieser Beziehung, weil dieselben Farbent\u00f6ne bei ihnen von Hause aus viel satter sind. Hier wie anderswo manifestiert sich die \u00c4nderung eines objektiven Reizvorganges f\u00fcr die Empfindung immer nur mit R\u00fccksicht auf das schon vorhandene Quantum der gleichartigen Erregung. Ist dieses bereits bestehende Erregungsquantum grofs, so mufs auch die \u00c4nderung ihrem absoluten Betrage nach grofs sein, um eine \u00c4nderung der Empfindung hervorzurufen; ist das Quantum klein, so wird auch eine kleine \u00c4nderung schon bemerkt. Und die Gr\u00f6fse der Weifserregung, behaupte ich nun, ist f\u00fcr den Farben -\n1 A. K\u00f6nig und E. Brodhun, Experimentelle Untersuchungen \u00fcber die psychophysische Fundamentalformel in Bezug auf den Gesichtssinn. Sitzungsber. d. Berliner Akad. vom 26. Juli 1888.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nH. Ebbinghaus.\nt\u00fcchtigen und den Farbenblinden im Gelb und seiner Nachbarschaft erheblich verschieden.\nWoher aber weiter diese Verschiedenheit? Hier steckt eben jenes \u201eAndere\u201c, auf das ich vorhin schon hinauskam. Ich will jetzt sagen, was es ist: nichts sonst als die Hering-sche Rotgr\u00fcnsubstanz, allerdings mit etwas anderen als den ihr von Hering bisher zugeschriebenen Eigenschaften. Die beiden an ihr m\u00f6glichen Prozesse, auf denen das Rotempfinden und das Gr\u00fcnempfinden beruht, summieren sich zum Teil und in einer eigent\u00fcmlichen Weise in der Gegend des Gelb und bewirken Weifs. Nun hat der Farbent\u00fcchtige jene Substanz, der Farbenblinde hat sie nicht. Daher sieht jener weifsliche Farben und ist relativ unempfindlich gegen \u00c4nderungen ihrer Weifslichkeit, wo dieser satte Farben sieht und sich gegen die gleichen \u00c4nderungen relativ empfindlich zeigt. Nicht gesucht von unseren Autoren und doch unverkennbar steckt hier also ein Glied der HERiNGschen Theorie den Kopf durch ihre Mischungsresultate hindurch und bringt die auf drei Grundfarben gerichteten Schl\u00fcsse in Verwirrung. Wir wollen es weiterhin ganz hervorholen und uns \u00fcberzeugen, dafs sich mit seiner H\u00fclfe die Dinge v\u00f6llig befriedigend gestalten lassen.\nEinstweilen aber res\u00fcmiere ich : Die Erscheinungen der Farbenmischung liefsen sich f\u00fcr unsere ersten und gr\u00f6beren Kenntnisse mit hinreichender Genauigkeit aus der Annahme von drei Grundelementen ableiten. Sie bildeten daher wie den Ausgangspunkt so auch die beste St\u00fctze der Young-Helmholtz-schen Theorie. Nach genauerer Untersuchung dieser Ph\u00e4nomene, wie sie in den K\u00f6NiG-DiETERicischen Mischungsgleichungen vorliegt, ist eine solche Ableitung unm\u00f6glich geworden. In den Beobachtungsresultaten macht sich unzweideutig ein fremdes Moment geltend, das nun auch hier, wie fast schon bei allen anderen Erscheinungen des Farbensehens, \u00fcber jene drei Prinzipien hinausweist.\nII. Die Hering sehe Theorie.\n5. Das lichtschwache Spektrum. Auf dem Boden der HERiNGschen Theorie erkl\u00e4ren sich die Erscheinungen, von denen wir ausgingen, in ihren allgemeinsten Z\u00fcgen mit \u00fcberraschender Einfachheit.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n167\nDie Substanz, auf deren Zersetzung die Weifsempfindung beruht, wird in der Dunkelheit stark regeneriert, und mit ihrer Anh\u00e4ufung wird nat\u00fcrlich auch die Leichtigkeit ihrer Zersetzung gesteigert. Auf die chromatischen Substanzen dagegen, die Dot gr\u00fcn- und Blaugelbsubstanz, ist Dunkelheit ohne besonderen Einflufs; ihre Vermehrung sowohl wie Verminderung geschieht immer nur unter der Einwirkung bestimmten Lichtes. Wird also nach voraufgegangenem Dunkelaufenthalt das Auge irgend welchen schwachen Lichtstrahlen ausgesetzt, so verursachen diese eine relativ betr\u00e4chtliche Zersetzung der Weifssubstanz, aber nur eine geringf\u00fcgige Zersetzung (oder Wiederherstellung) der chromatischen Substanzen. Die Erregung der letzteren wird gleichsam \u00fcb ert\u00f6nt durch die verh\u00e4ltnism\u00e4fsig viel st\u00e4rkere Erregung der ersteren, und bei gen\u00fcgender Schw\u00e4che der objektiven Reizung bleibt daher ihr chromatischer Effekt f\u00fcr das Bewufstsein \u00fcberhaupt unter der Schwelle, er ist so gut wie nicht vorhanden, w\u00e4hrend ihr Weifseffekt, die \u201eweifse Valenz\u201c des betreffenden Lichtes (d. h. eben seine Wirkung auf die Weifssubstanz), rein hervortritt. Das heifst mit anderen Worten zweierlei. Erstens: sehr lichtschwache Farben werden von dem normalen Auge nicht als farbig wahrgenommen, sondern nur als mehr oder minder helle Nuancen Grau. Zweitens: die Helligkeitsverh\u00e4ltnisse solcher lichtschw\u00e4chster Farben sind f\u00fcr den Normalsehenden dieselben wie f\u00fcr den, dem die chromatischen Substanzen \u00fcberhaupt fehlen, n\u00e4mlich f\u00fcr den total Farbenblinden. Das Grauwerden des Dunkelspektrums und die \u00dcbereinstimmung seiner Helligkeitsverteilung mit dem Spektrum des total Farbenblinden sind damit erkl\u00e4rt.\nWeiter. Die Lichtwirkung auf die chromatischen Substanzen ist entweder eine dissimilierende oder eine assimilierende. Nun ist Dissimilation ein Vorgang, der bei der Weifssubstanz verbunden ist mit der Empfindung von Helligkeit, Assimilation umgekehrt verbunden mit der Empfindung von Dunkelheit. Ganz ebenso ist es bei den chromatischen Substanzen und den durch sie vermittelten Farben. Die auf Dissimilationsvorg\u00e4ngen beruhenden Farben (Rot und Gelb) haben eben wegen dieser Fundierung auf Dissimilation an f\u00fcr sich etwas Helles, eine \u201espezifische Helligkeit\u201c, die Assimilationsfarben (Gr\u00fcn und Blau) ganz entsprechend eine \u201espezifische","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nH. Ebbinghaus.\nDunkelheit\u201c; beides ganz abgesehen von derjenigen Helligkeit, die da stets gleichzeitig noch durch die Einwirkung der betreffenden Lichtstrahlen auf die Weifssubstanz hervorgerufen wird. Man denke sich nun, ein sehr lichtschwaches Spektrum werde allm\u00e4hlich aufgehellt, was mufs geschehen? \"Wenn die chromatischen Substanzen so stark affiziert werden, dafs die Wirkung f\u00fcr das Bewufstsein merklich wird, so wird der anf\u00e4nglich farblose Streifen allm\u00e4hlich gef\u00e4rbt erscheinen. Wo nun z. B. Gelb auftritt, wird die auf Zersetzung der Weifssubstanz beruhende, an sich m\u00e4fsig grofse Helligkeit erheblich vermehrt werden durch die spezifische Helligkeit des Gelb, im Blau dagegen wird sie eine Verminderung erleiden durch dessen spezifische Dunkelheit. Das Bot wird, trotz der sehr geringen Weifswirkung der langwelligen Strahlen, doch noch den Eindruck einer gewissen Helligkeit bedingen als Dissimilationsfarbe, w\u00e4hrend im Gr\u00fcn die hier urspr\u00fcnglich maximale Helligkeit wieder eine Herabsetzung erfahren mufs wegen seines Assimilationscharakters. Alles dies um so mehr, je mehr durch Steigerung der Lichtintensit\u00e4t die zuerst relativ st\u00e4rkere Erregbarkeit der Weifssubstanz zur\u00fccktritt. Das heifst also: nach der Konsequenz der HEEixoschen Vorstellungen m\u00fcssen bei gleicher Zunahme der objektiven Lichtst\u00e4rke die langwelligen Farben relativ heller, die kurzwelligen relativ dunkler werden, zugleich mufs sich das Helligkeitsmaximum des Spektrums aus der Gegend des Gr\u00fcn nach Gelb verschieben, ganz wie es thats\u00e4chlich der Fall ist. Damit hat auch das sog. P\u00fcRKiNJEsche Ph\u00e4nomen seine Erkl\u00e4rung gefunden.\nJedoch \u2014 auch hier giebt es leider ein jedoch. Die Dinge, die sich in den grofsen Z\u00fcgen nach HuRiNGschen Prinzipien so vortrefflich zurechtlegen, thun es nicht mehr in den kleinen Z\u00fcgen. Sowie man sehr genau zusieht, zeigt sich bei gen\u00fcgend ausgiebiger Verminderung oder Vermehrung der objektiven Helligkeit der Farben eine Eigent\u00fcmlichkeit, die der HERiNGschen Theorie eine grofse Schwierigkeit bereitet. Worin sie besteht, setze ich zun\u00e4chst f\u00fcr den einfacheren Fall der Farbenblindheit auseinander.\n6. Der Antagonismus der Gegenfarben. Man betrachte die Kurven der Figg. 1 und 2. Sie sind lediglich eine graphische Wiedergabe von Beobachtungsresultaten, ohne","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n169\njede Einmischung einer Theorie. Sie stellen dar, wie einem sog. Gr\u00fcnblinden ein Gaslichtspektrum erscheint, und zwar indem sie zugleich erkennen lassen, wie die verschiedenen\n670 625 590-\n555 535 520 505 U90\nMg. 1.\n685 650 625\t590\t555 535 520 505 590\nFig. 3.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nH. Ebbinghaus.\nFarbennuancen dieses Spektrums f\u00fcr ihn durch Mischung auseinander gewonnen werden k\u00f6nnen.1 Fig. 1 gilt f\u00fcr das Spektrum bei sehr geringer Lichtst\u00e4rke. Es zeigt dann, wie \u00f6fters erw\u00e4hnt, nur eine einzige Farbe, n\u00e4mlich Weifs oder vielmehr Grau, die ihre gr\u00f6fste Helligkeit etwa bei 535 pp hat. Man kann also durch passende Abschw\u00e4chung des Lichtes dieser Stelle Gleichheit mit jeder beliebigen anderen Stelle erzielen, und auch umgekehrt durch passende Verst\u00e4rkung des Lichtes jeder anderen Stelle oder durch passende Mischung des Lichtes mehrerer Stellen den Eindruck der Stelle 535 pp hervorrufen. Fig. 2 bezieht sich auf das Spektrum bei ziemlich starker Lichtintensit\u00e4t. Der Farbenblinde sieht dann zwei Farben; die eine in gr\u00f6fster Reinheit am langwelligen Ende, Gelb, die andere am kurzwelligen Ende, Blau. In den mittleren Partien sieht er geringere S\u00e4ttigungsgrade jener Farben, einerseits von Gelb, andererseits von Blau. Um die verschiedenen Farbent\u00f6ne durch Mischung auseinander herzustellen, braucht er innerhalb jeder Endstrecke nur das Licht einer beliebigen ihr angeh\u00f6rigen Stelle passend abzuschw\u00e4chen oder zu verst\u00e4rken; f\u00fcr das mittlere Gebiet mufs er einem gewissen Quantum Licht der einen Endstrecke ein passend gew\u00e4hltes Quantum der anderen hinzuf\u00fcgen.\nNun existiert f\u00fcr den Farbenblinden auch in dem lichtstarken Spektrum stets eine Stelle, die ihm die Empfindung Weifs giebt, genauer: die Empfindung des unzerlegten Lichtes, von dem das Spektrum herr\u00fchrt. Sie liegt in dem gegenw\u00e4rtigen Falle (also f\u00fcr Gaslicht) bei rund b20 pp] auf eine Ungenauigkeit von 5 oder 10 pp kommt es f\u00fcr das folgende durchaus nicht an. Aus Fig. 2 ist sofort ersichtlich, dafs man den Eindruck, den das Licht dieser Stelle macht, durch Mischung erzielen kann, wenn man z. B. das Licht der Stellen 685 pp\n1 Fig. 1 repr\u00e4sentiert die von A. K\u00f6nig bei dem Farbenblinden Brodhun beobachtete Helligkeitsverteilung des Dunkelspektrums. Die betreffenden Zahlen finden sich Helmholtz - Festschrift, S. 341 (Sep.-Ausg., S. 37) (Kol. A der Helligkeitswerte). Die Zahlen zu Fig. 2 sind der soeben erschienenen Arbeit von K\u00f6nig und Dietekici entnommen (Diese Zeitschr. IV S. 275, Kolumne Wt und K f\u00fcr Dispersions-Spektrum). Sie geben f\u00fcr denselben Farbenblinden die relative Verteilung der Empfindungen Gelb und Blau in dem lichtstarken Spektrum an und haben, wie ich nochmals hervorhebe, mit den spezifischen Theorien der beiden Autoren \u00fcber Grundempfindungen absolut nichts zu thun.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n171\nund 432 [j[i vereinigt, oder auch, wenn man etwa 1/s des Lichtes aus der Gegend der Natriumlinie D nimmt und ein reichliches Viertel aus der Gegend von 470 (i[i hinzuf\u00fcgt. Aus Fig. 1 dagegen ist ganz ebenso ersichtlich, dafs die Herstellung solcher Gleichungen f\u00fcr das stark verdunkelte Spektrum absolut unm\u00f6glich ist. Aus einer Vereinigung des Lichtes von 685 und 432 [i[i gewinnt man nur einen ganz geringen Bruchteil der Helligkeit von 520^; das gesamte Licht der Stelle H, vermehrt um das gesamte der Stelle 470 [ifi, giebt erst ungef\u00e4hr die H\u00e4lfte des Lichtes von 520 fi/j,.\nMit anderen Worten heilst das folgendes: Schneidet ein Farbenblinder aus einem Spektrum einerseits die ihm weifs aussehende Stelle heraus und stellt andererseits durch Mischung aus entfernter gelegenen Stellen ein dem ersten v\u00f6llig gleich aussehendes Weifs her, setzt er dann die objektive Helligkeit beider Felder in gleichem Mafse und ziemlich stark herab, so wird das durch Mischung hergestellte weifse Feld sehr viel st\u00e4rker dunkeln, als das mit homogenem Lichte erleuchtete. Gleich aussehendes Licht wird bei v\u00f6llig gleicher Behandlung ganz und gar verschieden.\nDamit diese Folgerung aus bisherigen Beobachtungen nicht eine blofse Folgerung sei, hatte der Farbenblinde von dem hier die Hede ist (Hr. E. Brobhuk) die Freundlichkeit, das Experiment f\u00fcr mich anzustellen. Das Resultat war frappant. Stellte er in der beschriebenen Weise bei starkem Lichte eine Gleichung her und verminderte dann die objektive Helligkeit beiderseits gleichm\u00e4fsig, so verschwand das durch Mischung erleuchtete Feld bereits vollst\u00e4ndig, w\u00e4hrend das monochromatische noch \u00fcberaus deutlich sichtbar blieb, und zwar l\u00e4ngst ehe jene Grade der Dunkelheit erreicht waren, an die man sich erst durch l\u00e4ngeren Aufenthalt adaptieren mufs. Wurde umgekehrt eine Gleichung zwischen den beiden Weifs bei schwacher Intensit\u00e4t hergestellt und das objektive Licht dann beiderseits gleichm\u00e4fsig verst\u00e4rkt, so wurde das gemischte Feld unvergleichlich viel heller, als das andere. Die Unterschiede waren so bedeutend, dafs dagegen jede M\u00f6glichkeit einer T\u00e4uschung, etwa durch die Unsicherheit der Vergleichung bei schwachem Lichte, ganz und gar verschwand.\nMit der HERiNGschen Theorie steht dieses Verhalten durch-aus in Widerspruch. Nach ihr ist die Empfindung Weifs stets","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nH. Ebbinghaus.\ndie \u00e4usschliefsliche Folge einer Wirkung auf die Weifssubstanz. Wird homogenes Licht weifs gesehen, wie von dem Farbenblinden an seiner neutralen Stelle des Spektrums, so r\u00fchrt das daher, dafs die betreffenden Lichtstrahlen von vornherein \u00fcberhaupt nur die Weifssubstanz affizieren. Erzeugt man Weifs durch Mischung komplement\u00e4ren Lichtes, so bestehen zwar Tendenzen, auch die chromatischen Substanzen in Mitleidenschaft zu ziehen, allein die Dissimilations- und Assimilationsprozesse, die in ihnen ohne die Mischung zu st\u00e4nde kommen w\u00fcrden, paralysieren sich jetzt, und \u00fcbrig bleibt wieder nur die Wirkung auf die Weifssubstanz. Gleichzeitig ist die Art und Weise, wie diese Weifssubstanz von den Strahlen verschiedener Wellenl\u00e4nge erregt wird, ann\u00e4hernd dieselbe f\u00fcr schwaches Licht und f\u00fcr starkes Licht, denn das lichtschwache Spektrum des Normalsehenden und das lichtstarke Spektrum des total Farbenblinden stimmen ja \u00fcberein.1 So sieht Hering die Dinge an. Daraus folgt als notwendige Konsequenz: wenn man, ganz einerlei, in welcher physikalischen Zusammensetzung, zweimal Weifs mischt, und diese beiden Weifs f\u00fcr eine gewisse Lichtst\u00e4rke gleich hell macht, dann sind sie auch f\u00fcr alle anderen Lichtst\u00e4rken gleich hell. Denn die Helligkeit der beiden Weifs besteht in nichts anderem, als in der Summe der Weifswerte ihrer Komponenten (d. h. in der Summe ihrer Wirkungen auf die Weifssubstanz, die bei schw\u00e4chstem Licht isoliert hervortreten). Sind aber zwei solcher Summen f\u00fcr irgend eine objektive Lichtst\u00e4rke einander gleich, so bleiben sie es auch bei \u00c4nderungen dieser Lichtst\u00e4rke. Und diese notwendige Konsequenz nun ist, wie wir sahen, f\u00fcr den Farbenblinden thats\u00e4chlich unrichtig.\nGanz Entsprechendes aber gilt auch f\u00fcr den Farbent\u00fcchtigen. Man mufs nur, um sich davon zu \u00fcberzeugen, nicht etwa Kreiselgleichungen mit Pigmentpapieren benutzen. Diese enthalten physikalisch auf beiden Seiten \u00fcberwiegend dieselben Lichtstrahlen oder sie sind gar physikalisch v\u00f6llig identisch (wie z. B. Gleichungen aus blauem und gelbem Papier einer-\n1 Aufserdem erwiesen sich auch die von dem total Farbenblinden Herings hergestellten Gleichungen als unabh\u00e4ngig von der absoluten Intensit\u00e4t der Lichter. Hering, Untersuchung u. s. w. Pfl\u00fcgers Archiv 49, S. 595.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n173\nseits und schwarzem und weifsem andererseits). Dafs solche Gleichungen bei beliebigen Aenderungen der objektiven Helligkeit ganz oder fast ganz bestehen bleiben m\u00fcssen, ist selbstverst\u00e4ndlich. Vergleicht man aber zwei Grau mit einander, die eine physikalisch m\u00f6glichst verschiedene Zusammensetzung haben, so ergiebt sich f\u00fcr den Farbent\u00fcchtigen dem Wesen nach dasselbe Resultat, wie f\u00fcr den Farbenblinden.\nAn einem Farbenmischapparate des Herrn von Helmholtz, dessen Benutzung mir bei dem Mangel eigener experimenteller H\u00fclfsmittel bereitwilligst gestattet wurde, mischte ich einerseits Weifs aus dem \u00e4ufsersten Rot des Spektrums und dem zugeh\u00f6rigen Blaugr\u00fcn, andererseits gleichfalls Weifs aus dem Gelb etwa der Natriumlinie und dem zugeh\u00f6rigen Blau. Beide Felder wurden auf gleiche Helligkeit gebracht und ihre objektive Lichtst\u00e4rke dann gleichm\u00e4fsig f\u00fcr beide Seiten und sehr stark herabgesetzt. Das aus Rot und Gr\u00fcn gemischte W eifs wurde entschieden heller, als das aus Blau und Gelb bestehende. Die Felder wurden jetzt hei schwacher Beleuchtung wieder gleich hell gemacht und ihre objektive Lichtst\u00e4rke erheblich gesteigert. Das aus Blau und Gelb gemischte Weifs hellte sich entschieden schneller auf, als das Rot und Gr\u00fcn enthaltende. Welches Feld man hier als das der zu untersuchenden Komplement\u00e4rfarben betrachtet, welches als den Repr\u00e4sentanten ihrer Weifs werte, ist nat\u00fcrlich gleichg\u00fcltig. Worauf es ankommt, ist dies: Mischungen von Komplement\u00e4rfarben, die bei sehr schwachem Lichte gleich hell sind, d. h. in der Terminologie Herings, deren weifse Valenzen dieselbe Summe haben, k\u00f6nnen doch bei gew\u00f6hnlichem Lichte ganz verschieden hell aussehen. Und umgekehrt, Mischungen von Komplement\u00e4rfarben, die bei gew\u00f6hnlichem Lichte gleiche Helligkeit zeigen, k\u00f6nnen gleichwohl einen ganz verschiedenen Gesamtwert ihrer weifsen Valenzen besitzen. Die gew\u00f6hnlich sogenannte Helligkeit eines Weifs oder Grau ist also keineswegs allein bestimmt durch die Weifswerte seiner Komponenten, d. h. in der Anschauung Herings, durch die von den Komponenten bewirkte Erregung der Weifssubstanz.\nIch sagte vorhin, hei geeignetem Verfahren ergebe die Aufhellung oder Verdunkelung von urspr\u00fcnglich gleich hellen weifsen Feldern dem","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nH. Ebbinghaus.\nWesen nach dasselbe Resultat f\u00fcr den Farbent\u00fcchtigen, wie f\u00fcr den Farbenblinden, dafs sich n\u00e4mlich ein Unterschied der Helligkeit zwischen beiden Feldern einstellt. Das sollte heifsen, dafs sich der Gr\u00f6fse nach dieser Unterschied durch geeignete Wahl der Mischungskomponenten f\u00fcr das farbenblinde Auge viel drastischer machen l\u00e4fst, als es f\u00fcr das normale Auge m\u00f6glich ist. Der Grund hiervon ist leicht einzusehen. Der Farbenblinde hat ein spektral einfaches Weifs. Dieses ist bei gew\u00f6hnlichem Lichte nicht allzu hell im Verh\u00e4ltnis zu dem \u00fcbrigen Spektrum, gewinnt aber bei schw\u00e4chstem Lichte eine relativ sehr grofse Helligkeit (weifse Valenz). Gleichzeitig kann er Weifs durch Mischung gewinnen aus sehr entlegenen anderen Spektralfarben. Diese kann man ohne Schwierigkeit so w\u00e4hlen, dafs, gerade umgekehrt wie bei dem homogenen Weifs, ihre Weifswerte ganz minimal, ihre Helligkeiten bei gew\u00f6hnlichem Lichte dagegen noch relativ betr\u00e4chtlich sind. So kann man es erreichen, dafs das Mischungsweifs, obschon bei starkem Lichte ebensohell wie das homogene, doch nur einen fast beliebig kleinen Bruchteil von dessen weifser Valenz besitzt. F\u00fcr den Farbent\u00fcchtigen ist das anders. F\u00fcr jedes Weifs braucht er mindestens zwei Komponenten, und f\u00fcr diese ist er an gewisse Entfernungen innerhalb des Spektrums gebunden. W\u00e4hlt er nun z. B. f\u00fcr das eine Weifs eine Komponente von m\u00f6glichst hohem Weifswerte (Gr\u00fcn), so mufs er notwendig eine andere von sehr geringem Weifswerte dazunehmen (Rot oder Violett). F\u00fcr das andere Paar stehen ihm dann, da es doch m\u00f6glichst andere Wellenl\u00e4ngen enthalten soll, nur Farben mittleren Weifswertes zur Verf\u00fcgung. Die Summe der beiderseitigen Weifswerte besteht so einerseits aus einem Maximum und einem Minimum, andererseits aus zwei mittel-grolsen Werten, und es ist klar, dafs man bei noch so geschickter Auswahl der beiden Farbenpaare hinsichtlich der aufserdem zu erzielenden gleichen Helligkeit den Unterschied oder den Quotienten jener beiden Summen nicht \u00fcber gewisse m\u00e4fsige Betr\u00e4ge steigern kann. Genaueres in dieser Hinsicht lehrt die vergleichende Anschauung der Figg. 1, 2 und 5.\nAls erste wesentliche Schwierigkeit gegen die \u00cf\u00cfERiNGsche Theorie ist somit zu konstatieren: Die Helligkeit eines aus Komplement\u00e4rfarben gemischten Grrau ist durch di\u00e9 weifsen Valenzen seiner Komponenten (d. h. durch die Helligkeiten, welche die Komponenten isoliert bei Ausschlufs ihrer chromatischen Wirkung haben) nicht vollkommen bestimmt. Mischungen vielmehr, deren Weifswerte gleich sind, zeigen im allgemeinen bei gr\u00f6fseren Lichtintensit\u00e4ten eine ganz verschiedene Helligkeit, nat\u00fcrlich nur, soweit sie nicht etwa physikalisch identisch sind. Wenn wir nun mit Hering an der Weifssubstanz als einem notwendigen Prinzip f\u00fcr die Erkl\u00e4rung des Parbensehens fest-halten, so m\u00fcssen wir doch hinzuf\u00fcgen : nicht sie ausschliefslich","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n175\nkann die Quelle sein, aus der die Helligkeit der grauen und weifsen Farbenn\u00fcancen stammt. Vielmehr mufs das, was aufser ihr noch vorhanden ist, n\u00e4mlich die chromatischen Substanzen, auch bei der Mischung von Komplement\u00e4rfarben zu der Helligkeit des resultierenden Grau in verschiedenem Mafse beitragen. Ein positive Entstehung von \"Weifs oder Grau aus gewissen gleichzeitigen chromatischen Prozessen \u2014 dieses Leitmotiv der YouNG-HELMHOi/rzschen Theorie \u2014 mufs in der That auch in die HERiNGsche irgendwie wieder hineingenommen werden, wozu \u00fcbrigens Hering durch seinen Begriff der \u201espezifischen Helligkeit\u201c einer Farbe (s. o. S. 167) bereits den Ankn\u00fcpfungspunkt gegeben hat. Und wie oben (S. 166) gewisse Schwierigkeiten bei der Diskussion genauerer Beobachtungen von der HELMHOi/rzschen Theorie hin\u00fcberwiesen auf einen Hauptgedanken der Hering-schen, so weisen jetzt umgekehrt gewisse andere Schwierigkeiten von dieser wieder zur\u00fcck auf jene. To ev \u00e2iatpfQ\u00d4 [isvov\nCtVTO CCVTW %V[Mf\u00e9()STCU.\nNat\u00fcrlich kann unter solchen Umst\u00e4nden der von Hering angenommene Antagonismus der chromatischen Substanzen bei der Einwirkung komplement\u00e4rer Lichter kein voller und absoluter sein. Sondern, obschon eine gewisse Wirkung der chromatischen Erregung, n\u00e4mlich die Farbigkeit im engeren Sinne, die Buntheit, durch die gleichzeitige komplement\u00e4re Erregung zu Grunde geht, so mufs doch eine gewisse andere Wirkung erhalten bleiben, n\u00e4mlich eben jener hier postulierte, verschieden grofse Beitrag zu der Helligkeit des Mischungsproduktes, der \u00fcber die weifsen Valenzen der Komponenten hinausgeht.\nBehufs m\u00f6glichst zwingender Entwickelung der vorstehenden wichtigen Folgerung war eine gewisse Breite nicht zu vermeiden; zwei weitere Schwierigkeiten lassen sich jetzt in gr\u00f6fserer K\u00fcrze vorf\u00fchren.\nVorher verweise ich noch beil\u00e4ufig auf ein Resultat der K\u00f6tfiGSchen Untersuchungen, in dem jene Differenz zwischen den Helligkeiten und den weifsen Valenzen von Farbenmischungen gleichsam kumuliert f\u00fcr das ganze Spektrum zum Ausdruck kommt,, welches aber zu seiner Interpretation eines Satzes bedarf, den ich hier nur behaupten und nicht beweisen kann. Es handelt sich wieder um den Farbenblinden. Die beiden Kurven der Fig. 3 stellen dar, wie in dem Gaslichtspektrum eines Gr\u00fcnblinden, ganz ohne R\u00fccksicht auf Verschiedenheiten der F\u00e4rbung,","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nH. Ebbinghaus.\ndie von ihm gesehenen Helligkeiten verteilt sind.1 Die Kurve i gilt f\u00fcr das lichtschwache Spektrum und ist nat\u00fcrlich identisch mit der Kurve der obigen Fig. 1. Kurve J bezieht sich auf das lichtstarke Spektrum und vereinigt in einer bestimmten Weise die beiden Kurven der Fig. 2. Bei 520 uu ist wieder die ungef\u00e4hre Stelle bezeichnet, an der der Farbenblinde in dem Spektrum die Farbe des unzerlegten Lichtes sieht. Der Anblick der Figur lehrt nun sofort, dafs ein Ausschnitt von m\u00e4fsiger Breite in der Gegend von 520 tiu aus der von der Kurve i umschlossenen Fl\u00e4che ein im Verh\u00e4ltnis zu deren Gesamtinhalt sehr viel gr\u00f6fseres St\u00fcck herausschneidet, als ein Ausschnitt von gleicher Breite aus der Fl\u00e4che der Kurve J. Man wird sch\u00e4tzungsweise sagen\n555\t535 520 505 VJO\nFig. 3.\ndas Verh\u00e4ltnis der zu i geh\u00f6rigen Ordinate f\u00fcr 520 uu zu der Gesamtfl\u00e4che von i ist etwa das Vierfache von dem Verh\u00e4ltnis der ebendort gelegenen Ordinate von J zu der Gesamtfl\u00e4che dieser Kurve. Mit anderen Worten heifst das: F\u00fcr den Farbenblinden ist bei geringer Lichtintensit\u00e4t die Helligkeit der neutralen Stelle ein sehr viel gr\u00f6fserer Bruchteil der Gesamthelligkeit des \u00fcbrigen Spektrums, als bei starker Lichtintensit\u00e4t. Nun behaupte ich, und das ist eben der Satz, den ich hier nur behaupte und nicht beweise: wenn Komplement\u00e4rfarben zu Weifs gemischt\n1 Die beiden Kurveo sind eine graphische Darstellung der von A. K\u00f6nig (Helmholtz-Festschrift, S. 341, Sep.-Ausg., S. 37) f\u00fcr Brodhun gegebenen Beobachtungsresultate. Nat\u00fcrlich haben die Ordinatenh\u00f6hen der einen Kurve gar keine Beziehung zu denen der anderen; es kommt nur auf ihre Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse innerhalb jeder Kurve f\u00fcr sich an.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n177\nwerden, so ist die Helligkeit der Mischung (mindestens ann\u00e4hernd) gleich der Summe der Helligkeiten der Komponenten. Die Helligkeiten (und nicht, wie Hering will, die weifsen Valenzen) von Komplement\u00e4rfarben, die Helligkeiten hei eben der Lichtintensit\u00e4t, hei der die Mischung geschieht, sind das, was mafsgebend ist f\u00fcr die Helligkeit des aus ihnen gemischten Grau; sie setzen sich einfach zusammen zu der Helligkeit der Mischung.1 Ein befriedigender experimenteller Beweis dieses Satzes ist schwierig, weil die Feststellung der Helligkeit einer Farbe bei gew\u00f6hnlichem Lichte eine unsichere Sache ist.* * Aber seien auch f\u00fcr solche, die den Satz nicht ohne Einschr\u00e4nkung zulassen m\u00f6chten, von vornherein 10 oder gar 50% Verlust an Helligkeit bei dem Zusammentreten von Komplement\u00e4rfarben zu Grau zugestanden, so wird das folgende deshalb doch noch nicht unrichtig. Man acceptiere also den Satz einstweilen und denke sich folgendes Experiment. Ein Farbenblinder schneidet aus einem sehr lichtschwachen Spektrum die neutrale Stelle in einer gewissen Breite heraus, vereinigt alle \u00fcbrigen Strahlen in einem Felde von gleicher Breite und stellt irgendwie fest, welches Helligkeitsverh\u00e4ltnis zwischen den beiden resultierenden Grau besteht. Dann thut er dasselbe f\u00fcr ein lichtstarkes Spektrum. Da dessen s\u00e4mtliche Strahlen, vermindert um die neutrale Stelle, wieder Weifs geben m\u00fcssen, so hat er auch hier zwei weifse Felder; ferner ist die Helligkeit des durch Mischung erhaltenen Weifs ann\u00e4hernd gleich der Summe der Helligkeiten der unvereinigten Strahlen. Der Farbenblinde mufs also finden, dafs jetzt das Helligkeitsverh\u00e4ltnis der beiden Felder ein total anderes geworden ist; der Quotient: neutrale Stelle durch Gesamtspektrum, ist auf einen Bruchteil seines urspr\u00fcnglichen Wertes gesunken (auf etwa V\u00ab, wenn der angenommene H\u00fclfssatz genau richtig ist).\nIch meine, das zeigt deutlich, wie die Erregung der chromatischen Substanzen, auch wenn ihre chromatischen Effekte im engeren Sinne (die Farben) durch komplement\u00e4re Erregung kompensiert werden, deshalb doch nicht wirkungslos bleibt f\u00fcr das Sehen. Sie liefern immer noch einen Beitrag zu der Helligkeit der Mischung; und Mischungen, in\n1 Soviel w\u00fcrde also \u00fcbrig bleiben von dem bekannten Gbassmann-schen Satz, dafs die gesamte \u201eLichtintensit\u00e4t\u201c einer Mischung von Farben gleich ist der Summe der Intensit\u00e4ten der Komponenten (Po g g. Ann. 89, S. 83). F\u00fcr die Mischung kurzwelliger Farben untereinander oder langwelliger Farben untereinander ist der Satz falsch, nur f\u00fcr den bestimmten Fall der Komplement\u00e4rfarben gilt er. Nat\u00fcrlich h\u00e4ngt das damit zusammen, dafs rationeller weise die Helligkeit einer Farbe durch Beziehung auf etwas aus Komplement\u00e4rfarben Zusammengesetztes (n\u00e4mlich auf Grau) bestimmt wird, indes gehe ich darauf hier nicht weiter ein.\n* Einige, den Satz best\u00e4tigende Versuche mit Pigmentpapieren liegen vor von Rood, Sillimanns Journ. (3) XV, S. 81 (1878). F\u00fcr das gleiche Material kann ich die Richtigkeit gleichfalls verb\u00fcrgen, mit einer Genauigkeit von 5\u20148 %. Allein auf solches Material ist nicht allzuviel zu geben.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nH. Ebbinghaus.\ndenen sie relativ stark affiziert werden, werden daher auch beim \u00dcbergang von schwachem zu starkem Lichte relativ st\u00e4rker aufgehellt, als solche, in denen sie wenig beteiligt sind. Wie sich diese Vorstellungen konkret gestalten lassen, wird sich weiterhin zeigen.\nNach den Anschauungen Herings dagegen ist das ganze Verhalten unverst\u00e4ndlich. \u00dcberall, wo Weifs empfunden wird, haben wir nach ihm lediglich Zersetzung der Weifssubstanz. Die relative St\u00e4rke, mit der die einzelnen Lichtstrahlen auf diese Substanz wirken, ist ungef\u00e4hr dieselbe f\u00fcr schwaches Licht,wie f\u00fcr starkes Licht; daher ja die \u00dcbereinstimmung zwischen dem Spektrum des total Farbenblinden und dem Dunkelspektrum des Farbent\u00fcchtigen. Das Verh\u00e4ltnis zwischen dem Weifs der neutralen Stelle zu dem gesamten, von dem \u00fcbrigen Spektrum gelieferten Weifs mufs also hier bei jeder Lichtst\u00e4rke ungef\u00e4hr dieselbe Gr\u00f6fse haben. Da, wo die langwelligen Strahlen isoliert wirken, findet freilich eine Steigerung der von der Weifssubstanz gelieferten Helligkeit statt, aber daf\u00fcr da, wo die kurzwelligen wirken, eine Verminderung, und wenn diese beiden Strahlengattungen aus dem ganzen Spektrum zu-sammengemischt werden, heben sich Steigerung und Verminderung wieder gerade auf.\n7. Dissimilierung und Assimilierung. Wie bereits erw\u00e4hnt, steht die auseinandergesetzte Schwierigkeit gegen die Theorie der Gegenfarben in ihrer bisherigen Form nicht allein ; andere Bedenken gesellen sich ihr hinzu. Das n\u00e4chstwichtige betrifft die Erregung der gegenfarbigen Prozesse durch spektrales Licht.\nHering denkt sich bekanntlich, dafs die verschiedenen Strahlen des Spektrums auf jede der chromatischen Substanzen, soweit sie sie \u00fcberhaupt affizieren, entweder nur die eine oder nur die andere der beiden an ihnen m\u00f6glichen und antagonistischen Wirkungen aus\u00fcben. Auf die Blaugelbsubstanz z. B. wirken die langwelligen Strahlen nur dissimilierend, die kurzwelligen nur,assimilier end, und ein schmales B\u00fcndel von Strahlen mittlerer Wellenl\u00e4nge ist \u00fcberhaupt wirkungslos. Bei der Rotgr\u00fcnsubstanz entsteht Dissimilation und nur diese durch Strahlen aus den beiden Endstrecken des Spektrums, ausschliefsliche Assimilation durch solche aus dem mittleren Drittel; an zwei engbegrenzten Stellen zwischen diesen drei Strecken, n\u00e4mlich da, wo reines Gelb und reines Blau gesehen wird, findet gar keine Einwirkung auf die Rotgr\u00fcnsubstanz statt.1 Bei der\n1 Hering, Zar Lehre vom Lichtsinn, S. 120. Auch z. B. neuerdings. Pr\u00fcfung der sogenannten Farbendreiecke u. s. w., Pfl\u00fcg ers Arch., Bd. 47, S. 426. Anm. 1 (1890).","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n179\nIdentifizierung der chromatischen Prozesse mit Dissimilierung und Assimilierung gewisser Stoffe sind solche Vorstellungen auch ganz nat\u00fcrlich und notwendig. Denn man kann doch nicht wohl denselben Lichtstrahlen die F\u00e4higkeit zuschreiben, wie dem Speer des Achilles, denselben K\u00f6rper gleichzeitig zu zerst\u00f6ren und wiederaufzubauen.\nDie Haltbarkeit dieser Auffassung war mir gleichwohl schon lange fraglich, aber aus einem nicht gen\u00fcgend zwingenden Grunde. Wie ich oben (S. 155) als Argument gegen eine Modifikation der HELMHOLTZschen Theorie bereits anf\u00fchrte, reduziert sich das Spektrum bei abnehmender Intensit\u00e4t des objektiven Lichtes eine Zeitlang auf drei unmittelbar nebeneinanderstehende Farben, Hot, Gr\u00fcn und Bl\u00e4uviolett, zwischen denen das Gelb und die \u00fcbrigen Farbent\u00f6ne verschwunden sind. Rot und Gr\u00fcn stofsen z. B. in der Gegend, wo gew\u00f6hnlich Gelbgr\u00fcn gesehen wird, unmittelbar aneinander; bis hierher erstrecken sich also, nach HERiNGscher Anschauung, einerseits die dissimilierenden, andererseits die assimilierenden Wirkungen des Lichtes schwacher Intensit\u00e4t auf die Rotgr\u00fcnsubstanz. Nun findet man durchweg, wenn man die Intensit\u00e4t spektralen Lichtes, das irgend eine Wirkung auf eine Substanz aus\u00fcbt, verst\u00e4rkt, dafs dann diese Wirkung sozusagen weiterfrifst, d. h. dafs eine Wirkung, die bei schwachem Lichte bis zu einer gewissen Grenze geht, bei st\u00e4rkerem diese Grenze \u00fcberschreitet und auch schon von benachbarten Strahlen ausge\u00fcbt wird. Photographiert man z. B. ein Spektrum mit einer gew\u00f6hnlichen Chlorsilberplatte, so erstreckt sich die Zersetzung f\u00fcr gleiche Expositionszeiten bei einem lichtstarken Spektrum weiter nach dem Gr\u00fcn hinein, als bei einem lichtschwachen Spektrum. Man m\u00fcfste demnach auch bei unserer Rotgr\u00fcnsubstanz erwarten, dafs die antagonistischen Wirkungen des Lichtes da, wo sie bei schwacher Intensit\u00e4t schon hart aneinanderstofsen, bei starker etwas \u00fcber einander und wechselseitig ineinander hineingriffen. Nach Hering aber f\u00e4nde vielmehr das Gegenteil statt. Bei einer Aufhellung des Spektrums schiebt sich an der vormaligen Grenze zwischen Rot und Gr\u00fcn ein, wenn auch nur schmaler Streifen reinen Gelbs ein, der namentlich das Rot etwas zur\u00fcckdr\u00fcckt, nach dem langwelligen Ende des Spektrums zu. Innerhalb dieses Streifens soll nach Hering gar keine Wirkung auf die Rotgr\u00fcnsubstanz bestehen. Es w\u00fcrde sich also die dissi-\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nH. Ebbinghaus.\nmilierende Kraft gewisser Lichtstrahlen, die hei schwachem Lichte schon bis zu einer gewissen Grenze ging, bei Verst\u00e4rkung der Lichtintensit\u00e4t von dieser Grenze etwas zur\u00fcckgezogen haben, statt vielmehr sie etwas zu \u00fcberschreiten; ganz entgegengesetzt allem, was sonst bekannt ist.\nWie gleich von vornherein gesagt, meine ich damit nicht einen genugthuenden Beweis gegen die HERlN\u00f6sche Vorstellung von dem gesonderten Nebeneinander der gegenfarbigen Prozesse im Spektrum zu geben; immerhin bildete die angef\u00fchrte That-sache bereits ein gewisses Indicium gegen sie. Die soeben ver\u00f6ffentlichten spektralen Farbenmischungen von K\u00f6nig und Dieterici gestatten jetzt eine sichere Entscheidung : eine Modifikation der Auffassung der Gegenfarben in diesem Punkte ist unvermeidlich geworden.\nMan wolle sich die eingehende Diskussion, die ich oben (No. 4) von einigen der K\u00f6NlG-DiETERlcischen Farbengleichungen gegeben habe, wieder vergegenw\u00e4rtigen. Die Gleichungen IV, (S. 159 Anm.), das war das Resultat, k\u00f6nnen auf gar keine Weise anders erkl\u00e4rt werden, als durch die Annahme, dafs das normale Auge im Gelbgr\u00fcn relativ unges\u00e4ttigte, weifsliche Farben sieht, dafs also die Strahlen dieser Gegend einen relativ hohen Weifswert haben. Woher diese Weifslichkeit im Sinne der HERiNGschen Theorie? Von der Weilssubstanz? Zum Teil gewifs; aber ebenso gewifs nur zum Teil, und nicht ausschliefslich. Denn die Weifssubstanz hat das Maximum ihrer Erregbarkeit im Gaslichtspektrum etwa bei 535 pp, und von da nach dem Gelb hin nimmt ihre Erregbarkeit allm\u00e4hlich ab. Jene Weifslichkeit der Farben aber nimmt umgekehrt laut Aussage der Gleichungen IV von 536 pp nach dem Gelb hin zun\u00e4chst vielmehr etwas zu. Aufserdem kann die Weifslichkeit dieser Farben t\u00f6ne f\u00fcr das farbenblinde Auge bei weitem nicht in dem Mafse bestehen, wie f\u00fcr das normale ; denn dessen Empfindlichkeit gegen S\u00e4ttigungsunterschiede ist hier erheblich gr\u00f6fser. An der Weifssubstanz aber partizipiert der Farbenblinde so gut, wie der Farbent\u00fcchtige.\nDer Unterschied zwischen dem Farbenblinden und dem Farbent\u00fcchtigen f\u00fchrt auf den richtigen Weg. Der Grund der relativ hohen Weifslichkeit der gelbgr\u00fcnen Farbent\u00f6ne bei dem letzteren kann nur an etwas liegen, was er hat und der Farbenblinde nicht hat. Das ist nach Hering die Rotgr\u00fcnsubstanz.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n181\nAber freilich, die F\u00e4higkeit, das Spektrum stellenweise weifs-licher zu machen, kann diese nur besitzen, wenn man ihre Auffassung in zwei wesentlichen Punkten gegen die von Hering ausgebildete modifiziert. Die eine Modifikation haben wir vorhin schon vorgenommen (No. 6). Werden die beiden an der Hotgr\u00fcnsubstanz m\u00f6glichen antagonistischen Prozesse durch Mischung homogener Strahlen gleichzeitig hervorgerufen, so paralysieren sie sich in gewisser Weise: der farbige Charakter, den bei isolierter Erregung die hervorgerufenen Empfindungen zeigen, geht verloren. Aber in gewisser anderer Weise, wurden wir anzunehmen gedr\u00e4ngt, paralysieren sie sich nicht: die sonst mit dem chromatischen Charakter behafteten Empfindungen der Helligkeit bleiben \u2014 jetzt ohne diesen Charakter \u2014 bestehen und verst\u00e4rken die ganz gleichartige Empfindung von unget\u00f6nter Helligkeit, d. h. Weifs, die stets durch Erregung der Weifssubstanz hervorgerufen wird.\nJetzt f\u00fcge ich eine zweite Modifikation hinzu. Jene gleichzeitige Erregung der beiden antagonistischen Prozesse der Hotgr\u00fcnsub stanz findet nicht nur statt, wenn verschiedene homogene Strahlengattungen gemischt werden, sondern sie kommt gewissen homogenen Strahlen ohne weiteres und an sich zu. Eben die Strahlen aus der Gregend von Orange bis Gelbgr\u00fcn, in der das normale Auge gegen S\u00e4ttigungsunterschiede ziemlich unempfindlich ist (s. o. S. 161), haben die F\u00e4higkeit, die antagonistischen Prozesse der Rotgr\u00fcnsubstanz in verschiedener relativer St\u00e4rke gleichzeitig hervorzurufen und dadurch das Spektrum in dieser Gegend relativ weifslich zu machen. Die antagonistischen Prozesse greifen hier partiell \u00fcbereinander, und zwar um so mehr, je gr\u00f6fser die objektive Helligkeit des Lichtes ist.\nDamit mufs nat\u00fcrlich die Identifizierung jener antagonistischen Prozesse mit Dissimilierung und Assimilierung eines gewissen Stoffes preisgegeben werden. Man kann doch nicht, wie schon gesagt, denselben Lichtstrahlen die Kraft beilegen, dieselbe Substanz gleichzeitig zu zersetzen und zu regenerieren. Es handelt sich also, nehme ich an, bei den eigentlichen chromatischen Prozessen gar nicht um Assimilationen, sondern lediglich um Dissimilationen, um Zersetzungsprozesse, und zwar um Zersetzungsprozesse von partiell antagonistischem Charakter. \u00dcber die Natur solcher Prozesse empfangen wir. wie sich bald","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"H. Ebbinghaus.\n182\nzeigen wird, durch das Auge selbst vollkommenste und ausreichendste Aufkl\u00e4rung. Dafs aber dieses Preisgeben der Assimilation in der ihr von Hering zugeschriebenen Bedeutung ein besonders unwillkommenes Opfer sei, wird man schwerlich finden, wenn man sich vergegenw\u00e4rtigt, welchem Widerstreben gerade diese Vorstellung bei Physiologen begegnet ist, die im \u00fcbrigen durchaus den HERiN\u00f6schen Anschauungen zuneigten.\n8. Die beiden Typen der Farbenblin dheit. Eine dritte Schwierigkeit ist schon \u00f6fter gegen Hering geltend gemacht worden; ich erw\u00e4hne sie nur, weil nachher iltre Beseitigung zur Sprache kommen wird, ohne sie eingehender zu behandeln.\nDie sogenannten Farbenblinden sondern sich, wie oben (S. 153 u. 156) bereits kurz bemerkt, in zwei typisch verschiedene Gruppen,, sog. Eotblinde und sog. Gr\u00fcnblinde. Die Namen beruhen auf gewissen theoretischen (und, wenn diese Abhandlung richtig ist, unzutreffenden) Voraussetzungen; sie sind durchaus nicht eigentlich zu verstehen. Die Angeh\u00f6rigen beider Gruppen sind vielmehr zweifellos gleichzeitig rot- und gr\u00fcnblind, d. h. der Eindruck, den dem normalen Auge die Farben Hot und Gr\u00fcn machen, ist ihnen unbekannt. Sie sehen, abgesehen von den verschiedenen Schattierungen Grau, alles allein in die Farben Blau und Gelb gekleidet, verschieden ist nur die Art, wie ihnen in bestimmten F\u00e4llen die Helligkeits- und S\u00e4ttigungsgrade dieser Farben erscheinen. Im Spektrum z. B. sehen die Gr\u00fcnblinden die gr\u00f6fste Helligkeit ungef\u00e4hr da, wo auch das normale Auge; demzufolge sehen sie auch das rote Ende des Spektrums und \u00fcberhaupt rote Farben relativ hell. Den Hot-blinden dagegen ist die hellste Stelle des Spektrums nicht unerheblich nach dem Gelbgr\u00fcn hin verschoben; zugleich machen ihnen die roten Spektral- und Pigmentfarben den Eindruck relativ dunkler Farbent\u00f6ne. Auf dem Boden einer im grofsen und ganzen gleichartigen Abnormit\u00e4t stehen die Gr\u00fcnblinden sozusagen den Normalsehenden, die Botblinden dagegen den total Farbenblinden etwas n\u00e4her. Und dabei bilden diese Verschiedenheiten nicht etwa die extremen Glieder einer durch Zwischenstufen kontinuierlich verbundenen Eeihe, sondern je genauer die Untersuchung der einzelnen F\u00e4lle","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"\u00efheorie des Farbensehens.\n183\ngewesen ist, desto sicherer hat sich gezeigt, dafs die Zwischenstufen \u00fcberhaupt fehlen und alle Farbenblinden entweder der einen oder der anderen Gruppe angeh\u00f6ren.1\nZur Erkl\u00e4rung dieser Eigent\u00fcmlichkeit beruft sich Hering wesentlich auf die verschieden starke Pigmentierung des gelben Flecks in der menschlichen Netzhaut, die als solche jedenfalls thats\u00e4chlich vorhanden ist, auch bei normalsehenden Individuen. Ist die gelbe F\u00e4rbung dieser Stelle relativ stark, so werden die blauen und blaugr\u00fcnen Strahlen des Spektrums relativ stark absorbiert; das relative Schwergewicht f\u00e4llt also auf die \u00fcbrigbleibenden, die gelben und roten. Sogenannte Gr\u00fcnblindheit ist nach Hering identisch mit relativer Gelbsichtigkeit. Ist die Macula dagegen schwach pigmentiert, so gehen die kurzwelligen Strahlen relativ ungeschw\u00e4cht durch, die langwelligen haben im Verh\u00e4ltnis zu ihnen ein geringeres \u00dcbergewicht und erscheinen also relativ dunkler. Sogenannte Rotblindheit ist identisch mit relativer Blausichtigkeit.\nDiese Annahme war von vornherein nicht gerade wahrscheinlich. Es mufste seltsam erscheinen, dafs die Natur in den Absorptionsverh\u00e4ltnissen des gelben Fleckes mit Vorliebe zwei extreme Stufen und nicht auch mit einiger H\u00e4ufigkeit mittlere Grade verwirklicht haben sollte. Allein mit einem solchen Bedenken liefs sich nat\u00fcrlich nicht argumentieren. K\u00fcrzlich hat ein Assistent Herings, M. Sachs, die Sache dadurch zu kl\u00e4ren gesucht, dafs er an einer Anzahl von Netzh\u00e4uten direkt die thats\u00e4chliche Gr\u00f6fse der macularen Lichtabsorption f\u00fcr verschiedene Wellenl\u00e4ngen ermittelte.2 Wenigstens bezeichnet er ausdr\u00fccklich als seine Absicht, \u201edie Gr\u00f6fse der spezifischen Absorption der Macula und damit die Gr\u00f6fse der durch diese Absorption veranlafsten individuellen Verschiedenheiten der Farbenempfindung festzustellen.\u201c3 Leider aber konnte er hierbei die Netzh\u00e4ute nicht unterschiedslos\n1\tUnter den bisher am genauesten untersuchten 18 F\u00e4llen von Bonders (Gr\u00e4fes Archiv 30, 1, S. 71 ff.) und 4 von A. K\u00f6nig waren 12 Gr\u00fcnblinde und 10 Kotblinde. \u00dcbergangsformen fehlten. Fr\u00fchere Beobachtungen von Donders, nach denen auch \u00dcberg\u00e4nge Vorkommen sollten, waren ungenauer gewesen.\n2\tM. Sachs, \u00dcber die spezifische Lichtabsorption des gelben Fleckes der Netzhaut. Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 50, S. 574 (1891).\n8 Sachs, a. a. O.. S. 579.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nH. Ebbinghaus.\nbenutzen, wie sie ihm zu H\u00e4nden kamen, sondern nach einer mir von Hrn. Hering gemachten brieflichen Mitteilung konnte er nur \u201ebesser pigmentierte\u201c Maculae verwenden. Dadurch bleibt es unbestimmt, wieweit die nachweisbaren Verschiedenheiten in der Absorption verschiedener Maculae eigentlich gehen, und ein Ertrag der SACHSschen Arbeit in der hier in Rede stehenden Richtung entf\u00e4llt somit.\nEtwa gleichzeitig mit Sachs hat nun aber A. K\u00f6nig die Frage in seiner mehrerw\u00e4hnten Arbeit in der Helmholtz -Festschrift (S. 371\u2014374) sozusagen von der anderen Seite angegriffen. Er zeigt hier zun\u00e4chst, dafs man bei jener Zur\u00fcckf\u00fchrung der beiden Typen der Farbenblindheit auf die Tin-gierung des gelben Flecks durch eine genauere Untersuchung des wirklichen Sehens der Farbenblinden zu \u00e4ufserst unwahrscheinlichen Folgerungen gedr\u00e4ngt wird. Die Unterschiede der Macula-Absorption, die man bei verschiedenen Individuen voraussetzen m\u00fcfste, erreichen eine kaum glaubliche Gr\u00f6fse. Namentlich aber \u2014 und das erscheint mir als die gesicherteste Argumentation \u2014 weist er nach, dafs die typischen Verschiedenheiten zwischen Rot- und Gr\u00fcnblinden bei starker Abschw\u00e4chung der objektiven Helligkeit fasU verschwinden. Beruhten sie auf der verschiedenen Lichtabsorption verschiedener Maculae, so w\u00e4re das nicht m\u00f6glich, da die Absorptionskoeffizienten durch die Verdunkelung ja nicht ge\u00e4ndert werden. Trotz des Aufh\u00f6rens der Farbenempfindungen im engeren Sinne m\u00fcfste eine erhebliche Verschiedenheit in der subjektiven Helligkeitsverteilung im Spektrum bestehen bleiben. Dafs das nun nicht der Fall ist, scheint mir einen ausschlaggebenden Grund gegen die Zul\u00e4ssigkeit der HERiNGschen Erkl\u00e4rung zu bilden.\nDrei Schwierigkeiten ergeben sich also, um zusammenzufassen, aus den neueren Arbeiten gegen die HERiNGsche Theorie :\n1) Der Antagonismus zwischen den die sogenannten Gegenfarben verursachenden Prozessen kann kein vollkommener und unbedingter sein, sondern, obwohl bei ihrer gleichzeitigen Erregung eine gewisse wechselseitige Aufhebung stattfindet, bleibt doch noch eine Wirkung auf die Nerven bestehen, die sich als verschieden grofse Verst\u00e4rkung der schon von der Weifssubstanz herr\u00fchrenden Helligkeitsempfindung \u00e4ufsert.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n185\n2)\tVon zwei zusammengeh\u00f6rigen gegenfarbigen Prozessen wird durch bestimmtes spektrales Licht nicht entweder blofs der eine oder blofs der andere erregt, sondern gewisse Wellenl\u00e4ngen verm\u00f6gen die beiden antagonistischen Prozesse gleichzeitig hervorzurufen. Die Erregungskurven der Gegenfarben setzen sich im Spektrum nicht scharf gegeneinander ab, sondern greifen teilweise \u00fcbereinander. Die Kategorien \u201eDissimilation\u201c und \u201eAssimilation\u201c sind daher zur n\u00e4heren Pr\u00e4zisierung jener antagonistischen Prozesse unzutreffend.\n3)\tEs fehlt der Theorie an einer gesicherten Handhabe, um den wohlcharakterisierte\u00fc Unterschied zwischen den beiden Gruppen der Farbenblinden begreiflich zu machen.1\nIII. Der Sehpurpur.\n9. Seine Eigenschaften. Soviel ich sehe, lassen sich die dargelegten Schwierigkeiten mit einer einzigen Annahme beseitigen, die sich zun\u00e4chst als eine Art Erg\u00e4nzung der Hering-schen Theorie darstellt, aber dann sofort die erforderlich gewordenen Modifikationen dieser Theorie nach sich zieht. Sie leistet zugleich noch etwas anderes W\u00fcnschenswertes.\nAnatomie der Netzhaut und Physiologie oder. Psychologie des Farbensehens stehen bisher nebeneinander, wie zwei kleine\n1 Es w\u00fcrde an sich angemessen sein, nach so ausf\u00fchrlicher Ber\u00fccksichtigung der IlEi.MHoi.Tzschen und \u00dcEBiNGschen Theorie auch der davon abweichenden Anschauungen Preyers und Wundts etwas eingehender zu gedenken. Indes, da diese Theorien gr\u00f6fsere Verbreitung und Zustimmung nicht gefunden haben, und da der negative Teil meiner Ausf\u00fchrungen ohnedies schon mit dem positiven kaum noch im Gleichgewichte steht, so nehme ich davon Abstand und beschr\u00e4nke mich auf zwei Worte betreffend Wundt. In einem Punkte stimmt die WuNDTSche Auffassung \u00fcberein mit der \u00dcERiNoschen und die meinige mit beiden, n\u00e4mlich in der Sonderung eines Weiisprozesses als eines selbst\u00e4ndigen Vorganges von den chromatischen Prozessen; hier\u00fcber bedarf es also keiner Er\u00f6rterung. Was sie von der \u00dcERiNGSchen und zugleich der HELMHOi/rzschen Theorie unterscheidet, ist die Behauptung, dafs uns die n\u00f6tigen Anhaltspunkte mangeln, um die Zahl der chromatischen Prozesse auf einige wenige zu beschr\u00e4nken, dafs die Erscheinungen der Farbenmischung sich vielmehr weit besser durch Annahme einer relativ grofsen Zahl von elementaren Farbenprozessen erkl\u00e4ren lassen. So vermutet denn Wundt in der Betina einen komplexen Stoff, in dem durch das Licht Spaltungen eingeleitet werden, die sich in kurzen Intervallen mit der Wellenl\u00e4nge \u00e4ndern und zahlreiche farbenerregende Produkte erzeugen. Bei einer Mischung","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nH. Ebbinghaus.\nWelten, die sieh nichts angehen. In der einen giebt es St\u00e4bchen nnd Zapfen, Sehpurpur und Pigmentepithel, in der anderen Grundfarben, Gegenfarben, Komplement\u00e4rfarben, Farbenblindheit u. s. w. Niemand zweifelt vermutlich, dafs diese Dinge irgendwie zusammengeh\u00f6ren, aber niemand thut, als ob er je daran gedacht h\u00e4tte, sie zusammenzubringen. Man wird sagen, dazu sind wir noch nicht weit genug ; wenn unser Wissen mehr heranreift, kommt so etwas von selbst. Aber ich meine, so gar primitiv ist unser Wissen auf beiden Seiten nicht mehr, und ob die Beziehungen zwischen beiden sich sobald enth\u00fcllen, wenn man sie nicht sucht, und auf die Gefahr des Irrtums hin auch einmal einem plausiblen Scheine folgt, ist fraglich. Trifft man nicht gleich die ganze Wahrheit, so trifft man vielleicht die halbe, und der Streit um die andere H\u00e4lfte wird die Sache weiter bringen. Ich mache also einen Versuch in dieser Richtung.\nDie von Hering aus den Eigent\u00fcmlichkeiten des Sehens heraus postulierte Blaugelbsubstanz, nehme ich an. ist identisch mit dem in den Aufsengliedern\nvon Licht verschiedener Wellenl\u00e4ngen entstehen viele solcher Produkte gleichzeitig, und ihre Wirkungen auf die Nervon kombinieren oder kompensieren sich dann je nach Umst\u00e4nden. Ich kann dagegen nur sagen, dafs nach meiner Auffassung, wenn man die Gesamtheit der her-geh\u00f6rigen Thatsachen in Betracht zieht, f\u00fcr menschliche B\u00fccksclil\u00fcsse nichts unzweideutiger ist, als das Vorhandensein einer ganz geringen Zahl von chromatischen Stoffen oder Prozessen. Wie so charakteristische Dinge, wie die wenigen Typen der Parbenblindheit, die Mischbarkeit aller Farben in dem Spektrum der gew\u00f6hnlichen Farbenblinden aus ihren beiden Endfarben, die Reduktion des lichtschwachen Spektrums auf drei und des lichtst\u00e4rksten Spektrums auf zwei Farbent\u00f6ne u. s. w. ohne den \u00e4rgsten Zwang aus \u201eeiner unbestimmt grofsen Zahl von der Wellenl\u00e4nge abh\u00e4ngiger Spaltungsprodukte\u201c herauskommen sollen, ist mir durchaus r\u00e4tselhaft. Die Erscheinungen der Farbenmischung dagegen, die f\u00fcr Wundt das Bestimmende sind (dafs sich n\u00e4mlich aus wenigen Spektralfarben nicht alle \u00fcbrigen ohne S\u00e4ttigungsverluste mischen lassen), machen f\u00fcr die Ansetzung weniger Sehstoffe gar keine Schwierigkeiten, wie sich unten zeigen wird (No. 16 u. Fig. 5). Alles Folgende ist daher gleichzeitig eine indirekte Polemik gegen diesen Teil der WuNDTSchen Theorie.\n\u00dcbrigens m\u00f6chte ich, dafs man von dieser Polemik sowohl wie auch namentlich von der durchgehenden und direkten gegen v. Helmholtz, Hering und K\u00f6nig den Eindruck h\u00e4tte: res hie, non homines inter se certant. Den Personen, besonders den beiden zuletzt genannten, bin ich f\u00fcr sehr wesentliche F\u00f6rderungen und positive Berichtigungen gerade zu dieser Arbeit zu grofsem Dank verpflichtet.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n187\nder Retinast\u00e4 bchen sichtbar und greifbar vorhandenen Sehpurpur, und die an diesem Sehpurpur that-s\u00e4chlich nachgewiesenen Eigent\u00fcmlichkeiten sind als mafsgebend zu betrachten f\u00fcr unsere Vorstellungen von den ehromatischen Substanzen des Gesichtssinnes \u00fcberhaupt.\nBei seiner Entdeckung vor etwa einem halben Menschenalter wurde der Sehpurpur mit \u00fcberschwenglichen Hoffnungen begr\u00fcfst; er hat sich daher eine Zeitlang grofsen Ansehens zu erfreuen gehabt. Darnach ist er mit um so st\u00e4rkerer Nichtachtung gestraft worden. Er hat das wesentlich dem Umstande zu verdanken, dafs er an den f\u00fcr das Sehen des Menschen besonders wichtigen Zapfen der Retina nicht aufgefunden werden konnte. Dafs sich dieses Verhalten unschwierig erkl\u00e4ren l\u00e4fst, werde ich weiterhin zeigen. Seiner Zeit wurde es nicht verstanden wegen der \u00fcbertriebenen und irrigen Vorstellungen, die man sich von der Funktion des Sehpurpurs gemacht hatte, und als es daher erst sicher und von mehreren Seiten konstatiert war, machte es die Leute so stutzig, dafs sie sich mit dem Arger get\u00e4uschter Erwartungen ganz von dem Sehpurpur abwandten. Zum Gl\u00fcck hatte man w\u00e4hrend seiner Glanzzeit angefangen, ihn eingehend zu studieren, und namentlich durch K\u00fchne, der die Untersuchungen auch nach dem Schwinden des allgemeineren Interesses noch einige jahrelang fortsetzte, sind wir \u00fcber seine physikalisch-chemischen Eigenschaften sehr genau und sehr vielseitig unterrichtet.1\n\"Was ist also der Sehpurpur f\u00fcr ein Stoff?\nIch stelle eine Thatsache in den Vordergrund, die in den Beschreibungen etwas im Hintergr\u00fcnde steht: er ist zun\u00e4chst ein Stoff, der in zwei Modifikationen existiert. Die eine hat eine relativ r\u00f6tere Purpurfarbe; an ihr sind die meisten Beobachtungen angestellt worden, da die physiologischen Versuchstiere Frosch' und Kaninchen mit ihr ausgestattet sind. Die andere Modifikation ist relativ violetter von Farbf, sie ist f\u00fcr den Menschen von gr\u00f6fserer Wichtigkeit, da sie bei ihm, wie\n1 Siehe zahlreiche Abhandlungen und Mitteilungen K\u00fchnes in den Untersuchungen aus dem physiologischen Institute zu Heidelberg, 4 Bde. Eine zusammenfassende Darstellung, gleichfalls von K\u00fchne, va. Hermanns Handb, d. Physiol., Bd. Ill, Tl. 1, S. 235 ff., in die aber naturgem\u00e4fs manche Einzelheiten, auf die es f\u00fcr das folgende ankommt, nicht \u00fcbergegangen sind.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nH. Ebbinghaus.\n\u00fcberhaupt bei den h\u00f6heren Tieren, vorherrscht.1 Purpurrot oder purpurviolett aussehen, heilst, Strahlen von den beiden Enden des Spektrums durchlassen und solche aus der Mitte mehr oder minder absorbieren. Das thut in der That der Sehpurpur. Sein Absorptionsspektrum reicht rund von der Eraun-HOFE\u00dfschen Linie C bis jenseits F, und zwar ist es bei dem violetten Purpur im ganzen mehr nach dem langwelligen Ende hin verschoben, als bei dem roten.2 3 * * * * Das Maximum der Absorption liegt f\u00fcr die r\u00f6tere Modifikation etwas vor E, nach D hin, und f\u00fcr die violettere Modifikation etwas hinter 1), nach E hin. Die beiden Absorptionsmaxima teilen die Entfernung D\u2014E ann\u00e4hernd in drei gleiche Teile.8\n1.....K\u00fchne, Hermanns Handb. Ill, 1, S. 264 u. 269. N\u00e4heres \u00fcber den violetten Sehpurpur findet man sonst nicht in der Darstellung in Hermanns Handb., sondern nur in der Abhandlung von K\u00fchne und Sewall, Zur Physiologie des Sehepithels. II. Her Sehpurpur von Abramis brama. {Unters., Ill, S. 263 ff.) Nach einer beil\u00e4ufigen Bemerkung K\u00fchnes scheint es, als ob bei einer Tierspezies, die als Kegel die eine Modifikation Sehpurpur besitzt, als Ausnahme auch wohl die andere vorkommt, was f\u00fcr das folgende von Wichtigkeit ist. Er sagt {Unters., I, S. 168) : Der Purpur nimmt die fast bl\u00e4uliche, stark violette Nuance an, \u201edie man an der Ketina des Frosches seltener, oft an der des Aales und der Eule .......sieht.\u201c\n2\tDas Absorptionsspektrum des roten Sehpurpurs (sowie des Sehgelb) bei K\u00fchne, Unters., Bd. I, Taf. 7, auch in Hermanns Handb., Ill, 1, S. 270. Das Absorptionsspektrum des violetten Purpurs, Unters. III, S. 266. In den K\u00fcHNESchen Zeichnungen reichen die Absorptionsspektren der beiden Sehpurpurarten noch weit \u00fcber F hinaus, bis jenseit G. Um daraus keinen Einwand gegen die Identifikation des Sehpurpurs mit der Gelbsubstanz zu entnehmen (deren Absorption sicher nicht soweit reicht) wolle man bedenken, dafs der belichtete Sehpurpur keinen Moment stille h\u00e4lt,. sondern unter dem Einflufs der von ihm absorbierten Lichtstrahlen sich sofort zu zersetzen beginnt. Er entwickelt also Sehgelb, und dieses hat sein Absorptionsmaximum gerade bei G. Aufserdem ist dem Sehpurpur sehr wahrscheinlich jederzeit ein gewisses Quantum Sehgelb beigemischt (siehe unten S. 202), so dafs eine scheinbare Verl\u00e4ngerung seines Absorptionsspektrums, selbst bei schnellster Beobachtung, gar nicht zu vermeiden ist.\n3\tAbgesehen von seinen ganz entsprechenden Zeichnungen sagt\nK\u00fchne dar\u00fcber, die schnellste Wirkung des Lichtes auf den violetten Seh-\npurpur falle an den Ort der st\u00e4rksten Absorption, \u201en\u00e4mlich nahe bei H\nin dasjenige Gelb, das gerade merklich zu Gr\u00fcn \u00fcbergeht (also etwa\ndoppelt soweit von E entfernt liegt,, als das f\u00fcr den Sehpurpur des\nFrosches gef\u00e4hrlichste Licht.\u201c {Unters. Ill, S. 268.)","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n189\nWird der Sehpurpur von den Strahlen, die er absorbiert, belichtet, so verwandelt er sich und wird gelb; er verschiefst ins Gelbe, wie man im gew\u00f6hnlichen Leben sagen w\u00fcrde. Soweit bekannt, ist dieses \u201eSehgelb\u201c identisch f\u00fcr beide Modifikationen des Sehpurpurs. Es absorbiert s\u00e4mtliche Strahlen der kurzwelligen H\u00e4lfte des Spektrums, etwa von der Gegend zwischen E und F ab, und hat sein Absorptionsmaximum etwas vor G, nach F zu. In der Gegend von F greifen die Absorptionsspektra des Sehgelb und der beiden Arten Sehpurpur etwas \u00fcbereinander.\nWird auch das Sehgelb den Strahlen ausgesetzt, die es assimilieren kann, so verwandelt es sich gleichfalls, und zwar in eine farblose Substanz. Das Licht \u00fcbt auf dieses Endprodukt seiner Th\u00e4tigkeit weiter keine Einwirkung aus, wohl aber bem\u00e4chtigen sich seiner die in dem lebenden Auge th\u00e4tigen organischen Kr\u00e4fte. Mit ihrer H\u00fclfe wird aus dem Endglied der photochemischen Umsetzungen ohne weiteres das Anfangsglied, n\u00e4mlich der Sehpurpur wiederhergestellt, so dafs dessen Verwandlungen einen vollst\u00e4ndigen Kreisprozefs bilden.\nWirken Lichtstrahlen aller Wellenl\u00e4ngen auf das Auge, so spielen sich alle Phasen dieses Kreisprozesses an allen purpurhaltigen Stellen gleichzeitig ab. Sehpurpur wird zersetzt zu Sehgelb, vorwiegend verm\u00f6ge der langwelligen Strahlen; Sehgelb wird zersetzt zu einer farblosen Substanz, vorwiegend verm\u00f6ge der kurzwelligen Strahlen; und aus dem letzten Zersetzungsprodukt wird der Sehpurpur sofort wieder regeneriert, verm\u00f6ge der aufbauenden Th\u00e4tigkeit der organischen Kr\u00e4fte. Bei besonders intensiver Belichtung, z. B. durch direktes Sonnenlicht, \u00fcberwiegen allerdings die Zersetzungen merklich \u00fcber die R\u00fcckbildungen, und es tritt dann eine allm\u00e4hliche Bleichung der Netzhaut ein.1\n\u00efij .\n10. Beziehung zu dem Sehen der Farbenblinden. Was haben nun alle diese Dinge mit dem Sehen zu thun? mit den Eigent\u00fcmlichkeiten unseres Farbenempfindens ? Um das zu verstehen, m\u00fcssen wir uns an den einfachsten Verh\u00e4ltnissen\n1 \u00dcbrigens hat gerade das lebende menschliche Auge sehr kr\u00e4ftige Regenerationsvorg\u00e4nge, so dafs es eine betr\u00e4chtliche Belichtung vertr\u00e4gt, ohne des Sehpurpurs beraubt zu werden. Siehe K\u00fchne, Unters. III S. 194. Nettleship, Journ. of Physiol. II, S. 38\u201441.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nH. Ebbinghaus.\norientieren, n\u00e4mlich an den Farbenblinden. Diese sehen, wie bereits erw\u00e4hnt (S. 182), das ganze Spektrum in nur zwei Farben, Gelb und Blau. Die Stelle gr\u00f6fster Helligkeit des Gelb und damit des ganzen Spektrums liegt ihnen (bei Sonnenlicht) zwischen JD und E, und nur insofern besteht ein Unterschied, als bei den einen diese Stelle n\u00e4her an B liegt, bei den anderen n\u00e4her an JE, ohne dafs \u00dcbergangsformen Vorkommen. Nun ist folgendes doch wohl in hohem Grade \u00fcberraschend: Die Stellen, an denen die beiden Gruppen der Farbenblinden in dem Spektrum des Sonnenlichtes das hellste Gelb sehen, stimmen sehr ann\u00e4hernd \u00fcberein mit den Stellen, an denen die beiden Modifikationen des Sehpurpurs die Lichtstrahlen am st\u00e4rksten absorbieren, und weiter, die Stelle, an der\n/\t7A1\t\t\\\t\tA\t\n\tD\tE\t\tF\t\tG\t\n\t\t\t\t\t\t\n\tII\t\t\t1\t\t\n\t1\tE\t\tF\tG\t\t\ni'ig. 4.\nbeide Gruppen von Farbenblinden \u00fcbereinstimmend das hellste Blau sehen, f\u00e4llt wieder sehr ann\u00e4hernd zusammen mit der Stelle, an der das Sehgelb sein Absorptionsmaximum hat. Fig. 4 veranschaulicht diese Verh\u00e4ltnisse. Die drei Kurvengipfel bezeichnen die Stellen, die nach den mehrerw\u00e4hnten spektralen Farbenmischungen von K\u00f6nig und Dieterici 1 f\u00fcr die Farbenblinden (in dem Spektrum des Sonnenlichtes) den st\u00e4rksten Gelbwert und den st\u00e4rksten Blauwert besitzen, und die drei Schatten entsprechen nach den Untersuchungen von K\u00fchne1 2 den Stellen, wo die beiden Modifikationen des Sehpurpurs und das Sehgelb die Lichtstrahlen am st\u00e4rksten absorbieren. Die relative Lage der\n1\tK\u00f6nig und Dieterici, Sitzungsber. d. Berliner Akad.., vom 29. Juli 1886, S. 811\u2014813. Jetzt genauer in dieser Zeitschr., Bd. IV, S. 256.\n2\tK\u00fchne, Unters. I, Taf. 7, und III, S. 266. Siehe auoh oben S. 188 f.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n191\neinen und der anderen zu den FRA\u00fcNHOFEEsehen Linien ist, wie man sieht, ann\u00e4hernd dieselbe.1\nFreilich lassen sich genau genommen die Intensit\u00e4tskurven unserer Gesichtsempfindungen und die Absorptionsspektren chemischer Substanzen nicht ohne weiteres zu einander in Beziehung bringen. Die Empfindungskurve zeigt an, wie grofs an den verschiedenen Stellen des Spektrums die von dem absorbierten Licht hervorgebrachte Erregung ist; sie giebt somit ein gewisses Mals f\u00fcr das absolute an jeder Stelle absorbierte Lichtquantum. Das Absorptionsspektrum dagegen will erkennen lassen, wieviel Licht an jeder Stelle absorbiert worden ist im Verh\u00e4ltnis zu dem dort \u00fcberhaupt vorhandenen Quantum; seine Angaben sind gleichsam alle auf dieselbe Einheit reduciert. Das Absorptionsspektrum \u00e4ndert sich daher nicht, wenn die relative Verteilung der Helligkeiten in dem benutzten Spektrum eine andere wird (z. B. wenn man Gaslicht statt Sonnenlicht verwendet), wohl aber die Erregungskurve. Um die beiden Dinge miteinander vergleichen zu k\u00f6nnen, mufs man also genau genommen, die Angaben der Erregungskurven auch auf gleiche Einheiten\n1 Die Verschiedenheit der Entfernungen der FRAUNHOFERSchen Linien voneinander in den beiden Spektren beruht darauf, dafs das obere ein Interferenz- und das untere ein Dispersions-Spektrum ist. Ich habe nicht eins auf das andere reduziert, um nicht den Anschein zu erwecken, als ob ich das vorliegende Material irgendwie modifizierte. Dafs die \u00dcbereinstimmung in der relativen Lage der Kurvengipfel und der Ahsorptionsmaxima nur eine ann\u00e4hernde und keine absolute ist, darf nat\u00fcrlich nicht \u00fcbersehen, aber auch nicht zu sehr betont werden. Die Sicherheit der zu Grunde liegenden Beobachtungen ist noch zu gering, als dafs mehr erwartet werden k\u00f6nnte. Die beiden Intensit\u00e4tskurven der Gelbempfindung beruhen je auf Beobachtungen an nur zwei Farbenblinden. Der Kurve der Blauempfindung liegen zwar Beobachtungen an vier Individuen zu Grunde, aber sie sind an einem Gaslichtspektrum gewonnen, und durch ihre Umrechnung auf Sonnenlicht werden an dem kurzwelligen Ende des Spektrums alle etwaigen Beobachtungsfehler stark vergr\u00f6fsert. F\u00fcr die Absorptionsspektren des Sehpurpurs und Sehgelb andererseits liegen noch gar keine wiederholten und feineren Beobachtungen vor. Daher ist auch eine Vergleichung dieser Spektren mit den K\u00f6xiG-DiETERicischen Gelb- und Blaukurven in ihrer ganzen Ausdehnung unm\u00f6glich. Ein anderer Grund f\u00fcr diese Unm\u00f6glichkeit ist vorhin bereits erw\u00e4hnt worden (S. 188 Anm. 2). Der Sehpurpur kann wegen seiner leichten Zersetzlichkeit niemals ganz ohne Sehgelb sein und vermutlich ist auch das Sehgelb, wenn man anf\u00e4ngt es zu untersuchen, noch nicht ganz frei von Sehpurpur. Die zur Beobachtung kommenden Absorptionsspektren beider Substanzen m\u00fcssen daher in ihren einander zugewandten H\u00e4lften nothwendig weiter reichen als es bei v\u00f6lliger Reinheit der Stoffe der Fall sein w\u00fcrde. Eine Vergleichung mit den Empfindungskurven in ihrer ganzen Ausdehnung kann aber nat\u00fcrlich nur f\u00fcr Absorptionsspektren der reinen Sehstoffe Sinn haben.","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nH. Ebbinghaus.\nbringen, d. h. man inufs sie auf ein Spektrum mit gleicher Verteilung der Lichtenergie beziehen. F\u00fcr den gegenw\u00e4rtigen Zweck indes kann diese Umrechnung unterbleiben, wenn man, wie oh en geschehen, die Empfindungskurven eines Sonnenlichtspektrums benutzt. Die Energieverteilung in einem solchen Spektrum ist freilich noch durchaus keine gleiche, vielmehr findet eine allm\u00e4hliche und erhebliche Abnahme der Energie von dem langwelligen zu dem kurzwelligen Ende hin statt (s. Lancley, Energy and Vision, Philos. Mag. Jan. 1889 S. 1). Aber die \u00c4nderungen sind f\u00fcr kleine Strecken des Spektrums doch so gering, dafs sie hier, wo nur die Lage der Empfindungsmaxima in Betracht gezogen wird, vernachl\u00e4ssigt werden k\u00f6nnen. Die Verschiebung dieser Maxima nach dem kurzwelligen Ende, die hei korrektem Verfahren hervorgebracht werden w\u00fcrde, w\u00e4re in dem Mafsstah der Zeichnung kaum zu merken.\nSollte nun jene Beziehung der Empfindungsmaxima und der Absorptionsmaxima nichts sein, als die T\u00fccke eines neckischen Zufalls? oder besteht hier ein innerer Zusammenhang? Nat\u00fcrlich l\u00e4fst sieh die erste M\u00f6glichkeit nicht schlechthin widerlegen, aber wenn man weiterhin gesehen haben wird, wie die Annahme einer sachlichen Zusammengeh\u00f6rigkeit nach allen Seiten hin Licht verbreitet und Schwierigkeiten beseitigt, wird man ihr weitaus die gr\u00f6fsere Wahrscheinlichkeit zugestehen. Ich sage also: Die Farbenblinden sehen deshalb in dem Spektrum Gelb und Blau in einer bestimmten relativen Verteilung und Mischung, weil sie in ihrer Eetina teils die eine, teils die andere Modifikation Sehpurpur besitzen,1 und weil durch diesen Sehpurpur nebst seinem Zersetzungsprodukte Sehgelb die Lichtstrahlen gerade in einer jener Verteilung entsprechenden Weise absorbiert und zur Einwirkung auf den Sehnerven gebracht werden.\nDes n\u00e4heren denke ich mir die Vorg\u00e4nge folgendermafsen :\nIn dem Auge des Farbenblinden existieren zwei lichtempfindliche Substanzen, die Weifssubstanz, die am lichtempfindlichsten ist, und der Sehpurpur. Wird die erstere zersetzt, so wird, wie in der Eegel bei Zersetzungen, Energie frei; diese wirkt auf die verzweigten Ausl\u00e4ufer der retinalen Ganglienzellen und veranlafst weiterhin das Zustandekommen von Empfindungen der blofsen Helligkeit, Weifs und Grau. Die Abh\u00e4ngigkeit der Zersetzung von den Wellenl\u00e4ngen wird dargestellt durch die Kurve der Helligkeitsverteilung im Spektrum\n1 S. Seite 188, Anm. 1.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n193\nbei sehr geringer Lichtintensit\u00e4t oder auch durch die Heiligkeitskurve der total Farbenblinden.\nWird dagegen der Sehpurpur zersetzt, so geschieht zweierlei: Erstens wird durch die Zersetzung gleichfalls Energie frei und \u00fcbt eine Beizwirkung auf die nerv\u00f6sen Endorgane, zweitens geschieht diese Ausl\u00f6sung von Energie oder ihre \u00dcbertragung auf den Nerven in einer gewissen eigenartigen Weise. Worin die Eigenartigkeit besteht, l\u00e4fst sich freilich einstweilen nicht n\u00e4her angeben, da bestimmte Anhaltspunkte in dieser Sichtung fehlen; es urafe nur bei der Zersetzung des Sehpurpurs aufser dem Freiwerden von Energie noch irgend eine spezifische Nebenwirkung vorhanden sein. Lediglich um von ihr zu sprechen und ohne damit die Vorstellungen in bestimmter Weise binden zu wollen, werde ich sie als eine T\u00f6nung oder j\u00dffojthmmerung der Beizung bezeichnen. Soweit nun also bei der Zersetzung des Sehpurpurs Energie frei wird, soweit hat die dadurch hervorgerufene Empfindung Helligkeit, ganz wie bei der Zersetzung der Weifssubstanz. Soweit aber die Ausl\u00f6sung in einer bestimmten Weise, etwa in einem bestimmten Bhythmus erfolgt, soweit manifestiert sich dies in der Empfindung als Farbe, und zwar in diesem Falle als Empfindung der Farbe Gelb.\nIst aus der Zersetzung, aus dem Verschiefsen des Sehpurpurs Sehgelb entstanden, und wird dieses weiter zersetzt, so geschieht ganz Analoges. Auch hier wird wieder einerseits Energie frei, die als Helligkeit der Empfindung zum Bewufst-sein kommt, und die nur, wie ich annehme, bei dieser minder komplizierten Substanz quantitativ geringer ist, als zuvor bei dem Sehpurpur. Andererseits erfolgt die \u00dcbertragung der Energie wieder in einer gewissen, jetzt nur andersartigenWeise, als bei dem Sehpurpur, in einem anderen Bhythmus, worauf f\u00fcr das Bewufst-sein der Eindruck Blau beruht. Man mufs sich nun ferner denken, dafs jene beiden die photochemische Umwandlung des Sehpurpurs und des Sehgelb begleitenden spezifischen Nebeneffekte etwas Antagonistisches und sich gegenseitig Aufhebendes haben; die beiden Bhythmen, um in der gew\u00e4hlten Metapher zu bleiben, st\u00f6ren sich gegenseitig. Werden also Sehpurpur und Sehgelb in einem gewissen Mengenverh\u00e4ltnisse gleichzeitig durch das Licht zersetzt, so m\u00fcssen sich jene Nebenwirkungen v\u00f6llig kompensieren, und der auf ihnen beruhende chroma-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\t13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nH. Ebbinghaus.\ntische Charakter der Empfindung f\u00e4llt fort. Aber die ausgel\u00f6ste Energie f\u00e4llt nicht fort und es kommt dann lediglich, auf Grund der bei jenen Zersetzungen frei werdenden Energiemengen, zu einer unget\u00f6nten Empfindung von Helligkeit oder Weifs, welche sich der gleichzeitig durch Zersetzung der Weifssubstanz her-vofgerufenen Weifsempfindung verst\u00e4rkend hinzugesellt.\nDas farblose Zersetzungsprodukt des Sehgelb dient den regenerierenden Kr\u00e4ften, die im Auge walten, wie bereits oben gesagt, als Material, um daraus den Sehpurpur wiederherzustellen. Dabei m\u00fcssen nat\u00fcrlich eben die Energiemengen wieder gebunden werden, die vorher, bei den Zersetzungen von Sehpurpur und Sehgelb, ausgel\u00f6st wurden und zur Nervenerregung verbraucht worden sind. Woher m\u00f6gen sie genommen werden? Zum Teil gewifs aus dem Organismus, aus dem Blut, Pigmentepithel u. s. w., zum Teil aber stammen sie, wie ich als m\u00f6glich annehme, aus dem Lichte selbst, aus der lebendigen Kraft gewisser \u00c4therschwingungen. Nat\u00fcrlich k\u00f6nnen nicht gerade diejenigen Strahlen (die langwelligen n\u00e4mlich), die besonders geeignet sind, das labile Gef\u00fcge des Sehpurpurs zu ersch\u00fcttern, gleichzeitig mit der F\u00e4higkeit ausger\u00fcstet gedacht werden, seinen Wiederaufbau zu unterst\u00fctzen. Aber den \u00fcbrigen (den kurzwelligen also) scheint mir nichts im Wege zu stehen, eine solche Kraft zuzuschreiben. Sie bewirken die Regeneration nicht direkt aus sich heraus, aber, wenn sie durch das Spiel der organischen Kr\u00e4fte eingeleitet wird, so bef\u00f6rdern sie sie, indem sie einen Teil der dazu n\u00f6tigen Energie liefern. Im ganzen genommen, verrichtet demnach das Licht des sichtbaren Spektrums im Auge des Farbenblinden folgende Arbeiten: Die langwelligen Strahlen wirken schwach auf die Weifssubstanz, daf\u00fcr aber stark auf den Sehpurpur, und entwickeln aus diesem relativ grofse Energiemengen. Die mittelwelligen Strahlen wirken stark auf die Weifssubstanz, daneben schwach auf den Sehpurpur und das Sehgelb, und zwar auf beide gleichzeitig. Die kurzwelligen Strahlen endlich wirken wieder schwach auf die Weifssubstanz, dagegen stark auf das Sehgelb (aus dem sie aber nur relativ geringe Energiemengen befreien) und tragen ferner mit einem Teil der in ihnen enthaltenen \u00c9nergie bei zum Wiederaufbau des Sehpurpurs.\t,,,\nWas noch diese Regenerationsvorg\u00e4nge anbetrifft, so denke ich sie mir, hier wie anderswo im Organismus, f\u00fcr das Be-","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n195\nwufstsein als bedeutungslos. In der Empfindung verraten sie sich nicht direkt, sondern nur indirekt, indem durch sie ein andauerndes Fortgehen der Zersetzungsprozesse und damit der direkten Empfindungsursachen erm\u00f6glicht wird. F\u00fcr die Empfindung ist also auch derjenige Teil der Lichtenergie, der zur F\u00f6rderung der Regeneration des Sehpurpurs verwandt wird, zun\u00e4chst verloren. Daraus erkl\u00e4rt es sich wesentlich, dafs in dem farbig gesehenen Spektrum die kurzwellige H\u00e4lfte erheblich dunkler erscheint, als die langwellige, w\u00e4hrend in dem farblos gesehenen die Helligkeitsverteilung eine ann\u00e4hernd symmetrische ist. Die angenommene geringere Energieentwickelung bei Zersetzung des Sehgelb, verglichen mit der bei Zersetzung des Sehpurpurs, wirkt in derselben Richtung.\nDie \u00dcbereinstimmung der entwickelten Vorstellungen mit denen der HERiNGschen. Theorie, aus der sie hervorgegangen sind, besteht im wesentlichen, wie man sieht, in zwei Punkten : einmal in der Festhaltung einer besonderen Weifssubstanz und ihrer Sonderung von den chromatischen Substanzen, sodann in der Annahme eines eigent\u00fcmlichen Gegensatzes, eines Antagonismus zwischen den Prozessen, die unserem Gelb- und Blauempfinden (und weiterhin auch dem Rot- und Gr\u00fcnempfinden) zu Grunde liegen. In zwei anderen wichtigen Punkten dagegen weichen beide voneinander ab, und zwar eben in den Punkten, in denen nach den fr\u00fcheren Er\u00f6rterungen (No. 6 u. 7) eine Modifikation der HERiNGschen Anschauungen erforderlich ist.1\n1 Um Mifsverst\u00e4ndnisse zu verh\u00fcten, sei noch auf eine andere Abweichung aufmerksam gemacht, auf die es im Zusammenhang des Obigen zun\u00e4chst nicht ankommt. Sie betrifft die Natur der Sehstoffe. Hebing vindiciert diesen eine besondere psycho-physische Bedeutung, d. h. er nimmt an, dafs die isolierte Dissimilation oder Assimilation jedes Stoffes f\u00fcr unser Farbenempfinden eine besondere Bedeutung habe, dafs ihr je eine als einfach und fundamental empfundene Farbe entspreche. Er betrachtet demgem\u00e4fs auch seine Sehstoffe als integrierende Bestandteile des nerv\u00f6sen Apparats des Sehorgans (im weitesten Sinne) und l\u00e4fst dahingestellt, ob sie nur im Gehirn oder zugleich im Sehnerven und der Netzhaut zu suchen seien. Ich behaupte dagegen, die Stoffe, auf denen die wesentlichsten Eigent\u00fcmlichkeiten unseres Farbensehens beruhen, sitzen in der Netzhaut. Sie geh\u00f6ren aufserdem nicht zu den nerv\u00f6sen Partien dieses Organs, sondern sind den letzten Ausl\u00e4ufern oder den ersten Anf\u00e4ngen der nerv\u00f6sen Gebilde noch vorgelagert. F\u00fcr den Charakter unserer Empfindungen haben sie daher auch nicht unmittelbar, sondern erst mittelbar ihre Bedeutung.\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nH. Ebbinghaus.\nErstens denke ich mir den Gegensatz zwischen den chromatischen Prozessen nicht mehr als einen solchen der Dissimilation und Assimilation, sondern auf Grund der Erfahrungen, die wir an dem im Auge nun einmal gegebenen Sehpurpur machen, denke ich mir den Gelb-prozefs (wenn der Ausdruck gestattet ist) ebensowohl wie den Blauprozefs als Zersetzungsprozesse, und betrachte solche Dissimilationsprozesse \u00fcberhaupt als die einzigen unmittelbaren Empfindungsursachen. Die R\u00fcckbildungen folgen ihnen zwar auf dem Fufse, aber ohne sich dem Bewufstsein direkt zu manifestieren. Worin der Antagonismus jener Prozesse nun eigentlich besteht, wird damit freilich dunkler, aber zahlreiches Andere wird um so heller, und zugleich wird der Anschiufs an das thats\u00e4chlich Gegebene gewonnen.\nAufserdem ist damit die M\u00f6glichkeit gegeben, den Antagonismus der chromatischen Prozesse weniger schroff zu fassen, als es bei Hering geschieht, und ich denke mir also zweitens, dafs die gegenfarbigen Prozesse bei gleichzeitiger Erregung nebeneinander bestehen bleiben und sich in gewisser Hinsicht summieren, obwohl sie freilich zugleich etwas an sich haben, was sich dabei wechselseitig aufhebt. Wird eine der beiden chromatischen Substanzen (also Sehpurpur und Sehgelb) von den f\u00fcr sie brauchbaren Lichtstrahlen getroffen, so wird sie zersetzt. Dabei werden gewisse Mengen von Energie frei, die in einer gewissen spezifischen Weise zur Erregung des Nerven dienen ; wir empfinden eine bestimmte Farbe, infolge des eigenartigen Charakters der nerv\u00f6sen Reizung, mit einer bestimmten Helligkeit, je nach der Gr\u00f6fse der ausgel\u00f6sten Energie. Werden nun beide Substanzen gleichzeitig von den zu ihrer Zersetzung geeigneten Strahlen getroffen, so werden sie auch gleichzeitig zersetzt. Die Zersetzungen st\u00f6ren sich ja an sich nicht; im Gegenteil, sie f\u00f6rdern einander, indem die eine f\u00fcr den Fortgang der anderen direkt oder indirekt neues Material schafft. Es ist auch gar nicht n\u00f6tig, dafs die gleichzeitige Zersetzung der beiden Substanzen durch eine Mischung von Licht verschiedener Wellenl\u00e4ngen bewirkt werde; auch physikalisch einfaches Licht kann dazu dienen. Die Absorptionsspektren der beiden Substanzen greifen teilweise \u00fcbereinander; da, wo dies der Fall ist, hat also homogenes Licht die F\u00e4higkeit,","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n197\nbeide Substanzen zugleich zu affizieren. Wo nun eine solche gleichzeitige Zersetzung geschieht, da st\u00f6ren sich die spezifischen Nebenwirkungen, mit denen die Erregung auf die Nerven \u00fcbertragen wird, gegenseitig. Bei einem bestimmten Verh\u00e4ltnisse der Zersetzungsgr\u00f6fsen paralysieren sie sich vollst\u00e4ndig, und der chromatische Charakter der Empfindung geht damit verloren. Die Gr\u00f6fse der ausgel\u00f6sten chemischen Energie kann aber hierdurch nat\u00fcrlich keine \u00c4nderung erfahren. Das den zersetzten Stofifmengen entsprechende Quantum von ihr wird entbunden und thut, bei gleichzeitiger Zersetzung so gut, wie bei isolierter, was seines Amtes ist, d. h., es \u00fcbt eine Reizwirkung auf die nerv\u00f6sen Endorgane aus, nur jetzt nicht mehr spezifischer, sondern unspezifischer Art. Der Effekt f\u00fcr das Bewufstsein ist ganz derselbe, wie der aus Zersetzung der Weifssubstanz resultierende, n\u00e4mlich die einfache unget\u00f6nte Empfindung von Helligkeit oder Weifs, die ja aufserdem durch die stets vorhandene Nebenwirkung der betreffenden Lichtstrahlen auf die Weifssubstanz auch noch hervorgerufen wird.\nDas, was wir die Helligkeit eines Grau oder Weifs nennen, stammt also (ganz, wie es nach Hering mit der Helligkeit einer Farbe im engeren Sinne der Fall ist, s. o. S. 167 f.) urspr\u00fcnglich aus zwei Quellen: aus der Zersetzung der Weifssubstanz und aus der Zersetzung der in gewisser Hinsicht antagonistischen chromatischen Substanzen. Dafs f\u00fcr unser Bewufstsein die den beiden Quellen entstammenden Beitr\u00e4ge durchaus ununterscheidbar in den einen Eindruck der Helligkeit Zusammengehen, liegt daran, dafs sie zun\u00e4chst eine durchaus gleichartige Zwischenwirkung hervorbringen. Die beiden Quellen liefern freie chemische Energie in einer zur nerv\u00f6sen Erregung geeigneten Form. Soweit nun diese Erregung abh\u00e4ngig ist von der Gr\u00f6fse der einwirkenden Energie, mufs es f\u00fcr den Endeffekt (und das ist eben unsere Helligkeitsempfindung) einerlei sein, woher die molekularen St\u00f6fse stammen, die die nerv\u00f6sen Endorgane bekommen. Geradeso, wie es ja auch f\u00fcr den ausgeschnittenen Nerven gleichg\u00fcltig ist, ob ihm die f\u00fcr eine bestimmte Muskelzuckung erforderliche Erregungsgr\u00f6fse durch einen Induktionsschlag oder durch einen mechanischen Stofs zugef\u00fchrt wird.\nWie die beiden aus der Heranziehung des Sehpurpurs ganz naturgem\u00e4fs sich ergebenden Modifikationen der HERiNGschen","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nH. Ebbinghaus.\nTheorie geeignet sind, den gegen diese bestehenden Schwierigkeiten abzuhelfen, wird vermutlich bereits durchsichtig. Aber ehe ich dies im Zusammenh\u00e4nge darzustellen versuche, mufs ich erst die komplizierteren Verh\u00e4ltnisse des normalen Farbensehens zu den bisherigen Auseinandersetzungen in Beziehung bringen.\n11. Das normale Sehen. Das normale Auge sieht, besonders gut innerhalb eines centralen Bezirks, nicht nur Blau und Gelb, sondern auch Bot und Gr\u00fcn, sowie die \u00dcbergangsfarben zwischen diesen beiden Paaren. Gleichzeitig besitzt es nicht nur St\u00e4bchen mit Sehpurpur in den Aufsengliedern, sondern auch Zapfen mit farblosen Aufsengliedern, die innerhalb eines centralen Bezirkes sogar ausschliefslich vorhanden sind. Die Thatsache dieser farblosen Zapfen hat alle fr\u00fcheren Spekulationen \u00fcber den Sehpurpur irregef\u00fchrt; auch mit der ihm hier zugeschriebenen Funktion scheint sie sich nicht zu vertragen. Denn, wenn der Sehpurpur das Gelb- und Blausehen vermitteln soll, wie kann er in der centralen Zone fehlen, wo doch jedenfalls Gelb und Blau gesehen wird? Allein die Sache ist nicht so schwierig. Da in der centralen Zone nicht nur Gelb und Blau gesehen wird, sondern auch Bot und Gr\u00fcn, so mufs hier noch eine andere chromatische Substanz vorhanden sein, d. h., eine Substanz mit anderer Lichtabsorption, und daher von anderer Farbe, als der Sehpurpur, die diesem irgendwie beigegeben ist und das Bot- und Gr\u00fcnsehen vermittelt. Allein dann, sollte man sagen, m\u00fcfsten die Zapfen-aufsenglieder irgend eine Mischfarbe zeigen; sie sind aber direkt farblos. Ja, welche Farbe m\u00fcfsten sie denn wohl zeigen?\nMan denke sich die postulierte Botgr\u00fcnsubstanz ganz nach Analogie der mit dem Sehpurpur identifizierten Blaugelbsubstanz. Sie ist dann also eine Substanz, die in ihrem urspr\u00fcnglichen Zustande vorwiegend rote Lichtstrahlen absorbiert und zur Einwirkung auf die Nerven bringt; sie wird stark affiziert durch die langwelligen Strahlen des Spektrums und daneben schwach durch die Strahlen vom \u00e4ufsersten kurzwelligen Ende, aus der Gegend des Violett. Unter der Einwirkung des ihr zusagenden Lichtes wird sie zersetzt und verwandelt sich in eine zweite Substanz mit vorwiegender Absorptionsf\u00e4higkeit f\u00fcr gr\u00fcnes Licht. Die zwischen den Stellen st\u00e4rkster Absorption","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n199\nseitens der beiden Substanzen gelegenen (f\u00fcr die Empfindung gelben) Lichstrahlen wirken auf beide gleichzeitig; ihre Absorptionsspektren greifen hier \u00fcbereinander. Bei Bestrahlung durch das geeignete Licht wird auch die zweite Substanz zersetzt; aus ihren Zersetzungsprodukten wird dann durch die organischen Kr\u00e4fte und vielleicht unter Assistenz von Lichtstrahlen mittlerer Wellenl\u00e4nge die urspr\u00fcngliche Rotgr\u00fcnsubstanz wieder regeneriert. Bei beiden Zersetzungen wird Energie frei, deren Einwirkung auf den Sehnerven sich in der Empfindung als1 Helligkeit manifestiert. Zugleich geschieht diese \u00dcbertragung der Energie auf den nerv\u00f6sen Apparat und dessen Erregung bei isolierter Zersetzung einer der beiden Substanzen in einer gewissen eigent\u00fcmlichen Weise, die in der Empfindung als Farbigkeit zum Bewufstsein kommt. Bei Zersetzung der ersten Substanz gewinnt so die Helligkeit den Hebencharakter des Roten, bei Zersetzung der zweiten den Nebencharakter des Gr\u00fcnen. Werden beide Substanzen gleichzeitig zersetzt, so st\u00f6ren sich jene spezifischen Eigent\u00fcmlichkeiten der Nervenerregung; unter Umst\u00e4nden geht der farbige Charakter der Empfindung ganz verloren. Da aber die Gr\u00f6fse der ausgel\u00f6sten Energie dadurch nicht tangiert wird, so besteht die von dieser herr\u00fchrende Empfindung der Helligkeit, jetzt ohne den chromatischen Nebencharakter, unge\u00e4ndert fort.\nWenn nun die Zapfen der Netzhaut, um zu diesen zur\u00fcckzukehren, aufser dem Sehpurpur noch eine Substanz enthalten, wie die eben beschriebene, welche Farbe m\u00fcssen sie wohl haben? Vorwiegend rote Lichtstrahlen absorbieren heifst, gr\u00fcn aussehen ; von Hause aus und an und f\u00fcr sich ist die Rotgr\u00fcnsubstanz also gr\u00fcn von Farbe, d. h., ann\u00e4hernd komplement\u00e4r gef\u00e4rbt zu dem Sehpurpur. Nun sind diese beiden Sehstoffe jedenfalls als durchsichtige, halbfl\u00fcssige Substanzen zu denken. Gebilde, in denen sie einfach durcheinandergemischt enthalten sind, m\u00fcssen somit ann\u00e4hernd neutral aussehen, d. h., in dicker Schicht schwarz, in der mikroskopisch d\u00fcnnen Schicht der Zapfen-aufsenglieder dagegen grau, vielleicht mit einem schwachen Stich ins Bl\u00e4uliche. Dafs die Zapfen keine bestimmte Farbe erkennen lassen, ist also, wenn sie die Rotgr\u00fcnsubstanz und den Sehpurpur in- Mischung enthalten, vollkommen selbstverst\u00e4ndlich. Es beweist nicht, wie man meist geschlossen hat, dafs der Sehpurpur f\u00fcr das Sehen keine rechte Bedeutung","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nH. Ebbinghaus.\nbesitzt, sondern es braucht zun\u00e4chst nur zu beweisen, dafs ihm f\u00fcr das centrale Sehen nicht eine so stark \u00fcberwiegende Bedeutung z\u00fcko\u00fclint, wie f\u00fcr das periphere, und dafs er central durch etwas verdeckt wird, was \u00e4\u00fcfser ihm auch noch Bedeutung besitzt.\nM\u00f6glicherweise sind die beiden Substanzen nicht einfach gemischt, sondern in einer lockeren chemischen Verbindung in den Zapfen enthalten, die erst durch das Licht gesprengt werden mufs, um dem Sehen weitere Dienste zu leisten. Dann ist die Farblosigkeit der Zapfen zwar nicht direkt notwendig und selbstverst\u00e4ndlich, aber das Gegenteil, das Vorhandensein einer bestimmten Farbe, doch auch nicht. Die That-sache ist einfach als solche hinzunehmen. Aufserdem ist zu bedenken, dafs eine etwaige schwache F\u00e4rbung jener Verbindung stets, infolge partieller Zersetzung in die beiden Sehstolfe, eine gewisse Beimischung von Grau erhalten w\u00fcrde.\nMan m\u00f6chte nun freilich w\u00fcnschen, jene hypothetische Rotgr\u00fcnsubstanz und die ihr zugeschriebenen Eigenschaften noch etwas besser fundiert zu sehen, als blofs dadurch, dafs sich vielleicht aus ihrer Ansetzung allerlei thats\u00e4chliche Befunde richtig ableiten lassen. Kann man sie nicht einmal irgendwo zu sehen bekommen und sich durch den Augenschein von ihrem Dasein \u00fcberzeugen? Auch das ist noch m\u00f6glich, wenn man in Bezug auf den Ort dieser Beaugenscheinigung nicht gleich zu anspruchsvoll ist.\nIn der Retina des Frosches existieren in der That gr\u00fcne St\u00e4bchen. Sie sind viel weniger zahlreich, als die gew\u00f6hnlichen purpurhaltigen St\u00e4bchen; namentlich und leider ist viel weniger \u00fcber sie bekannt. Aber unter diesem \"Wenigen stimmt eine Beobachtung Bolls so bemerkenswert zu den oben postulierten Eigenschaften einer Rotgr\u00fcnsubstanz, dafs sie, obwohl vom Autor \u201enur unter grofser Reserve\u201c mitgeteilt, hier nicht \u00fcbergangen werden kann.\nBoll exponiert lebende Fr\u00f6sche in bunten Glask\u00e4sten m\u00f6glichst intensivem Licht, um den Einflufs verschiedenfarbiger Beleuchtung auf ihre Netzh\u00e4ute zu untersuchen. Dabei erscheint ihm an Netzh\u00e4uten, die gr\u00fcnem und blauem Lichte ausgesetzt gewesen, die Anzahl der gr\u00fcnen St\u00e4bchen, \u201everglichen mit denen der in der Dunkelheit und im roten und gelben Licht verweilten Retina nicht unerheblich vermehrt.\u201c In den beigegebenn Abbildungen betr\u00e4gt die Vermehrung etwa das Dreifache1. Was\n1 Boll, MonUlsber. d. Berliner Akad., 15. Januar 1877, S. 4\u20146. \u00c4hnlich D\u00fc BoisArchiv I, S. 21 ff. (1877).","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n201\nkann das heifsen? Mir scheint, das heilst das oben hypothetisch Angenommene. Der Farbstoff der gr\u00fcnen St\u00e4bchen wird durch rotes und gelbes Licht zersetzt und in einen Stoff verwandelt, der gr\u00fcnes Licht absorbiert, d. h. rot aussieht. Die gr\u00fcnen St\u00e4bchen verschiefsen ins Rote, \u00e4hnlich wie in sehr viel langsamerem Tempo die absterbenden Bl\u00e4tter des wilden Weines, oder \u00e4hnlich, wie der Sehpurpur und die gew\u00f6hnlichen Bl\u00e4tter ins Gelbe verschiefsen. Werden die Netzh\u00e4ute also eine Zeitlang langwelligem Lichte ausgesetzt, so nimmt die Anzahl der gr\u00fcnen St\u00e4bchen allm\u00e4hlich ab; sie verwandeln sich teilweise in rote St\u00e4bchen, die von den gew\u00f6hnlichen purpurhaltigen nicht ohne weiteres unterschieden werden k\u00f6nnen. Dafs sie nicht \u00fcberhaupt ganz verschwinden, liegt daran, dafs die regenerierenden Kr\u00e4fte des Organismus Widerstand leisten, wie es ja auch z. B. sehr schwer ist, den Sehpurpur des lebenden Auges v\u00f6llig auszubleichen. In gr\u00fcnem und blauem Licht findet eine erhebliche Affektion der gr\u00fcnen St\u00e4bchen nicht statt, da sie ja diese Lichtstrahlen durchlassen ; dagegen werden solche St\u00e4bchen, die etwa vorher schon rot geworden waren, jetzt weiter zersetzt und dann zu gr\u00fcnen regeneriert. Die Anzahl der letzteren mufs also allm\u00e4hlich wachsen, st\u00e4rker noch, als selbst in der Dunkelheit, da dieser ja der positiv beg\u00fcnstigende Einflufs auf die R\u00fcckbildung abgeht.\nDie Natur scheint also in der That einen Stoff, wie er zur Erkl\u00e4rung des Farbensehens vorausgesetzt werden mufs, stellenweise isoliert verwirklicht zu haben. Sein Vorhandensein auch im menschlichen Auge wird damit nat\u00fcrlich nicht irgendwie bewiesen, aber es wird doch sozusagen dem erfahrungsm\u00e4fsig Gegebenen n\u00e4her ger\u00fcckt, als es etwa mit den drei Faserarten oder den Dissimilations- und Assimilationsprozessen der bisherigen Annahmen jemals der Fall war.\n12. Bedenken. Ich beseitige zun\u00e4cht noch ein paar naheliegende Einwendungen gegen die bisherigen Ausf\u00fchrungen, die vielleicht schon insgeheim die Zustimmung zu ihnen beeintr\u00e4chtigt haben.\n1). Die Empfindung Blau wird vermittelt, wie ich annehmen wollte, durch eine Zersetzung von Sehgelb. Dieses Sehgelb seinerseits geht aus einer Zersetzung von Sehpurpur hervor, und dessen vorangegangene Zersetzung sollte von der Empfindung","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nH. Ebbinghaus.\nGelb begleitet sein. Ist nun das Auge sieb selbst \u00fcberlassen, so bat es zweifellos die Tendenz, den vorher etwa verbrauchten Sehpurpur aus den Zersetzungsprodukten des Sehgelb zu regenerieren, denn nach vorangegangenem Dunkelaufenthalt werden die Augen purpurreicher gefunden, als nach Einwirkung des Lichtes. Darnach k\u00f6nnte es scheinen, als ob zufolge meiner Theorie das Auge nach l\u00e4ngerem Ruhezust\u00e4nde zun\u00e4chst nur im st\u00e4nde w\u00e4re, die Empfindung Gelb zu haben. Blau kann es ja nur sehen, wenn Sehgelb da ist. Ist aber nach dem Ausruhen nur Sehpurpur vorhanden, so mufs erst ein gewisses Quantum von diesem umgesetzt werden, ehe es zu dem Sehen von Blau kommen kann. Diese Umsetznng ist aber mit der Empfindung Gelb verbunden. \u00c4hnlich in Bezug auf Rot und Gr\u00fcn.\nAllein, man mufs sich die Sehstoffe nicht gar zu starr und stabil denken, sondern nach Analogie dessen, was uns von zersetzlichen Stoffen sonst schon bekannt ist. Eine leichtzer-setzliche Substanz ist nie ganz unzersetzt. Je gr\u00f6fser der Vorrat wird, der sich durch die Gunst der Umst\u00e4nde von ihr anh\u00e4uft, desto reichlicher bieten sich auch die Gelegenheiten zu sozusagen spontanen Zersetzungen, d. h. zu Zersetzungen der labilsten Molekeln ohne besondere \u00e4ufsere Ursachen, lediglich infolge der inneren Zusammenst\u00f6fse und sonstigen Bewegungsvorg\u00e4nge innerhalb der Substanz. Findet also in dem ruhenden Auge eine reichliche Bildung von Sehpurpur statt, so ist dadurch ohne weiteres eine m\u00e4fsige Bildung von Sehgelb mitbedingt. Relativ zu einander m\u00f6gen die Mengen der beiden Stoffe sehr verschieden sein; dem absoluten Betrage nach kann deshalb doch das Quantum jenes Sehgelb grofs genug sein, um jederzeit ohne weiteres das Zustandekommen einer intensiven Blauempfindung zu erm\u00f6glichen,\nDazu kommt folgendes. Wenn das Auge in den Ruhestand eintritt, ist in ihm jedenfalls im allgemeinen eine gewisse Menge Sehgelb als vorhanden zu denken. Zu einer Ver\u00e4nderung dieser Menge aber ist w\u00e4hrend des Ruhezustandes kein Anlafs vorhanden. Der Sehpurpur regeneriert sich nicht auf Kosten des Sehgelb, sondern auf Kosten seiner Zersetzungsprodukte; das Sehgelb selbst wird hierdurch nicht verringert. Ein Teil von ihm unterliegt gewifs den eben erw\u00e4hnten spontanen Zersetzungen, aber man wird sich denken d\u00fcrfen, dafs dieser Verlust","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n203\ngedeckt wird durch, eine entsprechende Menge spontaner Zersetzungen des Sehpurpurs, noch ganz abgesehen von deren Steigerung infolge besonderer Anh\u00e4ufung dieser Substanz. Die Blauempfindlichkeit des Auges wird also am Ende eines Ruhezustandes zun\u00e4chst nicht geringer sein k\u00f6nnen, als am Anfang, weil die jeweilig vorhandene Menge Sehgelb w\u00e4hrend der Ruhe ungef\u00e4hr erhalten bleibt. Aus dem vorhin erw\u00e4hnten Grunde mufs sie aber sogar etwas zunehmen, weil von dem besonders reichlich gebildeten Sehpurpur ein Teil des \u00dcberflusses abgegeben wird und infolge spontanen Zerfalles das schon vorhandene Sehgelb noch vermehrt. Dafs von dem Auge jederzeit, auch nach beliebig langer Ruhepause, sofort bei der ersten Belichtung alle Farben gesehen werden k\u00f6nnen, ist demnach mit meinen Annahmen durchaus vertr\u00e4glich.\n2). Ein weiteres Bedenken k\u00f6nnte der Thatsache eines l\u00e4ngeren Fortbestehens der Farbeneindr\u00fccke entnommen werden. Fixiert man ein farbiges Feld l\u00e4ngere Zeit hindurch, so stumpft sich die F\u00e4rbung zwar ziemlich schnell ab, aber sie geht doch nicht ganz verloren, sondern bleibt eine geraume Weile immer noch mit Sicherheit erkennbar. Es k\u00f6nnte scheinen, als ob sich das aus den Beziehungen des Sehpurpurs zu dem Sehgelb und aus den analogen Beziehungen der beiden Formen der Rotgr\u00fcnsubstanz zu einander nicht erkl\u00e4ren liefse. Wird eine bestimmte Stelle der Retina z. B. von intensivem kurzwelligen Lichte getroffen, so wird vermutlich der hier befindliche Vorrat von Sehgelb in relativ kurzer Zeit ersch\u00f6pft sein. Nun wird zwar aus den Zersetzungsprodukten sogleich Sehpurpur regeneriert, aber damit dieser neues Sehgelb liefere und also eine Fortdauer der Blauempfindung erm\u00f6gliche, mufs er erst selbst zersetzt werden. Dieser Vorgang ist von der Empfindung Gelb begleitet, und Blau und Gelb zusammen geben Weifs oder Grau. , Ein in der Retina irgendwo eingeleiteter Blauprozefs ersch\u00f6pft sich also nach kurzer Zeit und kann nur insoweit in geringer St\u00e4rke etwa noch fortdauern, als ihm durch einen gleichzeitigen und gleich starken Gelbprozefs neues Material zugef\u00fchrt wird, wobei aber, wie es scheint, der chromatische Charakter der Empfindung verloren gehen mufs.\nDas Bedenken richtet sich auch schon gegen die HE\u00dfiNGsche Theorie in ihrer bisherigen Form, mit Dissimilation und Assimilation als gegenfarbigen Prozessen. Es ist aber auch von Hering bereits im wesentlichen beseitigt worden.","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nH. Ebbinghaus.\nJeder chromatische Reiz trifft die Retina immer nur auf einer relativ beschr\u00e4nkten Stelle; ihre Gesamtfl\u00e4che ist in der Regel viel gr\u00f6fser, als der jeweilig gereizte Bezirk. Nun ist die Retina aber nicht etwa nur eine Fl\u00e4che, auf der sich allerlei Beliebiges nebeneinander ereignen kann, sondern vielmehr ein durchaus einheitliches und in allen seinen Teilen in reger Wechselwirkung stehendes Organ. Wird das von dem Organe an sich sozusagen erstrebte chemische Gleichgewicht der Seh-stoflfe an irgend einer Stelle gest\u00f6rt, so arbeiten alle \u00fcbrigen Teile, nach demMafse ihrer engeren oder entfernteren Beziehungen zu jener Stelle, an der Ausgleichung der St\u00f6rung. Welche bestimmten Vorg\u00e4nge dabei in Frage kommen, ist unbekannt; man wird an Verschiedenes denken m\u00fcssen. Die Zersetzungsprodukte des Sehgelb, um bei dem gew\u00e4hlten Beispiel zu bleiben, diffundieren ohne Zweifel in die Umgebung (teils direkt, teils durch Vermittelung der chorioidalen Blutcirkulation) und werden hier regeneriert zu Sehpurpur. Dieser, jetzt in einem gewissen \u00dcbermafse vorhanden, zerf\u00e4llt teilweise zu Sehgelb (daher die Kontrastfarbe Gelb in der Umgebung des durch Reizung hervorgebrachten Blau), und ein Teil dieses Sehgelb diffundiert nun wieder r\u00fcckw\u00e4rts an den Ort der St\u00f6rung und unterh\u00e4lt hier den Blauprozefs. Aufserdem entstehen zweifellos, wie \u00fcberall in nerv\u00f6sen Gebilden elektrische Potentialdifferenzen zwischen der gereizten Stelle und ihrer Umgebung. Diese finden ihren Ausgleich in elektrischen Str\u00f6men, und deren elektrolytische und kata-phorische Nebenwirkungen m\u00f6gen die soeben erw\u00e4hnten Prozesse unterst\u00fctzen und namentlich bewirken, dafs gewisse Ausgleichungen fast schon momentan den St\u00f6rungen folgen.1 Kurz, dafs bei einer l\u00e4nger dauernden chromatischen Reizung auch l\u00e4ngere Zeit hindurch der unverkennbare Eindruck einer bestimmten Farbe bestehen kann, ist bei den behaupteten Beziehungen zwischen den gegenfarbigen Sehstoffen ganz wohl verst\u00e4ndlich. Es wird um so mehr der Fall sein, je kleiner der gereizte Bezirk im Verh\u00e4ltnis zu der \u00fcbrigen Netzhaut ist.\n1 Bei ganz kurzer Belichtung, z. B. beim Lichte eines elektrischen Funkens oder bei Betrachtung durch einen photographischen Moment-verschlufs, machen sich doch schon starke Kontrastwirkungen geltend, was also eine grofse Schnelligkeit der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Teilen der Retina beweist.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n205\nIst die Beizung eine sehr extensive, trifft sie z. B. soweit als m\u00f6glich die ganze Ausdehnung der Betina, nun, dann ist es geradezu erstaunlich, wie rapide der Eindruck einer bestimmten Farbe schwindet. Man nehme ein grofses farbiges Glas vor die Augen und blicke durch dieses nach oben gegen den hellen Himmel, aber so, dafs man m\u00f6glichst nur Himmel sieht und keine Gegenst\u00e4nde in das Gesichtsfeld hineinragen. Man wird \u00fcberrascht sein, wie schnell sich der Eindruck der F\u00e4rbung verliert, wie bald man lediglich Grau sieht, mit einer sehr schwachen und nicht recht definierbaren Tingierung in irgend einer Farbe. Dafs eine solche Tingierung fortbesteht, erkl\u00e4rt sich daraus, dafs es physisch unm\u00f6glich ist, die ganze Netzhaut gleichzeitig zu reizen. Wie man auch blicken m\u00f6ge, immer werden irgend welche Bezirke in der N\u00e4he der Ora serrata dem Beize unzug\u00e4nglich sein, und hier wird also immer eine gewisse Begeneration des jeweilig in Anspruch genommenen Sehstoffes stattfinden. Selbst wenn man die Augen im Kreise bewegt, um sozusagen das einwirkende Licht ordentlich die Ecken aussp\u00fclen zu lassen, kann man daran nichts \u00e4ndern.\nWir wollen nun sehen, wie sich aus den dargelegten Voraussetzungen die haupts\u00e4chlichsten Thatsachen des Farbensehens verst\u00e4ndlich machen lassen.\nIV. Erkl\u00e4rung der Thatsachen.\n13. \u00c4nderungen der objektiven Helligkeit. F\u00fcr die Erscheinungen, von denen wir ausgingen, das Grauwerden des lichtschwachen Spektrums und die \u00c4nderung der Helligkeitsverteilung in ihm, bleibt die oben (No. 5) im Sinne der Hering-schen Theorie gegebene Erkl\u00e4rung im wesentlichen bestehen. Bei sehr geringer Lichtintensit\u00e4t werden die chromatischen Substanzen wegen geringerer Lichtempfindlichkeit r elativ sehr viel weniger zersetzt, als die Weifssubstanz. Je schw\u00e4cher die objektive Helligkeit ist, desto mehr wird also f\u00fcr das Sehen blofs das Absorptionsspektrum der Weifssubstanz mafsgebend sein. Bei angeborener totaler Farbenblindheit ist blofs diese Substanz vorhanden, es besteht also die vielerw\u00e4hnte \u00dcbereinstimmung zwischen dem lichtschwachen Spektrum des normalen und dem gew\u00f6hnlichen des total farbenblinden Auges.\nNimmt die objektive Helligkeit eines lichtschwachen Spektrums zu, so werden allm\u00e4hlich auch die chromatischen","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nH. Ebbinghaus.\nSubstanzen in Mitleidenschaft gezogen ; je weiter die Helligkeit steigt, desto st\u00e4rker machen sich ihre Absorptionsspektren vor dem der Weifssubstanz f\u00fcr die Nervenerregung geltend. Bei der photochemischen Zersetzung dieser Stoffe nun bestehen grofse Verschiedenheiten. Aus den beiden, die vorwiegend langwellige Strahlen absorbieren, der Rotgr\u00fcnsubstanz in ihrem gr\u00fcnen Stadium und namentlich aus dem Sehpurpur, entwickelt das Licht relativ grofse Energiemengen ; die betreffenden Farben, Rot und vor allem Gelb, haben eine grofse spezifische Helligkeit. In der kurzwelligen Spektralh\u00e4lfte dagegen sind die Energiereste, die aus den bereits halb verschossenen Sehstoffen noch frei werden, an sich geringer; aufserdem wird hier ein Teil der Lichtstrahlen verbraucht zur Regeneration der urspr\u00fcnglichen Stoffe. Wird also das Spektrum mehr und mehr aufgehellt, so wird es nat\u00fcrlich zwar in allen seinen Teilen heller, aber von der gesamten vorhandenen Helligkeit entf\u00e4llt relativ immer mehr auf die Gegend des Rot und Gelb, relativ immer weniger auf die des Gr\u00fcn und Blau. Zugleich verschiebt sich das Helligkeitsmaximum in die Gegend st\u00e4rkster Zersetzung des Sehpurpurs.\nBei genauerer Betrachtung der mit der Aufhellung verbundenen Erscheinungen ergaben sich nun f\u00fcr die HERiNGsche Theorie sowohl wie f\u00fcr die HELMHOLTZsche gewisse Schwierigkeiten. Diese fallen jetzt fort.\nGelb ist bei weitem die hellste Farbe. Diese seine gr\u00f6fsere Helligkeit macht sich nicht nur geltend, wenn es als Gelb empfunden wird, sondern auch, wenn es durch gleichzeitige komplement\u00e4re Erregung seinen chromatischen Charakter ein-b\u00fcfst, wenn nur unter den betreffenden Umst\u00e4nden eine relativ starke Wirkung auf den Sehpurpur stattfindet. Stellt man nun Gleichungen her zwischen Licht verschiedener Wellenl\u00e4ngen, in denen einerseits viel Gelb enthalten ist, andererseits wenig, oder richtiger ausgedr\u00fcckt, deren Komponenten einerseits den Sehpurpur st\u00e4rker affizieren, als andererseits, so k\u00f6nnen diese nicht f\u00fcr alle Lichtintensit\u00e4ten richtig bleiben. Stimmen sie f\u00fcr schwaches Licht, so wird bei Aufhellung die viel Gelb enthaltende Mischung heller, als die wenig Gelb enthaltende. Die relative Beteiligung des Sehpurpurs an der Gesamtzersetzung nimmt zu mit der Lichtintensit\u00e4t; wo eine st\u00e4rkere Einwirkung auf ihn stattfindet, mufs sich also ein relativ","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n207\ngr\u00f6fserer Gewinn an Helligkeit ergeben. Stimmen umgekehrt die Gleichungen f\u00fcr starkes Licht, so wird die viel Gelb enthaltende Mischung bei Abschw\u00e4chung der Lichtintensit\u00e4t dunkler, als die andere. Indem die relative Beteiligung des Sehpurpurs an der Gesamtzersetzung zur\u00fcckgeht, mufs auch da, wo er zu der Helligkeit einen gr\u00f6fseren Beitrag lieferte, jetzt ein gr\u00f6fserer Ausfall entstehen.\nSo erkl\u00e4rt sich die oben (S. 173) gegen Hering geltend gemachte Thatsache, dafs zwei gleich helle weifse Felder, die einerseits aus homogenem Bot und Gr\u00fcn, andererseits aus homogenem Gelb und Blau gemischt sind, bei starken Ver\u00e4nderungen der Lichtintensit\u00e4t allemal in dem eben beschriebenen Sinne ungleich werden. Ganz ebenso erkl\u00e4ren sich die f\u00fcr den Farbenblinden mitgeteilten Thatsachen. Das Licht aus der Gegend der neutralen Stelle eines Farbenblinden wirkt zwar noch zersetzend auf den Sehpurpur, aber relativ schwach. Bildet nun der Farbenblinde eine Gleichung zwischen dem Lichte dieser neutralen Stelle mit seiner schwachen Gelbvalenz einerseits und einem beliebigen Lichte von starker Gelbvalenz und dem zugeh\u00f6rigen Blau andererseits, so mufs das gemischte Feld wegen seiner st\u00e4rkeren Wirkung auf den Sehpurpur wieder bei Aufhellung mehr an Helligkeit gewinnen und bei Verdunkelung mehr daran verlieren, als das andere. Und aus denselben Gr\u00fcnden wird es begreiflich, dafs jene Helligkeit der neutralen Stelle bei schwachem Lichte einen gr\u00f6fseren Bruchteil der gesamten Helligkeit des Spektrums ausmachen kann, als bei starkem Lichte (s. o. S. 176).\nFerner. Man denke sich, dafs die Botgr\u00fcnsubstanz etwas lichtempfindlicher, also leichter zersetzlich sei, als der Sehpurpur, dafs der letztere aber sich in gr\u00f6fseren Mengen im Auge befinde, als jene, dann wird bei allm\u00e4hlicher Aufhellung eines lichtschwachen Spektrums in der langwelligen H\u00e4lfte zuerst Bot und Gr\u00fcn auftreten, und zwar direkt nebeneinander, ohne dafs das Gelb sich erheblich zwischen ihnen geltend machen kann. Am \u00e4ufsersten langwelligen Ende namentlich wird Bot schon als Farbe erkannt werden, unmittelbar, nachdem man \u00fcberhaupt angefangen hat, hier etwas zu sehen, da f\u00fcr diese Strahlen die Zersetzlichkeit der Weifssubstanz eine sehr geringe ist. In der kurzwelligen Gegend des Spektrums findet keine so starke Konkurrenz der Botgr\u00fcnsubstanz statt, hier","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nH. Ebbinghaus.\nwird also eine gewisse Zersetzung des Sehgelb schon bei m\u00e4fsiger Lichtintensit\u00e4t zu st\u00e4nde kommen k\u00f6nnen. Das durch sie hervorgerufene Blau wird aber einen r\u00f6tlichen Stich haben, weil die Rotgr\u00fcnsubstanz f\u00fcr k\u00fcrzeste Wellenl\u00e4ngen wieder etwas empfindlich ist und an Zersetzlichkeit bei schwachem Lichte eben das Sehgelb \u00fcbertrifft. F\u00fcr gewisse geringe Bellig-keitsgrade wird sich also das Spektrum wesentlich auf die drei Farbent\u00f6ne Rot, Gr\u00fcn und r\u00f6tliches Blau reduzieren, ganz wie es thats\u00e4chlich der Fall ist (siehe oben S. 155). Nimmt die objektive Helligkeit weiter zu, so tritt mehr und mehr auch die st\u00e4rkere Beteiligung der Blaugelbsubstanz an den Gesamtzersetzungen hervor. Zugleich beginnen die Absorptionsspektren der Rotsubstanz und der Gr\u00fcnsubstanz da, wo sie aneinander-stofsen, \u00fcbereinanderzugreifen, wodurch Rot und Gr\u00fcn an ihren Ber\u00fchrungsstellen sich wechselseitig etwas schw\u00e4chen. Aus beiden Gr\u00fcnden wird einerseits das Gelb breiter, andererseits das Blau reiner (d. h. weniger r\u00f6tlich); gleichzeitig machen sich die \u00dcbergangsfarbeu, Orange, Gelbgr\u00fcn u. s. w., geltend.\nBei noch st\u00e4rkerer Steigerung der Lichtintensit\u00e4t greifen die Absorptionsspektren der gegenfarbigen Substanzen immer weiter \u00fcbereinander. An den drei Stellen, wo dies der Fall ist, n\u00e4mlich im Gelb (Rot- und Gr\u00fcnsubstanz), im Gr\u00fcn (Gelbund Blausubstanz) und im Blau (Gr\u00fcn- und Rotsubstanz) werden die Spektralfarben nach beiden Seiten hin zunehmend weifs-licher. Aufserdem aber f\u00e4ngt die weniger reich\u00fcch vorhandene Rotgr\u00fcnsubstanz jetzt an, sich zu ersch\u00f6pfen. Die Regenerationen k\u00f6nnen den sehr starken, auf die Zersetzung gerichteten Einwirkungen nicht mehr schnell genug neues Material schaffen. Die Blaugelbsubstanz dagegen h\u00e4lt l\u00e4nger vor, einmal, weil sie weniger labil, aufserdem, weil sie reichlicher vorhanden ist. Die Farben des Spektrums zeigen also jetzt die zunehmende Tendenz, sich auf Blau und Gelb zu beschr\u00e4nken und zugleich weifslicher zu werden.1 Damit haben\n1 Dafs Weifslichwerden aller Farben sowohl bei st\u00e4rksten, wie bei schw\u00e4chsten Lichtintensit\u00e4ten hat also ganz verschiedene Gr\u00fcnde. Bei schwachem Lichte beruht es auf der relativ starken Mitbeteiligung der Weifssubstanz, bei starkem auf dem relativ weiten \u00dcbereinandergreifen der gegenfarbigen Absorptionsspektren. Bei Hering und Wundt mufs beides aus der Weifssubstanz erkl\u00e4rt werden, die dadurch eine etwas unwahrscheinliche Doppelaufgabe zu l\u00f6sen bekommt.","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n209\nauch die oben (No. 3) der modifizierten Dreifarbentheorie entgegengestellten Thatsachen ihre Erkl\u00e4rung gefunden.\nBei \u00c4nderungen der objektiven Lichtintensit\u00e4t sind aufser den besprochenen Helligkeitsverschiebungen auch \u00c4nderungen des Farbentons beobachtet worden, obwohl die .Richtigkeit der Beobachtungen von Anderen auch wieder bestritten wird. Da zu der Frage binnen kurzem neues Material zu erwarten steht, so verschiebe ich ihre Er\u00f6rterung von meinen Gesichtspunkten aus bis dahin.\n14. Indirektes Sehen. Man findet vielfach die Darstellung, dafs f\u00fcr die Farbenperzeption der normalen Netzhaut drei Zonen zu unterscheiden seien, eine normale in der Mitte des Gesichtsfeldes, eine total farbenblinde an der \u00e4ufsersten Peripherie und eine zwischen beiden gelegene mittlere Zone, innerhalb deren nur Blau und Gelb als Farben empfunden werden, wo unser Auge also ebenso sieht, wie das der gew\u00f6hnlichen partiell Farbenblinden auch in seinem centralen Bezirke. Diese Darstellung ist als erste schematisierende \u00dcbersicht und f\u00fcr die praktischen Zwecke, etwa der Klinik, ganz in Ordnung, genau genommen aber ist sie teilweise unrichtig. Eine mittlere Zone, in der das normale Auge v\u00f6llig ebenso sieht, wie das farbenblinde, in der es also f\u00fcr die Empfindungen Bot und Gr\u00fcn schlechthin blind ist, existiert gar nicht. Alle Versuche, sie z. B. gegen die normale Centralzone abzugrenzen, sind mifs-lungen. Die Angaben haben h\u00f6chstens Bedeutung f\u00fcr die landl\u00e4ufigen Perimeterproben, mit deren H\u00fclfe sie gewonnen wurden; so wie man sattere oder objektiv intensivere Farben oder gr\u00f6fsere Farbenfl\u00e4chen nimmt, findet man auch andere Grenzen. Man kann nur sagen, dafs das normale Auge auf einer gewissen mittleren Zone, die sich nicht allgemein, sondern nur f\u00fcr jeweilig bestimmte Umst\u00e4nde nach innen abgrenzen l\u00e4fst, f\u00fcr Bot und Gr\u00fcn sehr schwachsichtig ist. Aber die allgemeine M\u00f6glichkeit, diese Eindr\u00fccke unter geeigneten Umst\u00e4nden hervorzurufen, erstreckt sich r\u00e4umlich fast ebensoweit, wie die Empfindungsf\u00e4higkeit f\u00fcr Gelb und Blau. Die Beize m\u00fcssen relativ intensiv und die ein wirkenden farbigen Fl\u00e4chen relativ grofs sein, und selbst dann dauern die Eindr\u00fccke Bot und Gr\u00fcn auf den entfernteren peripheren Partien immer nur einen Moment, um sogleich wieder zu verschwinden.1\n1 Genaueres bei Aubert, Physiol. Optik in Grxefe-Saemisoh, Sandl, der Augenheilk. II, 2, S. 539 ff.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nH. Ebbinghaus,\nMan kann sich mit den minimalsten Mitteln hier\u00fcber einigermafsen orientieren. Man bedecke ein intensiv rotes Glas mit undurchsichtigem dunklen Papier, in das man ein Loch von 1\u2014lV\u00fc cm Durchmesser geschlagen hat. Dann fixiere man mit einem Auge einen Punkt am hellen Himmel und bringe jenes Objekt am besten von der Nasenseite her langsam in das Gesichtsfeld. Das intensiv rote Feld auf dunklem Grunde erscheint zuerst rein grau, allm\u00e4hlich wird es gelb. So wie man ihm aber jetzt einmal eine kleine ruckweise Bewegung erteilt, blitzt es jedesmal rot auf, um sofort wieder gelb zu werden. Je n\u00e4her man der Mitte des Gesichtsfeldes kommt, desto l\u00e4nger dauert jenes rote Stadium, aber abgesehen von der \u00e4ufsersten Zone v\u00f6lliger Farblosigkeit \u00e4ndert sich das Verhalten des Feldes auf dem Wege von aufsen nach innen nirgends sprungweise.\nNeuere pathologische Beobachtungen f\u00fchren zu demselben Resultate. In einigen frischen F\u00e4llen traumatischer Hysterie fand C. S. Freund1 ganz im Gegensatz zu den gew\u00f6hnlich hiermit verbundenen Einengungen des chromatischen Gesichtsfeldes vielmehr eine auffallende Erweiterung der peripheren Farbengrenzen. Die Empfindungsf\u00e4higkeit f\u00fcr Rot und Gr\u00fcn reichte fast ebensoweit, wie die f\u00fcr Blau, und die Grenzen f\u00fcr alle drei Farben gingen bis hart heran an die in der Norm f\u00fcr Weifs bestehende Aufsengrenze. Die Erscheinung ist aufzufassen als eine central (d. h. cerebral) bedingte Hyper\u00e4sthesie, in \u00dcbereinstimmung damit, dafs gleichzeitig auch akustische und taktile Hyper\u00e4sthesien bestanden. Wenn aber durch pathologische Vorg\u00e4nge im Gehirn auf gewissen Netzhautbezirken eine ungew\u00f6hnliche Sch\u00e4rfung der Empfindlichkeit f\u00fcr Rot und Gr\u00fcn stattfinden kann, dann mufs nat\u00fcrlich auf denselben Bezirken die allgemeine M\u00f6glichkeit der Entstehung jener Eindr\u00fccke auch in der Norm schon vorhanden sein. Die periphere Netzhaut ist also bis etwa an die generellen Grenzen des Farbensehens auch noch irgendwie empfindlich f\u00fcr Rot und Gr\u00fcn, nur ist sie in der Norm sehr schwachsichtig f\u00fcr diese Farben.\nMit den oben den St\u00e4bchen und Zapfen zugeschriebenen\n1 C. S. Freund, \u00dcber cerebral bedingte optische Hyper\u00e4sthesie. Neurol. Centralbl., 1. Septbr. 1892, S. 530 ff.","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n211\nFunktionen stimmen diese Thatsachen ausgezeichnet \u00fcberein. Die relative Verteilung jener Gebilde, wie sie am eingehendsten von M. Schultze beschrieben wird,1 entspricht durchaus den eben dargelegten Eigent\u00fcmlichkeiten des indirekten Sehens, wenn man annimmt, dafs die Zapfen s\u00e4mtliche Farbenempfindungen zu vermitteln verm\u00f6gen, die St\u00e4bchen aber nur die Empfindungen Blau und Gelb. Innerhalb des macularen Gebietes der Retina giebt es bekanntlich nur Zapfen. In der unmittelbaren Umgebung dr\u00e4ngen sich St\u00e4bchen zwischen sie, und zwar ist zun\u00e4chst jeder Zapfen von seinen Nachbarn auf allen Seiten durch ein St\u00e4bchen getrennt. Da die St\u00e4bchen weniger Raum einnehmen, als die Zapfen, so kommen hierdurch etwa 6\u20148 St\u00e4bchen auf einen Zapfen. Aber schon in geringer Entfernung von dieser Zone hat die relative Frequenz der Zapfen noch weiter abgenommen, so dafs jetzt 3\u20144 St\u00e4bchen, zwischen je zwei Zapfen vorhanden sind und ihrer etwa 25 auf jeden Zapfen kommen. Dieses Verh\u00e4ltnis bleibt ohne wesentliche \u00c4nderung bestehen bis einige Millimeter vor der Ora serrata, wo beide Elemente, nachdem sie vorher schon ihren typischen Charakter eingeb\u00fcfst haben, verschwinden.\nTrifft nun ein Lichtreiz die Retina, so ist klar, dafs dessen Wirkung auf die Zapfen nur innerhalb des macularen Gebietes sich ungest\u00f6rt geltend machen kann. Schon in der n\u00e4chsten Umgebung der Macula mufs seine gleichzeitige Wirkung auf die zahlreicheren St\u00e4bchen sich in den Vordergrund dr\u00e4ngen. Noch weiter nach aufsen aber wird die Beteiligung der Zapfen an der Erregung gleichsam ertr\u00e4nkt werden m\u00fcssen in der st\u00e4rkeren Mitbeteiligung der massenhafteren St\u00e4bchen. Die Erregungen der einzelnen Elemente werden ja gar nicht gesondert empfunden; wenigstens gewifs nicht in der Peripherie der Retina. Erstens sind die St\u00e4bchen und Zapfen sehr viel zahlreicher, als die Fasern des Sehnerven, zweitens stehen sie mit diesen gar nicht durch anatomische Kontinuit\u00e4t in Verbindung. Sie ergiefsen die Effekte ihrer Erregung vielmehr zun\u00e4chst gemeinsam \u00fcber die Forts\u00e4tze der retinalen Ganglien-\n1 M. Schultze, Zur Anatomie und Physiologie der Betina. Archiv f. mikrosk. Anatomie, II. (1868.) Die weiterhin folgenden Zahlenangaben beruhen auf den ScHULTZEschen Zeichnungen und haben also nur ungef\u00e4hre G\u00fcltigkeit.\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nH. Ebbinghaus.\nzellen, und dabei mufs die Sonderbeteiligung der einzelnen Elemente innerhalb gewisser Grenzen verloren gehen. Die allein durch die Zapfen erm\u00f6glichten Eindr\u00fccke Rot und Gr\u00fcn verm\u00f6gen sich also in der Peripherie der Retina gegen die von den St\u00e4bchen herr\u00fchrenden Gelb und Blau im allgemeinen gar nicht isoliert geltend zu machen ; h\u00f6chstens m\u00f6gen sie diesen Eindr\u00fccken einen schwachen Stich ins R\u00f6tliche oder Gr\u00fcnliche erteilen. Nur unter besonderen Umst\u00e4nden wird sich das Vorhandensein der relativ wenigen Zapfen f\u00fcr das Bewufstsein noch irgendwie verraten k\u00f6nnen.\nSo z. B. unmittelbar nach dem ersten Auftreten eines Reizes. Wir wollten annehmen, dafs die Blaugelbsubstanz etwas weniger labil, etwas tr\u00e4ger sei, als die Rotgr\u00fcnsubstanz (s. S. 207). Wird also die periphere Retina pl\u00f6tzlich von langwelligem Licht getroffen, so ist es begreiflich, dafs die von den Zapfen herr\u00fchrende Empfindung Rot einen Moment allein aufblitzt, ehe sie in dem durch die St\u00e4bchen vermittelten, hinterherkommenden und st\u00e4rkeren Gelb gleichsam untergeht.\nSo ferner bei grofser Intensit\u00e4t des Reizes. Freilich nimmt durch dessen Steigerung die Wirkung auf die St\u00e4bchen in gleichem Mafse zu, wie diejenige auf die Zapfen. Aber bekanntlich ist es f\u00fcr das Bewufstsein nicht einerlei, ob ein an sich starker Lichtreiz noch verzehnfacht oder verhundertfacht wird oder ein an sich schwacher. Das WEBER-FECHNERsche Gesetz, das die Gleichheit des Bewufstseinseffektes in solchem Falle behauptet, ist f\u00fcr weit auseinanderliegende Reize unrichtig; es gilt nur ann\u00e4hernd innerhalb beliebiger kleinerer Gebiete. Thats\u00e4chlich gewinnt ein starker Eindruck durch eine bestimmte Steigerung des objektiven Reizes nicht mehr so sehr viel, w\u00e4hrend ein schwacher Eindruck durch eine proportionale Steigerung gerade in das Gebiet g\u00fcnstigster Unterscheidbarkeit gehoben werden kann. Es ist also wohl denkbar, dafs ein von langwelligem Licht erleuchtetes und im indirekten Sehen etwa goldgelb erscheinendes Feld bei gen\u00fcgender Steigerung der objektiven Helligkeit rot wird, oder doch seine anf\u00e4ngliche R\u00f6te jetzt etwas l\u00e4nger beibeh\u00e4lt, als vorher.\n\u00c4hnlich mufs es sich endlich verhalten bei einer Ver-gr\u00f6fserung der einwirkenden farbigen Fl\u00e4che. Da die Erregungen der einzelnen Stab-Zapfenelemente nicht voneinander","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n213\ngetrennt bleiben, sondern, wie vorhin gesagt, bei ihrer \u00dcbertragung an die Granglienzellen teilweise ineinanderfliefsen, so wirkt eine Vergr\u00f6fserung der gereizten Fl\u00e4che innerhalb gewisser Grenzen \u00e4hnlich, wie eine Verst\u00e4rkung der Reizintensit\u00e4t. Sie beg\u00fcnstigt das Bewufstwerden des schw\u00e4cheren Eindruckes relativ mehr, als das des st\u00e4rkeren.\n15. Farbenblindheit. Die gew\u00f6hnliche partielle und totale Farbenblindheit hat uns so wiederholt besch\u00e4ftigt, dafs wir nicht eingehender auf sie zur\u00fcckzukommen brauchen. Den partiell Farbenblinden fehlt die Rotgr\u00fcnsubstanz ; sie sehen daher von Farben nur Gelb und Blau. Der Sehpurpur aber, der ihnen diese Empfindungen vermittelt und der in ihrer ganzen Retina gleichm\u00e4fsig vertreten sein wird, existiert bei ihnen in zwei Modifikationen. Die sog. Gr\u00fcnblinden haben den violetten Sehpurpur, der auch den Farbent\u00fcchtigen zukommt; sie n\u00e4hern sich daher in Bezug auf Ausdehnung des Spektrums, Verteilung seiner Helligkeit u. a. dem normalen Auge. Die sog. Rotblinden dagegen besitzen den Sehpurpur in seiner roten Modifikation, die, beil\u00e4ufig gesagt, vielleicht eine primitivere Stufe in der Entwickelung der Sehstoffe darstellt. Sie sehen daher das Spektrum am langwelligen Ende erheblich dunkler, und sein Helligkeitsmaximum mehr nach dem Gr\u00fcn hin liegend, als die Farbent\u00fcchtigen. Die total Farbenblinden endlich haben (wenn nicht alle, so doch, wie es scheint, in ihrer Mehrzahl) gar keinen chromatischen Sehstoff, sondern nur die Weifssubstanz. Das Spektrum erscheint ihnen daher jederzeit so, wie allen anderen Augen bei schw\u00e4chsten Lichtintensit\u00e4ten, weil dann hier die chromatischen Substanzen gleichfalls von der Miterregung ausgeschlossen bleiben.\nAllein abgesehen von diesen relativ bekannteren Formen giebt es nun noch einige besondere Gestaltungen der Farbenblindheit, die allerdings wegen ihrer gr\u00f6fseren Seltenheit bei weitem noch nicht so genau untersucht sind, wie jene ersten. Es liegt mir daran, zu zeigen, dafs auch f\u00fcr ihre Eigent\u00fcmlichkeiten, soweit sie eben bekannt sind, sich aus meinen Anschauungen ein zwangloses Verst\u00e4ndnis gewinnen l\u00e4fst.\n1). \u00dcber die total Farbenblinden sprach ich soeben in einer gewissen Einschr\u00e4nkung. Das geschah mit R\u00fccksicht auf einen oben (S. 147) schon kurz mitgeteilten Befund A. K\u00f6nigs. Dieser","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nH. Ebbinghaus.\nfand in einzelnen F\u00e4llen von pathologisch entstandener totaler Farbenblindheit eine ganz andere Helligkeitsverteilung der Farben des Spektrums, als die oft erw\u00e4hnte, in dem lichtschw\u00e4chsten Spektrum des Normalsehenden zu beobachtende, JDie relative Helligkeit der Farben schien vielmehr hier ganz \u00fcbereinzustimmen mit der f\u00fcr das normale Auge bei gew\u00f6hnlicher Lichtintensit\u00e4t g\u00fcltigen. Eine grofse Genauigkeit dieser Beobachtungen war nicht zu erreichen; die Sache bedarf also gewifs noch der n\u00e4heren und genaueren Untersuchung. Immerhin sind zwei von K\u00f6nig selbst gepr\u00fcfte F\u00e4lle so positiv, dafs ein einfacher Zweifel gegen\u00fcber einem gewissenhaften und ge\u00fcbten Beobachter keine Berechtigung haben w\u00fcrde. Wie K\u00f6nig mit Genugthuung hervorhebt, bereiten die F\u00e4lle einer Erkl\u00e4rung aus der HERlNGschen Theorie grofse Schwierigkeiten, allein, wie ihm doch nicht verborgen bleibt, ist die HFJ.MHOLTZSche Theorie ihnen gegen\u00fcber auch v\u00f6llig ratlos. Beide Theorien lassen eben hier g\u00e4nzlich im Stich.\nMit H\u00fclfe der oben entwickelten Prinzipien wird man diese F\u00e4lle verst\u00e4ndlich finden. Her chromatische Charakter unserer Helligkeitsempfindungen sollte darauf beruhen, dafs die bei der Zersetzung der chromatischen Sehstofie frei werdende Energie in einer gewissen spezifischen Weise, etwa in einer eigent\u00fcmlichen Bhythmisierung, auf die nerv\u00f6sen Endorgane weiter \u00dcbertr\u00e4gen wird. Ist dem so, dann kann naturgem\u00e4fs ein Fortfallen jenes chromatischen Charakters, also ein Verlust der Farbenempfindungen im engeren Sinne, auf zwei ganz verschiedene Weisen eintreten. Einmal dadurch, dafs die chromatischen Sehstofie \u00fcberhaupt fehlen. Das ist die soeben erw\u00e4hnte und gew\u00f6hnliche totale Farbenblindheit, mit Helligkeitsmaximum im Gr\u00fcn des Spektrums. Aufserdem aber auch offenbar dadurch, dafs die chromatischen Substanzen zwar vorhanden sind und zersetzt werden, dafs aber die von ihnen ausgehende spezifische T\u00f6nung der Erregung irgendwo auf dem Wege zum Gehirn durch einen pathologischen Prozefs eine St\u00f6rung erleidet und wieder verloren geht. Eine solche Sch\u00e4digung k\u00f6nnte an den verschiedensten Stellen eingreifen: schon gleich in den inneren Schichten der Retina, oder weiter centralwftrts im Sehnerven (Sehnervenatrophie), oder endlich in den Centralorganen selbst (hysterische, apoplektische, hypnotische","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n215\nFarbenblindheit). Nat\u00fcrlich kann die aus der Zersetzung der Sehstoffe entwickelte Energie durch eine solche centralw\u00e4rts stattfindende St\u00f6rung ihrer Bhythmisierung nicht ge\u00e4ndert werden. Infolge davon bleibt auch die Helligkeit der Gesichts-eindr\u00fccke, trotz jenes Fortfalles ihres chromatischen Charakters, ganz unge\u00e4ndert, wofern nur die leitenden Teile des Sehapparates \u00fcberhaupt noch im st\u00e4nde sind, die ihnen \u00fcbertragenen Beizungen wenigstens der Gr\u00f6fse nach einigermafsen weiterzugeben (d. h. wofern noch Weifs in verschiedenen Schattierungen gesehen und unterschieden werden kann). Derartig erkrankte Individuen sehen mithin alles nur Grau in Grau, ganz wie die aus Mangel der chromatischen Sehstoffe Farbenblinden, allein sie unterscheiden sich von diesen dadurch, dafs f\u00fcr sie die relative Helligkeit der verschiedenen . Stellen des Spektrums oder der \u00e4ufseren Objekte ganz dieselbe ist, wie fr\u00fcher in ihrer Norm.\n2). Eine weitere relativ seltene Form der Farbenblindheit ist die sog. Violettblindheit (oder Blaugelbblindheit). Ihre charakteristischen Eigent\u00fcmlichkeiten scheinen diese zu sein:1\na)\tObjektiv weifses Licht wird nicht als rein weifs empfunden, sondern hat einen gelblichen oder gr\u00fcnlich-gelben Charakter.\nb)\tObjektiv dunkle Stellen des Gesichtsfeldes erscheinen dagegen unter Umst\u00e4nden schwach violett.\nc)\tDas Spektrum ist am violetten Ende verk\u00fcrzt.\nd)\tBlaugr\u00fcne und blaue Farbent\u00f6ne werden miteinander verwechselt und erscheinen wahrscheinlich gr\u00fcn.\ne)\tIrgendwo in der Gegend des Gelb hat das Spektrum eine neutrale Stelle, d. h. monochromatisches Licht dieser Stelle ruft denselben Eindruck hervor, wie das gelblich empfundene unzerlegte Licht.\nf)\tZur Herstellung der Spektralfarben durch Mischung sind zwei Farben nicht hinreichend.\n1 Die Beobachtungen und Beschreibungen dieses Typus sind durchweg recht mangelhaft und inexakt. Einen anscheinend hierhergeh\u00f6rigen Fall hat k\u00fcrzlich Vintschgau zu untersuchen Gelegenheit gehabt (Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 48). Aber trotz ihrer Umst\u00e4ndlichkeit liefert auch seine Beschreibung keine unzweideutige und gen\u00fcgend detaillierte Feststellung des Thatbestandes. Die obige Charakterisierung gen\u00fcgt daher keinen' strengeren Anspr\u00fcchen, als das Material zur Zeit gestattet. \u00dcbrigens sind in sie, der Einfachheit halber, auch einige Z\u00fcge der sehr \u00e4hnlichen Santoninblindheit aufgenommen.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nH. Ebbinghaus.\nMit gr\u00f6fserer Bestimmtheit wage ich mich \u00fcber die mut-mafslichen Gr\u00fcnde dieser Anomalie einstweilen nicht aus-zndr\u00fccken; immerhin scheint mir folgendes beachtenswert:\nVon den besonderen Eigent\u00fcmlichkeiten, die K\u00fchne an dem Sehpurpur und seinem Zersetzungsprodukt in selteneren F\u00e4llen und unter gewissen Umst\u00e4nden gefunden hat, erw\u00e4hnt er nichts h\u00e4ufiger, als eine bisweilen zu bemerkende auffallende Indolenz des Sehgelb gegen das Licht. Er sagt z. B. einmal: \u201eManche Netzh\u00e4ute werden am Lichte auffallend sp\u00e4t farblos, indem der Purpur zwar wie gew\u00f6hnlich schnell umschl\u00e4gt, das rote und orange Stadium aber sehr verl\u00e4ngert wird und das letzte Gelb oft stundenlang zerstreutem guten Tageslichte standh\u00e4lt\u201c.1 Oder an anderer Stelle: \u201eViele Reagentien, die an sich den Purpur erst nach l\u00e4ngerer Zeit oder gar nicht angreifen, \u00e4ndern die Retina derart, dafs Belichtung zwar noch Sehgelb in der normalen Zeit erzeugt, dafs aber dieses nun \u00e4ufserst langsam farblos wird\u201c.2 Anderswo noch: \u201eDurch Licht fast unverw\u00fcstlich scheint auch die gelbe Farbe zu sein, welche purpurne Netzh\u00e4ute in Sublimat annehmen\u201c.3 Man erw\u00e4ge nun, welche Folgen es f\u00fcr das Sehen notwendig haben mufs, wenn im Auge aus irgend einem Grunde bei der Zersetzung des Sehpurpurs nicht das gew\u00f6hnliche Sehgelb, sondern diese seine bisweilen vorkommende stabilere Modifikation gebildet wird,\nRelativ geringe Zersetzlichkeit des Sehgelb ist gleichbedeutend mit erschwertem Vonstattengehen des Blauprozesses. Die Empfindung Blau kann also zwar noch hervorgerufen werden, \u00fcberhaupt ist an der Gesammtheit der unter Umst\u00e4nden m\u00f6glichen Empfindungen nichts ge\u00e4ndert (f), nur ist das Blau jederzeit sehr schwach. Gemischtes Licht, das in der Norm weifs erscheint, wird infolgedes jetzt gelb aus-sehen (a). Licht, das sonst den Gr\u00fcnprozefs und Blauprozefs gleichzeitig hervorrief, erregt jetzt \u00fcberwiegend nur jenen ersten, d. h. die blau-gr\u00fcnen und benachbarten Farben erscheinen \u00fcbereinstimmend gr\u00fcn (d).\nDurch seine geringere Zersetzlichkeit wird sich nun aber weiter das Sehgelb in relativ grofser Menge anh\u00e4ufen m\u00fcssen.\n1 K\u00fchi% Hermanns Hdb. Ill, 1, S. 278.\n\u2019 K\u00fchne, Unters. I, S. 432.\n* Hermanns Hdb. Ill, 1, S. 287.","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n217\nDadurch ist zweierlei bedingt. Erstens mufs das aufgespeicherte Sehgelb, obwohl in der lichtempfindlichen Schicht der Retina selbst befindlich, dennoch \u00e4hnlich wirken, wie ein vor das Auge gehaltenes gelbes Glas, oder wie eine die ganze Retina einnehmende intensive Macula lutea. Es absorbiert die Strahlen k\u00fcrzester Wellenl\u00e4nge, und zwar wegen seiner st\u00e4rkeren Anh\u00e4ufung relativ viel st\u00e4rker, als es seitens des gew\u00f6hnlichen Sehgelb geschieht. Dabei aber wird es jetzt durch diese Strahlen nur sehr langsam zersetzt. Sie gelangen also nur in geringem Mafse zur Einwirkung auf die Nerven und sind \u00fcberwiegend f\u00fcr das Sehen verloren, d. h. das Spektrum wird am violetten Ende stark abgeschw\u00e4cht und damit verk\u00fcrzt (c). Zweitens werden durch die st\u00e4rkere Ansammlung des Sehgelb, trotz seiner gr\u00f6fseren Stabilit\u00e4t, doch auch wieder spontane Zersetzungen beg\u00fcnstigt. Wo nun keine sonstige Reizung ihre st\u00e4rkeren Effekte f\u00fcr das Bewufstsein geltend macht, also auf den dunklen Stellen des Gesichtsfeldes, da machen sich jene Zersetzungen bemerklich als eine schwache bl\u00e4uliche F\u00e4rbung (b).\nEndlich aber wirkt jene Indolenz des Sehgelb gegen das Licht auch zur\u00fcck auf den Sehpurpur, da die beiden Stoffe ja f\u00fcr ihre Entstehung aufeinander angewiesen sind. Wird das Sehgelb relativ langsam zersetzt, so wird der Sehpurpur relativ langsam regeneriert, weil zu diesen Regenerationen ja das Material fehlt. Er wird also jederzeit in geringerer Menge vorhanden sein und namentlich durch die entsprechende Belichtung schneller verbraucht werden, als unter normalen Verh\u00e4ltnissen. Dafs er nicht \u00fcberhaupt g\u00e4nzlich ersch\u00f6pft werden kann, liegt an den eben erw\u00e4hnten spontanen Zersetzungen des Sehgelb, infolgederen er in der ganzen Retina zwar in geringer Menge, aber doch stetig neu gebildet wird und der gereizten Stelle zufliefst. Auch wird man sich denken k\u00f6nnen, dafs seine Zersetzung immer noch mehr beg\u00fcnstigt bleibe, als die des Sehgelb, da das von ihm vorhandene Quantum wenigstens durch das Licht prompt umgewandelt wird, w\u00e4hrend das Sehgelb ziemlich lichtbest\u00e4ndig geworden ist. Immerhin aber wird f\u00fcr einen gegebenen Reiz die Zerst\u00f6rung des Sehpurpurs, d. h. der Gelb-prozefs, schw\u00e4cher sein m\u00fcssen, als in der Norm. Die Empfindung Gelb wird also nicht die St\u00e4rke erreichen k\u00f6nnen, wie gew\u00f6hnlich; die gelben Farbent\u00f6ne im Spektrum erscheinen unges\u00e4ttigter als sonst, denn das hier namentlich durch den","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nH. Ebbinghaus.\nBot- und Gr\u00fcnprozefs hervorgerufene Weifs macht sich relativ st\u00e4rker geltend. Ebendeshalb aber ist es auch m\u00f6glich, zwischen diesem spektralen Gelb und dem gelblich aussehenden unzerlegten Weifs eine wirkliche Gleichung herzustellen (e).\nMan darf also sagen: Die s\u00e4mtlichen charakteristischen Erscheinungen der sogenannten Violettblindheit lassen sich ganz wohl verst\u00e4ndlich machen im Zusammenhang mit den oben entwickelten Annahmen, und zwar nicht durch Zuziehung einer sonst in der Luft stehenden H\u00fclfshypothese, sondern als notwendige Konsequenzen einer thats\u00e4chlich beobachteten Eigent\u00fcmlichkeit der im Auge gegebenen Stoffe.\n3). Die vorhin (S. 214) erw\u00e4hnten St\u00f6rungen der chromatischen Erregungen auf dem Wege von der Stab-Zapfenschicht zu den Centralorganen werden nicht notwendigerweise immer so stark sein, dafs alle Farbenempfindung vollst\u00e4ndig verloren geht. Man wird vielmehr annehmen m\u00fcssen, dafs unter Umst\u00e4nden, z. B. in den ersten Stadien eines allm\u00e4hlich fortschreitenden pathologischen Prozesses oder in den letzten Stadien einer allm\u00e4hlichen R\u00fcckkehr zur Norm, blofs partielle St\u00f6rungen solcher Art bestehen. Die chromatischen Rhythmen werden dann bei ihrer Fortleitung zum Centrum an irgend einer erkrankten Stelle zwar abgeschw\u00e4cht, aber nicht aufgehoben. Die Farben werden also, wenigstens wenn sie satter sind, noch erkannt, aber sie erscheinen wie verschleiert, weifs-licher und matter, als in der Norm. In der That sind nun solche Zust\u00e4nde von Farbenschw\u00e4che, wie man sie nennt, geradezu charakteristisch f\u00fcr Sehnervenatrophie1 und f\u00fcr leichtere cerebrale Affektionen des Farbensinnes. Dabei ist es offenbar wieder nicht notwendig, dafs die partielle Beeintr\u00e4chtigung alle vier chromatische Rhythmen ganz gleichm\u00e4fsig ergreife. Eine st\u00e4rkere Beeintr\u00e4chtigung des einen oder des anderen Rhythmus je nach der Natur der St\u00f6rung hat an sich nichts weiter Unwahrscheinliches ; ich m\u00f6chte eher sagen, dafs bei St\u00f6rungen geringeren Grades eine absolut gleichm\u00e4fsige Abschw\u00e4chung der vier Rhythmen vielmehr etwas Wunderbares haben w\u00fcrde. Sind nun die Unterschiede, die hier vielleicht immer stattfinden, gering, so verlieren sie sich in der allgemeinen Unbestimmtheit der Farbenempfindungen.' Sind\n1 Lbbek in Gr\u00e4fe-S\u00e4misch, Handb. d. Augenheilkunde. Y, S. 1038.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n219\nsie dagegen erheblich, so k\u00f6nnen sie sehr merkw\u00fcrdige Resultate zur Folge haben, ganz geeignet, die Theorie des Farbensehens zu verwirren und den Blick f\u00fcr ihre grofsen Gesetzm\u00e4fsigkeiten durch anscheinende Ausnahmef\u00e4lle zu tr\u00fcben. Es kann dann n\u00e4mlich Vorkommen, dafs von einem Paar durchaus zusammengeh\u00f6riger und in der Peripherie des Sehapparates nur durcheinander zu st\u00e4nde kommender Gegenfarben die eine mehr oder weniger erhalten bleibt, w\u00e4hrend die andere nahezu oder vollst\u00e4ndig verloren geht. Ich erw\u00e4hne einige F\u00e4lle, in denen es sich thats\u00e4chlich so verhalten hat.\nHering1 berichtete vor einiger Zeit \u00fcber einen Fall von Farbenschw\u00e4che infolge von Sehnervenatrophie. \u201eAlle benutzten Farben erschienen dem kranken Auge minder ges\u00e4ttigt, d. h. viel weifslicher, bezw. graulicher als dem gesunden.\u201c Diese Ver\u00e4nderung bestand aber nicht gleichm\u00e4fsig f\u00fcr alle Farben, sondern: \u201ein einem Spektrum von m\u00e4fsiger Helligkeit sah die Patientin nur drei Farben, Gelb, Gr\u00fcn und Blau.\u201c Bei Steigerung der Helligkeit trat hiervon das Gr\u00fcn bis auf \u201eeinen gr\u00fcnen Schimmer\u201c zur\u00fcck. Rot aber wurde eigentlich gar nicht empfunden, sondern erschien nur als eine r\u00f6tliche F\u00e4rbung des Gelb.\nEinen \u00e4hnlichen Fall beschreibt Hess2 in unmittelbarem Anschlufs an den vorigen. Hier wurde Rot schlechterdings nicht mehr gesehen; es erschien stets als Gelb. Gr\u00fcn dagegen war noch erhalten und wurde als gr\u00fcnlich Grau oder gr\u00fcnlich Gelb empfunden. Blau und Gelb waren minder ges\u00e4ttigt als f\u00fcr das normale Auge.\nEine andere Kombination fand Stepfan3 verwirklicht in einem Falle von apoplektischer St\u00f6rung des Farbensinnes. Die Farben sehen dem Patienten aus wie fr\u00fcher \u201ebei D\u00e4mmerlicht\u201c, d. h. nahezu grau. Bei einer Untersuchung mit grofsen,\n1\tHering, Die Untersuchung einseitiger St\u00f6rungen des Farbensinnes u. s. w., Gr\u00e4fes Archiv, 36, 3, S. 14 u. 15.\n2\tHess, Untersuchung eines Falles von halbseitiger Farbensinn-St\u00f6rung u. s. w., Gr\u00e4fes Archiv 36, 3, S. 24. Es ist keine korrekte Wiedergabe der von ihm selbst beschriebenen Thatsachen, wenn Hess den Rotgr\u00fcnsinn der erkrankten Netzhauth\u00e4lfte als \u201enahezu\u201c vollst\u00e4ndig geschwunden bezeichnet. Die Rotempfindung war ganz und gar geschwunden und nur die Gr\u00fcnempfindung \u201enahezu\u201c.\n3\tSteffan, Zur Pathologie des Farbensinnes. Gr\u00e4fes Archiv 27, 2, S. 1. (1881.)","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nH. Ebbinghaus.\ngrell beleuchteten Bogen der sog. Heidelberger Farbenpapiere werden Rot, Gelb und Blau richtig erkannt, \u201eauf Gr\u00fcn aber gelang in keiner Weise irgend eine Farbenreaktion\u201c, auch nicht auf spektrales Gr\u00fcn.\nSolche F\u00e4lle bilden demnach keine Gegeninstanzen gegen die Gliederung des Farbenreiches nach Gegenfarben, sondern sie best\u00e4tigen nur, wozu bereits andere Gr\u00fcnde dr\u00e4ngen, dafs zwischen zwei ganz verschiedenartigen St\u00f6rungen des Farbensehens unterschieden werden mufs. Die einen sitzen in der Stab-Zapfenschicht und betreffen die Erzeugung der gegenfarbigen Erregungen durch irgend eine Ver\u00e4nderung eines zusammengeh\u00f6rigen Paares von Sehstoflfen. Die anderen haben ihren Sitz irgendwo centralw\u00e4rts von da und beeintr\u00e4chtigen die Fortleitung dessen, was hier provisorisch immer als Rhythmus der chromatischen Erregungen bezeichnet wurde. Sie sind nicht an die Zusammengeh\u00f6rigkeit der Gegenfarben gebunden, sondern k\u00f6nnen unter Umst\u00e4nden das eine Glied eines solchen Paares erheblich st\u00e4rker treffen, als das andere.\nM\u00f6glicherweise geh\u00f6rt hierher auch ein soeben von Kirschmann beschriebener und etwas merkw\u00fcrdig klingender Fall (Philos. Studien, VIII, S. 173, V. Fall, S. 196 ff.), in dem wesentlich nur Kot und Blau gesehen wurde. Leider aber ist auch diese Untersuchung, wie so viele andere, trotz der grofsen darauf verwandten M\u00fche, nicht genau und unzweideutig genug, um ordentlich erkennen zu lassen, was vorliegt. Eine alle bisherigen Vorstellungen so mit radikalem Umsturz bedrohende Angabe, wie die, dafs die Gegend von ca. 580/ug \u201eblafs-blau\u201c gesehen werde (d. h. also, dafs eine Gegend des Spektrums geradezu in den Ton ihrer sonstigen Komplement\u00e4rfarbe umgeschlagen sei), bedarf doch in der That einer anderen Fundierung, als sie durch unsichere Benennungen, Wollproben und dergleichen gegeben werden kann. Dafs der Tr\u00e4ger dieser Eigent\u00fcmlichkeit auf dem einen Auge die Farben anscheinend normal sieht und \u00fcberhaupt im Farbensehen sehr ge\u00fcbt ist, \u00e4ndert daran nichts. Denn wenn er die Gegend von 580 fifi blau nennen kann, so ist der normale Charakter seiner Benennungen unter allen Umst\u00e4nden verd\u00e4chtig und bedarf dringend einer besonderen und sorgf\u00e4ltigen Untersuchung. Solange also dieser vielleicht sehr seltene Fall nicht durch eine Anzahl spektraler Farbengleichungen wesentlich besser definiert ist, als bisher, ist ein Urteil \u00fcber ihn unm\u00f6glich.\n16. Farbenmischung. Von den Farbenmischungen ist alles Theoretisieren \u00fcber das Farbensehen ausgegangen, mit den Farbenmischungen komme das gegenw\u00e4rtige zu seinem Ende. \u00dcber die Thatsachen dieses Gebietes sind wir seit","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n221\nkurzem besonders genau unterrichtet durch die mehrerw\u00e4hnten K\u00f6NiG-DiETERicischen Farbengleichungen; jede Theorie hat also hier jetzt eine besonders scharfe Probe zu bestehen. Wie die Dreifarbentheorie an dieser Probe versagt, und wie die Hering-sche in ihrer bisherigen Form durch sie gleichfalls in Schwierigkeiten verwickelt wird, haben wir bereits gesehen (No. 4 u. 7). Es fragt sich also, ob die hier vorgeschlagene Auffassung der Dinge sich mit jenen Gleichungen vertr\u00e4gt, ob die bisher noch ziemlich allgemein gehaltenen theoretischen Vorstellungen sich so pr\u00e4zisieren lassen, dafs jene bestimmten Beobachtungsresultate aus ihnen begreiflich werden.\nWorauf es dabei ankommt, ist nach dem Fr\u00fcheren klar. Die s\u00e4mtlichen Mischungsgleichungen m\u00fcssen sich ableiten lassen aus der Annahme von f\u00fcnf Sehstoffen. Die Erregungskurve eines dieser Stoffe (Weifssubstanz) mufs \u00fcbereinstimmen mit der Helligkeitsverteilung in einem sehr lichtschwachen Spektrum. Die Erregungskurven zweier anderen Stoffe (Gelbsubstanz und Blausubstanz) m\u00fcssen identisch sein bei dem Normalsehenden und dem sog. Gr\u00fcn blinden (und zugleich auch eine Beziehung zu den Absorptionsspektren des Sehpurpurs und des Sehgelb erkennen lassen), w\u00e4hrend die beiden noch \u00fcbrigen Stoffe (Hotsubstanz und Gr\u00fcnsubstanz) nur in dem normalen Auge anzunehmen sind. Endlich mufs bei diesen Paaren chromatischer Substanzen ein partieller Antagonismus bestehen, so dafs da, wo die Erregungskurven der Blausubstanz und Gelbsubstanz oder der Rotsubstanz und Gr\u00fcnsubstanz \u00dcbereinandergreifen, der Effekt derBelichtung identisch ist mit der Wirkung des Lichtes auf die Weifssubstanz.\nLassen sich also aus einer bestimmten Gestaltung solcher Voraussetzungen die konkreten Mischungsthatsachen erkl\u00e4ren? Nun, sie lassen sich so vortrefflich erkl\u00e4ren, wie man nach der Beschaffenheit der K\u00f6NiG-DiETERicischen Mischungsgleichungen nur erwarten kann; und da mir diese Thatsachen erst bekannt wurden, nachdem ich mit den theoretischen Vorstellungen l\u00e4ngst im Reinen war, darf ich in ihnen eine erste willkommene Best\u00e4tigung meiner Annahmen erblicken.\nAllerdings ist hierbei die gemachte Einschr\u00e4nkung zu beachten, die ja aber im Grunde auch wieder selbstverst\u00e4ndlich ist. Die \u00dcbereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung ist so vortrefflich, wie man nach der Beschaffenheit der K\u00f6Nls-DiBTEEicischen Mischungsgleichungen nur erwarten kann, aber der Beschaffenheit dieser Gleichungen","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nH. Ebbinghaus.\nmufs man dabei freilich Rechnung tragen. Nun sind diese zwar die genauesten Beobachtungen, die wir \u00fcber die Erscheinungen der Farbenmischung gegenw\u00e4rtig besitzen, aber sie haben deshalb noch keineswegs die f\u00fcr genauere Pr\u00fcfungen w\u00fcnschenswerte und vermutlich auch erreichbare Genauigkeit. Vielmehr leiden sie zum Teil an einem bestimmten methodologischen Fehler, der sich vielleicht bei den gegebenen experimentellen Einrichtungen technisch schwer vermeiden liefs, der aber deshalb nicht weniger ihre Verwertbarkeit beeintr\u00e4chtigt.\nAngenommen, man habe es mit Augenmafsversuchen zu thun und suche eine Distanz f\u00fcr gewisse Umst\u00e4nde einer gegebenen Normaldistanz m\u00f6glichst gleich zu machen. Der Apparat, dessen man sich zu bedienen habe, gestatte eine Verwirklichung dieser Gleichheit nur in einer bestimmten Weise, dadurch n\u00e4mlich, dafs man kleinere Distanzen allm\u00e4hlich vergr\u00f6fsert, bis sie gleich erscheinen und allenfalls noch etwas dar\u00fcber. Man wird dann zun\u00e4chst so verfahren, dafs man thut, was der Apparat zul\u00e4fst, dafs man n\u00e4mlich wiederholt entschieden kleinere Distanzen allm\u00e4hlich wachsen l\u00e4fst, bis sie der Norm eben gleich erscheinen, und aus einer Anzahl solcher Werte das Mittel nimmt. Wollte man sich aber bei diesem Mittelwerte beruhigen und ihn f\u00fcr den gesuchten ausgeben, so w\u00fcrde man einen grofsen Fehler machen. Wir empfinden Gleichheit nirgendwo in der Welt blofs bei der Einwirkung zweier ganz bestimmter objektiven Gr\u00f6fsen, sondern \u00fcberall mit einer gewissen Ungenauigkeit, innerhalb eines Intervalls von einer gewissen Breite, mit einem gewissen Unterschiedssehwellenwert. Wegen dieser Thatsache aber kann eine objektive Gr\u00f6fse als subjektiv einer anderen m\u00f6glichst gleich nicht schon dann gelten, wenn sie bei wiederholter Vergleichung im Durchschnitt aller F\u00e4lle den Eindruck der Gleichheit macht, sondern nur dann, wenn sie sich zugleich in Bezug auf die hier bestehenden Unterschiedsschwellen gleich verh\u00e4lt, d. h. wenn \u2019sie um deren Werte nach oben wie nach unten von der Ungleichheit entfernt ist. Gleichheit darf nicht durch einseitige Ann\u00e4herung bestimmt werden, sondern, wenn \u00fcberhaupt auf solche Weise, dann nur als Mittel aus den Ann\u00e4herungen von zwei Seiten. Gestatten die Umst\u00e4nde eine solche symmetrische Bestimmung nicht, so mufs man sich irgendwie \u00fcber die Gr\u00f6fse der jeweiligen Unterschiedsschwellenwerte informieren ; um deren ungef\u00e4hren Betrag bleibt die einseitig gefundene Gleichheit von der eigentlich gewollten und Bedeutung habenden entfernt. In dem hier fingierten Falle z. B., wo eine Ann\u00e4herung an die Gleichheit von oben unm\u00f6glich sein sollte, k\u00f6nnte man sich so helfen, dafs man die von unten gewonnene Gleichheit festh\u00e4lt und nun ermittelt, um wieviel man die Norm gegen diese verkleinern kann, ohne dafs der Eindruck der Gleichheit verloren geht. Diese Gr\u00f6fse entspricht ungef\u00e4hr dem doppelten Unterschiedsschwellenwert.\nNun sage ich, die K\u00f6NiG-DiETEBicischen Farbengleichungen sind grofsenteils in Bezug auf S\u00e4ttigungsverschiedenheiten nur durch einseitige Ann\u00e4herung gewonnen. Sie sind also, obwohl dem Auge freilich die verglichenen Felder gleich erschienen, doch keine wahren Gleichungen, sondern um den Betrag (oder einen Teilbetrag) der","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n223\njeweiligen Unterschiedssollwellen f\u00fcr S\u00e4ttigungsgrade ungenau. Aus den Mitteilungen der Autoren \u00fcber ihr Verfahren geht das mit Sicherheit hervor. Bei der Auswahl der Komponenten ihrer Mischungen hatten sie zwei entgegengesetzten \u00dcbelst\u00e4nden Rechnung zu tragen. Nahmen sie die Komponenten zu nahe aneinander, so war eine sehr grofse Zahl von Mischungss\u00e4tzen erforderlich und die aus deren Verkn\u00fcpfung berechneten Werte wurden dann so ungenau, \u201edafs die schliefslichen Resultate gar kein Vertrauen mehr verdienten\u201c.1 Nahmen sie aber die Komponenten zuweit auseinander, so traten S\u00e4ttigungsverschiedenheiten auf zwischen der gemischten Farbe und der verglichenen homogenen, und um Gleichheit zu erzielen, mufste die letztere durch Zusatz komplement\u00e4ren Lichtes etwas weifslicher gemacht werden. Diese S\u00e4ttigungsausgleichung aber brachte experimentell und rechnerisch wieder manche Unzutr\u00e4glichkeiten mit sich, auf deren Detaillierung es hier nicht ankommt.2 3 Die Autoren hatten also zwischen diesen beiden \u00dcbelst\u00e4nden irgendwie zu lavieren. Um m\u00f6glichste Genauigkeit zu erzielen, benutzten sie in einer Anzahl von Mischungss\u00e4tzen relativ entfernte Komponenten und nahmen die unbequeme S\u00e4ttigungsausgleichung in den Kauf. Jedoch thaten sie dies \u201enicht ohne zwingende Notwendigkeit,\u201c8 sondern in der Mehrzahl der F\u00e4lle w\u00e4hlten sie die Komponenten zwar immer noch so weit als m\u00f6glich voneinander, aber doch so nahe zusammen, dafs S\u00e4ttigungsdifferenzen gerade eben nicht mehr merkbar wurden. Das heifst nun eben, sie verwirklichten in allen diesen F\u00e4llen die S\u00e4ttigungsgleichheit ihrer Gleichungen durch einseitige Ann\u00e4herung. Sie gingen aus von zu wenig ges\u00e4ttigten Mischungen und verminderten dann deren Weifslich-keit durch Aneinanderr\u00fccken der Komponenten so weit, bis sich ein Unterschied von der homogenen Farbe eben nicht mehr bemerklich machte. Alle mit solchen Komponenten weiter gewonnenen Gleichungen sind, nach dem vorhin Gesagten, notwendig ungenau, ungenau (im H\u00f6chstbetrage) um den Wert der jeweiligen Unterschiedsschwelle f\u00fcr S\u00e4ttigungsdifferenzen. Die hergestellte Gleichheit kann noch durchaus keine symmetrische gewesen sein, d. h. von der Ungleichheit nach oben und nach.unten gleich weit entfernt. H\u00e4tte man die S\u00e4ttigung des gemischten Feldes allm\u00e4hlich wieder verringert, so w\u00e4re sehr bald ein Unterschied gegen das homogene wieder hervorgetreten. Dieses letztere dagegen h\u00e4tte zweifellos eine sehr viel erheblichere S\u00e4ttigungsverminderung vertragen, ehe es seinerseits weifslicher geworden w\u00e4re, als das gemischte Feld. Von dem hierzu erforderlichen Mehrzusatz der Komplement\u00e4rfarbe aber geh\u00f6rt die H\u00e4lfte auf die homogene Seite der Gleichung, um sie zu einer genauen zu machen.\nWie hoch der Betrag dieser Ungenauigkeit hei den einzelnen Gleichungen veranschlagt werden mufs, l\u00e4fst sich nat\u00fcrlich ohne besonders darauf gerichtete Untersuchungen gar nicht sagen. Vorhanden ist sie\n1\tK\u00f6nig und Dieterici, Die Grundempfindungen in normalen und anomalen Farbensystemen. Diese Zeitschrift IV., S. 294.\n2\tA. a. O., S. 295.\n3\tA. a. O., S. 296.","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nH. Ebbinghaus.\nnotwendigerweise in allen den F\u00e4llen, in denen ein S\u00e4ttigungsunter schied nicht bemerkt wurde und also auch keine S\u00e4ttigungsausgleichung stattfand. In den Teilen des Spektrums, wo die Unterschiedsschwelle f\u00fcr S\u00e4ttigungsdifferenzen relativ klein ist, ist nat\u00fcrlich auch jene Ungenauigkeit relativ klein; f\u00fcr die kurzwellige H\u00e4lfte des Spektrums wird sie also nicht nennenswert in Betracht kommen. Allein in der Gegend von Orange bis Gelbgr\u00fcn ist, wie wir wissen (s. o. S. 161), das Auge gegen S\u00e4ttigungsdifferenzen ziemlich unempfindlich; hier ist also die Unterschiedsschwelle relativ grofs, und damit kann auch jene Ungenauigkeit nicht mehr vernachl\u00e4ssigt werden. Aus alledem folgt somit, dafs eine \u00dcbereinstimmung zwischen der Theorie und den K\u00f6NiG-DiETEEicischen Mischungsbeobachtungen von vornherein nur erwartet werden kann, wenn die das Gebiet von Orange bis Gelbgr\u00fcn betreffenden Gleichungen ohne S\u00e4ttigungsausgleichung eine gewisse Korrektur erfahren, deren genaue Gr\u00f6fse einstweilen nicht zu bestimmen ist. Durch diese Notwendigkeit bekommt die ganze Herstellung der \u00dcbereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung etwas Unsicheres und Provisorisches. Nichtsdestoweniger teile ich meine Resultate noch teilweise im einzelnen mit, weil ja erstens die Unsicherheit nur f\u00fcr einen Teil des Spektrums besteht, weil zweitens die erforderlichen Korrekturen, bis auf eine Ausnahme, nur unerheblich sind, und weil . endlich die Anzahl und Mannigfaltigkeit der zu erf\u00fcllenden Bedingungen immer noch eine ungemein grofse ist. Die M\u00f6glichkeit einer im \u00fcbrigen befriedigenden Ableitung der Beobachtungsresultate wird auch so noch als eine wertvolle Best\u00e4tigung der theoretischen Voraussetzungen betrachtet werden.\nFig. \u00f6 veranschaulicht die auf Grund der Mischungsgleichungen f\u00fcr D(ieterici) 1 konstruierten Erregungskurven der f\u00fcnf Sehstoffe, bezogen auf das Dispersions-Spektrum des Gaslichtes. Tabelle III giebt in Spalte A die Ordinatenwerte dieser Kurven in Zahlen an ; Spalte B enth\u00e4lt die Empfindungswerte derselben Ordinaten, d. h. einerseits die rein chromatischen Wirkungen der verschiedenen Lichter, soweit sie nach Abzug der gleichzeitigen gegenfarbigen Erregungen \u00fcbrig bleiben, andererseits ihre Weifseffekte, die da teils auf der Weifs-\n1 Die Gleichungen f\u00fcr K\u00f6nig ergeben im wesentlichen \u00e4hnliche Kurven und h\u00e4tten also ebensogut hier zu Grunde gelegt werden k\u00f6nnen. Nur zeigen diese Kurven s\u00e4mtlich in der Gegend von ca. 510 fifi eine den glatten Verlauf st\u00f6rende Ausbuchtung nach unten, die sich auch schon bei den von K\u00f6nig und Dieterici selbst konstruierten Kurven geltend macht und von ihnen, zweifellos richtig, auf eine relativ starke Pigmentierung der Macula lutea bei K\u00f6nig zur\u00fcckgef\u00fchrt wird. Wegen dieses rein zuf\u00e4lligen Umstandes w\u00e4re die \u00dcbereinstimmung namentlich der Blaukurve mit derjenigen der Farbenblinden weniger evident zu machen gewesen, und daher habe ich die Gleichungen f\u00fcr D. vorgezogen.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n225\nSubstanz, teils auf jenen gegenfarbigen Erregungen beruhen. Tabelle IV endlich reproduziert zur Erleichterung der Nachpr\u00fcfung die s\u00e4mtlichen f\u00fcr D. gefundenen Mischungsgleichungen der K\u00f6Nio-DiETERicischen Arbeit, unter gleichzeitiger Angabe der f\u00fcr sie erforderlich erachteten hypothetischen Korrektionen.\nZum Verst\u00e4ndnis der Kurven ist folgendes zu beachten:\n1)\t. Gegenfarbige Kurven sind so gezeichnet, dafs sie, bis zur Abscissenaxe verl\u00e4ngert, mit dieser gleiche Fl\u00e4chen ein-schliefsen. Die von der Blau- und Gelbkurve umzogenen Fl\u00e4chen sind also einander gleich und ebenso die von der Rotund Gr\u00fcnkurve umzogenen, (dagegen haben die Fl\u00e4chen des einen Paares eine etwas andere Gr\u00f6fse, als die des anderen). Durch diese Wahl der an sich willk\u00fcrlichen Mafsst\u00e4be gewinnt man einen anschaulichen und bequemen Ausdruck f\u00fcr den komplement\u00e4ren Charakter der Gegenfarben. Es werden dann n\u00e4mlich komplement\u00e4re Mengen von diesen gerade durch (linear oder numerisch) gleiche Gr\u00f6fsen repr\u00e4sentiert.\n2)\t. Der Mafsstab f\u00fcr die Weifskurve ist so gew\u00e4hlt, dafs das aus der Vereinigung zweier gegenfarbigen Mengen resultierende Weifs gleich der Summe dieser (untereinander gleichen) Mengen gesetzt ist. Es ist also\n2 a W \u2014 a Gc -f- a Bl\n\u2014 aR -J- a Gr (wo a beliebig).\nDie nach dieser Festsetzung aus den Mischungsgleichungen resultierende Weifskurve hat eine auffallend geringe H\u00f6he, auffallend namentlich, wenn man daran denkt, dafs Hering der Weifserregung ein viel gr\u00f6fseres Gewicht vindiziert, als den chromatischen Erregungen. Die von ihr und der Abscissenaxe umschlossene Fl\u00e4che betr\u00e4gt knapp Vu der Gesamtfl\u00e4che der chromatischen Kurven. Ich bemerke daher ausdr\u00fccklich, dafs ein wesentlich h\u00f6herer Zug der Kurve nach den Mischungsgleichungen unm\u00f6glich ist ; aber, wie ich gleich hinzuf\u00fcge, um der etwaigen Frage zu begegnen, ob dann diese kleine Weifskurve nicht vielleicht ganz entbehrlich sei: ein wesentlich niedrigerer Zug ist auch unm\u00f6glich. Dann geht, abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten, die Beziehung zu den Farbenblinden verloren.\nWird die objektive Helligkeit des Spektrums mehr und mehr verringert, so nimmt nat\u00fcrlich die relative H\u00f6he der Weifskurve allm\u00e4hlich zu, bis sie zuletzt, bei den schw\u00e4chsten Lichtintensit\u00e4ten, allein vorhanden ist.\nZeitschrift fur Psychologie V.\n15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"6j0 610 6/0\t600 590\t577 570 565,5 555 SU 556535\t520\t5/2\t505 500 *95\t437*65\t475\t*65\t455\tMS\nErregungskurven der Sehstoffe im menschlichen \u00c0uge","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n227\nTabelle III.\nWellen- l\u00e4nge\t\tA. Ordinaten der Erregungskurven.\t\t\t\t\tB. Empfindungswerte nach Kompensation der gegenfarbigen Erregungen.\t\t\t\t\n\t\tRot\tGr\u00fcn\tGelb\tBlau\t| Weifs\ti Rot\tGr\u00fcn\tGelb\tBlau\tWeifs\n720\tW*\t5\t\ti 2,7\t\t\t5\t\t2,7\t\t\n700\t77\t13,8\t\u2014\t7,8\t\u2014\t\u2014\t13,8\t\u2014\t7,8\t\u2014\t\u2014\n685\t\u201e\t26,1\t\u2014\t14,5\t\u2014\t\u2014\t26,1\t\u2014\t14,5\t\u2014\t\u2014\n670\t77\t43\t\u2014\t24\t\u2014\t\u2014\t43\t\u2014\t24\t\u2014\t\u2014\n661\t77\t61\t\u2014\t34,5\t\u2014\t\u2014\t61\t\u2014\t34,5\t\u2014\t\u2014\n660\t77\t64\t\u2014\t36\t\u2014\t\u2014\t64\t\u2014\t36\t\u2014\t\u2014\n650\t\u201e\t94\tl\t51\t\u2014\t\u2014\t93\t\u2014\t51\t\u2014\t2\n645\t77\t105,3\t2\t61\t\u2014\t\u2014\t103,3\t\u2014\t61\t\u2014\t4\n630\t77\t133,5\t7\t89\t\u2014\t0,2\t126,5\t\u2014\t89\t\u2014\t14,2\n628\t77\t137\t8\t93\t\u2014\t0,5\t129\t\u2014\t93\t\u2014\t16,5\n620\t\u201e\t144,4\t14\t104\t\u2014\t1,8\t130,4\t\u2014\t104\t\u2014\t29,8\n610\t\u201e\t134\t26\t108,5\t\u2014\t4\t108\t\u2014\t108,5\t\u2014\t56\n606\t77\t126\t32\t108\t\u2014\t5,4\t94\t\u2014\t108\t\u2014\t69,4\n600\t\t106,5\t43\t103\t\u2014\t7,3\t63,5\t\u2014\t103\t\u2014\t93,3\n590\t\u201e\t74\t61,5\t93\t\u2014\t11,3\t12,5\t\u2014\t93\t\u2014\t132,3\n577\t77\t51\t103,8\t74,5\t\u2014\t17,3\t\u2014\t52,8\t74,5\t\u2014\t119,3\n563,5\t77\t31\t114,9\t53,5\t\u2014\t22,6\t\u2014\t83,9\t53,5\t\u2014\t84,6\n555\t\u201e\t22\t107,7\t41,2\t\u2014\t25\t\u2014\t85,7\t41,2\t\u2014\t69\n545\t\u201e\t13\t92,5\t28,5\t1,6\t26,7\t\u2014\t79,5\t26,9\t\t\t55,9\n536\t\u00bb\t7,8\t73\t19\t4,2\t26,4\t\u2014\t65,2\t14,8\t\t\t50,4\n535\t\u00bb\t7\t71\t18\t4,7\t26,2\t\u2014\t64\t13,3\t\t\t49,6\n512\t\u00bb\t\u2014\t31,3\t2\t19,5\t15,8\t\u2014\t31,3\t\u2014\t17,5\t19,8\n505\t\u00bb\t\u2014\t21,8\t\u2014\t25,5\t11,7\t\u2014\t21,8\t\u2014\t25,5\t11,7\n495\tr>\t\u2014\t11,7\t\u2014\t36\t6,8\t\u2014\t11,7\t\u2014\t36\t6,8\n485\t\u00bb\t\u25a0\u2014\t6,7\t\u2014\t49,2\t3,9\t\u2014\t6,7\t\u2014\t49,2\t3,9.\n478\tr>\t\u2014\t4,4\t\u2014\t60,8\t2,4\t\u2014\t4,4\t\u2014\t60,8\t2,4\n475\tn\t\u2014\t3,8\t\u2014\t65,2\t2\t\u2014\t3,8\t\u2014\t65,2\t2\n471,5\tr>\t\u2014\t3\t\u2014\t66,5\t1,2\t\u2014\t3\t\u2014\t66,5\t1,2\n465\tn\t2\t1,5\t\u2014\t64,3\t0,4\t0,5\t\u2014\t\u2014\t64,3\t3,4\n464\tr>\t2,4\t1,3\t\u2014\t63\t0,2\t1,1\t\u2014\t\u2014\t63\t2,8\n463\t7\u00bb\t2,7\t1,1\t\u2014\t62,3\t\u2014\t1,6\t\u2014\t\u2014\t62,3\t2,2\n455\tD\t4,2\t\u2022\u2014\t\u2014\t52,5\t\u2014\t4,2\t\u2014\t\u2014\t52,5\t\n445\tn\t3,5\t\u2014\t\u2014\t39,2\t\u2014\t3,5\t\u2014\t\u2014\t39,2\t\t\n433\t\u00bb\t2\t' \u2014\t\u2014\t24\t\u2014\t2\t\u2014\t\u2014\t24\t\t\n420\t\u00bb\t1\t\t\t10,5\t\t1\t!\t\t10,5\t\n15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nH. Ebbinghaus.\nTabelle IY.\n\t\tI.\tLx\t\td LqJQ\tII. Xx \u2014 ci X670 -f* X568.6\t\t\t\tc Ly\nk\t\t\t\ta\t\tI A\t(t\tb\tk'\tc\n\t720 fifi\t\t\t\t0.1173\t670 fifi\t1.\u2014\t0.\u2014\t\u2014\t\u2014\n\t700 \u201e\t\t\t\t0.3207\t590 \u201e\t1.819\t0.7907\t478 fj.fi\t0.1055\n\t685 \u201e\t\t\t\t0.6077\t577 \u201e\t0.7257\t0.9938\t471,5 \u201e\t0.0322\n\t670 \u201e\t\t\t\t1.000\t563,5 \u201e\t0.\u2014\t1 \u2014\t\u2014\t\u2014\n\t660 \u201e\t\t\t\t1.491\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n\tIII. Lx\t\t= a\tL\t670 \"1\u201c ^ L5Qq\tIV. Lx\t\ta -^590 \"H b L636\t\t\n1\t\ta\tb\t\tHypothetischer Zusatz von Z475 auf der monochromatischen Seite.\tk\ta\tb\tHypothetischer Zusatz von Z475 auf der monochromatischen Seite.\t\n670\tfifj\t1.\u2014\t0.\u2014\t\t\t590 fifi 577 \u201e\t1.\u2014\t0.\u2014\t\t\n645\t\u00bb\t2.392\t0.0424\t\t\u2014\t\t0.5619\t0.9353\t0.13\t\n630\tn\t2.898\t0.1501\t\t0.10\t563,5 \u201e\t0.2402\t1.337\t0,19\t\n620\t\u00bb\t2.952\t0.2800\t\t0.11\t555 \u201e\t0.1228\t1.342\t0.15\t\n610\t11\t2.358\t0.5040\t\t0.08\t545 \u201e\t0.0281\t1.228\t0.07\t\n600\tn\t1.264\t0.7615\t\t0.04\t536 \u201e\t0.-\t1.\u2014\t\t\n590\tV\t0.\u2014\t1.\u2014\t\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\t\n\\ . Xx -\u2014 d -Z>590 I Xg12 C Ly\nk\ta\t6\tk\u2018\tc\tHypothetisch ge\u00e4nderter Wert von c.\n77 \u2022 \u2022 \u00bb\t1.\u2014 0.6905\t0.\u2014 1.978\t471.5 fifj\t0.9298\t0.681\n563.5 \u201e\t0.4135\t2.896\t464\t\u201e\t1.111\t1.02\n512 \u201e\t0.\u2014\t1.\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\nVI. XiA \u2014\u25a0 d Lqsq -J- b X47g\tc Ly VII. Xx \u2014 \u00df Lgi2 -j\u2014 b\tc \u00dc/A'\nk\ta\tb !\tk\u2018\tc\tk\ta\t6\tk\u2018\tc\n536 fifj\t1.\u2014\t0.-\t\u2014\t\u2014\t512 fifj\t1 \u2014\t0 \u2014\t\u2014\t\u2014\n512 \u201e\t0.3775\t0.2822\t661 fjf.\t0.0922\t505 \u201e\t0.6241\t0.2315\t650 fifi\t0.0013\n475 \u201e\t0.\u2014\t1.\u2014\t\u2014\t\u2014\t495 \u201e\t0.2849\t0.4319\t628 \u201e\t0.0013\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t485 \u201e\t0.1160\t0.6324\t606 \u201e\t0.0007\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t475 \u201e\t0.\u2014\t1.\u2014\t\u2014\t\u2014\nVIII. Xx \u2014 a X485 -f- b X463\tIX. L\\ = a X475 \u2022+\u25a0 & 7j433\nk\ta\tb\tk\ta\tb\n485 fifi\t1.\u2014\t0.\u2014\t475 fifi\t1.-\t0.-\n475 \u201e\t0.4300\t0.7406\t465 \u201e\t0.4994\t1.327\n463 \u201e\t0.-\t1.\u2014\t455 \u201e\t0.1878\t1.664\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t445 \u201e\t0.0445\t1.520\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t433 \u201e\t0.\u2014\t1.\u2014\n1 Siehe Note auf der folgenden Seite.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n229\nTabelle IV.\n(Fortsetzung.)\nAufserdem kommt in Betracht:\nX. Die Tabelle der Komplement\u00e4rfarben (K\u00f6nig-Dieterici, Tab. IX, S. 288 und 289). An Stellen des Spektrums, deren Liebt sieb zu Weifs erg\u00e4nzt, m\u00fcssen die erregten Gegenfarben in gleichem Verh\u00e4ltnis zu einander stehen. Ich reproduziere aus der Tabelle (und der zugeh\u00f6rigen Figur) folgende Paare:\n1.\tZ512 ist (f\u00fcr D.) komplement\u00e4r zu allem Licht von gr\u00f6fserer Wellenl\u00e4nge, als 665\n2.\tZ588 ist komplement\u00e4r zu dem Licht etwa von 485 bis 470 fiji.\n3.\tX610 ist komplement\u00e4r etwa zu L.a0V\nXI. Eine Mischung von 1,674 X670 -f- X535 ist (f\u00fcr D.) im Farbenton gleich X590, d. h. das Verh\u00e4ltnis der farbigen Erregungen zu einander ist in der Mischung dasselbe, wie in dem monochromatischen Licht; auch ist die Helligkeit beiderseits gleich, nur die S\u00e4ttigung ist verschieden. (K\u00f6nig-Dieterici, Tab. XI, S. 292).\n1 Diese ziemlich betr\u00e4chtliche hypothetische \u00c4nderung ist durch die Auseinandersetzungen S. 221\u2014224 nicht motiviert (da bei den Gleichungen V ja eine S\u00e4ttigungsausgleichung stattgefunden hat); sie wird also auf Bedenken stofsen. Dazu ist folgendes zu bemerken. Die an sich notwendigen, aber ihrer wahren Gr\u00f6fse nach unbekannten Korrekturen der Gleichungen III und IV sind so gew\u00e4hlt, dafs die Gleichungen jetzt nicht nur f\u00fcr die Farbent\u00fcchtigen, sondern auch f\u00fcr die Farbenblinden, und zwar speziell f\u00fcr die beiden von K\u00f6nig und Dieterici untersuchten Gr\u00fcnblinden, g\u00fcltig sind. Dies ist bei K\u00f6nig-Dieterici nicht der Fall, mufs aber notwendig gefordert werden, da ja die Mischungsgleichungen der Farbent\u00fcchtigen von den Farbenblinden anerkannt werden. Nun stimmt die oben ge\u00e4nderte Gleichung V in ihrer Originalgestalt wieder auf keine Weise zu den von K\u00f6nig-Dieterici selbst bestimmten Empfindungskurven der Gr\u00fcnblinden. Da nun aber einmal die \u00fcbrigen Korrektionen so getroffen sind, dafs die ge\u00e4nderten Gleichungen gleichzeitig f\u00fcr die Farbent\u00fcchtigen und die Gr\u00fcnblinden gelten, mufs diese Uebereinstimmung auch f\u00fcr die Gleichungen V hergestellt werden, und das bedingt nun in diesem einen Falle eine etwas gr\u00f6fsere \u00c4nderung. Jedenfalls steckt hier irgendwo eine Unregelm\u00e4fsigkeit. Ob gerade bei der obigen Gleichung oder vielleicht bei den betreffenden Gleichungen der Gr\u00fcnblinden, bedarf der Untersuchung.","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nH. Ebbinghaus.\n3)\t. Durch die gemeinsame Beziehung auf die Weifserregung wird auch f\u00fcr die Fl\u00e4chen der Eot- und Gr\u00fcnkurve einerseits und der Gelb- und Blaukurve andererseits ein bestimmtes Verh\u00e4ltnis zu einander vorgeschrieben. Leider sind zur genaueren Bestimmung dieses Verh\u00e4ltnisses keine hinreichend zwingenden Anhaltspunkte gegeben. Eine der haupts\u00e4chlich in Betracht kommenden Gleichungen z. B. (Tab. IV, No. XI) ist nur eine Farbentongleichung und also unbestimmt. Das H\u00f6henverh\u00e4ltnis der Rot- und Gr\u00fcnkurve einerseits zu der Blau- und Gelbkurve andererseits k\u00f6nnte also innerhalb einer gewissen Breite auch anders gew\u00e4hlt werden, ohne dafs die \u00dcbereinstimmung mit den Mischungsgleichungen verloren ginge. Das flach verlaufende St\u00fcckchen der Rotkurve am kurzwelligen Ende macht aufserdem auf Genauigkeit keinen Anspruch, sondern soll nur eine Andeutung sein, dafs hier noch eine Roterregung stattfindet.1\n4)\t. Es folgt aus dem Gesagten, dafs die einzelnen Kurven nicht als etwas f\u00fcr sich Bestehendes betrachtet und etwa isoliert mit den Mischungsgleichungen verglichen werden d\u00fcrfen. Sondern da, wo gegenfarbige Erregungskurven \u00fcbereinander-greifen, h\u00e4ngt der Verlauf jeder Kurve zugleich ab von dem der gegenfarbigen Kurve, dadurch von dem Verlaufe der Weifskurve und dadurch weiter sogar von dem Verlaufe des anderen gegenfarbigen Kurvenpaares. Wegen dieser allseitigen Verflechtung war begreiflicherweise die Konstruktion der Kurven in der mittleren H\u00e4lfte des Spektrums eine \u00e4ufserst m\u00fchsame und zeitraubende Aufgabe. Dafs es gleichwohl m\u00f6glich war, diese zu l\u00f6sen und somit die Mischungsthatsachen und die theoretischen Voraussetzungen unter erschwerenden Umst\u00e4nden als zu einander stimmend nachzuweisen, scheint mir, trotz der erforderlich gewesenen m\u00e4fsigen Korrektionen der Mischungsgleichungen, als ein kr\u00e4ftiges Argument zu Gunsten der Theorie in Betracht zu kommen.\n1 Die vielleicht manchem auffallenden grofsen Verschiedenheiten in H\u00f6he und Gestalt der einzelnen Kurven liegen wesentlich an ihrer Beziehung auf das Dispersionsspektrum mit seiner ungleichen Verteilung der Dichtigkeit der Wellenl\u00e4ngen. Werden sie auf das Interferenz-spektrum als Abscissenaxe bezogen, so werden die Rot- und G-r\u00fcnkurve fast symmetrisch zu einander, aufserdem tritt eine gewisse \u00c4hnlichkeit der Rotkurve mit der Gelbkurve und der Gr\u00fcnkurve mit der Blaukurve besser hervor.","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n231\nDenn in der That werden nun die oben (S. 221) aufgestellten Forderungen durch diese Kurven erf\u00fcllt. Die Gelb- und Blaukurve sind konstruiert nach den von K\u00f6nig und Dieterici f\u00fcr ihre beiden Gr\u00fcnblinden gefundenen Mischungsgleichungen (a. a. 0., Tab. V und VI). Sie gelten also gleichzeitig f\u00fcr das normale Auge und f\u00fcr diese Gr\u00fcnblinden, soweit \u00fcberhaupt einzelne Kurven mehreren voneinander immer etwas differierenden Individuen gleichzeitig gerecht werden k\u00f6nnen. Die Weifskurve stimmt \u00fcberein mit der HelligkeitsVerteilung in einem sehr lichtschwachen Spektrum oder in dem Spektrum des total Farbenblinden. Dafs sie f\u00fcr das gr\u00fcnblinde Auge etwas tiefer verl\u00e4uft, als f\u00fcr das farbent\u00fcchtige, liegt wesentlich an der gew\u00e4hlten Darstellungsweise. Die gesamte chromatische Wirkung des Lichtes auf die Retina des Gr\u00fcnblinden ist dargestellt durch zwei Fl\u00e4chen, eben die von der Gelb- und Blaukurve umschlossenen. Bei dem Farbent\u00fcchtigen entfallen auf die Darstellung derselben Wirkung vier Fl\u00e4chen, n\u00e4mlich aufser den beiden eben genannten noch die etwas gr\u00f6fseren, von der Rot- und Gr\u00fcnkurve umgrenzten. Hat nun, wie doch einigermafsen wahrscheinlich, die Weifserregung in dem ersten Fall ungef\u00e4hr dasselbe quantitative Verh\u00e4ltnis zu der chromatischen Erregung wie in dem zweiten, so mufs sie auch dort durch eine kleinere Fl\u00e4che repr\u00e4sentiert werden, als hier.\nEndlich greifen, wie theoretisch gefordert, die Erregungskurven der Gegenfarben teilweise \u00fcbereinander. Namentlich bei der Rot- und Gr\u00fcnkurve ist dies sehr stark der Fall, und daraus erkl\u00e4rt es sich, dafs die Farben von Orange bis Gelbgr\u00fcn relativ weifslich sind und infolgedes das normale Auge sich hier als ziemlich unempfindlich gegen S\u00e4ttigungsunterschiede erweist.\nZur Vergleichung ist noch die Gelbkurve des sogenannten Rotblinden eingezeichnet, konstruiert nach den K\u00f6nig-Dieterici-schen Mischungsgleichungen f\u00fcr Sakaki (a. a. 0., Tab VII). Die zugeh\u00f6rige Weifskurve w\u00fcrde noch etwas tiefer verlaufen, als die f\u00fcr das gr\u00fcnblinde Auge g\u00fcltige, ist aber der \u00dcbersichtlichkeit halber fortgelassen ; die Blaukurve stimmt ungef\u00e4hr \u00fcberein mit der normalen. Jene Gelbkurve stellt sich dar als eine etwas nach dem kurzwelligen Ende des Spektrums verschobene normale Gelbkurve. Sie verl\u00e4uft infolge der Verschiebung","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nH. Ebbinghaus.\neinigermafsen parallel zu der normalen Gr\u00fcnkurve, hat aber einen anderen Typus als diese.1\nBekanntlich werden die Farbengleichungen des normalen Auges auch von den partiell Farbenblinden anerkannt. F\u00fcr die Gr\u00fcnblinden ist dies sofort verst\u00e4ndlich. Damit eine Gleichung f\u00fcr den Farbent\u00fcchtigen g\u00fcltig sei, mufs sie unter anderem f\u00fcr die in seiner Retina stattfindende Gelb- und Blauerregung g\u00fcltig sein. Diese bestehen bei dem Gr\u00fcnblinden in ganz derselben relativen Verteilung, die Gleichung mufs also auch f\u00fcr ihn gelten. Dafs sie auch f\u00fcr den Rotblinden stimmt, ist dagegen als halber Zufall zu bezeichnen. Seine Gelbkurve verl\u00e4uft als eine Art Mittelding zwischen der Gelbund Gr\u00fcnkurve des normalen Auges. Mischungen, die f\u00fcr diese beiden richtig sind, k\u00f6nnen daher in zahlreichen F\u00e4llen auch f\u00fcr jene ann\u00e4hernd stimmen. Ich m\u00f6chte aber vermuten, dafs sich bei genauestem Zusehen solche \u00dcbereinstimmungen als nicht so durchg\u00e4ngig und nicht so genau heraussteilen werden, wie diejenigen zwischen Norm und Gr\u00fcnblindheit.\nF\u00fcr den total Farbenblinden gelten die Gleichungen des normalen Auges in keiner Weise. Nach der HBEiNOschen Theorie ist das schwer verst\u00e4ndlich. Der Farbent\u00fcchtige und der total Farbenblinde haben dieselbe Weifssubstanz mit derselben Art der Erregbarkeit. Aufserdem spielt diese Substanz bei dem Farbent\u00fcchtigen nicht etwa eine untergeordnete Rolle, sondern ihr Gewicht soll im allgemeinen bei jeder Erregung viel bedeutender sein, als das der farbigen Substanzen. Stellt nun aber der Farbent\u00fcchtige eine Gleichung her, die doch, um richtig zu sein, auch f\u00fcr seine Weifserregung stimmen mufs,\n1 Hoffentlich wird niemand dadurch in die Irre gef\u00fchrt, dafs die Gipfel der beiden Gelbkurven und der Blaukurve sich in Fig. 5 an anderen Stellen befinden, als in der fr\u00fcheren Fig. 4. Dort handelte es sich um ein Sonnenlichtspektrum, hier um ein Gaslichtspektrum. Oben mufste ich jenes w\u00e4hlen, um die Beziehung zu den K\u00fcHNESchen Originalbeobachtungen aufzudecken; hier hin ich an dieses gewiesen, um die Beziehung zu den K\u00d6Nia-DiETERicischen Originalgleichungen nicht zu verlieren. Wird das Gaslichtspektrum in ein Sonnenlichtspektrum umgerechnet, \u00bbso bekommt alles wieder die in Fig. 4 gezeichnete Lage. Dafs die Gelb- und Blaukurve in Fig. 5 nicht in der Gegend von F \u00fcber-einandergreifen (wie die Absorptionsspektren des Sehpurpurs und Sehgelb), sondern in der Gegend von E, hat ganz denselben Grund.","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n233\ndann wird sie von dem total Farbenblinden mit seiner gleichartigen Weifserregung nicht anerkannt.\nF\u00fcr die hier entwickelte Theorie ist die Sache einfach genug. Die Weifsempfindung beruht in der Norm nicht nur auf Z\u00e9rsetzung der Weifssubstanz, sondern aufserdem auch auf einer gleichzeitigen Zersetzung gegenfarbiger Substanzen. Diese findet im' Spektrum an mehreren Stellen statt, besonders stark von Orange bis Gelbgr\u00fcn. Dadurch wird die relative Verteilung des Weifs im Spektrum f\u00fcr das normale Auge eine ganz andere, als f\u00fcr das total farbenblinde. Das Maximum der Weifsempfindung z. B. liegt f\u00fcr dieses in der Gegend von E, f\u00fcr jenes in der N\u00e4he von J) (s. Tab. Ill, B), und nat\u00fcrlich k\u00f6nnen also f\u00fcr beide nicht dieselben Mischungsgleichungen G\u00fcltigkeit haben.\nAlle Erscheinungen des Farbensehens, die bei den gew\u00f6hnlichen mittleren Helligkeitsgraden zu beobachten sind, lassen sich aus meinen Kurven herauslesen und an ihnen anschaulich erl\u00e4utern. So z. B. die von Hess gefundene Thatsache, dafs bei zunehmend excentrischer Betrachtung nur drei Farben des Spektrums ihren Farbenton nicht \u00e4ndern. Die betreffenden Stellen des Spektrums entsprechen den drei Schnittpunkten der Bot- und Gr\u00fcnkurve (im Gelb), der Gelb- und Blaukurve (im Gr\u00fcn) und der Gr\u00fcn- und Botkurve (im Blau). Ferner die Verteilung der Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr \u00c4nderungen der Wellenl\u00e4nge im Spektrum. Man wird naturgem\u00e4fs zufolge des FECHNE\u00dfschen Gesetzes diese Empfindlichkeit da als relativ grofs erwarten m\u00fcssen, wo einerseits die einzelnen Kurven relativ steil verlaufen,- wo aber gleichzeitig ihre Ordinatenh\u00f6hen relativ klein sind, also ungef\u00e4hr da, wo (abgesehen von sehr kleinen Ordinaten) der Ausdruck\n^clyJdXJ |d?y2/d/j2 ^dyjdlj + . . . .\n(worin y die Kurvenordinaten und \u00c2 die Wellenl\u00e4ngen bezeichnet) ein Maximum ist. Bestimmt man nach ungef\u00e4hrer Sch\u00e4tzung solche Stellen in Fig. 5, so kommt man ziemlich genau auf die durch direkte Beobachtung gefundenen Punkte","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\nH. Ebbinghaus.\ngr\u00f6bster Empfindlichkeit,1 w\u00e4hrend z. B. die von Konto und Dieterici konstruierten drei Kurven in dieser Beziehung teilweise im Stich lassen.\nIch nehme aber Abstand von der eingehenderen Er\u00f6rterung von Einzelheiten, die mit der vorgetragenen Theorie nicht in direktem Zusammenhang stehen. Denn, wie ich nochmals hervorhebe, die ganze Kurvenkonstruktion kann nicht absolut genaue, sondern nur provisorische Bedeutung beanspruchen, solange gewisse, an sich durchaus notwendige Korrektionen der zu Q-runde liegenden Mischungsgleichungen ihrem genauen Betrage nach nicht bekannt sind.2\nDaf\u00fcr versuche ich, die Hauptpunkte meiner Theorie noch einmal kurz zusammenzufassen.\n17. Zusammenfassung. Das normale Farbensehen wird vermittelt durch drei lichtempfindliche Substanzen in den \u00e4ufsersten Schichten der Retina, von verschiedener Verbreitung, verschiedener Absorptionsf\u00e4higkeit f\u00fcr das Licht und verschiedener Zersetzlichkeit.\nDie eine von diesen, die Weifssubstanz, ist \u00fcber die ganze Netzhaut verbreitet und zugleich am lichtempfindlichsten. Sie absorbiert die Lichtstrahlen fast des ganzen sichtbaren Spektrums, vorwiegend diejenigen mittlerer Wellenl\u00e4nge. Das von ihr absorbierte Licht dient dazu, sie zu zersetzen. Dabei wird Energie frei in einer zur Nervenerregung geeigneten Form, und das Resultat dieser Reizung manifestiert sich unserem Bewufstsein als Empfindung der Helligkeit (Weifs oder G-rau). Die Substanz wird unabl\u00e4ssig zersetzt (durch \u00e4ufsere oder innere Reize) und zugleich seitens des Organismus unabl\u00e4ssig neugebildet, wobei nicht nur die gereizte Stelle, sondern auch\n1 N\u00e4heres u. a. bei Brodhun, \u00dcber die Empfindlichkeit des gr\u00fcnblinden und des normalen Auges gegen Farben\u00e4nderung im Spektrum. Diese Zeitschr. Ill, S. 97 ff.\n- Wegen nicht hinreichender Sicherheit des vorliegenden Materials enthalte ich mich auch einer Besprechung der sogenannten \u201eanomalen Trichromaten\u201c. Soweit ich ein unverbindliches Urteil wagen darf, m\u00f6chte ich sagen, dafs sie eine Art \u00dcbergangsstufe zwischen den Gr\u00fcnblinden und den Farbent\u00fcchtigen darstellen. Ihre Bot-und Gr\u00fcnsubstanz scheint noch weniger differenziert zu sein, als bei den Normalsehenden. Sie verhalten sich also zu diesen \u00e4hnlich, wie auf dem Boden der zweidimensionalen Farbensysteme die Botblinden zu den Gr\u00fcnblinden.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens:\n235\nderen Umgebung, ja in gewisser Weise die ganze Netzhaut sich beteiligt. F\u00fcr das Bewufstsein indes machen sich, hier sowohl wie bei den anderen Sehstoffen, nur die Zersetzungsvorg\u00e4nge, nicht auch die Regenerationen bemerklich.\nEine zweite Substanz ist in den Aufsengliedern der sog. Sehzellen (St\u00e4bchen und Zapfen) enthalten. Sie reicht also nicht ganz bis an die \u00e4ufserste Peripherie der Netzhaut, ist auch nicht so lichtempfindlich wie die Weifssubstanz, aber daf\u00fcr in sehr reichlicher Menge vorhanden. Diese Substanz ist identisch mit dem Sehpurpur; ihr Verhalten gegen das Licht kann also ganz unabh\u00e4ngig von allen hypothetischen Konstruktionen untersucht werden und ist bereits untersucht worden. In ihrem urspr\u00fcnglichen Zustande ist sie purpurfarben, und zwar existiert sie in einer r\u00f6teren und einer violetteren Modifikation. Sie absorbiert vorwiegend die (f\u00fcr die Empfindung) gelbroten bis gr\u00fcnen Strahlen; die Absorptions-maxima ihrer beiden Modifikationen liegen zwischen D und E. Durch geeignete Belichtung wird auch diese Substanz zersetzt, aber nicht sofort in ihre letzten Spaltungsprodukte, sondern mit einer Zwischenstufe. Sie verschiefst zun\u00e4chst ins Gelbe, und dieses Sehgelb wird dann durch die Strahlen von Gr\u00fcn bis Violett weiter zersetzt. (Die gr\u00fcnen Lichtstrahlen wirken also gleichzeitig auf beide Substanzen). Die Produkte der letzten Zersetzung werden von dem Organismus verwertet, um daraus die urspr\u00fcngliche Substanz, den Sehpurpur, wiederherzustellen, wobei m\u00f6glicherweise kurzwelliges Licht unterst\u00fctzend mitwirkt, \u00fcbrigens auch wieder die ganze Netzhaut beteiligt ist.\nDie Wirkungen dieser Processe auf das Sehorgan manifestieren sich nun, wie ich annehme, f\u00fcr das Bewufstsein in doppelter Weise. Zun\u00e4chst wird bei den Zersetzungen des Sehpurpurs und des Sehgelb, gE\u00canz wie bei denen der Weifssubstanz, Energie frei (naturgem\u00e4fs aus dem Sehgelb in geringerer Menge als aus dem h\u00f6her zusammengesetzten Sehpurpur). Diese bewirkt Reizung des Nerven, und deren Effekte werden uns schliefslich bewufst, ganz wie vorhin, als Empfindungen der Helligkeit. Die aus der jederzeitigen Zersetzung der Weifssubstanz stammende gleichartige Empfindung wird hierdurch lediglich verst\u00e4rkt, da der Nerv ja keine Unterscheidungsf\u00e4higkeit daf\u00fcr besitzt, woher die ihn erregende Energie stammt. Zugleich aber erh\u00e4lt in diesem Falle die nerv\u00f6se","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nH. Ebbinghaus.\nErregung einen eigent\u00fcmlichen, seinem \"Wesen nach unbekannten Nebencharakter, der provisorisch als Rhythmisierung der Reizung oder der Erregung bezeichnet wurde. Die infolge der Zersetzungsprocesse hervorgerufenenen Helligkeitsempfindungen erhalten dadurch eine eigenartige T\u00f6nung, und zwar bei Zersetzung des Sehpurpurs eine T\u00f6nung ins Gelbe, bei Zersetzung des Sehgelb eine T\u00f6nung ins Blaue. Zusammen vertragen die beiden Erregungsrhythmen sich nicht; sie haben etwas Antagonistisches und st\u00f6ren sich gegenseitig. Werden also Sehpurpur und Sehgelb gleichzeitig zersetzt (d. h. sehen wir gelbes und blaues Licht gemischt), so schw\u00e4cht eine farbige T\u00f6nung die andere ab. Blau und Gelb sind Gegenfarben. Bei einem bestimmten Mengenverh\u00e4ltnis beider Erregungen f\u00e4llt der chromatische Charakter der Empfindung v\u00f6llig fort. Die bei jenen Zersetzungen frei werdende Energie wird aber davon nicht ber\u00fchrt, die in dem Gelb und Blau enthaltenen Helligkeitsempfindungen bleiben also ungest\u00f6rt bestehen. D. h. wir sehen bei geeigneter Mischung der beiden Gegenfarben lediglich die Summe ihrer Helligkeiten (die zum Teil aus Zersetzung der Weifssubstanz stammen) als Weifs oder Grau.\nEine dritte Substanz (Rotgr\u00fcnsubstanz) ist beim Menschen blofs in den Aufsengliedern der Zapfen vorhanden. Sie hat also die beschr\u00e4nkteste Verbreitung, ist aber etwas leichter zer-setzlich, als der Sehpurpur. Von Hause aus ist sie gr\u00fcn gef\u00e4rbt und existiert m\u00f6glicherweise isoliert in den gr\u00fcnen St\u00e4bchen der Froschretina. Da ihre Farbe beinahe komplement\u00e4r ist zu der des Sehpurpurs, so neutralisieren die beiden Substanzen da, wo sie zusammen Vorkommen, ihre F\u00e4rbung gegenseitig, und die Aufsenglieder der Zapfen erscheinen deshalb farblos. Die physikalischen Eigenschaften dieser Rotgr\u00fcnsubstanz und ihre Bedeutung f\u00fcr das Sehen sind ganz analog zu denken den Eigenschaften und der Bedeutung des Sehpurpurs. Bei geeigneter Belichtung (durch Strahlen l\u00e4ngster und k\u00fcrzester Wellenl\u00e4nge) verschiefst die urspr\u00fcnglich gr\u00fcne Substanz zun\u00e4chst in ein rotes Zwischenprodukt, \u00e4hnlich also wie die absterbenden Bl\u00e4tter des wilden Weins. Dieses wird durch Strahlen mittlerer Wellenl\u00e4nge weiter zersetzt, und aus den letzten Spaltungsprodukten wird dann durch die Kr\u00e4fte des Organismus die gr\u00fcne Ausgangssubstanz regeneriert. Von","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Farbensehens.\n237\nOrange bis Gelbgr\u00fcn greifen die Absorptionsspektren der beiden Substanzen \u00fcbereinander.\nBei jenen beiden Zersetzungen nun wird Energie frei, deren Einwirkung auf den nerv\u00f6sen Apparat wieder als Helligkeit zum Bewufstsein kommt. Bei beiden \u00fcbertr\u00e4gt sieb die Erregung auf den Nerven mit einem specifiscben Nebencbarakter, in einem besonderen Rhythmus, durch den die Helligkeitsempfindung eine chromatische T\u00f6nung erh\u00e4lt. Die Zersetzung der urspr\u00fcnglichen Substanz empfinden wir auf diese Weise als Rot, die ihres roten Zwischenproduktes als Gr\u00fcn. Beide speci-fische Rhythmen endlich haben auch hier wieder etwas Antagonistisches, sich St\u00f6rendes, so dafs bei einer geeigneten Mischung von Rot und Gr\u00fcn die chromatischen Charaktere beider Empfindungen sich neutralisieren, und wir nur die Summe ihrer Helligkeiten als Weifs empfinden.\nSo in Bezug auf das normale Sehen. Was die haupts\u00e4chlichsten pathologischen Modifikationen betrifft, so sind die gew\u00f6hnlichen Farbenblinden Individuen, denen die Rotgr\u00fcnsubstanz abgeht, die infolgedes von Farben im engeren Sinne nur Gelb und Blau empfinden. Die Art und Weise, wie sie diese im Spektrum verteilt sehen, wird durchaus bedingt durch die Absorptionsspektren des Sehpurpurs und des Sehgelb. Die bei ihnen beobachtete Verschiedenheit ferner von sog. Rotblindheit und Gr\u00fcnblindheit beruht auf dem Vorkommen des Sehpurpurs in zwei Modifikationen.\nBei den Zust\u00e4nden sogenannter Farbenschw\u00e4che oder bei ungleichm\u00e4fsigen Beeintr\u00e4chtigungen von Gegenfarben bestehen St\u00f6rungen irgendwo centralw\u00e4rts von der Stabzapfenschicht, durch welche die Erregungsrhythmen bei ihrer \u00dcbertragung auf das Centralorgan in mehr oder minder kapriei\u00f6ser Weise alteriert werden. Derartige Sch\u00e4digungen liegen auch vor bei den cerebralen Affektionen des Farbensehens, infolge von Hysterie, Apoplexie u. s. w.\nBei totaler Farbenblindheit endlich fehlen entweder die beiden chromatischen Substanzen g\u00e4nzlich, oder es werden die von ihnen herr\u00fchrenden chromatischen Rhythmen durch centralw\u00e4rts bestehende St\u00f6rungen g\u00e4nzlich aufgehoben, w\u00e4hrend eine Fortleitung des blofsen Erregungsquantums noch m\u00f6glich ist.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"Inhalts\u00fcbersicht,\nI.\tDie Helmholtz s c h e Theorie.\t\u201e ..\nSeite\n1.\tDas lichtschwache Spektrum................................. 146\n2.\tErkl\u00e4rungsversuch....................................... 150\n3.\tNeue Schwierigkeiten...................................... 153\n4.\tDie Farbenmischungen..................................... 156\nII.\tDie HERiNGSche Theorie.\n5.\tDas lichtschwache Spektrum................................ 166\n6.\tDer Antagonismus der Gegenfarben.......................... 168\n7.\tDissimilierung und Assimilierung.......................... 178\n8.\tDie beiden Typen der Farhenblindheit...................... 182\nIII.\tDer Sehpurpur.\n9.\tSeine Eigenschaften....................................... 185\n10.\tBeziehung zu dem Sehen der Farbenblinden.................. 189\n11.\tDas normale Sehen......................................... 198\n12.\t'\tBedenken................................................ 201\nIV.\tErkl\u00e4rung der Thatsachen.\n13.\t\u00c4nderungen der objektiven Helligkeit...................... 205\n14.\tIndirektes Sehen.......................................... 209\n15.\tFarhenblindheit.......................................... 213\n16.\tFarbenmischung............................................ 220\n17.\tZusammenfassung......................................... 234","page":238}],"identifier":"lit15261","issued":"1893","language":"de","pages":"145-238","startpages":"145","title":"Theorie des Farbensehens: Erweitert nach einem auf dem psycholog. Kongre\u00df zu London (August 1892) gehaltenen Vortrag, Inhalts\u00fcbersicht am Schlu\u00df","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:48.732242+00:00"}